Forschungsmagazin der Universität Innsbruck - 02/2010

50
NACHWUCHS SCHMIEDE zukunft forschung MAGAZIN FÜR WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG DER UNIVERSITÄT INNSBRUCK Ausgabe 02|10 thema junge wissenschaft: die vielfalt der innsbrucker nachwuchs- forschung – wurzelparasiten, neulateinische texte, quantenphysik, kundenintegra- tion |archäologie: antikes alltagsleben | architektur: das werk des vladimir šuchov

description

Das Magazin der Universität Innsbruck informiert über aktuelle Forschungsergebnisse und gibt einen Einblick in den Alltag der Forscherinnen und Forscher.

Transcript of Forschungsmagazin der Universität Innsbruck - 02/2010

Page 1: Forschungsmagazin der Universität Innsbruck - 02/2010

NACHWUCHSSCHMIEDE

zukunftforschung

MAGAZIN FÜR WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG DER UNIVERSITÄT INNSBRUCK

Ausgabe 02|10 thema junge wissenschaft: die vielfalt der innsbrucker nachwuchs-forschung – wurzelparasiten, neulateinische texte, quantenphysik, kundenintegra-tion |archäologie: antikes alltagsleben | architektur: das werk des vladimir šuchov

Page 2: Forschungsmagazin der Universität Innsbruck - 02/2010
Page 3: Forschungsmagazin der Universität Innsbruck - 02/2010

zukunft forschung 0210 3

EDITORIAL

LIEBE LESERIN, LIEBER LESER,

Der wissenschaftliche Nachwuchs trägt rund 80 Prozent zur Forschungsleistung der Universität Innsbruck bei und ist damit eine tragende Säule des Forschungsbe-

triebs. Um dem Rechnung zu tragen, haben wir diese Ausgabe unseres Magazins ZUKUNFT FORSCHUNG zu einem großen Teil den Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern gewidmet. Ihre Leistungen, ihre Vorstellungen und Träume, ihre Erlebnisse stehen im Mittelpunkt dieses Hefts. Und wir stellen ihre Forschungsvorhaben und -ergebnisse vor. Die Palette der Themen reicht dabei von der Latinistik über die pharmazeutische Forschung bis hin zu den Wirtschaftswissenschaften. Die diesjäh-rige Auszeichnung von Barbara Kraus und Florian Schreck mit dem höchsten österreichischen Nachwuchspreis, dem START-Preis, und von Francesca Ferlaino und Gregor Weihs mit dem ERC Starting Grant, dem wichtigsten europäischen Nachwuchspreis, bestätigt den erfolgreichen Weg unseres Forschungsnachwuchses und unterstreicht die führende Rolle der Universität Innsbruck als Forschungsuniversität.

Diese Position wurde auch im internationalen Hochschulran-king der Fachzeitschrift Times Higher Education bestätigt. Erst-mals wurde die Universität Innsbruck dabei als beste österreichi-sche Universität bewertet und als eine der weltweit 200 besten Universitäten gereiht. Die Grundlage dafür haben unsere Mitar-beiterinnen und Mitarbeiter in Lehre und Forschung gelegt, die

unter nicht immer einfachen Rahmenbedingungen eine interna-tional konkurrenzfähige Arbeit leisten. Beispiele finden Sie auch in dieser Ausgabe von ZUKUNFT FORSCHUNG. Um unseren erfolgreichen Weg fortsetzen zu können und auch im internati-onalen Vergleich weiter nach vorne zu kommen, brauchen wir jedoch bessere Rahmenbedingungen. Kurzsichtiges Sparen im Bereich von Wissenschaft und Bildung wird unsere Ziele hier nicht unterstützen, sondern schon sehr schnell dazu führen, dass wir zurückfallen werden. Das schadet nicht nur der Universität und ihren Studierenden, es schadet auch der Zukunft unserer Volkswirtschaft, denn Bildung und Forschung sind die Motoren für wirtschaftliches Wachstum und damit die Grundlage für eine positive Entwicklung und internationale Konkurrenzfähigkeit.

Wie immer freuen wir uns über Ihre Fragen und Anregungen!

KARLHEINZ TÖCHTERLE, REKTORTILMANN MÄRK, VIZEREKTOR FORSCHUNG

IMPRESSUMHerausgeber: Leopold-Franzens-Universität Innsbruck, Christoph-Probst-Platz, Innrain 52, 6020 Innsbruck, [email protected], www.uibk.ac.at Projektleitung: Büro für Öffentlichkeitsarbeit und Kulturservice – Mag. Uwe Steger (us), Dr. Christian Flatz (cf)Medieninhaber & Verleger: ECHO Zeitschriften- und Verlags GmbH, Eduard-Bodem-Gasse 6, 6020 Innsbruck, www.echoonline.at Redaktion: David Bullock (db), MagDaniel Sailer (ds); Layout & Bildbearbeitung: Thomas Binder; Fotos: Andreas Friedle, Universität Innsbruck; Druck: Alpina Druck GmbH, Haller Straße 121, 6014 Innsbruck

Foto: Andreas Friedle

Page 4: Forschungsmagazin der Universität Innsbruck - 02/2010

BILD DERWISSENSCHAFT

Page 5: Forschungsmagazin der Universität Innsbruck - 02/2010

zukunft forschung 0210 5

TITELTHEMA

FORSCHUNG

EDITORIAL/IMPRESSUM 3 | BILD DER WISSENSCHAFT: NIGELLA SATIVA 4 | NEUBERUFUNG: JUSTUS PIATER 6 | FUNDGRUBE VERGANGENHEIT: DIE STERNWAR-TE 7 | BILDGLOSSAR: FORSCHUNGSOBJEKTE 20 | PATENTE & SPIN-OFFS 24 | MELDUNGEN 33 + 44 | CAST 40 | TRANSIDEE 43 | PREISE & AUSZEICHNUNGEN 45 | ZWISCHENSTOPP: NILS ANFINSET 48 | SPRUNGBRETT INNSBRUCK: CLAIRE GMACHL 49 | ZAHLEN & FAKTEN: NATURSTEINRESSOURCEN IN TIROL 50

SIGRID NEUHAUSER. Ein Wurzelparasit begleitet die Mikrobio-login seit dem Beginn ihrer Karriere. 14

STEFANIE GAPP. Die Wirtschaftswissenschaftlerin widmet sich in ihrer Forschungsarbeit Entscheidungsprozessen. 15

BEN MARZEION. Mit speziellen Computermodellen untersucht der Geograf den Einfluss des Klimas auf tropische Gletscher. 18

KATRIN WINKEL. Das scheinbar einfache Molekül Wasser, das immer noch viele Rätsel aufgibt, hat es der Chemikerin angetan. 16

BARBARA WEBER. Die Informatikerin setzt sich mit Ideen und Konzepten der agilen Software-Entwicklung auseinander. 17

STANDORT. FWF-Präsident Christoph Kratky über den Stellenwert der Grundlagenforschung in Österreich. 22

BOTANIK. Pflanzen im Alpenraum haben durch Polyploidie – die Vermehrung der Chromosomensätze – klare Vorteile. 30

ROUND TABLE. Zwei junge Forscherinnen und zwei Nach-wuchswissenschaftler der Universität Innsbruck diskutieren über ihre Karrierewege, unterschiedliche Arbeitsweisen und nächtliche Arbeitszeiten sowie die Probleme, ihre Fachgebiete am Stammtisch zu erklären. 8

Die Aufnahme zeigt die detaillierte Struktur (Ultrastruktur) der Samen-schale des Echten Schwarzkümmels (Nigella sativa) bei 1000-facher Vergrößerung. Die Aufnahme wurde auf einem Philips XL20 Raster-elektronenmikroskop am Institut für Botanik der Universität Innsbruck

von Werner Kofler und Dr. Herbert Knapp im Zuge von Forschungen zur Formenvielfalt und Ultrastruktur von Samen gemacht. Der echte Schwarzkümmel wird seit über 2000 Jahren als Gewürz und Heil-mittel verwendet.

SPRACHUNTERRICHT. Innsbrucker Forscher untersuchen die Bedeutung des metalinguistischen Bewusstseins. 32

ÖKOLOGIE. Wie sich Hitzewellen auf Mensch und Ökosystem aus-wirken, hängt auch von der Art der lokalen Bodenbedeckung ab. 37

RECHTSWISSENSCHAFTEN. Bewegen wir uns auf einen hyper-modernen Rechtsstaat zu? Diese Frage diskutieren Juristen. 38

Zu diesen Beiträgen finden Sie weitere Infos auf: www.uibk.ac.at/forschung/magazin/5/

@

@

ANDREAS MÜLLER. Auf Fragen des Völker- und Europarechts hat sich der Jurist spezialisiert. 19

@

TITEL. Die Nachwuchsforscherinnen und -forscher tragen einen wesentlichen Teil zu den Forschungsleistungen der Uni-

versität Innsbruck bei. ZUKUNFT FORSCHUNG stellt zehn von ihnen im Gespräch und in Porträts vor.

ARCHITEKTUR. Der Bauhistoriker Rainer Graefe dokumen-tiert in einem Forschungsprojekt die herausragenden Leistun-

gen des russischen Ingenieurs Vladimir Grigor‘evič Šuchov.

ARCHÄOLOGIE. Dem Leben indigener Bewohner sind Innsbrucker Archäologen auf dem Monte Iato im

westsizilischen Binnenland auf der Spur.

34

26

8

RUBRIKEN

Fotos: Werner Kofler/Herbert Knapp (1), Andreas Friedle (2), Zürcher Ietas-Grabung (1) COVERFOTO: Andreas Friedle

INHALT

@

Page 6: Forschungsmagazin der Universität Innsbruck - 02/2010

zukunft forschung 02106

NEUBERUFUNG

ROBOTER LERNEN LERNEN

Der Informatiker Justus Piater arbeitet daran, dass sich Roboter „nützliches Weltwissen“ selbstständig aneignen können.

Man denkt unweigerlich an den Film „I, Robot“, wenn man mit Justus Pia-ter, seit Kurzem Professor für Informa-

tik mit Schwerpunkt „Intelligente Systeme“ an der Universität Innsbruck, über sein Forschungsgebiet spricht. Doch während in dem Science-Fiction-Krimi der Roboter Sonny, der neben seiner logi-schen Zentraleinheit eine zweite Zentraleinheit für Emotionen besitzt, lernen muss, mit diesen Emo-tionen umzugehen, denkt Piater an eine andere „Zentraleinheit“. Ihm geht es darum, wie man Roboter oder Maschinen mit computerbasierten Fähigkeiten ausstatten kann, sodass diese selbst-ständig etwa durch Interaktion, Experimentieren oder Beobachten lernen können.

GROSSE ZIELEAusgangspunkt für Piaters Forschungsgebiet war sein Interesse an Bildverarbeitung, das sich immer mehr in Richtung visuelle Wahrnehmung zu Zwe-cken der Interaktion orientierte – wobei ihn immer der Aspekt der künstlichen Intelligenz gereizt hat. Die menschliche Wahrnehmung funktioniert ex-trem robust und effizient, weil sie sich – zusätzlich

zu den Sinneseindrücken – unser Allgemeinwissen und Verständnis unseres Umfelds massiv zu Nut-zen macht. Unsere Umgebung stellt alle Informa-tionen zur Verfügung, aber wir müssen im Alltag nur wenig auf sie zugreifen, um uns zurechtzu-finden. „Es geht mir darum, solche Informatio-nen, die für Interaktion hilfreich sind, aus Bildern herauszuholen“, erzählt Piater, dessen bisherige Forscherlaufbahn unter anderem ein Fulbright-Stipendiat in den USA, ein Marie-Curie-Stipendiat in Frankreich und ein Jahr als Gastwissenschaftler am Max-Planck-Institut für Biologische Kybernetik in Tübingen beinhaltet. In Innsbruck will er sich nun, wie er sagt, auf die großen Ziele konzentrie-ren, die durch sein Interesse an der semantischen Interpretation visueller Wahrnehmungsinhalte be-dingt sind: autonome Systeme zu konstruieren, die sich in unstrukturierten, für Menschen gemachten Umgebungen zurechtfinden und nützlich machen, beispielsweise für wissenschaftliche Exploration oder in der Form von Haushaltsrobotern. Sozu-sagen eine Ausgangssoftware zu entwickeln, die es Robotern möglich machen soll, sich „nützliches Weltwissen“ selbstständig anzueignen. ah

ZUR PERSON

Justus Piater studierte in Braunschweig sowie Magde-

burg und schloss 1994 mit dem Diplom ab. An der

University of Massachusetts machte er einen M.Sc. und

einen Ph.D. in Computer Science, danach war er beim Forschungsinstitut INRIA Rhô-

ne-Alpes, ehe er 2002 Pro-fessor für Informatik an der

Université de Liège in Belgien wurde. Seit September 2010 ist er Professor am Institut für

Informatik in Innsbruck.

Fotos: Andreas Friedle

Page 7: Forschungsmagazin der Universität Innsbruck - 02/2010

zukunft forschung 0210 7

FUNDGRUBE VERGANGENHEIT

STERNENJÄGERDer Bau der ersten Sternwarte in Innsbruck war eine Privatinitiative des Astronomen Egon von Oppolzer – und bildete die Grundlage für

die heutige Forschung am Institut für Astro- und Teilchenphysik.

Es war sozusagen ein Glücksgriff für die Uni-versität Innsbruck. Nach dem Tod von Eduard von Haerdtl im Jahr 1897 war der erst fünf Jah-

re zuvor eingerichtete Lehrstuhl für Theoretische As-tronomie wieder verwaist – und eine Nachbesetzung war ohne eigene Sternwarte schwierig. Für Egon von Oppolzer war es allerdings eine Chance. „Ich ziehe es vor in Innsbruck ernannt zu werden vornehmlich deshalb, weil mir dieser Ort besser geeignet erscheint zur Aufstellung meines im Bau befindlichen Zenittele-skopes“, erklärte er im Jahr 1901 und nahm die Stelle eines Außerordentlichen Professors in Innsbruck an. Ab 1904 begann er mit dem Bau einer Sternwarte im heu-tigen Innsbrucker Stadtteil Hötting, den er aus eigenen Mitteln finanzierte – unter anderem verkaufte er sei-ne wertvolle Gemäldesammlung. Und die Sternwarte konnte sich sehen lassen, mit ihren – zum Großteil noch erhaltenen – Instrumenten war sie bei Inbetriebnahme die modernste in Österreich. Die Kaiserliche Akademie der Wissenschaften finanzierte ein Zeiss-Spiegeltele-skop mit 40 Zentimetern Öffnung, das als eines der ersten mit einer Entlastungsmontierung versehen war. Und dann war da noch das nach Plänen Oppolzers gebaute Zenitteleskop, das für die Beobachtung der Polhöhenschwankung gedacht war. Oppolzer selbst konnte allerdings nicht lange in der Sternwarte arbei-ten. 1906 zum Ordentlichen Professor ernannt, starb er schon 1907 an einer Blutvergiftung.

GRUNDLAGE EINER ENTWICKLUNGZwei Jahre später kaufte der Staat den Erben Oppolzers die Sternwarte ab und gliederte sie in die Universität Innsbruck ein – sie sollte lange die einzige in Innsbruck bleiben. Seit 1996 besitzt das heutige Institut für As-tro- und Teilchenphysik eine moderne Sternwarte im Viktor-Franz-Hess-Haus am Technikareal. Zwei Grund-lagen für Forschung und Lehre am – von Prof. Sabine Schindler geleiteten – Institut, das mit der Berufung von Olaf Reimer im Jahr 2009 eine zweite Professur erhal-ten hat. Der Beitritt Österreichs zur ESO (Europäische Südsternwarte) im Jahr 2008 ermöglicht den heimischen Forschern heute den Zugang zu den weltweit leistungs-fähigsten Großteleskopen – eine Entwicklung, deren Ausgangspunkt auch die Privatinitiative von Egon von Oppolzer war. ah

EGON VON OPPOLZERDer 1869 in Wien geborene Egon von Oppolzer ent-stammte einer Gelehrtenfa-milie. Sein Großvater Johann war Arzt und wichtiger Vertreter der Zweiten Wiener Medizinischen Schule, sein Vater Theodor Astronom. Egon von Oppolzer studierte in Wien mathematische Wissenschaften und forschte ab 1897 an der Sternwar-te in Prag. Nach seiner Habilitation lehnte er eine Stelle als Astronom in Prag ab und entschied sich 1901 für eine (anfangs unbezahlte) Stelle als Extraordinarius in Innsbruck. In seiner wissen-schaftlichen Arbeit beschäf-tigte sich Oppolzer unter anderem mit Fragen der Sonnenphysik und der Pol-höhenschwankung. Am 15. Juni 1907 starb Oppolzer überraschend an den Folgen einer Blutvergiftung.

Fotos: Volker Witt (4)

Die Sternwarte in Hötting wurde 1904 von Egon von Oppolzer errichtet (ob.). Nach

seinen Plänen wurde auch das Zenitteleskop gebaut (Mitte). 1905 kam ein 40-Zentimeter-

Spiegelteleskop dazu (un.).

Page 8: Forschungsmagazin der Universität Innsbruck - 02/2010
Page 9: Forschungsmagazin der Universität Innsbruck - 02/2010

Zwei junge Forscherinnen und zwei Nachwuchswissenschaftler der Universität

Innsbruck über ihre Karrierewege, unterschiedliche Arbeitsweisen und

nächtliche Arbeitszeiten sowie die Probleme, ihre Fachgebiete am Stammtisch zu erklären.

Foto: Andreas Friedle

INTRINSISCHMOTIVIERT

Page 10: Forschungsmagazin der Universität Innsbruck - 02/2010

zukunft forschung 021010

TITELTHEMA

ZUKUNFT: Herr Danzl, Sie haben sowohl Medizin als auch Physik studiert. Nun denkt man bei ei-nem Medizinstudium doch an eine anschließende Karriere als Arzt, Sie sind jetzt aber am Institut für Experimentalphysik. Wie kam es dazu?JOHANN G. DANZL: Ich hatte immer ein star-kes Interesse an fundamentalen Zusammenhän-gen. Begonnen habe ich mit Medizin, die auf der einen Seite den Arztberuf möglich macht, auf der anderen aber auch eine breite Ausbildung in bio-medizinischen und humanwissenschaftlichen Be-reichen bietet. Nach zwei Studienjahren entstand der Wunsch, tiefer in die Naturwissenschaft zu ge-hen und so begann ich, parallel Physik zu studie-ren. Nach Abschluss des Medizinstudiums wollte ich mir eine solide Grundlage in Experimentalphy-sik erarbeiten, die Wahl fiel auf die Quantenphy-sik. Daraus ergab sich ein sehr spannendes wissen-schaftliches Projekt, und diese Herausforderung wollte ich dann auch annehmen.ZUKUNFT: Sie haben ein Projekt erwähnt, an dem Sie mitgearbeitet haben. Ist eine wissenschaftliche Karriere für junge Forscher ohne diese Projekte ei-gentlich möglich?FLORIAN SCHAFFENRATH: Ohne die Möglich-keit, über Projekte an der Uni zu bleiben, wäre es

bei mir nicht gegangen. Wir sind ein kleines Insti-tut, insofern ist der Pool an zur Verfügung stehen-den Stellen gering. In meinem Fall war dann ein FWF-Projekt der Startschuss. Ich konnte publizie-ren, war auf Kongressen und bin langsam in den Wissenschaftsbetrieb hineingewachsen. ZUKUNFT: Sie kommen aus einer Studienrichtung, die sehr viele Studierende hat. War es dort schwie-riger, im Wissenschaftsbetrieb Fuß zu fassen?JULIA HAUTZ: Auch bei uns sind die Ressourcen relativ beschränkt. Die meisten meiner bisherigen Stellen waren Stipendien- und Drittmittelstellen. Auch in der Zukunft wird viel davon abhängen, ob ich weiter Drittmittel generieren kann. Vom Verlauf her war es aber auch auf der SoWi ähn-lich – ein sehr interessantes Diplomarbeitsprojekt, bei dem es durch den Betreuer ermöglicht wurde, weiter daran zu arbeiten. Das konnte ich mit der Dissertation verbinden, während dieser Zeit haben sich neue Projektmöglichkeiten ergeben usw. ZUKUNFT: Wie ist das bei den Pharmazeuten?DANIELA SCHUSTER: Pharmazeuten haben oft die Apotheke im Hinterkopf, vor allem zu Stu-dienbeginn, da viele nicht wissen, was im For-schungsbereich möglich ist. Spätestens im letzten Studiendrittel öffnen sich viele Türen. Für mich

Round Table zum Thema Nachwuchsforschung: Johann G. Danzl, Julia

Hautz, Daniela Schuster und Florian Schaffenrath.

(v.li.)

Fotos: Andreas Friedle (2)

Page 11: Forschungsmagazin der Universität Innsbruck - 02/2010

zukunft forschung 0210 11

TITELTHEMA

war es nicht so schwierig, in die Wissenschaft hin-einzukommen. Es gab viele Projekte, die Konkur-renz war aber auch nicht so groß, da eben viele in die Apotheke gehen. Insofern bleiben uns weniger Wissenschaftler als wir gerne hätten.DANZL: Das ist ein wesentlicher Punkt – die Su-che nach qualifizierten Mitarbeitern. Schon auf der Ebene eines Nachwuchswissenschaftlers ist dies ein wichtiger Punkt für den Erfolg. Und da ist es nicht so, dass die guten Leute Schlange stehen. Gute Leute, die begeistert sind, Ideen haben, etwas weiterbringen wollen, sind immer willkommen.ZUKUNFT: Kann es auch daran liegen, dass man heute für eine wissenschaftliche Karriere von sich aus aktiv und flexibel sein muss – und dass dies junge Leute abschreckt?SCHUSTER: Das Problem ist sicher der Einstieg. Ein Projekt wird eingereicht, dann wird es geneh-migt oder nicht, wenn es genehmigt wird, gibt es eine Frist, bis es losgeht. Da muss man sozusagen Stand-by stehen, muss auch spontan sein. Wenn ein Projekt läuft, sich neue Ressourcen auftun, dann geht es besser.ZUKUNFT: Kann man heute noch von einer klassi-schen Wissenschaftslaufbahn sprechen?DANZL: In den Naturwissenschaften ist es gang und gäbe und auch sinnvoll, sich unterschiedliche Dinge anzuschauen. Eine durchgängige Karriere von Diplomarbeit, Dissertation usw. an einem Ins-titut ist nicht mehr die Regel, die Laufbahn spielt sich auf verschiedenen Instituten ab. Daher ist es wichtig, dass diese eine gute Ausgangslage für zukünftige Aufgaben bieten. Es ist eine wichtige Zeit, sich in eine gute Position zu bringen, um später eigene Dinge erforschen zu können. Daher ist es sinnvoll, sich gute Gruppen, gute Unis aus-zusuchen. Und für die österreichischen Unis ist es wichtig, dass man sich an den besten orientiert, um

für sehr gut qualifizierte (Nachwuchs-)Forscher at-traktiv zu sein. SCHAFFENRATH: Ein wesentlicher Unterschied zwischen dem natur- und dem geisteswissen-schaftlichem Betrieb ist der, dass bei den Naturwis-senschaften die Eingliederung in eine Forschungs-gruppe sehr wichtig ist. In den Geisteswissenschaf-ten ist es doch immer noch die Einzelleistung – ich kann mir kein Team anstellen, das für mich ein Buch liest. Lesen muss ich es selbst. Für den Geisteswissenschaftler gibt es nach dem Dokto-rat eigentlich nur eine Aufgabe – die Habilitation. Und diese schreibt man nicht mit einem Team, das macht man in den Nachtstunden allein.DANZL: Trotzdem ist es wichtig, dass man gute Rahmenbedingungen, starke Diskussionspartner, eine intellektuell stimulierende Umgebung hat – und da ist die Parallelität gegeben.HAUTZ: Bei uns ist eine Habilitation kaum zu schaffen, wenn man alleine arbeitet. Der Trend geht weg von der Monografie hin zu kumulativem Arbeiten. Es geht darum, eine Anzahl von Journal Papers zu erreichen – wenn man das in einer ge-wissen Zeit schaffen will, geht es nicht ohne Team. Leute, die andere Methoden, einen anderen Zu-gang zu Daten oder einen anderen Theorieansatz haben. Wir arbeiten daher sehr stark in Teams. Dazu kommt noch die internationale Vernetzung, man schaut weltweit, wer am besten weiterhelfen kann. Daher ist es wichtig, ins Ausland zu gehen, internationale Konferenzen zu besuchen usw.SCHUSTER: Im Bereich der Life Sciences ist es in-nerhalb der Arbeitsgruppe wichtig, dass man zu-sammenarbeitet und sich Methoden beibringt. Fast noch wichtiger aber ist die interdisziplinäre Schie-ne. Die einen machen bestimmte Messungen im Labor, im nächsten Labor werden andere Messun-gen durchgeführt. Die Ergebnisse fließen zusam-men, werden gemeinsam ausgewertet, man tritt in einen regen internationalen Dialog mit anderen

Florian Schaffenrath, geboren 1978 in Innsbruck, absolvierte von 1996 bis 2000 das Lehramtsstudium der Klassischen Philologie in Heidelberg, Innsbruck und Siena. Nach dem Probejahr begann er sein Doktoratsstudium an der Universität Innsbruck. 2005 promovierte er sub auspiciis praesidentis rei publicae mit einer Arbeit über das epische Gedicht „Colum-

bus“ des Jesuiten Ubertino Carrara. Als Forschungsassistent wirkte Schaffenrath ab 2002 am FWF-Projekt „Geschichte der Lateinischen Literatur in Tirol“ mit. Er ist seit mehreren Jahren wissenschaftlicher Mitarbeiter und seit September 2010 Assistenzprofessor am Institut für Sprachen und Literaturen. Zu seinen Forschungsinteressen zählen neben dem neulateini-

schen Epos und der neulateinischen Literatur u.a. die allegorische Homerinterpretation, die Schriften des Marco Polo sowie die Philippischen Reden Ciceros, mit denen er sich in seinem Habilitationsvorhaben beschäftigt. Er erhielt zweimal den „Würdigungspreis für hervorragen-

de Studienleistungen“ des Bundesministeriums für Bildung und Wissenschaft.

„Das Problem bei der wis-senschaftlichen Laufbahn ist sicher der Einstieg. Ein Pro-jekt wird eingereicht, dann wird es genehmigt oder nicht, wenn es genehmigt wird, gibt es eine Frist, bis es los geht. Da muss man sozusagen Stand-by stehen, muss auch spontan sein.“ Daniela Schuster

ZITIERT

Das gesamte Interview finden Sie auf www.uibk.ac.at/forschung/magazin/5/

Page 12: Forschungsmagazin der Universität Innsbruck - 02/2010

zukunft forschung 021012

Arbeitsgruppen. Das ist notwendig, um sinnvoll Forschung zu betreiben. DANZL: Bei uns ist Teamarbeit das Um und Auf – eine sehr gute Zusammenarbeit besteht mit The-oretischen Physikern in Europa und den USA und besonders auch in Innsbruck, wir publizieren auch mit ihnen. Wir holen uns dort zusätzliche Experti-sen für unsere Experimente. ZUKUNFT: Sie waren fast alle während des Studi-ums im Ausland. Ist das heute notwendig für eine spätere wissenschaftliche Laufbahn?SCHAFFENRATH: Ich kann es nur unterstützen. Es bringt sehr viel, wenn man schaut, wie der Be-

trieb woanders funktioniert. Es relativiert auch sehr viel. Es ist aber immer mit einem Zeitverlust im eigentlichen Studium verbunden. HAUTZ: Bei mir war der Auslandsaufenthalt mit keinem Zeitverlust verbunden, das war aber der Spezialfall von „Internationale Wirtschaftswissen-schaften“ mit einem Pflichtjahr im Ausland. Ein Grund für mich, das IWW-Studium zu wählen, und ich kann es nur jedem empfehlen. Man hat dadurch eine super Chance, andere Blickwinkel und Kulturen kennenzulernen. Es ergeben sich dadurch auch oft Zusammenarbeiten, die sich dann später fortsetzen. ZUKUNFT: Fällt es Ihnen eigentlich schwer, am Stammtisch zu erklären, was Sie arbeiten?SCHAFFENRATH: Es ist nicht so, dass die Leute mit Latein und Griechisch nichts anfangen kön-nen. Das Problem ist aber oft, dass es mit Schule und dem früheren „Disziplinierungsfach“ Latein verbunden wird. Dass es ein Forschungsfach ist, in dem man neue Gebiete entdecken kann, mit neuen Theorien an die Texte herangeht, ist schwie-riger zu erklären. Es hängt auch von der Uhrzeit ab, aber es geht.HAUTZ: Es ist auch zu einer frühen Uhrzeit schwierig zu erklären. Der Beruf an der Uni wird allgemein zuerst stark mit Lehre assoziiert. In mei-nem speziellen Fall geht es in der Forschung viel

um Innovationsmanagement und Kundenintegra-tion in Innovationsprozesse. Da kann man ganz gut mit Beispielen arbeiten: Zum Beispiel gibt es im Internet Tools, mit denen man sich Turnschu-he selbst designen kann – und wir untersuchen dann, wie sich das für Kunden und Unternehmen auswirkt.SCHUSTER: Früher war es schwieriger, heute geht es besser – es gibt ja CSI. Wenn ich sage, dass ich Computermodelle zur Vorhersage von bestimmten Aktivitäten von Molekülen erstelle, kann man sich das wie bei CSI vorstellen: Computersimulation, bei denen in den Menschen hineingezoomt wird. Bei mir sind die Untersuchungsobjekte halt kleiner. Mehr ins Detail gehe ich dann aber nicht mehr.DANZL: In der Regel stoße ich auf sehr gute Re-sonanz. Die Menschen sind fasziniert, wenn man sagt: Man schaut, was möglich ist, versucht neue Systeme für die Untersuchung zu erschließen, um zu testen, ob unsere Modelle von der Wirklichkeit stichhaltig sind. Natürlich liefere ich Beispiele. Wozu braucht es die Kontrolle von Quantenzu-ständen schon heute – z. B. für moderne Atom-uhren.SCHAFFENRATH: Ihr habt es etwas leichter. Die Naturwissenschaften, speziell die Physik und die Ökonomie sind heute die Leitwissenschaften – sie sind in keiner Verteidigungssituation. DANZL: Man muss aber schon erklären, dass es etwas bringt. Sonst heißt es: Warum soll unser wertvolles Geld in etwas investiert werden, das weit weg von einer Anwendung ist? Warum nicht nur industriegetriebene Forschung machen? We-sentlich ist hier auch der Ausbildungscharakter. Bestens ausgebildete, hoch innovative Arbeitskräf-te sind eine Schlüsselressource für Unternehmen im Innovationswettstreit. ZUKUNFT: Viele Wissenschaftler arbeiten in der Nacht. Ist das bei Ihnen auch so?SCHUSTER: Da hat man Ruhe. Untertags hat man viele Besprechungen, man macht Lehre.HAUTZ: Wenn es Deadlines gibt, ist es egal, ob man schon 40 Stunden gearbeitet hat – auch wenn Wochenende ist, es muss fertig werden. Und es hört nicht auf. Wenn eine Deadline vorbei ist, kommt die nächste. Man sagt zwar immer, jetzt kommt eine ruhigere Zeit, ich schraube etwas zu-rück – nur kommt sie dann meistens doch nicht.SCHAFFENRATH: In einem forschenden Umfeld ist die 40-Stunden-Woche vollkommen nebensäch-lich. Im Büro verwaltet man, beantwortet E-Mails, man wird angerufen etc. Daher verlagert man die-se Forschung in die Abend- und Nachtstunden: Da hat man am Stück mehrere Stunden, um einen Gedanken zu fassen, ihn zu formulieren, ihn ab-zuwägen. Auf diese Zeit ist man angewiesen, und

Die 1984 geborene Tiro-lerin Julia Hautz studierte nach der Matura an der

HTL für Bau & Kunst in Innsbruck Internationale

Wirtschaftswissenschaften an der Universität Inns-

bruck. Nach zwei Auslands-semestern in den USA und

Abschluss ihres Diplom-studiums 2007 beendete Hautz das Doktorat der

Sozial- und Wirtschaftswis-senschaften 2010 und ist

nun Kandidatin für eine sub-auspiciis-Promotion. Nach Tätigkeiten als Lehrbeauf-tragte, wissenschaftliche Mitarbeiterin und zuletzt als DOC-Stipendiatin der

Österreichischen Akademie der Wissenschaften am

Institut für Strategisches Ma-nagement, Marketing und

Tourismus ist Julia Hautz seit September 2010 dort als

Postdoc beschäftigt. In ihrer Forschung be-

schäftigt sich die bereits mehrfach ausgezeichnete

Nachwuchswissenschaftle-rin mit Fragen der Kunden-

integration durch Online Communities aus der

Sozialen Netzwerk Pers-pektive. Ein weiteres ihrer

Forschungsfelder betrifft die Rolle kontextspezifischer,

wirtschaftlicher und instituti-oneller Einflussfaktoren auf

Strategieentscheidungen von Großunternehmen.

Fotos: Andreas Friedle (3)

TITELTHEMA

Page 13: Forschungsmagazin der Universität Innsbruck - 02/2010

zukunft forschung 0210 13

das ist auch gut so, wir arbeiten nicht mit einer Stechuhr.DANZL: Es ist ja auch die Frage, wie man bei ei-nem Forscher die Arbeitszeit quantifiziert. Wenn ich irgendwo sitze und nachdenke – das ist ja de facto Arbeitszeit wie im Labor. ZUKUNFT: Die Begeisterung am jeweiligen Fach ist die Triebfeder. Passt auch das Umfeld?HAUTZ: Wir hatten an der Betriebswirtschaftli-chen Fakultät vor Kurzem eine internationale Eva-luierung, die Kollegen waren aus der Schweiz, aus England und Deutschland. Ein Kommentar der Kommission nach der Evaluierung war, dass die Mitarbeiter an der Fakultät unglaublich intrinsisch motiviert sein müssen, wenn man die Budgetsitu-ation mit dem Output vergleicht. SCHAFFENRATH: Das sollte man aber durchaus auch etwas kritisch sehen. Natürlich sind wir mo-tiviert. Es ist aber verlockend und es wird auch getan, statt eine Stelle zu vergeben, diese zu teilen – man unterstützt ja dann zwei Leute. Diese ar-beiten dann aber nicht 20 Stunden an der Uni und 20 Stunden woanders. In den meisten Fällen sind die Leute so begeistert und so motiviert, dass man mit einer halben bezahlten Stelle mehr herausholt. Das kann sich unter Umständen Richtung Preka-riat entwickeln.

DANZL: Die Motivation, sich voll einzubringen, kommt aus der Begeisterung. Im Gegenschluss heißt das aber nicht, dass man sagen kann, For-scher arbeiten sowieso. Es macht für die Gesell-schaft und die Unis sehr Sinn, dass man attrakti-ve Karrierewege vorzeichnet und möglich macht. Nur darauf zu vertrauen, dass die Wissenschaft-ler aus Freude arbeiten, könnte unter Umständen zur falschen Selektion führen. Es könnte passieren, dass die Leute mit sehr guten Ange-boten aus anderen Bereichen für den akademischen Bereich verloren gehen. Und das wä-re sehr schade, wenn bestens qualifizierte Leute abwandern.SCHUSTER: Man darf nicht vergessen, dass wir noch jung sind. Irgendwann will oder kann man nicht mehr 60 Stunden arbeiten.HAUTZ: Die Menschen werden heute auch im-mer flexibler und mobiler. Österreich ist nicht mehr das einzige mögliche Umfeld für einen Arbeitsplatz. Man hat die Möglichkeit festzu-stellen, wo es in seinem Fachbereich die besten Bedingungen gibt um dann dorthin zu gehen – denn irgendwann ist intrinsische Motivation allein nicht mehr genug. ah

Der Experimentalphysiker Johann G. Danzl beschäftigt sich mit ultrakalten Molekülen. Im Labor lassen sich damit grundlegende Fragestellungen der Physik und der Chemie modellhaft

untersuchen. So gelang es Danzl und seinem Team eine beinahe auf den absoluten Tempe-raturnullpunkt abgekühlte Molekülwolke in den inneren Grundzustand, also den energetisch

tiefsten Quantenzustand, zu bringen. Dabei haben die Physiker alle Freiheitsgrade eines Moleküls auf quantenmechanischer Ebene vollständig unter Kontrolle: die äußere Bewegung, den elektronischen Zustand, die innere Schwingung und Rotation des Moleküls sowie die so-

genannte Hyperfeinstruktur. Johann G. Danzl wurde 1978 in Kitzbühel geboren und studierte in Innsbruck Medizin und Physik. Er promovierte 2005 in Medizin und 2010 in Physik. Danzl

forscht in der Arbeitsgruppe um Wittgenstein-Preisträger Prof. Rudolf Grimm und START-Preisträ-ger Prof. Hanns-Christoph Nägerl am Institut für Experimentalphysik der Universität Innsbruck

und wurde für seine Arbeit unter anderem mit dem Liechtensteinpreis ausgezeichnet.

Die 1978 in Innsbruck geborene Daniela Schuster studierte an der Uni Innsbruck Pharmazie. Ihre Diplomarbeit verfasste sie bei Prof. Thierry Langer am Arbeitsbereich Pharmazeutische Chemie, wo sie 2006 auch ihre Doktorarbeit abschloss. Danach war sie als Postdoc beim Spin-off Unternehmen Inte:Ligand sowie an den Universitäten Innsbruck und Erlangen tätig. Für ihre Forschungen wurde Schuster 2006 mit dem Preis der Dr. Maria Schaumayer Stiftung und 2007 mit dem Georg und Christine Sosnovsky-Preis ausgezeichnet. Als erste Forscherin wird die Pharmazeutin im neuen Erika-Cremer-Habilitationsprogramm der Universität Innsbruck gefördert. Dieses Karriereförderprogramm steht hervorragend qualifizierten Wissenschaftlerin-nen aller Fachdisziplinen offen. In ihrem Habilitationsprojekt beschäftigt sich Daniela Schuster mit den schädlichen Einflüssen von Umweltchemikalien. Sie sammelte bereits Literaturdaten zu rund 76.000 Umweltchemikalien und deren möglichen pharmakologischen Angriffspunkten. Diese Daten dienen ihr zur Erstellung von theoretischen Modellen, die computerunterstützt die Störung des Hormongleichgewichts durch Chemikalien vorhersagen sollen.

„ In einem forschenden Umfeld ist die 40-Stunden-Woche vollkom-men nebensächlich.“ Florian Schaffenrath

TITELTHEMA

Page 14: Forschungsmagazin der Universität Innsbruck - 02/2010

zukunft forschung 021014

TITELTHEMA

Fotos: Andreas Friedle

Sigrid Neuhauser wurde 1980 in Rum geboren und studierte bis 2005

Biologie an der Universität Innsbruck. 2007 schloss sie ihr Doktoratsstudium

am Institut für Mikrobiolo-gie ab. Seither forscht sie hier als Postdoc mit ihrer eigenen kleinen Arbeits-gruppe. 2009 erhielt sie

den Eduard-Wallnöfer-Preis und erreichte Platz 2 bei

der Endausscheidung von FameLab Österreich.

ZUR PERSON Sorosphaera viticola ist ein pathogener Mi-kroorganismus, der die Wurzeln von Wein-reben befällt. Ihre Entdeckung, genauer ge-

sagt, ihre offizielle Beschreibung im Jahr 2005 mar-kiert zugleich den Beginn der wissenschaftlichen Laufbahn von Sigrid Neuhauser. „Ich habe in der Endphase meines Biologiestudiums ein Praktikum am Institut für Mikrobiologie gemacht. Damals hat Martin Kirchmair mit Kollegen aus Deutschland Sorosphaera viticola entdeckt und suchte jeman-den, der sie bearbeitet und charakterisiert“, schil-dert Neuhauser. „So bin ich zu diesem Gebiet ge-kommen und dabei geblieben.“ Obwohl ihre erste Begegnung mit Pflanzenpathogenen eher zufällig war, ist Neuhausers Faszination für diesen For-schungsgegenstand immer noch ungebrochen.

Auch in ihrer Dissertation hat sie sich mit parasi-tären Krankheitserregern im Weinbau beschäftigt, im Vordergrund stand darin eine Schimmelart, die ebenfalls an den Wurzeln von Weinreben entsteht. „Die Sorosphaera ist eigentlich mehr nebenher gelaufen“, erzählt die Nachwuchswissenschaft-lerin, die während ihres Doktoratsstudiums in mehreren Projekten mitgewirkt hat. „Ich war über verschiedene Projekte angestellt und habe mich

unter anderem mit Pilzen in Innenräumen, mit holzzerstörenden Pilzen, aber auch mit biologi-scher Schädlingsbekämpfung beschäftigt“, sagt Neuhauser. Sie beschreibt diese Arbeitsphase als extrem nervenaufreibend, aber auch als gewinn-bringend: „Ich habe absolut profitiert, Einblick in verschiedene Bereiche bekommen und gelernt, wie man Projekte beantragt und umsetzt.“ So gelang es ihr auch unmittelbar nach Abschluss des Dok-torats, ein Hertha-Firnberg-Projekt zu bekommen, in dem wiederum Sorosphaera viticola im Mittel-punkt steht. „Das Spannende an Sorosphaera ist, dass sie zur Gruppe der Plasmodiophoride zählt, in der es sehr viele Pflanzenpathogene gibt. Zum Beispiel den Erreger für die sogenannte Kohlher-nie, die weltweit für zehn Prozent des Kohlernte-ausfalls verantwortlich ist“, verdeutlicht sie. Wäh-rend alle anderen Plasmodiophoride einjährige Pflanzen besiedeln, ist Sorosphaera das ganze Jahr über zu finden. Ihr Verhalten in der Wirtspflanze ist anders und wird im Rahmen des Hertha-Firn-berg-Projekts genau erforscht.

AUFSCHLUSSREICHE ARTENNeuhauser tüftelt außerdem an einer neuen Ta-xonomie der Plasmodiophoride. Diese über 40 Arten zählende Gruppe ist nicht, wie lange ver-mutet, den Pilzen zuzurechnen, sondern mit Fo-raminiferen – Mikroorganismen aus dem Meer – verwandt. „Von den zahlreichen Arten sind nur jene besser erforscht, die Wirtschaftspflanzen be-fallen. Andere Plasmodiophoride besiedeln zum Beispiel die Wurzeln hochalpiner Gräser oder auch Braunalgen. Wir vermuten, dass es sich um eine uralte Gruppe handelt. Aus ihrer Erforschung las-sen sich unter Umständen evolutionsbiologische Rückschlüsse ziehen“, erklärt Neuhauser, die auch künftig auf diesem Gebiet arbeiten will. Nach En-de des Hertha-Firnberg-Programms 2011 ist ein Auslandsaufenthalt in Großbritannien geplant. Anschließend möchte sie an die Uni Innsbruck zurückkehren. Und das nicht nur aus Heimatver-bundenheit: „Wir haben im Bereich der Mykologie hier in Innsbruck sehr viel Expertise, eigentlich so-gar eine Monopolstellung“, so Neuhauser. ef

WURZELARBEITSigrid Neuhauser forscht seit 2008 im Rahmen eines Hertha-

Firnberg-Projekts am Institut für Mikrobiologie. Ein Wurzelparasit begleitet sie bereits seit dem Beginn ihrer Karriere.

Page 15: Forschungsmagazin der Universität Innsbruck - 02/2010

zukunft forschung 0210 15

TITELTHEMA

Die Wirtschaftswissenschaftlerin Stefanie Gapp untersucht Entscheidungsprozesse. Dabei versucht sie einen gesamtgesellschaftlichen Blick zu wahren.

EIN BILD SCHAFFEN

Vielleicht nicht neue, aber andere Wege durch das wissen-schaftliche Dickicht der Forschung zu finden, ist das, was junge Forscher auszeichnet. An der Universität Innsbruck

finden sich diese „jungen Wilden“ in jeder Fachrichtung, auf jedem Institut, jeder Fakultät. Stefanie Gapp, Projektleiterin am Institut für Finanzwissenschaft, ist eine solche junge Forscherin, die an-dere Wege beschreitet. Ein Stichwort, das als ihre Wegmarkierung dient, ist Interdisziplinarität. Allein ihr derzeitiges Forschungsge-biet, die Inhalte, mit denen sie sich beschäftigt, nämlich Entschei-dungsfindungs- und Kooperationsprozesse von Männern, Frauen und Gruppen, enthält bereits die Vorgaben: „Die Kooperationsbe-reitschaft und Entscheidungsprozesse sind an sich so komplexe Themengebiete, die nicht nur Auswirkungen auf wirtschaftliche Zusammenhänge haben“, erklärt die diplomierte Volkswirtin, die zudem einen Abschluss in Internationalen Wirtschaftswissen-schaften vorweisen kann und gleichzeitig noch das Studium der Politikwissenschaft absolviert. Wäh-rend Entscheidungs- und Koopera-tionsprozesse alle gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Vor-gänge betrifft, ist die wissenschaftliche Untersuchung dieser Prozesse an Vor-gaben, an wissenschaftliche Methoden, gebunden, die sich mehr oder weniger unterscheiden. Während etwa in den Wirtschaftswissenschaften vermehrt

mit Laborversuchen gearbeitet wird, beschreibt eine politikwissen-schaftliche Methode Umfrageauswertungen, und volkswirtschaft-liche Zugänge arbeiten unter Umständen mit psychologischen Komponenten. Drei Zugänge, drei Beobachtungen und am En-de vielleicht drei Ergebnisse. Stefanie Gapp sucht einen anderen Blickwinkel, ohne ihren wirtschaftswissenschaftlichen aus den Augen zu verlieren, denn „es ist bereichernd, die Perspektive zu wechseln“, so die junge Wissenschaftlerin, die meint, dass oft das „große Bild“ fehle. Sie ist überzeugt, dass mehrere Zugänge ein besseres Ergebnis zeitigen würden. „Die Fragestellung wird bei einer Spezialisierung immer enger“, meint Gapp und findet, dass sich diese verschiedenen Methoden gut ergänzen würden und man bessere Studien designen könnte.

Doch auch sie stößt dabei auf strukturelle Grenzen. Nicht nur, dass etwa bei Anträgen für Fördermittel klare Zugehörigkeiten definiert werden müssen, sondern auch Veröffentlichungen in

spezifischen Fachjournalen ausschlag-gebend sind. Für ihren Abschluss in Politikwissenschaft hofft Stefanie Gapp, einen Betreuer zu finden, der ihren methodischen Zugängen ent-spricht. Stefanie Gapp sucht ihren eigenen wissenschaftlichen Weg, der breiter angelegt ist, denn es sei, wie sie sagt, „vielleicht Zeit, etwas Neues zu schaffen“. db

ZUR PERSONStefanie Gapp ist Projektleiterin am Institut für Finanzwissenschaft an der Universität Innsbruck. Ihr aktuelles Projekt beschäftigt sich mit dem Einfluss des Geschlechts bzw. der Information über das Geschlecht der Interaktionspartner auf das Arbeit-nehmer/Arbeitgeber-Verhältnis. Derzeit arbeitet die 28-jährige Tirolerin an ihrer Dissertation.

Page 16: Forschungsmagazin der Universität Innsbruck - 02/2010

zukunft forschung 021016

TITELTHEMA

Fotos: Andreas Friedle

Katrin Winkel vom Institut für Physikalische Chemie ist den Geheimnissen des Wassers auf der Spur. Das scheinbar einfache Molekül gibt

noch immer zahlreiche Rätsel auf.

GRENZ-GÄNGERIN

In ihrer Doktorarbeit an der Universität Innsbruck hat Katrin Winkel ein verändertes Verfahren zur Herstel-lung von amorphem Eis entwickelt. Die kristalline

Struktur des Eises geht dabei verloren, die Wassermoleküle reihen sich ungeordnet aneinander. Das bei tiefen Tempe-raturen mit hohem Druck erzeugte Eis ist im Gegensatz zu früher verwendeten Verfahren thermisch besonders stabil. „Dadurch hat sich für uns ein neues Messfenster aufgetan“, erzählt die junge Forscherin begeistert. „Wir können nun vie-le Experimente wiederholen, die bisher gescheitert waren, weil die Struktur des Eises zu instabil war.“ Das große Ziel der Nachwuchswissenschaftlerin ist es, eine Erklärung für die vielen Anomalien des Wassers zu finden. „Wasser hat viele Eigenschaften, die wir sonst bei anderen Flüssigkei-ten selten finden, wie das Ausdehnen beim Gefrieren oder das Dichtemaximum bei vier Grad Celsius“, sagt Winkel. Insgesamt gibt es über 60 solcher Anomalien des Wassers. „Seit Langem suchen Forscher in der ganzen Welt nach mög-lichen Erklärungen. Mit unseren Experimenten liefern wir Anhaltspunkte dafür.“ Konkret sucht die Forscherin in dem von ihr hergestellten Eis nach einem Übergang vom amor-phen in den flüssigen Zustand. Nur wenn diese Flüssigkeit existiert, ist sichergestellt, dass amorphes Eis tatsächlich eine eingefrorene Flüssigkeit ist. „Das amorphe Eis könnte auch nanokristallin sein, das heißt, aus vielen kleinen Eiskristallen bestehen, die willkürlich zueinander angeordnet sind, was wir mit den uns zur Verfügung stehenden Methoden nicht nachweisen können“, so Katrin Winkel.

GRENZBEREICHMit ihren Forschungen bewegt sich die Hertha-Firnberg-Stipendiatin des Wissenschaftsfonds FWF im Grenzbereich von Physik und Chemie. Als an der Technischen Universität Darmstadt ausgebildete Physikerin hat Katrin Winkel mit ihrem Wechsel nach Innsbruck nicht nur Ländergrenzen, sondern auch Fakultätsgrenzen überschritten und dabei die unterschiedlichen Zugänge benachbarter Disziplinen kennen-gelernt. Grenzüberschreitende Forschungsbereiche hatten sie schon während ihres Studiums fasziniert. In der Arbeitsgrup-pe von Thomas Lörting am Institut für Physikalische Chemie der Universität Innsbruck kann sie diese Leidenschaft nun ausleben. Als begeisterte Wissenschaftlerin sprüht sie vor neuen Ideen. „Ich habe noch Messungen für die nächsten zehn Jahre im Kopf“, schwärmt Winkel, die die Kontakte nach Darmstadt reaktiviert hat und nun auch mit ihrer ehemaligen Arbeitsgruppe kooperiert. cf

Katrin Winkel wurde in Dreieichenhain in Deutschland geboren, studierte an der TU Darmstadt Physik und kam 2005 an die Universität Innsbruck. Für ihre Doktorarbeit wurde sie mit dem Georg und Christine Sosnovsky-Preis und dem Karlheinz Seeger-Preis der Österreichischen Physi-kalischen Gesellschaft ausgezeichnet.

ZUR PERSON

Page 17: Forschungsmagazin der Universität Innsbruck - 02/2010

zukunft forschung 0210 17

TITELTHEMA

Barbara Weber habilitierte sich 2009, nach einer erstaunlichen wissenschaftlichen Karriere, mit erst 32

Jahren als erste Frau an der Uni Innsbruck in Informatik.

PRAKTISCHE GRUNDLAGEN

Habilitiert mit 32, das ist eine Meldung wert. Eine Frau in ei-nem von Männern dominierten

Forschungsfeld und gar die erste habili-tierte Frau in diesem Bereich an der Uni Innsbruck, das ist einen Artikel wert; und dann noch mit einer erstaunlichen wissen-schaftlichen Karriere – das ist für jedes Me-dium eine Reportage wert. Nun, Barbara Weber, die 2009 habilitierte Informatikerin mit einem Uni-Abschluss in Betriebswirt-schaftslehre, möchte aber lieber über ihre Forschungstätigkeit im Arbeitsbereich „Quality Engineering“ am Institut für In-formatik, über die Wichtigkeit der Grund-lagenforschung und des wissenschaftlichen Austauschs reden. Auch über das Verhält-nis Wissenschaft und Wirtschaft. Sie selbst kennt sich gerade in diesem Bereich beson-ders gut aus.

Die gelernte Betriebswirtin mit dem Spe-zialgebiet Wirtschaftsinformatik hat sich immer für Software-Entwicklung interes-siert. Während ihres Wirtschaftsstudiums, dann, als sie nebenbei bei der Tiroler Ge-bietskrankenkasse als Software-Entwick-lerin arbeitete, hatte sie sich nicht gedacht, dass sie sich einmal als erste Frau in Inns-bruck in Informatik habilitieren und sich mit hochaktuellen Fragen wie der flexiblen IT-Unterstützung von Geschäftsprozessen beschäftigen würde: „Konkret versuche ich, Ideen und Konzepte der agilen Soft-wareentwicklung auf die Modellierung und Ausführung von Geschäftsprozes-sen zu übertragen und weiterzuentwi-ckeln“, erklärt Barbara Weber ihr Kernfor-schungsgebiet. Sie entwickelt ein System, das verschiedenste Abläufe lernt, erkennt und analysiert. Doch „das System, das ich

entwickle, dient zur Unterstützung von Entscheidungen und wird keine abneh-men“, so Weber. Obwohl sie hauptsächlich Grundlagenforschung betreibt, werden ihre Ideen in naher Zukunft Einzug in die Privatwirtschaft halten; zumal Teile ihrer Arbeiten und einzelne Punkte ihrer Habi-litation bereits von innovativen Unterneh-men verwendet werden.

ATTRIBUTEAuch wenn manche ihrer Überlegungen und Forschungen noch Jahre brauchen, um wirtschaftlich kompatibel und technisch umsetzbar zu sein, zeigt sie Entwicklun-gen vor. „Bei mir steht die Grundlagenfor-schung im Vordergrund“, meint Barbara Weber, „doch die Schnittstellen zu prakti-kablen Umsetzungen behalte ich im Auge.“ Gerade ihr Wirtschaftsstudium förderte dabei praktisches und interdisziplinäres Denken. Obwohl sie in erster Linie, wie sie sagt, Grundlagenforscherin ist, erkennt sie Notwendigkeiten, kennt die Abläufe au-ßerhalb des universitären Alltags und ar-beitet darüber hinaus mit internationalen Spitzenforschern zusammen. Aspekte, die nicht nur in der Informatik zukunftswei-send sind.

Doch ganz ist das Thema Frau und IT nicht vom Tisch. Gerade an der Uni Inns-bruck sind lediglich ein Zehntel der Infor-matikstudenten Frauen. Das sei, wie Barba-ra Weber sagt, bedauerlich, zumal gerade im IT-Bereich den sogenannten weiblichen Attributen, wie Kommunikationsfähigkeit und Empathie, eine enorme Bedeutung zu-gesprochen wird. So sei es umso wichtiger, Berührungsängste und die Scheu vor Tech-nik bereits sehr früh abzubauen. db

ZUR PERSONBarbara Weber wurde 1977 geboren. Sie

studierte an der Universität Innsbruck Be-triebswirtschaftslehre und promovierte 2003

im Fachbereich Wirtschaftsinformatik. Seit 2004 arbeitet Weber am Institut für Informa-

tik der Universität Innsbruck und leitet hier im Arbeitsbereich Quality Engineering einen

eigenen Forschungsbereich zur flexiblen IT-Unterstützung von Geschäftsprozessen und

Arbeitsabläufen.

Page 18: Forschungsmagazin der Universität Innsbruck - 02/2010

zukunft forschung 021018

TITELTHEMA

Fotos: Andreas Friedle

Der Klimaforscher Ben Marzeion vom Institut für Geographie untersucht den Einfluss des Klimas auf tropische Gletscher. Er verwendet dazu Computermodelle,

die die Entwicklung des Klimas beschreiben.

Im Juli dieses Jahres war Ben Marzei-on mit seinem Team in der Cordillera Blanca in den nördlichen Anden Pe-

rus, der höchsten Gebirgskette auf dem amerikanischen Kontinent. Dort stehen bereits seit einigen Jahren automatische Wetterbeobachtungsstationen der Innsbru-cker Geografen. Deren Daten liefern eine wichtige Grundlage für die Erforschung der Gletscher in der Region. „Westlich der Anden ist Peru saisonal sehr trocken, die Wasserversorgung hängt deshalb vom Abfluss der Gletscher ab“, erklärt der ge-bürtige Deutsche, der seit zwei Jahren in Innsbruck forscht und sich hier sehr wohl fühlt. „Den Einfluss des Klimas und damit die zukünftige Entwicklung der Gletscher zu kennen, ist von großem Interesse für die Region.“ Mit seinem Team erhebt Ben Mar-zeion nicht nur Wetterdaten, er ergänzt die existierenden globalen Klimamodelle um die lokalen Gegebenheiten. „In den globa-len Rechenmodellen ist die Cordillera Blan-ca mehr oder weniger nur ein hoher Hügel, ohne Täler und markante Einschnitte“, sagt Marzeion. „Es ist aber gerade die komplexe Topografie, die für die Entwicklung der lo-kalen Wetterverhältnisse von großer Bedeu-tung ist. Und nur wenn wir das Wetter ken-nen, können wir auch auf die Entwicklung der Gletscher schließen.“ Die Innsbrucker Geografen optimieren deshalb mit Unter-

stützung des Wissenschaftsfonds FWF die Klimamodelle für die Region. „Die Wet-terdaten, dir wir in Peru erheben, dienen dazu, diese Modelle zu überprüfen“, sagt Marzeion. Im nächsten Jahr will er auf ei-nem eisigen Grat auf rund 5500 Metern eine weitere Wetterstation errichten – der Grat liegt auf der Wasserscheide Südamerikas. Geräte und Know-how für die automati-sche Übermittlung der Daten via Satellit werden aus Mitteln der Nachwuchsförde-rung der Universität finanziert.

KLIMAVERÄNDERUNGENIm Klimamodell der Arbeitsgruppe wird am Ende jedes größere Tal der Cordillera Blanca abgebildet sein. „So können wir feststellen, wie die Zirkulation der Luft durch die loka-le Topografie beeinflusst wird“, erklärt der Jungforscher. In einem zweiten, vom FWF finanzierten Projekt wird er in Kürze auch die langfristigen Veränderungen des Klimas und deren Einfluss auf die tropischen Glet-scher untersuchen. Gemeinsam mit inter-nationalen Partnern vergleicht er dazu die Daten aus unterschiedlichen Klimamodellen miteinander und versucht, Mechanismen zu identifizieren, die das Klima beeinflussen.

Sein Wissen gibt Ben Marzeion auch an die Studierenden weiter. Eine Vorlesung über natürliche Veränderungen und den menschlichen Einfluss auf das Klima richtet sich vor allem an zukünftige Lehrerinnen und Lehrer. Sie sollen mit wissenschaftlich fundierten Kenntnissen zu diesem viel-diskutierten Thema ausgestattet werden. Sein Know-how gibt Marzeion aber auch regelmäßig an Meteorologen und Geologen weiter, denn die langfristige Modellierung des Klimas ist auch für diese Fächer von Interesse. cf

GLETSCHER IN DEN TROPEN

ZUR PERSONBen Marzeion hat in Kiel Ozeanografie

studiert. Nach Forschungsaufenthalten in Bergen (Norwegen) und am MIT in Boston stieß er Ende 2008 zur Arbeitsgruppe von Prof. Georg Kaser am Institut für Geogra-

phie der Universität Innsbruck.

Page 19: Forschungsmagazin der Universität Innsbruck - 02/2010

zukunft forschung 0210 19

TITELTHEMA

In Innsbruck sind Völker- und Europarecht an einem Institut vereint. Für Andreas Müller eine wichtige Rahmenbedingung für

seine Forschung.

INTERNATIONAL

Für Andreas Müller war es ein einschnei-dendes Erlebnis, als er vor acht Jahren im Gerichtssaal des Internationalen Straf-

gerichtshofs in Den Haag saß und den Prozess gegen den ehemaligen jugoslawischen Präsiden-ten Slobodan Milošević verfolgte. Die Erfahrung in Den Haag machte Müller kurz vor seinem Ab-schluss des Studiums der Rechtswissenschaften und der Philosophie, und sie gab die Richtung vor, die den Vorarlberger prägen sollte. Heute ist er Universitätsassistent am Institut für Europa-recht und Völkerrecht der Universität Innsbruck und beschäftigt sich mit Fragen des Völkerstraf-rechts, des internationalen Menschenrechtsschut-zes, aber auch europarechtlichen Fragestellun-gen. Müller findet an der Universität dabei ide-ale Rahmenbedingungen vor: „Das Besondere in Innsbruck ist, dass Europa- und Völkerrecht in einem Institut vereint sind“, meint der Jurist, denn in einer neuartigen, globalisierten Welt und in einem immer stärker vereinten Europa müsse man sich über die verschiedenen Rechtssysteme, die Vernetzung und die Wechselwirkung der verschiedenen Ebenen des Rechts Gedanken ma-chen. Hier steht für Müller vor allem die Frage nach dem Platz des Individuums im internatio-

nalen Recht im Mittelpunkt, nach wie vor oft ein blinder Fleck im traditionell staatsfixierten Völ-ker- aber auch Europarecht. In seiner Forschung ist es für ihn nicht damit getan, lediglich juristi-sche Zusammenhänge zu analysieren – darüber hinaus gebe es auch Schnittpunkte mit anderen Wissenschaftszweigen. So ergibt sich bei Müllers Forschungsprojekten neben der Zusammenarbeit mit anderen juristischen Fächern auch insbeson-dere eine mit der Philosophie. Dieser, „seiner Phi-losophie“ konsequent folgend, arbeitet er derzeit an einem Projekt zum Thema „Völkerrecht und islamisches Recht“ mit dem Institut für Philoso-phie zusammen. Doch wichtig ist für Müller an-zumerken, dass es bei aller Kooperation zwischen den verschiedenen Fächern ein klares Bewusst-sein für ihre jeweiligen wissenschaftlichen Me-thoden geben müsse. „Wir Internationalrechtler haben es wohl leichter, interdisziplinär zu arbei-ten, da wir es von vornherein mit Pluralität von Rechtssystemen und einer inhomogenen Nor-menlandschaft zu tun haben“, gibt Müller zu. „Gerade in einer Zeit immer stärkerer Ausdiffe-renzierung der Disziplinen stellt wohlfundierte interdisziplinäre Forschung aber eine allgemeine Herausforderung dar.“ db

ZUR PERSONDer gebürtige Vorarlber-ger absolvierte mehrere Auslandsaufenthalte. Neben einem Erasmusstudium in Straßburg und der Absolvie-rung des Auslandszivildiens-tes in Jerusalem ging er für ein postgraduales Studium an die Yale Law School in den USA, das er 2009 mit einem Master of Laws (LL.M.) abschloss, und war dann am Internationalen Gerichts-hof in Den Haag tätig. Seit 2010 ist er Universitätsassis-tent am Institut für Europa-recht und Völkerrecht der Universität Innsbruck. Neben der Promotion zum Dr. iur. ist Müller zudem Magister der Christlichen Philosophie.

Page 20: Forschungsmagazin der Universität Innsbruck - 02/2010

zukunft forschung 021020

Der wissenschaftliche Nachwuchs trägt einen wesentlichen Teil zu den Forschungs-leistungen der Universität Innsbruck bei. Die inhaltliche Vielfalt der Forschungs-

gegenstände deckt sich dabei mit dem breiten Anspruch einer Volluniversität und reicht in den Buchwissenschaften von neulateinischen Texten über die Verknüp-

fung unterschiedlicher Rechtssysteme in einer globalisierten Gesellschaft bis hin zu neuen Medien und deren Bedeutung in wirtschaftlichen Prozessen. In den

Naturwissenschaften beschäftigen sich die erfolgreichen Nachwuchswissenschaft-lerinnen und Nachwuchswissenschaftler der Universität Innsbruck zum Beispiel mit den klimatischen Entwicklungen in den Cordillera Blanca in den nördlichen Anden

Perus, den rätselhaften Eigenschaften des Wassers, den physikalischen Grundla-gen der Materie und möglichen Anwendungen für die Informationsverarbeitung, mit schädlichen Wurzelparasiten an Rebstöcken und flexibler Unterstützung von

Geschäftsprozessen mithilfe von Informationstechnologien.

DIE VIELEN GESICHTER DER FORSCHUNG

Page 21: Forschungsmagazin der Universität Innsbruck - 02/2010

zukunft forschung 0210 21

IM ZOOM

Dr. Sigrid Neuhauser erforscht Soros-phaera viticola, einen pathogenen Mikroorganismus, der die Wurzeln von Weinreben befällt. Er bildet dabei Aggregate von Dauersporen, durch die er lange Zeit ohne Wirt im Boden überdauern kann. Der Parasit verursacht unter anderem ein Absterben von Wurzelgewebe und öffnet somit die „Tür“ für andere.

Eisphasen unterschiedlicher Dichte und Struktur können hergestellt werden, indem Eis hohem Druck und tiefen Temperaturen ausgesetzt wird. Dr. Katrin Winkel fand einen neuen Präparationsweg, der zur Herstellung einer thermisch besonders stabilen Struktur führte, die zahlreiche neue Forschungsmöglichkeiten eröffnet.

In einigen Fällen konnte bereits ein direkter Zusammenhang zwischen der Verbreitung von Chemikalien und dem Auftreten von Erkrankungen bewiesen werden. Anhand von the-oretischen Modellen will Dr. Daniela Schuster computerunterstützt Stö-rungen des Hormongleichgewichts durch Chemikalien vorhersagen. Fo

tos: A

ndrea

s Frie

dle (4

), Be

n Marz

eion (

1), B

en M

arzeio

n/NA

SA‘s

Earth

Obs

ervato

ry (1

), Ins

titut f

ür Ph

ysika

lische

Chem

ie (2

), Ins

titut f

ür Mi

krobio

logie

(1),

Intern

ation

al Co

urt of

Justi

ce (1

), Ins

titut f

ür Ph

armaz

ie (1

)

Page 22: Forschungsmagazin der Universität Innsbruck - 02/2010

zukunft forschung 021022

STANDORT TIROL

ZUKUNFT: Sie haben im Frühjahr anlässlich der Jahresbilanz 2009 des FWF erklärt, dass man es „gotterbärmlich verseift“ habe, der Gesellschaft und der Politik die Bedeutung der Grundlagenforschung klarzumachen. Was war Anlass für diese Selbstkritik?CHRISTOPH KRATKY: Anlass waren die damaligen Aussagen des Präsidenten der Österreichischen Wirtschaftskammer, Chris-toph Leitl, dass die Grundlagenforschung in Österreich künftig „über Brüssel“ abgewi-ckelt werden solle und sich die nationalen Anstrengungen auf angewandte Forschung konzentrieren sollen. Mich hat es erstaunt, dass ein hochrangiger Funktionär solch eine Aussage machen kann, ohne dass es einen Aufschrei der Empörung in der Bevölkerung gibt. In diesem Zusammenhang habe ich ge-sagt, dass wir es offensichtlich nicht geschafft haben, in Österreich eine Stimmung entste-hen zu lassen, in der Grundlagenforschung einen hohen Stellenwert hat. Das war die Si-tuation damals, ich würde aber sagen, sie hat sich seither nicht wesentlich verändert. ZUKUNFT: Wie sehen Sie das Verhältnis der Förderung von angewandter Forschung zur Grundlagenforschung in Österreich?KRATKY: Es gibt den FWF, es gibt die FFG. Beide sind notwendig für das Land und es hat keinen Sinn zu sagen, dass eines wichti-ger ist als das andere. Das ist unvernünftig. Beide Institutionen sind das Spiegelbild der jeweiligen Wissenschaftsszene. In den letz-ten Jahren ist von der Politik ein größeres Gewicht auf die angewandte, insbesondere auf die industrielle Forschung gelegt wor-den. Das sind objektive Zahlen. Ich möchte auch nicht sagen, ob das gut oder schlecht ist. Es ist aber ein Faktum, das im heurigen Budget besonders deutlich wird. Im Bereich des Wissenschaftsministeriums gibt es Kür-

KEIN SCHREI DER EMPÖRUNG

Christoph Kratky, Präsident des FWF, über den Stellenwert der Grundlagenforschung in Österreich, das Verhältnis zur angewandten Forschung und die Situation für den wissenschaftlichen Nachwuchs.

Fotos: Marc Seumenicht/FWF (2)

Page 23: Forschungsmagazin der Universität Innsbruck - 02/2010

zukunft forschung 0210 23

STANDORT TIROL

Christoph Kratky, geboren 1946, studierte an der ETH Zürich Chemie und promovier-te dort 1976. Nach einem Postdoc-Jahr an der Harvard University wurde er 1976 Assistent am Institut für Physikalische Che-mie der Universität Graz, habilitierte sich 1985 und wurde 1995 Ordentlicher Uni-versitätsprofessor für Physikalische Chemie an der Universität Graz. Seit 2005 ist er Präsident des FWF (Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung).

ZUR PERSON

zungen, die zum Teil durch Sondermittel kompensiert werden – unter dem Strich bleibt bestenfalls eine Stagnation. Für die industrielle Forschung hingegen gibt es eine Erhöhung der Forschungsprämie von acht auf zehn Prozent, das macht immerhin einen Betrag in der Höhe von 100 Millionen Euro aus. Da sieht man eine klare Priorität für die angewandte Forschung, für den Bereich F&E in der Wirtschaft. Es steht mir nicht zu, zu bewerten, ob das gut oder schlecht ist. Ich hätte mir gewünscht, dass es vergleichba-re Investitionen und Engagements in der Grundlagenforschung gegeben hätte.ZUKUNFT: Wie schaut das in Europa aus?KRATKY: Europaweit sieht man das nicht. Wobei man fairerweise sagen muss, dass die EU in ihren Rahmenprogrammen in erster Linie angewandte Forschung gefördert hat. Im Rahmen des laufenden siebten Rahmen-programms hat sie aber immerhin den Eu-ropäischen Forschungsrat eingerichtet, der mit sieben Milliarden Euro erstmals reine Grundlagenforschung fördert. Insofern hat die EU damit ein deutliches Zeichen gesetzt, dass Grundlagenforschung immens wichtig ist, und hat in den Mitgliedsländern sehr viel ausgelöst. Man kann also nicht von einem Trend sprechen. Was in Österreich passiert, würde ich vielmehr darauf zurückführen, dass die Spitzen der Bundesregierung kein besonderes Gewicht auf Grundlagenfor-schung, Bildung und Wissenschaft legen. Das würde ich einmal unterstellen, ohne je-mandem nahe treten zu wollen. Dem Spar-paket sieht man nun auch keine Priorität für Bildung und Wissenschaft an – ganz im Gegensatz zur Schweiz, zu Deutschland, zu den Niederlanden, zu fast allen Ländern, die auf gleicher oder höherer Entwicklungsstufe stehen.

pen. Insgesamt liegt nach unserer Statistik die Universität Innsbruck, wenn man die Einwerbung von FWF-Projekten in Bezie-hung zu den Universitätsbudgets setzt, hinter der Uni Wien mit der Universität für Bodenkultur an zweiter Stelle in Österreich. Angesichts der sehr strengen und selektiven Auswahlkriterien beim FWF sehr bemer-kenswert.ZUKUNFT: Wie sehen Sie die Situation für die kommende Wissenschaftlergeneration in Österreich?KRATKY: In Innsbruck gibt es auf beiden Unis eine Reihe von START-Preisträgern und -Preisträgerinnen. Darauf können sie stolz sein. Insgesamt aber sind die Chan-cen des Nachwuchses im österreichischen Universitätssystem proportional zu der fi-nanziellen Ausstattung des Systems. Die ist im Moment nicht überragend und das trifft die junge Generation. Ein Rektor mit einem stagnierenden Budget kann nicht pragma-tisierte Professoren und Leute, die unbe-fristete Stellen haben, hinausschmeißen. Sparen kann er nur bei den Jungen, die auf befristeten Stellen oder noch gar nicht da sind. Das ist die große Bedrohung des Sys-tems. Wenn Ministerin Beatrix Karl davon spricht, unter den gegebenen finanziellen Bedingungen Unis zusperren zu müssen – das geht ja gar nicht, das Personal muss man weiter bezahlen. Das ist nicht die Ge-fahr. Die Gefahr ist, dass man junge Leute nicht nachrekrutiert oder verlängert. Der Effekt ist eine Sklerotisierung des Systems, weil mehrere Kohorten von Nachwuchsfor-schern ausfallen. Kurzfristig ist das nicht bedrohlich, im Wissenschaftssystem spürt man es erst, wenn der Schaden schon sehr groß ist. Und diesen kann man dann nicht kurzfristig beseitigen. ah

ZUKUNFT: Ein Widerspruch zum alljähr-lichen Wunsch der Politik, dass Österreich wieder einmal einen Nobelpreisträger stel-len soll.KRATKY: Nobelpreise werden immer für Er-folge in der Grundlagenforschung vergeben, oft sogar für Arbeiten, die vielleicht erst in 20 oder 50 Jahren zu einer Umsetzung kommen – vielleicht auch nie. Das ist ja das Wesen der Grundlagenforschung: Es gibt immer ein Potenzial für Anwendung, man kann aber nicht sagen, wann und in welcher Form. Wenn man in diesem Zusammenhang das Regierungsprogramm liest, steht da, dass Österreich zu einem „Innovation Leader“ werden will, zu den Top drei aufschließen will. Das wird aber nicht in ausreichender Breite verfolgt. Österreich wird sicher nicht auf einen Dritte-Welt-Status abrutschen. Der Anspruch aber, ein führendes Land Europas zu werden, ist mit diesem Engagement nicht einlösbar. Wir haben fantastische Wissen-schaftler und Wissenschaftlerinnen im Land. Es braucht aber nicht nur ein paar Spitzen, diese entstehen aus einer Breite.ZUKUNFT: Wie beurteilen Sie die Grund-lagenforschung an der Universität Inns-bruck?KRATKY: Die ist gut. Ich brauche da keine Namen zu nennen. Auf der Universität Inns-bruck und der Medizinischen Universität gibt es ganz hervorragende Forschergrup-

„ Sparen kann man nur beim Nachwuchs, das ist die große Bedrohung des Wissenschaftssystems.” Christoph Kratky, Präsident des FWF

Page 24: Forschungsmagazin der Universität Innsbruck - 02/2010

zukunft forschung 021024

PATENTE & SPIN-OFFS

ERSTES US-PATENT FÜR INNSBRUCK

Einer Erfindung von Forschern rund um Prof. Günther Bonn vom Institut für Analytische Chemie und Radiochemie wurde vor Kurzem ein US-Patent erteilt. Dies ist die erste in den USA

geschützte Erfindung der Uni Innsbruck.

Im Mai 2006 konnte Prof. Günther Bonn der Universitätsleitung eine neue Erfindung melden, die er gemeinsam mit Dr. Günther

Stecher, Muhammad Ahsan Hashir und Dr. Rania Bakry gemacht hatte. Es geht dabei um die Ent-wicklung speziell behandelter Siliziumdioxidpar-tikel, die ein matrixfreies Arbeiten in der MALDI Massenspektroskopie ermöglichen. Die Oberflä-che der Partikel wird dabei mit Azodianilin modi-fiziert. Bei der MALDI Massenspektroskopie wird die zu analysierende Substanz normalerweise mit einer weiteren, Matrix genannten Substanz gemischt und kristallisiert. Mit Hilfe eines Lasers kann die Substanz dann analysiert werden. Durch die Matrix kommt es aber zu Störsignalen, und es können nur größere Moleküle detektiert werden. Die Erfindung der Innsbrucker Chemiker ermög-licht es nun, Moleküle sowohl mit geringen als auch mit hohen Molekülmassen massenspektros-kopisch zu identifizieren, da die Verwendung ei-ner Matrix vermieden wird.

US-PATENT ERTEILTWeil alle bedeutenden Hersteller für massenspekt-roskopische Analysegeräte in den USA beheimatet sind, hat die Universität Innsbruck beim US-Pa-

tentamt um den Schutz dieser Erfindung ange-sucht. Patentanmeldungen in den USA werden besonders streng geprüft und sind sehr schwer zu erhalten. Trotzdem wurde vor Kurzem der Universität Innsbruck für diese Erfindung das US-Patent mit der Nummer 7675032 erteilt. Der weltweite Markt für Massenspektrometrie ist ein Milliardengeschäft, weshalb die Erfindung erheb-liche wirtschaftliche Bedeutung haben könnte.

Im Universitätsgesetz 2002 wurde als neue Aufgabe der Universitäten die Nutzung und Um-setzung ihrer Forschungsergebnisse in der Praxis verankert. Seither wurden an den Universitäten Österreichs professionelle Erfinderberater- und Technologietransferstellen etabliert, um die For-schungsergebnisse bestmöglich schützen zu kön-nen und sie am Markt zu positionieren. An der Universität Innsbruck unterstützt das Team des projekt.service.büros die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bei der Sicherung und Ver-wertung von geistigem Eigentum. Gelingt der Abschluss eines Verwertungsvertrages, so werden die Erlöse zwischen Erfindern und Universität ent-sprechend den Anteilen aufgeteilt. Die Universität nutzt die gewonnenen Mittel zur Finanzierung neuer Patentanmeldungen. cf

Forschungsvizerektor Tilmann Märk mit den Erfindern Prof.

Günther Bonn, Dr. Rania Bakry und Dr. Günther Stecher sowie

Dr. Cornelia Rhomberg vom projekt.service.büro.

Fotos: Uni Innsbruck (1), istockphoto.com (1)

Page 25: Forschungsmagazin der Universität Innsbruck - 02/2010

zukunft forschung 0210 25

PATENTE & SPIN-OFFS

BETON-INSIDER

Die Betonforschung hat an der Universität Innsbruck be-reits Tradition und erlebte in den 1990er Jahren eine erste Hochphase. Mit der Berufung von Prof. Roman Lackner

auf den Lehrstuhl für Materialtechnologie im Jahr 2008 wurde die-ses äußerst zukunftsweisende Forschungsfeld wiederbelebt: Die Verbesserung und Weiterentwicklung des Baustoffs Beton steht seither wieder im Mittelpunkt zahlreicher hochdotierter Drittel-mittelprojekte. Es kommt also nicht von ungefähr, dass Anfang Oktober das Christian-Doppler-Labor für die Anwendungsorien-tierte Optimierung der Bindemittelzusammensetzung und Beton-herstellung (kurz: CD-Labor für Zement- und Betontechnologie) seine Tore öffnen konnte.

„Wir verfolgen zwei verschiedene Wege. Zum einen arbei-ten wir problemorientiert. Das heißt, wir versuchen bestehende Schwächen des Materials, wie z.B. die mangelnde Hitzebestän-digkeit von Beton unter Brandeinwirkung zu ergründen und die eingesetzten Materialien zu verbessern. Andererseits arbeiten wir zukunftsorientiert und entwickeln neuartige, zementgebundene Baustoffe wie zum Beispiel dauerhafte und energieeffiziente Spezi-albetone“, erläutert der Leiter des CD-Labors, Roman Lackner die Arbeitsgebiete seines Teams. „Durch das Engagement der Firmen Doka und Schretter & Cie als Gründungsmitglieder konnte das CD-Labor realisiert werden. Die beiden Firmen betreiben jeweils eine eigenes Forschungsmodul“, erklärt Lackner.

MIKROSTRUKTUR VERSTEHEN Ein Kernelement der Forschung am neuen CD-Labor ist die soge-nannte Mehrskalenmodellierung: eine computergestützte Heran-gehensweise, mithilfe derer die Mikrostruktur von Beton und die daraus erreichbaren technischen Eigenschaften per Computersimu-

lation erforscht werden können. „Nicht nur die Anforderungen an den Baustoff Beton, sondern auch Umwelteinflüsse und Belastun-gen, die auf den Beton einwirken, werden immer komplexer. Unter diesen Vorzeichen kommt man mit Experimenten alleine einfach nicht mehr zurecht“, schildert Roman Lackner, selbst Experte auf dem Gebiet der Modellierung und Simulation. Bei der Mehrska-lenmodellierung werden die Eigenschaften von Beton mit seiner Mikrostruktur und den Eigenschaften der einzelnen Bestandteile in Verbindung gebracht. „Jede makroskopisch beobachtbare Ver-änderung des Materials kann auf Vorgänge im Mikrokosmos des Betons zurückgeführt werden“, sagt der Forscher. „Da wir das Material zielorientiert verbessern wollen, müssen wir diese Vor-gänge zunächst verstehen. Dann erst können wir die Schrauben identifizieren, die wir drehen müssen, um das Materialverhalten zu optimieren“, verdeutlicht er weiter. Eine Sache, die laut Lackner zwar einfach klingt, aber im Bereich der experimentellen Charak-terisierung und Modellierung eine große und zukunftsweisende Herausforderung darstellt. cf

Am neu eröffneten Christian-Doppler-Labor für Zement- und Betontechnologie wird die Mikrostruktur von Beton erforscht: Der Baustoff

soll langlebiger und besser werden.

DOPPLERS ERBENChristian-Doppler-Labors sind Forschungseinrichtungen an öster-reichischen Hochschulen, die von der öffentlichen Hand sowie von Mitgliedsunternehmen der Christian-Doppler-Forschungsge-sellschaft finanziert werden. Benannt nach dem renommierten österreichischen Wissenschaftler Christian Doppler widmen sie sich der anwendungsorientierten Grundlagenforschung und forcieren die Zusammenarbeit und den Wissenstransfer zwischen Forschenden und heimischen Unternehmen. An der Universität Innsbruck sind insgesamt drei CD-Labors beheimatet.

Page 26: Forschungsmagazin der Universität Innsbruck - 02/2010

zukunft forschung 021026

ARCHITEKTUR

Noch im erbärmlichsten Zustand, stellte die Konstruktion das über-ragende Können seines Erbauers

unter Beweis. Jahrzehntelang waren die vier kleineren Zuführungs- und die zwei 128 Meter hohen, ebenfalls hyperbolischen Starkstrom-Masten dem Verfall preisgegeben gewesen. Fünf von ihnen wurden schließlich abgetra-gen. Nur noch einer der großen Türme ragte in den Himmel. Stolz und kühn wie eh und je. Und das obwohl man 16 der insgesamt 40 Stäbe aus dem untersten Segment entfernt und die Statik damit radikal herausgefordert hatte. Zwei gnadenlose russische Winter lang hielt der 128-Meter-Bau Wind und Wetter stand. Buchstäblich im letzten Moment, knapp vor der endgültigen Zerstörung, konnte dieses einmalige Zeugnis höchster Ingenieurskunst gerettet werden – durch die Intervention eines internationalen Teams aus Fachleuten.

Seit mehreren Jahren widmen sich Bauhisto-riker, Bauforscher und Bauingenieure der Uni-versität Innsbruck (Rainer Graefe), der Tech-nischen Universität München (Rainer Barthel und Manfred Schuller), der ETH Zürich (Uta Hassler) in Kooperation mit der Staatlichen Bauuniversität Moskau und der Staatlichen Universität für Architektur und Bauwesen in Nižnij Novgorod dem faszinierenden Werk des russischen Ingenieurs Vladimir Grigor‘evič Šuchov (1853–1939).

Ihre aufwändigen Vorarbeiten münden nun in ein auf drei Jahre angelegtes Forschungs-projekt, in dem die Šuchovschen Baukon-struktionen, seine Gitterschalen, Hängedächer und Hyperboloidtürme, seine umfangreichen wissenschaftlichen Arbeiten und seine tech-nischen Erfindungen erstmals umfassend in bautechnikgeschichtlicher und ingenieurs-wissenschaftlicher Hinsicht untersucht, do-kumentiert und gewürdigt werden. Das län-

EIN MEISTER AUS RUSSLAND

In einem länderübergreifenden Forschungsprojekt werden die herausragenden Leistungen des russischen Ingenieurs Vladimir Grigor‘evič Šuchov umfassend dokumentiert – und die noch existierenden Konstruktionen hoffentlich gerettet.

Fotos: Rainer Graefe (2), Archiv (1)

Page 27: Forschungsmagazin der Universität Innsbruck - 02/2010

zukunft forschung 0210 27

ARCHITEKTUR

ZUR PERSON

derübergreifende D-A-CH-Projekt (Deutschland, Österreich, Schweiz) wird aus Mitteln der Deut-schen Forschungsgemeinschaft (DFG), des öster-reichischen Wissenschaftsfonds (FWF) und des Schweizerischen Nationalfonds (SNF) finanziert. Endlich dürfte es gelingen, Šuchov, seinen Leicht-bauten und Erfindungen endlich den gebühren-den Platz in der Geschichte der Ingenieurskunst

zu sichern und die wenigen noch existierenden Zeugnisse seines überragenden Könnens vor dem Verfall bzw. der Zerstörung zu retten.

FILIGRANE HERRLICHKEITFür Rainer Graefe ist der eingangs erwähnte Git-terturm der NIGRES-Stromleitung die „vielleicht schönste Turmkonstruktion“ von Šuchov, obwohl sich alle – vom Wasserturm bis zum Leuchtturm – durch Einfachheit, Eleganz und originelle Form-gebung auszeichnen. Der russische Ingenieur hat für seine Türme eine völlig neuartige Konstruk-tion entwickelt. Mit geraden, schräg gestellten Eisenstäben erzeugte er eine räumlich gekrümmte Gitterfläche, einen Hyperboloiden. Für die Stäbe verwendete er Winkeleisen, die an den Kreuzungs-punkten vernietet wurden. Die Aussteifung der Ringe übernahm ein auf der Innenseite befestigter, horizontaler Ring. „Diese hyperbolischen Gitter-türme sind in der Baugeschichte ohne Vorläufer“, erklärt Graefe. Der Clou des Šuchovschen Pa-tents lag nicht nur darin, dass dafür extrem we-nig Stahl gebraucht wurde und die Ausführung

damit sehr kostengünstig war. Durch Änderung der Schrägstellung der Stäbe konnte er darüber hinaus auch unzählige Formvarianten erzeugen. Was der russische Ingenieur auch ausgiebig tat, wie anhand der überlieferten Pläne ersichtlich ist. Ihre Vollendung fand diese Bauweise in den Strommasten, die aus mehreren solchen hyper-boloiden Teilen zusammengefügt wurde, wobei das jeweils nächste „Stockwerk“ im sogenannten „Teleskopverfahren“ im Schaft zusammengebaut und mittels Kränen an das obere Ende des letzten Abschnitts gehoben wurde.

Dass es Rainer Graefe und seinen Kollegen ge-lungen ist, diesen so herausragenden Hochbau zu erhalten, erfüllt den Innsbrucker Wissenschaftler mit großer Freude. Immerhin beschäftigt er sich schon seit vielen Jahren mit dem Schaffen des in seiner Heimat nach wie vor verehrten Ingenieurs. Bereits mit dem 1990 vorgelegten Band „Vladimir G. Šuchov 1853–1939. Die Kunst der sparsamen Konstruktion” haben Graefe und seine Mitstrei-ter den Pionier der Leichtkonstruktion auch in westlichen Fachkreisen bekannt gemacht. Grae-fes Engagement für die Erhaltung der mittlerweile raren Šuchov-Bauten brachte ihm zudem 2003 in Moskau die „Šuchov-Goldmedaille“ sowie 2008 das Ehrendoktorat der Universität für Bauwesen in Nižnij Novogorod ein. Die Forschungen nun sollen Šuchov endgültig den ihm angemessenen Platz in der Baugeschichte sichern.

„Er ist ohne Zweifel in einem Atemzug mit Gustave Eiffel, Pier Luigi Nervi oder Frei Otto zu nennen“, so Graefe. Und in einigen Bereichen übertrifft Šuchov seine berühmten Kollegen so-gar. Nicht nur, wenn es um die Vielseitigkeit im Schaffen geht. Immerhin erfand der begnadete Konstrukteur u.a. das „thermische Cracken“ des Erdöls, ein Verfahren der Erdölverarbeitung und entwickelte einen komplett neuartigen, eisernen Erdöltank. Die von ihm dafür ausgearbeitete Bau-weise wird im Prinzip bis heute verwendet. Zum

Vladimir Grigor‘evic Šuchov, (*1853 Graiwo-ron/Russland), studierte am Polytechnikum in Moskau und arbeitete zunächst als Planer von Lokomotivhallen in Petersburg. 1878 zog er nach Aserbaidschan, wo er u.a. Pipelines, Raffinerie-anlagen, Tankschiffe und Eisenbahnbrücken baute. Er entwickelte – weltweit – völlig neuartige Dachkon-struktionen und Gittertürme in Form von Hyperboloi-den. Der 1939 verstorbene Šuchov gilt bis heute als einer der bedeutendsten Ingenieure Russlands.

Der derzeitige Zustand der von Šuchov geplanten Werkshalle in Vyksa ist katastrophal. Die einmalige Dachkonstruktion wurde vom internationalen Forschungsteam um Rainer

Graefe bereits untersucht und dokumentiert. Ziel ist auch, die noch existierenden technischen

Bauten Šuchovs zu erhalten.

„ Šuchov war einer der größten Bauingenieure der Welt. Er steht in einer Reihe mit Gustave Eiffel, Pier Luigi Nervi oder Frei Otto.“ Rainer Graefe

Page 28: Forschungsmagazin der Universität Innsbruck - 02/2010

zukunft forschung 021028

ARCHITEKTUR

Leichtbaupionier avancierte er durch die völlig neuen Gitterkonstruktionen und seine fulminan-ten Dachbauten, von denen noch einige wenige erhalten sind. So etwa die tonnenförmigen Pas-sagendächer im Kaufhaus „GUM“ in Moskau. In einem extrem desolaten Zustand findet sich wie-derum ein anderes Meisterwerk des russischen Multitalents – der Dachaufbau einer Werkshalle in Vyksa.

Das Dorf liegt in der Nähe von Nižnij Nov-gorod, der viertgrößten Stadt Russlands, wo an der Einmündung der Oka in die Wolga auch der eingangs erwähnte Gitterturm steht. Inten-siv bemüht sich das Forscherteam rund um Rai-ner Graefe, in Zusammenarbeit mit russischen Wissenschaftlern, um die Erhaltung dieser einmaligen Dachkonstruktion, bestehend aus fünf Quertonnen. Es handelt sich dabei um die „ersten doppelt gekrümmten Gitterschalen aus durchweg gleichen Elementen der Baugeschich-te“ wie Graefe betont. Der technisch hochinter-essante Dachaufbau wurde in den letzten Jahr-zehnten der Eindeckung beraubt und befindet sich derzeit am „Rande des Kollapses“, wie der Bauhistoriker unterstreicht. Das Forscherteam hat hier bereits eingehende Voruntersuchungen angestellt. Nach Abschluss der Bestands- und Schadenserhebung, der Dokumentation von Konstruktion, Geometrie und Tragverhalten, erarbeiten sie nun gemeinsam mit dem Eigen-tümer Vyksa Steel Works ein Rettungs- und Nut-

zungskonzept. Das auf drei Jahre angelegte For-schungsprojekt baut zwar auf die mehrjährigen Vorkampagnen der Wissenschaftler auf. Erst-mals wird nun aber die Möglichkeit geschaffen, das gesamte Werk des russischen Ingenieurs systematisch zu erfassen und zu analysieren. Die Erkenntnisse sollen natürlich in Publikationen einem interessierten Publikum zur Verfügung gestellt werden.

Zudem bedeutet eine derart vertiefende Un-tersuchung des Œuvres auch eine noch größere Chance, die Entscheidungsträger in Russland davon zu überzeugen, die noch erhaltenen Bau-werke Šuchovs zu restaurieren und der Nachwelt zu erhalten. Zu den gefährdeten Objekten gehört nämlich auch der spektakuläre Šabolovka-Radio-sender in Moskau. Kurz nach der russischen Re-volution von Lenin in Auftrag gegeben, sollte dieser Radioturm 350 Meter hoch in den Mos-kauer Himmel ragen. 1919 legte Šuchov Entwurf und Berechnungen vor: Obwohl höher als der Eiffelturm, hätte dieser Bau nur rund ein Viertel von dessen Stahlmenge erfordert. Aber selbst die 2200 Tonnen waren damals nicht aufzubringen. Verwirklicht wurde letztlich „nur“ eine Variante mit einer Höhe von 150 Metern. Der Sendeturm ist zwar immer noch im Dienst, müsste aber drin-gend saniert werden. Graefe und seine Mitstreiter wollen nun alles daran setzen, dieses „wirklich herausragende Denkmal moderner Baukonstruk-tion“ zu erhalten. sg

Fotos: Rainer Graefe (2), Andreas Friedle (1)

ZUR PERSONRainer Graefe studierte

Theaterwissenschaft, Philosophie und Germa-nistik in Würzburg und Berlin (1976 Dr. phil.).

Seit 1969 wissenschaftli-cher Mitarbeiter von Frei

Otto am Institut für Leichte Flächentragwerke der

Universität Stuttgart. Seit 1991 Ordinarius für Bau-geschichte an der Univer-sität Innsbruck (Institut für Baukunst, Baugeschichte

und Denkmalpflege), 2005 Gründung und Leitung

des Archivs für Baukunst der Uni Innsbruck. Graefe

emeritierte 2009.

Šuchov hat hyperbolische Wassertürme in verschiedensten Ausführungen geplant, wobei er bei allen Standardisierungsbemühungen stets Form und Proportionen variierte.

Page 29: Forschungsmagazin der Universität Innsbruck - 02/2010

�������������������������

�������������������������������������������������

����������������������������

���������������������

���������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������

�������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������

���������������

������������

�����������������������������������������

����������������������������������

����������������������������������������������������������

������

������������������������������� ����������������

Page 30: Forschungsmagazin der Universität Innsbruck - 02/2010

zukunft forschung 021030

BOTANIK

Fotos: Peter Schönswetter (4), Eva Fessler (1)

VIELFALT ALS ÜBERLEBENSSTRATEGIE

Polyploidie – die Vermehrung der Chromosomensätze – hat für Pflanzen im Alpenraum klare Vorteile. Peter Schönswetter, Professor für Systemische Botanik und

Geobotanik, untersuchte dieses Phänomen am Beispiel des Krainer Greiskrautes.

MORPHOLOGISCHER VERGLEICH

Page 31: Forschungsmagazin der Universität Innsbruck - 02/2010

zukunft forschung 0210 31

BOTANIK

ZUR PERSON

Peter Schönswetter (*1973 in Wien) studierte Biologie (Studienzweig Botanik) an der Universität Wien, wo er 2002 promovierte. Es folgte ein Postdoc-Aufenthalt am National Centre for Biodi-versity an der Universität Oslo. Von 2001 bis 2009 war er als Vertragsassistent am Department für Biogeo-graphie, Fakultätszentrum für Biodiversität der Universität Wien beschäftigt. Seit 2010 ist Peter Schönswetter als Universitätsprofessor für Systematik und Geobotanik an der Universität Innsbruck tätig.

Unter Polyploidie versteht man das Vor-handensein von mehr als zwei Chro-mosomensätzen innerhalb einer Zelle.

„Während bei Tieren dieses Phänomen relativ selten ist, gehen wir mittlerweile davon aus, dass mehr als 99 Prozent aller Blütenpflanzen polyploid sind“, erklärt Prof. Peter Schönswetter. Auch rund 10 Prozent aller Artbildungsprozesse in der Pflan-zenwelt gehen auf die Vermehrung der Chromo-somensätze zurück. Der evolutionäre Vorteil der Polyploidie liegt dabei auf der Hand: „Die Kombi-nation der Eigenschaften zweier unterschiedlicher Elternarten im Genom macht einen Organismus sehr anpassungsfähig“, erläutert Schönswetter. „Polyploidie führt außerdem praktisch immer dazu, dass die Zellen und somit der ganze Orga-nismus größer ist – bei Kulturpflanzen wie zum Beispiel Mais oder Weizen ist dies natürlich wün-schenswert“, so Schönswetter. Das Phänomen der Polyploidie lässt sich allerdings nicht nur bei Kulturpflanzen beobachten. „Wildwachsende po-lyploide Pflanzen kommen vor allem an Standor-ten mit fluktuierenden Umweltbedingungen, wie zum Beispiel in Berggebieten vor. Bei Alpenpflan-zen ist Polyploidie auch ein sehr wichtiger Modus der Artbildung“, weiß der Botaniker.

VERWANDTSCHAFTEine bisher kaum erforschte Verwandtschaftsgrup-pe, mit der sich Peter Schönswetter in den vergan-genen Jahren sehr intensiv beschäftigt hat, ist das Krainer Greiskraut. Auch wenn sich Individuen morphologisch zum Teil stark unterscheiden – es gibt größere und kleinere, stärker und weniger stark behaarte – ging man bisher davon aus, dass diese Art einheitlich hexaploid ist – also über sechs Chromosomensätze verfügt. „Die Untersuchun-gen, die ich mit meinem Team an der Universität Wien durchgeführt habe, zeigten aber, dass diese Art neben hexaploiden auch diploide Individuen mit zwei Chromosomensätzen und tetraploide In-dividuen mit vier Chromosomensätzen umfasst“, erklärt Schönswetter. Die Methode, die den Bio-logen diese Erkenntnis ermöglichte, nennt sich Durchflusszytometrie. Anhand dieser Messme-thode kann die Menge der Erbsubstanz (DNA) im Zellkern bestimmt werden, ohne die Chromoso-men einzeln zählen zu müssen. Ein weiterer Vor-teil der Durchflusszytometrie ist die Tatsache, dass auch getrocknete Pflanzen analysiert werden kön-nen. „Dabei wird die Pflanze getrocknet und fein

zerhackt, damit die Zellwände zerstört werden. Dann wird der vorher angefärbte Zellkern mittels eines Laserstrahls angeregt und anhand der Stärke des Lichtstrahls, der vom Zellkern emittiert wird, können wir die DNA-Menge im Zellkern berech-nen“, beschreibt der Botaniker.

Ein weiteres interessantes Ergebnis von Schöns-wetters Untersuchungen betrifft die Standorte der verschiedenen Ploidiestufen: „Durch die mosaikartig strukturierte Landschaft in Bergre-gionen wachsen di- und hexaploide Individuen zwar relativ nah nebeneinander, ökologisch sind ihre Standorte dennoch unterschiedlich“, verdeut-licht Schönswetter. Die kleinwüchsigen, diploiden Vertreter des Krainer Greiskrauts sind die konkur-renzschwächsten – sie sind eher an wenig besie-delten, windexponierten Kuppen positioniert. Die höherwüchsigen, hexaploiden Individuen sind hingegen oft nur einen halben Meter entfernt in einer windgeschützten Mulde zu finden. Da die-se Distanz für Bestäuber leicht zu überwinden ist, müssten an diesen Standorten durch die Kreuzung zwischen den zwei Ploidiestufen auch tetraploide Individuen vorhanden sein. Die genauen Untersu-chungen zeigten aber, dass es diese intermediären Individuen nicht gibt. „Wir fanden heraus, dass es starke Kreuzungsbarrieren zwischen den di-ploiden und hexaploiden Individuen des Krainer Greiskrautes gibt, weshalb sie auch als verschie-dene Arten anzusehen sind.“ Zwischen den tetra-ploiden und hexaploiden Individuen gibt es diese Barriere zwar nicht, ihre Standorte sind allerdings so deutlich getrennt, dass es praktisch keine Kreu-zungen mit fünf Chromosomensätzen gibt.

NACHEISZEITLICHE VERBREITUNGNachdem der Botaniker auch die Verbreitung der einzelnen Ploidiestufen im Alpengebiet analysier-te, kann er eine Verbindung zu nacheiszeitlichen Entwicklungen herstellen. „Während in Gebieten, die früher extrem stark vergletschert waren, heute fast nur hexaploide Individuen des Krainer Greis-krautes zu finden sind, kommen die tetraploiden Individuen in diesen Gebieten überhaupt nicht vor“, so Schönswetter. Nachdem er die Untersu-chung des Krainer Greiskrautes abgeschlossen hat, wird sich der Botaniker in einem gerade begonne-nen EU-Projekt gemeinsam mit den Universitäten in Belgrad und Zagreb den bisher nur wenig er-forschten Gebirgspflanzen auf der Balkan-Halb-insel widmen. sr

Die Bilder zeigen die morphologischen Unterschiede zwischen den östlichen und den westlichen diploiden Zy-totypen sowie den tetraploiden und den hexaploiden Zytotypen des Krainer Greiskrautes (v.li.o. nach re.u.).

Page 32: Forschungsmagazin der Universität Innsbruck - 02/2010

zukunft forschung 021032

SPRACHUNTERRICHT

Mehrsprachigkeit steht im Zentrum des Interesses der Anglistin Ulrike Jessner-Schmid. Mit einem Forschungsteam untersucht sie die Bedeutung

des metalinguistischen Bewusstseins sowie neue Lehrmethoden für den Sprachunterricht.

Bereits vor acht Jahren veröffentlichte Ao.Univ.-Prof. Dr. Ulrike Jessner-Schmid vom Institut für Anglistik

der Universität Innsbruck gemeinsam mit ihrem Kollegen Ass.-Prof. Dr. Philip Her-dina ein dynamisches Modell der Mehr-sprachigkeit. „Frühere Denkansätze in der Sprachwissenschaft waren monolingual ge-prägt. Um sich der Komplexität des Themas Mehrsprachigkeit besser nähern zu können, haben wir durch Anwendung der dynami-schen Systemtheorie eine Art Denkmetapher entwickelt, die hilft, anders zu denken“, be-schreibt Ulrike Jessner-Schmid. Das Modell, das in der Forschung mittlerweile sehr häu-fig Anwendung findet, besagt beispielswei-se, dass Spracherwerbsprozesse nicht linear gesehen werden dürfen. „Beim Erlernen einer Sprache entwickelt sich ein sogenann-tes metalinguistisches Bewusstsein: Durch die neue Sprache sehe ich die Sprachen, die ich beherrsche anders und auch der Blick auf die Sprache, die gerade erlernt wird, verändert sich durch die Sprachen, die ich bereits beherrsche“, erläutert die Anglistin. In Bezug auf den Unterricht plädiert Jessner-Schmid deshalb für einen mehrsprachigen Ansatz. „Früher wurde oft behauptet, es sei schlecht, Sprachen zu mischen. Ich bin dagegen der Meinung, dass der Brücken-schlag zu anderen Sprachen im Unterricht gefördert werden muss“, verdeutlicht Ulrike Jessner-Schmid. Nur so könne das metalin-

guistische Bewusstsein im Spracherwerbs-prozess gefördert werden.

MEHRSPRACHIGKEIT FÖRDERNGemeinsam mit einer Gruppe von engagier-ten DiplomandInnen und DissertantInnen gründete Ulrike Jessner-Schmied die For-schungsgruppe Dynamics of Multilinguism with English (DYME), die sich unter ande-rem auch im Rahmen von Integrationspro-jekten mit Mehrsprachigkeit auseinander-setzt. „Wenn wir davon sprechen, die Elite der Mehrsprachigen zu fördern, müssen wir immer auch für mitgebrachte Mehrsprachig-keit offen sein“, so die Anglistin, die betont, dass wissenschaftliche Studien kognitive Vorteile durch Mehrsprachigkeit belegen.

Ein weiterer Aspekt der Mehrsprachig-keitsforschung, mit dem sich Jessner-Schmid in nächster Zeit intensiver ausei-nandersetzen will, ist die Frage, was pas-siert, wenn eine Sprache eine längere Zeit nicht verwendet wird. „Meine These dazu ist, dass sich die metalinguistischen Fähig-keiten, die sich beim Erwerb der Sprache gebildet haben, halten und einem Verlust der Sprache entgegenwirken. Ein Grund mehr, den Erwerb dieser Fähigkeiten im Sprachunterricht zu fördern“, erklärt Ul-rike Jessner-Schmid, die diese These nun wissenschaftlich belegen möchte. sr

HELLO, BONJOUR, MERHABA!

Foto: Florian Lechner

Mehr Infos: www.uibk.ac.at/anglistik/staff/jessner/

Page 33: Forschungsmagazin der Universität Innsbruck - 02/2010

zukunft forschung 0210 33

KURZMELDUNGEN

MINERALOGIEJunge Forschende liefern neue Daten zu zwei

kristallinen Verbindungen.

In der Arbeitsgruppe für Angewandte Mi-neralogie und Kris-

tallographie haben Stu-dierende in ihren Bachelor-arbeiten Ergebnisse erzielt, die in wissenschaftliche Publikationen eingeflos-sen sind. Daniela Girtler hat sich mit der Züch-tung von Devitritkristal-len beschäftigt und diese hinsichtlich ihres Tempe-raturverhaltens, ihres in-neren Aufbaus und ihres Schwingungsspektrums charakterisiert. Devitrit, ein Natrium-Calcium-Sili-kat, ist eine unerwünschte kristalline Verunreinigung, die bei der Glasherstellung auftreten kann. Industriel-le Massengläser, wie sie unter anderem als Hohl-gläser im Haushalt oder als Fensterglas in der Bau-branche eingesetzt wer-den, beruhen chemisch ge-sehen im Wesentlichen auf drei Grundkomponenten: Natriumoxid, Calciumo-xid und Siliziumoxid. Für die Glasherstellung wer-den diese Komponenten bei Temperaturen von et-wa 1600 °C geschmolzen.

Nach der Formgebung im schmelzflüssigen Zustand erstarrt das Produkt zum gewünschten glasigen Festkörper. Mit Hilfe der in dieser Arbeit bestimm-ten Daten können die dabei eventuell auftreten-den kristallinen Verunrei-nigungen nun schneller identifiziert werden.

Thomas Langreiter ge-lang es erstmals, Kristalle der Verbindung Na6Si2O7 in einer Qualität zu syn-thetisieren, die eine wei-tergehende Beschreibung ihrer Eigenschaften er-möglichte. Die Einsatz-gebiete kristalliner Natri-umsilikate umfassen zum

Beispiel die Herstellung von feuerfesten Zemen-ten oder Bindemitteln sowie die Verwendung als Ionentauscher in Waschmitteln. Obwohl den Natriumsilikaten al-so durchaus eine enorme technische Bedeutung zukommt, ist die genaue Zahl der existierenden Verbindungen auch nach mehr als 80-jähriger For-schung noch immer nicht abschließend geklärt. Langreiter lieferte nun ei-ne abschließende Antwort auf die seit dem Jahr 1930 offene Frage nach der Existenz dieser spezifi-schen Verbindung.

LAUNISCH WIE DER WIND?

Natürliche Energiequellen sind wankelmü-tig. Ist bei Wasserkraft das Problem noch

überschaubar, so können bei Solar- und Wind-energie Änderungen der Wetterbedingungen die Stromproduktion stark beeinflussen. Wirklich problematisch wird dieser Umstand mit dem stetig wachsenden Anteil des „Öko-Stroms“ am Gesamtstromverbrauch. Denn Energielieferanten müssen ihre uneingeschränkte Lieferung trotz die-ser Unsicherheit garantieren können und brauchen daher präzise Vorhersagemethoden. Ein Team der Uni Innsbruck hat nun begonnen, solche Metho-den für die Stromproduktion von Windparks in Österreich zu finden. Im Mittelpunkt des vom Wis-senschaftsfonds FWF unterstützten Projekts stehen Vorhersagen für Zeiträume von sechs Stunden bis zehn Tagen. Neben der Zuverlässigkeit der Vor-hersagemethoden werden auch deren räumliche und zeitliche Auflösungen analysiert. Zusätzlich wird verglichen, inwieweit diese Methoden die Wahrscheinlichkeiten des Eintreffens der Vorher-sage mit einberechnen können. „Vereinfacht gesagt testen wir alle Methoden darauf, wie gut sie zwei Datenkomplexe miteinander in Verbindung setzen. Zum einen Daten, die zu Wettervorhersagen die-nen. Zum anderen Daten mehrerer Windparks in Österreich, die Auskunft über den realen Umfang der Stromproduktion bei verschiedenen Windver-hältnissen liefern“, erläutert Prof. Georg Mayr vom Institut für Meteorologie und Geophysik.

Die Universität Innsbruck liegt im internationalen Hochschulranking der Fachzeitschrift Times Higher Educa-tion unter den weltweit 200 besten Universitäten. Erstmals wird Innsbruck dabei als beste österreichische Universität bewertet. Trotz dieses Erfolgs zeigt das Ranking auch die Probleme der österreichischen Hoch-schulen auf. „Die Universität Innsbruck ist in Österreich top und wird auch international wahrgenommen. Verantwortlich dafür ist natürlich die gute Arbeit unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Lehre und Forschung, die unter nicht immer ganz einfachen Rahmenbedingungen eine international konkurrenzfähi-ge Arbeit leisten“, sagt Rektor Karlheinz Töchterle. „Ob wir diese gute Platzierung halten oder auch noch ausbauen können, wird deshalb davon abhängen, ob die gesetzlichen und finanziellen Rahmenbedingun-gen für die österreichischen Universitäten in den nächsten Jahren nachhaltig verbessert werden.“

UNI-RANKING: INNSBRUCK VORAN

Fotos: Georg Mayr/www.freephotobank.org (1), Uni Innsbruck (1), Compagnie de Saint-Gobain (1)

Page 34: Forschungsmagazin der Universität Innsbruck - 02/2010

zukunft forschung 021034

ARCHÄOLOGIE

WESTSIZILISCHES NETZWERK

Soziale Kontakte und Networking spielten schon in der frühen Eisenzeit eine große Rolle. Das weiß Prof. Erich Kistler vom Institut für Klassische und Provinzialrömische Archäologie. Dem Leben indigener Bewohner ist

Kistler gemeinsam mit seinem Team auf dem Monte Iato im westsizilischen Binnenland auf der Spur.

Fotos: Zürcher Ietas-Grabung (2), Eva Fessler (1)

Page 35: Forschungsmagazin der Universität Innsbruck - 02/2010

zukunft forschung 0210 35

ARCHÄOLOGIE

Am Monte Iato im Westen Siziliens fanden in den 1970er-Jahren Forscherinnen und Forscher der Universität Zü-rich eine verlassene Stadt hellenistischer Zeit, die bis

dahin nur durch literarische Überlieferungen und entsprechende Münzfunde mit der Inschrift „Iaitas“ bekannt war. Bereits im 7. Jh. v. Chr. gab es ein Dorf mit Weilern, deren führende Familien mit Phöniziern und Griechen gastfreundschaftliche Kontakte pflegten, Prestigegüter austauschten und gegen Wein und Olivenöl saiso-nale Arbeitskräfte in die griechischen Kolonien lieferten. Um die Mitte des 6. Jh. v. Chr. führte diese Vernetzung und Tauschöko-nomie der einheimischen Oberhäupter mit Gastfreunden in den griechischen Kolonien Selinunt und Himera zur Herausbildung einer Führungsschicht auf dem Monte Iato. Diese, ausgestattet mit der Expertenmacht und Technologie ihrer griechischen Gast-freunde, eignete sich die damals mondäne Lebenskultur der Grie-chen an, um sich so von den übrigen Dorfbewohnern sozial und kulturell abzuheben. Doch erst um 300 v. Chr. wurde schließlich die einst in der indigenen Tradition errichtete Höhensiedlung auf dem Monte Iato nach dem Muster einer griechischen Stadt in eine Gesamtanlage mit Plätzen, Straßen, einem Theater und Pracht-bauten als Wohnsitze reicher Familien umgebaut. Ab diesem Zeit-punkt beginnt auch die lokale Münzprägung, welche den Namen dieser Stadt überliefert. Eine besondere Rolle spielte „Iaitas“ wie-der im 13. Jh. n. Chr., als die Stadt in einer zweiten Blütephase zum eigentlichen Zentrum des muslimischen Widerstandes gegen Kaiser Friedrich II. avancierte. Ihr Kampf war jedoch erfolglos, die Stadt wurde 1246 in Schutt und Asche gelegt, ihre Bewohner verschleppt. Seither blieb der Monte Iato unbesiedelt und diente bald nur noch als Weidefläche für Vieh.

Während sich die Forschungsaktivitäten der Uni Zürich jahr-zehntelang vornehmlich auf die Überreste der griechisch-hellenis-tischen Stadt (300 v. Chr. bis 50 n. Chr.) konzentrierten, wollen nun Prof. Erich Kistler und sein Team der Uni Innsbruck das Alltagsle-ben der indigenen Bevölkerung auf dem Monte Iato während der kolonialen Kontaktzeit des 7. bis 5. Jhs. v. Chr. genauer erforschen. Ihr Ziel ist es, mittels eines religionshistorischen Forschungsansat-zes mehr über Religion, Machtbildung und Elitekultur im Span-nungsfeld zwischen einheimischen Traditionen und griechischer Kulturbeeinflussung herauszufinden. So untersucht das Team die Ruinen eines ehemaligen Festhauses, das zugleich Residenz einer führenden Familie war, sowie die Grundrisse von Hütten und eine alte Kultstätte, die vermutlich in der Hellenistischen Zeit wiederbelebt wurde und – wie eine Scherbe mit Votivinschrift vermuten lässt – „Der Aphrodite“ geweiht war.

ZUR PERSON

ARCHITEKTUR DES LEBENSDie Siedlungsreste aus dem 8. bis frühen 6. Jh. v. Chr., welche das Innsbrucker Forscherteam vorfand, belegen für die indigene Bevöl-kerung ein Zusammenleben in mehrgliedrigen Familienverbänden, welche jeweils in mehreren Hütten verstreut das Bergplateau des Monte Iato besiedelten. Man weiß, dass die Rundhütten wegen ih-rer zentralen Lage als innerfamiliäre Begegnungszentren galten, in welchen auch, unter Anleitung des Familienoberhauptes, Riten zur Ahnenehrung vollzogen wurden. Ritzverziertes Festgeschirr, wie es zur Symbolisierung der Anwesenheit der Ahnen typisch war, wurde beispielsweise von Kistlers Team gefunden. Spätestens am Ende des 6. Jhs. v. Chr. aber änderte sich dieser Brauch. Vermutlich wurden diese Riten vom Haus nach draußen verlagert, um mit allen Siedlungsmitgliedern gemeinsam der Ahnen zu gedenken. Dies belegt ein Altar aus Kalksteinblöcken, auf dem die Tiere nun siedlungsgemeinschaftlich geopfert, zerlegt und verspeist wurden. Die Umverteilung von Fleisch, das damals eine kulinarische Exklu-sivität darstellte, war damit von einer privaten zu einer öffentlichen Angelegenheit geworden. Dies muss wiederum mit der Bildung einer lokalen Elite zusammenhängen.

Ab dem mittleren 6. Jh. v. Chr. haben sich vermutlich auch Wohnform und soziale Organisation völlig verändert, wie Reste von Mauerzügen, Fußböden und Gehniveaus beweisen. Aus den

Erich Kistler studierte von 1989-1996 Klassische Archäologie, Alte Geschichte und Philosophie in Zürich. 2004 habilitierte er sich. 2004-2008 war er Hochschuldozent an den Universi-täten Zürich und Bern. Ab 2008 lehrte er an der Ruhr-Univer-sität Bochum. 2010 wechselte Erich Kistler an die Universität Innsbruck.

Der im Nordwesten Siziliens gelegene Monte Iato ist etwa 30 Kilometer von Palermo entfernt und nahe den Orten San Cipirello und San Giuseppe Iato. Der kahle Berg ist 852 Meter hoch, drei Seiten sind stark abfallende Felshänge. Er ist lediglich an der Ostseite über einen Hang zugänglich. Aufgrund der strategisch günstigen Lage war das Hochplateau des Monte Iato in der Antike und im Mittelalter Standort einer gut befestigten Stadt, die, wie Münzfunde belegen, griechisch „Iaitas“ hieß. Im 13. Jh. n. Chr. wurde die Stadt von Kaiser Friedrich II. zerstört. So diente jahrhundertelang das Hochplateau als Weidefläche für Vieh.

MONTE IATO

Page 36: Forschungsmagazin der Universität Innsbruck - 02/2010

zukunft forschung 021036

ARCHÄOLOGIE

Monte Iato-Aphroditetempel mit Altar, um 540 v. Chr./3. Jh. v. Chr. (ob.); Antefix mit Darstellung einer Theatermaske vom Dach des Bühnenhauses des Theaters, 3. Jh. v. Chr. (Mitte); Einheimi-sches Hütten- oder Kultbaumodell aus Keramik mit Stierskulptur, aus einem spätarchaischen Wohn-haus, um 500 v. Chr. (li.).

FUNDSTÜCKE

„ Supermärkte, wie wir sie kennen, gab es natürlich nicht; die Agrarwirtschaft am kargen Monte Iato war nur beschränkt möglich.“ Erich Kistler, Archäologe

großfamiliaren runden Hüttenkomplexen wurden dicht aneinander gebaute rechteckige Häuser, in denen Kleinfamilien lebten – Arm und Reich wohnten bunt durchmischt.

Im kultischen Zentrum des damaligen Lebens befand sich ein Sakralbau nach griechischem Vorbild, der um 550 v. Chr. errich-tet wurde und als „Heiliges Haus“ dem Festbetrieb zu Ehren der lokalen Schutzgottheit diente. „Ob jenes bereits zu dieser Zeit der griechischen Göttin Aphrodite geweiht war, ist ungewiss, jedoch muss dort eine übernatürliche Macht, die über den Ahnen der ein-zelnen Familien stand, verehrt worden sein, unter deren Schutz

sich deshalb die gesamte Siedlungsgemeinschaft stellen konnte“, erklärt Erich Kistler. Im Inneren des Tempels wurden Depots von selektiven Auslesen von Opfermahlzeiten vorgefunden, welche darauf schließen lassen, dass der Sakralbau als elitäres Fest- und Versammlungshaus fungierte. Auch in eigenen Gebäuden, soge-nannten Banketthäusern und auf davor liegenden Wiesen wurden Feierlichkeiten ausgetragen. Über das Bankett pflegte man sozia-le Kontakte, Gastfreundschaften und damit das soziale Netzwerk nach außen und innen. In den repräsentativ hergerichteten Ban-kettsälen des Festhauses wurden exquisite Speisen und gute Weine aus den griechischen Küstenstädten genossen. Das einfache Volk musste hingegen mit einem freien Platz zwischen dem elitären Banketthaus und dem „Heiligen Haus“ vorlieb nehmen. Draußen auf dem Festplatz war das Mahl weniger exklusiv, man trank ein-heimisches Gebräu und musste sich mit weniger qualitätvollem Geschirr zufrieden geben. Im Bereich der vorgelagerten Festwiese fand man schlechtgebrannte und wenig verzierte Scherben vor. Wie das Team um Erich Kistler vermutet, wurden die Feierlichkeiten von den führenden Familien als politisches Instrument benutzt, um Heiratsallianzen mit wichtigen Fernpartnern zu schmieden sowie soziale Abhängigkeiten im Ort zu schaffen.

BANKETTE ZUM MACHTERHALTDiesen Festen ging ein unglaubliches logistisches Unterfangen vo-raus. „Supermärkte, wie wir sie kennen, gab es natürlich nicht; die Agrarwirtschaft am kargen Monte Iato war nur beschränkt mög-lich“, beschreibt Kistler die Verhältnisse. „Monte Iatos Elite muss-te also soziale Abhängigkeiten schaffen, um für die ausgiebigen Festmahle die entsprechenden Gerichte bieten zu können. Es galt Vieh zu züchten und Frauen zu finden, die all die Lebensmittel verarbeiteten und herstellten. Dazu brauchte es führende Kräfte vor Ort. Doch das am Monte Iato produzierte Getreide und Fleisch reichte nicht aus, um in spätarchaischer Zeit Feste zu feiern. Der äu-ßerst beliebte Wein und die Oliven mussten aus dem benachbarten Gebiet der griechischen Kolonien importiert werden. Dies war nur durch gastfreundschaftliche Beziehungen führender Personen zu kolonialen Kontaktpartnern möglich.“

Um das gesellschaftliche Leben der indigenen Bevölkerung Westsiziliens noch genauer beleuchten zu können, arbeitet das Forschungsteam interdisziplinär. Kistler weiß das Wissen aus anderen Fachrichtungen, wie der Soziologie, Anthropologie und Ethnologie zu bündeln und setzt dieses gezielt ein. Mithilfe des „religiösen Fingerprints“ versucht er die Kultur der indigenen Be-völkerung des Monte Iato in Abgrenzung zur Kultur der Phönizier und Griechen des Monte Iato zu erforschen. Sein Forschungspro-jekt wird vom Wissenschaftsfonds FWF gefördert. Die Ergebnisse sollen 2012 auf einem internationalen Kongress im Vergleich mit anderen Fallbeispielen debattiert und 2013 als Buch veröffentlicht werden. Derzeit arbeiten neun lokale Arbeitskräfte aus dem Dorf San Cipirello sowie Innsbrucker Studierende gemeinsam mit Kist-ler an diesem Projekt. ds

Fotos: Zürcher Ietas-Grabung (3)

Page 37: Forschungsmagazin der Universität Innsbruck - 02/2010

zukunft forschung 0210 37

ÖKOLOGIE

KÜHLENDE WÄLDERHitzewellen haben erhebliche Auswirkungen auf Mensch und Ökosystem. Wie stark

diese sind, hängt unter anderem von der Art der lokalen Bodenbedeckung ab.

Zu Beginn einer Hitzewelle werden über Grasland niedrigere Temperaturen gemessen als über Waldgebieten. „Dauert ei-ne trockene, heiße Periode länger, so kehrt sich die Situation

um. Oberhalb von Wäldern ist es dann kühler als über dem Gras-land – zum Höhepunkt der Hitzewelle im Jahr 2003 betrug dieser Unterschied in manchen Regionen im Mittel bis zu 3,5 °C“, erläutert Georg Wohlfahrt vom Institut für Ökologie das Ergebnis einer euro-paweiten Untersuchung, die im September in der Zeitschrift Nature Geoscience veröffentlicht wurde. Grund für dieses bemerkenswerte Phänomen ist die unterschiedliche Verdunstung, d.h. der Fluss von Wasserdampf durch die Spaltöffnungen der Pflanzen zur Atmosphä-re hin: „Vor allem krautige Pflanzen weisen häufig höhere Verduns-tungsraten als Bäume auf – weil für die Verdunstung von Wasser Energie aufgewendet werden muss, hat dies einen kühlenden Effekt und dämpft dadurch die Erwärmung“, verdeutlicht der Leiter der Arbeitsgruppe Biometeorologie.

LABORVERSUCHE UND FREILANDMESSUNGENWenn die Temperaturen über längere Zeit sehr hoch sind, ver-dunsten über dem Grasland große Mengen an Wasser. Werden die Vorräte an Bodenwasser schließlich knapp, schützen sich die Pflanzen, indem sie die Weite der Spaltöffnungen verringern und so die Verdunstung reduzieren. Da nun ein wichtiger Kühlmecha-nismus fehlt, kommt es zu einem Anstieg der Temperaturen des Ökosystems und der darüber liegenden Luftschichten. Wälder hin-gegen haben laut Wohlfahrt einen konservativen Wasserhaushalt, sie verdunsten langsamer, sind tiefer im Boden verwurzelt und haben daher auch nach längeren Hitzeperioden noch Zugang zu Wasserressourcen. Im Verlauf einer Hitzewelle tragen Wälder so stetig zur Kühlung bei und sind in dieser Hinsicht in längeren Hit-zeperioden dem Grasland überlegen. Zu diesen Ergebnissen kamen

die Forscher anhand von Messungen an mehreren Standorten in Europa, an denen Grasland und Wald nebeneinander liegen. „Die Geräte an den Messtürmen liefern an 365 Tagen im Jahr 10- bis 20-mal pro Sekunde Daten zur Verdunstung, die in eine europäische Datenbank eingespielt werden. In dieser Studie wurden diese in Kombination mit Satellitenbildern der Landoberflächentemperatur ausgewertet“, erzählt Georg Wohlfahrt. Die Messdaten, mit denen er arbeitet, stammen von einer Messstation, die sich auf einer Wiese im Stubaital befindet. „Was uns besonders interessiert hat, war die Frage: Was passiert auf dieser Wiese in einer längeren Phase der Trockenheit“, so der Wissenschaftler. „Wir haben festgestellt, dass, seit wir unsere Messungen im Jahr 2001 begonnen haben, für die Vegetation durch Trockenheit keine Nachteile entstanden sind. In Laborversuchen konnten wir jedoch zeigen, dass noch längere und noch heißere Temperaturen nachhaltige Schäden anrichten können.“ Eine Erkenntnis, die laut Wohlfahrt in Hinblick auf die klimatischen Zukunftsaussichten von Bedeutung ist. Denn diese prognostizieren sowohl einen Anstieg der durchschnittlichen Sommertemperaturen für Zentral- und Westeuropa als auch eine zunehmende Häufigkeit an sommerlichen Trockenperioden. ef

Georg Wohlfahrt, geboren 1970 in Innsbruck, studierte Biologie an der Universität Innsbruck und habilitierte sich 2004 im Fachbereich Ökologie. Er leitet die Forschungsgruppe Biometeorologie am Insti-tut für Ökologie. Die Messung und Modellierung des Austausches von Spurengasen und Energie zwischen terrestrischen Ökosystemen und der Atmosphäre stehen im Mittelpunkt seiner Forschungsinteressen.

ZUR PERSON

Fotos: Oliver Mohr/pixelio.de (1), Georg Wohlfahrt (1)

Page 38: Forschungsmagazin der Universität Innsbruck - 02/2010

zukunft forschung 021038

RECHTSWISSENSCHAFT

ZUKUNFT: In Obergurgl fand die erste Tagung der Österreichischen Assistentinnen und Assis-tenten Öffentliches Recht, unter anderen von Ihnen organisiert, statt. Wie kam es zu dem Ta-gungsthema „Auf dem Weg zum hypermodernen Rechtsstaat“?SEBASTIAN SCHMID: Zum einen ist es darum gegangen, einen etwas provokanten Titel zu fin-den. Die Hypermoderne ist nach der Moderne und der Postmoderne ein recht neuer Begriff und definiert die letzte gesellschaftliche Entwicklung, der gegenüber das klassische Modell des Rechts-staats steht. Das ergibt ein interessantes Span-nungsverhältnis und wirft die Frage auf, wie die „alte“ Rechtsordnung auf die aktuellen, schnellen und vor allem technischen Entwicklungen rea-giert. Zum anderen ist dies sicher ein Themenbe-

reich, bei dem sich gerade junge Wissenschaftler etablieren können.ZUKUNFT: Wenn man in geradezu philosophi-scher Weise von einem hypermodernen Rechts-staat spricht, kommt man wohl nicht umhin, in-terdisziplinär zu denken?VERONIKA TIEFENTHALER: Natürlich bietet sich das Thema für eine interdisziplinäre Betrachtung an. Wir haben uns aber bei der Tagung auf die rechtliche Perspektive beschränkt – was auch klar bei den Referaten zum Ausdruck kam. Allerdings war der Tagungstitel sehr offen formuliert – und ließ viele Themen zu, damit aus verschiedensten Bereichen des öffentlichen Rechts unterschied-lichste Inhalte diskutiert werden konnten.

GEDANKEN ZUR RECHTSZUKUNFT

Technische und gesellschaftliche Entwicklungen beeinflussen immer mehr die Rechtsordnung. Wo liegen Möglichkeiten und Grenzen der rechtsstaatlichen Ordnung unter derart gewandelten Verhältnissen?

Das gesamte Interview finden Sie auf www.uibk.ac.at/forschung/magazin/5/

Fotos: David Bullock (3)

Zum ersten Mal in Öster-reich fand im Universitäts-

zentrum Obergurgl die „Tagung der Österreichi-schen Assistentinnen und Assistenten Öffentliches

Recht“, organisiert von den Mitarbeitern des Innsbrucker

Instituts für Öffentliches Recht, Sebastian Schmid,

Veronika Tiefenthaler, Klaus Wallnöfer und Andreas

Wimmer, zum Thema „Auf dem Weg zum hypermoder-

nen Rechtsstaat?“ statt.

INFO

Page 39: Forschungsmagazin der Universität Innsbruck - 02/2010

zukunft forschung 0210 39

RECHTSWISSENSCHAFT

Nach Studienaufenthalten in England (LSE, Cambridge) absolvierte die gebürtige Feldkircherin Veronika Tiefenthaler neben dem Doktoratsstudium der Rechts-wissenschaften ebenfalls das Studium der Politikwis-senschaften in Innsbruck. Seit 2008 ist die 25-Jährige Assistentin am Institut für Öffentliches Recht.

ZUR PERSON

ZUKUNFT: Wenn man eine so breit angelegte Thematik behandelt, kommt man dabei zu ir-gendeinem Ergebnis – oder war das gar nicht das Ziel?TIEFENTHALER: Sinn und Zweck dieser Tagung war vor allem ein wissenschaftlicher Gedanken-austausch, der zu Diskussionen anregen sollte. Aus diesem Grund war es auch nicht das vor-rangige Ziel, auf ein bestimmtes abschließendes Ergebnis zu kommen. Auch war die Tagung nicht auf ein enges Thema beschränkt, wie die Inhalte der drei Panels zeigen: „Informelles Verwaltungs-handeln im Lichte zunehmender Medialisie-rung“, „Veränderung versus Stetigkeit – aktuelle Entwicklungen aus verfassungsrechtlicher Sicht“ und „Die (relative) Geschlossenheit des Rechts-quellensystems unter dem Druck europarechtli-cher Vorgaben“.SCHMID: Es war nicht unser Ziel, dass wir eine These als zusammenfassendes Ergebnis formu-lieren – und das hat in diesem Sinne auch nicht stattgefunden. Die Tagung sollte jungen Wis-senschaftlern die Möglichkeit bieten, ihre For-schungsergebnisse zu präsentieren und dadurch einen Beitrag zur wissenschaftlichen Aufarbei-tung aktueller Rechtsfragen zu leisten. ZUKUNFT: Eine technische Entwicklung hat es schon immer gegeben und der Rechtsstaat hat sich dementsprechend immer angepasst. Die Ent-wicklung ging in den letzten Jahren aber immer schneller voran. Ist das nun eine besondere Her-ausforderung für den Rechtsstaat oder kann man das so sehen, dass sich ein Rechtssystem bedingt durch seine Erfahrung sowieso anpasst?TIEFENTHALER: Das kann man nicht so einfach beantworten. Dinge wie E-Voting, Datenspei-cherung, Datenschutz, diverse Technikklauseln, E-Government, die Frage des Grundrechtsver-zichts sind alles Punkte, die unter anderem eine Konsequenz der technischen Entwicklung sind. Die Rechtsordnung bleibt von einer solchen Tech-nisierung und Digitalisierung nicht verschont. Sie muss sich im Einzelfall anpassen und ist dadurch auch vor Herausforderungen gestellt.SCHMID: Die Stammfassung des österreichischen Bundes-Verfassungsgesetzes geht auf das Jahr 1920 zurück. Diese Verfassung war ein Meilen-

stein und hat sich bis heute in weiten Bereichen unverändert gehalten, was durchaus für ihre Qua-lität und ihre Fähigkeit spricht, auf gesellschaftli-che Entwicklungen zu reagieren. Es ist also auf-grund der zunehmenden Technisierung und Di-gitalisierung keine Umkrempelung der gesamten Rechtsordnung notwendig. Dass aber in manchen Bereichen Anpassungsbedarf besteht und Anpas-sungen schon erfolgt sind, haben die Referate und die Workshops der Assistententagung sehr eindrücklich aufgezeigt. Als Beispiel sei auf die jüngste E-Voting-Diskussion verwiesen: Hier steht die mit der Internetnutzung einhergehende Trans-parenz in einem Spannungsverhältnis zum verfas-sungsrechtlich garantierten geheimen Wahlrecht. Solche Gegensätze sind eine Herausforderung für Techniker und Rechtswissenschaftler.ZUKUNFT: Kann man sagen, dass es bezugneh-mend auf Globalisierung und die europäische Entwicklung eine neue Dimension des Rechts-denkens geben soll?TIEFENTHALER: Die Idee des Rechtsstaats an sich steht nicht in Frage. Im Grunde funktioniert ja auch die europäische Rechtsordnung ganz gleich wie eine nationale, zum Beispiel kann man das europäische Primärrecht inhaltlich betrachtet durchaus als Verfassungsrecht der EU bezeich-nen. Es kann aber festgestellt werden, dass die österreichische, sehr stark an formellen Gesichts-punkten orientierte Rechtslehre zunehmend von der auf europäischer Ebene vorherrschenden ma-teriellen Sichtweise auf das Recht abgelöst wird.ZUKUNFT: Technisierung, neue politische Ent-wicklungen am Beispiel der EU – der hyper-moderne Rechtsstaat lässt sich also auf den her-kömmlichen Rechtsnormen aufbauen?SCHMID: Aktuelle technische Entwicklungen las-sen sich weitgehend mit der geltenden Rechtsord-nung bewältigen. In einzelnen Bereichen gibt es wohl Handlungsbedarf für den Gesetzgeber ...TIEFENTHALER: Was die zwei Workshops der Tagung verdeutlicht haben. Diese hatten „Da-tenschutz im Internet“ und „Rechtssetzung im elektronischen Umfeld“ zum Thema. Beides sind Beispiele dafür, wie der Gesetzgeber mit Tech-nisierung und Digitalisierung in der Praxis um-geht. db

Der 1978 in Innsbruck geborene Jurist Sebastian Schmid promovierte 2005, nach einem Studienaufent-halt an der Erasmus-Uni-versität Rotterdam, an der Universität Innsbruck zum Dr. iur. Im gleichen Jahr wurde er Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Öffentliches Recht.

ZUR PERSON

„ Die Rechtsordnung bleibt von Technisierung und Digitalisierung nicht verschont. Sie muss sich im Einzelfall anpassen und ist da-durch auch vor Herausforderungen gestellt.“ Veronika Tiefenthaler, Universitätsassistentin

Page 40: Forschungsmagazin der Universität Innsbruck - 02/2010

zukunft forschung 021040

GRÜNDUNGEN

EIN FASERVERBUNDFORMT DIE ZUKUNFT

Die Architektin Valentine Troi hat einen neuartigen Leichtbau-Werkstoff erfunden, der mittlerweile patentrechtlich geschützt ist. Mit einem hochmotivierten Team an

ihrer Seite steht sie nun kurz vor der Unternehmensgründung.

Die rasanten Softwareentwicklungen der letzten Jahre ha-ben Architektur und Design Türen in ungeahnte neue Räume geöffnet. Bislang sind es aber häufig virtuelle Räu-

me geblieben. Wer sich mit freigeometrischen Formen beschäftigte, konnte sich bei ihrer (Ver-)Formung am Computer zwar austoben, bei der Umsetzung von Freiformstrukturen in die Landschaft stieß man jedoch bald an Grenzen. Die Herstellung von komplexen geo-metrischen Strukturen ist äußerst kostspielig. Die Geometrie der architektonischen Konstruktionen von Zaha Hadid in Innsbruck ist vielleicht das geläufigste heimische Beispiel dafür.

Genau bei dieser Problematik setzt die materialtechnologische Erfindung der Architektin Valentine Troi an. Sie und das Grün-derteam von superTEX – alle Mitglieder lehren und forschen am Institut für Experimentelle Architektur./Hochbau an der Uni Inns-bruck – haben einen revolutionären Werkstoff entwickelt. Mit dem Faserverbundmaterial splineTEX® können in Zukunft komplex geometrisch geformte Strukturelemente in unterschiedlichsten Maßstäben mit erheblich reduziertem Kostenfaktor realisiert wer-den. Der Mehrphasenwerkstoff kann nämlich in einem weichen Zustand einfach in die gewünschte Form gebracht werden, bevor er dann gehärtet wird. Der Anwendungsbereich von splineTEX®

geht vom Sportgerät über Gebäudebauteile bis hin zur Autokaros-serie. Nach zwei Jahren Entwicklungsarbeit zählen nicht mehr nur Architekten und Designer zu ihren Kunden. Auch die Automobil-industrie, der Flugzeug- und Bootsbau sowie die Raumfahrt zeigen sich interessiert. Derzeit sind Prototypen für Details an Autos der Zukunft in Planung. Von der Idee bis hin zur finanziellen Förde-rung und Unterstützung bei der Unternehmensgründung fanden Valentine Troi und ihr Team in den universitären Einrichtungen p.s.b. (projekt.service.büro), transidee und CAST die perfekten Partner. Infos unter www.supertex.at. cast

FORSCHUNGS- UND FINANZIERUNGSPHASEN2009 Großmaßstäblicher Prototyp in splineTEX®; Tiroler Wissen-

schaftsfond/Nachwuchsförderung2010 Entwicklung industrielles Herstellungsverfahren für splineTEX®;

Prototypenförderung PRIZE (BMWFJ)2011 Unternehmensgründung superTEX; AWS Pre Seed und CAST

Gründungszentrum GmbH

Foto: Valentine Troi

Page 41: Forschungsmagazin der Universität Innsbruck - 02/2010

zukunft forschung 0210 41

GRÜNDUNGEN

DIE FLEISSIGEN EICHHÖRNCHEN

Das Web hat sich zu einem sozialen Medium entwickelt, das auch die Welt der Kinder grundlegend verändert hat. Nasubia bietet

dem Nachwuchs eine sichere Webumgebung.

Kinder wachsen heute mit neuen Medien auf und machen sehr früh erste Kontakte mit dem www.. Spielen und mit Freun-

den chatten zählen zu ihren Lieblingsbeschäfti-gungen. Kinder bloggen, chatten und pflegen ih-re Kontakte mit Hilfe von sozialen Netzwerken. Dennoch haben sie andere Anforderungen als Erwachsene. Besonders die vermeintliche Anony-mität des Netzes birgt Gefahren für Kinder, die den verantwortungsvollen Umgang mit sensib-len Daten noch nicht erlernt haben. Das Team der Rational Worlds GmbH, Thomas Haselwanter, Martin Tanler und Andreas Wechselberger, hat sich deshalb zum Ziel gesetzt, dem Nachwuchs eine altersgerechte und sichere Umgebung im In-ternet zu bieten. Diese Umgebung ist eine virtu-elle Welt namens Nasubia, die über das Internet kostenlos betreten werden kann. Jedes Kind darf sich zuerst ein Eichhörnchen auswählen. Dieses stellt die Identität des Kindes dar, mit dem es

Nasubia erkunden, altersgemäße Spiele spielen, sich mit anderen Kindern unterhalten, Freunde finden und kreativ sein kann. Nasubia verzich-tet vollständig auf Werbung, da Kinder normale Inhalte von Werbung nur schwer unterscheiden können. Anstelle bietet Nasubia verschiedene Arten von Mitgliedschaften an, die zusätzliche Funktionen in der Welt freischalten. Die Benutzer von Nasubia wollen kommunizieren und Infor-mationen teilen. Da Letzteres naturgemäß Gefah-ren birgt, konzentriert sich das Nasubia-Team auf die verschiedenen Aspekte der Kommunikation zwischen den Benutzern. Es werden innovative Strategien, Techniken und Algorithmen entwi-ckelt, um die Interaktion zwischen Kindern sicher zu gestalten. Nasubia befindet sich derzeit in der Beta-Phase und wird seit Juli 2010 von CAST mit Beratung und finanziellen Mitteln umfassend betreut. Gleich einloggen und Spaßfaktor testen unter: www.nasubia.com. cast

Bei der Realisierung wird auf hochwertige Open-Sour-ce Lösungen aufgebaut, was einerseits erlaubt, die not-wendigen Sicherheitsstan-dards effizient einzuhalten und andererseits flexibel ge-nug zu bleiben, um ein Pro-dukt zu schaffen, das dem anspruchsvollen, kindlichen Spielcharakter genügt. Auf Seiten der Infrastruktur wird auf modernste cloud-basierte Lösungen gesetzt, was dem Unternehmen ermöglicht, sich auf die problemspezifi-schen Kerntechnologien zu konzentrieren.

DIE TECHNIK

Fotos: Nasubia

Page 42: Forschungsmagazin der Universität Innsbruck - 02/2010

GRÜNDUNGEN

KOMMENTAR

STILLSTAND ALS ERFOLG VERKAUFEN

Stillstand und Rückschritt scheinen die wichtigsten Maxime in unse-rer derzeitigen Politik zu sein. Das

wichtigste Ziel ist die Erhaltung aktuel-ler Systeme ohne den eigentlichen Nut-zen oder Mehrwert zu hinterfragen. Die Befürchtungen über die österreichische Bildungs-, Forschungs- und Techno-logiepolitik, die ich im Jänner 2010 an dieser Stelle geäußert habe, sind leider voll eingetroffen. Die Politik verkauft uns dieser Tage, dass die 80 Millionen Euro zusätzliche Budgetmittel für un-sere Universitäten ein Meilenstein in den Budgetverhandlungen waren. Das ist schlicht ein Skandal. Einerseits geht es natürlich ums Geld und dabei ist die Verdoppelung der Belastungen unserer Universitäten in den letzten Jahren in keiner Relation zu den zugesagten Mit-teln. Das viel schlimmere Problem liegt aber in dem selbstherrlichen Glauben der Politik, die Strukturfragen in die-sen Bereichen selbst beantworten zu können oder sie dem Spielball partei-politischer Interessen zu opfern. So müssen die Rektoren nahezu um einen Termin bei den Entscheidungsträgern betteln, um bei Strukturfragen angehört zu werden, geschweige denn, dass sie ein Mitbestimmungsrecht in der Gestal-tung bekommen. In der Bildungspolitik werden die zwei zuständigen Ministe-rinnen regelmäßig von ihren Parteikol-legen öffentlich bloßgestellt und kön-nen der Bedeutung ihrer Themen kein politisch adäquates Gehör verschaffen. In der Technologiepolitik gibt es nach wie vor keine gemeinsame Strategie der drei Fachministerien, obwohl diese für August versprochen war und somit als Folge auch keine Chance für neue Impulse in diesem Bereich (nun schon das dritte Jahr!). In Abwandlung einer bekannten Volksweisheit kann man sa-gen: Erstklassige Politiker machen erst-klassige Politik, zweitklassige Politiker machen drittklassige Politik. Schade, dass wir so wenig erstklassige Politiker haben. mac

EIN GRUNDSTEIN ZUR SELBSTSTÄNDIGKEIT

Businessplanwettbewerb Adventure X – von der Forschung zum tragfähigen Businesskonzept.

Die Tiroler Zukunftsstiftung und CAST veranstalten auch 2011 wieder den Tiroler Businessplan-

wettbewerb Adventure X. Gründungs-interessierte aus dem Kreise der Tiroler ForscherInnen sind aufgerufen und einge-laden, ihre Geschäftsidee im Rahmen des Wettbewerbs in einem Businessplan aus-zuarbeiten, die Option Selbstständigkeit für sich zu prüfen und den Grundstein für ein eigenes Unternehmen zu legen. Fach-kundige Unterstützung steht in Form von Coachingabenden und Seminarwochen-enden zur Verfügung. Experten aus den unterschiedlichsten Fachbereichen (Mar-keting & Vertrieb, Finanzierung, Steuern & Recht, etc.) unterstützen kostenlos bei der Ausarbeitung des Businessplans und ver-mitteln spezifisches Gründungswissen.

Geschäfte mit neuen Technologien sind in der Regel komplex. Deshalb profitieren gerade WissenschaftlerInnen besonders vom Adventure X-Angebot, innovative Geschäftsideen unter laufender Beratung zu einem tragfähigen Geschäftskonzept zu entwickeln. Weiters besteht während der Laufzeit des Bewerbs (Jänner bis Juni 2011) die Möglichkeit, Kontakte zu Förderge-bern und Investoren zu knüpfen, Kapital zu aquirieren sowie Netzwerke auf- bzw. auszubauen. Alle Leistungen stehen den TeilnehmerInnen kostenlos zur Verfü-gung, die Einreichungen werden vertrau-lich behandelt. Die besten Businesspläne werden mit Sachpreisen und Preisgeldern ausgezeichnet. Die Kick-Off-Veranstaltung findet am 20. Jänner 2011 statt. Infos unter www.adventurex.info. cast

Mit dem Tiroler Patententwicklungspool greifen Land Tirol und Wirtschaftskammer

den Tiroler Erfindern finanziell unter die Arme, wenn es darum geht, ihre Erfindung über ein Patent bzw. Gebrauchsmuster zu schützen und wirtschaftlich zu verwerten.

Gefördert werden alle kommerziellen Phasen, die bei einer Erfindung relevant

sind. Infos unter: www.wko.at/tirol

NEUE FÖRDERINITIATIVE UNTERSTÜTZT ERFINDERGEIST

Adventure X-Sieger 2010 mit Harald Gohm, Patrizia Zoller-Frischauf und Jürgen Bodenseer.

Fotos: Andreas Friedle (2), dreamstime.com (1)zukunft forschung 021042

Page 43: Forschungsmagazin der Universität Innsbruck - 02/2010

zukunft forschung 0210 43

TRANSIDEE

STARK VERNETZTEuropäischer Dachverband ASTP beruft Geschäftsführerin

Sara Matt-Leubner ins Präsidium.

Seit nunmehr einem Jahr firmiert das Trans-ferzentrum der Universität Innsbruck unter dem neuen Namen transidee und kann auf

ein erfolgreiches Jahr zurückblicken. Ein besonde-rer Höhepunkt im Jahr 2010 war die Berufung der Geschäftsführerin Sara Matt-Leubner in das Präsi-dium der Dachorganisation Europäischer Techno-logietransferexperten ASTP. In dieser neuen Funk-tion als Vizepräsidentin der ASTP hat sich Sara Matt-Leubner zum Ziel gesetzt, einen der nächsten Kongresse des Dachverbands in Innsbruck auszu-richten und so einen Beitrag zum internationalen Standing Tirols als Wissenschafts- und Innovati-onsstandort zu leisten. Weiters wird durch diese Berufung der Zugang zu einem internationalen Pool von möglichen Partnern für Innovationspro-jekte gestärkt.

PROJEKTMANAGEMENTWie schon im vergangenen Jahr bei der Namens-änderung angestrebt, erfolgte neben der Fokussie-rung auf die Projektentwicklung und Verwertung auch die Festigung der Dienstleistungen im Bereich Projektmanagement. Derzeit werden neun Projek-te von transidee hinsichtlich der Verwaltung, des Controllings und/oder der Berichterstattung be-treut. Zudem bietet transidee auch vermehrt Hil-festellung bei der Planung und Abwicklung von Veranstaltungen, wie z.B. bei der im Herbst 2010 abgehaltenen Polartagung in Obergurgl. Weiters freut sich transidee über die äußerst gute Zusam-menarbeit in Projekten mit dem Land Tirol oder dem Agrarmarketing Tirol. Natürlich kamen auch

Kooperationsprojekte zwischen Wirtschaftsunter-nehmen und Wissenschaft nicht zu kurz. Exempla-risch hervorgehoben seien hier Kooperationen der Metallwerke Deutsch und des Bauunternehmen Lang mit der Universität Innsbruck.

Zusammenfassend ist transidee in folgenden Bereichen aktiv:• Projektentwicklung: Entwicklung und Beglei-

tung von Kooperationsprojekten von der Idee bis zur Umsetzung

• Förderberatung für Wirtschaftspartner und Ko-operationsprojekte: Fördermöglichkeiten werden dargestellt, Coaching bei der Antragsstellung, Partnerakquise

• Projektmanagement: Verwaltung von Projekten bzw. Unterstützung beim Controlling, Bericht- und Verwaltungswesen

• Patentverwertung: Akquise von Verwertungs-partnern und Lizenznehmern, Unterstützung beim Erstellen eines „Proof of Concept“ und/oder beim Prototypenbau

INFOASTP (Association of European Science & Technology Transfer Professionals) ist die Dachorganisation der Europäischen Technologietransferexperten. Sie wurde 2000 gegründet und zählt inzwischen über 660 Mitglieder aus 41 Ländern. Die Mission der ASTP ist die Professionalisierung, Bewerbung und Stärkung von Wissens- und Tech-nologietransfers zwischen den wissenschaftlichen Einrichtungen und der Industrie in Europa. Die ASTP arbeitet als praxisbezogenes Netzwerk und bietet ihren Mitgliedern neben jährlichen Konferenzen, Fachtagungen und Schulungen auch Wege zur Zertifi-zierung als Tech-Transferprofi durch den Weltverband ATTP. Info unter www.astp.net

Page 44: Forschungsmagazin der Universität Innsbruck - 02/2010

zukunft forschung 021044

KURZMELDUNGEN

WASSERRESERVOIR GLETSCHER

Gletscher tragen zur Wasserversorgung von Siedlungsgebieten bei. Allerdings gibt es dabei bedeutende regionale Unterschiede.

In einer Studie zeigen die Gletscher- und Klimafor-scher um Prof. Georg Kaser

und Dr. Ben Marzeion, dass Glet-scher regional sehr unterschied-lich zur Wasserversorgung von Siedlungsgebieten beitragen. Sie haben dazu erhoben, wie viel Niederschlag auf einzelnen Gletschern niedergeht und zu welchem Zeitpunkt dieses Was-ser wieder abgegeben und damit in Siedlungsgebieten verfügbar wird. „Es macht einen großen Unterschied, ob die Gletscher das Wasser in der Trockenzeit wieder abgeben oder, wie in den Monsungegenden Asiens, in ei-ner Periode, in der ohnehin viel Niederschlag fällt“, erklärt Mar-zeion. „Es gibt aber auch Gebie-te, wie um den Aralsee, in denen die Niederschläge im Winter in den Gebirgen fallen. Dort ist die sommerliche Gletscherschmelze lebenswichtig für die Bewohner der angrenzenden Regionen.“

Die Forscher haben einen Index berechnet, aus dem sie ablesen können, wie hoch die Abhängigkeit der Menschen

einer bestimmten Region vom Gletscherwasser ist. Dabei zeigt sich, dass vor allem hochgele-gene Gebiete stark vom Glet-scherwasser abhängig sind, die Bevölkerungsdichte dort aber meist relativ gering ist. „Kri-tisch ist die Situation vor allem in mittleren Höhen, wo bereits viele Menschen leben und das Gletscherwasser immer noch einen hohen Anteil zum ver-fügbaren Wasser beiträgt“, so die Klimaforscher.

Anstoß für die Studie war die Diskussion um den Einfluss des Klimawandels auf die Wasser-versorgung von Siedlungsge-

bieten. „Hier wurden in den letzten Jahren immer wieder Zahlen genannt, die einer ge-naueren Prüfung nicht stand-halten“, sagt Kaser. „Wenn etwa behauptet wird, dass das Abschmelzen der Gletscher die Wasserversorgung von zwei Milliarden Menschen gefährdet, ist das stark übertrieben.“ Die Forscher wollen auf die erheb-lichen regionalen Unterschiede aufmerksam machen. „Denn für kleinere Gemeinschaften in Gebirgen kann die erwarte-te Klimaentwicklung durchaus eine existenzielle Bedrohung darstellen.“

NEUE GESICHTERInsgesamt 21 Professorinnen

und Professoren wurden im vergangenen Studienjahr an die Universität Innsbruck berufen. Dazu kommen neun Berufun-gen von Universitätsdozentin-nen und -dozenten, die in die Professorenschaft aufgenommen werden konnten. „Wir haben die Zahl der Berufungen deut-lich steigern können und dabei in der Qualität nicht nachgege-ben“, betont Rektor Karlheinz Töchterle. Dies sei in Zeiten von Sparprogrammen und begrenz-ten Mitteln nicht immer einfach. Die Uni Innsbruck geht aber bei den Neuberufungen einen sehr offensiven Weg und ist ös-terreichweit auch bei den soge-nannten Qualifizierungsverein-barungen führend, die jungen Wissenschaftlerinnen und Wis-senschaftlern den Aufstieg in die Professorenschaft ermöglichen. Über 100 solche Stellen wurden bereits eingerichtet.

ASTROPHYSIK INTERNATIONALDer erste Jahrgang von Studierenden des neuen, internationalen Master-Studienganges für Astrophy-sik ist in Innsbruck angekommen. Nach strengen Qualitätskriterien wurden aus einer großen Anzahl von Bewerbern 20 Kandidatinnen und Kandidaten ausgewählt – herausragende Studierende aus Europa, Asien, Nord- und Südamerika sowie Afrika. Das Erasmus Mundus Programm wird von der Europäischen Kommission finanziert. Der Masterstudiengang Astrophysik ist der erste von Öster-reich koordinierte Erasmus Mundus Studiengang. Weitere Partner sind die Universitäten Padua, Rom, Göttingen und Belgrad. So haben die Studenten nach ihrem ersten Semester in Innsbruck die Auswahl, die folgenden Semester an einer oder mehreren der Partneruniversitäten zu verbringen. Zusätzlich stehen ein Praktikum am Observatorium in Asiago und eine Sommerschule in Belgrad auf dem Programm. „Die Teilnehmer sind hochmotiviert und so begeistert, dass es eine Freude sein wird, sie zu unterrichten“, freut sich Prof. Sabine Schindler, die Koordinatorin des Programms.

Fotos: NASA/JPL-Caltech/Laboratorio de Astrofísica Espacial y Física Fundamental (1), Uni Innsbruck (1), Miriam Schmidt/pixelio.de (1)

Page 45: Forschungsmagazin der Universität Innsbruck - 02/2010

zukunft forschung 0210 45

PREISE & AUSZEICHNUNGEN

RAINER GRAEFE AUSGEZEICHNETWissenschaftspreis der Stiftung Südtiroler Sparkasse für das

Lebenswerk eines Vordenkers der Baugeschichte.

Der Name Rainer Graefe ist untrennbar mit der Rettung und denkmalgerechten Sanierung des ehemaligen Sudhauses

des Innsbrucker Adambräus und der Gründung des Archivs für Baukunst im Jahr 2005 verbunden. Weit über die Grenzen hinaus ist er für seine For-schungsarbeiten zu Antoni Gaudís unvollendeter Kirche in der ehemaligen Industriesiedlung Colò-nia Güell bei Barcelona bekannt. Mit dieser setzte sich Graefe bereits während seiner wissenschaftli-chen Tätigkeit bei Frei Otto auseinander. Zudem hat er sich mit seinen Forschungen zum Werk des russischen Ingenieurs Vladimir G. Suchov und mit seiner Initiative zur Erhaltung von Suchov-Bauten in Russland verdient gemacht. Dafür wurden ihm 2003 in Moskau die „Suchov-Goldmedaille“ sowie 2008 das Ehrendoktorat der Universität für Bauwe-sen in Nizhnij Novogorod verliehen. 2009 wurde Rainer Graefe zum korrespondierenden Mitglied der Real Académia Catalana de Belles Arts de Sant Jordi, Barcelona, ernannt. „Seine unermüdliche

Forschungstätigkeit über Jahrzehnte hinweg weist eine außerordentliche thematische Vielfalt auf. Rai-ner Graefe hat mit seiner Arbeit dem Fach Bauge-schichte von den Rändern her zu einer bedeuten-den Vertiefung verholfen“, so Prof. Jan Piper über das wegweisende Werk seines Fachkollegen.

FORSCHUNGSPREISEDie Verleihung der mit 10.000 Euro dotierten Aus-zeichnung fand im Oktober zum zweiten Mal statt. Prof. Rainer Graefe zeigte sich tief bewegt von der Auszeichnung und bedankte sich bei der Univer-sität Innsbruck sowie seinen Mitarbeitern und Partnern für die vielfältige Unterstützung. Weitere Forschungspreise der Stiftung Südtiroler Sparkas-se im Wert von jeweils 2500 Euro gingen an Prof. Ruben Sommaruga vom Institut für Ökologie, Prof. Christian Huck vom Institut für Analytische Che-mie und Radiochemie, Prof. Christoph Spötl vom Institut für Geologie und Paläontologie und Doz. Georg Moser vom Institut für Informatik.

Rainer Graefe, geboren 1941 in Berlin, studierte Theaterwissenschaft, Phi-losophie und Germanistik. Er wurde Mitarbeiter des renommierten deutschen Architekten Frei Otto und beschäftigte sich intensiv mit allen Facetten des Konstru-ierens. 1991 wurde Graefe als Professor für Bauge-schichte und Denkmalpflege an die Universität Innsbruck berufen.

ZUR PERSON

zukunft forschung 0210

Foto: Andreas Friedle

Page 46: Forschungsmagazin der Universität Innsbruck - 02/2010

zukunft forschung 021046

PREISE & AUSZEICHNUNGEN

Barbara Kraus vom Institut für Theoretische Physik der Uni Innsbruck be-schäftigt sich mit dem noch jungen Forschungsgebiet der Quanteninforma-tionstheorie, das die klassische Informationstheorie mit der Quantenphysik

vereinen will. Zum Beispiel ermöglicht die Quantenphysik eine sichere Übertra-gung von Information. Weiters scheint ein Quantencomputer bestimmte Probleme viel schneller lösen zu können als ein klassischer Computer. Quantensimulatoren können verwendet werden, um komplexe Systeme zu simulieren. Barbara Kraus will neue theoretische Methoden für die Beschreibung und Untersuchung von Viel-teilchenquantensystemen entwickeln, um mögliche Anwendungen der Quantenin-formationstheorie zu finden, die Brauchbarkeit der Quantenzustände für bestimm-te Anwendungen zu analysieren und neue, experimentell realisierbare Methoden zur Erzeugung und Manipulation von Quantensystemen vorzuschlagen.

Florian Schreck beschäftigt sich in der Forschungsgruppe von Wittgenstein-Preisträger Rudolf Grimm mit ultrakalten Quantengasen. Mit seinem Team gelang es ihm im Vorjahr, das weltweit erste Bose-Einstein-Kondensat aus Strontium zu erzeugen. Strontium verfügt über eine reichhaltige innere Struk-tur. Dies ermöglicht es Experimentalphysikern, mehr Einfluss auf die Atome zu nehmen als bei einfachen Elementen und damit interessantere Quantenob-jekte zu erzeugen und zu untersuchen. „Wir möchten das Beste aus den sich neu eröffnenden Möglichkeiten machen“, sagt Florian Schreck. Dazu zählen die Realisierung von Quantencomputern und Quantensimulatoren.

Der START-Preis ist die höchste Auszeichnung für Nachwuchswissenschaftler in Österreich.

Barbara Kraus und Florian Schreck zählen zu den diesjährigen START-Preisträgern.

INTERVENTIONEN

In London wurden Innsbrucker Architekturstuden-ten beim International Architecture Student Festival (IASF) ausgezeichnet. Studierende verschiedener

internationaler Universitäten entwickelten und rea-lisierten eine Serie von temporären Interventionen für den urbanen Raum Londons. Betreut von Birgit

Brauner und Christian Schmutz entwickelten 14 Studierende drei Projekte, die dann mit Unterstüt-zung von Thomas Hillebrand innerhalb von einer Woche in London umgesetzt wurden. Das Thema des Wettbewerbs war: „Reduce, Reuse, Recycle“.

LOS ANGELES

Ivan Niedermair, Architekturstudent an der

Uni Innsbruck, wurde von einer international besetzten Jury für eines der begehrten Schind-ler-Stipendien ausge-

wählt. Im Rahmen des Artists and Architects in

Residence-Programms arbeitet er sechs Monate

lang in Los Angeles an seinem experimentellen Architekturprojekt. Während seines Aufenthalts in den USA widmet sich Niedermair der Frage,

wie sich die Städte angesichts der gegenwärtigen Klima- und Ressourcensituation verändern werden

und müssen. Die Schindler-Stipendien werden vom Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur gemeinsam mit dem MAK – Museum für

angewandte und zeitgenössische Kunst vergeben.

DURCHSTARTER

Daniela Rützler wurde im Oktober mit dem

Heinz Sauermann-Preis zur experimentellen

Wirtschaftsforschung ausgezeichnet. Die 1983 geborene Finanzwissen-schaftlerin untersuchte in ihrer Doktorarbeit unter Zuhilfenahme ökonomi-scher Experimente, wie sich ökonomisches Entscheidungsverhalten mit

dem Lebensalter entwickelt. Der Nachwuchspreis wird von der Gesellschaft für experimentelle

Wirtschaftsforschung vergeben.

NACHWUCHSPREIS

Fotos: IQOQI (3), Uni Innsbruck (5)

Page 47: Forschungsmagazin der Universität Innsbruck - 02/2010

zukunft forschung 0210 47

PREISE & AUSZEICHNUNGEN

NOBELPREISTRÄGER

Ende Oktober war der Physik-Nobelpreisträger von 2001, Wolfgang Ketterle, zu Gast in Tirol. In einem öffentlichen Vortrag an der Universität Innsbruck berichtete er über neue Formen von ultrakalter Materie. „Tiefe Temperaturen öffnen ein Fenster in die Quanten-

welt, in der Teilchen sich wie Wellen verhalten und ‚im Gleichschritt marschieren’ können“, sagte der am Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Cambridge (USA) tätige Physiker. Im Jahr 1925 sagte Albert Einstein eine solche neue Form der Materie voraus. Wolfgang Ketterle gehörte 1995 zu den Ersten, denen die Erzeugung eines Bose-Einstein-Kondensats gelang.

ZWEI ERC-GRANTS FÜR DIE PHYSIK

Mit dem ERC Starting Grant werden erfolgreiche jun-ge Forscherinnen und

Forscher mit hoch dotierten Projekt-budgets gefördert. Das Institut für Experimentalphysik der Universität Innsbruck kann in diesem Jahr gleich zwei Preisträger vorweisen: Francesca Ferlaino und Gregor Weihs.

Die gebürtige Italienerin Francesca Ferlaino wird mit den Forschungsgel-dern ein neues, exotisches Element für Experimente mit quantenentarteten Gasen und stark korrelierten Syste-men nutzen: Erbium, ein sehr seltenes und bisher wenig beachtetes Metall. Es ist ein vielversprechender Kandidat für die in enger Kooperation mit der Forschungsgruppe um Rudolf Grimm durchgeführten Experimente, weil es vergleichsweise schwer ist und einen stark magnetischen Charakter besitzt. Quantengase haben außergewöhnliche Eigenschaften und bieten ideale Mög-lichkeiten, um grundlegende Fragen der Physik im Detail zu studieren.

QUANTENPHYSIK AUF CHIPSGregor Weihs beschäftigt sich mit der Konstruktion von Quellen für einzelne Photonen und verschränkte Photonen-paare. Diese bilden eine wesentliche technologische Grundlage für zu-künftige Quantenkommunikation und Quantencomputer. Mit den Mitteln des Europäischen Forschungsrats will Weihs die Erzeugung von verschränk-ten Photonen in Halbleiternanostruk-turen auf eine neue Stufe heben: „Wir wollen Quellen bauen, die effizient ar-beiten und gut zu kontrollieren sind.“ Es gilt dabei Wege zu finden, wie ver-hindert werden kann, dass Verunrei-

nigungen in den Nanostrukturen die Quanteneffekte zerstören. Das von den internationalen Gutachtern über-aus gut bewertete Forschungsvor-haben könnte in einigen Jahren eine neue Technologie hervorbringen, die konkrete Anwendungen der Quan-teninformationsverarbeitung im Alltag noch näher rücken lassen.

Der Europäische Forschungsrat (ERC) unterstützt Francesca Ferlaino und Gregor Weihs vom Institut

für Experimentalphysik mit über 2,3 Millionen Euro.

PHYSIK-PREIS

Die Nachwuchswissenschaftlerin Francesca Ferlai-no erhielt im September in Salzburg im Rahmen der 60. Jahrestagung der Österreichischen Physi-kalischen Gesellschaft den Fritz-Kohlrausch-Preis. Für Ferlaino war es nach dem START-Preis im Vorjahr und einem ERC-Starting Grant in diesem Jahr die dritte bedeutende Auszeichnung in kur-zer Zeit. Sie erhielt den Preis für ihre erfolgreichen Forschungen zur Efimov-Physik und zur Vierkör-perphysik mit dem von Rudolf Grimm geleiteten Efimov-Team an der Universität Innsbruck.

PALÄOKLIMA

Ronny Boch vom Institut für Geologie und Pa-läontologie erhielt als erster Österreicher den Paul Woldstedt-Preis. Die Auszeichnung wird für hervorragende wissen-schaftliche Nachwuchs-arbeiten auf dem Sektor der Quartärforschung vergeben. Der 1978

geborene Geologe wurde für seine Arbeiten zu Klimaschwankungen seit dem Ende der letzten Eiszeit ausgezeichnet, die er anhand von detail-lierten Analysen von Tropfsteinen aus einer Höhle in der Steiermark rekonstruierte.

Page 48: Forschungsmagazin der Universität Innsbruck - 02/2010

zukunft forschung 021048

ZWISCHENSTOPP IN INNSBRUCK

Auf Einladung des Instituts für Archäologien besuchte Dr. Nils Anfinset im Jänner dieses Jahres

erstmals die Universität Innsbruck. Hier war der am FWF-Spezialforschungsbereich HiMAT beteiligte Montanarchäologe Dr. Gert Goldenberg auf den Ethnoarchäolo-gen und seine Arbeit zu den technologi-schen und sozialen Aspekten traditioneller Kupfergewinnung in Nepal aufmerksam geworden.

„Nach einem beeindruckenden Gast-vortrag des norwegischen Wissenschaft-lers über althergebrachte Verfahren zur Kupfergewinnung in abgelegenen Berg-regionen Nepals haben wir eine Koopera-tion vereinbart, in deren Mittelpunkt die Rekonstruktion prähistorischer Techni-ken bei der Verhüttung von Kupfererzen steht“, erzählt Dr. Goldenberg. „Wir er-hoffen uns von der gemeinsamen Aus-wertung archäologischer und archäome-tallurgischer Befunde aus den Ostalpen und ethnologischer Erkenntnisse und Erfahrungen aus Nepal neue, aufschluss-reiche Ergebnisse.“

Bei einem zweiten Besuch in Innsbruck im Spätsommer nahm Nils Anfinset an Ausgrabungen in einer prähistorischen Kupfergrube bei Radfeld im Unterinntal teil. Hier konnte er mit dem Innsbrucker Archäologenteam praktische Erfahrungen bei der bergmännischen Arbeit unter Tage sowie einen Einblick in prähistorische Ab-baumethoden gewinnen.

Im Anschluss an die Grabung in Tirol führten die Forscher zusammen mit dem Denkmalamt in Trient ein einwöchiges Feldexperiment in Fiavè durch. Dabei wurde unter Anleitung des norwegischen Ethnoarchäologen die Kupfergewinnung nach dem „Nepal-Verfahren“ nachgestellt.

„Durch Bündelung unterschiedlicher Kom-petenzen und Erfahrungen der an dem Feldversuch beteiligten Wissenschaftle-rinnen und Wissenschaftler konnten wir erste herausragende Ergebnisse erzielen“, zeigt sich Dr. Goldenberg zufrieden. „Wir wollen diese spannende, interdisziplinäre und internationale Zusammenarbeit auf jeden Fall fortsetzen.“

NEPAL-VERFAHRENDer stets freundliche und gut gelaunte Wis-senschaftler aus Norwegen, Vater von vier Kindern, kommentierte seinen Besuch in Innsbruck mit den Worten: „Ich hatte das Privileg, an Ausgrabungen in einer prä-historischen Kupfermine sowie an einem Feldexperiment teilzunehmen. Das war in mehrerlei Hinsicht von Bedeutung: Zum einen konnte ich mich mit den Studieren-den und den Mitarbeitern des HiMAT-Spe-zialforschungsbereichs vernetzen. Dies ist eine wertvolle Grundlage für weitere ge-meinsame Projekte und auch Freundschaf-ten. Zum anderen waren die Kupfermine und ihr Umfeld hoch interessant, weil die-se Mine denjenigen sehr ähnlich ist, die ich in Nepal untersucht habe. Das verhilft uns zu einem besseren Verständnis der prähis-torischen Bergbautechnologie. Weiters war das Experiment sehr wichtig, um zu zei-gen, dass das ‚Nepal-Verfahren’ wirklich reproduzierbar ist. Hierdurch werden sich in Zukunft auch einige archäologische Be-funde im Zusammenhang mit dem frühen Kupfererzbergbau und der Kupferverhüt-tung in den Alpen besser erklären lassen. Außerdem zeigt es, wie schwierig Techno-logietransfer sein kann, denn Wissen allein genügt nicht, um Kupfer aus seinen Erzen zu schmelzen“, so der norwegische Archä-ologe. cf

VERGESSENE TECHNOLOGIEN

Nils Anfinset ist Ethnoarchäologe an der Universität Bergen in Norwegen und forscht gemeinsam mit Innsbrucker Wissenschaftlern über frühe Kupfergewinnungsverfahren.

Dr. Nils Anfinset ist wissenschaftlicher Mitar-beiter im Department of Archaeology, His-tory, Religious and Cultural Studies an der Universität Bergen, Norwegen. Er lehrt und lehrte an den Universitäten Bergen, Oslo und Birzeit, Palästina. Seine Forschungs-schwerpunkte liegen in den Bereichen politische Archäologie, kulturelles Erbe, Neolithikum und Bronzezeit, mit Projekten in Norwegen, Nepal, Tansania und im Mittle-ren Osten (Syrien und West Bank).

ZUR PERSON

Foto: Universität Innsbruck

Page 49: Forschungsmagazin der Universität Innsbruck - 02/2010

zukunft forschung 0210 49

HALBLEITERPHYSIKDie Physikerin Claire Gmachl forscht an der Princeton University an neuen Lasern,

die in hochsensiblen Messgeräten eingesetzt werden können.

Sie wurde vom amerikanischen Magazin „Popular Science“ un-ter die zehn brillantesten Wissenschaftler des Jahres 2004 ge-wählt, erhielt 2005 von der MacArthur Foundation den hoch

dotierten „Genius Grant“ und leitet seit 2006 ein amerikanisches For-schungszentrum mit weit über 100 Wissenschaftlerinnen und Wis-senschaftlern. Ihren Ausgang nahm diese beeindruckende Karriere in Innsbruck. Hier begann Claire Gmachl 1985 mit dem Studium der Mathematik und der Physik, Fächern, die sie schon immer fasziniert hatten. In Erinnerung sind ihr von damals einige hervorragende Pro-fessoren, wie ihr Diplomarbeitsbetreuer Prof. Erich Gornik, von de-nen sie viel gelernt hat, sagt Gmachl: „Die Einführungsvorlesungen in Physik waren in ihrer Klarheit bemerkenswert und hatten ein sehr hohes Niveau. Diese Vorlesungen haben mich bestärkt, eine Karriere in der Physik und den Naturwissenschaften zu suchen. Später im Studium waren die Fortgeschrittenenpraktika sehr wertvoll. Die ha-ben mir geholfen, mich für die Halbleiterphysik zu entscheiden.“

SENSIBLE SENSORENHeute entwickelt Claire Gmachl sogenannte Quantenkaskaden-Laser, das sind Halbleiterlaser für Wellenlängen im mittleren und fernen Infrarot. „In diesen Lasern werden zwei Materialien so geschichtet, dass jede Schicht nur einige atomare Lagen dick ist. Etwa 500 bis 1000 Schichten werden für einen Laser benötigt“, erklärt Gmachl. Einge-setzt werden solche Laser zum Beispiel in Geräten für extrem sensible Messungen von Spurengasen. An dem von ihr geleiteten Forschungs-

zentrum MIRTHE entwickelt sie hochpräzise Spurengassensoren, die so einfach zu handhaben und so günstig wie Smartphones sind. Rückblickend meint die Physikerin zu ihrer Zeit in Innsbruck: „Mit meiner Ausbildung in Innsbruck habe ich den Grundstein für meine weitere Karriere gelegt. Innsbruck hatte und hat weltweit anerkannte Forscher und Professoren, die den Studenten auch als Vorbilder und Berater zur Verfügung stehen. Die Grundausbildung war mehr als solide und das Arbeits- und Studienklima kollegial – ideal um zu arbeiten.“ Auch privat hatte sie hier viele gute Freunde. „Von ihnen habe ich gelernt, um vier Uhr früh aufzustehen, um irgendeinen Berg zu erklimmen, nur eben so, weil der Berg da war.“ Daneben hatte sie auch einen Freundeskreis um die Unipfarre.

Was Claire Gmachl an der Princeton University vermisst, sind die Berge: „Nahe und hohe Berge, mit Schnee darauf, um gerade mal schnell ein paar Stunden Ski fahren zu gehen.“ cf

SPRUNGBRETT INNSBRUCK

Claire Gmachl wurde in Salzburg geboren und studierte an der Uni Innsbruck Mathematik und Physik. Ihr Doktoratsstudium absolvierte sie an der TU Wien, wo sie 1995 sub auspiciis Praesidentis promovierte. Sie ging dann in die USA und forschte an den Bell Laboratories. 2003 wurde sie an die Princeton Uni-versity berufen, wo sie 2007 zur Professorin ernannt wurde. Seit 2006 ist sie auch Direktorin des MIRTHE Forschungszentrums.

ZUR PERSON

Foto: Princeton University

Page 50: Forschungsmagazin der Universität Innsbruck - 02/2010

zukunft forschung 021050

ZAHLEN & FAKTEN

TIROLER SCHÄTZE

Für die Produktion von Beton, Asphalt, Schutz- und Wohnbau oder Brücken sind Natursteine das Ausgangsprodukt. Der Bedarf daran wird immer

größer, allein zwölf Tonnen Stein werden in Tirol pro Ein-wohner und Jahr benötigt. Ein nachhaltiger Umgang ist daher nötig, um die knapper werdenden Ressourcen zu schonen. Ein im Sommer gestartetes Interreg IV Projekt will nun die Natursteinressourcen Tirols materialwissen-schaftlich klassifizieren und kartografisch erfassen. Wis-sen und Know-how aus allen Landesteilen werden dazu gebündelt – das Amt für Geologie und Baustoffprüfung der Autonomen Provinz Bozen agiert als Lead Partner, der Arbeitsbereich Materialtechnologie an der Uni Innsbruck liefert das fachwissenschaftliche Know-how. Weiters betei-ligt sind das Amt für Industrie und Grube der Autonomen Provinz Bozen, die Abteilungen für Raumordnung und Statistik sowie Allgemeine Bauangelegenheiten-Landes-geologie im Amt der Tiroler Landesregierung, das Institut für Wirtschaftsförderung der Handelskammer Bozen, die WK Tirol und die Brenner Basistunnel BBT SE.

RESSOURCEN SCHONEND NÜTZENSüdtirols Landesrat Florian Mussner weiß um die Bedeu-tung des Projekts: „Es ist wichtig, dass wir das gemeinsa-me Wissen über regionale Gesteinsrohstoffe sammeln, um dann wirtschaftlich, unter Beachtung des Umweltschutzes und der sozialen Verträglichkeit, handeln zu können. Ge-naue Daten, Zahlen und Fakten helfen uns dabei, die Roh-stoffe schätzen zu lernen und ihren Gebrauch und Bezug zu regeln.“ Mussner weiß auch, dass die Rohstoffquellen nicht unerschöpflich sind: „Wir müssen mehr über die Be-deutung mineralischer Rohstoffe wissen und sparsam mit ihnen umgehen. Wichtig ist auch, dass wir uns Formen von Recycling überlegen.“ Das Interreg IV Projekt ist mit rund 700.000 Euro dotiert und läuft bis 2013. ds

Ein Interreg IV Projekt erfasst Tiroler Natursteinrohstoffe.

OUTPUTS, IMPACTS

Standards für eine grenzüber-schreitende, digitale Karte

und Datenbank, die auf die abbauwürdigen, strategischen

Rohstoffvorkommen Tirols angewendet werden, sollen in einem Interreg IV Projekt erar-beitet werden. Neu ist dabei

die Angabe der erhobenen Materialeigenschaften, Einsatz-möglichkeiten und Vorkommen,

die besonders berücksichtigt und hervorgehoben wird.

Eine räumliche Zuordnung der strategischen Rohstoffqualitäten

und ein daraus resultierendes Entwicklungskonzept zur Raum-

ordnung sind längerfristige Ziele des Projektes. Gemein-den, Fachverbände, Landes-

verwaltungen und Wirtschafts-initiativen profitieren von den

erhobenen Daten. „Gerade die durch den Bau des Brennerba-sistunnels entstehenden Natur-steinressourcen sollen nicht in irgendwelchen Halden liegen. Es ist sinnvoll und notwendig,

diese unsere Produkte zu verwenden – im Sinne der hei-mischen Industrie und unserer Umwelt“, mahnt Ludwig Nös-

sing, Direktor des Ladesamts für

Geologie und Baustoffprüfung der Autonomen Provinz Bozen.

Allein in Nord- und Osttirol gehen zurzeit täglich ca. 20 ha an potenziell baustoffführenden Flächen durch Verkehrsbauten,

Baulanderschließung und Indus-trieansiedlung verloren.

AM PULS DER ZEIT

Bereits bekannte, strategische und überregional wichtige Rohstoffvorkommen und auch sogenannte Sonderrohstoffe wie Hartgesteine oder bei Baumaßnahmen anfallende mineralische Rohstoffe werden in Tirol erfasst. Um Untersuchun-gen von einzelnen Rohstoffen vornehmen zu können, müssen diese gewonnen, die nach eingehenden Laboranalysen entstandenen Daten ausgewertet und interpretiert werden. Aus diesen Daten soll schließlich eine Datenbank mit einer zugeordneten Karte und einem material- und nutzungsrelevanten Kriterienkatalog entstehen. Die am Interreg IV Projekt beteilig-ten Partner arbeiten dabei eng zusammen. So ist gewährleistet, dass die bis jetzt getrennten

mineralischen Rohstofferhebun-gen einen überregionalen und methodisch allgemein gültigen Charakter haben. Dabei werden bereits bestehende Erfahrungen im Bereich der Raumordnung und Rohstoffsicherung ausgetauscht. Mit dieser Basis wird es in Zukunft möglich sein, Rohstoffre-sourcen gezielter zu sichern und in Hinblick auf Ökologie und Transport effizienter zu nutzen. Das grenzüberschreitende Vorha-ben kommt somit den Bestrebun-gen der Europäischen Union nach, die Rohstofferhebung und deren nachhaltige Sicherung in Europa zu vertiefen.

Fotos: Andreas Friedle (1), BBT SE (1), fotowerk nusser aichner (1)