Gerald Hüther Anerkennung 14 · Gerald Hüther Anerkennung Menschen können sich nur dann als frei...

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53 Gerald Hüther Anerkennung Menschen können sich nur dann als frei erleben und selbstverantwortlich handeln, wenn sie nicht von anderen als Objekte behandelt und benutzt werden. J eder Mensch ist einzigartig und möchte von ande- ren in seiner Individualität als Subjekt gesehen und wertgeschätzt werden. Es dürfte in unserer Zeit kaum noch jemanden ge- ben, der die Gültigkeit dieser Aussage zu bezweifeln wagt und wahrscheinlich wird heutzutage in unse- rem Kulturkreis auch niemand bereit sein, sich selbst einzugestehen oder gar vor anderen die Ansicht zu vertreten, dass es unvermeidbar und notwendig sei, andere Menschen bei der Verfolgung und Umsetzung eigener Interessen und Absichten als Objekte zu be- trachten, zu behandeln oder gar zu benutzen. Doch wie so oſt und in so vielen Bereichen unseres Zusam- menlebens gibt es auch hier eine beträchtliche Dis- krepanz zwischen eorie und Praxis. Es gelingt uns einfach nicht, das als zutreffend und wünschens- wert Erkannte in unserem atäglichen Zusammenle- ben auch anzuwenden. Wer könnte von sich behaup- ten, noch nie einen anderen Menschen zum Objekt seiner Erwartungen und Bewertungen, seiner klu- gen Ratschläge, seiner Anordnungen oder gar Maß- Gerald Hüther (* 1951) ist Neurobiologe und an der Psychiatrischen Klinik der Universitätsmedizin Göttingen auf dem Gebiet der experimentellen Hirnforschung tätig. Zuletzt veröffentlichte er das Sachbuch Etwas mehr Hirn, bitte. 14

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Gerald Hüther

AnerkennungMenschen können sich nur dann als frei erleben und selbstverantwortlich handeln, wenn sie nicht von anderen als Objekte behandelt und benutzt werden.

J eder Mensch ist einzigartig und möchte von ande-ren in seiner Individualität als Subjekt gesehen und

wertgeschätzt werden.Es dürfte in unserer Zeit kaum noch jemanden ge-

ben, der die Gültigkeit dieser Aussage zu bezweifeln wagt und wahrscheinlich wird heutzutage in unse-rem Kulturkreis auch niemand bereit sein, sich selbst einzugestehen oder gar vor anderen die Ansicht zu vertreten, dass es unvermeidbar und notwendig sei, andere Menschen bei der Verfolgung und Umsetzung eigener Interessen und Absichten als Objekte zu be-trachten, zu behandeln oder gar zu benutzen. Doch wie so oft und in so vielen Bereichen unseres Zusam-menlebens gibt es auch hier eine beträchtliche Dis-krepanz zwischen Theorie und Praxis. Es gelingt uns einfach nicht, das als zutreffend und wünschens-wert Erkannte in unserem alltäglichen Zusammenle-ben auch anzuwenden. Wer könnte von sich behaup-ten, noch nie einen anderen Menschen zum Objekt seiner Erwartungen und Bewertungen, seiner klu-gen Ratschläge, seiner Anordnungen oder gar Maß-

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Welt, in der er jetzt lebt, nicht so einfach und leicht ist. Sie nehmen ihn dannherzlich auf – als wäre er schon immer da gewesen – ins Haus der Freiheit.Auch ich lebe auch im Haus der Freiheit.Ich wohnte erst außerhalb,in den dunklen Gassen des Lebens ohne Licht.Die Gassen sind nicht offen und diejenigen, die im Haus der Freiheit wohnen, dürfen nichtdort hin.Ich hatte geglaubt, dass es das Haus der Freiheit nicht gäbe.Doch ich wurde eingeladen und mir wurde klar, dass ich dort gleich behandelt werde, obwohl ich aus den Gassen komme.Im Haus der Freiheit wirst du herzlich empfangen. Die Gläser sind niemals halb leer,sondern immer halb voll.Ich – nun frei wie der Wind – brauche nichts,außer meinem Zimmer im Haus der Freiheit.

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Barbara Yelin

Bärengeschichte

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nahmen gemacht oder ihn gar als Objekt bei der Ver-folgung seiner eigenen Ziele und Absichten benutzt zu haben ? Das Eingeständnis, wider besseres Wissen zu handeln, ist unbequem und erzeugt eine erheb-liche Verunsicherung. Zu weit fortgeschritten ist der Prozess der Ökonomisierung und der Funktionalisie-rung in allen Bereichen unseres Zusammenlebens. Es gibt kaum noch jemand, der nicht von anderen Men-schen als Objekt benutzt wird oder der nicht seiner-seits andere als Objekte benutzt. Viele haben sogar ge-lernt, sich selbst zum Objekt ihrer eigenen Bewertun-gen zu machen.

Gegen all diese Objektbeziehungen und Objektrol-len war bisher nichts einzuwenden, außer dass sie uns unfrei machen und uns daran hindern, Verantwor-tung für unser eigenes Leben zu übernehmen. Neu ist nur, dass die Hirnforscher inzwischen zeigen können, dass kein Mensch die in ihm angelegten Talente und Begabungen entfalten, seine angeborene Entdecker-freude und Gestaltungslust aufrechterhalten und sich in seiner eigenen Bedeutsamkeit erleben kann, wenn er sich nicht – so wie er ist – als Subjekt gesehen und wertgeschätzt fühlt.

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