Geschlechtsbestimmung Familiengeschichten aus der … · schlechts merkmale häufig ... An zweiter...

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Die vier rekonstruierten Fami- lien aus Talheim als Silhouet- ten und plastisch-wissen- schaftliche Rekonstruktionen der ungefähr 20 Jahre alten Frau sowie des etwa achtjähri- gen Jungen in den Städtischen Museen Heilbronn 2007. 12 Familiengeschichten aus der Steinzeit Rekonstruierte Verwandtschaftsverhältnisse von Christina Jacob, Hans-Christoph Strien und Joachim Wahl endogene und exogene Faktoren Alterungsprozesse zu beeinflussen, ohne dass diese in jedem Einzelfall erkannt und benannt werden können. Deshalb wird die Angabe des Sterbealters in der Regel mit einer dem jeweiligen Kriterium entsprechenden Fehler- spanne versehen, z. B. für den Zahndurchbruch zwi- schen ± 0,5 und 3 Jahre bzw. für die Verwachsung der Schädelnähte ± 5 bis 10 Jahre. Durch die Kombinati- on verschiedener Parameter lassen sich die relativ großen Fehlerspannen etwas einengen, doch sind hierbei geschlechtsspezifische und pathologische Ein- flüsse zu berücksichtigen. Abnutzungserscheinungen können lediglich schwache Indizien liefern, da sie u. a. von individueller genetischer Disposition, Ernäh- rungsweise, eventuell vorhandenen Stoffwechselstö- rungen sowie körperlichen Belastungen abhängig oder Sekundärfolgen krankhafter Veränderungen und Verletzungen sein können. So kann z.B. die Ab- kauung der Zähne nur in groben Grenzen und unter entsprechenden Einschränkungen für die Altersdiag- nose herangezogen werden. Eine zusätzliche Un- sicherheit besteht insofern, als dass alle heute ver- wendeten Kriterien an rezenten Referenzgruppen erarbeitet wurden, die im Vergleich mit prähistori- schen Bevölkerungen gänzlich anderen Lebensbe- dingungen unterliegen, und die daraufhin – was die Genauigkeit ihrer Aussage betrifft – prinzipiell nur unter Vorbehalt übertragbar sind. Genetischer Fingerabdruck, DNA-Analysen, der »gläserne Bürger« – das sind gängige Stichworte, die uns tagtäglich begegnen. Diese modernen Methoden auf vergangene Epochen zu übertragen ist jedoch nicht ohne Weiteres möglich. Entsprechende Unter- suchungsergebnisse lassen sich nur unter ganz be- sonderen Bedingungen erzielen, wie etwa in der spät- bronzezeitlichen Lichtensteinhöhle (s. Beitrag »Die Menschen aus der Lichtensteinhöhle – Größter DNA- Pool der Bronzezeit«). Oft führen Analysen zu kei- nem Resultat, weil bei Altfunden, üblichen Lagerungs- bedingungen und unsachgemäßer Bergung die erhofften Informationen in den Knochen vielfach nicht mehr erhalten oder extrahierbar sind. Doch die Methoden verfeinern sich stetig, sodass es sich lohnt, mit manchen Probenentnahmen am Originalmateri- al abzuwarten. So ist es auch bereits ein Vierteljahr- hundert her, dass der einzigartige Fund von Talheim am Neckar 1983 entdeckt wurde. Den Ausgräbern des bandkeramischen Massengrabs bot sich ein chaoti- sches Durcheinander menschlicher Skelettreste. Ein- zelne Körperpartien lagen zwar noch in anatomischer Abfolge, doch viele Knochen konnten keinem be- stimmten Individuum mehr zugeordnet werden. Die meisten Schädel ließen Spuren von Gewalteinwir- kungen erkennen. Die hier vergrabenen Individuen waren gewaltsam zu Tode gekommen. Zwischen den Skelettteilen fanden sich Hüttenlehmbrocken und Ke- ramikscherben der jüngeren Bandkeramischen Kul- tur, die den Befund auf etwa 5100v. Chr. datieren. Altersbestimmung Bei Nichterwachsenen basiert die makroskopische Bestimmung des Sterbealters im Wesentlichen auf der Zahnentwicklung sowie messbaren Wachstumsvor- gängen, bei Erwachsenen auf der Verwachsung der Schädelnähte, Abkauung der Zähne, Verschleiß- oder Degenerationserscheinungen sowie der Verknöche- rung knorpeliger Strukturen. Prinzipiell geben all die- se Kriterien aber nur Auskunft über das biologische Alter. Das tatsächliche, kalendarische Alter kann er- heblich davon abweichen, da stets mit früh- und spät- reifen Individuen zu rechnen ist. Zudem vermögen 13 Geschlechtsbestimmung | stanz des menschlichen Körpers gilt, zusätzlich vor äußeren Einflüssen geschützt. In etwa 5 % bis 30 % der Fälle konnten bislang erfolgreiche DNA-Typisierun- gen durchgeführt werden. Die morphologische Geschlechtsdiagnose beruht auf Formmerkmalen – insbesondere am Becken und am Schädel –, die zwischen Männern und Frauen un- terschiedlich ausgeprägt sind, allerdings auch innerhalb der Geschlechter sowie regional und im diachronen Vergleich variieren. Der so genannte Geschlechts- dimorphismus kann dabei je nach Populationsstich- probe größer oder kleiner sein und die Formvari- anten beider Geschlechter überlappen sich in verschieden großen Schnittmengen. Nachdem sich gezeigt hat, dass die Variationsbreite der meisten Ein- zelmerkmale bei Männern größer ist als bei Frauen, werden im Zweifelsfall grazile Männer eher als Frauen fehlbestimmt, robuste Frauen dagegen seltener als Männer angesprochen. Neben den visuell fassbaren Kriterien kommen verschiedene metrische Ansätze zur Geschlechtertrennung zum Einsatz. Sie sind ob- jektiv und weniger vom Erfahrungsschatz des Bear- beiters abhängig. In einigen Fällen weisen bereits die Geschlechtsbestimmung Die Geschlechtsbestimmung menschlicher Skelett- reste ruht auf drei Säulen, dem metrisch fassbaren Unterschied zwischen den Geschlechtern, morpho- logisch abweichenden Formmerkmalen sowie mole- kulargenetisch nachweisbaren X- bzw. Y-chromoso- malen Strukturen (DNA-Analyse). Auch wenn sie mit unterschiedlichen »Trefferquoten« einhergehen, kon- kurrieren diese Methoden nicht wirklich miteinan- der, sondern ergänzen sich. Die Extraktion, Verviel- fältigung und Darstellung von DNA-Bausteinen ist kompliziert – Kontaminationen mit fremder Erbsub- stanz müssen definitiv auszuschließen sein. Auch un- ter Berücksichtigung aller Standards »greift« die DNA-Analyse nicht in jedem Fall: Ätherische Öle, Phenole, Huminsäuren sowie feuchtes Liegemilieu wirken sich ungünstig aus, stärker erodiertes Kno- chenmaterial versagt häufig seine Kooperation. We- niger degradiertes Erbgut kann u.U. aus Zahndentin gewonnen werden. Es enthält zwar nur einen relativ geringen Anteil organischer Komponenten, ist aller- dings durch den Zahnschmelz, der als härteste Sub- Familiengeschichten und Dramen von Mord und Totschlag aus der Vorzeit – eine Story, die reif für einen Krimi wäre. Nur hat sie sich nicht heute, sondern in der Jung- steinzeit vor mehr als 7000 Jahren im schwäbischen Talheim ereignet, und ihre Ent- deckung und Rekonstruktion sorgt immer wieder für Aufsehen. Der Fund des Talheimer Massengrabes ist umso bemerkenswerter, weil es hier bei- spielhaft gelingt, verschiedenste Facetten des Lebens und der gesellschaftlichen Ver- hältnisse kleiner Gemeinschaften anhand akribischer Untersuchungen sterblicher Überreste zu rekonstruieren. Sehr oft sind Grabfunde regelrechte »Zeitkapseln«, die ganz direkte und entschlüsselbare Informationen über viele Jahrhunderte oder wie in diesem Fall Jahrtausende hinweg in unsere Gegenwart transportieren. Besonders wertvoll und entscheidend für die Interpretation bzw. weitreichende wissenschaftli- che Auswertungen ist zudem die Tatsache, dass es sich um einen »geschlossenen Fund« handelt, der völlig ungestört durch spätere Veränderungen und Eingriffe ent- deckt und minutiös dokumentiert werden konnte. MK

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Die vier rekonstruierten Fami-lien aus Talheim als Silhouet-ten und plastisch-wissen-schaftliche Rekonstruktionender ungefähr 20 Jahre altenFrau sowie des etwa achtjähri-gen Jungen in den StädtischenMuseen Heilbronn 2007.

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Familiengeschichten aus der Steinzeit Rekonstruierte Verwandtschaftsverhältnissevon Christina Jacob, Hans-Christoph Strien und Joachim Wahl

endogene und exogene Faktoren Alterungsprozessezu beeinflussen, ohne dass diese in jedem Einzelfallerkannt und benannt werden können. Deshalb wirddie Angabe des Sterbealters in der Regel mit einerdem jeweiligen Kriterium entsprechenden Fehler-spanne versehen, z. B. für den Zahndurchbruch zwi-schen ± 0,5 und 3 Jahre bzw. für die Verwachsung derSchädelnähte ± 5 bis 10 Jahre. Durch die Kombinati-on verschiedener Parameter lassen sich die relativgroßen Fehlerspannen etwas einengen, doch sindhierbei geschlechtsspezifische und pathologische Ein-flüsse zu berücksichtigen. Abnutzungserscheinungenkönnen lediglich schwache Indizien liefern, da sie u. a.von individueller genetischer Disposition, Ernäh-rungsweise, eventuell vorhandenen Stoffwechselstö-rungen sowie körperlichen Belastungen abhängigoder Sekundärfolgen krankhafter Veränderungenund Verletzungen sein können. So kann z. B. die Ab-kauung der Zähne nur in groben Grenzen und unterentsprechenden Einschränkungen für die Altersdiag-nose herangezogen werden. Eine zusätzliche Un - sicherheit besteht insofern, als dass alle heute ver-wendeten Kriterien an rezenten Referenzgruppenerarbeitet wurden, die im Vergleich mit prähistori-schen Bevölkerungen gänzlich anderen Lebensbe-dingungen unterliegen, und die daraufhin – was dieGenauigkeit ihrer Aussage betrifft – prinzipiell nurunter Vorbehalt übertragbar sind.

Genetischer Fingerabdruck, DNA-Analysen, der»gläserne Bürger« – das sind gängige Stichworte, dieuns tagtäglich begegnen. Diese modernen Methodenauf vergangene Epochen zu übertragen ist jedochnicht ohne Weiteres möglich. Entsprechende Unter-suchungsergebnisse lassen sich nur unter ganz be-sonderen Bedingungen erzielen, wie etwa in der spät-bronzezeitlichen Lichtensteinhöhle (s. Beitrag »DieMenschen aus der Lichtensteinhöhle – Größter DNA-Pool der Bronzezeit«). Oft führen Analysen zu kei-nem Resultat, weil bei Altfunden, üblichen Lagerungs -bedingungen und unsachgemäßer Bergung dieerhofften Informationen in den Knochen vielfachnicht mehr erhalten oder extrahierbar sind. Doch dieMethoden verfeinern sich stetig, sodass es sich lohnt,mit manchen Probenentnahmen am Originalmateri-al abzuwarten. So ist es auch bereits ein Vierteljahr-hundert her, dass der einzigartige Fund von Talheimam Neckar 1983 entdeckt wurde. Den Ausgräbern desbandkeramischen Massengrabs bot sich ein chaoti-sches Durcheinander menschlicher Skelettreste. Ein-zelne Körperpartien lagen zwar noch in anatomischerAbfolge, doch viele Knochen konnten keinem be-stimmten Individuum mehr zugeordnet werden. Diemeisten Schädel ließen Spuren von Gewalteinwir-kungen erkennen. Die hier vergrabenen Individuenwaren gewaltsam zu Tode gekommen. Zwischen denSkelettteilen fanden sich Hüttenlehmbrocken und Ke-ramikscherben der jüngeren Bandkeramischen Kul-tur, die den Befund auf etwa 5100 v. Chr. datieren.

Altersbestimmung

Bei Nichterwachsenen basiert die makroskopischeBestimmung des Sterbealters im Wesentlichen auf derZahnentwicklung sowie messbaren Wachstumsvor-gängen, bei Erwachsenen auf der Verwachsung derSchädelnähte, Abkauung der Zähne, Verschleiß- oderDegenerationserscheinungen sowie der Verknöche-rung knorpeliger Strukturen. Prinzipiell geben all die-se Kriterien aber nur Auskunft über das biologischeAlter. Das tatsächliche, kalendarische Alter kann er-heblich davon abweichen, da stets mit früh- und spät-reifen Individuen zu rechnen ist. Zudem vermögen

13Geschlechtsbestimmung |

stanz des menschlichen Körpers gilt, zusätzlich voräußeren Einflüssen geschützt. In etwa 5 % bis 30 % derFälle konnten bislang erfolgreiche DNA-Typisierun-gen durchgeführt werden.

Die morphologische Geschlechtsdiagnose beruhtauf Formmerkmalen – insbesondere am Becken undam Schädel –, die zwischen Männern und Frauen un-terschiedlich ausgeprägt sind, allerdings auch innerhalbder Geschlechter sowie regional und im diachronenVergleich variieren. Der so genannte Geschlechts -dimor phismus kann dabei je nach Populationsstich-probe größer oder kleiner sein und die Formvari -anten beider Geschlechter überlappen sich inverschieden großen Schnittmengen. Nachdem sichgezeigt hat, dass die Variationsbreite der meisten Ein-zelmerkmale bei Männern größer ist als bei Frauen,werden im Zweifelsfall grazile Männer eher als Frauenfehlbestimmt, robuste Frauen dagegen seltener alsMänner angesprochen. Neben den visuell fassbarenKriterien kommen verschiedene metrische Ansätzezur Geschlechtertrennung zum Einsatz. Sie sind ob-jektiv und weniger vom Erfahrungsschatz des Bear-beiters abhängig. In einigen Fällen weisen bereits die

Geschlechtsbestimmung

Die Geschlechtsbestimmung menschlicher Ske lett -res te ruht auf drei Säulen, dem metrisch fassbarenUnterschied zwischen den Geschlechtern, morpho-logisch abweichenden Formmerkmalen sowie mole-kulargenetisch nachweisbaren X- bzw. Y-chromoso-malen Strukturen (DNA-Analyse). Auch wenn sie mitunterschiedlichen »Trefferquoten« einhergehen, kon-kurrieren diese Methoden nicht wirklich miteinan-der, sondern ergänzen sich. Die Extraktion, Verviel-fältigung und Darstellung von DNA-Bausteinen istkompliziert – Kontaminationen mit fremder Erbsub-stanz müssen definitiv auszuschließen sein. Auch un-ter Berücksichtigung aller Standards »greift« dieDNA-Analyse nicht in jedem Fall: Ätherische Öle,Phenole, Huminsäuren sowie feuchtes Liegemilieuwirken sich ungünstig aus, stärker erodiertes Kno-chenmaterial versagt häufig seine Kooperation. We-niger degradiertes Erbgut kann u.U. aus Zahndentingewonnen werden. Es enthält zwar nur einen relativgeringen Anteil organischer Komponenten, ist aller-dings durch den Zahnschmelz, der als härteste Sub-

Familiengeschichten und Dramen von Mord und Totschlag aus der Vorzeit – eineStory, die reif für einen Krimi wäre. Nur hat sie sich nicht heute, sondern in der Jung-steinzeit vor mehr als 7000 Jahren im schwäbischen Talheim ereignet, und ihre Ent-deckung und Rekonstruktion sorgt immer wieder für Aufsehen.

Der Fund des Talheimer Massengrabes ist umso bemerkenswerter, weil es hier bei-spielhaft gelingt, verschiedenste Facetten des Lebens und der gesellschaftlichen Ver-hältnisse kleiner Gemeinschaften anhand akribischer Untersuchungen sterblicherÜberreste zu rekonstruieren. Sehr oft sind Grabfunde regelrechte »Zeitkapseln«, dieganz direkte und entschlüsselbare Informationen über viele Jahrhunderte oder wie indiesem Fall Jahrtausende hinweg in unsere Gegenwart transportieren. Besonderswertvoll und entscheidend für die Interpretation bzw. weitreichende wissenschaftli-che Auswertungen ist zudem die Tatsache, dass es sich um einen »geschlossenenFund« handelt, der völlig ungestört durch spätere Veränderungen und Eingriffe ent-deckt und minutiös dokumentiert werden konnte. MK

Plastisch-wissenschaftlicheRekonstruktion des ungefähr60 Jahre alten Mannes in denStädtischen Museen Heil-bronn 2007.

Geschlechtsbestimmungenbasieren auf den unterschied-lich ausgeprägten Schädelnund Becken von Frauen undMännern. Bei Kindern und Jugendlichen sind die Ge-schlechts merkmale häufignoch nicht ausgeprägt, so-dass meist eine gewisse Un -sicherheit bleibt.

14 | Familiengeschichten aus der Steinzeit

Verwandtschaftsdiagnose

Die Vermutung, dass zwei oder mehr Individuen mit-einander verwandt sein könnten, ergibt sich nicht selten bereits aus dem Fundzusammenhang – beiDoppel- und Mehrfachbestattungen, abgesondertenGrabgruppen oder Grablegen innerhalb oder im Um-feld eines Grabhügels. Diese Rahmenbedingungenfehlen bei der Talheimer Grube, wo die Skelettteilewild durcheinander lagen. Anhaltspunkte von Seitender Anthropologie waren zunächst Details in der Aus-formung des Hirn- und Gesichtsschädels, später Ähn-lichkeiten in der Verteilung von Merkmalen wie Naht-varianten, Schaltknochen, zusätzliche Zahnhöcker,überzählige Zähne o.ä., die vorhanden oder nicht vor-

Mittelwertvergleiche signifikante Unterschiede auf.Daneben werden Indizes und Diskriminanzfunktio-nen berechnet, die zum Teil auf kleinräumigen Mess-strecken basieren und somit auch noch bei bruch-stückhaftem Knochenmaterial hilfreich sind.

Unter allen Skelettelementen weist das knöcherneBecken die deutlichsten Unterschiede zwischen Män-nern und Frauen auf. Infolge seiner Funktion im Zu-sammenhang mit Schwangerschaft und Geburt istdas weibliche Becken insgesamt ausladender, niedri-ger und mit einem rundlicheren Beckeneingang ver-sehen als das männliche. Im Detail lassen sich etwa einDutzend typischer Einzelstrukturen ansprechen, dienach ihrem Ausprägungsgrad gewichtet werden, u. a.geburtstraumatische Veränderungen, deren Fehlenallerdings nicht zwangsläufig die Diagnose »männ-lich« bedeutet.

An zweiter Stelle folgt der Schädel, der v. a. in derÜberaugenregion, hinsichtlich der Stirnneigung sowieim Nackenbereich aussagekräftige Anhaltspunkte lie-fert. Die Unterschiede zwischen den Geschlechternsind hier im Wesentlichen robustizitäts- und mus-kelzugabhängig. Für den Hirn- und Gesichtsschädelsowie den Unterkiefer sind zusammen mehr als 20Merkmale sowie eine größere Zahl von Messstreckenbeschrieben worden, deren »Trefferquoten« bei ei-nem Abgleich mit geschlechtsbekannten Schädelnzwischen 75 % und 95 % liegen. Bei Messungen anZähnen zeigte sich, dass v. a. die Eck- und Backen-zähne und gleichzeitig die Zahnhalsdurchmesser bes-ser geeignet sind als die Kronendurchmesser.

Auch lässt das Extremitätenskelett Unterschiedezwischen den Geschlechtern erkennen. WeiblicheOber- und Unterarmknochen sowie Oberschenkel-knochen, Schien- und Wadenbeine sind durchschnitt -lich graziler, schlanker und kleiner und weisen einschwächeres Muskelmarkenrelief auf. Obwohl Män-ner im Mittel größer sind als Frauen und zudem mehrund kräftigere Muskeln besitzen, gibt es natürlich auchzierlich gebaute Männer bzw. große, robuste Frauen.

Zur Geschlechtsbestimmung Nichterwachsener,insbesondere auch Föten und Neugeborene, stehenbislang nur wenige morphologische Anhaltspunkteam Unterkiefer, Darmbein und Oberschenkelkno-chen, ansonsten lediglich metrische Merkmale anMilchzähnen zur Verfügung. Man kann davon aus-gehen, dass sich die sekundären Geschlechtsmerk-male auch am Knochen erst im Laufe der Pubertät inihrer vollen Prägnanz ausbilden. Versuche aus jünge-rer Zeit, über die Form des Unterkiefers oder denWinkelverlauf des inneren Gehörgangs am Felsen-bein geschlechtstypische Merkmale bei Nichterwach-senen aufzuspüren, haben eine »Trefferquote« vonimmerhin um bzw. über 80 %.

15Schätzung der Körpergröße |

Schätzung der Körpergröße

Die Bestimmung der Körperhöhe basiert meistensauf der Korrelation zwischen der Länge einzelner Ex-tremitätenknochen sowie der Körpergröße. Seltenwerden auch andere Skelettelemente herangezogen.Sie ist aus mehreren Gründen tatsächlich nur eineSchätzung: Erstens schwankt die Größe eines Er-wachsenen über den Tag hinweg, abends ist man auf-grund nachlassender Elastizität der Bandscheiben et-wa 2 cm kleiner als morgens. Zweitens nimmt sie mitzunehmendem Alter ab. Infolge von Rückbildungs-prozessen, absinkendem Fußgewölbe, Osteoporoseu. a. sind ältere Menschen kleiner als sie als jüngereErwachsene waren. Bei Frauen setzen diese Vorgän-ge hormonbedingt etwa Mitte vierzig, bei Männernerst später ein. Drittens sind die unterschiedlichenKörperproportionen von Männern und Frauen so-wie verschiedener Populationen in Raum und Zeit zu berücksichtigen. Insofern müssen Individualbe-stimmungen grundsätzlich eine Fehlerspanne ent-halten.

Die Erfahrung zeigt, dass Knochen der unterenExtremitäten enger mit der Körperhöhe korrelierenals Armknochen, da Letztere nicht unmittelbar zurKörpergröße beitragen. Altersbedingte Abbauprozes-se werden bei der Übertragung auf (prä)historischesSkelettmaterial meist vernachlässigt. Den vorge-nannten Unsicherheiten versucht man allerdings mitausgewählten Berechnungsformeln zu begegnen, dieder zu untersuchenden Populationsstichprobe regio-nal und chronologisch am nächsten kommen. Soexistieren u. a. nach Geschlechtern getrennte Berech-nungstabellen für verschiedene Volksgruppen, akze-lerierte und weniger akzelerierte Gruppen. Gerade

handen und in verschiedenen Populationen unter-schiedlich häufig anzutreffen sind. Diese zum Teilsehr seltenen anatomischen Variationen, häufig auch»epigenetische« oder – für den Zahn- und Kieferbe-reich – »odontologische« Merkmale genannt, haben inder Regel keinen Einfluss auf die Lebensqualität desTrägers und treten bei verwandten Personen öfter aufals im Durchschnitt der Bevölkerung. Je seltener einsolches Detail vorkommt, desto größer ist die Wahr-scheinlichkeit, dass die Merkmalsträger in familiä-rem Zusammenhang stehen. Ähnlich aussagefähigsind Gemeinsamkeiten hinsichtlich Form und Aus-dehnung der Nasennebenhöhlen, die ausgesprochenindividuell gestaltet sind.

Als erstes biochemisches Verfahren wurde versucht,über den Nachweis von Blutgruppeneigenschaften anüberdauertem Hartgewebe Verwandtschaft zu er-schließen. Der eigentliche Durchbruch gelang dann inden 1990er-Jahren mit Einführung der so genanntenPolymerase-Kettenreaktion (PCR), mit deren Hilfeauch kleine Bausteine originaler Erbsubstanz verviel-fältigt werden können. Damit ist der tatsächliche Be-weis von Verwandtschaftsverhältnissen möglich. Hin-sichtlich der Einsatzmöglichkeiten dieser Methodegelten allerdings auch hier die bereits oben angeführ-ten Einschränkungen. Grundsätzlich muss zudemunterschieden werden zwischen der DNA der Mito-chondrien, den »Kraftwerken« der Zelle, die lediglichHinweise auf die mütterliche Abstammungslinie lie-fern, und der DNA aus dem Zellkern, die tatsächlicheVerwandtschaft zwischen einzelnen Individuen nach-zuweisen vermag. Die Chance, dass Letztere Jahr-hunderte oder Jahrtausende überdauert, ist allerdingsum ein Vielfaches geringer.

16 Kinder und Jugendliche,sieben Frauen, neun Männerund zwei Erwachsene unbe-stimmten Geschlechts konn-ten identifiziert werden. IhreLage in der Grube zeigt, dassdie Personen nicht sorgfältigin die Grube gelegt, sondernteilweise an Armen und Bei-nen gepackt und hineinge-worfen wurden.

passen, ist es nötig, Material zu entnehmen. Aller-dings reichen hier winzige Späne von etwa 1 mg Ge-wicht, die für das Auge gerade mal sichtbar sind.

In der Laserablationskammer, durch die ein Trä-gergas (Helium oder Argon) strömt, trifft der Laser-strahl von oben auf die Oberfläche des Objektes oderGoldnuggets. Auf einen Punkt von nur ca. 50 μmDurchmesser gebündelt, verdampft der Strahl – vonder Oberfläche in die Tiefe dringend – ein winzigesVolumen des Goldes. Die dabei entstehenden feinenPartikel werden vom Gasstrom direkt in die Plasma-fackel transportiert, wo sie ionisiert werden.

Ein weiterer Vorteil der Laser-Beprobung ist zu-dem die hohe Ortsauflösung durch den sehr kleinenStrahldurchmesser. So können Veränderungen derZusammensetzung in der Tiefe oder in Mikroberei-chen auf der Fläche verfolgt werden. Auch kleine Ein-schlüsse im Gold, z. B. aus Platinmetallen, könneneinzeln analysiert werden.

Frühe Metallurgie in Altperu

Zu einer ersten Blüte kam die Metallurgie im Nor-den des Alten Peru in der Chavín-Kultur (1100–300v. Chr.). Ohne dass bisher eine Vorentwicklung be-kannt ist, tritt in den Bestattungen hochrangiger Per-sönlichkeiten ein plötzlicher Reichtum an Goldobjek-ten auf. Beeindruckend zeigen dies die im Tempel vonKuntur Wasi freigelegten Gräber (800–200 v. Chr.).Die Kronen, Pektorale, Nasengehänge und Ohrpflö-cke überraschen nicht nur durch ihre Größe, sondernauch durch die Beherrschung des Materials und derTechnik. Massive Bleche sind mit komplexen getrie-benen Motiven verziert, die Vorderseiten sorgsam po-liert, die Schnittkanten gerundet. Verbindungen wur-den bei den frühesten Objekten noch mechanisch,d.h. mit Metallstreifen, geschaffen und erst später ge-schweißt und gelötet. Auch Kupfer und Silber tretenin der weiteren Entwicklung erstmals auf. Sie wurdenaber noch nicht aus Erzen gewonnen bzw. verhüttet,sondern als gediegene, also natürlich vorkommendeMetalle verarbeitet.

Im Kontakt mit der Chavín-Kultur entwickeltesich an der Südküste Perus die Paracas-Kultur (800–200 v. Chr.), die besonders durch reich verzierte Tex-tilien bekannt ist, die sich in Mumienbündeln dankdes Wüstenklimas perfekt erhalten haben. Stil undThemen der Darstellungen auf Textilien und auchKeramikgefäßen lassen deutlich Chavíneinfluss er-ken nen. Die Metallurgie hingegen ist eine viel ein -fachere als zur gleichen Zeit in Nordperu. Obwohlauch in der Paracas-Kultur Gold zu verschiedenstenSchmuckstücken verarbeitet wurde, ist die Machart

Plasma – ICP) bei sehr hohen Temperaturen atomi-siert, ionisiert und mithilfe von hohen Spannungs-unterschieden in den Analysatorteil, einen so genann-ten Quadrupol, abgesaugt. Dieser besteht aus vierStabelektroden, die das Wechselfeld in ihrer Mittesehr schnell variieren können und auf diese Weise nurje ein bestimmtes Isotop bzw. dessen Ion hindurch-lassen.

Im Detektor werden diese Ionen schließlich ge-zählt und in ein zeitabhängiges Signal umgewandelt,das dann weiter ausgewertet wird.

Gewöhnlich werden die Proben in Säure aufge-schlossen und dem Gerät als verdünnte Lösung zu-geführt, doch ist dies für die Analyse von Natur-gold und archäologischen Funden nicht die beste Me thode.

Viel schneller und schonender für kleine Objekteist die Laserablation, für die prinzipiell keine Probeentnommen werden muss. Nur bei Stücken, die auf-grund ihrer Größe nicht in die Laserkammer hinein-

Wichtige beprobte archäo lo- gische Fundorte der Chavín-,Paracas- und Nasca-Kultur. In den grau unterlegten Gebie-ten wurden Goldproben ausFlüssen und Minen gesammelt.

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Fingerabdrücke im GoldSpurenelementanalytik mit Laserablations-Massenspektrometrievon Sandra Schlosser

Allgemein geht man davon aus, dass in den frü-hesten Gold verarbeitenden Kulturen noch keine an-deren Metalle wie Silber oder Kupfer hinzulegiertwurden (die ihrerseits eigene Spurenelemente mit-bringen würden) und auch kein Gold aus verschie-denen Regionen vermischt wurde. Dadurch ist esmöglich, den geochemischen Fingerabdruck von Ob-jekten und Lagerstätten miteinander zu vergleichenund die Herkunft des Rohstoffes zu bestimmen.

Aber auch der Vergleich archäologischer Fund-stücke untereinander erlaubt bereits Aussagen zurgeografischen und zeitlichen Verbreitung bestimm-ter Goldtypen, die wiederum Hinweise zu Kontakten,Austausch und etwaigem Handel liefern.

Massenspektrometrie

Zur Bestimmung von Spurenelementen dient heutemeist die Massenspektrometrie (MS). Bei dieser Ana-lysemethode reichen sehr geringe Probenmengen aus,zugleich können extrem niedrige Konzentrationennachgewiesen werden. Außerdem gibt sie auch Auf-schluss zur Isotopenzusammensetzung in Erzen, Me-tallen, Knochen oder Gesteinen.

Grundsätzlich besteht ein Massenspektrometeraus Ionenquelle, Analysator und Detektor, wobeiheutzutage eine Vielzahl verschiedener Prinzipienund Bauteile für diese drei Einheiten verwendet wird.In unserem konkreten Fall wird die Probe in eineminduktiv gekoppelten Plasma (Inductively Coupled

Das Gold der Inka errang durch die spanischen Er-oberer des 16. Jh. einen unauslöschbaren Ruf. Jedochstellt es sich bei näherer Betrachtung lediglich als letz-ter Glanzpunkt einer jahrtausendealten Entwicklungder Metallverarbeitung dar, die nach jüngsten Fun-den bereits vor 4000 Jahren mit dem einfachen Häm-mern großer Goldnuggets begann.

Als gut formbares und repräsentatives Metall soll-te das Gold von Anfang an eine herausragende Rollein der amerikanischen und peruanischen Metallur-gie spielen.

So ist es auch wenig verwunderlich, wenn nichtnur Schatzsucher, sondern auch Archäologen sichfragen, woher dieser Goldreichtum stammte.

Gab es eine bestimmte Region, die das ganze Landmit dem geschätzten Rohstoff versorgte, entspannsich ein weit verzweigtes Handelsnetz? Oder gab es –wie auch heute – in vielen Kleinregionen lokale Gold-gewinnung aus Minen oder Flüssen?

In einem Projekt am Curt-Engelhorn-ZentrumArchäometrie in Mannheim wird diesen Fragen amBeispiel der Kulturen Paracas und Nasca nachgegan-gen, die zwischen 800 v. und 700 n. Chr. an der Süd-küste Perus bestanden.

Gold ist nicht gleich Gold

Natürliches Gold kommt häufig sekundär angerei-chert als Seifengold in Flüssen oder primär angerei-chert in so genannten Gold-Quarz-Gängen vor. Esenthält nicht nur Silber in Anteilen von bis zu 50 %,sondern auch eine Vielzahl verschiedenster Elemen-te in sehr geringen Konzentrationen, so genannteSpurenelemente. Ungefähr 25 davon sind für dieAnalyse von Interesse, unter anderem Blei, Nickel,Zink, Wismut oder Zinn.

Die Gehalte der einzelnen Spurenelemente sind je-weils spezifisch für die unterschiedlichen Lagerstät-tentypen und -regionen und bilden eine Art Muster,das als geochemischer Fingerabdruck bezeichnetwird. In archäologischen Goldobjekten hat sich dieserweitgehend erhalten, da das Rohgold lediglich ge-schmolzen und nicht wie heute elektrolytisch gerei-nigt und raffiniert wurde.

Zu den frühesten naturwissenschaftlichen Methoden in der Archäologie gehörenzweifellos Materialanalysen. Natürlich lassen sich die Ende des 18. Jh. von Klapprothveröffentlichten Untersuchungen, für die mehrere Gramm schwere Münzen vollstän-dig aufgelöst werden mussten, nicht mit modernen Laser-Anwendungen vergleichen,bei denen nur noch einige Mikrogramm (10-6 g) verdampft werden. Zudem war dieMotivation Klapproths und vieler seiner Nachfolger vermutlich reine Neugier »an denDingen an sich«, wohingegen der interdisziplinäre Ansatz heute entscheidender ist.Modernste Analytik und geologische Informationen werden nun zur Beantwortungarchäologischer Fragestellungen mit einbezogen. Die Verbindung von Typologie, Tech-nik und Spurenelementanalytik bei peruanischen Goldobjekten steht stellvertretendfür einen solch modernen Ansatz der Materialanalyse. RS

zu ca. 27 %) zum Gold hinzulegiert. Doch damit nichtgenug: Erstmals konnte das Vergolden in der Nasca-kultur nachgewiesen werden – da die Objekte mit hohen Kupferanteilen genauso goldgelb schimmern,als bestünden sie aus reinem Gold. Die Art der Ver-goldungstechnik ist noch Gegenstand weiterer Un-tersuchungen.

Glücklicherweise ist das für die Legierungen ver-wendete Kupfer – sehr wahrscheinlich gediegenesKupfer – so rein gewesen, dass der geochemische Fin-gerabdruck des Goldes nicht verwischt wurde.

Die Auswertung der einzelnen Spurenelement-konzentrationen erfolgt mit statistischen Methoden.

Am einfachsten zeigen Streudiagramme, wie sichbestimmte Elemente zueinander verhalten. Es wur-den die gemessenen Platin- und Palladiumgehalte inppm (parts per million = millionstel Teile) von Gold-objekten der Paracas- und Nasca-Kultur und einigernordperuanischer Fundstücke zum Vergleich gegen-einander aufgetragen.

Als Erstes fällt auf, dass die von der Südküste Pe-rus stammenden Gegenstände fast alle viel geringereGehalte an Platin (Pt) und Palladium (Pd) enthaltenals Objekte von der Nordküste. Das ist bereits ein ers-ter Hinweis auf einen südlichen Ursprung des Gol-des, da weiter im Norden (v. a. Ekuador, Kolumbien)auch Platin mit dem Gold vorkommt und so in dieObjekte gelangt sein kann.

Baumdiagramm oder Dendro-gramm mit denselben Probenwie im Pt-Pd-Diagramm. Hiersind die beiden »Exoten« ausnördlichem Gold (Nr. 6 und 17)noch besser zu erkennen,ebenso die gefälschten Nas -cableche (Nr. 11–13) und dieGoldtypen innerhalb der Nas-ca- und Paracaskultur. Zur Berechnung wurden die Ele-mente Nickel, Arsen, Rhodium,Palladium, Zinn, Antimon, Osmium, Iridium, Platin, Bleiund Wismut herangezogen.

Krone mit 14 beweglichen Gesichtern aus dem Grab eines ca. 60 Jahre alten Man-nes, der in der zentralen Plattform des Tempels vonKuntur Wasi bestattet wurde(Objekt im Museo de SitioKuntur Wasi, Nordperu).

rus. Aber anders als in den riesigen Tagebaulöchernin den Anden lohnt hier der Abbau im Familienbe-trieb, da die Goldadern klein und ergiebig sind. Bis-lang fehlen allerdings jegliche Belege für eine vorin-kaische Ausbeutung der Minen. Einzig der Vergleichvon archäologischen Goldobjekten und Goldvor-kommen kann hier Licht ins Dunkel bringen.

Zu diesem Zweck wurden Proben aus Goldminenund Flüssen aus allen wichtigen Lagerstättengebie-ten Perus genommen. Von Interesse waren dabei ausschließlich solche Vorkommen, die bereits demprähistorischen Menschen zugänglich waren, d.h. in de nen das Gold mit bloßem Auge sichtbar war undmit einfachen Mitteln gewonnen werden konnte.

Neue Dimension in archäologischen Funden

Als Erstes brachten die Analysen unerhofft neue Er-kenntnisse zur Metallurgie der Paracas- und Nasca-Kultur. Denn außer den Spurenelementen wurdenauch die Hauptbestandteile Gold, Silber und Kupferbestimmt, die Auskunft über die Objektzusammen-setzung geben.

Entgegen der bisherigen Meinung wurde in beidenKulturen bereits Kupfer verwendet, und spätestensmit der Nascakultur auch in erheblichen Anteilen (bis

doch eine ganz andere. Die Bleche sind oft papier-dünn, grob ausgeschnitten und offenbar meist aus-schließlich als Beigaben für die Mumienbündel undnicht für eine tatsächliche Benutzung hergestellt worden.

War diese Goldmetallurgie eine eigene Entwick-lung oder aus dem Nordandenraum initiiert? Wurdenicht nur die Technik, sondern auch das Rohmate rialweitergegeben?

Für die nachfolgende Nasca-Kultur (100–700 n.Chr.), die sich aus der Paracas-Kultur entwickelte,verschärft sich der Kontrast weiter: Während an derNordküste Perus in der Moche-Kultur die Metallver-arbeitung mit der Produktion von Legierungen, ver-schiedenen Vergoldungstechniken, Löten und auchGießen in voller Blüte steht, werden an der Südküsteimmer noch einfache Blechschmuckstücke gefertigt.Zwar sind diese im Vergleich zu Paracas-Objektennun größer und sorgfältiger bearbeitet, aber mit denGrabbeigaben des Señor de Sipán, eines Mochefürs-ten, können sie nicht mithalten.

Allgemein scheint der Kontakt zwischen Nord-und Südküste in dieser so genannten Frühen Zwi-schenperiode eher gering gewesen zu sein. Produ-zierten die Nascaleute ihr Gold demnach ausschließ-lich selbst?

Noch heute leistet die Region Ica-Nasca einen be-deu tenden Beitrag zur jährlichen Goldproduktion Pe-

PlatinmetalleVon großer Bedeutung für die Charakterisierung von

Gold sind die sechs so genannten Platinmetalle: Rutheni-um, Rhodium, Palladium, Osmium, Iridium und schließlichPlatin selbst. Als edle Metalle gehen sie z.T. eine Legierungmit Gold ein und sind unanfällig gegenüber äußeren Ein-flüssen wie Verwitterung oder Schmelzen, die das Spuren -elementmuster verändern könnten. Die Verhältnisse die-ser sechs Elemente zueinander sind besonders wichtig fürdie Unterscheidung verschiedener Goldtypen.

IsotopeBezeichnet Atome desselben Elementes mit verschie -

denen Massenzahlen. Diese kommen durch die unter-schied liche Anzahl der Neutronen im Atomkern zustande.Die meisten Elemente setzen sich aus mehreren natürlichvorkommenden Isotopen zusammen, deren Verhältnisse zu einander leicht variieren können. So ermöglicht z. B. dieBestim mung der Isotopenverhältnisse des im Kupfer stetsenthaltenen Bleis eine Zuordnung des Metalls zu be-stimm ten Lagerstätten.

Das Wort Isotop ist abgeleitet vom Altgriechischen»iso« (gleich) und »topos« (Ort), da die Isotope trotz unter -schiedlicher Massenzahl an derselben Stelle im Perioden-system der Elemente stehen.

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Platin (Pt) – Palladium (Pd) –Streudiagramm. Die Steck -nadel im Heuhaufen ist ge -funden: Eindeutig liegen zwei Objekte von der Süd -küste (Paracas- und Nasca -kultur) im Bereich des sehrplatinreichen nordperuani-schen Goldes.

von Gold aus der Ica-Nasca-Region zeigen, dass inder Nascazeit auf alle Fälle lokales Gold verwendetwurde.

Auch wenn die Gesamtauswertung noch nicht ab-geschlossen ist, lassen sich zusammenfassend bereitserste Aussagen treffen:

In der Paracaszeit wanderte offenbar nicht nur dasWissen um die Gewinnung und Verarbeitung vonGold, sondern in einigen Fällen auch das Gold selbst.Denn außer dem Blech aus dem Mumienbündel wur-de auch ein jüngst analysierter Ring aus einem frü-hen Paracasgrab im Palpatal bei Nasca aus nördli-chem Gold hergestellt. Bei letzterem Fund gibt auchdie Herstellungstechnik Grund zur Annahme, dassder Ring im Chavíngebiet angefertigt wurde. Bei demeinfachen Goldblech ist dazu keine Aussage möglich.

Für die Nasca-Kultur gibt es bisher nur einen Be-leg für Gold aus dem Norden: eine vogelförmigeSchmuckfeder aus der späten Phase, die vom Stil heraber an der Südküste hergestellt worden ist. Durchweitere Analysen wird sich das Bild noch vervoll-ständigen.

Chavín-Kultur (1100–300 v. Chr.)Benannt nach dem Fundort Chavín de Huán-

tar am Ostabhang der Weißen Kordillere in dennordperuanischen Anden. Der mehrphasigeTempelkomplex aus Plattformen, Plätzen, einge-tieften Innenhöfen und unterirdischen Galerienwar einst reich mit Steinreliefs verziert. Im Kultspielten Jaguar, Kondor und Schlange eine zen-trale Rolle und wurden häufig abgebildet. Aufden typischen vexierbildartigen Darstellungenfinden sich oft aber auch nur Einzelelemente wiez. B. Reißzähne oder Augen.

Das Einflussgebiet der Chavín-Kultur erstreck-te sich bis an die Küste und weit in den Süden.Dabei handelte es sich allerdings vermutlich we-niger um ein administratives Gebilde als um dieVerbreitung einer Ideologie oder Religion. In denTempelgalerien von Chavín de Huántar fandensich Opfergaben aus weit entfernten Regionen,wie z. B. Spondylusmuscheln von der ekuadoria-nischen Pazifikküste.

Reich verzierte Ohrschmuck-scheibe der Nasca-Kultur mit Darstellung des typischenmenschengestaltigen mythi-schen Wesens. (Objekt im Peabody Museum, HarvardUniversity, Boston).

69Neue Dimension in archäologischen Funden |

Der Rio Chinchipe – einer dergoldreichen Flüsse am Ost -abhang der Anden in Nord -peru, an dem noch heute Gold- wäscher anzutreffen sind.

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ein (multivariate Statistik), ergeben sich dementspre-chend komplexere Beziehungen, die auch nicht mehrin einem Streudiagramm dargestellt werden können.Mithilfe verschiedener statistischer Funktionen lässtsich die Ähnlichkeit von Proben in Abstände um-rechnen und z. B. in einem Baumdiagramm darstel-len. Goldarten, die sich in ihren Spurenelementen ammeisten unterscheiden, teilen sich als erste im Dia-gramm in die Hauptäste, während fast gleiche Pro-ben wie kleine Zweige direkt nebeneinander stehen.Auch hier gruppieren sich die beiden Paracas- undNascaobjekte aus nördlichem Gold eindeutig mit denGegenständen von der Nordküste, und die beidensich im Streudiagramm bereits andeutenden Goldty-pen werden sichtbar. Einzelne Goldobjekte passenbisher zu keiner Gruppe, was sich mit dem Fortgangder Analysen jedoch ändern kann.

Im letzten Schritt, für den Vergleich zwischenGoldlagerstätten und Objekten, können nur diejeni-gen Elemente herangezogen werden, die sich beimSchmelzen nicht verflüchtigen oder zu einer Schlackeoxidieren. Geeignet sind z. B. Silber, Nickel und Pla-tinmetalle.

Leider ermöglicht der bisherige Stand der Analy-sen noch keinen umfassenden Vergleich mit allen be-probten Lagerstättengebieten, aber erste Ergebnisse

Außerdem lassen sich unter den Funden der Süd-küste drei Goldtypen unterscheiden: 1) Gold mit we-nig Palladium und gleich bleibendem Verhältnis zuPlatin; 2) Gold mit viel Palladium und wenig Platinund schließlich 3) Gold mit beiden Elementen zu fastgleichen Anteilen.

Dieser dritte Goldtyp ist durch vier identischeNasca-Schmuckbleche vertreten, die im Diagrammdeutlich aus allen anderen Objekten herausfallen. Be-reits Herstellung und Stil dieser Schmuckbleche lie-ßen Zweifel an ihrer Echtheit aufkommen, was nundurch die Spurenelemente bestätigt werden kann. Beigenügend großer Datenbasis lassen sich mittels desgeochemischen Fingerabdrucks also auch Fälschun-gen entlarven.

Zwei Objekte von der Südküste, die im Diagrammgenau in den Bereich des nördlichen Goldes fallen,brachten eine Überraschung: Ein zerknittertes Gold-blech aus einem Mumienbündel von der Paracas-Halbinsel hatte offenbar eine weite Reise aus demNorden hinter sich, ehe es zur Grabbeigabe wurde,und ein Kopfschmuck der späten Nascazeit in Formeines Vogels wurde bestimmt nicht aus einheimi-schem Gold geschmiedet.

Bezieht man in der weiterführenden Auswertungmehr als zwei oder drei Elemente in die Betrachtung