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2 Standpunkt Besser als sein Ruf: Das Europäische Währungs- system, 1979–1998 M. Höpner, A. Spielau 4 Presseschau Wissenschaſtler des MPIfG in den Medien 6 Schwerpunkt Zukunſt vergangener Gegenwarten Torsten Kathke 11 Forscherportrait Der Mann für die Balance: Der italienische Politökonom Lucio Baccaro 14 Nachrichten Lucio Baccaro ist Scholar in Residence 2015/2016 18 Neuerscheinungen Bücher, Journal Articles, Discussion Papers 22 Veranstaltungen Berichte und Vorschau 2016 26 Freunde und Ehemalige Was macht eigentlich … Martin Heipertz Neuigkeiten 2015 28 Impressum Schwerpunkt Zukunftserwartungen im Rückblick GESELLSCHAFTS FORSCHUNG 2 2015 Aktuelle Themen und Nachrichten

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Page 1: GeSellScHAfTS 2 FoRSchuNg 2015 - MPIfG · Colin Crouch „Die bezifferte Welt“ – Von Demo-kratieverlust und Wissensentzug Deutschlandfunk, Andruck 07.09.2015 Der Neoliberalismus

2 Standpunkt Besser als sein Ruf: Das Europäische Währungs -system, 1979–1998M. Höpner, A. Spielau

4 Presseschau Wissenschaftler des MPIfG in den Medien

6 SchwerpunktZukunft vergangener Gegenwarten Torsten Kathke

11 ForscherportraitDer Mann für die Balance:Der italienische PolitökonomLucio Baccaro

14 NachrichtenLucio Baccaro ist Scholar in Residence 2015/2016

18 NeuerscheinungenBücher, Journal Articles, Discussion Papers

22 VeranstaltungenBerichte und Vorschau 2016

26 Freunde und EhemaligeWas macht eigentlich …Martin Heipertz Neuigkeiten 2015

28 Impressum

SchwerpunktZukunftserwartungen im Rückblick

GeSellScHAfTSFoRSchuNg

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Aktuelle Themen und Nachrichten

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In der Politik und den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften wird derzeit kon-trovers diskutiert, ob der Euro angesichts der Dauer und Schwere der Eurokrise durch ein anpassungsfähiges Wechsel-kursregime ersetzt werden sollte. Mit der Gründung des Euro wurden die Wech-selkurse zwischen den teilnehmenden Währungen unwiderruflich fixiert, Auf-wertungen und Abwertungen sind nicht mehr möglich. Diese Entscheidung wür-de man heute nicht noch einmal tref-fen. Denn die Entwicklungen der Preis-niveaus waren im Euroraum nicht ein-heitlich genug. Könnte man die Wäh-rungen der Länder Nordeuropas heute

aufwerten und die Währungen der süd-europäischen Teilnehmerländer im Ge-genzug abwerten, wäre ein großer Schritt zur Bewältigung der Eurokrise getan.

Das Europäische Währungssystem (EWS), das von 1979 bis 1998 Bestand hatte, war ein solch anpassungsfähiges Wech-selkursregime. Könnte es als Blaupause für eine zukünftige europäische Wäh-rungsordnung dienen? Welche Erfah-rungen haben teilnehmende Länder mit den Wechselkursanpassungen gemacht? Würde ein anpassungsfähiges Wechsel-kursregime die derzeit beklagte deutsche Dominanz durch ein gleichberechtig-tes Miteinander der Europäerinnen und Europäer ersetzen? Im neuen MPIfG Discussion Paper 15/11 nehmen wir die-se Fragen zum Ausgangspunkt für einen Rückblick auf das EWS.

Das Europäische Währungssystem be-ruhte auf wechselseitigen Verpflichtungen der Notenbanken. Sie sollten an den De-visenmärkten zugunsten der eigenen und anderer Währungen intervenieren, wenn die Kurse vorab definierte Bandbreiten zu verlassen drohten. Diese Bandbreiten betrugen in der Regel +/– 2,25 Prozent Abweichung vom angestrebten Wechsel-kurs, in manchen Fällen aber auch +/–6 Prozent und nach der EWS-Krise in den Jahren 1992 und 1993 +/–15 Prozent. Da-mit sollten die Schwankungen der Wäh-rungen in Grenzen gehalten und so die Ungewissheit der Wirtschaftsteilnehmer

über zukünftige Wechselkursentwicklun-gen begrenzt werden. Bestand aber Einig-keit darüber, dass die angestrebten Wech-selkurse die wirtschaftlichen Realitäten nicht mehr angemessen widerspiegelten, konnten die Finanzminister die Wechsel-kurse neu aushandeln, also Auf- und Ab-wertungen vornehmen.

Lässt man die Erfahrungen mit dem Eu-ropäischen Währungssystem heute Re-vue passieren, kann man festhalten: Es war besser als sein Ruf. Aber seine Bilanz war gleichwohl gemischt. Die Wechsel-kurse zu stabilisieren gelang allenfalls kurzfristig. Die Möglichkeit der Wech-selkursanpassung musste häufig in An-spruch genommen werden: Im EWS gab es zu achtzehn unterschiedlichen Zeit-punkten insgesamt zweiundsechzig Auf- und Abwertungen und zudem zeitweili-ge Ein- und Austritte der Teilnehmerlän-der. Diese Wechselkursanpassungen hal-fen den Ländern, ihre wirtschaftlichen Probleme zu bewältigen. Im Verlauf von etwa zwei Jahren nach einer Abwer-tung verbesserte sich das wirtschaftliche Wachstum und der Außenhandel ent-spannte sich. Danach baute sich in aller Regel neuer Anpassungsdruck auf.

Die Aufwertungsländer kamen mit den Aufwertungen gut zurecht. An kei-ner Ecke des sogenannten „magischen Vierecks“ aus Wachstum, Beschäftigung, Preisniveaustabilität und Außenhandel erlitten sie Einbrüche. Zu bedenken ist

StandpunktBesser als sein RufDas europäische Währungs­system, 1979–1998

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hier allerdings, dass die Aufwertungslän-der um Deutschland immer die preissta-bileren Länder des Europäischen Wäh-rungssystems blieben und sich daher stets schnell wieder in eine reale effektive Unterbewertungskonstellation begeben konnten. Auch für diese Länder folgte auf jede Wechselkursanpassung daher die mittelfristige Neuentstehung von An-passungsdruck. Nie waren die Verhält-nisse im EWS endgültig „aufgeräumt“, es folgte Anpassung auf Anpassung. Aber dieser stete Anpassungszyklus verhin-derte, dass sich reale effektive Unter- und Überbewertungen über lange Zeiträume kumulierten. Ungleichgewichte in der Leistungsbilanz in Ausmaßen, wie wir sie heute aus der Eurokrise kennen, blie-ben den Teilnehmern des Europäischen Währungssystems daher erspart.

Das bedeutet aber nicht, dass die Teil-nehmerländer des EWS mit ihrer Wech-selkursordnung zufrieden gewesen wä-ren. Weil die preisstabilste Teilnehmer-währung, die Deutsche Mark, als fakti-scher Anker des EWS fungierte, hatte die Deutsche Bundesbank bei der Ausge-staltung ihrer Zinspolitik mehr Freihei-ten als die Notenbanken der deutschen Nachbarn. Sie folgten deshalb in aller Regel der deutschen Geldpolitik – was insbesondere dann zum Problem wurde, als die Bundesbank den deutschen Wie-dervereinigungsboom im Jahr 1992 mit Rekordzinsen stoppte. Die Aussicht vie-ler europäischer Teilnehmerländer, die Bundesbank gegen eine multilaterale Eu-ropäische Zentralbank einzutauschen, gehörte dann auch zu den wesentlichen Impulsen für die Gründung des Euro.

Ebenso sah man mit Hoffnung dem Wegfall der Notwendigkeit entgegen, die Wechselkurse in zermürbenden Ausei-nandersetzungen immer wieder neu aus-handeln zu müssen.

So hatten die Teilnehmer des Europäi-schen Währungssystems gute Gründe, als sie sich mit dem Übergang zum Eu-ro für den großen Schritt nach vorn ent-schieden. Und doch wird man im Nach-hinein sagen müssen, dass er zu früh ge-gangen wurde. Denn die wegfallende Auf- und Abwertungsmöglichkeit hat den europäischen Ländern ein wichtiges Instrument makroökonomischer Anpas-sung aus der Hand geschlagen, das heute dringend gebraucht würde. Heute wissen wir, dass der Euro nicht viel zur Inflati-onskonvergenz seiner Teilnehmerländer beiträgt. Diese Konvergenz ist allerdings eine Voraussetzung dafür, dass die Vor-teile einer gemeinsamen Währung die Nachteile überwiegen.

Man kann sich die Geschichte der euro-päischen Wechselkursregime als ständi-ge Suche im immer selben Grundwider-spruch vorstellen. Der Widerspruch be-steht darin, dass die wirtschaftlich eng verflochtenen Länder Europas einerseits aus guten Gründen eine Stabilisierung der Wechselkurse anstreben, dass sie aber andererseits zu heterogen dafür sind, als dass diese Stabilisierung dauerhaft gelin-gen könnte. Die perfekte Lösung für die-sen Widerspruch gibt es nicht – aber mög-licherweise haben die Gründer des Euro zu einer besonders imperfekten Lösung gegriffen. Die Vor- und Nachteile der für Europa denkbaren Währungsordnungen sollten ohne Tabus und unter Rückgriff auf den verfügbaren historischen Erfah-rungsschatz diskutiert werden.

Zum Weiterlesen

Höpner, M. & Spielau, A.:Diskretionäre Wechselkursregime: Erfahrungen aus dem Europäischen Währungssystem, 1979–1998. MPIfG Discussion Paper 15/11. Max-Planck-Institut für Gesellschafts-forschung, Köln 2015.www.mpifg.de/pu/mpifg_dp/dp15-11.pdf

Alexander Spielauist seit 2012 Doktorand an der Inter-national Max Planck Research School on the Social and Political Constitution of the Economy (IMPRS-SPCE) und Mitglied der Forschungsgruppe „Po-litische Ökonomie der europäischen Integration“ am MPIfG. Er studierte Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin.

Forschungsschwerpunkte: Vergleichen-de Politische Ökonomie, Geld- und Fiskalpolitik, regionale Wirtschaftsin-tegration, Finanzmarktkapitalismus

Martin höpnerist wissenschaftlicher Mitarbeiter am MPIfG und leitet seit 2008 die For-schungsgruppe „Politische Ökonomie der europäischen Integration“. Seit 2012 ist er zudem außerplanmäßiger Professor an der Universität zu Köln. Nach dem Studium und der Promo-tion im Fach Politikwissenschaft wurde er 2007 an der Universität zu Köln habilitiert.

Forschungsschwerpunkte: Politische Ökonomie, europäische Integration, Währungsunion, Arbeitsbeziehungen

Forschungsgruppe „Politische Ökono-mie der europäischen Integration“www.mpifg.de/projects/eurolib

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InstitutstagDemografie und politische Ökonomie sind nicht zu trennenDeutschlandfunk, Aus Kultur- und Sozialwissenschaften | 12.11.2015Es wird in der Diskussion schnell dahin-geworfen: Mit den Flüchtlingen ließen sich Engpässe auf dem Arbeitsmarkt schließen. Doch bis Migranten in der Gesellschaft ankommen, ist es ein weiter Weg. Bei einer Fachtagung des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsfor-schung in Köln rechneten die Experten vor: Durchschnittlich sieben Jahre dau-ert ein erfolgreicher Integrationsprozess.http://tinyurl.com/MPIfG-DLF

Kathleen ThelenBernie Sanders says Denmark is socialist. Forbes Magazine says it’s the most business-friendly country. Who’s right?The Washington Post, Monkey Cage11.11.2015Cathie Jo Martin and Kathleen Thelen are scholars of comparative political economy who have recently written books that talk about the Danish model. Thelen is the Ford professor of political science at MIT. Her book „Varieties of Liberalization and the New Politics of Social Solidarity“ examines how Den-mark has found a way to deal with global market pressures that eludes many other European countries.http://tinyurl.com/Thelen-WashPost

Colin Crouch„Ist Vertrauen dumm?“der Freitag | 26.10.2015Jakob Augstein im Gespräch mit dem Auswärtigen Wissenschaftlichen Mitglied des MPIfG Colin Crouch über die Bedro-hung unseres Wissens durch den Neoli-beralismus und Zeichen der Hoffnung. Wie kann es sein, dass Thomas Pikettys Buch solch ein Bestseller wird? Weil es sich mit der wachsenden Ungleichheit be-fasst, und zwar auf sehr ernsthafte Weise, lautet die Antwort von Crouch.http://tinyurl.com/Crouch-derFreitag

Armin SchäferDeutschlands Akademiker- ParlamentDeutschlandfunk, Magazin 15.10.2015Während es früher noch viele Arbei-ter und Angestellte im deutschen Parla-ment gab, sind heute mehr als 90 Prozent der Bundestagsabgeordneten Akademi-ker. Zwischen 1945 und 2009 ist ihr An-teil von 45 auf 91 Prozent gestiegen. Dies hat Armin Schäfer, ehemaliger Wissen-schaftler am MPIfG, ermittelt. Ist das ein Problem? In Zeiten von Pegida und Poli-tikverdrossenheit sei zu befürchten, dass das Parlament die Bodenhaftung verliert.http://tinyurl.com/Schaefer-DLF

Jens Beckert„Komplizierte Regeln, die kaum jemanden befriedigen“Max Planck Forschung | 08.10.2015„Erbschaften sollten – nach Berücksichti-gung von Freibeträgen – so hoch wie Ein-kommen besteuert werden“, sagt MPIfG-Direktor Jens Beckert im Interview mit dem Forschungsmagazin der Max-Planck-Gesellschaft.http://tinyurl.com/Beckert-MPF-15-3

Jens BeckertNicht Zahlen regieren die Welt der Wirtschaft, sondern FiktionenDeutschlandfunk, Aus Kultur und Sozialwissenschaft | 24.09.2015Der Soziologe Jens Beckert über die „imaginierte Zukunft“ in der Ökonomie.http://tinyurl.com/Beckert-DLF-Podcast

Martin HöpnerKompetenzbereiche in Brüssel: Wolfgang Schäuble will die Europäische Kommission entmachtenCicero | 03.09.2015In seinem Debattenbeitrag im Magazin Cicero befürwortet MPIfG-Wissenschaft-ler Martin Höpner den Vorstoß von Wolfgang Schäuble, die Kompetenzbe-reiche der EU-Kommission neu zu ord-nen. Der deutsche Finanzminister hält die Vermischung von politischen und rechtlichen Befugnissen für problema-tisch.http://tinyurl.com/Hoepner-Cicero

Wissenschaftler des MPIfG in den Medien

Presseschau GeSellScHAfTSFoRSchuNg 2.15

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GeSellScHAfTSFoRSchuNg 2.15 Presseschau

Diese und weitere aktuelle Beiträge unter www.mpifg.de/aktuelles/mpifg_medien_de.asp.

Colin Crouch„Die bezifferte Welt“ – Von Demo-kratieverlust und WissensentzugDeutschlandfunk, Andruck 07.09.2015Der Neoliberalismus ist der Feind des Wissens – so die zentrale These im neuen Werk von Colin Crouch, Auswärtiges Wissenschaftliches Mitglied am MPIfG. Denn jahrelange Erfahrung von Fach-kräften sei immer weniger gefragt in ei-ner Welt, die von einfachen Zahlen be-herrscht werde.http://tinyurl.com/Crouch-DLF

Colin CrouchColin Crouch und sein neues Buch „Die bezifferte Welt“ttt – titel thesen temperamente30.08.2015Der britische Politologe Colin Crouch, Auswärtiges Wissenschaftliches Mitglied am MPIfG, sorgte mit seinen Büchern über die „Postdemokratie“ international für Aufsehen und große Debatten. Bei ttt stellt er sein neues Buch vor: „Die bezif-ferte Welt – Wie die Logik der Finanz-märkte das Wissen bedroht“.http://tinyurl.com/Crouch-ttt

Nina EngwichtDiamantenhandel in Sierra Leone: Schürfen ist ein ganz normaler JobDRadio Wissen, Grünstreifen 18.08.2015Viele Menschen in Sierra Leone verdie-nen mit Diamanten ihr Geld. Als Schür-fer oder Händler. Manchmal legal, manchmal illegal. Vertreter beider Sei-ten hat die MPIfG-Wissenschaftlerin Nina Engwicht getroffen.http://tinyurl.com/Engwicht-DRadio

Wolfgang StreeckBrutish, nasty – and not even short: the ominous future of the eurozoneThe Guardian | 17.08.2015During the Greek crisis Europe missed a historic chance to fix its currency. Now the mess continues, argues Wolfgang Streeck, director emeritus at the MPIfG: „The problem with the euro is not a lack of ‚European spirit‘ on the part of the Greeks, or of German inability to appre-ciate the failsafe recipes of US macroeco-nomics. It is that the monetary union is a fundamentally misconceived institution, as it denies weaker countries the possi-bility of devaluing their currency.“http://tinyurl.com/WS-TheG

Martin HöpnerDen linken Euro gibt es nichtneues deutschland | 17.08.2015Es gibt keine neutrale Währungsunion, die sich je nach Kräfteverhältnis demo-kratisch und sozial ausrichten lässt. Mar-tin Höpner, Forschungsgruppenleiter am Max-Planck-Institut für Gesellschafts-forschung, über die strukturellen Zwän-ge, die vom Euro selbst ausgehen.http://tinyurl.com/Hoepner-nd

Martin HöpnerMan hätte den Euro niemals einführen dürfenZEIT online | 07.08.2015Nicht neoliberale Politik hat die Misere in Europa verursacht, sondern der Euro selbst, erklärt Martin Höpner in seinem Gastbeitrag. Die Volkswirtschaften sind zu unterschiedlich; flexible Wechsel-kurse wären besser.http://tinyurl.com/Hoepner-zeitonline

Wolfgang StreeckGriechenlandkrise: Gefangen in der EurozoneSpiegel Online | 8.07.2015Die Ursache der Eskalation in der Grie-chenlandkrise ist nicht Merkels oder Tsipras’ Mangel an europäischem Geist. Es ist die Fehlkonstruktion der gemein-samen Währung, die sie nicht anders handeln lässt, argumentiert Wolfgang Streeck.http://tinyurl.com/WS-spiegelonline

Wolfgang StreeckWarum Schulden weniger gefährlich sind als gedachtSüddeutsche Zeitung | 11.06.2015Staatliche Schulden sind ungefährlicher als viele denken, erklärt eine Forscher-gruppe in einer neuen Studie. Die Grup-pe, der der emeritierte MPIfG-Direktor Wolfgang Streeck angehört, argumen-tiert, diese These beruhe auf Einzelbeob-achtungen aus der Zeit nach dem Zwei-ten Weltkrieg – und sei langfristigen Un-tersuchungen zufolge nicht zu halten.http://tinyurl.com/WS-sueddt

Wolfgang StreeckGerman hegemony: unintended and unwantedLe Monde diplomatique | 28.05.2015„Germany’s new European hegemony is a product of European Monetary Union in combination with the crisis of 2008,“ argues Wolfgang Streeck, emeritus Di-rector at the Max Planck Institute for the Study of Societies. http://tinyurl.com/WS-GermanHegemony

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SchwerpunktZukunft vergangener gegenwarten Wie Zeitdiagnosen die großen Debatten der 1970er­ und 1980er­Jahre bestimmten

Gegenwartsdiagnosen sind ein fruchtbares Feld für die Soziologie. Von Max Weber bis Ulrich Beck haben sich viele wichtige Stimmen an ihnen versucht. Aber auch in anderen Disziplinen ist diese Form der Außendarstellung nicht wegzudenken. In den Siebziger- und Achtzigerjahren des zwanzigsten Jahrhunderts hatten Zeitdiagnosen mit Mil-lionenauflagen von Büchern und der Verbreitung ihrer Thesen in allen Massenmedien sowohl in den USA wie auch in der Bundesrepublik Deutschland ihre Hochzeit. Wie kam es dazu?

Ein hybrides GenreDie Bremer Soziologin Ute Volkmann hat Gegenwartsdiagnosen ihrer Disziplin als „hybrides Genre“ bezeichnet. Zum einen seien sie ein Beitrag zu akademi-schen Debatten, zum anderen verfolgten sie stets auch die Absicht, in die Gesell-schaft und eine breitere Öffentlichkeit hineinzuwirken. Dieser Doppelstatus ist grundlegend nicht nur für die Soziolo-gie, sondern etwa auch für die Philoso-phie und die Zeitgeschichte. Zeitdiag-nose, Gesellschaftsdiagnose, Zeitana lyse – all das findet sich im Umfeld dieses Genres, das sich vor allem in der Litera-tur der Zeit niederschlug.

Vor allem Bücher waren es nämlich, „wichtige Bücher“, die teils in millionen-facher Auflage von einem Massenpubli-kum gelesen wurden. Um mitreden zu können, um sich einzumischen, oder auch nur um zu wissen, worüber man al-lenthalben diskutierte. Als Hardcover-,

preiswerte Paperback- oder Buchclub-ausgabe fanden sie ihren Weg in die Wohnwände der Jahre nach der Phase wirtschaftlichen Aufschwungs, die dem Zweiten Weltkrieg gefolgt war, und die in den – auch dies eine Zeitdiagnose – kri-senhaften 1970er-Jahren endete. So tru-gen Gegenwartsdiagnosen einerseits zum Gefühl der Krise und der mannig-faltigen gesellschaftlichen Probleme bei, andererseits boten sie auch Erklärung, versuchten sich teils sogar an Lösungs-ansätzen.

Autoren wie Herman Kahn, Charles Reich, Richard Sennett, Robert Jungk oder Donella und Dennis Meadows und ihre Kollegen vom Club of Rome – letz-tere mit der auf beiden Kontinenten in weiten Kreisen rezipierten Studie Die Grenzen des Wachstums – versuchten sich aus unterschiedlichsten Perspekti-ven an der Gegenwartsdiagnostik. In den USA war es der Journalist Alvin Toffler,

Torsten Kathkeist seit 2014 als Postdoc-Stipendiat Mit-glied der Forschungsgruppe „Ökonomi-sierung des Sozialen und gesellschaft-liche Komplexität“ am MPIfG. Er ist Historiker und promovierte 2013 nach Forschungsaufenthalten in Europa und den USA an der LMU München.Forschungsinteressen: Kultur-, Ideen- und Zeitgeschichte, USA im 19. und 20. Jahrhundert, transnationale und transatlantische Geschichte

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Aus der Forschung GeSellScHAfTSFoRSchuNg 2.15

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GeSellScHAfTSFoRSchuNg 2.15 Aus der Forschung

der 1970 den „Zukunftsschock“ als Be-griff prägte. Der Historiker Christopher Lasch gab sich dagegen als Kritiker eines Zeitalters des Narzißmus und Kassandra althergebrachter Familienstrukturen. In der Bundesrepublik Deutschland hatte Herbert Gruhl, konservativer CDU-Poli-tiker, der zum Vorkämpfer für den Um-

weltschutz wurde, die Grünen mitbe-gründete und dann sofort wieder auf-grund politischer Differenzen austrat, mit Ein Planet wird geplündert 1975 die Aufmerksamkeit der Medien und der Menschen. Konrad Lorenz’ biologisch-moralistischer Bestseller Die acht Tod-sünden der zivilisierten Menschheit fand

indessen 1973 infolge seines Nobelprei-ses ein Publikum.

Konsolidierung und KonsumWarum aber trafen Gegenwartsdiagno-sen so sehr den Geist der Zeit, dass sich die Zahl der Nachdrucke und Überset-zungen schnell in den zweistelligen Be-reich bewegte? Es ist vor allem ein Drei-klang an Ereignissen, der, zusammen mit weiteren flankierenden Faktoren, den Erfolg von Gegenwartsdiagnosen ab den späten 1960er-Jahren bedingte.

Zum einen beschleunigte sich die Kon-solidierung von Buchverlagen in ein konzentrierteres Medienumfeld: Kleine Verlage wurden zunehmend von großen, transnationalen Medienkonzernen, wie etwa der expandierenden Bertelsmann-Gruppe, geschluckt. Auch hatte sich auf beiden Seiten des Atlantiks eine von der Werbeindustrie befeuerte Konsumkultur entwickelt, unter deren Einfluss sich die Verlage zusehends auf flüssig geschriebe-ne und gut verkäufliche Bücher konzen-trierten, die ihre Marketingmaschinerie als „publishing events“ inszenierte.

Notwendige Voraussetzung hierfür war, zweitens, die Existenz einer gebildeten Masse an Konsumenten, die in Westeu-ropa aus dem Aufholmarsch der durch den Krieg darniederliegenden Volks-wirtschaften, aber auch in den USA aus der Mittelklasse des Baby Booms hervor-gegangen war. Eine große Anzahl an schulisch höher gebildeten Leserinnen und Lesern, politisch interessiert und emotional involviert in die Entwicklung der Gesellschaft, war aufnahmebereite Kundschaft für Sachbücher, die sich an der Schnittstelle von akademischer Wis-sensproduktion und populärem Ver-ständnis aktueller Gemengelagen befan-den. Seit der zweiten Hälfte der 1960er-Jahre verlangte es diese Bürgerinnen und Bürger nach Orientierungshilfen in einer Gesellschaft, die scheinbar urplötzlich auf vielen Ebenen in ungeahnte Kom-plexitäten aufbrach.

Schließlich war nach den Unruhen der „langen 1960er-Jahre“ und der mit ihnen

Gegenwartsdiagnosen trugen zum Gefühl der Krise bei, andererseits boten sie aber auch erklärung oder gar lösungsansätze.

Mit farbigen, großformatigen Anzeigen wie hier im New York Times Magazine bewarben Buchclubs wie

die amerikanische Literary Guild ihre Auswahl. Buchclubs brachten günstig und mit großem Erfolg auch

Gesellschaftsdiagnosen unter die Leser. Sie trafen eine Vorauswahl mit den wichtigsten „großen“ Büchern.

So waren viele Menschen vertraut mit den Autoren und ihren Thesen.

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Aus der Forschung GeSellScHAfTSFoRSchuNg 2.15

einhergehenden Politisierung der Men-schen eine Möglichkeit für öffentliche Debatten entstanden. Die wirklichen und erwarteten Krisen der 1970er-Jahre konnten so in vielen westlichen Gesell-schaften in der Öffentlichkeit angespro-chen werden. Außenpolitisch hatte es gleichzeitig die Entspannungspolitik zwischen den Supermächten innerhalb des Weltsystems des Kalten Krieges ge-schafft, „eine gefährliche Situation in ein berechenbares System zu überführen“, wie der Historiker John Lewis Gaddis schreibt. Mit dieser Entwicklung eröffne-te sich ein diskursiver Raum, in dem ver-schiedenste Probleme und Sachlagen diskutiert wurden. Ein diskursiver Raum, der noch durch meinungsma-chende Medien bestimmt war, die erst

später, in den späten 1980er- und in den 1990er-Jahren in der digitalen Zerfled-derung der Medienwelt ihre Dominanz verlieren sollten. Noch gab es „Straßen-feger“ im Fernsehen, und noch maß man den Kommentatoren der Leitmedien eine selten hinterfragte Autorität bei.

Die TaschenbuchrevolutionDen Gegenwartsdiagnosen half auch ein Phänomen auf die Bestsellerlisten, das heute oft vereinfachend als „Taschen-buchrevolution“ bezeichnet wird. Kurz gesagt, man konnte Bücher durch tech-nische und unternehmerische Innova-tionen in Masse billiger produzieren und vertreiben. Das führte dazu, dass Bücher jenseits von Ohrensessel und Studier-zimmer neue Leserschaften fanden.

Buchclubs im Besonderen waren es, die günstig und mit großem Erfolg auch Ge-sellschaftsdiagnosen unter die Leute brachten. Ihr Geschäftsmodell basierte auf dem verlässlichen Absatz von günstig in Massen gedruckten Werken. Dabei konzentrierten die Buchclubs ebenso das, was gelesen wurde: Nur wenige „große“ Bücher wurden überhaupt von ihnen auf den Markt gebracht. Wer im Buchclub Mitglied war und sich nicht aktiv für sein monatliches Buch ent-schieden hatte, bekam typischerweise ein vom Club als „Buch des Monats“ an-gepriesenes Werk automatisch zugestellt. So hatten viele Menschen selbst ohne ak-tives Zutun Gegenwartsdiagnosen in der Hand und waren dadurch einigermaßen vertraut mit den Autoren und ihren The-sen. Damals wie heute war es allerdings nicht unbedingt eine Notwendigkeit, ein Buch auch tatsächlich gelesen zu haben. Für die bildungsbürgerliche Mittel-schicht gehörte es zum guten Ton, sich Bücher, über die man sprach, repräsen-tativ ins Regal zu stellen. Nicht zuletzt bot das Sicherheit und Selbstvergewisse-rung in einer offenbar immer hektischer agierenden, schneller werdenden Zeit.

Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels für 1973 an den Club of Rome in der Pauls kirche in Frankfurt. Mit der Studie Die Grenzen des Wachs-

tums brachte der Club of Rome die damalige Stimmung auf den Punkt; das Buch wurde zur Chiffre einer Zeitenwende. Die Grenzen des Wachstums beruhte

auf einer Computersimulation und warnte vor sich erschöpfenden Vorräten und explodierenden Preisen für Rohstoffe und Energie. Es wurde in fünfunddreißig

Sprachen übersetzt und insgesamt neun Millionen Mal verkauft. V. l. n. r.: Ernst Klett, Aurelio Peccei, Eduard Pestel (beide Mitglieder des Exekutiv- Komitees des

Club of Rome).

eine zunehmend höher gebildete leserschaft war aufnahmebereit für Sachbücher an der Schnittstelle von Wissenschaft und populären erklärungsansätzen.

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Die Gunst des AugenblicksBeschleunigung war es denn auch, die Zeitdiagnostiker allenthalben feststell-ten. Alvin Tofflers Future Shock prägte von 1970 an diese Wahrnehmung in den USA. „The future always comes too fast and in the wrong order“, proklamierte er in einer offensichtlichen Analogie zum Culture-Shock-Konzept, das zum Veröf-fentlichungszeitpunkt en vogue war. Toff-ler, der seine Bücher in Koautorschaft

mit seiner auf dem Titel jedoch nicht ge-nannten Frau Heidi schrieb, war nicht im eigentlichen Sinne Akademiker, aber er drang von populärer Seite in akademi-sche Diskurse. „Future Shock is where it’s at“, konnte man Marshall McLuhans Zi-

tat auf den Buchrücken des Mega-Best-sellers lesen. „Der Zukunftsschock“ sei wegweisend. Dass McLuhan sich in sei-ner Empfehlung des Buchs der Sprache

der Jugend bediente, war dem Verkaufs-erfolg sicher nicht abträglich.

Es war ein besonderer kultureller Mo-ment der gesellschaftlichen Partizipation von den 1960ern bis in die 1980er-Jahre,

geprägt durch die 68er-Studentenbewe-gung, die amerikanische Bürgerrechts-bewegung, die Vietnam-Proteste und die Alternativbewegungen, in dem Gegen-wartsdiagnosen bevorzugt rezipiert wur-den. Sie wurden generationenübergrei-fend gelesen, denn stets waren Gegen-wartsdiagnosen eben nicht nur um die Gegenwart besorgt, sondern vor allem um die Zukunft. Die Zukunftsforschung, die sich ab den 1960er-Jahren im Zusam-menspiel von Akademie und Öffentlich-keit formiert hatte, war eine Wegbereite-rin für gegenwartsdiagnostische Publi-kationen. Außer Toffler, der an ihrem Rand firmierte, war es in der BRD vor al-lem Robert Jungk, der die um das Mor-gen Besorgten mit für das Heute ver-wendbaren Schriften versorgte. Sein Buch Der Atomstaat warnte 1977 ein-dringlich vor den Gefahren nicht nur der Atomkraft, sondern vor allem eines staatlichen Sicherheitsapparates, der ih-retwegen notwendigerweise aufgebaut werden müsse.

Sowohl in Europa als auch in den USA stellte eine neue Generation verkrustete gesellschaftliche Strukturen infrage. Sie hatte als erste in der Breite sekundäre Schulbildung genossen und war in Wohl-

stand aufgewachsen. Anders als ihre Eltern und Großeltern war sie nicht durch Kriegs- und Mangelerfahrungen geprägt. Daher interpretierte sie jegliche Verschlechterung in ihren Lebensum-ständen als Abfallen vom vorher erleb-

Populäre Gegenwartsdiagnosen konnten Meinungen binden und bündeln.

Der Bertelsmann Club hatte in den 1980er-Jahren sechs Millionen Kunden allein in der Bundesrepublik.

Nach Expansion in die Gebiete der ehemaligen DDR wuchs die Mitgliederzahl noch einmal an, sank danach

aber stetig. Bei nurmehr etwa einer Million Kunden hat Bertelsmann die Einstellung des Clubs zum Ende des

Jahres 2015 angekündigt. Filialen – hier 2008 in Bielefeld – gibt es schon seit März 2015 nicht mehr.

Buchclubs brachten Gesellschaftsdiagnosen zu erschwinglichen Preisen und mit massiver Werbeunterstützung unter die leute.

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Zum Weiterlesen

Osrecki, F.: Die Diagnosegesellschaft: Zeit-diagnostik zwischen Soziologie und medialer Popularität. transcript, Bielefeld 2011.

Seefried, E.: Zukünfte: Aufstieg und Krise der Zukunftsforschung 1945–1980. de Gruyter, Berlin 2015.

Tietzel, M.: Literaturökonomik. J.C.B. Mohr, Tübingen 1995.

Radway, J. A.: A Feeling for Books: The Book-of-the-Month Club, Literary Taste, and Middle-Class Desire. University of North Carolina Press, Chapel Hill 1997.

Aus der Forschung GeSellScHAfTSFoRSchuNg 2.15

ten Normalzustand und damit oft ein-fach als „Krise“.

Im Brennpunkt von Markt, Politik, Wissenschaft und KulturPopuläre Gegenwartsdiagnosen konnten Meinungen binden und bündeln. Sie be-fanden sich wie keine andere Wissens-form an einem Nexus von Marktentwick-

lungen und -kräften, politischen und aka-demischen Debatten und populärer Kul-tur. So wie die Diagnosen ein hybrides Genre verkörperten, so stellten ihre Auto-ren hybride Autoritätsfiguren dar. Sie wa-ren gefragt wegen ihres Fachwissens, gleichzeitig aber auch für die populäre Öf-fentlichkeit aufgrund ihres Abseits-Ste-hens von der Wissenschaft als solcher ver-einnahmt. Autorität und Popularität der Diagnostiker verstärkten sich gegenseitig. Letztlich beurteilte man sie danach, wie gut ihre Werke in die Themen öffentlichen Diskurses und privater Ängste, die in der Gesellschaft vorherrschten, pass ten.

Spätestens zu Beginn der 1990er-Jahre, mit dem Einzug des Kabelfernsehens und dem Ende des Kalten Kriegs, der die Welt in zwei Pole geteilt und damit einfa-chen Zuordnungen von Gut und Böse Vorschub geleistet hatte, hatte sich die Art und Weise, wie Gegenwartsdiagnos-tiker ihre Diagnosen und Empfehlungen präsentierten, überlebt. In einer verän-derten politischen und medialen Welt wurden Bücher immer weniger gelesen –

der „Buchgebrauch“, so die recht treffen-de statistische Vokabel, ging deutlich zu-rück. Zum Abflauen der Konjunktur für derartige Bücher hatten allerdings auch deren eigene, teils geradezu apokalypti-sche Botschaften beigetragen: Die Welt vor einer zeitnah drohenden Katastro-phe zu retten, dafür konnte man Men-schen aktivieren und interessieren. Je-doch waren weder die Grenzen des Wachstums deutlich spürbar, noch zer-störte Atomkraft die Menschheit. Das bedeutete zwar nicht das Ende populärer gegenwartsdiagnostischer Sachbuchlite-ratur, jedoch markierte es das Ende einer besonderen historischen Konstellation, in der deren Autoren mit ihren Büchern gesellschaftliche Debatten auf allen Ebe-nen prägen konnten.

Die apokalyptischen Botschaften der Bücher selbst trugen zum Abflauen ihrer Konjunktur bei.

Robert Jungk, Zukunftsforscher, Journalist und

Sachbuchautor, hatte mit Der Atomstaat Ende der

1970er-Jahre großen Erfolg in der Bundesrepublik.

Jungk engagierte sich beständig in der Friedens-

und Anti-Atomkraft-Bewegung.

Alvin und Heidi Tofflers Future Shock mit seiner

Zeichnung von fortschreitender, aber handhab-

barer Beschleunigung war ab 1970 vor allem in

den USA in aller Munde.

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So wie möglicherweise allen, die in Al-berobello geboren sind, ist wohl auch Lucio Baccaro ein kämpferischer Geist in die Wiege gelegt worden. Dass der junge Baccaro schon früh angefangen hat, sein kritisches Denken zu trainieren, liegt zum einen sicher an seinem akademischen El-ternhaus: Seine Mutter war Lehrerin, sein Vater Rechtsanwalt. Zum anderen ist es Alberobello – ein besonderer Ort mit ei-nem besonderen Geist. Denn der Name der kleinen Stadt leitet sich vom lateini-schen Silva Arboris Belli ab und heißt übersetzt so viel wie „Baum des Krieges“. Die 11.000-Seelen-Gemeinde an der Fer-se des italienischen Stiefels in Apulien ist berühmt für ihre typischen kleinen Stein-bauten mit ihren kegelförmigen Dächern – Weltkulturerbe der Unesco. In diesem einzigartigen Dorf mit seinen schmalen Gassen und Straßen wurde 1966 Pasqua-le Vincenzo „Lucio“ Baccaro als älterer von zwei Brüdern geboren. Seinen sym-pathisch streitbaren Geist hat sich der ita-lienische Politökonom bis heute bewahrt. Seit Oktober 2015 ist der vielfach ausge-zeichnete Wissenschaftler Scholar in Re-sidence am Max-Planck-Institut für Ge-sellschaftsforschung in Köln.

Hegel, Kant und die Welt vor den FüßenAls heller Kopf bekam er schon früh An-erkennung: 1984 gehörte Baccaro zu den

fünfundzwanzig besten Abiturienten in Italien. Für diese Leistung erhielt er vom italienischen Staatspräsidenten Sandro Pertini die seit 1961 vergebene Auszeich-nung „Alfiere del Lavoro“ und eine da-mit verbundene Studienförderung. „Ich begann erst Jura zu studieren“, sagt Bac-caro – ein Fach, das auch damals vie-len Abiturienten die beste Vorausset-zung für eine erfolgversprechende Kar-riere zu sein schien. „Doch schon nach einem halben Jahr brach ich das Studi-um ab. Ich fand es viel zu langweilig. Ich wollte unbedingt Philosophie studieren“, meint Baccaro heute und muss schmun-zeln. Denn seine Eltern waren von sei-ner Entscheidung ganz und gar nicht an-getan. „Sie wirkten sehr enttäuscht und prophezeiten mir, ich würde mit Philo-sophie niemals einen Job finden.“

Doch abhalten ließ er sich nicht. „Ich war von dem Fach begeistert. Ich las He-gel und Kant. Das war unglaublich aufre-gend.“ Aber auch schwierig. „Die Texte der Philosophie waren so anspruchsvoll, dass ich mir sicher war, dass alles, was

später auf mich zukommen würde, doch leicht sein müsste“, erinnert sich Bacca-ro. Er sollte noch eines Besseren belehrt werden. Zwar schloss er 1989 sein Phi-losophiestudium an der Universität von Rom, der „La Sapienza“, mit summa cum laude ab – ein wunderbarer Abschluss. Doch fiel er schnell auf den Boden der Tatsachen zurück. Der frisch gekürte Philosoph fand keinen Job. Seine Eltern sollten also zunächst recht behalten ha-ben. „Damals hieß es tatsächlich: Die Philosophie ist tot“, bekennt er heute.

Globale akademische AusbildungDoch auch der drohende Karriereknick konnte ihn nicht erschüttern. Baccaro be-schloss, sich den Sozial- und Wirtschafts-wissenschaften zuzuwenden. „Im Grun-de war mir schon damals klar, dass man Gesellschaften nicht begreifen kann, oh-ne ihre Wirtschaft zu verstehen.“ Es be-gann für ihn nun die Zeit einer äußerst abwechslungsreichen und exzellenten Ausbildung als Politökonom mit unter-schiedlichen Stationen: Er machte sei-nen Master of Business Administration in Ercolano bei Neapel, wurde unter an-derem Forschungsassistent bei Professor Tiziano Treu – einem angesehenen italie-nischen Politiker und ehemaligen Minis-ter –, studierte Politikwissenschaft und Politische Ökonomie am Massachusetts

Der Mann für die BalanceDass die Politische Ökonomie heute in Zeiten von Finanz- und Schulden krisen sehr gefragt ist, zeigt sich an Lucio Baccaro. Der Italiener zählt zu den wichtigen Politökonomen unserer Zeit. Speziell in der Vergleichenden Politikwissenschaft hat er sich international einen Namen gemacht. Als Scholar in Residence am MPIfG in Köln nimmt er vor allem das deutsche Wachstumsmodell unter die Lupe.

Martin Roos

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Ich wollte unbedingt Philosophie studieren.

GeSellScHAfTSFoRSchuNg 2.15 Forscherportrait

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Institute of Technology (MIT) in den USA, forschte zum Thema industrielle Beziehungen an der ehrwürdigen Uni-versität Pavia im Norden Italiens, wur-

de für ein Jahr Visiting Scholar am Isti-tuto di Ricerche Economiche e Sociali (IRES) in Rom und machte 1999 am MIT schließlich seinen PhD in Industrial Re-lations und Political Science. „Ich hatte danach sehr attraktive Angebote aus der Industrie“, meint Baccaro. Doch die Aus-sicht auf ein Leben mit vielen materiel-len Verlockungen stand nicht in seinem Fokus. „Ich wollte akademisch arbeiten. Geld interessierte mich einfach nicht so.“

Nach weiteren Forschungsjahren am MIT und an der International Labour Organi-zation (ILO) ist er seit 2009 Professor für Soziologie an der Université de Genève in der Schweiz. Dort lebt er heute mit seiner Familie. Neben Stipendien und Förderun-gen erhielt er zahlreiche Preise, darunter 2011 den International Geneva Award. Regelmäßig veröffentlicht er in renom-mierten Zeitschriften wie dem British Journal of Political Science, International Organization oder dem British Journal of Industrial Relations. Wissenschaftler zäh-len Baccaro heute zu den „relevanten Ex-perten“ im Bereich Vergleichende Politi-sche Ökonomie. Er gilt als einer der Ken-ner von Arbeitsmarktbeziehungen, Wirt-schaftswachstum und Sozialpolitik.

Deutsche Exportorientierung im FokusIn der Vergleichenden Politikwissenschaft waren in den vergangenen zehn Jahren Forschungen speziell zu den verschiede-nen „Spielarten des Kapitalismus“ – auch Varieties of Capitalism (VoC) genannt – sehr populär. Sie basierten auf der An-nahme, dass es mehr als eine „Variation“ des Kapitalismus gibt und dass jede von ihnen durch die unterschiedlichen Insti-tutionen in den jeweiligen Ländern be-einflusst wird. Die unter dem Begriff Kor-

poratismus festgehaltenen verschiedenen Formen der Beteiligung bestimmter ge-sellschaftlicher Gruppen an politischen Entscheidungsprozessen und ihr Zusam-

menspiel sind für die jeweilige wirtschaft-liche Orientierung der Länder entschei-dend. Baccaro greift nun diesen Faden auf und versucht, die VoC-Perspektive zu erweitern. So stellt er beispielsweise neue Querverbindungen zwischen den Kapita-lismustypen einerseits und Wohlfahrts-staaten oder Regierungssystemen ande-rerseits her. Seine aktuellen Forschungen betreffen vor allem Deutschland, Groß-britannien, Schweden und Italien.

So sieht Baccaro den deutschen Export-drang auf Dauer als problematisch an  – nicht nur für die europäischen Nachbarn, sondern auch für die Bundes republik selbst. Die jetzige Lohn- und Wirtschafts-politik begünstige mit ihrer geringen

Lohnsteigerung und ihrem äußerst zu-rückhaltenden staatlichen Investitionsen-gagement die seit einigen Jahren übermä-ßigen Exportüberschüsse. Die Folge sei zwar ein Anstieg der preislichen inter-nationalen Wettbewerbsfähigkeit, gleich-zeitig bewirke dies aber eine Schwächung der Dynamik im Binnenmarkt und des gesamtwirtschaftlichen Wachstums. „Es scheint in Deutschland eine Beziehung zwischen dem Wachstum des Nettoex-ports und dem Wachstum des Privatver-brauchs zu geben“, sagt Baccaro.

Vor allem im Euroraum geht die hohe Exportquote des einen zulasten des an-deren – so stehen den Exportüberschüs-sen Deutschlands notwendigerweise die Defizite der Handelspartner gegenüber. Ihre Außenhandelsdefizite müssen von den Ländern durch Kreditaufnahme im

Ausland finanziert werden. Auch deswe-gen betonen Kritiker der deutschen Ex-portpolitik: Nicht nur die Schuldenkri-se, sondern auch die Lohnkostenunter-schiede und Wettbewerbsvorteile haben zur Eurokrise geführt.

Lucio Baccaros apulischer Heimatort Alberobello ist bekannt für seine Trulli – ohne Mörtel gemauerte

Rundbauten mit Kegeldächern, seit 1996 Teil des UNESCO-Weltkulturerbes.

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Gesellschaften kann man nicht begreifen, ohne ihre Wirtschaft zu verstehen.

Der deutsche exportdrang ist auf Dauer problematisch – nicht nur für die europäischen Nachbarn, sondern auch für die Bundesrepublik.

Forscherportrait GeSellScHAfTSFoRSchuNg 2.15

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GeSellScHAfTSFoRSchuNg 2.15 Forscherportrait

Deutsche institutionelle DNADie geringen Lohnsteigerungen in Deutschland seien freilich auch das Er-gebnis von Lohnverhandlungen mit den Arbeitnehmerverbänden. „Die Export-orientierung in Deutschland ist ein po-litisches Phänomen“, meint Baccaro. In Deutschland gebe es einen hegemonia-

len Block, der aus Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretern bestehe und der die Interessen der Exportwirtschaft vor-antreibe. Die Anzahl der Akteure, die ih-ren Fokus auf den Binnenmarkt legten, sei in Deutschland verschwindend ge-ring. Das Hauptziel der exportorientier-ten Union und der Arbeitgeberverbände sei natürlich auch immer die Jobsiche-rung, sagt Baccaro. Und genau dieses Ziel bringe beide Seiten dazu, Kompromis-se und Zugeständnisse zu machen. Dass die Gewerkschaften einen solchen wirt-schaftspolitischen Kurs mehr oder weni-ger mittrügen, sei für Europa zwar sehr eigentümlich, aber nicht wirklich ver-wunderlich: „Ein Facharbeiter verdient in Deutschland heute sehr gut. Warum sollten die Gewerkschaften aktuell einen anderen politischen Weg einschlagen?“, fragt Baccaro.

Die große Neigung zum Export war im-mer schon Teil der institutionellen DNA in der Bundesrepublik. „Es ist allerdings schon bemerkenswert, inwieweit sich das deutsche Modell in den vergangenen Jahren radikalisiert hat“, erklärt Baccaro. Tatsächlich stieg der Anteil der Exporte von Waren und Dienstleistungen am Bruttoinlandsprodukt in der Bundesre-publik seit Mitte der 1990er-Jahre ex-trem: Die Exportquote war 1994 kleiner als 20 Prozent und stieg auf 40 Prozent in 2007. Die bedenkliche Konsequenz für

das Land: Deutschlands Abhängigkeit von der Entwicklung der Weltwirtschaft wird immer größer. Auch deswegen fragt Baccaro stets kritisch in seinen Vorle-sungen: Ist die Radikalisierung der deut-schen Export orien tierung vielleicht nur ein Scheinerfolg? Wie nachhaltig ist sie? Was wäre, wenn Deutsch land in den

vergangenen Jah-ren mehr auf seine binnenwirtschaft-liche Ausrichtung gesetzt hätte? Hat

das Land möglicherweise leichtfertig Wachstums chancen vergeben?

Der Traum einer ausgewogenen WeltwirtschaftEindeutige Antworten sind schwierig. Baccaro meint: Wenn die Euro-Wäh-rungsunion weiter fortbestehen soll, dann werden die absolut notwendi-gen strukturellen Reformen in Italien, Frankreich oder den anderen mediterra-nen Ländern nicht ausreichen. Auch die Deutschen werden Zugeständnisse ma-chen müssen, um die Divergenzen zwi-schen den Euroländern zu verringern. Deutschland müsste sich bemühen, sich an „unten anzupassen“, indem es mehr in die eigene Infrastruktur und Bildung investiert und bewusst auf die aktuelle Wettbewerbsfähigkeit verzichtet.

Allerdings weiß auch Baccaro: Eine sol-che Forderung an die Bundesrepublik wäre wohl nicht sehr fair. Denn würde Frankreich sich von seiner Kernenergie trennen? Würde Großbritannien sich von seiner Finanzwirtschaft verabschieden? „Warum sollte Deutschland die wichtigste Quelle seines ökonomischen Erfolgs auf-geben?“, fragt Baccaro. Für ihn wäre des-wegen ein gut „verhandelter Abbau“ des Euro in Europa die beste Lösung.

Baccaro plädiert für eine „globale Öko-nomie in Balance“. Als Vorbild sieht er

Schweden – in der Zeit vor der Finanz-krise –, das sowohl im Export stark war als auch einen dynamischen Binnen-markt vorweisen konnte. Nichts von bei-dem habe hingegen Italien. Sein Heimat-land sieht Baccaro als den aktuellen Ver-lierer Europas. „Wenn es nach mir ginge, würde ich Italien temporär aus dem Eu-

ro herausnehmen“, erklärt Baccaro. Seit-dem sein Land der Eurozone beigetreten ist, konnte es kaum Wachstum generie-ren. Die wirtschaftliche Leistung Itali-ens über diesen Zeitraum ist damit sogar noch schlechter als die Griechenlands.

Als Politiker nicht geschmeidig genugDass Italien aber tatsächlich für eine be-stimmte Zeit aus der Eurozone austritt, sei für italienische Politiker unvorstellbar. „Das grenzt für sie an Blasphemie“, meint Baccaro. Zu gerne würde er sie wohl aber einmal persönlich überzeugen. Über-haupt kann er sich vorstellen, in Zukunft Politiker zu beraten – sei es in Italien, sei-nem Geburtsland, oder auch der Schweiz, wo er seinen Wohnsitz hat. Doch in dem von vielen Abhängigkeiten bestimmten politischen Spiel selbst einmal Verant-wortung zu übernehmen, kommt für ihn nicht infrage: „In der Politik muss man viele Kompromisse machen – ich wäre als Politiker sicher vollkommen ungeeignet.“

Kampfgeist genug hätte er – ja schon von Geburt an – sicher, um auch eine solche Position erfolgreich zu meistern. Doch noch besser ist es, er bleibt bei der Wissen-schaft: Sie braucht Leute wie Lucio Bac-caro, die immer wieder kritisch und akri-bisch darüber nachdenken, wie der Über-gang zu einem neuen sozialen und ökono-mischen System in einer dynamischen und modernen Gesellschaft aussehen könnte.

Deutschland muss sich „an unten anpassen“.

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Nachrichten

Scholar in Residence 2015/2016: lucio Baccaro

Lucio Baccaro, Professor für Soziologie an der Universität Genf, Schweiz, ist seit Oktober 2015 als Scholar in Residence Gast am MPIfG. Er bot während seines Aufenthalts in Köln eine Vortragsreihe zum Thema „The Growth Model Per-spective on Comparative Capitalism“ an. In den drei Vorträgen setzte er sich mit verschiedenen europäischen Wachs-

tumsmodellen und den Veränderungen, denen sie durch die zunehmende Liberalisierung ausgesetzt sind, auseinander. Die Vorträge fanden am 7., 14. und 21. Oktober 2015 am MPIfG statt. Das MPIfG lädt jährlich einen führenden Wissenschaftler aus den Politik-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften für sechs Monate an das Institut ein. Scholars in Residence verfol-gen ein Forschungsprojekt, das thematisch an die Schwerpunk-te der Forschung am MPIfG anschließt.

Portrait S. 11Scholar in Residence Lectures S. 23

Neue co­Direktorin am MaxPo: Jenny Andersson

Jenny Andersson ist neue Co-Direktorin am Max Planck Sciences Po Center on Coping with Instability in Market Socie-ties (MaxPo) in Paris. Die Wirtschafts-historikerin aus Schweden ist CNRS-Pro-fessorin am Centre d’études européennes (CEE) und Leiterin von FUTUREPOL, einem Sciences-Po-Projekt zur transna-

tionalen Geschichte der Zukunftsforschung und zur Ideenge-schichte von Zukunftsforschung in der Nachkriegsära. Am MaxPo wird sie ihre Forschung zur Rolle der Zukunft im wirt-schaftlichen Handeln fortsetzen und eine interdisziplinäre For-schungsgruppe zur Untersuchung der Bedingungen politischen Handelns in der Zeit nach der Krise gründen. Jenny Anders-son, die das Center gemeinsam mit Olivier Godechot leiten wird, nahm ihre Arbeit im November 2015 auf. Das MaxPo wurde 2012 in Paris gegründet und erforscht die Auswirkun-gen zunehmender Liberalisierung, technischen Fortschritts und kultureller Veränderungen auf westliche Industriegesell-schaften. Es wird gemeinsam von der Universität Sciences Po und dem Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung ge-tragen.

www.maxpo.eu

Mark lutter habilitiertIm Oktober 2015 wurde Mark Lutter von der Wirtschafts- und Sozialwissenschaft-lichen Fakultät der Universität zu Köln die Venia Legendi im Fach Soziologie er-teilt. Das Thema seiner Habilitations-schrift lautet The Winner Takes It All: Der Einfluss sozialer Strukturen auf Verteilung und Konzentration von Erfolg. Mark Lut-

ter ist seit 2014 Leiter der Forschungsgruppe „Transnationale Diffusion von Innovationen“ am MPIfG.

Nachrichten GeSellScHAfTSFoRSchuNg 2.15

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GeSellScHAfTSFoRSchuNg 2.15 Nachrichten

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Wie der Kapitalismus die familie verändertInstitutstag 2015 des MPIfG

Schrumpfende Familien, Überalterung der Gesellschaft und Veränderungen der Lebens- und Arbeitswelten erfordern neue Lösungen von Politik und Wirtschaft, und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie wird zu einer zentralen Herausforde-rung für die Zukunft. Diese Herausforderung war Thema des achten Institutstags des MPIfG am 5. und 6. November 2015. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des MPIfG disku-tierten mit Gästen aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik den Status quo, Zukunftsaussichten und Alternativen. Der Ins-titutstag wird gemeinsam vom Institut und dem Verein der Freunde und Ehemaligen des MPIfG getragen.

Konferenzbericht S. 24Podcasts der Beiträgewww.mpifg.de/aktuelles/veranstaltungen/institutstag_de.asp

Die Ökonomisierung des SozialenInternationale Konferenz in New York

Im Juni 2015 fand die Konferenz „The Economization of the Social since the 1970s“ an der New School for Social Research in New York statt. Das Treffen diente dem interdisziplinären Austausch unter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus Europa und den USA über den historischen Prozess der Neudefinition des Sozialen, der unter den veränderten wirt-schaftlichen und sozialen Bedingungen der 1970er-Jahre be-gann. Aus den Blickwinkeln von Soziologie, Politikwissen-schaft und Geschichtswissenschaft diskutierten die Teilnehme-rinnen und Teilnehmer unterschiedliche Dimensionen der Ökonomisierung. Ariane Leendertz, Leiterin der Forschungs-gruppe Ökonomisierung des Sozialen und gesellschaftliche Komplexität am MPIfG, hat diese Konferenz gemeinsam mit Wolfgang Streeck, Direktor emeritus am MPIfG, und Julia Ott von der New School for Social Research organisiert.

Territories of the economyMax Planck Summer Conference 2015 in Reims

Zur zehnten Max Planck Summer Conference on Economy and Society vom 5. bis 8. Juli 2015 trafen sich rund dreißig Forsche-rinnen und Forscher in Reims. Die Konferenz vereinte aktuelle Forschung in der politischen Ökonomie und Wirtschaftssozio-logie. Unter der thematischen Klammer „Territories of the Economy“ wurden aktuelle Forschungsarbeiten präsentiert und diskutiert, unter anderem zur politischen Ökonomie von Aus-landsadoptionen, zum Zusammenhang zwischen Wohlstand und Staatsschulden, zu den Auswirkungen von Naturkatastro-phen auf Wahlergebnisse, zur Arbeitsmarktpolitik in Zeiten der Liberalisierung oder zum Wachstum der Großstädte. Die jährli-chen Max Planck Summer Conferences geben Nachwuchswis-senschaftlerinnen und -wissenschaftlern die Möglichkeit, Feed-back und wichtige Anstöße von erfahrenen internationalen Fachkollegen zu ihren Forschungsarbeiten zu erhalten. Sie wer-den wechselseitig von der International Max Planck Research School on the Social and Political Constitution of the Economy (IMPRS-SPCE) und ihren Partnerinstitutionen (Columbia Uni-versity, Northwestern University, Sciences Po, European Uni-versity Institute) in Europa und den USA ausgerichtet.

faire finanzindustrie? Sechste gemeinsame Tagung mit dem IW

Zu ihrer VI. Wissenschaftli-chen Tagung luden das MPIfG und das Institut der deut-schen Wirtschaft (IW) am 10. November in Köln ein. Unter der Überschrift „Faire Finanz-industrie? Compliance – Cul-ture – Conduct“ diskutierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler beider Institutio-nen und ihre Gäste, wie die Finanzindustrie ihren Ruf verbes-sern und Banken das verlorene Vertrauen ihrer Stakeholder zu-rückgewinnen können. In ihren Beiträgen adressierten die Vortragenden das Dilemma zwischen Kontrolle und Vertrau-en, in dem sich die Finanzindustrie befindet, und fragten, ob die Finanzialisierung schuld sei an der steigenden Ungleich-heit. Überdies betrachteten sie das Zeitregime in den Finanz-märkten unter wirtschaftshistorischen und ökonomischen Ge-sichtspunkten und gaben konkrete Einblicke in die Finanz-marktregulierung nach 2008.

Konferenzbericht S. 22

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ehrendoktorwürde für Wolfgang StreeckWolfgang Streeck erhielt am 30. Oktober im Rahmen eines Fest akts in Odense die Ehrendoktorwürde der Universität Süd-dänemark (Syddansk Universitet). Wolfgang Streeck war von 1995 bis 2014 Direktor am MPIfG.

Timur ergen erhält Theodor­Wessels­Preis

Timur Ergen wurde im November 2015 mit dem Theodor-Wessels-Preis für her-ausragende wissenschaftliche Arbeiten im Bereich der Energiewirtschaft ausge-zeichnet. Als einer von zwei Preisträgern erhielt er die Auszeichnung für seine Dissertation über die Politische Ökono-mie der Photovoltaikindustrie. Darin be-schreibt er die Geschichte der Photovol-

taik als Gefüge aus großen Hoffnungen, ambitionierten Durch-setzungsversuchen und wiederkehrendem Kollektivscheitern. Der mit insgesamt 10.000 Euro dotierte Preis wird für wissen-schaftliche Arbeiten vergeben, die für die Klärung betriebs- und volkswirtschaftlicher Fragen der Energiewirtschaft oder für die Lösung wichtiger Aufgaben der Energiepolitik einen bedeutenden Beitrag leisten. Timur Ergen war von 2010 bis 2014 Doktorand an der International Max Planck Research School on the Social and Political Constitution of the Economy (IMPRS-SPCE) und ist heute wissenschaftlicher Mitarbeiter am MPIfG.

Theodor-Wessels-Preiswww.ewi.uni-koeln.de/ewi-community/theodor-wessels-preis

Preis der fritz Thyssen Stiftung an Dominic Akyel und Jens BeckertDominic Akyel und Jens Beckert wurden im Juli 2015 für ihren Artikel Pietät und Profit: Kultureller Wandel und Marktentste-hung am Beispiel des Bestattungsmarktes von der Jury des Prei-ses der Fritz Thyssen Stiftung für sozialwissenschaftliche Zeit-schriftenartikel Jahrgang 2014 mit dem zweiten Preis geehrt. In dem in der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsycho-logie erschienenen Artikel zeigen die Autoren am Beispiel der historischen Entwicklung der Totenfürsorge in Deutschland, dass kultureller Wandel eine ebenso wichtige Voraussetzung für die Entstehung eines neuen Marktes ist wie technologische Innovationen, Preisveränderungen und politische Regulie-rung. Der Preis wird jährlich für die besten sozialwissenschaft-lichen Aufsätze in deutscher Sprache vergeben.

lukas Haffert mit Preis der Körber­Stiftung ausgezeichnet

Den zweiten Preis des Deutschen Studienpreises 2015 erhielt Lukas Haffert für seine Dissertation „Freiheit von Schulden – Freiheit zur Gestaltung? Die politische Ökonomie staatlicher Haushaltsüber-

schüsse“. Seine Analyse von Ländern, die dauerhaft Haushalts-überschüsse erwirtschaften, zeigt, dass selbst umfangreiche Haushaltsüberschüsse die zunehmende Erosion staatlicher Ge-staltungsfähigkeit kaum aufhalten können. Die Preisverleihung fand am 26. November 2015 in Berlin statt. Die Körber-Stif-tung zeichnet jährlich die besten deutschen Nachwuchswissen-schaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler aller Fachrich-tungen aus und vergibt Preise im Gesamtwert von über 100.000 Euro. Lukas Haffert war von 2010 bis 2014 Doktorand am MPIfG und ist heute Oberassistent am Institut für Politikwis-senschaft der Universität Zürich.

Die Preisträgerhttp://tinyurl.com/koerber-zweite-preise

Nachrichten GeSellScHAfTSFoRSchuNg 2.15

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NachrichtenGeSellScHAfTSFoRSchuNg 2.15

Acht Promotionen an der IMPRS­SPce im Sommer 2015

Im Rahmen einer Promotionsfeier am 14. Juli 2015 gratulierte das MPIfG den diesjährigen Absolventinnen und Absolventen der International Max Planck Research School on the Social and Po-litical Constitution of the Economy. Acht Doktorandinnen und Doktoranden haben im akademischen Jahr 2014/2015 ihre Dis-sertationen abgeschlossen und erfolgreich verteidigt: Nina Engwicht zum illegalen Markt für Diamanten in Sierra-Leone; Felipe González zur Mikrofundierung der Finanzialisierung im chilenischen Kreditmarkt; Till Martin Kaesbach zur europäischen Finanzmarktregulierung in Krisenzeiten; Aldo Madariaga zu Kontinuität und Wandel in neoliberalen Entwicklungsländern; Isabella Reichert zu Status und Exploration im Literaturmarkt; Marcin Serafin mit einer soziologischen Untersuchung von Ar-beitszeitpraktiken der Taxifahrer in Warschau; Christian Tribowski über die politische Ökonomie von Auslandsadoptionen in Deutschland und den USA; und Solomon George Zori zur Über-nahme internationaler Rechnungslegungsstandards in Afrika. Die IMPRS-SPCE ist ein vom MPIfG und der Wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln ge-meinsam getragenes internationales Doktorandenprogramm.

Sebastian Kohl erhält Bengt Turner AwardFür seinen Beitrag zur Konferenz des European Network of Housing Research gewann Sebastian Kohl im Juli den zweiten Preis des Bengt Turner Awards. Sein Aufsatz „Urban History Matters: Explaining the German-American Homeownership Gap“ beschäftigt sich mit den Gründen für die seit dem 19. Jahrhundert unverändert unterschiedlichen Wohneigentums-quoten in den USA und Deutschland. Sebastian Kohl war bis 2014 Doktorand an der IMPRS-SPCE.

Ariane leendertz ist neue Sektionssprecherin

Ariane Leendertz ist im Herbst 2015 zur Sprecherin der Mitarbeitervertreter der Institute der Geistes-, Sozial- und Hu-manwissenschaftlichen Sektion (GSHS) in der Max-Planck-Gesellschaft (MPG) gewählt worden. Sie ist damit Ansprech-partnerin des Sektionsvorsitzenden und koordiniert die Ernennung von Mitar-

beitervertretern als Mitglieder von Berufungs- und Präsiden-tenkommissionen und anderen MPG-Gremien. Ariane Leen-dertz ist bereits seit 2014 Vertreterin der wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der GSHS im Senat der MPG. Sie leitet die Forschungsgruppe „Ökonomisierung des Sozialen und gesellschaftliche Komplexität“ am MPIfG.

Markus Burtscheidt übernimmt Vorsitz des Gesamtbetriebsrats der MPGSeit Oktober 2015 ist Markus Burtscheidt neuer Vorsitzender des Gesamtbetriebsrats der Max-Planck-Gesellschaft. Burt-scheidt, EDV-Mitarbeiter und seit 2002 Vorsitzender des Be-triebsrats am MPIfG, wird sich in seiner neuen Funktion be-triebs- und forschungspolitisch für gut 21.000 Kolleginnen und Kollegen verschiedenster Berufs- und Wissenschaftsrichtun-gen einsetzen. Neben dem aktuellen Thema der Befristung von Arbeitsverträgen des wissenschaftlichen Nachwuchses will er den Auswirkungen neuester IT-Entwicklungen und sozialer Medien auf die Arbeitswelt und den einzelnen Mitarbeiter be-sondere Aufmerksamkeit widmen.

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MPIfG BücherRenate Mayntz (ed.)Negotiated Reform: The Multilevel Governance of Financial Regulation.Publication Series of the Max Planck Institute for the Study of Societies, Volume 85. Frankfurt a.M.: Campus, 2015 | 193 SeitenISBN 978-3-50551-0 | 34,90 Euro

Extensive literature already exists on the causes and development of the recent fi-nancial crisis and the political measures taken to manage it. This book brings to-gether a group of renowned social scien-tists to focus on the interplay between in-ternational, European and national deci-sion-making processes in the reform of financial market regulation. Are those states affected by the crisis adopting in-

ternationally negotiated regulations? Or are they instead deter-mining the European and international reform agenda? Are the policies being agreed contributing to greater harmonization of financial regulation in a multilevel political system? Or is the process being dominated by differing national interests?

James Mahoney and Kathleen ThelenAdvances in Comparative-Historical Analysis.Cambridge: Cambridge University Press, 2015 | 322 SeitenISBN 978-1-107-52563-4 | $29.99 (paperback)ISBN 978-1-107-11002-1 | $60.00 (hardback)ISBN 978-1-316-37200-5 | $24.00 (eBook)

Against the backdrop of an explosion of interest in new techniques for data col-lection and theory testing, this volume provides a fresh programmatic statement about comparative-historical analysis. It examines the advances and distinctive contributions that CHA has made to the-ory generation and the explanation of large-scale outcomes that newer ap-

proaches often regard as empirically intractable. An introduc-tory essay locates the sources of CHA’s enduring influence in core characteristics that distinguish this approach, such as its attention to process and its commitment to empirically ground-ed, deep case-based research. Subsequent chapters explore broad research programs inspired by CHA work, new analytic tools for studying temporal processes and institutional dynam-ics, and recent methodological tools for analyzing sequences and for combining CHA work with other approaches. This vol-ume is essential reading for scholars seeking to learn about the sources of CHA’s enduring influence and its contemporary ana-lytical and methodological techniques.

Wolfgang StreeckGekaufte Zeit: Die vertagte Krise des demokratischen Kapitalismus (Taschenbuchausgabe).Berlin: Suhrkamp, 2015 | 351 SeitenISBN: 978-3-518-29733-9 | 17 Euro

Wolfgang Streeck legt in seinen viel dis-kutierten Frankfurter Adorno-Vorlesun-gen die Wurzeln der gegenwärtigen Fi-nanz-, Fiskal- und Wirtschaftskrise frei, indem er sie als Moment der langen neoliberalen Transformation des Nach-kriegskapitalismus beschreibt. Er analy-siert, wie sich die Spannung zwischen Demokratie und Kapitalismus über vier Jahrzehnte entfaltet hat und welche Kon-flikte daraus resultierten. Schließlich be-

leuchtet er den Umbau des europäischen Staatensystems und fragt nach den Aussichten für eine Wiederherstellung sozialer und wirtschaftlicher Stabilität. In einem ausführlichen Vorwort zu dieser Taschenbuchausgabe setzt er sich unter anderem mit seinen Kritikern auseinander und zieht eine erste Bilanz. Den Band beschließt ein Essay über die politischen Dimensionen von Geldordnungen am Beispiel des Euro.

Wolfgang Streeck legt in seinen vieldiskutierten Frank-furter Adorno-Vorlesungen die Wurzeln der gegenwärtigen Finanz-, Fiskal- und Wirt-schaftskrise frei, indem er sie als Moment der langen neo liberalen Transformation des Nachkriegskapitalismus beschreibt. Er analysiert, wie sich die Spannung zwischen Demokratie und Kapitalismus über vier Jahrzehnte entfal-tet hat und welche Konfl ikte daraus resultierten. Schließlich beleuchtet er den Umbau des europäischen Staaten systems und fragt nach den Aussichten für eine Wiederherstellung sozialer und wirtschaftlicher Stabilität. In einem ausführ-lichen Vorwort zu dieser Taschenbuchausgabe setzt er sich unter anderem mit seinen Kritikern auseinander und zieht eine erste Bilanz. Den Band beschließt ein Essay über die politischen Dimensi-onen von Geldordnungen am Beispiel des Euro.

Wolfgang Streeck ist Direktor emeritus am Max-Planck-Insti-tut für Gesellschaftsforschung in Köln.

Umschlag: Hermann Michels und Regina Göllner

ISBN 978-3-518-29733-9

€ 17,00 [D] € 17,50 [A]

»Streeck fi ndet eine Form soziologisch aufgeklärter Krisenerzählung, die es er-laubt, klarer zu sehen, statt angesichts der Komplexität der Welt zu resignie-ren.« Süddeutsche Zeitung

29733stw2133_Streeck_CTP.indd 1 28.09.15 09:03

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Neuerscheinungen GeSellScHAfTSFoRSchuNg 2.15

Bücher, Journal Articles und Discussion Papers

Page 19: GeSellScHAfTS 2 FoRSchuNg 2015 - MPIfG · Colin Crouch „Die bezifferte Welt“ – Von Demo-kratieverlust und Wissensentzug Deutschlandfunk, Andruck 07.09.2015 Der Neoliberalismus

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NeuerscheinungenGeSellScHAfTSFoRSchuNg 2.15

Patrik AspersMärkte.Berlin: Springer VS, 2015 | 174 SeitenÜbersetzung von: Markets. Cambridge: Polity Press, 2011.ISBN 978-3658087791 | 24,99 EuroISBN 978-3-658-08780-7 | 19,99 Euro (E-Book)

Unser Leben wird von Märkten be-stimmt. Sie sind für die kapitalistischen Volks wirtschaften weltweit konstitutiv und haben von Anfang an viele öffentli-che Debatten ausgelöst. Während Märk-te für die Einen der unübertroffene Mo-dus der Handlungskoordination sind, werden sie von Anderen als Quelle vie-ler gesellschaftlicher Übel eingestuft und bekämpft. Dieses Buch vereint das Wis-

sen über Märkte von Soziologie, Ökonomie und Anthropo-logie und untersucht systematisch die verschiedenen Formen von Märkten, denen wir täglich in unserem Leben begegnen.

Timur ErgenGroße Hoffnungen und brüchige Koalitionen: Industrie, Politik und die schwierige Durchsetzung der Photovoltaik. Schriften aus dem Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung, Band 83. Frankfurt a.M.: Campus, 2015 | 343 SeitenISBN 978-3-593-50499-5 | 39,90 EuroAusgezeichnet mit dem Theodor-Wessels-Preis.

Die direkte Sonnenenergienutzung hat seit den 1970er-Jahren einen beachtli-chen technischen Fortschritt und große Zukunftshoffnungen hervorgebracht. Doch trotz des hohen Mobilisierungspo-tenzials in Wissenschaft, Politik und Wirtschaft und der daraus resultieren-den großzügigen Förderung blieb die Photovoltaik bis Mitte des letzten Jahr-zehnts eine Zukunfts technologie ohne

Marktchancen. Timur Ergen zeigt, dass diese Entwicklung auf Probleme sektoraler Ordnung zurückzuführen ist: In Industrie und Politik kam es wiederkehrend zu Umsetzungsproblemen und Konflikten, die verhinderten, dass die Solartechnik effektiv weiterentwickelt und kontinuierlich unterstützt wurde.

Lukas HaffertFreiheit von Schulden – Freiheit zum Gestalten? Die Politische Ökonomie von Haushaltsüberschüssen. Schriften aus dem Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung, Band 84. Frankfurt a.M.: Campus, 2015 | 336 SeitenISBN 978-3-593-50501-5 | 45,00 EuroAusgezeichnet mit der Otto-Hahn-Medaille der Max-Planck-Gesell-schaft und dem Deutschen Studienpreis 2015 der Körber-Stiftung.

In vielen Ländern ist die Staatsverschul-dung in den letzten 30 Jahren erheblich gestiegen. Es gibt jedoch Ausnahmen: Demokratien wie Schweden, Dänemark oder Kanada gelang es, dauerhaft Haus-haltsüberschüsse zu erwirtschaften und ihre Staatsverschuldung abzubauen. Wie haben diese Länder die Überschüsse ver-wendet? Lukas Haffert kommt zu dem Ergebnis, dass die Gestaltungsfähigkeit

ihrer Politik, anders als häufig versprochen, äußerst begrenzt geblieben ist: Sie investierten nicht mehr in Infrastruktur, Bil-dung und Familien als ihre Nachbarstaaten mit Haushaltsdefi-ziten.

Daniel MertensErst sparen, dann kaufen? Privatverschuldung in Deutschland. Schriften aus dem Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung, Band 82. Frankfurt a.M.: Campus, 2015 | 387 Seiten ISBN 978-3-593-50500-8 | 39,90 Euro

Die letzten Jahrzehnte waren vielerorts durch einen außerordentlichen Anstieg privater Verschuldung gekennzeichnet, der nicht nur Wachstum und Wohlstand produzierte, sondern auch in die sozia-len und ökonomischen Verwerfungen der Finanzkrise mündete. In Deutsch-land meint man, von diesem „Pump-kapitalismus „nur wenig zu spüren, denn die historisch eigentümliche Schulden-

dynamik führte in den 2000er-Jahren zu stagnierenden und im internationalen Vergleich geringen Schuldenquoten. Daniel Mertens entwirft das Bild einer gedämpften Finanzialisierung in der vom Export und Sparen geprägten deutschen Ökono-mie.

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Philip MaderThe Political Economy of Microfinance: Financializing Poverty. Basingstoke: Palgrave Macmillan, 2015 | 304 pagesISBN 978-1-1373-6420-3 | £ 65.00 (hardback)

This book helps to understand the enig-matic microfinance sector by tracing its evolution and asking how it works as a fi-nancial system. Our present capitalism is a financialized capitalism, and microfi-nance is its response to poverty. Microfi-nance has broad-ranging effects, reach-ing hundreds of millions of people and generating substantial revenues. Al-though systemic flaws have become ob-

vious, most strikingly with the 2010 Indian crisis that was marked by overindebtedness, suicides and violence, the indus-try’s expansion continues unabated. As Philip Mader argues, microfinance heralds less the end of poverty than new, more fi-nancialized forms of poverty. While microfinance promises to empower, it generates discipline and extracts substantial re-sources from the poor, producing new crises and new forms of dispossession.

MPIfG Journal ArticlesAbstracts und Download www.mpifg.de/pu/journal_articles_de.asp

Ana Carolina Alfinito Vieira and Alex GraserTaming the Biased Black Box? On the Potential Role of Behavioural Realism in Anti-Discrimination Policy. In: Oxford Legal Studies 35(1), 2015, 121–152.

Francesco BoldizzoniOn History and Policy: Time in the Age of Neoliberalism. In: Journal of the Philosophy of History 9(1), 2015, 4–17.

Benjamin BraunGoverning the Future: The European Central Bank’s Expectation Management during the Great Moderation. In: Economy and Society 44(3), 2015, 367–391.

Helen CallaghanWho Cares about Financialization? Self-reinforcing Feedback, Issue Salience, and Increasing Acquiescence to Market-enabling Takeover Rules. In: Socio-economic Review 13(2), 2015, 331–350.

Sebastian KohlThe Power of Institutional Legacies: How Nineteenth-Century Housing Associations Shaped Twentieth-Century Housing Regime Differences between Germany and the United States. In: European Journal of Sociology 56(2), 2015, 271–306.

Sascha MünnichReadjusting Imagined Markets: Morality and Institutional Resilience in the German and British Bank Bailout of 2008. In: Socio-Economic Review, published online, 9 July 2015.

Sascha MünnichThieves, Fools, Fraudsters, and Gamblers? The Ambivalence of Moral Criticism in the Credit Crunch of 2008. In: European Journal of Sociology 56(1), 2015, 93–118.

Fritz W. ScharpfDeliberative Demokratie in der europäischen Mehrebenenpolitik: eine zweite Replik. In: Leviathan 43(2), 2015, 155–165.

Simone Schiller-MerkensCoping with Institutional Complexity: Responses of Management Scholars to Competing Logics in the Field of Management Studies (with Bernadette Bullinger and Alfred Kieser). In: Scandinavian Journal of Management 31(3), 2015, 437–450.

Wolfgang StreeckWhy the Euro Divides Europe. In: New Left Review 95, September-October 2015, 5–26.

Neuerscheinungen GeSellScHAfTSFoRSchuNg 2.15

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Aktuelle Publikationen des MPIfG www.mpifg.de/pu/mpifg_pub_de.asp

NeuerscheinungenGeSellScHAfTSFoRSchuNg 2.15

Wolfgang Streeck Warum der Euro Europa spaltet statt es zu einigen. In: Leviathan 43(3), 2015, 365–387.

Wolfgang Streeck and Lea ElsässerMonetary Disunion: The Domestic Politics of Euroland. In: Journal of European Public Policy, published online, September 2015.

MPIfG Discussion PapersAbstracts und Download www.mpifg.de/pu/discpapers_de.asp

Martin Höpner und Alexander Spielau Diskretionäre Wechselkursregime: Erfahrungen aus dem Europäischen Währungssystem, 1979–1998. MPIfG Discussion Paper 15/11.

Aleksandra MaatschAsymmetries of Anti-Crisis Measures’ Approvals by National Parliaments. MPIfG Discussion Paper 15/10.

Elizabeth CarterConstructing Quality: Producer Power, Market Organization, and the Politics of High Value-Added Markets. MPIfG Discussion Paper 15/9.

Philipp Korom, Mark Lutter and Jens BeckertThe Enduring Importance of Family Wealth: Evidence From Forbes 400, 1982 to 2013. MPIfG Discussion Paper 15/8.

Ariane LeendertzDas Komplexitätssyndrom: Gesellschaftliche „Komplexität“ als intellektuelle und politische Herausforderung in den 1970er-Jahren. MPIfG Discussion Paper 15/7.

Martin Höpner and Bojan JurczykHow the Eurobarometer Blurs the Line between Research and Propaganda. MPIfG Discussion Paper 15/6.

MaxPo Discussion PapersAbstracts und Download www.maxpo.eu/publications.asp

Olivier GodechotFinancialization Is Marketization! A Study on the Respective Impact of Various Dimensions of Financialization on the Increase in Global Inequality. MaxPo Discussion Paper 15/3.

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Veranstaltungen GeSellScHAfTSFoRSchuNg 2.15

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faire finanzindustrie? compliance – culture – conduct VI. Wissenschaftliche Tagung mit dem Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW)10. November 2015

Die VI. Wissenschaftliche Tagung des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln und des Max-Planck-Instituts für Ge-sellschaftsforschung (MPIfG) widmete sich dem Thema Steuerungs- und Kon-trollprobleme im Finanzsektor. Im ers-ten Vortrag thematisierten Detlef Fet-chenhauer (Universität zu Köln) und Dominik Enste (IW) das Dilemma zwi-schen Kontrolle und Vertrauen in der Finanzindustrie. Fetchenhauer betonte, insbesondere unklare Verantwortungs-strukturen und die Eigennützigkeit im Bankensektor machten Kontrollen des Finanzsektors notwendig. Aus einer ver-haltensökonomischen Perspektive blick-te Enste auf das Vertrauen, das Kunden und Staat den Banken heute entgegen-bringen. Wollte man den Finanzsektor auf Unternehmensebene regulieren, sei-en hier gerade die Unternehmenskultur und die Konkurrenz im Bankensektor ausschlaggebend. Die Lösung bestünde daher auch darin, ethische Haltungen zu stärken und nicht nur Regeln zu schaf-fen. Ziel müsse es sein, die Interessen von Prinzipal und Agent anzugleichen. In seinem Koreferat reflektierte Ben-jamin Braun (MPIfG) die systemische Ebene des Vertrauensproblems. Er argu-mentierte, komplexe Finanzmarktstruk-turen seien sowohl Ursache als auch Re-sultat des sinkenden Kundenvertrauens.

Im folgenden Vortrag ging Olivier Go-dechot (Max Planck Sciences Po Cen-ter on Coping with Instability in Mar-ket Societies, MaxPo) der Frage nach, ob Finanzialisierung verantwortlich für steigende Ungleichheit in OECD-Ge-sellschaften sei. Er unterstrich zum ei-nen, dass die Prozesse der Vermarktli-chung (marketization) und Verbriefung

(securitization) zu einer tief greifenden Transformation des Finanzsektors ge-führt haben. Dies habe nicht nur einen zunehmenden Beitrag des Finanzsektors am Bruttoinlandsprodukt zur Folge, son-dern auch finanzielle Aktivitäten real-wirtschaftlicher Unternehmen. Zum an-deren verdeutlichte er, dass das Wachs-tum des Finanzsektors die anwachsende Ungleichheit insbesondere in Einkom-mensspitzengruppen gestärkt habe. In ihrer Replik analysierte Judith Niehues (IW) Korrelationen zwischen Einkom-mensentwicklung von Spitzenverdienern und gesellschaftlicher Wohlstandsvertei-lung sowie sektoralen Entwicklungen in der Finanzindustrie.

In seinem Vortrag zu Zeitregimen in Fi-nanzmärkten befasste sich IW-Direk-tor Michael Hüther mit dem Realzins und diskutierte dessen makroökonomi-sche und finanzwirtschaftliche Bedeu-tung. Der Realzins ermögliche es durch die Diskontierung zukünftiger Werte auf ihren Gegenwartswert, intertempora-les Geschehen – die zeitlichen Entschei-dungen über Konsum und Investition –anzuzeigen. Die Debatten um säkulare Stagnation (Larry Summers), demografi-schen Wandel und den Mangel an siche-ren Anlagen in der Schuldenkrise ord-nete Hüther in den Kontext der sinken-den Realzinsentwicklung ein und wog die Konsequenzen des Wandels der do-minierenden Zeitpräferenz für Konsum und Investitionen gegeneinander ab. In seinem Koreferat ging Jens Beckert, Di-rektor am MPIfG, auf das sich wandeln-de Konzept von Zukunft für das wirt-schaftliche Geschehen in modernen ka-pitalistischen Gesellschaften ein. In der Diskussion wurde dann – im Lichte von

demografischem Wandel und säkularer Stagnation – die Bedeutung des Staa-tes in der Postwachstumsgesellschaft als möglicher Impulsgeber besprochen.

Zuletzt präsentierte Cornelia Woll (Sciences Po) Aspekte der Finanzmark-tregulierung nach 2008. Sie konstatier-te, dass durch die strukturelle Positi-on und das Ausnutzen von Machtun-terschieden durch den Finanzsektor ei-ne Abkopplung zwischen Regierung und Finanzindustrie stattgefunden ha-be. Sie zeigte, dass nach der Finanzkri-se als Antwort darauf zwei Arten von Kontrollinstrumenten eingeführt wur-den: Ex-ante-Informationsbeschaffung und Ex-post-(Straf-)Verfolgung von Re-

gelverletzungen (non-compliance) in der Industrie. In seinem Koreferat erläu-terte Markus Demary (IW) die prinzi-pielle Bedeutung des Finanzsektors für wirtschaftliche Aktivität und diskutierte Aspekte möglicher Regulierung. Insbe-sondere Eigenkapitalanforderungen für Staatsanleihen seien geeignet, um Re-gierungen zu disziplinieren und um Fi-nanzmärkte zu stabilisieren.

Im Anschluss an die Vorträge wurden die Bedeutung von Compliance-Regeln und Möglichkeiten, diese Regeln sowohl durch die Finanzindustrie als auch durch staatliche Institutionen durchzusetzen, kontrovers diskutiert. Die vielschichti-gen Argumente verdeutlichten, dass ein interdisziplinärer Austausch einen wert-vollen Beitrag zum besseren Verständnis der Problematik zwischen Kontrolle und Vertrauen leistet.

Alexander Spielau

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Der italienische Politökonom Lucio Bac-caro ist am MPIfG Scholar in Residence des akademischen Jahres 2015/2016. Mit dem Thema seiner Vorlesungsrei-he zu den Voraussetzungen und Folgen von Wettbewerbsfähigkeit und Wachs-tum westlicher Industriegesellschaften kehrt er zu einem zentralen Gegenstand der Politischen Ökonomie der 1980er- und 1990er-Jahre zurück. Vor dem Hin-tergrund der Liberalisierung der letzten Jahrzehnte entwickeln die Vorlesungen eine vergleichende Sichtweise auf Pro-zesse ökonomischen Wachstums, die wirtschaftlicher Stabilität und Dynamik gleichermaßen Rechnung trägt.

Aufbauend auf dem theoretischen Fun-dament der Arbeiten von John Maynard Keynes und Michal Kalecki unterschei-det Baccaro in seiner ersten Vorlesung zwi schen zwei Wachstumsmodellen: ei-nem konsum- und einem exportgetrie-benen. Während Wachstumswachstum sich im ersten Fall vor allem aus der Binnen nachfrage nationaler Privathaus-halte ergibt, hängt die Prosperität letz-terer von dem ständigen Erzielen eines Außenhan dels überschusses ab. Zur Il-lustration seiner Perspektive dient Bac-caro der Vergleich verschiedener Länder mit dem Schwerpunkt auf Deutschland und Italien.

Wirtschaftliche Dynamiken wie diese vollziehen sich, so Baccaro, keineswegs im luftleeren Raum: Als Gegenstand po-litischer Aushandlungen spiegeln sie die Kräfteverhältnisse nationaler Regierun-gen im Verhältnis zu den jeweiligen Ar-beitgeberverbänden und Gewerkschaf-ten. Besonders im Hinblick auf Arbeit-steilung und Handel zwischen nationalen Wirtschaftsräumen bedingen nationale

Verteilungskonflikte die Entstehung spe-zifischer Konstellationen im Verhältnis dieser beiden Akteursgruppen – Baccaro bezeichnet sie als social blocks.

Die Bündnisfähigkeit von Arbeitgeber-verbänden und Gewerkschaften in den deutschen Exportsektoren habe, so Bac-caro, im Zusammenspiel mit der Poli-tik (sowohl unter Gerhard Schröder als auch unter Angela Merkel) zwei Dinge bewirkt: Auf der einen Seite sei eine mo-derate Lohnentwicklung auf Kosten so-genannter „atypisch Beschäftigter“ (wie Leih- oder Werksvertragsarbeiter) aus-zumachen, auf der anderen sei dies zu-lasten der im Dienstleistungsbereich Tä-tigen geschehen. Eine insgesamt mode-rate Lohnentwicklung gewährleiste nicht nur die Wettbewerbsfähigkeit des deut-schen Standorts, sondern schlage sich auch als positive Außenhandels bilanz, in Arbeitsplatzsicherheit (und konträr hier vergleichsweise hohen Löhnen) für einen immer kleineren Kreis von Kern-beschäftigten in der Exportindustrie nieder. Indem Baccaro das politische Wechselspiel von Tarifpolitik und Ar-beitsmarktreform rekonstruiert, über-schreitet er den oft gleichgewichtstheo-retischen Rahmen, in dem ökonomische Entwicklungen häufig als Automatismen erscheinen.

Einen gegenteiligen Fall erläutert Bacca-ro in Bezug auf die wirtschaftliche Ent-wicklung Italiens im Verlauf der letz-ten Jahrzehnte. Unter den Bedingun-gen der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion hat die italienische Po-litik (unter Beteiligung der Arbeitge-berverbände und der Gewerkschaften, mit Ausnahme der linken Metallarbei-terorganisation FIOM-CGIL) eine ähn-

liche Strategie der Exportorientierung verfolgt. Gemäß den Bedingungen der Währungsunion sollte die gezielte Flexi-bilisierung des Arbeitsmarkts nationale Wettbewerbsfähigkeit auch unter festen Wechselkursen sichern. Während eine moderate Lohnentwicklung hier einen Anstieg der Binnenkaufkraft bewirkte, gelang es Italien nicht, auf diese Weise auch die Exporte zu stärken.

An der Schnittstelle von Wirtschaftsso-ziologie, Politikwissenschaft und Volks-wirtschaftslehre leistet Baccaro mit sei-nen Analysen einen wesentlichen Beitrag zu einem der aktuell wohl dringlichsten Diskussionsfelder der Politischen Öko-nomie: der Krise der gemeinsamen eu-ropäischen Währung. Denn wenn es der Eurozone – den Unterschieden zwi-schen den politischen Ökonomien der Mitgliedsländer zum Trotz – nicht ge-länge, nationale Außenhandelsbilanzen wenigstens annähernd zu harmonisie-ren, brächte dies, so sehen wir es zurzeit, nicht nur wirtschaftliche Verwerfungen auf nationaler Ebene mit sich: Mittelfris-tig geriete auch das europäische Integra-tionsprojekt als Ganzes in Gefahr.

Martin Seeliger

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lucio Baccaro: „The Growth Model Perspective on comparative capitalism“Scholar in Residence Lectures7., 14. und 25. Oktober 2015

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Der Institutstag deckte dieses Jahr das The-mengebiet von Demografie, Familie (be-ziehungsweise Partnerschaft), Arbeit und Berufsbildung ab. Im Zentrum stand die Frage, wie Gesellschaften angesichts zu-nehmenden Lebensalters ihre Reprodukti-on und Versorgung sichern: durch eigene Geburten oder Zuwanderung, Berufsbil-dung und Arbeitsbeziehungen in Unter-nehmen. Die gerade begonnene Welle der Zuwanderung von Flüchtlingen war den Teilnehmerinnen und Teilnehmern direkt oder unausgesprochen gegenwärtig; sie verlieh den Diskussionen eine Aktualität, die selbst über die thematisch geplante hi-nausging. Damit hatten die Organisatoren einen akademischen und praktischen Voll-treffer erzielt.

Das Eröffnungsreferat von Florian Coul-mas (Universität Duisburg-Essen) führte Japan als kulturell und institutionell beson-deren Fall vor. Das Land geht das gestie-gene Lebensalter und die gesunkene Ge-burtenrate, bei gleichzeitig stagnierendem Wachstum des Inlandsprodukts, fehlender signifikanter Zuwanderung und steigender Arbeitsbeteiligung im Alter, mit erhebli-cher Staatsverschuldung und innovativen Versicherungsangeboten an. In Japan do-miniert der „nationale“ Zugang zum Pro-blem, sowohl hinsichtlich der Reproduk-

tion des Arbeitsvermögens als auch mit Blick auf die Finanzen.

Ganz andere Problemzugänge präsentierte die Arbeitsgruppe „Soziale Bedingungen und Folgen flexibler Arbeitsmärkte“ des MPIfG (Wolfgang Streeck, Annina T. He-ring und Sara Weckemann): Unabhängig von staatlicher Förderung von Familie und Geburten scheint im internationalen Ver-gleich die Flexibilität von Arbeitsmärkten in Deutschland mit der Geburtenrate der ansässigen Bevölkerung einherzugehen. Hering zeigte, wie Unsicherheiten in der Partnerschaft und im Erwerbsleben das Geburtenverhalten beeinflussen. Stabile Partnerschaften gebe es seltener, allerdings seien sie eine wichtige Voraussetzung für steigende Geburtenzahlen. Weckemann wies in ihrer Arbeit nach, dass kinderrei-che Hartz-IV-Familien nicht in der Absicht gegründet werden, sozialstaatliche Trans-fers zu maximieren. Vielmehr sind emo-tionale und soziale Bedürfnisse prägend für die Beziehungen.

Am Folgetag behandelten Hans-Peter Klös (Institut der deutschen Wirtschaft Köln, IW) und Marius Busemeyer (Universi-tät Konstanz) die Sicherung des Angebots von Fachkräften und höher Qualifizier-ten in Deutschland angesichts gesunkener Geburtenzahlen „aus verschiedenen, aber komplementären Perspektiven“. In der Per-spektive der Wirtschaft wurde der Akzent auf eine umfassende Fachkräftepolitik ge-legt, unter expliziter Berücksichtigung der Zuwanderung; Busemeyer hob den im Laufe der Zeit geschwächten Beitrag der grundständigen Berufsbildung und die Be-deutung des Durchstroms von grundstän-diger zu höherer Bildung in der Berufsbio-grafie hervor.

Die letzte Sitzung bestand aus einem Pa-nel von Praktikern zum Thema „Familie und Beruf: ,Kolonialisierung der Lebens-welt?‘“ Die Runde mit Birgit Helten-Kind-lein, Aufsichtsratsmitglied und Betriebsrä-tin der Henkel AG, Katharina Heuer von der Deutschen Gesellschaft für Personal-führung sowie Stefan Pfeifer vom Ministe-rium für Arbeit, Integration und Soziales des Landes NRW wurde von Werner Eich-horst (ehemals MPIfG, jetzt Forschungs-institut zur Zukunft der Arbeit, IZA) mo-deriert. Auch hier traten komplementä-re Erfahrungen und Perspektiven hervor, die sich vor allem entlang einer Trennli-nie zwischen „alter“ und „neuer“ Arbeits-marktsituation unterschieden: In der „al-ten“ Situation sei die betriebliche Politik mehr durch ein reichhaltiges Arbeitsange-bot bestimmt, die Vereinbarkeit von Beruf und Reproduktion daher schwierig. Grün-de dafür lägen einerseits in der betriebli-chen Politik, andererseits in der Wahrneh-mung von Unsicherheit durch Beschäftig-te. In der „neuen“ Situation suchten und entwickelten Betriebe bewusster qualifi-zierte und beruflich stabile Arbeitskräfte, weil sie ihren Personalbedarf nicht mehr so leicht decken können wie vordem. Heut-zutage müssten sie Laufbahnen unter Be-rücksichtigung der Vereinbarkeit von Be-ruf und Reproduktion anbieten. Inwieweit dieser Wandel bereits stattgefunden hat, wurde nach dem bewährten Muster der „Konfliktpartnerschaft“ (Müller-Jentsch) diskutiert. Damit rundete sich der gedank-liche Bogen des Institutstags zurück zur Eingangssitzung und dem dort dargestell-ten Motiv des Strebens nach Absicherung der eigenen Erwerbsbiografie – im Er-werbsleben wie in der Partnerschaft.

Arndt Sorge

Kinder, Arbeit und Konsum: Wie der Kapitalismus die familie verändertInstitutstag 2015 des MPIfG5. und 6. November 2015

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GeSellScHAfTSFoRSchuNg 2.15 Veranstaltungen

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Dienstag, 12. Januar 2016From Cultural Purity to Segregated Inclusion:Subscribers to the New York Philharmonic in the Gilded AgeShamus Khan, Columbia University

Dienstag, 26. Januar 2016Why the Federal Reserve Failed to See the Financial Crisis of 2008: The Role of „Macroeconomics“ as Sense-Making and Cultural FrameNeil Fligstein, University of California

Mittwoch, 27. Januar 2016tbaArthur Alderson, Indiana University

Mittwoch, 10. Februar 2016Uncertainty and the Dangers of Monocultures in Regulation, Analysis and PracticeRichard Bronk, London School of Economics

MPIfG Lectures zum NachhörenÖffentliche Vorträge und weitere Veranstaltungen des MPIfG als Audio-Podcasts www.mpifg.de/aktuelles/veranstaltungen/podcasts_de.asp

Aktuelle Veranstaltungen am MPIfGwww.mpifg.de/aktuelles/veranstaltungen_de.asp

Lecture Series One crisis – Nineteen Points of View:The Division of the euro Area from Its Member’s Perspective

Dienstag, 10. Mai 2016tbaCostas Lapavitsas, SOAS, University of London Dienstag, 24. Mai 2016From Bad to Good Pupil? Italy’s Journey (and Voice) through the EurocrisisMaurizio Ferrera, Università degli Studi di Milano

Dienstag, 31. Mai 2016Perceived Vulnerabilities and Policy Responses to the Great Recession in East Central EuropeBéla Greskovits, Central European University, Budapest Dienstag, 5. Juli 2016 tbaFrancesco Saraceno, Observatoire français des conjonctures écono-miques (OFCE), Sciences Po, Paris

Dienstag, 12. Juli 2016Hat die Eurozone ein Deutschland-Problem?Till van Treeck, Universität Duis burg-Essen

Vorschau 2016

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Freunde und Ehemalige GeSellScHAfTSFoRSchuNg 2.15

Dass das Thema der eigenen Dissertation nahtlos in die berufliche Tätigkeit über-führt, ist meist nur bei Doktoranden der Fall, die in der Wissenschaft tätig blei-ben. Mich aber zog es in die Praxis, und trotzdem war der inhaltliche Bruch zu-nächst nicht groß: Fritz W. Scharpf hatte mir geraten, den Stabilitäts- und Wachs-tumspakt zu behandeln und aus die-ser Warte einige der grundlegenden in-stitutionellen Defizite der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion zu be-leuchten. Im Dialog mit ihm und auch mit Wolfgang Streeck entwickelte ich das „Selbstbindungsdilemma“ als Erklärung, warum der Pakt nicht funktionieren kann – eine Art institutionelle Variante der aus der Ökonomie bekannten Zeitinkonsis-tenz. Eine Regierung verspricht, ihr Defi-zit unter drei Prozent des Bruttoinlands-produkts zu halten. Wenn es dann aber an die konkrete Umsetzung in Form von Ausgabenbegrenzung oder gar Steuerer-höhung geht, wird die Zusage kassiert. Während ich an der Arbeit schrieb, kam es exakt so, wie von uns erwartet. Das war denkbar spannend, denn in dieser Phase hoben Deutschland und Frankreich das Vertragswerk mit nicht unerheblicher Dramatik gegen den verzweifelten Wi-derstand der Kommission aus den An-geln. So die allgemeine Lesart. Der Fall kam vor den Europäischen Gerichtshof, und zur Beruhigung der Gemüter muss-te der Pakt daraufhin reformiert werden. Kurz vor Dienstantritt bei der Europäi-schen Zentralbank reichte ich meine

Dissertation an der Universität zu Köln ein; Doktorvater war Wolfgang Wessels, Zweitgutachter Wolfgang Streeck. Das war gelebte Zusammenarbeit in der Eu-ropaforschung zwischen der Universität und dem Institut – nicht immer gänzlich reibungsfrei, am Ende aber zur allseiti-gen Zufriedenheit. In der EZB durchlebte ich zunächst meinen Praxis-Schock und lernte im Rückblick die Freiheiten der Wissenschaft – zumal am MPIfG – noch einmal richtig schätzen. Doch die fach-liche Vorbereitung, die ich dort genos-sen hatte, erwies sich als ideal. Viel da-von konnte ich in die Bewertung der fort-schreitenden Reform des Paktes einbrin-gen. Streng genommen wurde er durch diese Reform gar nicht aufgeweicht. Viel-mehr wurde die durch den Europäischen Gerichtshof im System festgestellte Flexi-bilität explizit gemacht. Die Schuldenkri-se hätte er jedoch weder in alter noch in neuer Fassung verhindern können.

Rechtzeitig zur Griechenlandpleite hat-te ich nach einem Einsatz im Kosovo ins Bundesministerium der Finanzen ge-wechselt, wo wir mit Till Martin Kaes-bach inzwischen einen weiteren Alumnus verzeichnen. Zunächst war ich stellver-

tretender Leiter des Ministerbüros von Wolfgang Schäuble, danach Persönlicher Referent des Finanzstaatssekretärs Tho-mas Steffen. Hochintensive, faszinieren-de Jahre, gefolgt von einem politischen Auftrag als Berater von Jean- Claude Juncker im europäischen Wahlkampf 2014. Zurück im BMF übernahm ich das Grundsatzreferat der Europaabteilung. Die zahlreichen Arbeiten des MPIfG zur wissenschaftlichen Einordnung der Wäh-rungsunion in der Krise verfolge ich seit meinem Wechsel in die Praxis weiter mit großem Interesse – wenn auch nicht im-mer mit vollumfänglicher Zustimmung. Auch der Austausch über den Institutstag und den Verein der Freunde und Ehe-maligen, dessen Vorstand ich eine Weile angehören durfte, war stets bereichernd. Besonders wertvoll aber ist die bleiben-de Verbindung und Zugehörigkeit zum Institut, die sich nicht zuletzt im fortge-setzten fachlichen Dialog mit meinen

akademischen Lehrern erweist. Ich habe es stets als große Ehre und ausgesproche-nes Privileg empfunden, Teil dieser wis-senschaftlichen Familie sein und bleiben zu dürfen.

Was macht eigentlich …Martin HeipertzReferatsleiter „Grundsatzfragen der europäischen Politik“ im Bundesministerium der Finanzen

Doktorand am MPIfG von 2001 bis 2004

Die zahlreichen Arbeiten des MPIfG zur wissen­schaftlichen einordnung der Währungsunion verfolge ich weiter mit großem Interesse.

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GeSellScHAfTSFoRSchuNg 2.15 Freunde und Ehemalige

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Neue Angebote für freunde und ehemaligeErgebnisse einer Umfrage unter den Alumni des MPIfG

Im Frühjahr 2015 befragte das MPIfG seine Alumni zu ihren Wünschen und Erwartungen an die Zusammenarbeit mit dem Institut und seinem Verein der Freunde und Ehemaligen des MPIfG. Mehr als die Hälfte aller angesprochenen ehemaligen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler – Vereinsmitglieder wie Nichtmitglieder – beteiligten sich an der Umfrage.

Die Auswertung ergab, dass Alumni sich weitere persönliche Treffen mit Alumni und Wissenschaftlern des MPIfG wün-schen, ihnen der Austausch mit dem wissenschaftlichen Nach-wuchs ein Anliegen ist und sie als Informationskanäle E-Mail und insbesondere auch den Newsletter Gesellschaftsforschung besonders zu schätzen wissen.

Bei der Versammlung der Vereinsmitglieder im Rahmen des Institutstags 2015 wurden die Ergebnisse und Ideen vorgestellt und diskutiert. Zu den neuen Angeboten für Alumni, die das MPIfG und der Verein im Jahr 2016 erproben wollen, gehören Veranstaltungen wie ein Alumni-Empfang bei der SASE-Kon-ferenz 2016 in Berkeley und eine Diskussionsveranstaltung für Praxis und Wissenschaft in Berlin, verschiedene Formate für die Begegnung von Alumni und Nachwuchswissenschaftlern, die Einladung zu Konferenzen am Institut sowie ein neuer E-Mail-Newsletter.

Zeitschriftenpreis 2015Beim Institutstag 2015 zeichnete der Verein der Freunde und Ehemaligen des MPIfG Lisa Kastner für ihren Artikel „Much Ado about Nothing?“ Transnational Civil Society, Consumer Protection and Financial Regulatory Reform (Review of Interna-tional Political Economy 21, 2014) mit seinem Zeitschriften-preis 2015 aus. Die Jury würdigte Kastners „empirisch genaue und vielfältige Analyse des kontraintuitiven Erfolges von ‚Schwachen‘ in der Lobbytätigkeit“. Der Preis ist mit 750 Euro dotiert und wird für den besten Artikel einer Mitarbeiterin oder eines Mitarbeiters des MPIfG in einer begutachteten Fachzeitschrift vergeben. Lisa Kastner war von 2012 bis 2015 Doktorandin im gemeinsamen Cotutelle-Programm der Sciences Po, Paris, und der International Max Planck Research School on the Social and Political Constitution of the Economy (IMPRS-SPCE) in Köln.

Page 28: GeSellScHAfTS 2 FoRSchuNg 2015 - MPIfG · Colin Crouch „Die bezifferte Welt“ – Von Demo-kratieverlust und Wissensentzug Deutschlandfunk, Andruck 07.09.2015 Der Neoliberalismus

Mit Gesellschaftsforschung informiert das MPIfG zweimal im Jahr mit anschaulichen Artikeln und Berichten über seine For-schungsprojekte und -ergebnisse, Publikationen und Veran-staltungen. Ein Schwerpunktthema liefert Hintergrundinfor-mationen aus der Forschung zu Themen der aktuellen öffentli-chen Diskussion. Sie erhalten den Newsletter in einer PDF-Fas-sung per E-Mail oder als Printausgabe. Abonnement und weitere Ausgaben unter www.mpifg.de/newsletter

© Max-Planck-Institut für GesellschaftsforschungKöln, Dezember 2015In Absprache mit der Redaktion frei zum Nachdruck.Abdruck nur mit Quellenangabe.

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RedaktionHelen Callaghan, Silvia Oster, Christel Schommertz (verantw.)

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Das MPIfGDas Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung ist eines der rund achtzig Institute der Max-Planck-Gesellschaft e.V., die von Bund und Ländern finanziert wird. Als eine Einrich-tung der Spitzenforschung in den Sozialwissenschaften betreibt es anwendungsoffene Grundlagenforschung mit dem Ziel einer empirisch fundierten Theorie der sozialen und politischen Grundlagen moderner Wirtschaftsordnungen. Im Mittelpunkt steht die Untersuchung der Zusammenhänge zwischen ökono-mischem, sozialem und politischem Handeln. Das Institut schlägt eine Brücke zwischen Theorie und Politik und leistet ei-nen Beitrag zur politischen Diskussion über zentrale Fragen moderner Gesellschaften. Es ist bei der Auswahl und Verwirk-lichung seiner Forschungsvorhaben frei und unabhängig.

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