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2013 Zur Diskussion gestellt Volker Rieke, Gerhard Bosch, Friedrich Hubert Esser, Klaus-Dieter Sohn und Sebastian Czuratis, Felix Rauner, Günter Lambertz Duale Ausbildung, ›Jugendgarantie‹ oder zusätzliche Hilfsfonds: Was tun gegen die Jugendarbeitslosigkeit in Europa? Kommentar Stephan Paul und Stefan Stein Bankenregulierung am Scheideweg Forschungsergebnisse Wolfgang Nierhaus Realeinkommen und Terms of Trade Daten und Prognosen Gernot Nerb und Johanna Plenk ifo Weltwirtschaftsklima trübt sich leicht ein Im Blickpunkt Jana Lippelt Kurz zum Klima: Aktuelle Entwicklungen bei der Windkraft ifo Schnelldienst 66. Jg., 34.–35. KW, 29. August 2013 16 Institut Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München e.V.

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    Zur Diskussion gestelltVolker Rieke, Gerhard Bosch, Friedrich Hubert Esser, Klaus-Dieter Sohn und Sebastian Czuratis, Felix Rauner, Günter Lambertz■ Duale Ausbildung, ›Jugendgarantie‹ oder zusätzliche

    Hilfsfonds: Was tun gegen die Jugendarbeitslosigkeit in Europa?

    KommentarStephan Paul und Stefan Stein■ Bankenregulierung am Scheideweg

    ForschungsergebnisseWolfgang Nierhaus■ Realeinkommen und Terms of Trade

    Daten und PrognosenGernot Nerb und Johanna Plenk■ ifo Weltwirtschaftsklima trübt sich leicht ein

    Im BlickpunktJana Lippelt■ Kurz zum Klima: Aktuelle Entwicklungen bei der Windkraft

    ifo Schnelldienst66. Jg., 34.–35. KW, 29. August 2013

    16

    InstitutLeibniz-Institut für Wirtschaftsforschung

    an der Universität München e.V.

  • ISSN 0018-974 X

    Herausgeber: ifo Institut, Poschingerstraße 5, 81679 München, Postfach 86 04 60, 81631 München,Telefon (089) 92 24-0, Telefax (089) 98 53 69, E-Mail: [email protected]: Dr. Marga Jennewein.Redaktionskomitee: Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Hans-Werner Sinn, Dr. Christa Hainz, Annette Marquardt, Dr. Chang Woon Nam.Vertrieb: ifo Institut.Erscheinungsweise: zweimal monatlich.Bezugspreis jährlich:Institutionen EUR 225,– Einzelpersonen EUR 96,–Studenten EUR 48,–Preis des Einzelheftes: EUR 10,–jeweils zuzüglich Versandkosten. Layout: Pro Design.Satz: ifo Institut.Druck: Majer & Finckh, Stockdorf.Nachdruck und sonstige Verbreitung (auch auszugsweise): nur mit Quellenangabe und gegen Einsendung eines Belegexemplars.

    ifo Schnelldienst

  • Duale Ausbildung, ›Jugendgarantie‹ oder zusätzliche Hilfsfonds: Was tun gegen die Jugendarbeitslosigkeit in Europa?

    Nach den neuen Zahlen von Eurostat liegt die Arbeitslosenquote in der Eurozoneim Frühjahr 2013 bei Jugendlichen im Alter von 15 bis 24 Jahren bei über 23%.Während die Werte in Deutschland oder Österreich niedrig sind, sind sie in den eu-ropäischen Krisenländern erschreckend hoch. Wie ist das Problem der Jugendar-beitslosigkeit zu lösen? Volker Rieke, Bundesministerium für Bildung und For-schung, stellt die bilateralen Berufsbildungskooperationen des BMBF als Beitragfür mehr Jugendbeschäftigung in Europa vor: Auf Nachfrage des jeweiligen Part-nerlandes werde gemeinsam eine Strategie entwickelt, um die Berufsbildungs-systeme zu modernisieren, wobei die Implementierung von Elementen und Prinzi-pien des dualen Systems – angepasst an die Bedarfe und Gegebenheiten im je-weiligen Land – im Vordergrund stehe. Gerhard Bosch, Universität Duisburg-Es-sen, betont, dass die hohe Jugendarbeitslosigkeit strukturelle und konjunkturelleUrsachen, die man mit unterschiedlichen Maßnahmen angehen muss, hat. DieEinführung dualer Berufsausbildung erfordere einen Umbau von Institutionen, dernur langfristig zu erreichen sei. Kurzfristig müsse vor allem das konjunkturelleProb lem angegangen werden. Friedrich Hubert Esser, Bundesinstitut für Berufs-bildung, Bonn, unterstreicht, dass das Arbeitsmarktrisiko von jungen Menschensehr stark von der aktuellen Situation der jeweiligen nationalen Arbeitsmärkte ge-prägt wird, die wiederum entscheidend von den Wirtschaftsstrukturen und derWirtschaftskraft abhängt. Die aktuellen Probleme, die viele Länder in Südeuropa indiesem Bereich haben, könnten deshalb auch nicht allein durch eine Reform ihrerBerufsbildungssysteme behoben werden, die – bei allen Reformbemühungen –nur in längerfristiger Perspektive unter Berücksichtigung der jeweiligen Kontext-bedingungen zu ändern seien. Klaus-Dieter Sohn und Sebastian Czuratis, Cent -rum für Europäische Politik, Freiburg, sehen vier Bereiche, die reformiert werdensollten: 1. müsse sich die Ausbildung an den Bedürfnissen der Unternehmen ori-entieren, ein erfolgreicher Weg sei die duale Ausbildung, 2. solle der Mindestlohnabgeschafft werden, 3. müsse die Arbeitnehmermobilität gefördert und 4. der Ar-beitsmarkt flexibilisiert werden. Auch Felix Rauner, Universität Bremen, sieht in derEinführung der dualen Berufsausbildung das Instrument zur Bekämpfung der Ju-gendarbeitslosigkeit. Er weist aber auch darauf hin, dass ihre Einführung langfris-tige ökonomische Entwicklungsprozesse und den Wandel von Bildungstraditio-nen voraussetze. Günter Lambertz, Deutscher Industrie- und Handelskammertag,hebt hervor, dass für den Erfolg des im deutschsprachigen Raum verbreitetenSystems der Berufsausbildung die enge Verknüpfung von Ausbildungs- und Ar-beitsmarkt entscheidend ist. Die Ausbildung in den Unternehmen sorge für ihreAusrichtung an den aktuellen Bedarfen der Betriebe. Hingegen sei bei rein schuli-schen oder außerbetrieblichen Ausbildungen die Gefahr einer Fehllenkung groß.Das gelte auch für Systeme, die einseitig auf die akademische Bildung setzen.Deshalb müssten, bei der Frage des Exports dualer Bildung, zunächst die Unter-nehmen für die Sache gewonnen werden.

    Bankenregulierung am ScheidewegStephan Paul und Stefan Stein

    In der Frage der Bankenregulierung wird derzeit über das richtige Konzept disku-tiert. Soll der mit Basel II verfolgte Ansatz der am Risiko der jeweiligen Bank ori-entierten Eigenkapitalunterlegung ausgebaut oder eine nicht-risikoorientierte

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    Zur Diskussion gestellt

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  • Kennziffer wie die Leverage Ratio (bilanzielles Eigenkapital zu Geschäftsvolumen)die zentrale Kennzahl für die Bankenaufsicht sein? Stephan Paul, Ruhr-Universi-tät Bochum, und Stefan Stein, Hochschule BiTS Business and Information Tech-nology School in Iserlohn, diskutieren in diesem Beitrag, welcher Art der Regulie-rung die richtige ist.

    Realeinkommen und Terms of Trade Wolfgang Nierhaus

    Das Statistische Bundesamt berechnet seit der großen VGR-Revision 1999 nebendem preisbereinigten Bruttoinlandsprodukt auch den Realwert des Bruttoinlands -produkts, d.h. die Kaufkraft der im Wirtschaftsprozess entstandenen Einkommen.Mit dem Ausweis dieser Größe, einer der Schlüsselindikatoren einer Volkswirt-schaft, wurde eine wichtige Datenlücke in den VGR geschlossen. Der vorliegendeBeitrag wirft einen Blick auf die Berechnungsmethodik und präsentiert aktuelle Er-gebnisse.

    ifo Weltwirtschaftsklima trübt sich leicht einErgebnisse des 121. World Economic Survey (WES) für das dritte Quartal 2013Gernot Nerb und Johanna Plenk

    Der Indikator für das ifo Weltwirtschaftsklima ist nach seinem zweimaligen Anstiegwieder etwas gesunken. Sowohl die Beurteilungen zur aktuellen Lage als auch derwirtschaftliche Ausblick für die nächsten sechs Monate verschlechterten sichleicht im Vergleich zum Vorquartal. Die Erholung der Weltkonjunktur kommt nichtrecht voran. Dennoch bleiben die Anzeichen einer Stabilisierung der Weltwirt-schaft gültig. In den verschiedenen Wirtschaftsregionen gibt es heterogene Ent-wicklungen. Der erwartete Preisanstieg für das Jahr 2013 bleibt mit 3,2% unver-ändert gegenüber dem Vorquartal. Im weltweiten Durchschnitt wird nicht mehr miteinem Rückgang der kurzfristigen Zinsen gerechnet, sondern erstmals seit fastzwei Jahren tendenziell mit einem Anstieg. Noch ausgeprägter ist die erwarteteAufwärtstendenz bei den langfristigen Zinsen. Im weltweiten Durchschnitt werdender US-Dollar und der japanische Yen – wie schon in der vorangegangenen Um-frage – nahe bei ihrem Gleichgewichtskurs gesehen. Der Euro und das britischePfund gelten dagegen als leicht überbewertet

    Kurz zum Klima: Aktuelle Entwicklungen bei der WindkraftJana Lippelt

    Kartographische Darstellungen bilden im Wesentlichen die Welt schematisch ab.Eine noch relativ neue Form der Karten sind sogenannte Kartenanamorphoten,die Karteneinheiten in Abhängigkeit von einer ausgewählten Variablen darstellenund dadurch mehr oder weniger verzerrt abbilden. Der Beitrag beschreibt am Bei-spiel der Windenergie, die weiterhin am stärksten wachsende Sparte erneuerba-rer Energien, anhand weltweiter Windfarmen und der installierten Kapazität dieAnwendung dieser Kartendarstellung.

    Forschungsergebnisse

    Daten und Prognosen

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    Die bilateralen Berufs -bildungskooperationen desBundesministeriums für Bildung und Forschung: EinBeitrag für mehr Jugend -beschäftigung in Europa

    Das Modell der dualen Berufsausbildung,das in Deutschland auf eine lange Tradi-tion zurückblicken kann, trifft internationalnicht nur auf eine hohe Wertschätzung,sondern hat vielerorts eine Orientierungs-rolle für andere Staaten übernommen. Inder Außenansicht gilt es als eine der Säu-len des Wohlstandes und der starken wirt-schaftlichen Leistung Deutschlands. Essteht auch dafür, dass Deutschland bis-lang nahezu unbeschadet durch die eu-ropäische Finanz- und Schuldenkrise ge-gangen ist und mit ca. 7,5% eine der ge-ringsten Jugendarbeitslosigkeitsraten inEuropa aufweisen kann. Zum Vergleich:Im Mai 2013 suchten nach Angaben vonEurostat in Griechenland fast 63% der jun-gen Menschen zwischen 15 und 24 Jah-ren eine Beschäftigung, in Spanien ca.55%, in Portugal und Italien ca. 40% undim Schnitt der EU-27-Staaten etwa 23%.

    In diesen Ländern finden viele junge Men-schen keinen Zugang zum Arbeitsmarktund bleiben ohne Zukunftsperspektive.Die hohe Jugendarbeitslosigkeit gefähr-det zunehmend den sozialen Frieden.Wichtige Investitionen in Jugendbeschäf-tigung und in junge Fachkräfte bleiben we-gen der knappen öffentlichen Haushalteaus, obwohl sie der entscheidende Fak-tor für späteres Wachstum, Wohlstandund gesellschaftliche Teilhabe sind.

    Der Kampf gegen Jugendarbeitslosigkeitund die Notwendigkeit von bildungspoli-tischen Reformen stehen auf der Agen-da der politischen Entscheidungsträger inEuropa. Trotz zahlreicher bereits gestar-teter Maßnahmen auf den verschiedens-

    ten Ebenen besteht noch umfangreicherHandlungsbedarf, damit junge Menschenin Europa wieder angemessene Beschäf-tigung finden. Deutschland hat dabei nichtnur ein Eigeninteresse, den Staaten, dievon der Krise besonders hart getroffenwurden, zu helfen: In einem geeintenEuropa besteht auch eine Solidaritätsver-pflichtung, gemeinsam gegen die Jugend-arbeitslosigkeit vorzugehen.

    Eine zentrale Herausforderung für die kri-sengeschüttelten Länder ist es, Angebotund Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt bes-ser aufeinander abzustimmen. Die Finanz-krise hat dabei auch den Druck auf die Bil-dungssysteme verschärft und in den Vor-dergrund gerückt, dass sie vielfach amArbeitsmarkt vorbei ausbilden. BesondersStaaten mit vornehmlich vollzeitschuli-schen Berufsausbildungen können diedurch globalen Wettbewerb verursachtenkürzeren Innovationszyklen, die systema-tische betriebliche Organisationsentwick-lung und eine darauf bezogene Qualifizie-rung der Fachkräfte nicht mehr leisten. Ar-beitgeber in diesen Ländern kritisieren dieschulische Bildung als zu wenig praxis -orientiert und beklagen den Mangel anpraktisch qualifiziertem Personal.

    Vor diesem Hintergrund hat die Bundes-regierung bi- und multilaterale Vereinba-rungen mit vielen Partnerländern ge-schlossen, um gemeinsam die Beschäf-tigungssituation für junge Menschen zuverbessern. Das Bundesministerium fürBildung und Forschung (BMBF) verfolgtdabei einen systemischen Ansatz: AufNachfrage des jeweiligen Partnerlandeswird gemeinsam eine Strategie entwickelt,um die Berufsbildungssysteme zu moder-nisieren. Im Vordergrund steht die Imple-mentierung von Elementen und Prinzipiendes dualen Systems – angepasst an die

    Hilfsfonds: Was tun gegen die Jugendarbeitslosigkeit in Europa?

    Duale Ausbildung, ›Jugendgarantie‹ oder zusätzliche

    Volker Rieke*

    Nach den neuen Zahlen von Eurostat liegt die Arbeitslosenquote bei Jugendlichen im Alter von

    15 bis 24 Jahren im Frühjahr 2013 in der Eurozone bei über 23%. Während die Werte in Deutsch-

    land oder Österreich niedrig sind, sind sie in den europäischen Krisenländern erschreckend hoch.

    Wie ist das Problem der Jugendarbeitslosigkeit zu lösen?

    * Volker Rieke ist Leiter der Abteilung »Europäischeund internationale Zusammenarbeit in Bildung undForschung« im Bundesministerium für Bildung undForschung.

  • Zur Diskussion gestellt

    Bedarfe und Gegebenheiten im jeweiligen Land. Damit wer-den nachhaltige Veränderungen angestoßen und die Be-schäftigung von jungen Menschen vorangetrieben; zum Bei-spiel indem im Rahmen von gemeinsamen Pilotprojektenbetrieblich-orientiertes Lernens gefördert und das Engage-ment von Unternehmen und die Einbeziehung von Sozial-partnern unterstützt wird.

    Erfolgsmodell »duales Berufsbildungssystem«

    Die OECD hat in einer internationalen Vergleichsstudie dieLeistungsfähigkeit des dualen Systems beim Übergang vonder Ausbildung in die Beschäftigung unterstrichen. Der Über-gang von der Schule ins Arbeitsleben verlaufe in Deutsch-land »bemerkenswert reibungslos«, heißt es im neuenDeutschlandbericht der Studie »Skills beyond School«. Über90% der 15- bis 24-Jährigen haben nach Zahlen der OECD2008 nach Abschluss der Schule eine Beschäftigung gefun-den oder ihre Bildungslaufbahn fortsetzen können. Dabei istdieser im internationalen Vergleich hohe Prozentsatz keinausschließlich deutsches Phänomen: Auch andere Ländermit dualem Ausbildungssystem, wie Österreich, die Schweizund Dänemark, können mit niedriger Jugendarbeitslosigkeitund einem guten Übergang von der Berufsausbildung indie Arbeitswelt punkten. Dabei sind besonders zwei wesent-liche Kernelemente zu nennen, die den Erfolg des dualenAusbildungsmodells ausmachen:

    Lernen im Arbeitsprozess

    Das Lernen im Betrieb und im Prozess der Arbeit ist der Kerndes dualen Systems in Deutschland. Es stellt sicher, dass jun-ge Menschen hohe berufliche Handlungskompetenzen er-werben und so als qualifizierte Fachkräfte hochattraktiv für Ar-beitgeber sind. Dabei nimmt die Ausbildungszeit im Betriebin Deutschland meistens etwa 3/4 der Ausbildungszeit ein.

    Gemeinsame Verantwortung von Staat und Sozialpartnern

    Die gemeinsame Verantwortung für eine koordinierte plura-le Steuerung dualer Berufsbildung stellt sicher, dass die Ak-teure entsprechend ihrer Kompetenzen und Interessen amBerufsbildungsdialog auf nationaler, regionaler und lokalerEbene beteiligt sind. Staat und Sozialpartner sichern ge-meinsam die Rahmenbedingungen der Berufsbildung: Vonder anteiligen Finanzierung über die Entwicklung und Aktua-lisierung der Curricula bis hin zur Prüfung und Zertifizierungder erworbenen Kompetenzen. So werden national gültigeStandards für Berufsbildung geschaffen, die dem Einzel-nen eine hohe berufliche Kompetenz und Beschäftigungs-fähigkeit, Mobilität sowie gesellschaftliche Akzeptanz ermög-lichen. Die gemeinsame Verantwortung garantiert auch, dassnicht an den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes »vorbei« aus-gebildet wird.

    Bilaterale Berufsbildungszusammenarbeit

    Die bilaterale Berufsbildungskooperation des BMBF hat sichin den vergangenen zwei Jahren stark darauf ausgerichtet,Länder zu unterstützen, die von besonders hoher Jugend-arbeitslosigkeit betroffen sind. Bereits im Dezember 2012hat das BMBF auf einer großen Bildungsministerkonferenzin Berlin für Maßnahmen der bilateralen Berufsbildungsko-operation mit den Ländern Griechenland, Italien, Lettland,Portugal, Slowakische Republik und Spanien zusätzlich10 Mill. Euro zur Verfügung gestellt.

    Am Anfang der Zusammenarbeit mit den Partnerländernsteht ein intensiver Informations- und Erfahrungsaustausch,u.a. zu »guten Beispielen« in der beruflichen Bildung. Damitwird ein gemeinsamer Lernprozess angestoßen, der für dieBerufsbildungsexperten und politischen Akteure erheblichesInnovationspotenzial mit sich bringt und zu Weiterentwick-lungen des eigenen Berufsbildungssystems führt.

    Wichtig ist, dass in den Partnerländern die Sozialpartner undWirtschaftsorganisationen einbezogen werden. Erst wenndie Berufsbildung an dem aktuellen und zukünftigen Bedarfder Wirtschaft ausgerichtet wird, kann das System leistungs-fähig ausbilden. In den bilateralen Kooperationsbeziehun-gen bringt das BMBF daher zunächst die wichtigen Akteu-re auf deutscher Seite und auf der Seite des Partnerlandesan einen Tisch. Damit wird die Basis geschaffen, um durchZusammenwirken von Wirtschaft, Sozialpartnern und Staatdie Rahmenbedingungen für eine bedarfsorientierte beruf-liche Bildung zu schaffen. Dieses System der partnerschaft-lichen Abstimmung ist in Deutschland historisch gewach-sen und daher nicht einfach übertragbar. Dennoch könnendie Partnerländer aber aus den Prinzipien dieses Abstim-mungsprozesses nutzbare Ansätze für ihre eigenen Refor-men generieren.

    In einem zweiten Schritt werden dann partnerschaftlich diegemeinsamen Themen und Bereiche identifiziert, in denenbesonders großer Reformdruck herrscht. Dies kann von derFrage »Wie entsteht ein neuer Beruf«, über die Entwicklungvon Curricula, der Einführung von Standards bis hin zu ei-ner besseren Ausbildung der Ausbilder reichen. Zentral aberbleibt in fast allen Partnerländern die Frage: Wie lassen sichdie Unternehmen dafür gewinnen, in die betriebliche Aus-bildung zu investieren?

    In Spanien und Griechenland wurden bereits erste Pilot-projekte gestartet, um positive Beispiele für eine betriebs-orientierte Ausbildung zu schaffen: So unterstützt das BMBFdie Ausbildung an der deutschen Auslandsschule in Spa-nien nach dualen Standards. Im Verbund mit lokalen Unter-nehmen werden junge Menschen in Barcelona dual ausge-bildet. Neben dem Besuch der Berufsschule, in der Deutsch-unterricht mit auf dem Lehrplan steht, sind die Jugendlichen

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  • Zur Diskussion gestellt

    von Beginn an in einen Betrieb integriert. Am Ende der Aus-bildung wird sowohl ein spanischer als auch ein deutscherAbschluss vergeben. Ziel des Projektes ist es, in Zusam-menarbeit mit Behörden und Kammern, spanische Unter-nehmen für die berufliche Ausbildung zu gewinnen und da-mit Elemente der dualen Ausbildung nachhaltig in Spanienzu verankern.

    In Griechenland werden mit Unterstützung des BMBF dua-le Ausbildungsgänge für den Tourismusbereich aufgebaut.Ziel dieses Projektes ist es, Ausbildungselemente in Grie-chenland, zunächst bezogen auf einzelne Berufe und alsaufbauende Qualifizierung von einem Jahr Dauer, einzufüh-ren. Dazu werden ausgewählte griechische Berufsprofileanalysiert und ergänzt, um Abschlüsse zu ermöglichen, dieauch in Deutschland anerkannt werden. In diesen Berufensoll das duale System mit einem hohen Praxisanteil in denUnternehmen und einem schulischen Anteil den Gegeben-heiten in Griechenland angepasst und weiterentwickelt wer-den. Ab Herbst 2014 soll dann die dreijährige duale Ausbil-dung Standardangebot an der Tourismusschule werden.Bisher arbeitslose Jugendliche erhalten einen Ausbildungs-vertrag mit einem Unternehmen und eine mehrjährige be-rufliche Perspektive. Vorhandene Elemente des dualen Sys-tems werden ausgebaut und vertieft, um eine enge Verzah-nung betrieblicher Praxis mit schulischem Lernen zu errei-chen. Dazu gehört auch der Aufbau von unterstützendenStrukturen wie Auswahlkriterien für geeignete Ausbildungs-unternehmen, Qualifikation der Ausbildungsverantwortlichen,Betreuung der Auszubildenden und vieles mehr. Dies ge-schieht in enger Abstimmung mit den zuständigen grie-chischen Ministerien und Fachinstitutionen.

    Einbettung der bilateralen Berufsbildungs -kooperation in europäische Initiativen

    Damit solche Projekte nachhaltig wirken können, ist nebender bilateralen Zusammenarbeit eine enge Abstimmung mitden Initiativen auf europäischer Ebene unerlässlich. DasBMBF unterstützt daher die Umsetzung der »EuropäischenAusbildungsallianz«, die von der europäischen Kommis si-on in der Mitteilung »Neue Denkansätze für die Bildung: Bes-sere sozioökonomische Ergebnisse durch Investitionen inQualifikationen« angekündigt wurde. Ziele der Allianz sindes, die Qualität und Anzahl von Ausbildungsplätzen zu ver-bessern und die Attraktivität der beruflichen Bildung zu stei-gern. Ein wichtiges Ziel ist auch der stetige Informationsaus-tausch mittels europäischer Lernplattformen, nicht zuletztum die Ergebnisse aus den bilateralen Projekten des BMBFallen interessierten Ländern in der europäischen Union zu-gänglich machen zu können.

    Zusätzlich hat der Europäische Rat die sogenannte »Jugend-garantie« am 28. Februar 2013 beschlossen. Sie sieht vor,

    dass die Mitgliedstaaten allen jungen Menschen unter25 Jahren innerhalb eines Zeitraumes von vier Monaten,nachdem sie arbeitslos werden oder die Schule verlassen,eine Arbeitsstelle oder Weiterbildungsmaßnahme oder einAusbildungs- bzw. Praktikumsplatz anbieten. Dafür sollenim Zeitraum 2014-2012 bis zu 6 Mrd. Euro bereit stehen.Vor dem Hintergrund angespannter Haushaltslagen könnensolche sofort einsetzbaren Mittel hilfreich sein, um schnellBildungs- und Beschäftigungsmaßnahmen zu fördern unddamit Soforthilfe gegen die hohe Jugendarbeitslosigkeit zuleisten.

    Verzahnung von Maßnahmen und Vernetzung vonAkteuren auf allen Ebenen

    Die aktuelle Dynamik in der internationalen Berufsbildungs-kooperation hat auch bei den deutschen Berufsbildungs-akteuren zu neuen Entwicklungen und Reformbemühungengeführt. Schließlich ist in Deutschland eine Vielzahl von Ak-teuren aus Bildungs-, Wirtschafts-, Arbeitsmarkt-, Migra -tions-, Außen- und Entwicklungspolitik in der internationa-len Berufsbildungszusammenarbeit engagiert.

    Um die Berufsbildungszusammenarbeit wirksam zu gestal-ten, Ressourcen kohärent und effektiv einzusetzen, habendie zuständigen Ministerien, Institutionen und jene Organi-sationen, die in Verantwortung für die Ministerien handeln,einen regelmäßigen Austausch miteinander vereinbart. Da-zu wurde der sogenannte »Runde Tisch für die internatio-nale Berufsbildungszusammenarbeit« als Koordinations- undClearingstelle eingerichtet. Er dient der partnerschaftlichenressort- und organisationsübergreifenden Zusammenar-beit und tritt im regelmäßigen Turnus sowohl auf Arbeitsebe-ne als auch auf Staatssekretärs-Ebene zusammen. So wirdneben einem abgestimmten Einsatz von Ressourcen undder Bündelung von Know-how auch ein professionelles undkohärentes Auftreten nach außen erreicht.

    Gemeinsam mit den Ressorts, die im Bereich internationa-le Berufsbildungszusammenarbeit tätig sind, hat das BMBFfederführend einen Prozess angestoßen, der in dem vomBundeskabinett im Juli beschlossenen Strategiepapier derBundesregierung »Internationale Berufsbildungszusammen-arbeit aus einer Hand« (BMBF, Bundesanzeiger 17/14352)seinen Ausdruck findet.

    Um diese Strategie umzusetzen, hat das BMBF 2013 alsoperative Einheit für die Berufsbildungszusammenarbeit imBundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) eine Zentralstelle fürinternationale Berufsbildungskooperation eingerichtet, diedie bilateralen Kooperationsbeziehungen unterstützt. Da-bei bringt sie die gesamte Expertise des BIBB als nationa-les Kompetenzzentrum für berufliche Aus- und Weiterbil-dung ein, ist Anlaufstelle für alle beteiligten Institutionen, Ge-

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    schäftsstelle für den »Runden Tisch« und steht den Berufs-bildungsakteuren beratend zur Seite.

    Nachhaltige Reformen sichern künftige Beschäftigung

    Reformen im (Berufs-)Bildungssystem sind mittel- und lang-fristige Vorhaben. Sie wirken in ein komplexes – in vielenPartnerländern überwiegend staatlich reglementiertes – Sys-tem mit vielen »stakeholdern« hinein. Ihre Wirkungen sindzunächst nicht messbar und helfen nicht einer großen An-zahl junger Menschen, wie das vielleicht Sofortmaßnah-men der Beschäftigungspolitik tun.

    Dennoch wird dieser Ansatz der nachhaltigen Reformbemü-hungen die Jugendarbeitslosigkeit mittelfristig wirksam be-kämpfen und gleichzeitig zu sichtbaren Ergebnisse gelan-gen, indem:

    • junge Menschen durch betriebliche Ausbildung mit Fä-higkeiten und Fertigkeiten ausgestattet werden, die siewertvoll für den Arbeitsmarkt machen;

    • Unternehmen gemeinsam mit Staat und Sozialpartnerndas Bildungssystem fit für die Bedarfe des Arbeitsmark-tes machen;

    • junge Menschen mit einer qualitativ hochwertigen beruf-lichen Ausbildung ein attraktiver beruflicher Werdegangangeboten werden kann.

    Aus Sicht des BMBF sind mit dem »Runden Tisch« und der»Zentralstelle« die schlagkräftigen Strukturen geschaffen,um den Ländern zu helfen, die unsere Hilfe bei der Reformihrer Bildungssysteme besonders brauchen.

    Denn: Eine qualitativ hochwertige Berufsbildung sichert Fach-kräfte und leistet einen maßgeblichen Beitrag zur Beschäf-tigung junger Menschen. Wer diesen Grundsatz auch in Zei-ten knapper öffentlicher Haushalte berücksichtigt und dienotwendigen Reformen anstößt, wird künftig Wirtschaftskri-sen besser bewältigen können.

    Was tun gegen die Jugendarbeits -losigkeit in Europa?

    Strukturelle und konjunkturelle Jugendarbeits -losigkeit in der EU

    Im März 2013 lag die Jugendarbeitslosenquote in der EU 27mit 23,4% fast zweieinhalbmal so hoch wie die Arbeitslo-senquote der über 25-Jährigen. In einigen ost- und südeu-ropäischen Ländern ist die Quote mittlerweile auf über 50%gestiegen. Die Statistik der Jugendarbeitslosigkeit ist jüngstvom RWI als »Unstatistik« des Monats bezeichnet worden(RWI 2013). Setzt man die Zahl der Arbeitslosen in Rela ti-on zur Bevölkerung, sieht das Bild in der Tat etwas besseraus. Die Arbeitslosenquoten der Jugendlichen in den Kri-senländern liegen dann zwischen 10 und 20%.

    Allerdings geben auch diese Quoten das Problem der Ju-gendarbeitslosigkeit in den Krisenländern aus vier Gründennicht angemessen wieder. Erstens haben viele arbeitsu-chende Jugendliche keinen Anspruch auf Arbeitslosenun-terstützung und lassen sich deshalb eher als die über 25-Jährigen nicht registrieren. Daher ist gerade in Län-dern mit hoher Jugendarbeitslosigkeit der Anteil der so-genannten NEET (not in education and employment) an derAlterskohorte besonders hoch (vgl. Tab. 1). Zweitens blei-ben viele Jugendliche aus Mangel an Beschäftigungsper-spektiven länger als eigentlich gewünscht im Bildungs-system – oft in nicht sinnvollen Warteschleifen. Drittens sindbereits viele der am besten qualifizierten Jugendlichen inandere Länder abgewandert. Viertens sind gerade Jugend-liche vielfach nur befristet und kurzfristig beschäftigt undwandern von Job zu Job unterbrochen von Arbeitslosig-keit, sind also in der sogenannten perforierten Arbeitslo-sigkeit. Fünftens ist schließlich zu beachten, dass Jugend-arbeitslosigkeit belastendere Langzeitfolgen als die Arbeits-losigkeit Erwachsener hat. Ein schlechter Start ins Berufs-leben erhöht die Risiken instabiler Erwerbsverläufe und ge-

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    Gerhard Bosch*

    * Prof. Dr. Gerhard Bosch ist Leiter des Instituts Arbeit und Qualifikation ander Universität Duisburg-Essen.

  • Zur Diskussion gestellt

    ringer Verdienste stärker als bei anderen Altersgruppen, dawichtige Weichenstellungen für die Ausbildung und weite-re Karrierewege sowie auch für die Persönlichkeitsbildungvon Beschäftigten in den ersten Berufsjahren gelegt wer-den (vgl. Bell und Blanchflower 2009; Kahn 2010). Das Pro-blem der Jugendarbeitslosigkeit ist also gravierend undlässt sich auch nicht weg interpretieren. Man muss aller-dings versuchen, die Dimensionen des Problems über meh-rere Indikatoren einzukreisen.

    Für die Maßnahmen zur Bekämpfung ist es wichtig, die Fra-ge zu beantworten, ob es sich um strukturelle oder konjunk-turelle Jugendarbeitslosigkeit handelt. Ein Blick auf Tabelle 1zeigt, dass schon vor der Finanzkrise die Jugendarbeitslo-sigkeit in den Krisenländern drei bis viermal so hoch war, wiedie Arbeitslosenquote der über 25-Jährigen, was auf eine

    hohe strukturelle Jugendarbeitslosigkeit in diesen Ländernauch bei insgesamt guter Beschäftigungssituation verweist.Die Relation der Arbeitslosenquote der unter 25-Jährigen zuder Arbeitslosenquote der über 25-Jährigen hat sich in ei-nigen EU-Ländern, wie Griechenland, seit 2008 sogar leichtverbessert. Die Verschlechterung der wirtschaftlichen Situa-tion seit 2008 hat also die Jugendlichen zwar hart, aber nichthärter als andere Beschäftigtengruppen getroffen. Die Zu-nahme der Jugendarbeitslosigkeit seit 2008 ist somit vorallem konjunkturell verursacht.

    Ursachen struktureller Jugendarbeitslosigkeit

    Für eine zielgenaue Bekämpfung der Jugendarbeitslosig-keit muss man die Gründe für die hohe strukturelle Jugend-

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    Tab. 1Indikatoren zur Jugendarbeitslosigkeit in der EU 28 und ausgewählten Ländern

    Arbeitslosen-quote der 15-

    bis 25-Jährigen 3/2013

    (1)

    Anstieg seit 2008 in Pro-zentpunkten

    (2)

    Relation von (1) zur Arbeitslosenquote der

    über 25-Jährigen(3)

    Arbeitslose in Rela-tion zu allen 15- bis 25-Jährigen in der Bevölkerung 2012

    (4)

    Nicht in Beschäf-tigung oder

    Bildung 2011(5)

    3/2008 3/2013EU 27 23,4 + 8,3 2,6 2,4 9,7 n.v.*Deutschland 7,6 – 3,3 1,5 1,5 4,1 11,0Frankreich 25,8 + 7,8 2,9 2,8 9,0 16,4Griechenland 58,7 + 25,4 3,4 2,4 16,1 21,8Großbritannien 20,3 + 6,1 3,9 3,6 12,4 15,5Irland 27,1 + 16,6 2,5 2,3 12,3 22,0Italien 39,4 + 18,8 3,9 3,9 10,1 23,2Kroatien 52,0 + 28,9 3,3 3,9 12,7 n.v.*Österreich 7,9 + 0,4 2,5 1,8 5,2 9,3Portugal 40,7 + 21,6 2,7 2,6 14,3 15,3Slowakei 34,3 + 14,5 2,2 2,8 10,4 19,1Spanien 55,4 + 34,4 2,7 2,3 20,6 24,4* Nicht verfügbar.

    Quelle: Eurostat; Berechnungen des Autors; OECD (2013, Tab. 5.2a).

    Tab. 2Anteil unterschiedlicher Alterskohorten mit mindestens Sekundarstufe II und tertiärer Ausbildung 2011

    Mindestens Sekundarstufe II Tertiäre Ausbildung

    25–34 Jahre 55–64 Jahre Unterschied in Prozentpunkten 25–34 Jahre 55–64 JahreUnterschied in

    ProzentpunktenDeutschland 87 84 + 3 31 26 + 5Spanien 66 34 + 32 41 19 + 22Griechenland 78 47 + 31 29 19 + 10Frankreich 83 58 + 25 43 19 + 24Portugal 52 18 + 34 26 11 + 15Slowakei 95 84 + 11 23 14 + 9Österreich 88 72 + 16 24 16 + 8UK 84 67 + 17 48 31 + 17Irland 86 52 + 34 49 23 + 25EU 21 84 65 + 19 37 21 + 18

    Quelle: OECD (2013, Tab. A1.2a; A1.3a).

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    arbeitslosigkeit in den Krisenländern kennen. Das RWI(2013) sieht sie in Qualifikationsmängeln. Ein Blick in dieOECD-Statistiken zeigt, dass davon nicht die Rede seinkann. Durch die rasche Expansion des Bildungswesens istauch in den Krisenländern die junge Generation so gut aus-gebildet, wie keine Generation zuvor. Dies lässt sich amVergleich des Bildungsniveaus der 25- bis 34-Jährigen mitdem der 55- bis 64-Jährigen gut erfassen. In den Län-dern mit besonders hoher Jugendarbeitslosigkeit liegt inder jüngeren Generation der Anteil der Personen mit einemAbschluss auf dem Niveau der Sekundarstufe II oder ei-ner Hochschulausbildung weit über dem der älteren Be-schäftigten (vgl. Tab. 2). Betrachtet man die aktuellen Schü-ler- und Studentenzahlen wird dies auch für die jetzt 15-bis 25-Jährigen gelten, für die aber noch keine aussage-kräftigen Zahlen vorliegen, da viele die Schule oder Aus-bildung noch nicht beendet haben.

    Die umfassende internationale Forschung zum Übergangvom Bildungssystem in den Arbeitsmarkt zeigt, dass wich-tiger als das Niveau der Bildungsabschlüsse die Art der Aus-bildung ist. Mehrere Studien haben gezeigt, dass bei ähnli-cher wirtschaftlicher Lage der Übergang der Jugendlichenins Beschäftigungssystem in Ländern mit einer dualen Be-rufsausbildung deutlicher reibungsloser und zügiger erfolgtals in Ländern mit hohen Anteilen schulischer Berufsausbil-dung oder einem Schwergewicht auf allgemeiner Bildung(z.B. Brzinsky-Fay 2007; Müller und Gangl 2003).

    Der wichtigste Grund für den Integrationserfolg der dualenBerufsbildung ist darin zu sehen, dass die Jugendlichenschon während ihrer Ausbildung zu Insidern auf dem Ar-beitsmarkt werden. Die Unternehmen investieren in die Aus-bildung ihrer künftigen Fachkräfte, die sie dann auch hal-ten wollen. Für die Gewerkschaft und Betriebsräte geltendie Auszubildenden als Teil der Belegschaften, deren Ar-beitsplatzinteressen sie ebenso wie die der anderen Be-legschaftsmitglieder verteidigen. Auch die Belegschaftensehen die Auszubildenden als gleichberechtigten Teil derBelegschaft, unterstützen deren Übernahme nach der Aus-bildung und sind notfalls auch bereit, Opfer, wie eine Ver-kürzung der Arbeitszeit, zu bringen, um deren Übernahmezu ermöglichen. Im Unterschied zu einer schulischen Aus-bildung wird in einer dualen Ausbildung unter realen be-trieblichen Bedingungen gelernt. Damit werden auch dasnoch nicht kodifizierte Wissen (tacit knowledge) und wich-tige Fähigkeiten, wie etwa der Umgang mit Termindruckund Vorgesetzten oder Kooperation mit Kollegen, erwor-ben. Nach Abschluss einer Ausbildung muss man nichtmehr angelernt werden und ist damit externen Bewerbernüberlegen.

    Ein anderer struktureller Grund kann die Schließung desArbeitsmarktes durch einen zu starken Kündigungsschutzfür Insider sein. Ohne Zweifel gibt es solche Schließungs-

    tendenzen in einigen der Länder mit hoher Jugendarbeits-losigkeit. Die hohe Jugendarbeitslosigkeit in Ländern mit ge-ringem Kündigungsschutz, wie dem Vereinigten Königreichund Irland (vgl. Tab. 1), zeigen jedoch, dass in Krisenzeitenden Jugendlichen auch ein geringer Kündigungsschutz nichthilft, da die Unternehmen lieber ihre Beschäftigten mit Ar-beitserfahrung halten. Das deutsche und auch österrei-chische Beispiel belegen zudem, wie man einen hohen Kün-digungsschutz mit geringer Jugendarbeitslosigkeit verbin-den kann, in dem man einen großen Teil der Jugendlichenzu Insidern macht. Die Beschäftigungssituation von Jugend-lichen hängt also nicht von einzelnen Regulierungen, son-dern von den Wechselwirkungen unterschiedlicher Institu-tionen ab.

    Kann man duale Ausbildung exportieren?

    Aufgrund der geringen Jugendarbeitslosigkeit in Deutsch-land ist das duale Ausbildungssystem, wie schon einmal inden 1970er und 1980er Jahren, weltweit in Mode gekom-men. Die EU-Kommission empfiehlt ihren Mitgliedsländern,bei der Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit duale Aus-bildungssysteme auszubauen. Natürlich kann man aus er-folgreichen Modellen lernen, aber nur wenn man diese Mo-delle wirklich verstanden hat. Angesichts der vielen Misser-folge, dieses System zu kopieren, müssen die Vorausset-zungen eines Transfers benannt werden. An dieser Stellekönnen nur einige wesentliche Aspekte genannt werden.Das System der dualen Berufsausbildung ist erstens keinesozialpolitische Veranstaltung zur Versorgung schwacherSchüler. Ihr Hauptzweck ist die Ausbildung der Fachkräftefür morgen in zukunftsträchtigen Berufsbildern. Nur unterdieser Voraussetzung sind die Unternehmen bereit, in Be-rufsausbildung zu investieren. Zweitens bedarf es einer in-novativen Wirtschaft, deren Arbeitsorganisation auf qualifi-zierten Kräften basiert. In einem weniger innovativen Umfeldwerden sich viele Unternehmen mit Un- und Angelerntenbegnügen. Drittens muss Berufsausbildung in der Bevölke-rung ein hohes Prestige genießen, so dass sich nicht nur dieschwächsten Schüler bewerben. Das Prestige hängt vonder Arbeitsplatzsicherheit, einer angemessenen Bezahlung,guten Karrieremöglichkeiten, der Breite der Berufsbilder, dieWahlchancen auf dem Arbeitsmarkt eröffnen müssen undder Qualität der Ausbildung ab. Die Karrieremöglichkeitenwerden durch die Oberetage der Berufsausbildung, die Fort-bildungen zum Meister, Techniker oder Fachwirt, sowie dieDurchlässigkeit zum Hochschulstudium gewährleistet unddie angemessene Bezahlung durch Flächentarifverträge, dieeine Berufsausbildung honorieren. Viertens müssen Unter-nehmen langfristig denken, da sich die Investitionen in eineBerufsausbildung oft erst nach einigen Jahren amortisie-ren. Fünftens muss es starke gesellschaftliche Koalitionengeben, die das System modernisieren, die Ausbildungsbe-reitschaft der Betriebe immer wieder einfordern, die Be-

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    rufsausbildung im Beschäftigungssystem, also in der Ar-beitsorganisation, den Karrierewegen und dem Lohnsystemverankern und die enge Verbindung zwischen betrieblicherund schulischer Ausbildung pflegen. In Deutschland sinddies die Arbeitgeberverbände, die Gewerkschaften, die Kam-mern und die Betriebsräte, die hierin vom Staat unterstütztwerden.

    Als rein staatliches System wird die Berufsausbildung denUnternehmen fremd bleiben. Es sind nicht »ihre Berufe«,in denen ausgebildet werden soll. Die Sozialpartner wer-den sich nicht in gleicher Weise in der Tarif- oder Betriebs-politik für die Einstellung von Auszubildenden engagie-ren, wie sie es beispielsweise in Deutschland in der Finanz-krise 2008/2009 getan haben. Es ist oft übersehen wor-den, dass das deutsche Arbeitsmarktwunder in dieser Kri-se nicht alleine in temporären Arbeitszeitverkürzungenzur Vermeidung von Entlassungen bestand. Das zweiteebenso wichtige Element war die Einstellung von564 000 Auszubildenden mitten in der tiefsten Krise derNachkriegszeit. Ohne die zahlreichen Vereinbarungen derSozialpartner und das Engagement der Politik auf natio-naler, regionaler und betrieblicher Ebene wäre dies nichtmöglich gewesen.

    Die tiefe Krise der neoliberalen Volkswirtschaftslehre zeigtsich daran, dass solche komplexen institutionellen Zusam-menhänge meist nicht mehr verstanden werden. Stattdes-sen wird ein Killerinstinkt gegen fast alle Arbeitsmarktregu-lierungen vermittelt. Ein gutes Beispiel findet sich im letztenGutachten des Sachverständigenrats, dessen Mehrheit Aus-stiegsoptionen aus Flächentarifen vorschlägt, ohne den Flur-schaden für die Berufsausbildung, die Bezahlung von Fach-arbeit und die Fähigkeit der Sozialpartner auf Branchenebe-ne, innovative Formen der Arbeitszeit- und Arbeitsorganisa-tion weiter zu entwickeln, auch nur zu diskutieren (vgl. SVR2012, Ziffer 545).

    Was ist zu tun?

    Die hohe Jugendarbeitslosigkeit hat also strukturelle undkonjunkturelle Ursachen, die man mit unterschiedlichenMaßnahmen angehen muss. Die Einführung dualer Be-rufsausbildung erfordert einen Umbau von Institutionen, denman nur mit sehr langem Atem erreichen kann. Am schwie-rigsten wird es sein, die Unternehmen von der Notwendig-keit eigener Investitionen in Fachkräfte, die über kurze An-lernqualifikationen hinausgehen, zu überzeugen. Ebensoschwierig wird es sein, die Reputation der in den meisteneuropäischen Ländern vernachlässigten beruflichen Aus-bildung bei Schülern und Eltern aufzubauen. Schließlichmüssen die Sozialpartner, die unter dem Druck der Troikagegenwärtig eher auf Konfliktkurs sind, bei diesem Themafür eine enge Kooperation gewonnen werden. Dies kann

    nur mit starker staatlicher Unterstützung geschehen. Sokann der Staat als vorbildlicher Ausbilder vorangehen. Erkann auch berufliche Abschlüsse als Zugangskriterien zubestimmten Berufen, wie bei den gefahrengeneigten Be-rufen im deutschen Handwerk, oder bei Teilnahme an Aus-schreibungen festlegen.

    Norwegen ist ein Beispiel eines gelungenen Institutionen-transfers. Allerdings war dort in den 1990er Jahren die Aus-gangsituation viel günstiger. Die Rahmenbedingungen wur-den zwischen dem Staat und verpflichtungsfähigen Sozial-partnern auf nationaler Ebene ausgehandelt und die Wirt-schaft wuchs. Das norwegische Beispiel zeigt zudem, dassalleine die Erarbeitung der auf die Besonderheiten des Lan-des abgestimmten Blaupausen und der Aufbau der nötigenpolitischen Koalitionen mehrere Jahre dauerten. In den Kri-senländern werden hingegen die politischen Koalitionen zwi-schen Staat und Sozialpartnern, die man für den Aufbau ei-nes dualen Ausbildungssystems braucht, gravierend ge-schwächt.

    Den Jugendlichen von heute ist damit nicht geholfen. Aufeuropäischer Ebene wird das Problem mittlerweile seit dreiJahren diskutiert, ohne dass man über Resolutionen hin -ausgekommen ist. Kurzfristig muss vor allem das konjunk-turelle Problem angegangen werden. Die diskutierte »Ju-gendgarantie« ist eine schöne Idee, die aber die Krisenlän-der überfordert. Sie werden ohne zusätzliche Wachstums-impulse nicht in der Lage sein, allen arbeitslosen Jugendli-chen nach Abschluss der Schule oder nach dem Verlust desArbeitsplatzes eine Arbeitsstelle, eine Ausbildungs- oderWeiterbildungsmöglichkeit oder einen Praktikumsplatz an-zubieten. Das lässt sich allenfalls in einigen Ländern, wie inDeutschland oder Österreich, wo die Idee herkommt, um-setzen. Perspektiven wird man den Jugendlichen kurzfris-tig nur durch ein europäisches Wachstumsprogramm inwichtigen Infrastrukturbereichen mit europäischem Geld undobligatorischen Mindestquoten für die Beschäftigung vonJugendlichen und Ausbildungsplätzen geben können.

    Nicht helfen wird das Standardrepertoire der Arbeitsmarkt-deregulierung. Der Mindestlohn für Jugendliche wurde inGriechenland um 33% gesenkt, ohne dass Besserung inSicht ist. Ebenso perspektivlos ist die Lockerung des Kün-digungsschutzes. Ohne Wachstumsimpulse wird man da-mit die Arbeitslosigkeit durch schnelleren Personalabbau nurerhöhen.

    Literatur

    Bell, D.N.F. und D.G. Blanchflower (2009), »What to Do about Rising Un -employment in the UK?«, IZA Discussion Paper 2009, #4040.

    Bosch, G. und J. Charest (2010), »Vocational Training: International Perspec -tives,« in: G. Bosch und J. Charest (Hrsg.), Vocational Training: InternationalPerspectives, Routledge, London, 1–26.

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    Brzinsky-Fay C. (2007), »Lost in Transition? Labour Market Sequences ofSchool-leavers in Europe«, European Sociological Review 23(4), 409–422.

    Kahn, L.B. (2010), »The Long-term Labor Market Consequences of Gradua-ting from College in a Bad Economy«, Labour Economics 17(2), 303–316.

    Müller,W. und M. Gangl (Hrsg.,2003), Transitions from Education to Work inEurope. The Integration of Youth into EU Labour Markets, Oxford UniversityPress, Oxford.

    OECD (2013), Education at a Glance, Paris.

    RWI (2013), »Statistiken zur Jugendarbeitslosigkeit in Südeuropa führen indie Irre«, Pressemitteilung vom 22. Juli.

    SVR (2012), Stabile Architektur für Europa – »Handlungsbedarf im Inland,«Jahresgutachten 2012/13, Wiesbaden.

    Das duale System der Berufsbildung als Allheilmittel zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit in (Süd-)Europa?Möglichkeiten und Grenzen eines Systemtransfers

    Eckdaten zur Jugendarbeitslosigkeit in Europa

    Alarmierende Zahlen werden genannt, wenn es um die Ju-gendarbeitslosigkeit in Europa, vor allem in den südeuropäi-schen Mitgliedsländern der EU geht. War schon im Durch-schnitt der EU 28 im Jahr 2012 fast jeder vierte junge Menschzwischen 15 und 24 Jahren von Arbeitslosigkeit betroffen(Jugendarbeitslosenquote: 23%), lagen die entsprechendenQuoten für Griechenland (55,3%) und Spanien (53,2%) mehrals doppelt so hoch. Deutschland (8,1%) und Österreich(8,7%) sowie die (nicht zur EU gehörenden Länder) Schweiz(8,4%) und Norwegen (8,6%) erscheinen mit ihren vergleichs-weise niedrigen Quoten schon nahezu als Paradies (vgl. Eurostat 2013).

    In Spanien sind im Moment etwa eine Million junger Men-schen in dieser Altersgruppe von Arbeitslosigkeit betroffen,in Italien mehr als 600 000. Bezieht man Griechenland undPortugal in die Betrachtung ein, hat sich die Zahl der Arbeits-losen innerhalb der letzten fünf Jahre um »fast 800 000 Per-sonen auf insgesamt rund 2 Mil. Arbeitslose unter 25 Jah-ren« erhöht (vgl. Zimmermann 2013, 2). Deutschland ist hin-gegen »das einzige Land in der EU, in dem die Arbeitslo-sigkeit junger Menschen seit Jahren kontinuierlich im Rück-gang begriffen ist« (ebd.).

    Zwar ist bei der Interpretation dieser Daten zu berücksich-tigen, dass diese Arbeitslosenquoten aus der Relation derarbeitslosen jungen Menschen (5,6 Mill. in der EU 28) zu al-len Erwerbspersonen in dieser Altersgruppe (24,4 Mill.) ge-bildet werden, wobei die (33 Mill.) Nichterwerbspersonen

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    Friedrich Hubert Esser*

    * Prof. Dr. Friedrich Hubert Esser ist Präsident des Bundesinstituts für Be-rufsbildung, Bonn.

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    nicht berücksichtigt sind, die sich überwiegend noch imBildungssystem befinden. Wird auch diese Gruppe in dieBerechnungen einbezogen, liegen die Anteile der jungen Ar-beitslosen EU-weit mit 9,7% zwar wesentlich niedriger alsdie Arbeitslosenquoten in Griechenland (16,1%), Spanien(20,6%) und Portugal (14,3%) allerdings trotzdem deutlichüber dem EU-Durchschnitt, während Deutschland mit ei-nem Anteil von nur 4,1% auch hier die Rangliste der euro-päischen Staaten anführt (vgl. Eurostat 2013).

    Doch auch bei diesen Zahlen ist im Hinblick auf Vergleich-barkeit und Aussagekraft Vorsicht geboten. So werden z.B.in Deutschland die Auszubildenden im dualen System zuden Erwerbspersonen gerechnet, da ihre Ausbildungsver-hältnisse – anders als bei schulischen Ausbildungen – alsArbeitsverhältnisse gelten. Nicht berücksichtigt sind bei die-sem Vergleich überdies andere wichtige Einflussfaktorenauf die unterschiedliche Ausprägung der Jugendarbeits -losigkeit.

    Arbeitsmarkt und Ausbildungssystem als Einflussfaktoren auf Jugendarbeitslosigkeit

    Zu den Einflussfaktoren auf Jugendarbeitslosigkeit gehö-ren die wirtschaftliche Lage, die Situation auf den Arbeits-märkten sowie die Konstitution der Ausbildungssysteme dereinzelnen Länder. So gibt es in den Ländern, die in höhe-rem Maße von der wirtschaftlichen Krise betroffen sind, ent-sprechend größere Probleme auf dem Arbeitsmarkt undauch eine stärker ausgeprägte Jugendarbeitslosigkeit. Hin-zu kommen die bildungssystemspezifischen Unterschiede.

    Um diese Effekte quantitativ zu erfassen, muss man die Ju-gendarbeitslosigkeit des jeweiligen Landes in Relation zurGesamtarbeitslosigkeit (nach ILO-Definition) setzen. Hierzusind in Tabelle 2 die Arbeitslosenquoten der unter 25-Jäh-rigen den Arbeitslosenquoten der 25- bis 74-Jährigen ge-genübergestellt.

    Der daraus resultierende Quotient zeigt, inwieweit Jugend-liche unter den Arbeitslosen in besonderem Maße benach-teiligt sind. Trotz einer Erhöhung dieses Quotienten (der imJahr 2001 noch bei 1,01 gelegen hatte) auf 1,56 im Jahr2012 sind Jugendliche in Deutschland unter den Arbeitslo-sen im europäischen Vergleich nach wie vor am geringstenbenachteiligt (Rangplatz 1). In Norwegen ist das Risiko fürjunge Menschen im Vergleich zu den älteren Menschen (beieiner ähnlichen Arbeitslosenquote) hingegen mehr als dop-pelt so groß wie in Deutschland (Rangplatz 24).

    Im Datenreport des BIBB zum Berufsbildungsbericht 2012sind entsprechende Berechnungen für die Entwicklung derletzten 20 Jahre in den OECD-Ländern dokumentiert. Auchdort zeigen sich zwischen den einzelnen Ländern zum Teilerhebliche Unterschiede, und zwar sowohl im Hinblick aufdas Niveau als auch bei den Entwicklungsverläufen (vgl.Hanf, Brzinsky-Fay et al. 2012, 403 ff.).

    Zu einem »nicht unbeträchtlichen Anteil« werden diese Un-terschiede mit der unterschiedlichen strukturellen Einbet-tung des Übergangs zwischen Schule und Beruf erklärt.Die Verfasser/-innen gehen deshalb davon aus, dass »selbstbei gleichen demographischen und ökonomischen Rahmen-bedingungen die Jugendarbeitsmärkte in Abhängigkeit von

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    Tab. 1Arbeitslosigkeit im europäischen Vergleich

    Arbeitslosenquote in %, Personen von 15 bis 24

    Jahre

    Ranking (2012)

    Arbeitslosenquote in %, Personen von 25 bis 74

    Jahre

    Betroffenheit der Jünge-ren im Vergleich zu den Älteren: (ALQ 15–24)/

    (ALQ 25–74)

    Ranking (2012)

    Land 2005 2009 2012 ALQ (15–24) 2005 2009 2012 2005 2009 2012ALQ (15–24)/(ALQ 25–74)

    EU 27 18,7 20,0 22,8 von 28* 7,7 7,6 9,1 2,43 2,63 2,51 von 28*Belgien 21,5 21,9 19,8 10 7,1 6,6 6,4 3,03 3,32 3,09 19Dänemark 8,6 11,2 14,1 5 4,2 5,0 6,3 2,05 2,24 2,24 5Deutschland 15,5 11,2 8,1 1 10,6 7,3 5,2 1,46 1,53 1,56 1Griechenland 26,0 25,8 55,3 28 8,4 8,3 22,0 3,10 3,11 2,49 10Spanien 19,7 37,8 53,2 27 7,7 15,9 22,7 2,56 2,38 2,34 6Frankreich 21,1 23,5 24,6 16 7,9 7,8 8,7 2,67 3,01 2,83 16Italien 24,0 25,4 35,5 25 6,2 6,4 8,9 3,87 3,97 3,97 25Lettland 13,6 33,6 28,4 22 8,3 14,9 13,5 1,64 2,26 2,10 2Luxemburg 14,3 16,5 18,0 7 3,8 4,1 4,2 3,76 4,02 4,29 28Niederlande 9,4 7,7 9,5 4 4,5 3,0 4,5 2,09 2,57 2,11 3Österreich 10,3 10,0 8,7 3 4,3 3,9 3,6 2,40 2,56 2,42 9Portugal 16,1 20,0 37,7 26 6,8 8,7 14,0 2,85 2,30 2,69 13Schweden 22,6 25,0 23,7 15 5,7 5,9 5,7 3,96 4,24 4,16 27Vereinigtes Königreich 12,8 19,1 21,0 13 3,3 5,5 5,7 3,88 3,47 3,68 23Norwegen 11,4 8,9 8,6 2 3,4 2,2 2,3 3,35 4,05 3,74 24* EU 27 plus Norwegen.

    Quelle: Eurostat: Daten aus LFS; Arbeitslosigkeit nach ILO-Konzept: Berechnungen des BIBB.

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    der institutionellen Ausgestaltung des Übergangs in den Län-dern höchst unterschiedlich ausfallen«. Bedeutsam sind hier-für aus Sicht des Bildungssystems u.a.die Form und der An-teil der beruflichen Bildung und aus Sicht des Arbeitsmark-tes »der Grad an Beschäftigungsschutz sowie die Formvon Lohnfindungsprozessen«.

    Als »entscheidendes Merkmal von Übergangssystemen« giltin diesem Zusammenhang die Form der beruflichen Bildung:»In internationalen Vergleichen wird danach unterschieden,ob die berufliche Bildung in allgemeinbildenden Schulen, inspeziellen Berufsschulen, in Unternehmen oder in einemdualen System stattfindet« (ebd. S. 404).

    In Ländern, in denen es ein duales System der Berufsaus-bildung gibt (Deutschland, Österreich, Schweiz), sind die So-zialpartner systematisch einbezogen sowohl bei der Defini-tion von Ausbildungsinhalten, bei der Festlegung von Aus-bildungsvergütungen als auch bei der Prüfung von Ausbil-dungsleistungen. Hier gibt es eine »hochgradig standardi-sierte« Berufsbildung mit transferfähigen Qualifikationen undeiner hohen »Übereinstimmung (»Matching«) zwischen Qua-lifikationsanforderungen von Arbeitsplätzen und Qualifika-tionen von Arbeitssuchenden«. Das Unternehmen ist alsAusbildungsplatzanbieter gleichzeitig wichtigster Ausbil-dungsort, weshalb »die Wahrscheinlichkeit einer Übernah-me« als »vergleichsweise hoch« eingeschätzt wird. Aufgrunddieser Systemmerkmale funktioniert der Übergang von derSchule in die Erwerbstätigkeit »relativ reibungslos«, sofernder Ausbildungsmarkt eine hinreichende Anzahl an Plätzenbereitstellt. (ebd. S. 405).

    In Ländern, die keine »formalisierte berufliche Ausbildung«haben (z.B. Frankreich, Italien und Spanien), findet der Er-werb berufsspezifischer Qualifikationen weitgehend am Ar-beitsplatz statt (»on-the-job training«), während die Schu-le »vorrangig allgemeine Qualifikationen vermittelt«. Weilsich Unternehmen in diesen Ländern bei der Vergabe ih-rer Arbeitsplätze nur an den vorgängigen Schulabschlüs-sen orientieren können, ist »das Risiko eines Qualifikations-Mismatches höher […] als in den Ländern mit dualem Aus-bildungssystem. Als typische Systemmerkmale dieser Län-der gelten deshalb die längeren Suchprozesse auf [den]Jugendarbeitsmärkten«, die hohe Jugendarbeitslosigkeitsowie der hohe »Anteil von befristeten Beschäftigungs-verhältnissen für Berufseinsteiger/-innen«, mit dem sich Un-ternehmen »gegen hohe Transaktionskosten abzusichern«versuchen.

    In den Ländern, in denen »berufliche Qualifikationen in mehroder weniger spezialisierten Berufsschulen vermittelt bzw.berufliche Inhalte in die Curricula allgemeiner Schulen inte-griert« werden (wie etwa in den Niederlanden und in Schwe-den), fehlt häufig der Praxisbezug der Ausbildung, auch weil»die Sozialpartner [i.a.R.] nicht in die Entwicklung von

    Curricula einbezogen« sind. Aus Sicht der Unternehmen ent-halten die »entsprechenden beruflichen Abschlüsse […] nurwenig aussagekräftige Hinweise über die beruflichen Qua-lifikationen der Bewerber/-innen« und bergen insofern einhohes Risiko fehlender Passung. Darüber hinaus ist »die Bin-dung an Unternehmen und damit die Chance einer Über-nahme durch den Ausbildungsbetrieb geringer als in Län-dern mit dualem System« (ebd. S. 406).

    Die Auswirkungen dieser Unterschiede auf die Situation jun-ger Menschen lassen sich anhand von Daten aus den letz-ten 20 Jahren belegen: So liegt das Risiko für einen Jugend-lichen in Deutschland, arbeitslos zu werden, im Schnitt nurwenig höher als für einen Erwachsenen (Faktor 1,56, vgl.Übersicht 1), während er in anderen Ländern bis zu viermalso hoch sein kann.

    Auf der anderen Seite liegt zum Beispiel in Spanien der An-teil der jungen Hochschulabsolventinnen und -absolven-ten, die auf Arbeitsplätzen beschäftigt sind, für die kein Hoch-schulabschluss erforderlich ist, bei 45%. In Ländern mit dua-ler Berufsbildung, wie z.B. der Schweiz, Deutschland oderDänemark, liegt dieser Anteil nur zwischen 15 und 20% (vgl.Grollmann, Hanf und Hippach-Schneider 2011, 393).

    Voraussetzungen zur Lösung der Arbeitsmarkt-probleme von Jugendlichen in Europa

    Angesichts der hier skizzierten Komplexität der Verflech-tungen zwischen Bildungs- und Beschäftigungssystem dürf-te zweierlei deutlich geworden sein: Erstens wird das Ar-beitsmarktrisiko von jungen Menschen sehr stark von deraktuellen Situation der jeweiligen nationalen Arbeitsmärktegeprägt, die wiederum entscheidend von den Wirtschafts-strukturen und der Wirtschaftskraft abhängt. Die aktuellenProbleme, die viele Länder in Südeuropa in diesem Bereichhaben, können deshalb auch nicht allein durch eine Re-form ihrer Berufsbildungssysteme behoben werden.

    Zweitens hat man es bei allen Reformbemühungen mit Aus-gangsbedingungen in den jeweiligen Ländern zu tun, dielangfristig gewachsen und entsprechend fest mit den poli-tischen Strukturen, den Bildungssystemen und Arbeitsmärk-ten verknüpft sind. Sie lassen sich deshalb – wenn über-haupt – nur in längerfristiger Perspektive unter Berücksich-tigung der jeweiligen Kontextbedingungen ändern. Aus die-sem Grund können Berufsbildungssysteme auch nicht wiez.B. Autos oder Software mit wenigen »Lokalisierungen« indie Märkte anderer Länder exportiert werden. Auch das dua-le System kann nicht im Sinne eines 1:1-Transfers exportiertwerden.

    Eine wesentliche Voraussetzung für eine erfolgreiche Um-setzung solcher Reformen im Sinne einer schrittweisen

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    Veränderung der vorhandenen Strukturen ist darüber hin -aus die Bereitschaft der Betriebe in den betroffenen Län-dern, sich in dualen Berufsbildungsformen zu engagierenund Verantwortung zu übernehmen. Hinzu kommt, dassein klarer politischer Wille da sein muss, Dualität als Ele-ment der Berufsbildung zu befördern. In vielen europäi-schen Ländern hat die Berufsbildung jedoch ein Image-Problem: Die akademische Ausbildung wird hier häufig alsdas Maß aller Dinge bzw. als einzig erstrebenswert ange-sehen. Damit eine duale Ausbildung als ernsthafte Alter-native zum Studium wahrgenommen wird, gilt es, ihr Imagein diesen Ländern zu verbessern. Ein wichtiger Aspekt hier-bei ist die Erhöhung der Durchlässigkeit zwischen der be-ruflichen und der hochschulischen Bildung. Genauso wich-tig ist es aber auch, die Betriebe von ihren Vorteilen zuüberzeugen (vgl. wiederum Grollmann, Hanf und Hippach-Schneider 2011).

    Beiträge des BIBB im europäischen Kontext

    Die Verbindung von betrieblichem und schulischem Lernenals zentrales Qualitätsmerkmal hochwertiger wirtschafts-naher Berufsbildung wird in allen Staaten, mit denen dasBIBB kooperiert, anerkannt. Das ist eine wichtige Voraus-setzung, auf die das BIBB in der Kooperation mit anderenLändern aufbaut. Sechs europäische Partnerländer (Grie-chenland, Italien, Lettland, Portugal sowie die Slowakei undSpanien) haben das auf einer Konferenz im Dezember 2012in Berlin mit einem Memorandum dokumentiert. In der Zwi-schenzeit startete auch eine europäische Initiative zu demThema, die »Europäische Ausbildungsallianz«. Am 2. Juli2013 haben sich aus Anlass der »World Skills« in Leipzigdie Generaldirektionen Bildung und Kultur sowie Beschäf-tigung der EU-Kommission im Schulterschluss mit den So-zialpartnern gemeinsam auf diese für die europäische Be-rufsbildung wichtige Initiative festgelegt, die seither den Rah-men für die Aktivitäten des BIBB bildet (vgl. EuropäischeKommission 2013).

    Aus den bilateralen Vereinbarungen mit Italien und Spaniensind verschiedene Aktivitäten entstanden, die vom BIBB un-terstützt werden. Spanien und Italien haben den Willen zueiner Dualisierung deutlich dokumentiert. In beiden Länderngab es im vergangenen Jahr wesentliche Veränderungen inder Gesetzgebung, die eine Dualisierung der beruflichen Bil-dung befördern sollen. In Spanien existiert bereits eine Fül-le von Pilotprojekten (140), in denen verschiedene Formenvon Dualität ausprobiert werden.

    In der Zusammenarbeit mit den spanischen und italienischenPartnern geht es nun darum, diese bei der Reform ihrerBerufsbildung zu unterstützen, ihnen nicht als »Besserwis-ser«, sondern als »kritischer Freund« zur Seite zu stehen und

    mögliche Antworten auf Fragen zu geben, die sich in die-sen Ländern nun stellen.

    Dabei hat sich das BIBB mit den beteiligten Ländern aufeinige konkrete Branchen und Berufsfelder geeinigt, in de-nen gemeinsame Projekte und Aktivitäten durchgeführtwerden sollen. In Italien werden derzeit fünf Projekte ge-plant, in denen modellhaft Strukturen entwickelt werden,wie auf der Basis der neuen rechtlichen Möglichkeiten ei-ne Ausweitung betrieblicher Abschnitte der vollzeitschuli-schen Berufsbildung ermöglicht werden kann. Diese fünf»Modellprojekte« sollen in den Bereichen Mechatronik,Transport & Logistik und schließlich in der Windenergie an-gesiedelt sein.

    In der Kooperation mit Spanien sollen gemeinsame Projek-te und Aktivitäten in den Berufsfeldern Mechatronik, Nah-rungsmittelindustrie und Tourismus durchgeführt werden.Eine Frage, die sich in Spanien stellt, ist z.B. wie die Aufga-benteilung zwischen Lehrerinnen und Lehrern in der Schu-le und dem betrieblichen Ausbildungspersonal in Zukunftaussehen kann. Wie funktioniert das in Deutschland, undwelche Erfahrungen sind übertragbar? Die spanischen Part-ner interessieren sich außerdem für die Frage, welche Mög-lichkeiten der gegenseitigen Anrechnung von gelernten In-halten vom einen Land in das andere bestehen. Dies ist ei-ne wichtige Flankierung der steigenden Mobilität zwischenden Ländern, insbesondere auch von spanischen Auszu-bildenden und Arbeitnehmer/-innen.

    Dabei ist klar, dass die Schwerpunkte der Zusammenarbeitmit den einzelnen Ländern individuell vereinbart werden müs-sen. So wie es keinen einfachen Export des dualen Systemsgeben kann, gibt es auch nicht den einen besten Weg. DieAktivitäten des BIBB in dieser Zusammenarbeit sind unterBerücksichtigung der jeweiligen nationalen Rahmenbedin-gungen auf langfristige Wirkungen angelegt (vgl. Thomannund Le Mouillour 2013).

    Ausblick, offene Fragen und Herausforderungen

    Selbst wenn die Reformbemühungen im Bereich der beruf-lichen Bildung greifen, wird es vermutlich Jahre dauern, bissie sich spürbar positiv auf die Arbeitsmarktsituation der jun-gen Menschen in diesen Ländern auswirken werden, unddas auch nur unter der Voraussetzung, dass es gleichzeitiggelingt, die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zu ver-bessern. Ungeachtet dessen leistet der auf Initiative des Bun-desministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) mit der»Ausbildungsallianz« eingeschlagene Weg einen vielverspre-chenden Beitrag zur Schaffung eines gemeinsamen euro-päischen Berufsbildungsraumes, dessen Gestaltung sicherfreulicherweise sehr stark an den in Deutschland bewähr-ten Prinzipien des dualen Systems orientiert.

    i fo Schne l ld ienst 16/2013 – 66. Jahrgang – 29. August 2013

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  • Zur Diskussion gestellt

    Literatur

    Europäische Kommission (2013), »Startschuss für Europäische Ausbildungs-allianz«, Pressemitteilung vom 2. Juli, online verfügbar unter: http://europa.eu/rapid/press-release_IP-13-634_de.htm, aufgerufen am 19. August 2013.

    Eurostat (2013), »Messung der Jugendarbeitslosigkeit – wichtige Konzepteim Überblick«, Pressemitteilung 107/2013 vom 12. Juli.

    Grollmann, P., G. Hanf und U. Hippach-Schneider (2011), »Durchlässigkeitin ausgewählten europäischen Bildungssystemen«, in: Bundesinstitut für Berufsbildung (Hrsg.), Datenreport zum Berufsbildungsbericht 2011, Bonn,390–400, online verfügbar unter: http://datenreport.bibb.de/media2011/Datenreport_2011.pdf, aufgerufen am 19. August 2013.

    Hanf, G., Ch. Brzinsky-Fay, Ph. Grollmann und U. Hippach-Schneider (2012),»Übergänge von der Schule in Ausbildung und Beruf im internationalen Ver-gleich«, in: Bundesinstitut für Berufsbildung (Hrsg.), Datenreport zum Be-rufsbildungsbericht 2012, Bonn, 401–417, online verfügbar unter: http://da-tenreport.bibb.de/media2012/BIBB_Datenreport_2012.pdf, aufgerufen am19. August 2013.

    Thomann, B. und I. Le Mouillour (2013), »Vom Sonderfall zum nachgefrag-ten Modell: Was macht die duale Ausbildung für das Ausland attraktiv?«, BWP– Berufsbildung in Wissenschaft und Praxis (4), 47–48.

    Zimmerman, K.F. (2013), »Jugendarbeitslosigkeit in Europa. Keine Alternativezu umfassenden Reformen in den Krisenstaaten«, IZA compact. Juni, 1–5.

    Jugendarbeitslosigkeit in den Mitglied-staaten der EU – was kann und solltedie EU tun?

    Letztlich ist in der Wirtschaftswissenschaft unstreitig, dassdas Schrumpfen des realen BIP die Arbeitslosigkeit einesLandes steigen lässt (vgl. etwa Okun 1962). Der massiveAnstieg der Arbeitslosigkeit in den von der derzeitigen Wirt-schafts- und Finanzkrise am stärksten betroffenen Mitglied-staaten der EU ist also prinzipiell keine Überraschung – zu-mindest nicht für Ökonomen. Gleichwohl zeigen sich Jour-nalisten und Politiker von den hohen Jugendarbeitslosen-quoten in einigen Mitgliedstaaten überrascht und entsetzt.Die Lösung des Problems sehen viele auf europäischer Ebe-ne – allen voran die betroffenen Länder, die EuropäischeKommission und das Europäische Parlament. Doch waskönnen die Europäischen Institutionen überhaupt leisten,und welche Bringschuld haben die Mitgliedstaaten?

    Von statistischen Verzerrungen

    Zunächst muss festgestellt werden, dass der Blick in dieZeitung seit langem täuscht: In Griechenland und Spa-nien sei mehr als jeder zweite Jugendliche arbeitslos, heißtes dort. Denn die Jugendarbeitslosenquote habe die 50%-Schwelle überschritten. Dieser Trugschluss ergibt sich auseiner verbreiteten Fehlinterpretation dessen, was in diesenLändern unter der Jugendarbeitslosenquote verstandenwird. Sie zeigt den Anteil der jugendlichen Arbeitslosen anden jugendlichen Erwerbspersonen, also denjenigen, dieentweder arbeiten oder Arbeit suchen. Viele Jugendlichebefinden sich jedoch noch in Schule, Studium oder Aus-bildung. Sie werden bei der Berechnung der Jugendar-beitslosenquote – sofern sie für die Ausbildung keine Ver-gütung bekommen oder nebenbei jobben oder Arbeit su-

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    Klaus-Dieter Sohn* Sebastian Czuratis**

    * Klaus-Dieter Sohn ist Leiter des Fachbereichs Beschäftigungs- und So-zialpolitik am Centrum für Europäische Politik, Freiburg.

    ** Sebastian Czuratis ist wissenschaftlicher Referent am Fachbereich Beschäftigungs- und Sozialpolitik am Centrum für Europäische Politik,Freiburg.

  • Zur Diskussion gestellt

    chen – nicht berücksichtigt. Zwischen den Mitgliedstaatenergeben sich daher systematische Unterschiede: InDeutschland erhalten Auszubildende in der dualen Aus-bildung eine Vergütung und zählen daher als Erwerbstäti-ge. Sie vergrößern mithin den Nenner der Jugendarbeits-losenquote. Wird derselbe Beruf in einem anderen Mitglied-staat in rein schulischer Form, ohne Vergütung des Aus-zubildenden, angeboten, so zählt dieser Auszubildendenicht zu den Erwerbstätigen. Die Jugendarbeitslosenquo-te ist dort ceteris paribus folglich größer. Um eine besse-re Vergleichbarkeit und einen unverfälschteren Blick auf dierelative Lage der Jugendlichen in den einzelnen Mitglied-staaten zu erhalten, empfiehlt sich daher ein Blick auf denJugendarbeitslosenanteil, also den Anteil der jugendlichenArbeitslosen an der Gesamtbevölkerung im Alter von 15 bis24 Jahre.1

    Wie Abbildung 1 zeigt, ist der Unterschied zwischen denJugendarbeitslosenquoten und den Jugendarbeitslosen-anteilen insbesondere für Spanien, Griechenland undFrankreich beeindruckend. 2012 betrug der Jugendar-beitslosenanteil in Griechenland mit 16,1% weniger als einDrittel der dortigen Jugendarbeitslosenquote (55,3%). Zu-dem zeigt der Vergleich der Jugendarbeitslosenquoten mitden Jugendarbeitslosenanteilen, dass nicht Griechenland,sondern Spanien am stärksten von Jugendarbeitslosigkeitbetroffen ist. Die hohen Jugendarbeitslosenquoten über-zeichnen die Lage der jungen Menschen in diesen Län-dern also dramatisch. Aber auch Jugendarbeitslosenan-teile von bis zu 20% wie in Spanien – hier sucht in der Tatjeder fünfte junge Mensch Arbeit – sind gesellschaftspo-litisch und ökonomisch höchst problematisch. Neben dersozialen Absicherung und Weiterbildung der Arbeitslosenfallen Kosten auch in Form entgangener Steuereinnahmen

    an. Aber auch auf individueller Ebene desBetroffenen führt eine länger anhaltende Ar-beitslosigkeit zu Problemen, die sich wie-derum langfristig negativ auf volkswirt-schaftlicher Ebene auswirken.

    Es droht (k)eine verlorene Generation

    In den Medien und auch von Politikern istoft zu hören, dass Europa aufgrund der ho-hen Jugendarbeitslosigkeit eine verloreneGeneration drohe. Doch was ist dran an die-ser Behauptung? Umfangreiche empirischeUntersuchungen zu den Folgen der erleb-ten Arbeitslosigkeit auf das spätere Er-werbsleben zeigen, dass bei erlebter Ar-

    beitslosigkeit die Wahrscheinlichkeit späterer Arbeitslosig-keit zunimmt und auch zukünftige Lohneinkommen ten-denziell geringer sind als bei Menschen, die nicht arbeits-los waren (vgl. Schmillen und Umkehrer 2013; Verho 2008).Die demographische Entwicklung wird diese Effekte ver-mutlich deutlich abschwächen, denn in Zeiten eines knap-per werdenden Arbeitsangebots werden die Unternehmenauch weniger Qualifizierte und von Arbeitslosigkeit »ge-zeichnete« Menschen einstellen. Mithin ist die Angst vordem Verlust einer ganzen Generation in Europa bei einemJugendarbeitslosenanteil von bis zu 20% übertrieben. Ei-ne Zunahme an Arbeitslosen ist in einer Rezession völlignormal, und junge Menschen gehören in wirtschaftlichschlechten Zeiten regelmäßig zu den ersten, die entlas-sen werden. Denn sie haben in der Regel wenig allgemei-ne und betriebsspezifische Arbeitserfahrung und relativ ge-ringe Entlassungskosten. Wie Abbildung 2 zeigt, sind abernicht nur junge Menschen von wirtschaftlichen Auf- undAbschwüngen betroffen, denn die Gesamtarbeitslosen-quote schwankt parallel zur Jugendarbeitslosenquote –sowohl für Griechenland als auch für die aggregierten Wer-te der EU 27. Die Jugendarbeitslosigkeit darf daher nichtnur als isoliertes Phänomen betrachtet werden, wenngleichsie in vielen Mitgliedstaaten durch strukturelle Problemeder Bildungs- und Beschäftigungspolitik verstärkt wird.Folglich dürfen sich mögliche Lösungsvorschläge auchnicht nur auf junge Menschen konzentrieren.

    Zudem hat die steigende Jugendarbeitslosigkeit auch lang-fristig schädliche volkswirtschaftliche Folgen. Eine neue Un-tersuchung zeigt, dass die derzeitige Krise einen negativenEinfluss auf die Geburtenraten junger Frauen hat (vgl. Gold-stein et al. 2013). Auch diesem Aspekt müssen Politiker,Journalisten und Ökonomen ihre Aufmerksamkeit widmen,zumindest dann, wenn die Krise noch länger andauert. Denndie demographische Entwicklung ist die große Herausfor-derung unserer Zeit.

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    Jugendarbeitslosenquote

    Jugendarbeitslosenanteil

    Jugendarbeitslosenquote vs. Jugendarbeitslosenanteil 2012

    Quelle: Eurostat.

    %

    Abb. 1

    1 Die breite Fehlinterpretation von Jugendarbeitslosenquoten hat Eurostatmittlerweile dazu bewogen neben der Jugendarbeitslosenquote auchden Jugendarbeitslosenanteil zu veröffentlichen.

  • Zur Diskussion gestellt

    Was tut die EU, und was kann die EU tun?

    Die EU hat sich mit ihrer Strategie »Europa 2020» ehrgeizi-ge beschäftigungs- und bildungspolitische Ziele gesetzt: Biszum Jahr 2020 soll die Beschäftigungsquote der 20- bis 64-Jährigen auf 75% steigen, die Quote der Hochschulabsol-venten eines Jahrgangs auf 40% erhöht werden und dieSchulabbrecherquote auf unter 10% sinken.

    Die Wirtschafts- und Finanzkrise und ihre massiven Folgenfür Output und Beschäftigung in vielen Mitgliedstaaten be-drohen diese ehrgeizigen Ziele erheblich. Gleichzeitig zeigtein Blick in die Europäischen Verträge aber: Die der EU über-tragenen Kompetenzen im Bereich der Beschäftigungs-politik lassen tiefgreifende Arbeitsmarktreformen auf EU-Ebene nicht zu, diese sind den Mitgliedstaaten vorbehal-ten. In diesen jedoch werden zahlreiche erforderliche Re-formen, wie die Absenkung von Mindestlöhnen und Locke-rungen beim Kündigungsschutz, nicht angegangen, weilder innenpolitische Widerstand als zu groß angesehen wird.Es ist deshalb umso wichtiger, dass die EU zum einen län-derspezifische Empfehlungen ausspricht, die solche not-wendigen Strukturreformen des jeweiligen Arbeitsmarkteseinfordern, und zum anderen die nationalen Arbeitsver-waltungen und Sozialpartner gemeinsam in das Erarbeitenvon Reformprogrammen, basierend auf dem Austausch vonbest practices, einbindet.

    Wie wichtig der Blick über den nationalen Tellerrand ist, wirddeutlich, wenn man die von der OECD viel gescholtene»niedrige« Quote der Hochschulabsolventen in Deutsch-land betrachtet. Der starre Blick auf die Quote der Hoch-schulabsolventen verkennt den Wert der arbeitsmarktna-hen dualen Berufsausbildung. So haben in der Gruppe der25- bis 34-Jährigen in Deutschland zwar nur 28% einen ter-tiären Bildungsabschluss und in Österreich gar nur 21%(EU-Durchschnitt 36%; Frankreich 43%) (vgl. OECD 2013).

    Aber durch das duale Ausbildungssystemerhalten die jungen Menschen in Deutsch-land und in Österreich eine arbeitsmarkt-nahe Berufsausbildung, die den Bedürfnis-sen der Unternehmen entspricht, am Marktnachgefragt wird und wesentlich zu der sehrguten Lage auf den dortigen Arbeitsmärk-ten beiträgt. Die »niedrige« Quote der Hoch-schulabsolventen ist nicht zuletzt eine Fol-ge der dualen Ausbildung. Am Ende zähltnicht der gewählte Weg, sondern das Er-reichen des Ziels. Und das Ziel muss sein,dass jeder junge Mensch eine Ausbildungerhält, die ihm die nötigen Qualifikationen fürdie Berufswelt an die Hand gibt. Hier hat sichdie duale Ausbildung bewährt. Entsprechen-de Modellversuche werden – zum Teil staat-lich gefördert – bereits in Spanien, Portugalund Italien unternommen. An dieser Stelle

    kann die EU die im mehrjährigen Finanzrahmen für die Be-kämpfung der Jugendarbeitslosigkeit vorgesehenen 6 Mrd.Euro sinnvoll einsetzen.

    Zudem sollte die EU die beschäftigungspolitischen Rahmen-bedingungen überall dort verbessern, wo es ihr aufgrundder in den Europäischen Verträgen übertragenen Kompe-tenzen möglich ist. So gibt es trotz des Rechts auf Arbeit-nehmerfreizügigkeit (Art. 45 AEUV), der Grundlage für diegrenzüberschreitende Arbeitnehmermobilität, immer wiedernationale Regelungen, die spezielle Teile der heimischenArbeitsmärkte abschotten.2 Eine weitere Baustelle für die EUist die leichtere Anerkennung von Berufsqualifikationen, diein anderen Mitgliedstaaten erworben wurden, und die Ver-ringerung der Zahl der reglementierten Berufe. Freilich im-mer unter der Prämisse, das höchstmögliche Ausbildungs-niveau als Basis zu nehmen, insbesondere bei sicherheits-relevanten Berufen, wie im Gesundheitssektor. Eine EU-Regelung darf nicht dazu führen, dass die hochwertige dua-le Ausbildung durch zu geringe Standards bei der Anerken-nung von Berufsausqualifikationen geschwächt wird, wie esder derzeitige Richtlinienvorschlag der Kommission implizitvorsieht.3

    Was die EU jedoch nicht leisten kann und ordnungspolitischauch nicht darf, sind Ad-hoc-Maßnahmen wie die Subven-tionierung ausschließlich jugendlicher Beschäftigung, etwadurch eine Teilfinanzierung der Sozialversicherungsbeiträge,wie mancherorts gefordert wird. Erstens sind von derlei Maß-nahmen stets Mitnahme- und Drehtüreffekte zu erwarten.Zweitens hat die EU keine ausreichenden finanziellen Mit-

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    Quelle: Eurostat.

    Jugendarbeitslosenquote vs. Gesamtarbeitslosenquote, 2000–2010

    Griechenland

    EU 27

    GesamtarbeitslosenquoteJugendarbeitslosigkeit

    %

    Abb. 2

    2 So war es ausländischen Reiseleitern bis Mai 2006 verboten, in Italien ei-ne Reisegruppe zu begleiten. Und auch danach versuchten die Behör-den, diese Beschränkung aufrechtzuerhalten. (vgl. Heims 2010).

    3 Vgl. KOM(2011) 883 Richtlinie zur Änderung der Richtlinie 2005/36/EGüber die Anerkennung von Berufsqualifikationen sowie Sohn und Czuratis (2012).

  • Zur Diskussion gestellt

    tel, um auf breiter Front eine Wirkung zu erzielen. Bei 6 Mrd.Euro für einen Zeitraum von zwei Jahren und EU-weit über5 Mill. jugendlichen Arbeitslosen verbleiben für eine Indivi-dualförderung ohnehin keine nennenswerten Beträge. EineAusweitung der EU-Gelder zur Bekämpfung der Jugendar-beitslosigkeit ginge zudem zwingend mit einer stärkeren Um-verteilung zwischen den Mitgliedstaaten einher. Und drittenssollten die Maßnahmen der Schaffung von Arbeitsplätzeninsgesamt dienen und nicht auf jugendliche Arbeitslose be-schränkt bleiben. Daher ist zunächst zu fragen, was die be-troffenen Mitgliedstaaten selber tun können.

    Was können die Mitgliedstaaten tun?

    Die Wirtschafts- und Finanzkrise ist ebenso wenig von heu-te auf morgen entstanden wie die strukturellen Problemebei den Bildungssystemen und Arbeitsmärkten vieler Mit-gliedstaaten. Ergo sind die Folgen der Bildungs- und Ar-beitsmarktpolitik auch nicht von heute auf morgen zu lö-sen. Umso wichtiger ist es, dass die nationalen Regierun-gen heute Reformen einleiten, um zumindest mittelfristigErfolge einzufahren. Die notwendigen Reformen betreffenvier Bereiche.

    Erstens muss sich die Ausbildung an den Bedürfnissen derUnternehmen orientieren. D.h. es darf nicht am Markt vor-bei ausgebildet werden. Als erfolgreicher Weg hat sich dieduale Ausbildung erwiesen. Allerdings ist die Einführung ei-ner flächendeckenden dualen Ausbildung ein langwierigerProzess mit vielen Beteiligten. Der Staat muss die Infrastruk-tur bereitstellen und gemeinsam mit den Unternehmen dieAusbildungsinhalte definieren. In den Unternehmen müssensich Ausbilder finden, die sich um die Lehrlinge kümmern.Zu guter Letzt bedarf es der gesellschaftlichen Akzeptanzdieses Ausbildungskonzepts. Obwohl die Erfolge erst mit-tel- bis langfristig zu verbuchen sein werden, also regelmä-ßig nicht vor dem nächsten Wahltermin, sollte die Politik die-se Maßnahmen einleiten.

    Zweitens sollte der Mindestlohn unter Einbindung der Sozi-alpartner abgeschafft, zumindest aber abgesenkt werden,denn er verbaut jungen Menschen in vielen Mitgliedstaatenden Berufseintritt. Ein junger Mensch ohne Berufserfah-rung und mit einer arbeitsmarktfernen oder gar keiner Be-rufsausbildung findet bei einem hohen Mindestlohn keineAnstellung. Man verbaut ihm damit gleichzeitig die Chance,sich im Beruf weiter zu qualifizieren.

    Drittens müssen neben der EU auch die einzelnen Mitglied-staaten die Arbeitnehmermobilität fördern. Dies gilt gleicher-maßen für Mitgliedstaaten mit hoher Jugendarbeitslosig-keit und Mitgliedstaaten mit Fachkräftemangel und zu we-nig Auszubildenden. Zu denken ist hier beispielsweise anfreiwillige Sprachkurse für Arbeitslose oder Zuschüsse zu

    Reisekosten, die bei Bewerbungsgesprächen anfallen. Zu-dem muss die Effizienz der Arbeitsverwaltungen verbessertwerden, beispielsweise indem die Arbeitsverwaltungen zu-mindest alle jene gemeldeten freien Arbeitsplätze und Aus-bildungsstellen EU-weit ausschreiben, die im eigenen Mit-gliedstaat nur schwer besetzt werden können.

    Viertens müssen die Arbeitsmärkte flexibilisiert werden, umauf künftige Krisen besser reagieren zu können. Hierzu zähltunter anderem die Einführung von Kurzarbeitsregelungenund die Möglichkeit, in einzelnen Betrieben zumindest vor -übergehend durch Betriebsvereinbarungen von Tarifverträ-gen abzuweichen.

    Literatur

    Goldstein, J.R., M. Kreyenfeld, A. Jasilioniene und D.K. Örsal (2013), »Fertility Reactions to the Great Recession in Europe: Recent Evidencefrom Order-Specific Data«, Demographic Research 29, 85–104.

    Heims, H-J. (2010), »Bitte draußen warten – Arbeitsverbot für deutsche Rei-seleiter«, sueddeutsche.de vom 1. April.

    OECD (2013), Education at a Glance 2013, Paris.

    Okun, A.M. (1962), »Potential GNP: its Measurement and Significance«, Ame-rican Statistical Aassociation, Proceedings of Business and Economic Sta-tistic Section, Alexandria, Virginia.

    Sohn, K.D. und S. Czuratis (2012), »Anerkennung von Berufsqualifikationen– KOM(2011) 883«, cepAnalyse Nr. 15/2012.

    Schmillen, A. und M. Umkehrer (2013), »Scars of Youth: Effects of Early-Career Unemployment on Future Unemployment Experiences«, IAB Discus-sion Paper Nr. 6/2013.

    Verho, J. (2008), »Scars of Recession: the Long-term Costs of the FinnishEconomic Crisis«, Working Paper Series Nr. 9/2008, IFAU – Institute for Evaluation of Labour Markte and Education Policy.

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  • Zur Diskussion gestellt

    Was tun gegen die Jugendarbeits -losigkeit in Europa? Einführung der dualen Berufsausbildung

    Bei der Verständigung der G-20-Arbeitsminister 2011 inParis und 2012 in Guadalajara über die Empfehlung an ih-re Regierungen, die duale Berufsausbildung in ihren Län-dern zum Abbau der Jugendarbeitslosigkeit einzuführen,bedurfte es keiner langwierigen Beratungen. Die Faktensprachen für sich: In den Ländern mit einem entwickeltendualen Berufsbildungssystem liegen die Arbeitslosenquo-ten für Jugendliche deutlich unter 10%, wohingegen dieJugendarbeitslosigkeit in den Ländern mit schulischen undunterentwickelten Berufsbildungssystemen Größenordnun-gen von über 50% erreicht und selten unter 20% absinkt.Seither haben zahlreiche EU-Länder und die europäischeKommission mit ihrer 6 Mrd. Euro schweren »Jugendga-rantie« (2014–2020) Programme zur Etablierung der dua-len Berufsausbildung aufgelegt. Ob dieser Programm- undMaßnahmenschub zum gewünschten Erfolg führt, ist je-doch offen.

    Bereits die Verständigung der Experten darüber, was die we-sentlichen Merkmale einer dualen Berufsausbildung sind, ge-staltet sich als unerwartet schwierig, da mit dem englischenBegriff »Apprenticeship« höchst unterschiedliche Formen be-ruflicher Bildung bezeichnet werden, die Elemente ›praxis-bezogenen Lernens‹ oder Phasen der Arbeitserfahrung(Work Experience) einschließen. Die Dauer der Apprentice-ship-Programme kann von wenigen Wochen bis zu fünf Jah-ren variieren. Dementsprechend werden die dabei erreich-ten Abschlüsse dem zweiten bis fünften Qualifikationsniveauin den acht- bis zehnstufigen nationalen und internationa-len Qualifikationsrahmen zugeordnet. Eine Verständigungüber die Merkmale einer innovativen dualen Berufsbildungsteht noch aus. Daher hat das International Research Net-work on Innovative Apprenticeship (INAP) Standards für dieGestaltung, Organisation und Steuerung moderner Berufs-

    bildungssysteme formuliert (INAP 2012). Wenn diese Ein-gang in den internationalen Berufsbildungsdialog finden wür-den, wäre dies ein wesentlicher Schritt zur Qualitätsentwick-lung im Bereich der beruflichen Bildung.

    Positiv ist an der G-20- und EU-Initiative »Duale Berufsaus-bildung«, dass die Qualifizierung der Fachkräfte für den in-termediären Beschäftigungssektor, der knapp zwei Drittelder Beschäftigten in den OECD-Ländern umfasst, in dasZentrum der Arbeitsmarktpolitik rückt. Problematisch ist da-gegen die ausgeprägte (bis ausschließliche) sozialpolitischeAkzentuierung dieser Berufsbildungsinitiativen. Übersehenund weitgehend ausgeblendet wird dabei, dass ein hochentwickeltes System dualer Berufsbildung, eingebettet in einvertikal durchlässiges Berufsbildungssystem, ein kaum zuüberschätzender Faktor für die Wettbewerbsfähigkeit unddas Innovationspotenzial der Unternehmen und Volkswirt-schaften darstellt. Der Schweizer Ökonom R. H. Strahmweist dies mit seinem »Wirtschaftsbuch Schweiz: Warumwir so reich sind« (Strahm 2010) eindrucksvoll nach. SeinFazit lautet: »Alle Hauptfaktoren unseres Reichtums – diehohe Produktivität, die hohe Erwerbsbeteiligung der Bevöl-kerung und die internationale Konkurrenzfähigkeit mit ho-her Exportkraft – hängen […] mit unserem [dualen] Berufs-bildungssystem zusammen. [Es] ist der entscheidende his-torische Erfolgsfaktor, welcher die ›Swissness‹, die Schwei-zer Qualitätsarbeit und die hohe Wertschöpfung der Wirt-schaft ausmacht« (ebd., S. 7).

    Circa 70% eines Altersjahrganges entscheiden sich in derSchweiz für eine drei- bis vierjährige duale Berufsausbil-dung. Diese und das berufsbezogene Abitur, das optionalwährend einer dualen Berufsausbildung erworben werdenkann, sind die Voraussetzungen für ein Fachhochschul-studium. Die Fachhochschulen sind als Orte der höherenBerufsausbildung Teil des vertikal durchlässigen SchweizerBerufsbildungssystems. Ihre Absolventen werden von denUnternehmen gegenüber den Absolventen vergleichbareruniversitärer Studiengänge bevorzugt als Führungskräfteeingesetzt.

    Die hohe Attraktivität des beruflichen Bildungsweges trägtdazu bei, dass die Studienanfängerquote der Schweiz mitunter 40% eines Altersjahrganges deutlich unter dem OECD-Durchschnitt von zurzeit ca. 60% liegt. Als ein ökonomischesParadoxon gilt in diesem Zusammenhang die Tatsache, dassdie Schweiz trotz einer niedrigen Quote von Hochschulab-solventen den höchsten Anteil an innovativen KMUs (klei-nere und mittlere Unternehmen) aufweist. Der Anteil derKMUs, die Innovationen betreiben, lag vor der Finanzkrise(2005) bei 55%. Deutschland und Österreich erreichten Wer-te von 45% und 42%. In Frankreich und Großbritannien la-gen diese Werte bei 29% und 22% (ebd., S. 40). Das rela-tiv hohe Innovationspotenzial der KMUs in der Schweiz,Deutschland und Österreich lässt sich auf das System der

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    Felix Rauner*

    * Prof. Dr. Dr. h. c. Felix Rauner ist Professor an der Universität Bremen undleitet die Forschungsgruppe Berufsbildungsforschung (I:BB).

  • Zur Diskussion gestellt

    dualen Berufsausbildung zurückführen. In einer Vielzahl vonVergleichsuntersuchungen zur Arbeitsproduktivität und Wett-bewerbsfähigkeit britischer und deutscher Unternehmenwird die deutlich höhere Arbeitsproduktivität der deutschenUnternehmen auf die Qualifizierung der Fachkräfte auf Fach-arbeiter- und Meisterebene zurückgeführt (vgl. zusammen-fassend Reformwerkstatt NRW 2007, 21 ff.). Die Erosion derMeisterschaft und der Meisterlehre (duale Berufsbildung)im Vereinigten Königreich und in anderen OECD-Ländernging einher mit einer von der OECD propagierten ›College-for-All‹-Politik. Diese hat zur Deindustrialisierung in diesenLändern erheblich beigetragen. Als eine geradezu dramati-sche Auswirkung der Deindustrialisierung gilt die hohe Ju-gendarbeitslosigkeit.

    Der Schlüssel für ein funktionierendes Zusammenspiel zwi-schen beruflicher Bildung und Arbeitsmarkt – für den naht-losen Übergang vom Bildungs- in das Beschäftigungssys-tem – sind vor allem innovative kleinere und mittlere Unter-nehmen, die dem nationalen und internationalen Qualitäts-wettbewerb gewachsen sind, sowie eine entwickelte Indus-trie, die sich an der dualen Berufsausbildung beteiligt. DieMainstream-Position der Bildungsexperten ist jedoch eineandere. Für sie gilt bis heute Daniel Bells Schrift »The Coming of Post-Industrial Society« von 1973 als das Evan-gelium für die Entwicklung der Wissensgesellschaft. Indus-trie, produzierendes Gewerbe und berufliche Bildung sinddanach Merkmale vergangener Epochen der gesellschaft-lichen Entwicklung. Die Deindustrialisierung erscheint als ei-ne Innovation. In der Wissensgesellschaft, so Daniel Bellszentrale These, ist das theoretische wissenschaftliche Wis-sen das neue axiale System, um das sich alles drehe. Unddieses Wissen werde im Wissenschaftssystem – in gehöri-gem Abstand zu den Qualifikationsanforderungen der Wirt-schaft – hervorgebracht. Die berufliche Bildung, d.h. die Qua-lifizierung von Fachkräften für den intermediären Sektor, kom-men in seinem Leitbild der Wissensgesellschaft nicht mehrvor (vgl. Bell 1975). Die Verankerung seiner zentralen The-se in der Programmatik der Bildungs- und Innovationspoli-tik der OECD und zahlreicher ihrer Mitgliedsländer in derForm der ›College-for-All‹-Politik dürfte zur Deindustrialisie-rung und zur Erosion beruflicher Bildungssysteme und in derFolge zur Erhöhung der Jugendarbeitslosigkeit und zum Ver-lust an Wettbewerbsfähigkeit und Wohlstand erheblich bei-getragen haben.

    Die Vorstellung, dass die hohe Jugendarbeitslosigkeit inEuropa und in den G-20-Ländern durch eine Berufsbildungs-reform _ die Einführung der dualen Berufsausbildung _ raschbehoben werden könne, hat mit der Realität ökonomischerEntwicklungsprozesse und dem Wandel von Bildungstra-ditionen wenig zu tun. Der notwendige Strukturwandel hinzu innovativen KMUs, der (Re)Etablierung der Meisterschaftfür Industrie und ein modernes Handwerk sind eine wesent-liche Voraussetzung für die Entwicklung einer dualen Be-

    rufsausbildung. Der notwendigen Beteiligung der Unterneh-men an der dualen Berufsausbildung kommt entgegen, dassdie betriebliche Ausbildung nicht nur als ein sich selbst fi-nanzierendes System gestaltet werden kann – der Nettoer-trag der betrieblichen Berufsbildung der Schweiz liegt beica. 500 Mill. Schweizer Franken –, sondern dass die Erhö-hung der Ausbildungsqualität in der Regel auch zu einer Stei-gerung der Rentabilität der Ausbildung führt (vgl. Pieningund Rauner 2013). Zugleich ist die in den Unternehmen weitverbreitete und in der Bildungsökonomie etablierte Vorstel-lung, dass sich der ›Return of Investment‹ erst nach einerabgeschlossenen Ausbildung einstellt, ein ganz entschei-dendes Hindernis für die Beteiligung der Unternehmen aneiner dualen Berufsausbildung. Das vermutete finanzielle Ri-siko, das vor allem in der Phase des Aufbaus einer dualenBerufsausbildung gesehen wird, resultiert aus der Befürch-tung, dass die ausgebildeten Fachkräfte von den nicht-aus-bildenden Betrieben abgeworben werden und der Return ofInvestment ausbleibt.

    Daher gehört die Verbreitung der Einsicht, dass eine hoheAusbildungsqualität nur Gewinner kennt – die Unternehmen,die Auszubildenden und die Gesellschaft, die mit den soqualifizierten Fachkräften einen wesentlichen Beitrag zur Ver-meidung von Armut leistet – zu den vordringlichen Aufga-ben der Aufklärung über die Vorzüge einer dualen Berufs-ausbildung.

    Obwohl es einige Jahrzehnte dauern dürfte, bis Länder miteiner schulischen Berufsbildungstradition funktionierendeund stabile duale Berufsbildungssysteme aufgebaut haben,spricht alles dafür, diesen Weg zu beschreiten. Die Reduzie-rung der Jugendarbeitslosigkeit erfordert jedoch Maßnah-men und Strategien, die bereits heute und in der nahen Zu-kunft ihre Wirkung entfalten auf lokaler, regionaler, nationa-l