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2002 Institut für Wirtschaftsforschung Zur Diskussion gestellt Rolf Peffekoven, Karl Heinz Däke, Heinrich Traublinger, Werner Heß Flutschäden: Finanzierung durch Verschiebung der Steuerreform? Hans-Werner Sinn, Michael Vierling Nachtrag: Die Vorschläge der Hartz-Kommission Forschungsergebnisse Rigmar Osterkamp Das deutsche Gesundheitswesen Josephine Bollinger-Kane Bankenreformen Russlands im Aufwind? Daten und Prognosen Joachim Gürtler DV-Dienstleister: Geschäftsverlauf knickt weiter ein – Beschäftigungsabbau hält an ifo Schnelldienst 55. Jg., 38.–39. KW, 27. September 2002 18

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Institut fürWirtschaftsforschung

Zur Diskussion gestellt Rolf Peffekoven, Karl Heinz Däke, Heinrich Traublinger,Werner Heß■ Flutschäden: Finanzierung durch Verschiebung der

Steuerreform?

Hans-Werner Sinn, Michael Vierling■ Nachtrag: Die Vorschläge der Hartz-Kommission

ForschungsergebnisseRigmar Osterkamp■ Das deutsche Gesundheitswesen

Josephine Bollinger-Kane■ Bankenreformen Russlands im Aufwind?

Daten und PrognosenJoachim Gürtler■ DV-Dienstleister: Geschäftsverlauf knickt weiter ein –

Beschäftigungsabbau hält an

ifo Schnelldienst55. Jg., 38.–39. KW, 27. September 2002

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Herausgeber: ifo Institut für Wirtschaftsforschung e.V., Poschingerstraße 5, 81679 München, Postfach 86 04 60, 81631 München,Telefon (089) 92 24-0, Telefax (089) 98 53 69, e-mail: [email protected]: Dr. Marga Jennewein.Redaktionskomitee: Prof. Dr. Dr. h.c. Hans-Werner Sinn, Prof. Dr. Gebhard Flaig, Dr. Heidemarie C. Sherman, Dr. Gernot Nerb, Dr. Martin Werding,Dr. Robert Koll, Dr. Wolfgang Ochel.Vertrieb: ifo Institut für Wirtschaftsforschung e.V.Erscheinungsweise: zweimal monatlich.Bezugspreis jährlich:Institutionen EUR 225,– Einzelpersonen EUR 96,–Studenten EUR 48,–Preis des Einzelheftes: EUR 10,–jeweils zuzüglich Versandkosten. Layout: Pro DesignSatz und Druck: ifo Institut für Wirtschaftsforschung.Nachdruck und sonstige Verbreitung (auch auszugsweise): Nur mit Quellenangabe und gegen Einsendung eines Belegexemplars.

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Flutschäden: Ist die Verschiebung der Steuerreform die richtige Finanzierungsmethode?

Zur Finanzierung der Beseitigung der Flutschäden hat sich die Bundesregierungdafür entschieden, die zweite Stufe der Steuerreform um ein Jahr zu verschieben.Prof. Dr. Rolf Peffekoven, Universität Mainz, vertritt in seinem Beitrag die Auffas-sung, dass die Finanzierung in erster Linie über Ausgabenkürzungen vorgenom-men werden sollte: »Der richtige Weg wären Ausgabenumschichtungen in den öf-fentlichen Haushalten. Wenn diese aber nicht durchgesetzt werden können odersollen, besteht nur noch die Wahl zwischen verschiedenen Übeln (Steuererhö-hung oder Kreditfinanzierung). Mit der Verschiebung der zweiten Entlastungsstufeder Steuerreform hat sich die Bundesregierung leider für das größere Übel ent-schieden.« Auch für Dr. Karl Heinz Däke, Bund der Steuerzahler, wäre die Entlas-tung, die mit der zweiten Stufe der Steuerreform vorgesehen war, als konjunktu-reller Impuls unbedingt notwendig gewesen. Unterstützt wird diese Ansicht vonHeinrich Traublinger, Handwerkskammer für München und Oberbayern. Er siehtgerade das Handwerk und andere konsumnahe Wirtschaftsbereiche von dieserMaßnahme überproportional belastet. Für Werner Heß, Dresdner Bank, liegt die»Lösung im Sparen«. Einerseits ist zu begrüßen, dass die Bundesregierung nichtin eine noch höhere Staatsverschuldung ausgewichen ist, andererseits sollten»die nötigen Finanzmittel durch Umschichtungen der Staatsausgaben aufge-bracht werden«.

Nachtrag: Die Vorschläge der Hartz-Kommisson

Ergänzend zu den Beiträgen im Schnelldienst Nr. 15/2002 nimmt Prof.Dr. Hans-Werner Sinn, ifo Institut und Universität München, kritisch zu den Vor-schlägen der Hartz-Kommission Stellung. Seiner Ansicht nach »sind die Vor-schläge der Hartz-Kommission im Grundsatz zu begrüßen, weil sie Leben in dieerstarrte politische Diskussion in unserem Lande bringen. Das Tabu, das diePolitik über den Arbeitsmarkt verhängt hatte, wurde endlich gebrochen.« Be-sondere Stärken zeigt das Gutachten in den Vorstellungen zur Reform derBundesanstalt für Arbeit, Schwächen hat das Gutachten vor allem, wenn es umdie Bekämpfung der Arbeitslosigkeit geht. Denn »die Idee, die Arbeit in allenQualifikationssegmenten des Arbeitsmarktes auf dem Wege über die Beschäf-tigung bei der PSA zu subventionieren, führt zur schleichenden Sozialisierungdes gesamten Arbeitsmarktes und ist mit einer marktwirtschaftlichen Ordnungnicht vereinbar. Das Herzstück des Hartz-Vorschlags ist nicht realisierbar.« Prof.Dr. Michael Vierling, Fachhochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung,Mannheim, legt im Anschluss seine Position zu einzelnen »Innovationsmodulen«dar, wobei er in erster Linie nach den Anreizen und Anreizänderungen fragt, diemit einem Wechsel des arbeitsmarktpolitischen Regimes verbunden sind: »Wel-che Verhaltensänderungen bei den Begünstigten und Belasteten würden da-durch ausgelöst? Setzen die Pläne zur Aktivierung der von Arbeitslosigkeit Be-troffenen oder Bedrohten in ausreichendem Maße auf materielle und finanzielleAnreize?«

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Das deutsche Gesundheitswesen: Reformvorstellungen der politischenParteien und der GesundheitsökonomenRigmar Osterkamp

Unstrittig ist, dass das deutsche Gesundheitswesen dringender Reformen bedarf.Die Meinungen in der Politik, bei den Interessengruppen und in der Wissenschaftdarüber, wo die Reformen ansetzen und in welche Richtung sie gehen sollen, di-vergieren aber erheblich, zum Teil sind die Unterschiede fundamental. Daher er-scheint es zu Beginn der Legislaturperiode angebracht, die Probleme des deut-schen Gesundheitswesens noch einmal zusammenfassend darzustellen, siedurch Beispiele sowie durch die Angabe (einiger) ihrer Ursachen zu charakterisie-ren und die Reformvorschläge bzw. Reformvorhaben der relevanten politischenParteien mit den Vorschlägen von Gesundheitsökonomen zu vergleichen.

Wechsel an der Spitze der Bank Russlands – Bankenreformen im Aufwind?Josephine Bollinger-Kanne

Auch wenn sich Wachstumstendenzen und Anzeichen von Stabilität in der russi-schen Volkswirtschaft in den letzten Jahren gezeigt haben, geben Unterkapitali-sierung, Privatisierungsdefizite und die Neigung zu kurzfristigen Krediten russi-scher Banken nach wie vor Anlass zu Kritik und lassen Forderungen nach durch-greifenden Bankenreformen nicht verstummen. Um dem Reformstau im russi-schen Bankwesen beizukommen, waren bestimmte Änderungen im Zentralbank-gesetz unumgänglich. Gleichzeitig hatten die Auseinandersetzungen um die Neu-fassung des Zentralbankgesetzes einen verfrühten Wechsel an der Zentralbank-spitze zur Folge, den Präsident Vladimir Putin, seine wirtschaftsliberalen Beraterund Amtsinhaber in der Präsidentenadministration und den einschlägigen Minis-terien sicherlich begrüßt haben dürften. In ihrem Beitrag analysiert Dr. JosephineBollinger-Kanne, Osteuropa-Expertin, München, die Korrekturen des Zentral-bankgesetzes, die im Juli 2002 in Kraft traten. Ob die auf der Grundlage der neu-en Gesetzgebung eingeleiteten bzw. angedachten Reformen des russischenBankensektors die Banken als Finanzierungsmittler zwischen den einzelnen volks-wirtschaftlichen Sektoren etablieren werden, bleibt zurzeit abzuwarten.

DV-Dienstleister: Geschäftsverlauf knickt weiter ein, Beschäftigungs-abbau hält anJoachim Gürtler

Laut der 30. Konjunkturumfrage für DV-Dienstleistungen, die schwerpunktmäßigim Juli und August 2002 stattfand, hat sich die Geschäftslage weiter verschlech-tert. Nur noch 18% der Unternehmen beurteilten ihren Geschäftsverlauf als güns-tig, 53% als befriedigend, und mittlerweile 29% empfanden ihre derzeitige Situa-tion als schlecht. Zudem setzten die Unternehmen immer weniger Vertrauen in diekommende Entwicklung. Das Geschäftsklima hat sich dementsprechend wiedereingetrübt. Insgesamt verringerte sich die Zahl der Beschäftigten in der deutschenSoftwarebranche um fast 2% (1. Quartal – 1%). Die Sorgen über schwach gefüll-te Auftragsbücher nehmen rasant zu. 60% der Unternehmen klagten im zweitenQuartal 2002 über fehlende Aufträge. Fachkräftemangel (6%) und Finanzierungs-schwierigkeiten (8%) wurden dagegen relativ selten genannt.

Forschungsergebnisse

Daten und Prognosen

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Ausgabenumschichtungen:Der richtige Weg

Die durch die Flutwelle angerichtetenSchäden stellen gesamtwirtschaftlich ge-sehen die Vernichtung eines Teils des Pro-duktionspotentials (Infrastruktur, Gewer-bebetriebe, Maschinen) und des in denprivaten Haushalten vorhandenen Kon-sumvermögens (Häuser, Wohnungsein-richtungen, Autos) dar. Dieser Schadenmuss von der gesamten deutschen Volks-wirtschaft getragen werden. Wenn um dieFinanzierung der Flutschäden gestrittenwird, geht es letzten Endes um die Fra-ge, wer – also welche Unternehmen oderwelche Bürger, aber auch welche Ge-bietskörperschaften – die eingetretenenSchäden letztendlich übernehmen soll.

Würde man keine staatliche Katastro-phenhilfe organisieren, dann müssten dieunmittelbar Betroffenen für die Schädenselbst aufkommen. Soweit Versicherun-gen bestehen, kann – meist allerdings nurein Teil – an die Versicherungen und da-mit an die Versichertengemeinschaftweitergegeben werden. Wenn es für dieSchäden Abzugsmöglichkeiten bei der Er-mittlung der Bemessungsgrundlage derEinkommensteuer gibt (z.B. als außerge-wöhnliche Belastungen), dann muss derSchaden der Steuerpflichtigen teilweisevon den öffentlichen Haushalten über-nommen werden. Spenden der Bevölke-rung für die Opfer der Flut stellen ökono-misch die freiwillige Übernahme eines Teilsder entstandenen Schäden durch dieSpender dar. Da für solche Spenden inder Regel der Sonderausgabenabzug imRahmen der Einkommensbesteuerunggeltend gemacht wird, muss sich auchdabei indirekt der Staat an den Schädenbeteiligen.

Wird dagegen – was politisch in Deutsch-land unstrittig ist – eine Katastrophenhil-fe durch den Staat organisiert, dann ent-scheidet die Form der Finanzierung dar-

über, wer die Flutschäden letzten Endeszu tragen hat. Grundsätzlich bieten sichfür die Aufbringung der erforderlichenMittel folgende Maßnahmen an: die Kür-zung anderer Ausgaben, die Erhöhungvon Steuern und Abgaben und die Auf-nahme weiterer Kredite. Denkbar wäreauch, Privatisierungserlöse zur Finanzie-rung einzusetzen. Welchen dieser Finan-zierungswege man einschlagen sollte,hängt auch von der Art und der Höhe derSchäden ab. Man kann deshalb darüberstreiten, ob es klug ist, Vorschläge zur Fi-nanzierung bereits zu diskutieren, nochbevor der Umfang der Schäden einiger-maßen verlässlich abzuschätzen ist. DieBundesregierung geht offenbar davonaus, dass in den Jahren 2002 und 2003eine Fluthilfe in Höhe von insgesamt et-wa 8 bis 9 Mrd. p zu leisten ist. EinenTeil davon wird die EU übernehmen. Durcheine Haushaltssperre sollen im Bundes-haushalt rund 250 Mill. p erwirtschaf-tet werden. Es bleibt also für das Jahr2003 ein Finanzierungsbedarf von rund7 Mrd. p. Dieser Betrag stellt in Relationzum Bruttoinlandsprodukt etwa 0,3% dar,bezogen auf das Volumen des Staats-haushalts (ohne Sozialversicherungen)sind es etwa 1,2%. Bleibt es bei dieserBelastung, dann wird man in der Flut-katastrophe sicher kein »außergewöhnli-ches Ereignis« sehen können, das »diestaatliche Finanzlage erheblich beein-trächtigt« und damit – nach den Regelndes Stabilitäts- und Wachstumspaktes –ein Überschreiten der Defizitgrenze von3% rechtfertigen würde.

Die erste Möglichkeit für die Aufbringungder erforderlichen Mittel stellen Ausga-benumschichtungen dar; das heißt: Kür-zungen bei anderen Ausgabenposten in

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richtige Finanzierungsmethode?Flutschäden: Ist die Verschiebung der Steuerreform die

Zur Finanzierung der Beseitigung der Flutschäden hat sich die Bundesregierung dafür ent-

schieden, die zweite Stufe der Steuerreform um ein Jahr zu verschieben. Wie ist diese Fi-

nanzierungsmethode zu beurteilen?

Rolf Peffekoven*

* Prof. Dr. Rolf Peffekoven ist Direktor des Instituts fürFinanzwissenschaft, Universität Mainz, und Mitglieddes Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesmini-sterium der Finanzen. Von 1991 bis 2001 war erMitglied des Sachverständigenrates zur Begutach-tung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung.

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den öffentlichen Haushalten. Das will die Bundesregierungzumindest im Jahre 2002 über eine Haushaltssperre errei-chen. Allerdings können damit solche Ausgaben nicht er-fasst werden, die auf vertraglicher oder gesetzlicher Ver-pflichtung beruhen. Da außerdem auch noch die Investi-tionsausgaben und die im letzten Jahr beschlossenen Anti-Terror-Ausgaben ausgenommen werden sollen, können aufdiese Weise keine wirklichen Umschichtungserfolge erzieltwerden. Die Bundesregierung plant mit 250 Mill. p einengemessen am Ausmaß der Flutschäden völlig unzureichen-den Betrag, der nicht einmal ein Promille des Volumens desBundeshaushalts ausmacht.

Wollte man mit Ausgabenumschichtungen das erforderli-che Finanzvolumen (etwa 7 Mrd. p) erschließen, dann müss-te man in Leistungsgesetze eingreifen. So könnte zum Bei-spiel sofort ein Subventionskürzungsgesetz beschlossenwerden. Die damit freigesetzten Mittel wären der Finanzie-rung der Flutschäden, konkret: dem Fonds »Aufbauhilfe«,zuzuführen. Was für Subventionen gilt, müsste für vieleTransferzahlungen, aber auch für die enormen – von vielenals ineffizient angesehenen – Ausgaben für Arbeitsmarkt-politik gelten. Ein solches Vorgehen verlangt allerdings po-litischen Mut, der offenbar gefehlt hat, zumal es vorausge-setzt hätte, dass unmittelbar vor der Bundestagswahl Artund Umfang der Ausgaben genau benannt werden, diezur Kürzung anstehen.

Dennoch: Die Finanzierung der Flutschäden müsste in ers-ter Linie über Ausgabenumschichtungen vorgenommen wer-den. Das wäre zweifellos die richtige Finanzierungsmetho-de gewesen – jedenfalls so lange, wie sich die Schäden imeinstelligen Milliardenbereich halten. Mit der Flutkatastrophehaben sich nämlich die Prioritäten in den öffentlichen Haus-halten verändert, folglich wäre eine Umstrukturierung derAusgaben geboten gewesen. Die zu finanzierenden Mehr-ausgaben von etwa 7 Mrd. p Fluthilfe stellen – wie bereitserwähnt – nur etwa 1,2% des Haushaltsvolumens aller Ge-bietskörperschaften dar. In diesem Umfang sollte Flexibi-lität in den öffentlichen Haushalten bestehen. Der Bundes-minister der Finanzen entzieht sich den Ausgabenum-schichtungen mit der Bemerkung, der Bundeshaushalt 2002sei „auf Kante genäht“ und lasse deshalb keinerlei Um-schichtung zu. Das aber ist nur der Beleg für eine bedenk-liche Haushaltspolitik. Offensichtlich platzt – um im Bild zubleiben – der Bundeshaushalt aus allen Nähten. Zweifel ander Solidität der Finanzpolitik mussten im Übrigen schonim letzten Jahr aufkommen, als ein im Verhältnis zum ge-samten Haushaltsvolumen bescheidener Betrag für zu-sätzliche Sicherheitsausgaben in Höhe von 1,5 Mrd. p – dassind rund 0,6% des Ausgabenvolumens im Bundeshaus-halt – nicht aus dem laufenden Haushalt finanziert werdenkonnte, sondern zu Erhöhungen der Tabak- und Versiche-rungsteuer führte. All diese Erfahrungen zeigen noch ein Wei-teres: Da die Politik offenbar nicht imstande und auch gar

nicht willens ist, selbst bei nur geringfügigen Mehrbelastun-gen die öffentlichen Ausgaben umzustrukturieren, wird es inZukunft auch keine Chancen für fühlbare Steuersenkungengeben. Ebenso wird eine Senkung der Staatsquote (Rela-tion von öffentlichen Ausgaben zu Bruttoinlandsprodukt) auf40 oder gar 35% – wie es in den Wahlprogrammen derCDU/CSU beziehungsweise der FDP gefordert wird – Illu-sion bleiben.

Für das Jahr 2003 muss der Entwurf eines Haushaltsplansnach der Wahl vom 22. September 2002 im Bundestageingebracht werden. Es würde also durchaus noch die Mög-lichkeit bestehen, den finanzpolitischen Erfordernissen derFlutkatastrophe im Entwurf des Bundeshaushaltes 2003Rechnung zu tragen. Bei den Ländern und Gemeinden, diebereits die Haushaltsplanung für das Jahr 2003 abge-schlossen haben, müssten über Nachtragshaushalte die er-forderlichen Mittel für die Katastrophenhilfe zur Verfügunggestellt werden. Würde man diesen Weg gehen, dann hät-ten diejenigen zur Finanzierung der Flutschäden beizutra-gen, die bisher aus den zu kürzenden Ausgaben (z.B. Sub-ventionen, Transferzahlungen, öffentliche Aufträge) Nutzengezogen haben.

Kreditfinanzierung: Das kleinere Übel

Wenn schon nicht die richtige Finanzierungsmethode er-griffen worden ist, geht es im Weiteren nur noch um die Fra-ge des kleineren Übels: Steuererhöhung oder Kreditfinan-zierung. Die Bundesregierung hat entschieden, die für dasJahr 2003 beschlossene zweite Entlastungsstufe der Steu-erreform um ein Jahr zu verschieben und – ebenfalls fürein Jahr – den Satz der Körperschaftsteuer um 1,5 Pro-zentpunkte anzuheben. Das läuft auf Steuererhöhungenhinaus. Es ist schlicht unzutreffend, wenn die Bundesre-gierung in der Begründung zum »Flutopfersolidaritätsge-setz« darauf hinweist, »die Verschiebung der Steuerre-formstufe ... (sei eine) die aktuelle Einkommensposition derBürger nicht belastende ... Maßnahme«. Wenn eine für den1. Januar 2003 gesetzlich festgelegte Steuersenkung (An-hebung des Grundfreibetrags von 7 235 p auf 7 426 p undeine Senkung des Eingangssteuersatzes von 19,9 auf 17%sowie des Spitzensteuersatzes von 48,5 auf 47%) um einJahr verschoben wird, dann ist das eine einmalige Steuer-erhöhung. Damit werden alle diejenigen zur Finanzierungder Flutschäden herangezogen, die Einkommen- und Kör-perschaftsteuer zu zahlen haben. Das Ziel, das Solidarop-fer zugunsten der unmittelbar Betroffenen gemäß der Leis-tungsfähigkeit der Bürger zu verteilen, spricht zwar für ei-ne Steuererhöhung, allerdings gibt es auch gewichtigeGegenargumente:

Mit der Verschiebung der zweiten Entlastungsstufe wird zu-nächst einmal Vertrauen in die Verlässlichkeit der Steuer-

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politik verspielt, das mit der Steuerreform 2000 mühsamzurückgewonnen werden konnte. Trotz vieler Kritikpunkteam steuersystematischen Ansatz und an mancher Detail-regelung hat die Steuerreform 2000 zumindest einen Vor-teil gehabt: Die jahrelange Diskussion um eine Steuerre-form, die zu einer Lähmung der wirtschaftlichen Aktivitätenbeigetragen hatte, ist beendet worden, und es sollten ver-lässliche steuerliche Rahmenbedingungen bis zum Jahre2005 festgelegt werden. Das damit geschaffene Vertrauenin die Steuerpolitik wird nunmehr leichtfertig aufs Spiel ge-setzt. Wer wird noch darauf vertrauen, dass es bei der ein-maligen Verschiebung um ein Jahr bleibt? Zweifel kom-men auf, weil doch gerade das Jahr 2004 finanzpolitischbesonders schwierig werden wird; denn dann muss die Zu-sage erfüllt werden, einen »nahezu« ausgeglichenen Staats-haushalt vorzulegen. Darf man wirklich darauf vertrauen,dass die zweite Entlastungsstufe im Jahre 2004 kommt unddie dritte für 2005 verabschiedete Entlastungsstufe frist-gerecht umgesetzt wird? Das alles trägt zur weiteren Ver-unsicherung der Konsumenten und Investoren in Deutsch-land bei, was in der momentanen Konjunkturlage die Ent-scheidungen über Konsum und Investitionen eher negativbeeinflussen wird.

Steuererhöhungen sind derzeit angesichts der Wachs-tumsschwäche und der Situation am Arbeitsmarkt sogarkontraproduktiv. Experten erwarten infolge der Verschiebungder Entlastungsstufe für das Jahr 2003 einen Rückgang desWirtschaftswachstums um etwa 0,3 Prozentpunkte. Bishergalt es als nahezu einhellige Meinung, dass weitere Steuer-senkungen für mehr Wachstum und Beschäftigung gebo-ten seien. Es muss auch überraschen, dass sich just jeneWirtschaftsverbände jetzt für die Verschiebung der zweitenStufe der Steuerreform aussprechen, die noch vor einemJahr aus konjunkturpolitischen Gründen ein Vorziehen in dasJahr 2002 verlangt haben. Gerade in Anbetracht der aufdie öffentlichen Haushalte zukommenden Belastungen durchdie Flutkatastrophe wäre ein stärkeres Wirtschaftswachs-tum attraktiv. Aus dem sich dann einstellenden Steuer-mehraufkommen könnten Leistungen an die Betroffenen fi-nanziert werden.

Gelegentlich wird behauptet, das Verschieben der Steuer-reform werde zwar die zur Verfügung stehenden Einkom-men der Bürger reduzieren, was entsprechend der Kon-sumquote zur Einschränkung der Konsumnachfrage füh-ren könne; die damit aufgebrachten Mittel für die Aufbau-hilfe würden aber in vollem Umfang investiv verwendet, sodass per saldo ein positiver Effekt auf die Konjunktur zu er-warten sei. Hier feiert das Haavelmo-Theorem fröhliche Ur-ständ. Es ist bekannt, dass eine solche Wirkung nur untersehr restriktiven Bedingungen konstruiert werden kann.

Über die Verschiebung der zweiten Entlastungsstufe derSteuerreform und die Erhöhung des Körperschaftsteuer-

satzes sollen rund 6,6 Mrd. p Steuermehreinnahmen beiBund, Ländern und Gemeinden erzielt und dem neu ge-schaffenen Fonds »Aufbauhilfe« zugeführt werden. Hier-bei handelt es sich um Schätzungen, die auf Annahmenüber die zukünftige wirtschaftliche Entwicklung basieren.Da die Bundesregierung relativ optimistische Erwartun-gen hat und ihre Prognosen – wie die letzten Steuer-schätzungen zeigen – immer wieder korrigiert werdenmussten, ist zu vermuten, dass die Steuermindereinnah-men bei planmäßigem Vollzug der Steuerentlastung imJahre 2003 niedriger als 6,6 Mrd. p ausgefallen wären.Zur Finanzierung des Fonds »Aufbauhilfe« sind jedoch fest-gesetzte Beträge einzuzahlen. Es ist deshalb falsch, wenneinige Finanzminister in den Ländern darauf hinweisen,das »Flutopfersolidaritätsgesetz« schaffe keine zusätz-lichen Belastungen für Länder und Gemeinden: Statt denBürgern und Unternehmern Steuerentlastungen zu ge-währen, müsse ein entsprechender Betrag in den Fonds»Aufbauhilfe« gezahlt werden. Unabhängig von der tat-sächlichen Entwicklung des Steueraufkommens müssender Bund (3,5 Mrd. p) sowie die Länder und ihre Ge-meinden (3,6 Mrd. p) in den Fonds »Aufbauhilfe« zahlen.Das kann – zumal bei ungünstiger wirtschaftlicher Ent-wicklung – zu einer weiteren Verschuldung in den öffent-lichen Haushalten führen, zumal nach Meinung derBundesregierung Ausgabenumschichtungen in den öf-fentlichen Haushalten nicht möglich sind. Das in der Be-gründung des »Flutopfersolidaritätsgesetzes« genannteZiel, wonach »die notwendigen Mittel ohne zusätzlicheStaatsschulden aufgebracht werden (sollen)«, wird sichalso kaum verwirklichen lassen.

Damit kommt die Verschiebung der Steuerreformstufe indie Nähe der Pläne der CDU/CSU, die Aufbauhilfe aus denan den Bund ausgeschütteten Bundesbankgewinnen zufinanzieren, soweit diese im Jahre 2002 den Betrag von3,5 Mrd. p überschreiten. Zur Diskussion steht damit einBetrag von 7,7 Mrd. p, der nach bisheriger gesetzlicher Re-gelung für die Tilgung der Schulden des Erblastentilgungs-fonds vorgesehen ist. Die CDU/CSU will also eine Til-gungsstreckung beim Erblastentilgungsfonds einführen. Sol-che Tilgungsstreckungen hat es in der Vergangenheitwiederholt beim Fonds »Deutsche Einheit« gegeben, zuletztim Jahre 2001 zur Kompensation der Belastungen der Län-der aus der Reform des Länderfinanzausgleichs. Zweifel-los führen solche Tilgungsstreckungen zu einer Zunahmedes Defizits im Staatshaushalt, so dass auch das Maast-richt-Kriterium (Defizitquote nicht höher als 3%) berührt wird.Es kann für sich gesehen daraus eine Anhebung der Defi-zitquote um etwa 0,4 Prozentpunkte verteilt auf die Jahre2002 und 2003 resultieren. Probleme, die sich möglicher-weise mit dem Maastricht-Kriterium ergeben könnten, sindjedoch nicht auf die Flutschäden zurückzuführen, sondernspiegeln mangelnde Konsolidierung des Haushalts in denVorjahren wider. Von einer Tilgungsstreckung gehen keine

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negativen Wirkungen auf Konjunktur, Wachstum und Be-schäftigung aus. Zudem ist zu berücksichtigen, dass imJahre 2000 eine außerordentliche Tilgung von etwa50 Mrd. p (UMTS-Erlöse) geleistet worden ist. Auch daswürde es rechtfertigen, angesichts der Flutkatastrophe nuneine einmalige Tilgungsstreckung von 7,7 Mrd. p vorzu-nehmen. Der Abbau der Staatsschulden ist ein längerfris-tiges Ziel: Einmalige Einnahmen (zum Beispiel aus Privati-sierungen) sollten für höhere Tilgungen genutzt werden; beieinmaligen Belastungen (zum Beispiel durch Naturkatas-trophen) könnten dann vorübergehend geringere Tilgungenzugelassen werden.

Kein Zweifel: Die Flutkatastrophe verlangt solidarische Hil-fe. Erfreulicherweise gibt es darüber und über das erfor-derliche Ausmaß der Hilfe keinen politischen Dissens. Um-stritten ist dagegen die Art der Finanzierung. Der richtigeWeg wären Ausgabenumschichtungen in den öffentlichenHaushalten. Wenn diese aber nicht durchgesetzt werdenkönnen oder sollen, besteht nur noch die Wahl zwischenverschiedenen Übeln. Mit der Verschiebung der zweiten Ent-lastungsstufe der Steuerreform hat sich die Bundesregie-rung leider für das größere Übel entschieden.

Steuerreform als konjunktureller Impulsunbedingt notwendig

Zur Finanzierung der Beseitigung der Flutschäden sind inder Wahlkampfhektik allerlei Vorschläge unterbreitet wor-den, die aus Sicht der Steuerzahler nicht immer schlüssigund sinnvoll sind.

Dies gilt vor allem für die Verschiebung der nächsten Stufeder Steuerreform im Jahre 2003. Denn das ist nichts ande-res als eine verdeckte Steuererhöhung. Die Erhöhung derKörperschaftsteuer stellt eine offene Steuererhöhung dar.Beides ist Gift für die schon jetzt lahmende Konjunktur. DieEntlastung, die mit der zweiten Stufe der Steuerreform vor-gesehen war, wäre als konjunktureller Impuls unbedingt not-wendig gewesen.

Hierbei darf auch nicht außer Acht gelassen werden, dassmit der Verschiebung der Steuerreform negative finanzpsy-chologische Effekte verbunden sind. So nimmt das Vertrauender Bürger in die Zuverlässigkeit des SteuergesetzgebersSchaden. Im betrieblichen Bereich werden durch die Steu-ererhöhungen die Rahmenbedingungen für Investitionen ver-schlechtert.

Fatal ist, dass die Steuererhöhungen auch diejenigen tref-fen, die unter den Folgen der Flut zu leiden haben. Auchmüssen die gar nicht von den Flutschäden betroffenen Län-der und Kommunen im äußerst komplizierten System desdeutschen Finanzausgleichs erst einmal dazu gebracht wer-den, ihre Steuermehreinnahmen aus der verschobenen Steu-erentlastung dem Fluthilfe-Fonds zur Verfügung zu stellen.

Das Aussetzen der zweiten Reformstufe der Steuerreformbelastet die Steuerzahler in 2003 mit 6,3 Mrd. q, die Erhö-

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Karl Heinz Däke*

* Dr. Karl Heinz Däke ist Präsident des Bundes der Steuerzahler.

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Zur Diskussion gestellt

hung der Körperschaftsteuer mit 791 Mill. q. Einem verhei-rateten Durchschnittsverdiener mit zwei Kindern (Steuer-klasse III/2) stehen damit 353 q im Jahr weniger zur Ver-fügung.

Doch auch ohne diese Maßnahmen waren für 2003 schonlängst massive Mehrbelastungen beschlossen: Die Erhö-hung der so genannten Ökosteuer belastet die Steuerzah-ler um weitere 2,76 Mrd. q und die diesjährige Erhöhungder Tabak- und Versicherungsteuer schlägt im nächsten Jahrmit Belastungen von 1,975 Mrd. q zu Buche. Das alles führtdazu, dass sich die volkswirtschaftliche Einkommensbe-lastungsquote nächstes Jahr voraussichtlich auf 56,4% er-höhen wird.

Die vom Bundesfinanzminister verhängte Haushaltssperrefür den Bundeshaushalt 2002 war zwar ein Schritt in die rich-tige Richtung, da so die nicht gesetzlich oder vertraglich fi-xierten Konsumausgaben im laufenden Haushalt beschnit-ten werden können, dennoch handelt es sich dabei letz-tendlich nur um den zweitbesten Weg.

Die notwendige Bereitstellung öffentlicher Mittel müsstevielmehr durch Umschichtungen und Einsparungen in denHaushalten von Bund und Ländern erwirtschaftet werden.Dazu sollte eine „Flut-Task-Force“ die Haushalte nach we-niger wichtigen Ausgaben durchforsten und diese zuguns-ten der Hochwasserhilfe streichen oder zurückstellen. Hierbietet sich neben den Konsumausgaben insbesondere dermilliardenschwere Topf der Zuwendungen und Subven-tionen an, die jährlich von Bund und Ländern mit oft zwei-felhaften Begründungen gewährt werden. Auch wenigerdringende Investitionen sollten zugunsten der Fluthilfe zu-rückgestellt werden. Dafür werden die Betroffenen sicherVerständnis haben. Da viele Zahlungen erst 2003 haus-haltswirksam werden, ist genug Zeit, um mit kühlem Kopfdie Haushalte konsequent nach Einsparungen zu durch-forsten.

Bei einem Volumen des Bundeshaushalts 2002 von248 Mrd. q entsprechen die durch die Haushaltssperre er-warteten Einsparungen gerade einmal 0,1%.

Durch konsequente Ausgabenumschichtungen und dieStreichung bzw. Zurückstellung weniger wichtiger Ausga-ben und Projekte könnte ein wesentlich größerer finanziel-ler Spielraum für die noch exakt zu beziffernden Hochwas-serhilfen geschaffen werden. Aber solche Maßnahmenscheuen sämtliche Parteien in Wahlkampfzeiten wie der Teu-fel das Weihwasser.

Bei einem Ausgabevolumen des öffentlichen Gesamthaus-haltes von über 600 Mrd. q könnten alleine durch Um-schichtungen und Einsparungen in Höhe von nur 3% mehrals 18 Mrd. q freigesetzt werden.

Auch der Vorschlag der CDU/CSU, den Bundesbankgewinnfür die Finanzierung der Flutschäden zu verwenden, hat ei-nen schalen Beigeschmack. Der 3,5 Mrd. q übersteigendeAnteil des Bundesbankgewinns ist nämlich für die Schul-dentilgung beim Erblastentilgungsfonds vorgesehen, unddas ist auch gut so. Diesen Teil des Bundesbankgewinns inHöhe von 7,7 Mrd. q in 2002 für die Hochwasserhilfen zuverwenden, wäre nichts anderes als eine Ausweitung derNeuverschuldung, da das Geld schon längst nicht mehrzur Verfügung steht.

Angesichts der erdrückend hohen Last der Staatsverschul-dung von 1,24 Bill. q und einem aktuellen Zuwachs von1 333 q pro Sekunde, gibt es keinerlei Spielraum für der-artige Dispositionen.

Ein verlässlicher Abbau des Schuldenberges, den die Poli-tiker über Jahrzehnte zulasten jetziger und künftiger Gene-rationen aufgetürmt haben und zu dessen Finanzierungschon jetzt 15% der Steuereinnahmen verwendet werdenmüssen, muss ganz oben auf der politischen Tagesordnungstehen.

Auch hätte die Opferung des Bundesbankgewinns Präze-denzcharakter für künftige Finanznöte und wäre damit, ein-mal in die Fänge der Politik geraten, gänzlich der Schul-dentilgung entzogen.

In den öffentlichen Haushalten einen Puffer für Naturkatas-trophen durch nachhaltige Konsolidierung zu schaffen, istauch aus einem bisher kaum erwähnten Grund wichtig: Dienächste Flut kommt bestimmt.

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i fo Schne l ld ienst 18/2002 – 55. Jahrgang

Das Handwerk ist überproportional betroffen

Die Flutkatastrophe entlang Elbe und Donau sowie ihrerNebenflüsse erfordert einen nationalen Kraftakt. Zwölf Jah-re nach der Deutschen Wiedervereinigung muss es der inner-deutschen Solidarität erneut gelingen, ein umfangreichesHilfsprogramm auf den Weg zu bringen.

Als prioritäre Zielsetzung steht neben der Unterstützungder von der Flutkatastrophe geschädigten Bürgerinnen undBürger sowie Hilfen für betroffene Betriebe der Wiederauf-bau der zerstörten Infrastruktur in den vom Hochwasser be-troffenen Regionen im Zentrum der Bemühungen. Wichti-ge Zielkriterien sind dabei die Konjunktursensibilität der Maß-nahmen, die verteilungspolitische Bewahrung der sozialenSymmetrie sowie die Schnelligkeit der Maßnahmenum-setzung.

So groß der gesellschaftliche Konsens bezüglich der Ziel-setzungen auch sein mag, so unterschiedlich sind die Mei-nungen über den geeigneten Weg dorthin. Um eine best-mögliche Maßnahmenwahl zu gewährleisten, sind die in Fra-ge kommenden Finanzierungsalternativen in ihrer Wirk-samkeit bezüglich der Zielerreichung zu überprüfen.

Zwei grundsätzliche Finanzierungsalternativen standen sichin der aktuellen politischen Diskussion gegenüber: Die Ver-schiebung der zweiten Stufe der Steuerreform zum 1. Ja-nuar 2003 um ein Jahr oder eine Kombination aus Ausga-benkürzung und Neuverschuldung. Die Bundesregierunghat sich für die erste Alternative entschieden. Die zweite Al-ternative wäre aber als überlegene Maßnahme vorzuziehen,da sie sich konjunkturfreundlicher, verteilungspolitisch neu-traler und schneller auswirkt.

Die Verschiebung der Steuerreform schwächt die Wachs-tumskräfte der ohnehin daniederliegenden Konjunktur wei-ter. Der Zeitpunkt für eine solche Entscheidung könnte kon-junkturpolitisch gar nicht ungünstiger sein. Der dritte Rück-gang des ifo Geschäftsklimaindex in Folge signalisiert dieGefahr einer erneuten konjunkturellen Abschwächung unddamit einer Fortsetzung der schon überwunden geglaub-ten Rezession.

Hinzu kommt, dass der beschlossene Anstieg des Körper-schaftsteuersatzes für die rund 450 000 Kapitalgesell-schaften mit einem Abschöpfungsvolumen von 1,2 Mrd. q– davon 0,8 Mrd. q im Rechnungsjahr 2003 – ebenfalls kon-junkturdämpfend wirkt.

Standortpolitisch geht von einer Verschiebung der Steu-erreform eine stark negative Wirkung aus. Schon heute istdie im europaweiten Vergleich überdurchschnittliche Grenz-steuerbelastung im Einkommensteuerbereich ein nicht un-erheblicher Standortnachteil. Darüber hinaus sind Ver-lässlichkeit und langfristige Kalkulierbarkeit der steuer-rechtlichen Rahmenbedingungen maßgebliche Standort-kriterien für Investitionsentscheidungen. Keine vier Mona-te vor Inkrafttreten einer Steuerentlastungsstufe von de-ren Verschiebung zu erfahren, wirft jegliche verlässlichestrategische Investitionsplanung über den Haufen undschadet langfristig dem Image des InvestitionsstandortesDeutschland.

Die Verschiebung der Steuerreform tangiert ferner besondersdie Binnennachfrage. Das abgeschöpfte Steuervolumen von6,9 Mrd. q entfällt zu drei Viertel auf die unterlassene An-hebung des Grundfreibetrags sowie auf die Verzögerung derSenkung des Eingangsteuersatzes von 19,9 auf 17% undsteht damit gerade niedrigen Einkommensschichten nichtzur Verfügung, bei denen ein höheres verfügbares Einkom-men überwiegend in den Konsum geflossen wäre. DasHandwerk und andere konsumnahe Wirtschaftsbereichesind deshalb überproportional von dieser Schwächung derPrivatnachfrage betroffen.

Die abgeschöpften Steuereinnahmen wahren daher kei-neswegs wie oftmals fälschlich behauptet die soziale Sym-metrie. Wenn die Steuerreform seinerzeit mit dem Etikett»Entlastung der unteren und mittleren Einkommen« be-schlossen wurde, so sind diese Einkommensgruppen auchdie Hauptleidtragenden einer zeitlichen Verschiebung.

Auch im Unternehmensbereich ist eine soziale Symmetrienicht gewährleistet. Mittelständische Personenunternehmersind durch die Verschiebung der Einkommensteuerreformnegativ belastet. Im Bereich der Kapitalgesellschaften kön-nen die großen internationalen Unternehmen durch eine ge-schickte Bilanzpolitik die Mehrbelastung ganz oder teilweise

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Heinrich Traublinger*

* Heinrich Traublinger, MdL, ist Präsident der Handwerkskammer für Mün-chen und Oberbayern.

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vermeiden, während die mittelständischen GmbHs voll ge-troffen werden.

Auch beim Zielkriterium »Schnelligkeit der Maßnahmenum-setzung« ist die Verschiebung der Steuerreform die unter-legene Finanzierungsalternative. Das aus der Verschiebungder zweiten Stufe der Steuerreform resultierende Mehrauf-kommen steht entsprechend der Finanzverfassung Bund,Ländern und Gemeinden zu und ist zudem breit gestreut.Lediglich 0,3 Mrd. q kommen überhaupt den ostdeutschenLändern und Gemeinden direkt zu Gute.

Um das Gesamtvolumen in den Fonds »Aufbauhilfe« flie-ßen zu lassen, müssen die nicht betroffenen Gebietskör-perschaften auf ihren Anteil verzichten. Auch wenn die Mi-nisterpräsidenten der Länder ihre Zusage hierfür bereits ge-geben haben, so ist immer noch nicht sichergestellt, dassauch die in einem finanziellen Engpass sich befindlichenKommunen dem Abkommen zustimmen. Streit ist hier fastzwangsläufig vorprogrammiert!

Sprechen auf der einen Seite bereits sehr viele Gründe ge-gen die Finanzierungsalternative »Verschiebung der zweitenStufe der Steuerreform zum 1. Januar 2003 um ein Jahr«,so gibt es auf der anderen Seite Argumente, die der zwei-ten Finanzierungsalternative »Kombination aus Ausgaben-kürzung und Neuverschuldung« den Vorzug geben, derenVerwirklichung ja noch nicht ausgeschlossen ist.

Bereits im Herbst 2001 forderten die fünf führenden Wirt-schaftsforschungsinstitute in ihrem Gutachten, die nächsteStufe der Steuerreform vorzuziehen und zur Gegenfinan-zierung eine vorübergehend höhere Neuverschuldung in Kaufzu nehmen. An den konjunkturellen Rahmenbedingungenhat sich seither nichts gebessert. Mit der Verschiebung derSteuerreform schlägt die Bundesregierung damit eine demwirtschaftswissenschaftlichen Fachverstand diametral ent-gegengesetzte Richtung ein.

Bei der Finanzierungsalternative »Kombination aus Ausga-benkürzung und Neuverschuldung« ist ein Zwei-Stufen-Kon-zept zu empfehlen. Einer höheren Nettokreditaufnahme isteine konsequente und vorurteilslose Durchforstung aller öf-fentlichen Haushalte nach Umschichtungs- und Einspar-möglichkeiten voranzuschalten.

Bereits durch eine Umschichtung von rund 1% der für 2003insgesamt vorgesehenen öffentlichen Ausgaben könntendie angestrebten 6,9 Mrd. q bereitgestellt werden. GroßesEinsparpotential bietet sich insbesondere im Bereich derSubventionen. Mit seinem hohen Anteil an strukturkon-servierenden Erhaltungssubventionen ist das deutscheSubventionssystem eine uneffektive Umverteilungsma-schinerie, die dem produktiven Mittelstand nimmt und struk-turschwachen Wirtschaftsbereichen und Großkonzernen

gibt. Die Einsparmöglichkeiten sind hier erheblich. Mit ei-nem entschlossenen Subventionsabbau könnte man ne-ben der Finanzierung der Hochwasserkosten auch zu-sätzlich eine wichtige ordnungspolitische Weichenstellungvornehmen.

Auch die Nutzung von Privatisierungserlösen ist vorurteils-los anzudenken. Nach dem Beteiligungsbericht 2001 sindder Bund und seine Sondervermögen noch immer an 381Unternehmen mit mehr als 25% beteiligt. Auch hier könn-te das ordnungspolitische Gebot der Entstaatlichung mitder Finanzierung der Hochwasserhilfen elegant verbundenwerden.

Erst wenn alle haushaltskonsolidierenden Maßnahmen wieHaushaltssperre, Umschichtungen, Einsparungen, Privati-sierungen und Subventionsabbau ausgeschöpft sind, soll-ten über die Restfinanzierung Entscheidungen getroffen wer-den. Eine dann noch erforderliche maßvolle Neuverschul-dung ist im aktuell herrschenden Katastrophenfall wohl kei-ne finanzpolitische Katastrophe.

Hinzu kommt, dass die Verwendung des Bundesbankge-winns, soweit er dem Erblastentilgungsfonds zuzuführenist, zwar eine Erhöhung der Nettoneuverschuldung dar-stellt, allerdings nur in der Höhe, in der die Mittel abfließenund nicht in ihrer Gesamtheit von ca. 7,7 Mrd. q. Auch ei-ne Kollision mit dem Stabilitätskriterium des MaastrichterVertrages stellt keine Gefahr dar. Für den Fall von Natur-katastrophen sieht das Vertragswerk bei einem tatsäch-lichen Überschreiten der Drei-Prozent-Grenze der Neu-verschuldung explizit entsprechende Ausnahmeregelun-gen vor.

Über die direkt haushaltstechnischen Maßnahmen hinauswären auch weitergehende kreative Maßnahmen wün-schenswert gewesen, bevor man die konjunkturschädigendeIdee einer Verschiebung der Steuerreform in Erwägung ge-zogen hätte. Angesichts der hohen Opferbereitschaft derBevölkerung, die gar nicht hoch genug gewürdigt werdenkann, wäre sicherlich auch Verständnis dafür aufgebrachtworden, z.B. einige Feiertage in diesem und im nächstenJahr als Arbeitstage zu deklarieren und die hieraus resultie-rende Wertschöpfung den Geschädigten zukommen zu las-sen. Dass ein solcher Gedanke keineswegs weltfremd ist,zeigt das Beispiel eines anderen EU-Mitgliedslandes. Ita-lien spielte hier eine Vorreiterrolle, um die Maastricht-Krite-rien zu erfüllen.

Immerhin einen solchen kreativen Vorschlag hat die Bundes-regierung auf Drängen des Handwerks in den Maßnahme-katalog mitaufgenommen: Arbeitszeitspenden werden steu-er- und abgabenfrei gestellt. Attraktiv für die Spender sindsie im Übrigen auch deshalb, weil sie alternativ steuermin-dernd geltend gemacht werden können. Die Verwirklichung

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dieses Vorschlags zeigt, wie man auf einfachem Wege kon-junkturpolitisch sinnvoll helfen kann und dabei die Neuver-schuldung schont.

Zusammenfassend lässt sich feststellen: Die Bundesregie-rung hat durch ihre vorschnelle, auf den kurzfristigen Wahl-kampfvorteil schielende Entscheidung, die Verschiebung derSteuerreform als Finanzierungsalternative für die Hochwas-serkosten zu wählen, eine große Chance verpasst. Durchdiese konjunkturschädliche, sozial unausgewogene und zeit-verzögernde Entscheidung beschwört sie die Gefahr her-auf, die ungeheuere Solidarität, die in unserem Land zu spü-ren ist, leichtfertig zu verspielen. Nationale Kraftakte kön-nen aber nur dann gelingen, wenn diese Solidarität im brei-ten gesellschaftlichen Konsens auf die Finanzierungsmaß-nahmen übertragen wird.

Die staatliche Ausgabenflut eindämmen

Die Bilder von der Hochwasserkatastrophe wecken As-soziationen mit dem deutschen Staatshaushalt: Der Pe-gelstand der Neuverschuldung kommt der kritischen Mar-ke gefährlich nahe, bereits ausgeufert sind die öffentlichenAusgaben. Ihre Relation zur gesamtwirtschaftlichen Leis-tung lag Anfang der sechziger Jahre noch bei knapp 35%– heute sind es fast 50%. Aus dem Ruder läuft vor allemdas Sozialsystem, das mittlerweile ein Drittel des Sozial-produkts beansprucht. Hier drohen die notdürftigen Däm-me gegen Beitragserhöhungen zu brechen. Auch unserStaat hat also mit Problemen der Flut zu kämpfen: einerFlut von Aufgaben und Ansprüchen, die ihn zusehendsüberfordern.

Wie aber soll ein selbst in Bedrängnis geratener Staat sei-nen Bürgern in Not helfen? Überrascht es da noch, dass dieBundesregierung angesichts zusätzlicher Belastungen –schon das zweite Mal binnen Jahresfrist – Zuflucht bei denSteuerzahlern sucht? Fast im Handstreich und ohne großeöffentliche Diskussion hat man die zweite Stufe der Steuer-reform verschoben, noch bevor das finanzielle Ausmaß derHochwasserkatastrophe einigermaßen verlässlich abzu-schätzen ist. Diese Maßnahme lässt vermuten, dass die öf-fentliche Haushaltslage schon vor der Flut kritischer war alsin der Öffentlichkeit dargestellt.

Kein Spielraum für neue Schulden

Vergessen wir nicht: Anfang des Jahres hatte sich dieBundesregierung gegenüber Brüssel verpflichtet, bis 2004einen »nahezu« ausgeglichenen Staatshaushalt vorzulegen.Schon dieses ehrgeizige Ziel verlangt von der Finanzpolitik

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Werner Heß*

* Werner Heß ist bei der Dresdner Bank AG, Corporate Center Volkswirt-schaft, Frankfurt, beschäftigt.

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einen gewaltigen Kraftakt. Immerhin geht es darum, einejährliche Neuverschuldung von rund 50 Mrd. q innerhalbvon zwei Jahren auf etwa 10 Mrd. q zu drücken. Stellt mannun noch die volkswirtschaftlichen Kosten aufgrund derHochwasserschäden mit in Rechnung – erste unsichereSchätzungen reichen bis zu einer Größenordnung von20 Mrd. q –, wird die eigentliche Dimension der finanzpoli-tischen Herausforderung sichtbar. Kann Deutschland sie be-wältigen, oder drohen nun auch die sorgsam errichtetenDämme gegen die Verschuldung zu brechen?

Um es vorweg zu nehmen: Spielraum für weitere staatlicheKreditaufnahme besteht nicht mehr. Schon bevor hier zuLande die ersten Deiche brachen, kam die staatliche Defi-zitquote dem zulässigen Maximum von 3% gefährlich na-he. Angesichts der nur schleppenden Konjunkturerholung– mit entsprechenden Konsequenzen für das Steuerauf-kommen – wächst die Gefahr, dass Deutschland in diesemJahr die 3%-Marke sogar überschreitet. Da auch Frankreich,Italien und Portugal mit diesem Problem zu kämpfen haben,überrascht es kaum, dass der Ruf nach einer Lockerung desStabilitätspakts mit weniger strengen Defizitkriterien immerlauter wird.

Diese Debatte erhält nun mit der fiskalischen Bewältigungder Flutkatastrophe einen neuen Aspekt. Denn der Maast-richt-Vertrag lässt das Überschreiten der Defizitgrenze u.a.dann zu, wenn ein nicht kontrollierbares, außergewöhnli-ches Ereignis vorliegt, das größere Auswirkungen auf diefinanzielle Situation eines Landes hat. Selbst wenn dies fürDeutschland mit Blick auf die Flutkosten zuträfe, ist davorzu warnen, diese Ausnahmeregelung zu beanspruchen. Die»psychologischen Schleusen« für weniger strenge Defizit-regeln wären dann wohl endgültig geöffnet. So schlimmdie Folgen der Flut auch sind: Sie dürfen nicht dafür her-halten, auch noch den Stabilitätspakt zu unterspülen odergar die gemeinsame Währung Europas in ein Desaster zustürzen.

Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass der Weg, dieFlutschäden über staatliche Kreditaufnahme zu finanzieren,nur unter Inkaufnahme beträchtlicher Risiken gangbar wä-re. Im Übrigen läuft der Vorschlag, den Bundesbankgewinnteilweise zur Finanzierung der Schäden zu verwenden, hier-auf hinaus. Vom diesem Gewinn fließen 3,5 Mrd. q in denBundeshaushalt, der Rest – in diesem Jahr knapp 8 Mrd.q– dient der Tilgung von Schulden des Erblastentilgungs-fonds. Verwendet man diese Summe für zusätzliche Aus-gaben, dann steigt das Budgetdefizit entsprechend.

Die Steuerreform auf Eis legen?

Es ist daher zu begrüßen, dass die Bundesregierung nichtin eine noch höhere Staatsverschuldung ausgewichen ist,

um die Hochwasserschäden zu stemmen. Doch ihr Weg,die Kosten überwiegend durch den Verzicht auf Steuersen-kungen zu finanzieren, ist auch nicht besser. Wie schon er-wähnt, soll die zweite Stufe der Steuerreform um ein Jahrauf 2004 verschoben werden, was einen Betrag von knapp7 Mrd. q freisetzen würde. Geplant ist außerdem, die Kör-perschaftsteuer für ein Jahr um 11/2 Prozentpunkte anzu-heben, was knapp 1 Mrd. q an zusätzlichem Aufkommenbringen soll. Diese Maßnahmen gefährden die Konjunktur-erholung nicht grundsätzlich; die frei werdenden Mittel kom-men nun hauptsächlich den Investitionen zugute und nichtdem privaten Konsum. Rein rechnerisch wären im Fall vonSteuersenkungen die positiven Konjunktureffekte sogar et-was geringer gewesen, da die Verbraucher einen Teil deszusätzlichen Einkommens gespart hätten.

Dennoch ist die Verschiebung der Steuerreform ein falschesSignal. Sie passt nicht in ein makroökonomisches Umfeld,das darauf ausgerichtet sein soll, Arbeitslosigkeit zu be-kämpfen. Die Bundesregierung darf – bei aller Solidarität mitden Flutopfern – ihr wichtigstes wirtschaftspolitisches Zielnicht aus den Augen verlieren. Auf globalen Märkten sindUnterschiede in den nationalen Steuersystemen für die Kon-kurrenzfähigkeit von Unternehmen sehr bedeutsam. Dersteuerliche Wettbewerb um Industriestandorte und Ar-beitsplätze nimmt zu. Steuerpolitik ist deshalb auch Stand-ortpolitik. Grundsätzlich sind die Beschäftigungschancengünstiger, wenn es – nicht zuletzt mit Hilfe der Steuerpolitik– gelingt, mobiles Sachkapital und mobiles technisches Wis-sen in Deutschland zu halten oder aus dem Ausland anzu-locken.

Mit der im Sommer 2000 verabschiedeten Steuerreformist zwar die effektive marginale und durchschnittliche Steu-erbelastung der deutschen Kapitalgesellschaften deutlichzurückgegangen. Da allerdings der internationale Mittelwertin den letzten Jahren ebenfalls deutlich gesunken ist, er-gibt sich bei der effektiven Steuerlast keine nennenswerteRangverbesserung. Mittelständische Unternehmen, die alsPersonengesellschaft organisiert sind, haben bislang vonder Steuerreform kaum profitiert. Im Gegenteil: Die zweiteStufe der Reform, die ab 2003 gerade den Mittelstand ent-lasten sollte, wird nun ja auf 2004 verschoben. Genau indiesem Jahr aber werden besondere finanzpolitische An-strengungen notwendig sein, um einen »nahezu« ausge-glichenen Haushalt zu erreichen. Deshalb besteht die Ge-fahr, dass man die versprochene Steuersenkung noch-mals aufschiebt.

Nach wie vor liegt die wichtigste Aufgabe der Steuerpolitikin der drastischen Vereinfachung des Einkommensteuer-rechts. Da man über dessen Gestaltung die verschiedens-ten Einzelziele verfolgt, ist ein undurchdringliches Rege-lungsdickicht entstanden. Das deutsche Steuerrecht enthälteinerseits viele Privilegien und Abzugsmöglichkeiten, ande-

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rerseits aber nach wie vor relativ hohe Steuersätze. Viel sinn-voller wäre eine Bemessungsgrundlage ohne Privilegien, dieniedrige Steuersätze ermöglicht. Mittelfristig erstrebenswertist eine stärkere Senkung der Einkommensteuer mit einemSpitzensatz deutlich unter 40%. Wünschenswert ist außer-dem eine einheitliche Besteuerung aller Einkünfte – unab-hängig davon, wie und wo sie erwirtschaftet und verwen-det werden.

Die Lösung liegt im Sparen

Festzuhalten ist: Die beiden Möglichkeiten, die Hochwas-serschäden durch höhere Neuverschuldung oder das Ver-schieben der Steuerreform zu finanzieren, sind mit erheb-lichen Problemen behaftet. Bleibt als Ausweg nur noch, derstaatlichen Ausgabenflut endlich Herr zu werden. Ein min-destens ebenso klares Zeichen der Solidarität mit den Flut-opfern wie der Verzicht auf Steuersenkungen wäre die Um-schichtung von Staatsausgaben zu deren Gunsten. Nochscheut sich die Politik, den von der Katastrophe Verschon-ten die »Kuscheldecke« staatlicher Wohltaten zu nehmenund sie den wirklich in Not Geratenen zu geben. Die Re-gierung muss neue Prioritäten setzen und dabei auch Aus-gabenkürzungen in Angriff nehmen, die schon immer aufheftigen Widerstand gestoßen sind. Das gilt für den Be-reich der Sozialversicherungen ebenso wie für die staatlichenSubventionen. Letztere summieren sich – nach der Defini-tion des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel – auf den statt-lichen Betrag von 156 Mrd. q im Jahr 2001. Das sind 71/2%des Sozialprodukts und gut ein Drittel des Steuerauf-kommens.

Die nötigen Finanzmittel durch Umschichtung der Staats-ausgaben aufzubringen, erscheint auch unter Beachtungder beiden Ziele, das Budgetdefizit und die Arbeitslosigkeitabzubauen, als die sinnvollste Lösung. Das Ziel der Bundes-regierung, den öffentlichen Haushalt mittelfristig auszuglei-chen, erfordert ohnehin verstärkte Sparanstrengungen.Ebenfalls wichtig für die Haushaltskonsolidierung ist der Ab-bau der Arbeitslosigkeit, die das öffentliche Budget in ho-hem Maße belastet. Um aber das Problem der Arbeitslo-sigkeit in den Griff zu bekommen, ist u.a. das Sozialsystemmit größerem Nachdruck zu reformieren. Je schneller dieRegierung dies anpackt, umso glaubwürdiger wird ihr mittel-fristiger Konsolidierungspfad. Wenn der Staat an dieser Stel-le mit seinen Sparanstrengungen ansetzt, unterstützt er da-mit – im Gegensatz zum Verschieben der Steuerreform – so-gar den Abbau der Arbeitslosigkeit.

Von den Vorschlägen der Hartz-Kommission ist diesbezüg-lich nicht all zuviel zu erwarten. Sie zielen in erster Linie dar-auf ab, bereits existierende Arbeitsplätze schneller zu be-setzen, also die durchschnittliche Dauer der Arbeitslosigkeitzu verringern. Es ist eine Illusion zu glauben, damit allein las-

se sich die Arbeitslosigkeit innerhalb der nächsten drei Jah-re halbieren. In Deutschland ist die hohe Arbeitslosigkeit nichtprimär das Resultat einer zu schwerfälligen Vermittlung. DasHauptproblem ist vielmehr, dass zu wenige Arbeitsplätzevorhanden sind – vor allem für gering Qualifizierte. Um aberArbeitsplätze zu schaffen, ist neben einer auf Wachstum aus-gerichteten Wirtschaftspolitik die entscheidende Voraus-setzung, das Regelwerk des Arbeitsmarktes von vielerleiStöreinflüssen zu befreien. Neben dem zu starren Tarifsys-tem zählen hierzu vor allem die Rückwirkungen des Sozial-staates auf den Arbeitsmarkt. Insbesondere die steigendeLast der Sozialbeiträge ist wegen ihrer hemmenden Wirkungauf Arbeitsangebot und Arbeitsnachfrage für die hohe Ar-beitslosigkeit mitverantwortlich.

Um die hohen Sozialabgaben zu senken, führt an Reformen,welche die Ausgabenseite des Sozialhaushalts entlasten,kein Weg vorbei. Dabei ist die prinzipielle Frage zu beant-worten, welche Leistungen in Zukunft noch von der Sozial-versicherung getragen werden sollen und welche stattdes-sen individuell abzusichern sind. Sozialpolitik muss heutedazu beitragen, die Kräfte des Marktes über entsprechen-de Anreizsysteme zu entfesseln. Eine zu weitgehende Ver-teilungsorientierung lähmt die wirtschaftliche Aktivität undverringert das Niveau des volkswirtschaftlichen Wohlstands.Die soziale Frage lautet heute: Wie schaffen wir mehr wirt-schaftliche Dynamik und mehr Arbeitsplätze? Die notwen-dige soziale Sicherung muss den ökonomischen Möglich-keiten Rechnung tragen und zugleich Eigeninitiative und Ei-genverantwortung fördern.

Nur wenn man die auf die lange Bank geschobenen Struk-turreformen endlich in Angriff nimmt, erhält der öffentlicheHaushalt wieder Spielraum. Das Budgetdefizit eines Lan-des ist eben mehr als nur der Saldo seiner Ausgaben undEinnahmen. Letztlich bündeln sich hier wie in einem Brenn-glas auch die Versäumnisse der Wirtschaftspolitik. Der Staatmuss sich auf seine wesentlichen Aufgaben konzentrieren.Die Grenzziehung zwischen öffentlichen und privaten Gü-tern, der Umfang der Einkommensumverteilung und dasAusmaß der sozialen Basissicherung beruhen auf politi-schen Entscheidungen, die allesamt überdacht werdenmüssen.

Sparpolitik muss nicht zwangsläufig kontraktive Effektehervorrufen. Zwar bedeutet eine Verringerung der staat-lichen Ausgaben für sich genommen einen Nachfrage-ausfall. Dem steht aber der Vertrauensgewinn gegenüber,den eine Haushaltskonsolidierung bewirken kann. Wennetwa der eingeschlagene Kurs in der Wirtschaft die be-gründete Zuversicht weckt, dass er Spielraum schafft, dieSteuer- und Abgabenbelastung zu senken, kann dies dieprivate Nachfrage beflügeln und den quantitativen Ent-zugseffekt mittel- bis längerfristig ausgleichen oder garüberkompensieren.

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Jenseits von staatlichen Hilfen

Wie auch immer die staatlichen Hilfen für die Flutopfer letzt-endlich finanziert werden – sei es durch Erhöhung der staat-lichen Einnahmen oder durch Einsparungen auf der Aus-gabenseite des Staatshaushalts –, in jedem Fall werden dieKosten größtenteils »sozialisiert«, da der Steuerzahler mehroder weniger direkt in die Bresche springen muss. Anderslässt sich kurzfristige Hilfe in größerem Umfang nun einmalnicht mobilisieren. Doch unabhängig von der staatlichen undprivaten Soforthilfe stellt sich die Frage, wie man sich ge-gen die Folgen von Naturkatastrophen wappnen kann, zu-mal der Umfang solcher Elementarschäden in der Vergan-genheit tendenziell zugenommen hat. Darüber hinaus gibtes Indizien dafür, dass infolge der globalen KlimaänderungNaturkatastrophen künftig immer häufiger und intensiver auf-treten. Der Staat jedenfalls kann die Rolle des Vollkasko-Ver-sicherers nicht übernehmen. Der vom Bundeskanzler aus-gestellte Blankoscheck, niemand dürfe nach der Flutschlechter gestellt sein als vorher, ist leider ungedeckt.

Obwohl Elementarschäden grundsätzlich versicherbar sind,haben nur wenige Haushalte und Unternehmen eine sol-che Versicherung abgeschlossen. Es gibt deshalb den Vor-schlag, eine Versicherungspflicht für Elementarschäden ein-zuführen. Dem Modell der Kraftfahrtversicherung folgend seizum Beispiel denkbar, dass der Gesetzgeber eine Versi-cherung gegen Hochwasser beim Abschluss einer Gebäu-de- und Hausratsversicherung automatisch vorschreibe.Zwar wäre dann auf eine gesicherte Regulierung solcherSchäden Verlass. Zu bedenken ist aber, dass die Versiche-rungspflicht erheblichen bürokratischen Aufwand beim Staatund bei den Versicherern verursacht. Es stellt sich zudemdie Frage, wie man verfährt, wenn Prämien nicht bezahltwerden. Ein Auto lässt sich in diesem Fall aus dem Verkehrziehen – ein Haus aber kaum. Gegen eine Versicherungs-pflicht spricht nicht zuletzt, dass es ungerecht ist, das Risi-ko von Hochwasserschäden, dem nur ein relativ kleiner Teilder Bevölkerung ausgesetzt ist, der gesamten Bevölkerungaufzubürden.

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Die Beiträge sind auszugsweise in englischer Sprache im CESifo InternetForum auf unserer Website www.cesifo.de zu finden.

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Das Herz von Hartz*

Hätte eines der Wirtschaftsforschungs-institute dem Arbeitsministerium ein sol-ches Gutachten geschrieben, wie es dieHartz-Kommission nun vorgelegt hat, sohätte das Ministerium das Gutachten zu-rück gewiesen. Es fehlt der Analyseteil,und es fehlt die Finanzierungsrechnung.Statt dessen gibt es ein buntes Potpour-ri an kreativen Empfehlungen, viele schö-ne, bunte Schaubilder, jedoch kaum Zah-len. Wie einfach und erquicklich doch diePolitikberatung sein kann!

Gleichwohl sind die Vorschläge der Hartz-Kommission im Grundsatz zu begrüßen,weil sie Leben in die erstarrte politischeDiskussion in unserem Lande bringen.Das Tabu, das die Politik über den Ar-beitsmarkt verhängt hatte, wurde end-lich gebrochen.

Stärken hat das Gutachten dort, wo esdarum geht, die Bundesanstalt für Arbeitumzukrempeln und die Vermittlung effek-tiver zu machen. Es ist sinnvoll, dass dieJob-Center nun jeden Arbeitslosen bei derHand nehmen und ihn durch ein Bündelvon Maßnahmen aktivieren sollen, zu de-nen die Verschärfung der Zumutbarkeits-bedingungen und die Umkehrung der Be-weislast gehören.

Schwächen hat das Gutachten, wenn esum die Bekämpfung der Arbeitslosigkeitgeht. Durch eine bessere Vermittlung lässtsich hier nicht viel erreichen. Die Drehtürzwischen Arbeitswelt und Arbeitslosendreht sich schon heute sehr schnell. Mitden Vorschlägen der Hartz-Kommissiondreht sie sich nur noch schneller. Die Ent-lassungen werden genauso steigen wiedie Neueinstellungen.

Es fehlt an Jobs, und mehr Jobs gibt esnur, wenn die Lohnkosten fallen. Um die-se einfache Wahrheit druckst das Gut-achten herum. Die Anspruchslöhne, diedurch die Arbeitslosenhilfe und die So-zialhilfe definiert werden, sind bei gering

Qualifizierten zu hoch, als dass zu diesenLöhnen genug rentable Jobs geschaffenwerden könnten. Gering Qualifizierte ma-chen über 40% der Arbeitslosen aus, ob-wohl ihr Anteil an der Gesamtheit der Er-werbsfähigen nur bei 15% liegt.

Auch wenn eine Analyse fehlt, scheint dieHartz-Kommission die Lohnkostenthe-matik doch vom Grundsatz her zu ak-zeptieren. Die steuerbegünstigte Ich-AGund die steuerlich absetzbaren Mini-Jobsbei privaten Haushalten (das alte »Dienst-mädchenprivileg«) sind Versuche, Jobsauf dem Wege der Lohnkostensenkungzu schaffen. Leider äußert sich die Kom-mission nicht dazu, wie sie die in der Ich-AG und auf Mini-Jobs verdienten Ein-kommen mit den Sozialhilfeansprüchenehemaliger Schwarzarbeiter verrechnenwill. Bei der herrschenden Gesetzeslagesind die Vorschläge weitgehend wir-kungslos, weil die Ansprüche auf Sozial-hilfe in weiten Bereichen Eins zu Eins ge-kürzt werden, wenn man bei Mini-Jobsoder in der Ich-AG Einkommen erwirbt.Eine Kommission, die es nicht schafft, ei-nen integrierten Tarifverlauf für staatlicheTransfers und Steuern im Niedriglohnbe-reich vorzulegen, der dieses Problem ver-meidet, hat ihr Thema verfehlt.

Das »Herzstück« der Empfehlungen derHartz-Kommission liegt nach eigenem Be-kunden bei der Personal-Service-Agen-tur (PSA), die Arbeitslose auf dem Wegeüber Leiharbeitsverhältnisse subventio-niert in die private Wirtschaft zurück-schleusen soll. Dieser Vorschlag ist demifo Gutachten »Aktivierende Sozialhilfe«entlehnt, das im Mai 2002 herauskam. Ar-beitslose müssen die Beschäftigung beieiner Leiharbeitsfirma annehmen, wennsie keine Kürzung des Einkommens hin-nehmen wollen. Der Lohn liegt währendder Probezeit von sechs Monaten beimArbeitslosengeld und nach Ablauf der Pro-bezeit bei einem neu auszuhandelndenPSA-Tariflohn, der ca. 70% des letztenBruttolohns betragen soll. Die Leihar-beitsfirma verleiht die Betroffenen an dieprivate Wirtschaft. Während der Probe-zeit tut sie das notfalls umsonst, danachzu einem um 50% unter den Selbstkos-ten liegenden Lohn. Das Arbeitsverhält-

Nachtrag: Die Vorschläge der Hartz-Kommission

Prof. Dr. Dr. h.c.Hans-Werner SinnPräsident des ifo Instituts

* Erschienen als Standpunkt Nr. 37 und in ähnlicherForm im Handelsblatt Nr. 158 vom 19. August2002, S. 8.

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nis mit der PSA ist mit allen Rechten, insbesondere dem vol-len Kündigungsschutz ausgestattet.

Nimmt man einmal an, dass die Gewerkschaften bei denVerhandlungen über den neuen PSA-Tarif ihre Unterstüt-zung nicht zurückziehen, so wird dieser Vorschlag ganz si-cherlich zu einer massiven Beschäftigungserhöhung füh-ren, denn immerhin läuft er bei den betroffenen Arbeitneh-mern auf eine Senkung der Stundenlohnkosten um zweiDrittel hinaus (vgl. S. 155 des Gutachtens). Die Hartz-Kom-mission geht hier zwar nur von ein paar 100 000 Arbeits-plätzen aus. Aber in Wahrheit würde diese Lohnkosten-senkung sogar Vollbeschäftigung herstellen, denn nach al-lem, was die Ökonometrie an Erkenntnissen zur Verfügunggestellt hat, würde dafür schon eine allgemeine Senkungder Lohnkosten von nur 10%, sicherlich aber eine Sen-kung von 20% ausreichen.

Das Problem liegt indes bei der Finanzierung. Das ifo Insti-tut hatte die subventionierten staatlichen Leiharbeitsver-hältnisse zusammen mit einer Bezuschussung von Löhnenfür eine reguläre Tätigkeit im privaten Sektor auf den Bereichder gering Qualifizierten beschränkt. Genauso hatte der Wis-senschaftliche Beirat beim Wirtschaftsministerium in seinemGutachten »Reformen des Sozialstaats für mehr Beschäfti-gung im Bereich gering qualifizierter Arbeit« vom Juni die-ses Jahres votiert. Durch die Beschränkung auf das unters-te Teilsegment des Arbeitsmarktes bleiben die fiskalischenBelastungen beherrschbar. Eine Vollfinanzierung der Lohn-subvention im Niedriglohnbereich durch die Absenkung derregulären Sozialhilfesätze und die Verschmelzung von Ar-beitslosen- und Sozialhilfe ist möglich.

Wie teuer hingegen die Hartz-Vorschläge werden, kann manwegen der fehlenden Finanzierungsrechnung nur erahnen.Die Kosten werden den Rahmen des Möglichen mit Si-cherheit sprengen. Das Problem bei allen Vorschlägen zurLohnsubventionierung liegt nämlich in einem unvermeid-lichen Mitnahmeeffekt. Die Unternehmen entlassen die nichtsubventionierten Arbeitnehmer und ersetzen sie durch billi-gere, subventionierte Arbeitskräfte. Dieser Prozess dauertJahre an, aber er lässt sich nicht aufhalten. Er soll offenbarauch nicht aufgehalten werden, denn die Kommission for-dert explizit, die Regelung des Arbeitnehmerüberlassungs-gesetzes aufzuheben, nach der die Wiederbeschäftigungzuvor entlassener Personen auf dem Wege der Leiharbeitverboten ist (S. 157).

Beim ifo Vorschlag war einkalkuliert worden, dass auf dieDauer 4,5 Millionen gering Qualifizierte subventioniert wer-den müssen, um 2,3 Millionen neue Jobs für gering Quali-fizierte zu schaffen. Nach der gleichen Logik muss man beimHartz-Vorschlag damit rechnen, auf die Dauer den gesam-ten privaten Arbeitsmarkt zu subventionieren. Das wärennach heutiger Rechnung 32 Millionen Personen, und wenn

man die von der Kommission selbst genannten Kosten proPSA-Beschäftigtem hochrechnet (Abb. 23), mehr als300 Mrd. q oder zwei Drittel des Steueraufkommens derBundesrepublik Deutschland. Natürlich steht das so nichtim Gutachten, aber die Gesetze der Ökonomie lassen sichdurch den bloßen Willen der Hartz-Kommission nicht ver-biegen.

Nun wird man von Seiten der Kommission wahrscheinlichschnell nachschieben, die Beschäftigung bei der PSA müs-se dann eben zeitlich befristet oder sonst wie begrenzt wer-den. Das lässt sich machen, nur kommt so der gewünsch-te Beschäftigungseffekt nicht zustande. Dauerhaft mehr Jobsgibt es nur, wenn die Lohnkosten dauerhaft gesenkt wer-den, und das geht ohne entsprechende Lohnverzichte nur,wenn dauerhaft subventioniert wird.

Die Idee, die Arbeit in allen Qualifikationssegmenten desArbeitsmarktes auf dem Wege über die Beschäftigung beider PSA zu subventionieren, führt zur schleichenden Sozi-alisierung des gesamten Arbeitsmarktes und ist mit einermarktwirtschaftlichen Ordnung nicht vereinbar. Das Herz-stück des Hartz-Vorschlags ist nicht realisierbar.

Nur die engeren, speziell auf die gering Qualifizierten ab-stellenden Vorschläge des ifo Instituts und des Wissen-schaftlichen Beirats sind umsetzbar. Gering Qualifizierten,deren Wertschöpfung zu gering ist, um selbst ein aus-kömmliches Einkommen zu verdienen, muss der Sozialstaatdauerhaft helfen. Aber er sollte es unter der Bedingung tun,dass die Betroffenen selbst einen Beitrag leisten, und nichtunter der Bedingung, dass sie selbst kein Arbeitseinkom-men erwerben, wie es heute der Fall ist. Dies ist die Logikder von der Wissenschaft unterbreiteten Vorschläge. Folgtman ihr, dann lässt sich ohne jegliche Kosten für den Staatbereits ein Gutteil der Arbeitslosigkeit beseitigen.

Sobald der Wahlkampf vorbei ist, wird sich die Politik hof-fentlich wieder auf die ernsthaften Konzepte besinnen, dieauch schon vor den Hartz-Vorschlägen auf dem Tisch lagen.

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Stärkung der Arbeitsanreize durch veränderte Leistungen und Abgaben?

Die Kommission zum Abbau der Arbeitslosigkeit und zurUmstrukturierung der Bundesanstalt für Arbeit (»Hartz-Kom-mission«) hat am 16. August 2002 ihren Bericht »ModerneDienstleistungen am Arbeitsmarkt« vorgestellt. Die Bundes-regierung und die sie tragenden Mehrheitsfraktionen im Deut-schen Bundestag haben sich ohne Einschränkung zu denVorschlägen des Berichts bekannt und wollen unmittelbarund so weitgehend wie möglich mit der Umsetzung der Emp-fehlungen beginnen.

Der Bericht beschreibt eine »neue Arbeitsmarktpolitik«, de-ren »neue Leitidee« mit dem Motto »Eigenaktivität auslösen– Sicherheit einlösen« umschrieben wird. Ohne jeden Zwei-fel zählt die Mobilisierung von Eigenaktivität der von Arbeits-losigkeit Betroffenen und Bedrohten zu den wichtigsten Auf-gaben staatlicher Arbeitsmarktpolitik, und ebenso zweifelloskommt diese Aktivierungshilfe in der Arbeitsmarktpolitik bis-herigen Zuschnitts zu kurz.

So kann der Kommission nur zugestimmt werden, wennsie die Eigenaktivität als ein Schlüsselkonzept für einen Ab-bau der Arbeitslosigkeit versteht und wenn ihr die Förderungder Eigenaktivität als Richtschnur für die strategische Neu-ausrichtung der Bundesanstalt für Arbeit und für die vorge-sehenen Maßnahmenpakete – die 13 »Innovationsmodule«– dient. Eigenaktivität kann allerdings mit sehr verschieden-artigen Instrumenten gefördert oder auch gehemmt werden.Rechte und Pflichten, Gebote und Verbote für die Zielgrup-pen, aber auch Beratungs-, Betreuungs- und Vermittlungs-qualitäten auf der Seite der fördernden Institutionen und Per-sonen spielen eine wichtige Rolle.

Der ökonomische Ansatz fragt dagegen in erster Linie nachden Anreizen und Anreizänderungen, die mit einem Wech-sel des arbeitsmarktpolitischen Regimes verbunden sind.Denn Anreize werden vom Ökonomen als verhaltenswe-sentlich anerkannt (»Incentives matter«). Welche Auswei-tungen oder Kürzungen und Streichungen von Leistungs-bezügen und Abgaben sieht der Bericht also vor? WelcheVerhaltensänderungen bei den Begünstigten und Belaste-ten würden dadurch ausgelöst? Setzen die Pläne zur Akti-vierung der von Arbeitslosigkeit Betroffenen oder Bedroh-ten in ausreichendem Maße auf materielle und finanzielle An-reize?

Unter diesem Blickwinkel sollen im vorliegenden Beitragdie monetär-verhaltenslenkenden Elemente dreier zentraler»Hartz-Vorschläge« überprüft werden. Erfolgt der Einsatzder öffentlichen Finanzen zur Förderung von Arbeit anreiz-kompatibel? Lohnt sich also individuell die Vermeidung oderBeendigung oder Verringerung von Nicht-Arbeit (Arbeitslo-sigkeit) nach Umsetzung der Vorschläge mehr und eher alszuvor?

Innovationsmodul »Zusammenführung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe«

Die Idee einer Zusammenführung von Arbeitslosen- und So-zialhilfe ist in den vergangenen Jahren breit diskutiert wor-den und hat viele Befürworter gefunden (vgl. Sinn et al. 2002,S. 21–23). Originell im Rahmen der Hartz-Vorschläge wäredaher nur die Ausgestaltung der Reformidee.

Der Vorschlag besteht darin, das System von Arbeitslosen-geld und -hilfe durch ein System von Arbeitslosengeld I undII zu ersetzen, wobei Arbeitslosengeld I als beitragsfinan-zierte originäre Versicherungsleistung dem bisherigen Ar-beitslosengeld entsprechen soll, während das Arbeitslo-sengeld II als steuerfinanzierte bedürftigkeitsabhängige Leis-tung an die Stelle der bisherigen Arbeitslosenhilfe tritt. Ar-beitslosengeld II soll zur Sicherung des Lebensunterhaltsder arbeitslosen erwerbsfähigen Personen dienen und da-mit die Funktion der bisherigen Sozialhilfe für Arbeitsfähigemit übernehmen. Das neue Sozialgeld ersetzt die bisherigeSozialhilfe für nicht erwerbsfähige Personen.

Künftig soll jeder, der Leistungen bezieht, nur noch eineeinzige Leistung (Arbeitslosengeld I, Arbeitslosengeld IIoder Sozialgeld) beziehen. Die bisherige Aufstockung vonArbeitslosengeld oder -hilfe um Sozialhilfe ist demnachkünftig grundsätzlich nicht mehr vorgesehen, Schnittstel-len zwischen den Leistungen sollen weitgehend vermie-den werden.

Die Höhe und Dauer des Arbeitslosengeldes I soll »im Grund-satz« den bisherigen Regeln zum Arbeitslosengeld ent-

Michael Vierling*

* Prof. Dr. Michael Vierling lehrt Öffentliche Finanzwirtschaft an der Fach-hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung, Fachbereich Bundes-wehrverwaltung, in Mannheim.

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sprechen, also für einen zwischen sechs und 32 Monate lan-gen Zeitraum (je nach Zeitraum vorheriger Beitragszahlung)lebensstandardorientiert 67% (erhöhter Leistungssatz fürBerechtigte mit Kindern) bzw. 60% (allgemeiner Leistungs-satz für Kinderlose) des pauschalierten Nettoentgelts be-tragen, wenn auch in Abbildung 15 »Neugestaltung der Ent-geltersatzleistungen« (Kommission 2002, S. 128) lediglichein Niveau von rund 60% dargestellt ist. Vermutlich soll fürBerechtigte mit Kindern auch weiterhin der erhöhte Leis-tungssatz von 67% gelten und ist in der Abbildung nur ausVereinfachungsgründen nicht dargestellt.

Arbeitslosengeld II soll wie die bisherige Arbeitslosenhilfe be-dürftigkeitsabhängig und mit unbegrenzter Anspruchsdau-er gewährt werden. Im Rahmen der Bedürftigkeitsprüfungsoll allerdings der »familiäre Kontext des Arbeitslosen« be-rücksichtigt werden, was offen lässt, ob die derzeit geltendeAbhängigkeit der Höhe der Arbeitslosenhilfe vom Status»mit/ohne Kinder« gemeint ist oder aber eine Übertragungdes Regelwerks der derzeitigen Sozialhilfe, wonach die Leis-tung nur gewährt wird, so weit nicht Familienangehörigeersten Grades den Lebensunterhalt finanzieren können. DieHöhe des Arbeitslosengeldes II soll gemäß der Abbildung»Neugestaltung der Entgeltersatzleistungen« ebenfalls le-bensstandardorientiert 57% des pauschalierten Nettoent-gelts bei mindestens einem Kind, sonst 53% des pauscha-lierten Nettoentgelts, betragen.

Sowohl bei Arbeitslosengeld I wie auch II ist ein Spielraumnach unten für eine Absenkung der Leistungen etwa aufGrund der Ablehnung von zumutbaren Stellen vorgesehen,wobei die genannte Abbildung den Spielraum mit rund 10%skizziert. Im Rahmen des Innovationsmoduls »Neue Zu-mutbarkeit und Freiwilligkeit« sind, je nach verschiedenenSachverhalten, Leistungskürzungen in Höhe von z.B. 10, 20oder 30% angedacht. Im Falle der Nicht-Verfügbarkeit desArbeitslosen für den Arbeitsmarkt soll an Stelle des Ar-beitslosengeldes II Sozialgeld gezahlt werden. Das Sozial-geld (grundsätzlich nur für nicht erwerbsfähige Personenvorgesehen) soll in seiner Höhe der bisherigen Sozialhilfeentsprechen.

Diese Reformskizze lässt die Frage offen, welche Leis-tungshöhe Empfänger von Arbeitslosengeld I und II erwar-ten können, deren Arbeitslosengeldanspruch I oder II un-ter der Höhe des Sozialgeldes liegt. Denn einerseits soll sichdie Höhe des Arbeitslosengeldes (I oder II) auch künftig alsAnteil aus dem vorigen Nettoentgelt errechnen, anderer-seits aber soll es nicht mehr zu Aufstockungen des Ar-beitslosengeldes (I oder II) durch Sozialgeld kommen. Einetwaiges Mindestarbeitslosengeld in der Höhe des Sozial-geldes sehen die Vorschläge aber auch nicht vor. Anderer-seits kann aber kaum beabsichtigt sein, Arbeitslosengeld-empfänger finanziell schlechter zu stellen als Sozialgeld-empfänger, da ja die nicht verfügbaren Arbeitslosen mit

der Sanktion belegt werden sollen, nur noch Sozialgeld zubeziehen.

Völlig unklar ist, in welcher Weise im Rahmen von Arbeits-losengeld I und II künftig die Orientierung am Lebensstan-dard durch Bezugnahme auf das vorige Nettoentgelt unddie Orientierung am Bedürftigkeitskonzept durch das An-knüpfen an die Hilfe zum Lebensunterhalt verzahnt werdensoll. Damit wird einem der Hauptprobleme bei der beab-sichtigten Integration von Arbeitslosen- und Sozialhilfe aus-gewichen. Die erwähnten Lücken im Konzept erschwerendie Beurteilung des Konzepts unter dem Aspekt der finan-ziellen Anreizstrukturen.

Jedenfalls stellt es einen Fehlanreiz dar, Bezieher von Ar-beitslosengeld II im Falle der Nicht-Verfügbarkeit für denArbeitsmarkt auf die Höhe des Sozialgeldes für nicht er-werbsfähige Personen zu verweisen. Dieser Vorschlag ver-kennt grundlegend das schon derzeit erhebliche Problem,dass der Sozialhilfebetrag, der zum Zweck einer Sicherungdes sozio-kulturellen Existenzminimums für den nicht Er-werbsfähigen angemessen ist, zum Zweck einer Mobilisie-rung des Arbeitsbemühens bei dem Erwerbsfähigen vielfachunangemessen, nämlich zu hoch, ist. Mit der Hartz-Idee wür-de das Problem noch verschärft, indem dieser Sozialhilfe-oder Sozialgeldbetrag als finanzielle Untergrenze bei anhal-tendem Verweigerungsverhalten von Arbeitslosen eingezo-gen würde. Daher kann dem Hartz-Vorschlag einer Kürzungdes Leistungsbezugs im Falle der Nicht-Verfügbarkeit aufdas Niveau des Sozialgeldes in keiner Weise zugestimmtwerden; statt dessen müsste sicher gestellt werden, dassBezieher von Arbeitslosengeld II als Dauerleistung auch beiVerfügbarkeit für den Arbeitsmarkt ein niedrigeres Leis-tungsniveau hinnehmen müssten als nicht erwerbsfähigeBezieher von Sozialgeld (vgl. dazu auch Berthold 2002,S. 459).

Die beabsichtigte Berücksichtigung des familiären Kontex-tes des Arbeitslosen bei der Gewährung von Arbeitslosen-geld II bedeutet möglicherweise eine Übernahme der bis-her allein für die Sozialhilfe geltenden Regelung einer Nach-rangigkeit der staatlichen Hilfe gegenüber der Unterhalts-pflicht durch Verwandte ersten Grades. Für einen Teil der Ar-beitslosen, die ohne eine Umsetzung der Hartz-VorschlägeArbeitslosenhilfe bezogen hätten, nämlich für diejenigen mitfinanziell leistungsfähigen Angehörigen, könnte dies die Strei-chung ihres Arbeitslosengeld II-Anspruchs bedeuten. Kon-flikte mit ihren dann unterhaltspflichtigen Angehörigen könn-ten sie zwar zu verstärkten Bemühungen um Arbeitsauf-nahme veranlassen. Allerdings würde mit der Verlagerungdes Problems der finanziellen Folgen der Arbeitslosigkeit indie Familienverbände das allgemeine sozialpolitische Unter-stützungsziel verfehlt. Eine vollständige Streichung von Ar-beitslosengeld II für Arbeitslose mit finanziell leistungsfähi-gen Angehörigen könnte deshalb nicht als verbesserte Aus-

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gestaltung von Leistungen zur Begünstigung der Erwerbs-tätigkeitsneigung beurteilt werden.

Der vorgeschlagene Spielraum für eine Absenkung der Leis-tungen des Arbeitslosengeldes I und II, etwa auf Grund derAblehnung einer zumutbaren Stelle1, erscheint unter An-reizgesichtspunkten plausibel. Allerdings bedeutet ein sol-cher Spielraum auch einen Beurteilungsspielraum für diejeweilige zuständige Leistungsbehörde (Berater bzw. Be-treuer des Job-Center), der uneinheitlich genutzt werdenkann. Außerdem sind derartige Kürzungsandrohungen eben-so wie die Möglichkeiten der Verhängung von Sperrzeiteneher in einen Kontext von repressiven Maßnahmen gegen-über individuellem Fehlverhalten (Strafe für Gebotsverlet-zung) zu stellen als in ein adäquates System monetärer An-reize zur Entscheidungsbeeinflussung (vgl. Vierling 1996,S. 41–43).

Insgesamt ist nicht zu erkennen, dass mit dem Hartz-Vor-schlag einer Zusammenführung von Arbeitslosen- und So-zialhilfe die vorhandenen erheblichen Anreizprobleme – daszu hohe Niveau des Sozialhilfeanspruchs für Erwerbsfähigeund der zu hohe Abbaugrad von Sozial- und Arbeitslosen-hilfe bei Hinzuverdienst – verringert würden.2 Während daserste Problem möglicherweise noch verschärft würde (So-zialgeld als Betragsuntergrenze für nicht verfügbare Er-werbsfähige) wird das zweite Problem gar nicht angetastet.

Innovationsmodul »Aufbau von Personal-Service-Agenturen« (PSA)

Die Hartz-Vorschläge stellen die PSA, eine neue Form derintegrationsorientierten Zeitarbeitsgesellschaft, als Herz-stück des Abbaus der Arbeitslosigkeit vor. PSA können ent-weder von anderen Dienstleistern im Auftrag (z.B. privatenZeitarbeitsunternehmen), in gemeinsamer Trägerschaft mitprivaten Dienstleistern am Markt (Public Private Partnership)oder vom Arbeitsamt selbst als Business Unit in privaterRechtsform unter dem Dach einer BA-eigenen Holding be-trieben werden. Alle Arbeit Suchenden sollen sich bei einerPSA bewerben können; die Ablehnung eines zumutbarenPSA-Angebots kann für den Arbeitslosen Leistungskür-zungen oder Sperrzeiten zur Folge haben. Die PSA schließtmit dem Arbeit Suchenden einen Arbeitsvertrag; der ArbeitSuchende wird damit bei der PSA zu einem Tariflohn undsozialversicherungspflichtig beschäftigt. Arbeitgeber er-halten über die PSA die Möglichkeit, neue Mitarbeiter zu ge-ringen Kosten auf Probe und gegen Entgelt zu leihen (Ar-beitnehmerüberlassung). Das Arbeitsamt fördert die PSA fi-nanziell für jeden dort eingestellten Arbeitslosen. Das Ar-

beitsamt soll ferner einen Zielgruppenmix bei den von ei-nem PSA beschäftigten Arbeit Suchenden sicherstellen.Das Ziel der PSA-Beschäftigung ist der Wechsel des Ar-beitnehmers in ein reguläres Beschäftigungsverhältnis ei-nes Entleihers oder sonstigen Arbeitgebers auf dem ers-ten Arbeitsmarkt.

Unklar ist noch, ein wie hoher Anteil der Arbeitslosen durchdie PSA erfasst werden soll (»Ausgewählte Arbeitslose er-halten einen Arbeitsplatz in der PSA«, Kommission 2002,S. 152). Unklar ist ebenso noch, wer als Tarifvertragspar-teien die vorgesehenen Tariflöhne aushandeln soll und inwelcher Höhe sich derartige Tariflöhne ergeben könnten.Abbildung 21 »Einkommensentwicklung bei Beschäftigungin der PSA« (Kommission 2002, S. 152) suggeriert eine Ta-rifhöhe etwa mittig zwischen der Höhe des Arbeitslosen-geldes I und dem Lohn oder Gehalt bei Aufnahme einer re-gulären Beschäftigung. Die Frage ist jedoch, welcher Me-chanismus dazu führen soll, dass sich aus Tarifverhand-lungen Lohnhöhen auch nur in der Größenordnung dieserungefähren Richtwerte ergeben. Von der Vertretung derPSA-Beschäftigten ist zu erwarten, dass sie in Tarifver-handlungen weitaus höhere Lohnniveaus durchsetzen will(vgl. dazu auch Weidmann 2002, S. 462 und Handelsblattvom 20. August 2002, S. 5). Nicht geklärt ist außerdem dieFrage, wie lange ein PSA-Beschäftigungsverhältnis maxi-mal andauern kann, ob es als Teilzeitverhältnis ausgestal-tet sein kann und ob die PSA Arbeitnehmern im Fall aus-bleibender Überlassungs- und Vermittlungserfolge kündi-gen kann.

Bei der Beurteilung der Anreize für den Arbeitslosen ist zu-nächst fest zu halten, dass kein unmittelbarer finanzieller An-reiz geboten wird, mit der PSA ein Beschäftigungsverhält-nis einzugehen, sondern dass »administrativer Druck« in Ge-stalt von angedrohten Leistungskürzungen ausgeübt wird(»leistungsrechtliche Konsequenzen«). Denn während derbis zu sechs Monate andauernden Probezeit sollen die PSA-Arbeitnehmer einen Nettolohn in Höhe des Arbeitslosen-geldes erhalten. Damit stellt sich der PSA-Beschäftigte wäh-rend seiner Probezeit finanziell nicht besser als der Arbeits-losengeldbezieher. Er erfährt also nicht, dass er durch(Mehr)Arbeitsleistung mehr verdient als bei Nichtarbeit. DieKritik an diesem Anreizmangel ist aus der Kritik an den ver-fehlten Anreizwirkungen der traditionellen Arbeitslosenhilfeund Sozialhilfe bei Hinzuverdienst bekannt. Sie muss hier er-neuert werden: Es sollte sich für Arbeitnehmer unmittelbarlohnen, eine PSA-Beschäftigung aufzunehmen. Wenn sichdas neue Modell für sie von Anfang an als überzeugend dar-stellen würde, wäre es weitaus erfolgreicher als bei einer Ver-knüpfung mit administrativem Druck.

Die vorgeschlagene Lohnhöhe bei PSA-Beschäftigung nachAblauf der Probezeit, in Abbildung 21 »Einkommensent-wicklung bei Beschäftigung in der PSA« (Kommission 2002,

1 Vgl. dazu auch Innovationsmodul »Neue Zumutbarkeit und Freiwilligkeit«.2 Vgl. als Beispiel eines auf die Arbeits- und Einkommensanreize ausge-

richteten Reformvorschlags: Wissenschaftlicher Beirat beim BMWi (2002).

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S. 152) mittig zwischen Arbeitslosengeld I und dem Lohnbei Aufnahme einer regulären Beschäftigung dargestellt,setzt dagegen angemessene Anreize. Der höhere Betraggegenüber dem Arbeitslosengeld spiegelt dem Arbeitneh-mer seine Mehrleistung gegenüber der Arbeitslosigkeit wi-der und setzt gleichzeitig den Anreiz, die PSA-Probezeiterfolgreich zu durchlaufen. Zur Erzielung eines wirksamenAnreizes sollte der PSA-Lohn nicht nur knapp oberhalb desArbeitslosengeldes I liegen. Der niedrigere Betrag gegen-über dem Lohn bei Aufnahme einer regulären Beschäfti-gung veranschaulicht dem Arbeitnehmer, dass er sich imRahmen eines schützenden Arrangements noch nicht wie-der vollständig am Markt bewährt hat, und setzt gleichzei-tig den wichtigen Anreiz, in ein reguläres Beschäftigungs-verhältnis überzuwechseln. Auch für diesen Abstand zwi-schen (Teil-)Transfereinkommen (PSA-Lohn) und Marktlohngilt der Grundsatz, das er hinreichend groß sein muss, umeinen positiven Anreiz für die Aufnahme einer regulärenBeschäftigung darzustellen (vgl. Schneider et al. 2002, S. 9).Probleme bei der PSA-Tariflohnfindung wurden oben be-reits angesprochen.

Innovationsmodul »Ich-AG«

Das Konzept der Ich-AG3 zielt auf die Reduzierung derSchwarzarbeit Arbeitsloser. Die Ich-AG soll eine Vorstufezu einer vollwertigen Selbständigkeit sein. Zu diesem Zweckwerden Arbeitslose, die eine selbstständige Tätigkeit auf-nehmen, bis zu drei Jahre lang finanziell gefördert, sofern ih-re Einnahmen aus der selbstständigen Tätigkeit 25 000 qim Jahr nicht überschreiten. Der Förderbetrag soll maximaldie Hälfte der vom Arbeitsamt bei Arbeitslosigkeit aufge-brachten Kosten betragen und sowohl bei steigenden Ein-nahmen des Geförderten als auch von Jahr zu Jahr zurückgehen. Es besteht volle Sozialversicherungspflicht; die För-derung soll zumindest anfangs hinreichen, um die anfallen-den Sozialversicherungsbeiträge zu finanzieren. Die Ein-nahmen der Ich-AG sollen einer Pauschalbesteuerung von10% unterliegen.

Als Vorschlag zur Förderung des Eintritts in die Selbstän-digkeit nimmt die Ich-AG eine Sonderstellung unter den Maß-nahmen gegen Arbeitslosigkeit ein. Das Anliegen des Kon-zepts ist die Überführung der Schwarzarbeit von Arbeitslo-sen in eine geregelte Selbständigkeit. Der gewährte Anreizbesteht in einem Zuschuss zur zumindest anteiligen Finan-zierung der fälligen Sozialversicherungsabgaben und in ei-ner mäßigen pauschalen Besteuerung.

Fraglich ist allerdings, ob ein erheblicher Anteil der Arbeits-losen den Aufbau einer selbstständigen Existenz erwägt,

bislang vornehmlich durch steuerliche und sozialversiche-rungsrechtliche Bestimmungen davon abgehalten wurdeund in Folge dessen derzeit der Schwarzarbeit nachgeht.Immerhin fördern die Arbeitsämter mit dem Instrument desÜberbrückungsgeldes schon bisher die Aufnahme einerselbstständigen Tätigkeit durch Arbeitslose. Überbrü-ckungsgeld wird für die Dauer von sechs Monaten geleis-tet, seine Höhe setzt sich zusammen aus dem Betrag, dender Arbeitslose als Arbeitslosengeld zuletzt bezogen hat oderbei Arbeitslosigkeit hätte beziehen können sowie die dar-auf entfallenden pauschalierten Sozialversicherungsbeiträ-gen. Damit dient die Förderung der Sicherung des Lebens-unterhalts und der sozialen Sicherung in der Zeit nach derExistenzgründung.

Das Hartz-Konzept enthält keine Aussage zur Zukunft desÜberbrückungsgeldes. Aber unabhängig davon, ob esdurch die Förderung der Ich-AG abgelöst werden soll oderalternativ neben dieser weiter bestehen soll: Die finanzielleFörderung der Ich-AG weist keinen systematischen An-reizvorteil gegenüber dem Überbrückungsgeld auf. AnStelle einer nur halbjährigen relativ großzügigen, da auchden Lebensunterhalt absichernden, Förderung (Überbrü-ckungsgeld) kann dann die Unterstützung – aber nur beieher niedrigen Einnahmen aus der selbständigen Tätig-keit – bis zu drei Jahre lang mit relativ niedrigen, da nurdie Sozialversicherungsbeiträge absichernden, von Jahrzu Jahr weiter sinkenden Förderbeträgen erfolgen. UnterAnreizgesichtspunkten sogar ausgesprochen kritikwürdigist der Ansatz des Hartz-Vorschlags, die prozentuale För-derung beim Überschreiten von Einnahmeschwellen von15 000, 20 000 und 25 000 stufenweise zu reduzierenbzw. einzustellen.4 Die entstehenden Grenzentzugsef-fekte würden Ich-AGs zu dem grotesken Bestreben ver-anlassen, ihre Einnahmen nicht über diese Schwellenwertehinaus auszudehnen, um keine Fördereinbußen hinneh-men zu müssen.

Es erscheint außerdem bedenklich, im Rahmen der Förde-rung einer neuen Kultur der Selbstständigkeit auch solcheArbeitslose zur Selbstständigkeit bewegen zu wollen, dienicht die erforderliche Initiative und Zielstrebigkeit sowie dasnötige organisatorische Geschick aufweisen. Zu befürch-ten wäre dann das Scheitern zahlreicher Ich-AGs, also zurSelbständigkeit ungeeigneter Arbeitsloser, an Überforderungund Überschuldung. Für die Bewilligung des derzeitigenÜberbrückungsgeldes muss der Gründungswillige immer-hin die Stellungnahme einer fachkundigen Stelle über dieTragfähigkeit der Existenzgründung vorlegen, für die Grün-dung und Förderung der vorgeschlagenen Ich-AG ist einederartige fachliche Begutachtung des Vorhabens jedochnicht vorgesehen.

3 Die »Familien-AG« ist eine einfache Erweiterung der Ich-AG durch mitar-beitende Familienmitglieder.

4 Kommission (2002, Abbildung 26 »Mögliche Staffelung der Zuschüsseder Arbeitslosenversicherung«, S. 166).

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Als wahrscheinlicher ist jedoch anzusehen, dass sich nurwenige Arbeitslose in die neue Selbständigkeit locken las-sen, denn die Förderung in Gestalt einer anfänglichen Fi-nanzierung der Sozialversicherungsbeiträge und einer pau-schalierten niedrigen Besteuerung ohne weitere Einkom-menshilfe dürfte sich in der Mehrzahl der Fälle nicht als at-traktiv genug erweisen (vgl. auch Ochel und Werding 2002,S. 15). Die Arbeitslosen müssten das sichere und garantierteArbeitslosengeld oder das relativ sichere Einkommen ausder PSA-Beschäftigung gegen die vollständige Einkom-mensunsicherheit der Selbständigkeit eintauschen; eine sol-che Wagnisbereitschaft ist bei den meisten Arbeitslosen nichtanzutreffen, auch weil sie selbst ihre Erfolgschancen durch-aus zu Recht skeptisch beurteilen. Zu bedenken ist ferner,dass die von der Hartz-Kommision nicht in Frage gestellteannähernde Vollanrechnung von Sozialhilfe bzw. Sozialgeldauf eigene Einnahmen die Neigung zur Erzielung von offi-ziellen Einnahmen aus selbstständiger Tätigkeit blockierenmuss (vgl. Sinn 2002, S. 8).

Die Hartz-Vorschläge ignorieren den von der Wirtschafts-wissenschaft immer wieder vorgetragenen Befund, dassSchwarzarbeit bei fortdauernder Arbeitslosigkeit maßgeb-lich durch die konfiskatorischen Entzugssätze beim Hinzu-verdienst zur Arbeitslosen- und Sozialhilfe hervorgerufen wird.Die Förderung der regulären Beschäftigung und Bekämpfungder Schwarzarbeit durch die radikale Senkung der Grenzbe-lastung auf bei Arbeitslosigkeit hinzu verdientes Einkommenerschiene daher als ein weitaus geeigneteres und wirksame-res Konzept als die Ermunterung zur Selbständigkeit.

Literatur

Berthold, N. (2002), »Hartz – Viel Lärm um nichts?«, Wirtschaftsdienst 82(8), 457–460.Kommission zum Abbau der Arbeitslosigkeit und zur Umstrukturierung derBundesanstalt für Arbeit (2002), Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt.Bericht der Kommission.O.V. (2002), »Zeitarbeitsbranche drückt bei Hartz-Plan auf Tempo«, Han-delsblatt vom 20. August, 5.Ochel, W. und M. Werding (2002), »Und wo kommen die Arbeitsplätze her?Kritische Anmerkungen zu den Vorschlägen der Hartz-Kommission«, ifoSchnelldienst 55 (15), 10–18.Schneider, H., K. F. Zimmermann, H. Bonin, K. Brenke, J. Haisken-DeNewund W. Kempe (2002), Beschäftigungspotenziale einer dualen Förderstrate-gie im Niedriglohnbereich, IZA Research Report 5, Bonn.Sinn, H.-W. (2002), »Das Herz von Hartz«, Handelsblatt vom 19. August2002, 8.Sinn, H.-W., C. Holzner, W. Meister, W. Ochel und M. Werding (2002), »Ak-tivierende Sozialhilfe: Ein Weg zu mehr Beschäftigung und Wachstum«, ifoSchnelldienst 55 (9).Vierling, M. (1996), Lohnsubvention und negative Einkommensteuer. Wir-kungen auf Arbeitsangebot und Wohlfahrt, Berlin.Weidmann, J. (2002), »Vorschläge der Hartz-Kommission: Wundertüte oderMogelpackung?«, Wirtschaftsdienst 82 (8), 460–463.Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft und Tech-nologie (2002), Reform des Sozialstaats für mehr Beschäftigung im Bereichgering qualifizierter Arbeit, BMWi-Dokumentation Nr. 512.

Die Beiträge sind auszugsweise in englischer Sprache im CESifo InternetForum auf unserer Website www.cesifo.de zu finden.

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Es ist unstrittig, dass das deutsche Ge-sundheitswesen dringender Reformen be-darf. Die Meinungen in der Politik, bei denInteressengruppen und in der Wissen-schaft darüber, wo die Reformen anset-zen und in welche Richtung sie gehen sol-len, divergieren aber erheblich, zum Teilsind die Unterschiede fundamental. Umdie verschiedenen Reformansätze besservergleichen zu können, ist in Übersicht 1der Versuch unternommen worden, dieim deutschen Gesundheitswesen be-deutsamen Problemfelder aufzulisten undsie durch Beispiele sowie durch die An-gabe (einiger) ihrer Ursachen zu charak-terisieren.

Die Problemlage

Das in der öffentlichen politischen undwirtschaftspolitischen Diskussion ammeisten beachtete und wohl auch amschwersten wiegende Problemfeld ist dieBelastung des Arbeitsmarkts durch ho-he Kosten und Kostensteigerungen imGesundheitswesen. Da die Hälfte der Bei-träge zur GKV von den Arbeitgebern auf-gebracht werden muss, entstehen Lohn-nebenkosten, deren Überwälzung auf denArbeitnehmer – durch entsprechend nied-rigere Lohnabschlüsse – vermutlich nicht,vor allem kurzfristig nicht, vollkommen ge-lingen dürfte.

Unabhängig von der Wirkung, die hoheKosten(steigerungen) auf den Arbeits-markt ausüben, sind diese besonders alsÜbel zu betrachten, wenn sie »unnötig«hoch sind, wenn also die Patienten undVersicherten für ihre Beiträge und Zuzah-lungen nicht den Gegenwert erhalten, densie bei wettbewerblicher Organisation derMärkte und sinnvollen Anreizen – für Leis-tungserbringer und Versicherungen eben-

so wie für sie selbst – erhalten könnten.Dabei kann allein die Tatsache, dass dieKosten im Gesundheitswesen permanentund schneller als das nominale BIP stei-gen, noch nicht zur Schlussfolgerung füh-ren, die Kosten seien zu hoch oder un-nötig hoch. Denn bis zu einem gewissenGrade sind höhere Aufwendungen er-wünscht und notwendig, nämlich dann,wenn dadurch bisher unbehandelbareKrankheiten behandelt oder wirksamerbehandelt werden und mehr Menschenein längeres gesundes Leben führen kön-nen. Allein schon wegen der Alterung derdeutschen Gesellschaft ist mit einem stei-genden Aufwand für ärztliche Behandlungzu rechnen.

Dennoch geht die Mehrheit der Gesund-heitsökonomen davon aus, dass die Kos-ten im deutschen Gesundheitswesen un-nötig hoch sind, weil die Märkte, auf de-nen Gesundheitsdienstleistungen, Arz-neimittel und Krankenversicherungen an-geboten und nachgefragt werden, nichtwettbewerblich organisiert sind und er-hebliche Fehlanreize aufweisen. Derarti-ge Fehlanreize bestehen für die Erbrin-ger von Gesundheitsdienstleistungen (Ta-gespauschalen im Krankenhaus; Ab-rechnung nach Einzelleistung in den Pra-xen) ebenso wie für die Nachfrager (sehrgroßzügig ausgestaltetes System, prak-tisch ohne Mengenbeschränkungen [Os-terkamp 2001; 2002]).

Dass trotz hoher Kosten auch die Qua-lität der Versorgung mit Gesundheits-dienstleistungen in Deutschland Mängelaufweist, haben manche chronisch kran-ke Patienten vielleicht schon immer ge-wusst oder geahnt. Dokumentiert wurdenderartige Mängel bei der Behandlung ei-niger schwerwiegender Erkrankungennun in einer groß angelegten Studie des

21

der politischen Parteien und der Gesundheitsökonomen

Rigmar Osterkamp

Das deutsche Gesundheitswesen: Reformvorstellungen

Die Vorstellungen der politischen Parteien über die notwendigen Reformmaßnahmen im

Gesundheitswesen gehen zum Teil weit auseinander. Daher erscheint es zu Beginn der

Legislaturperiode angebracht, die Probleme des deutschen Gesundheitswesens noch ein-

mal zusammenfassend darzustellen und die Reformvorschläge bzw. Reformvorhaben der

relevanten politischen Parteien mit den Vorschlägen von Gesundheitsökonomen zu ver-

gleichen.

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Forschungsergebnisse

i fo Schne l ld ienst 18/2002 – 55. Jahrgang

Sachverständigenrats für die Konzertierte Aktion im Ge-sundheitswesen (SVR-Gesundheit 2000/2001).1

Die geringen Wahlmöglichkeiten, die der Einzelne bei derGestaltung seines Krankenversicherungsschutzes in

Deutschland besitzt, sind sicher ein Nachteil des gegen-wärtigen Systems. Allerdings muss man die Wirkungen be-achten, die von einer erhöhten Gestaltungsfreiheit auf dieVerteilung der Belastungen und auf die Zugangsmöglich-keiten zu einer erforderlichen Krankheitsbehandlung aus-gehen. Viele Gesundheitsökonomen sind der Ansicht, dasszwischen diesen beiden – im Konflikt liegenden – Zielen einbesserer Kompromiss möglich ist als der derzeit in Deutsch-land realisierte.

Unabhängig von den Verteilungseffekten, die durch erhöh-te Wahlmöglichkeiten beim Versicherungsschutz ausgelöst

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Übersicht 1

Problemfelder im deutschen Gesundheitswesen

Problemfelder Beispiele Ursachen

1. Belastung des Ar-beitsmarkts durch Kos-tensteigerungen im Ge-sundheitswesen

Laufende Kostensteigerungen des Gesundheitswesens erhö-hen die Lohn(neben) kosten und beeinträchtigen die Wettbe-werbsfähigkeit; in späteren Lohnverhandlungen vermutlich nurteilweise Überwälzung auf die AN.

(Hälftige) Mitfinanzierung der GKV-Beiträge durch die AG

2. Unnötig hohe Kosten

(-steigerung)

a. durch mangelndenWettbewerb

Die KVen sind Regionalkartelle; Verhandlungen über Ärzteho-norare und -leistungen nur zwischen den (regionalen) KÄV undGKV;

Wettbewerb zwischen PKV und GKV eingeschränkt durch„Friedensgrenze“;

eingeschränkter Wettbewerb und hohe Kosten auf dem Arz-neimittelmarkt

Zwangsmitgliedschaft der KÄ in denKven;

Kontrahierungszwang der GKV mitjedem Arzt der KÄV und jedem KH (ausdem Bedarfsplan)

b. durch Fehlanreizefür LE und Versi-cherer

KH: hohe KH-Kosten, auch durch hohe Aufenthaltsdauer undÜberkapazitäten an Betten;

Ambulante Behandlung: Anreiz zur Angebotsausweitung, Dop-peluntersuchungen;

Der jetzige Wettbewerb zwischen den GKV-Kassen um Versi-cherte führt zu volkswirtschaftlich ineffizienter Risikoselektion;daher RSA notwendig.keine volle Ausschöpfung der Möglichkeit, Generika-Präparatezu verschreiben

KH-Tagespauschalen; gemischte Fi-nanzierung (Bund und Länder); Interes-se der Länder an KH mit hoher regio-naler Dichte;

Praxen: Honorar nach Einzelleistung;kapitalintensiv ausgestattete Fach-arztpraxen;

RSA zu einfach ausgestaltet, da Morbi-dität als Ausgleichsparameter fehlt;

c. durch Fehlanreizefür Nachfrager

Intensive Inanspruchnahme der Leistungen des Gesundheits-systems; sehr hohe Zahl von Arzt-Patienten-Kontakten;passive Haltung der Patienten, dadurch Begünstigung einermedikamentenintensiven Behandlung

Geringe Selbstbeteiligung; kein materi-eller Anreiz für Vorsorge; kostenin-transparentes Sachleistungsprinzip;sehr umfassender Leistungskatalog;freie Arztwahl, auch freie Facharztwahl(einzig in der Welt); im Prinzip keineWartezeiten für Konsultation, Behand-lung und Operation; großzügige Rege-lung von LFZ und KG; insgesamt luxu-riöses System

d. durch Organisati-onsmängel

Strikte Trennung zwischen stationärer und ambulanter Be-handlung;Bettenüberangebot in KH; Doppeluntersuchungen;

mangelnde Kenntnis über individuelle Krankheiten, Behand-lungsart und Behandlungskosten; diese ist detailliert nur beiKV, nicht bei GKV verfügbar

Verbot von Polikliniken; sektorale Bud-gets; duale KH-Finanzierung führt zuBettenüberangebot;GKV führt keine individuellen Kontenfür die Versicherten

3. Geringe Wahlmög-lichkeiten beim Versi-cherungsschutz

Zwar seit 1996 freie GKV-Kassenwahl, aber keine Möglichkeitder Wahl von Zuzahlungen oder Abwahl von Leistungen

System der Pflichtversicherung, nichtder Versicherungspflicht

4. Leistungsniveauniedriger als möglich

Über-, Unter- und Fehlversorgung, v.a. bei Herzinfarkt, Brust-krebs, Diabetes, Schmerztherapie und anderen chronischenKrankheiten;

Existierende Behandlungsleitlinien (evidenzbasierte Behand-lung) werden überwiegend von den Ärzten nicht akzeptiert.

Weitgehende, auch weitgehend unkon-trollierte Therapiefreiheit;

Chronisch Kranke sind „schlechte Ri-siken“ für die GKV

1 Die Studie basiert überwiegend auf Umfragen bei Experten. Die aktuellenArbeiten des SVR-Gesundheit behandeln vor allem medizinische und be-triebswirtschaftliche Fragen des Gesundheitssektors. Der SVR-Gesund-heit sollte nicht verwechselt werden mit dem Sachverständigenrat für dieBegutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (SVR-Wirtschaft).Dieser hat sich – unter volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten – mehrfachmit dem deutschen Gesundheitswesen befasst.

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55. Jahrgang – i fo Schne l ld ienst 18/2002

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würden, ist aber schon das bisherige System der Gesetz-lichen Krankenversicherung durch umfassende Umvertei-lungswirkungen gekennzeichnet. Diese machen zwar teil-weise Sinn und sind erwünscht, teilweise aber sind sie frag-würdig und ineffizient, in jedem Fall aber wenig transparent.

Der Behauptung, dass in Deutschland ein Ärztemangel dro-he, sollte man zunächst einmal Skepsis entgegenbringen,da diese Befürchtung ja vor allem von Seiten der ärztlichenInteressenvertreter vorgebracht wird. Allerdings wird die Be-hauptung nicht allein dadurch schon falsch. Jedenfallsscheint es so zu sein, dass die ärztlichen Einkommen, dieja die Berufswahl mitentscheiden, keineswegs – anders alsfrüher – außergewöhnlich hoch sind. Die Einkommen freipraktizierender Ärzte – besonders über das gesamte Le-ben gesehen – differieren erheblich zwischen den einzel-nen Sparten und zwischen einzelnen Praxen, sind aber imDurchschnitt weder im Vergleich mit anderen Berufsgrup-pen noch im Vergleich mit Ärzten im Ausland besondershoch.2

Schließlich besteht das Problem, dass das System der Ge-setzlichen Krankenversicherung insofern noch nicht »in Eu-ropa angekommen« ist, als es von europaweiten wettbe-werblichen Prozessen nach wie vor ausgenommen wird.

Die Reformvorstellungen der politischen Parteien

In Übersicht 2 sind die gesundheitspolitischen Reformab-sichten der relevanten politischen Parteien zusammenge-stellt. Quelle der Übersicht sind die Wahlprogramme, die dieParteien für die Bundestagswahl 2002 vorgelegt haben.3 Es

erscheint sinnvoll, hier auch die Vorstellungen des kleinerenKoalitionspartners sowie die der Oppositionsparteien mitaufzunehmen, da tatsächliche Reformschritte in jedem FallErgebnis eines politischen Kompromisses (im Rahmen vonKoalitionsverhandlungen oder/und über den Bundesrat) seinwerden.

Zum Problem der Belastung des Arbeitsmarkts mit hohenund steigenden Beitragssätzen äußern sich die beiden gro-ßen Parteien nur summarisch und wollen eine Entlastungs-wirkung durch Maßnahmen auf anderen Problemfeldernerzielen. Dagegen scheuen sich die beiden kleineren Par-teien nicht, das Problem direkt anzusprechen. Die Grünenbleiben mit ihren Vorstellungen ganz im Rahmen des gege-benen Systems und wollen die Basis verbreitern, auf derdie Beiträge erhoben werden. Im Unterschied dazu läuftdie Absicht der FDP auf einen (gewissen) Systemwechselhinaus, denn sie will die – von den meisten Ökonomen seitlangem geforderte – Abkoppelung der Lohnnebenkostenvon den Kosten des Gesundheitswesens erreichen. Zu die-sem Zweck soll der bisherige Arbeitgeberanteil an die Ar-beitnehmer ausgezahlt werden – und zwar einkommen-steuerneutral, also so, dass die Einkommensteuerlast deseinzelnen Arbeitnehmers durch diese Umstellung nicht steigt.Anschließend wäre dann die gesamte Beitragslast – eben-so wie jegliche zukünftige Steigerung der Beitragslast – al-lein vom Arbeitnehmer aufzubringen.

Eine verbreitete Vorstellung über ein etwas moderateres Vor-gehen besteht darin, dass es bei einer geteilten AG-AN-Fi-nanzierung bleibt, die Teilung aber nicht mehr hälftig ist, son-dern der AG-Anteil auf dem jetzigen Stand eingefroren wird.Die zukünftigen Steigerungen würden dann voll von denArbeitnehmern aufzubringen sein. Materiell besteht aller-

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5. Verteilungseffekteder GKV

Solidarität in der GKV ist mangelhaft und intransparent;z.T. unerwünschte Verteilungseffekte (Bezieher hoher Einkom-men mit einem Verdiener und vielen Kindern profitieren vonGKV-Beiträgen);

nicht „alterungsresistent“ (unterschiedliche Belastung von Ge-nerationen nicht nur in der RV, auch in der GKV)

Exit-Option für „Besserverdienende“ indie PKV;

Bemessungsgrundlage für Beiträge inder GKV nur Arbeitseinkommen;

Umlageverfahren; Pflichtversicherung;GKV als „Verschiebebahnhof“ für versi-cherungsfremde Leistungen

6. Drohender Ärz-temangel

Ärzteeinkommen (v.a. Einkommen über das gesamte Leben)im intern. Vergleich nicht mehr sehr hoch;

Ärzteeinkommen auch regional unterschiedlich;Krankenhausärzte belastet mit hohen Arbeitszeiten

Budgets;Variierende und regional unterschiedli-che Geldwerte der „Punkte“

7. GKV-System imeuropäischen Wettbe-werb

GKV nicht wettbewerbstauglich in Europa EU-Wettbewerbsordnung verlangt lang-fristig die Einbeziehung auch der natio-nalen Gesundheitssysteme.

AN: Arbeitnehmer; AG: Arbeitgeber; BBG: Beitragsbemessungsgrenze; GKV: Gesetzliche Krankenversicherung; KÄ: Kassenärzte;KV: Kassenärztliche Vereinigung; KG: Krankengeld (durch GKV); KH: Krankenhaus; LE: Leistungserbringer; LFZ: Lohnfortzahlung(durch Arbeitgeber); PKV: Private Krankenversicherung; RSA: Risikostrukturausgleich; RV: Rentenversicherung; SVR:Sachverständigenrat für die Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung; VPG: Versicherungspflichtgrenze.Zusammenstellung: ifo Institut.

Fortsetzung Übersicht 1:

2 Vgl. Breyer und Zweifel (1997, S. 421 ff.); Zentralinstitut für die kas-senärztliche Versorgung (2002); Osterkamp (2002). 3 Die PDS hat kein derartiges Programm vorgelegt und fehlt daher hier.

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dings kein Unterschied zwischen der erst genannten undder moderateren Version.

Dem Problem der unnötig hohen Kosten(steigerungen) wol-len alle Parteien, außer den Grünen, durch verstärkten Wett-bewerb begegnen. Die CDU/CSU will den Kassen erlauben,ihr Angebot zu differenzieren und wahlweise Selbstbehalteeinzuführen, während die SPD Einzelverträge ermöglichenund den Kontrahierungszwang lockern will.

Die FDP will die Gesundheitskosten durch eine Senkung desMehrwertsteuersatzes auf Arzneimittel reduzieren, was ei-

ne Lastverschiebung von den Beitragszahlern auf die Steu-erzahler bedeutet. Die SPD beabsichtigt, an die Neuzulas-sung von Medikamenten strengere Maßstäbe der Wirk-samkeit anzulegen, während die Grünen konsequenter sindund die – von Gesundheitsökonomen seit langem geforderte– Positivliste einführen wollen.

Fehlanreize im Angebotsverhalten der Ärzte – etwa aus-gelöst durch das Honorierungssystem der Vergütung vonEinzelleistungen – werden von keiner der Parteien ange-sprochen. Allerdings wollen CDU und SPD wenigstens durcheinen – allerdings freiwilligen – Gesundheitspass der Pa-

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Übersicht 2

Die Reformabsichten der politischen Parteien

Problemfelder Bündnis 90/ Die Grünen CDU/CSU FDP SPD

Geplante (Änderungs-) Maßnahmen

1. Belastungdes Arbeits-markts durchKostensteige-rungen im Ge-sundheitswe-sen

Einbeziehung von Selb-ständigen und Beamten;Anhebung der BBG;

Einbeziehung von Nicht-Arbeitseinkommen, z.B.Zinsen, Mieten, Spekulati-onsgewinne

Hinwirken auf stabile Bei-träge, v.a. durch Maßnah-men im 2. Problemfeld

Einkommensteuer-neutraleAuszahlung des gegen-wärtigen AG-Beitrags zurKV; dadurch Abkoppelungder Beiträge von denLohnzusatzkosten;Entlastung der GKV vonversicherungsfremdenLeistungen

Hinwirken auf stabile Bei-träge, v.a. durch Maßnah-men im 2. Problemfeld

2. Unnötig hoheKosten(-steigerung)a. durch man-

gelndenWettbe-werb

Positivliste für Arzneimittel Mehr Wettbewerb zwi-schen Kassen und zwi-schen LE;

Kassen sollen ihr Angebotdif ferenzieren können(Mehrleistungen, Selbstbe-halte)

Mehr Wettbewerb zwi-schen Kassen und zwi-schen LE;

Senkung des MWSt-Satzes auf Arzneimittel

Mehr Wettbewerb zwi-schen Kassen und zwi-schen LE;

neben Kollektivverträgensollen auch Einzelverträgemöglich werden; Kontrahie-rungszwang ist dement-sprechend zu lockern;

Erstattung neuer undteurerer Arzneimittel nur,wenn Zusatznutzen gege-ben ist;

Liberalisierung von Vertriebund Preisbildung vonArzneimitteln

b . d u r c hFehlanreize für

LE und Ver-sicherer

Keine Ausführungen RSA soll beibehalten, abervereinfacht werden;

„intel l igente Versiche-rungskarte“ auf freiwilligerBasis soll Doppeluntersu-chungen vermeiden helfen.

RSA soll schrittweiseabgebaut werden.

RSA soll um Morbiditäterweitert werden;

Gesundhei tspass auffreiwilliger Basis soll Dop-peluntersuchungen ver-meiden helfen.

c . durchFehlanrei-z e f ü rNachfra-ger

Keine Ausführungen Wahlmöglichkeit zwischenSachleistungs- und Ko-stenerstattungsprinzip;

Patientenquittung über dieerbrachten Leistungen undderen Kosten;

Anreize für mehr Vorsorge;Verbesserung der Präven-tion

Kostenerstattung stattSachleistungsprinzip

Keine Ausführungen

d. durch Or-ganisati-onsmän-gel

Integrierte Versorgung alsRegelversorgung;Zentrale Rolle für Haus-ärzte

Abschaffung aller Budget Abschaffung der Budgets Aufbau von integrierter(ambulant-stationär) Ver-sorgung

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tienten die Ärzte besser über frühere Untersuchungen beianderen Ärzten informieren und dadurch wiederholte Unter-suchungen derselben Art vermeiden helfen.

Die einzelnen gesetzlichen Versicherungen befinden sichdurch die 1996 eingeführte Wahlfreiheit der Pflichtver-sicherten im Wettbewerb um Kunden. Um ihr Wett-bewerbsstreben auf preisgünstige Angebote hinzulenken –und von dem Werben um Kunden »guter Risiken« wegzu-lenken –, war es notwendig, einen Risikostrukturausgleich(RSA) einzuführen, der den Einfluss, den Versichertenbe-stände mit unterschiedlichem Risiko auf den Beitragssatzhaben, ausgleichen soll. Diese Aufgabe erfüllt der gegen-wärtige RSA aber nur unzureichend, da in ihm nicht alle re-levanten, das Risiko bestimmenden Variablen erfasst wer-den, wozu vor allem die tatsächliche Anfälligkeit für Krank-heiten, die Morbidität, gehört.

Wie soll es nun mit diesem RSA nach Meinung der Par-teien weitergehen? Außer den Grünen machen hier alleParteien eine Aussage, und zwar eine dezidierte und je-weils sehr unterschiedliche. Die CDU will den RSA beibe-halten, aber »vereinfachen« – was auch immer das be-deutet. Die SPD nimmt den Vorschlag der Mehrheit derGesundheitsökonomen auf und will den RSA um die Er-fassung der Morbidität ergänzen. Ganz anders die FDP, dieihn – in Übereinstimmung mit einer strikt marktwirtschaft-lichen Gruppe von Gesundheitsökonomen – schrittweiseabschaffen will, weil ein RSA – wenn er funktioniert – den

Wettbewerb letztlich einschränkt, nämlich auf einen rei-nen Preiswettbewerb.

Besondere Zurückhaltung legen sich die Parteien auf, wennes um die Beseitigung von Fehlanreizen für die Nachfra-ger von Gesundheitsdienstleistungen geht. Während dieSPD und die Grünen sich zu diesem Punkt überhaupt nichtäußern, geht die FDP mit ihrer Forderung nach Ersetzungder Sachleistung durch die – wie in der privaten Kranken-versicherung praktizierte – Kostenerstattung noch am wei-testen. Die CDU/CSU will lediglich eine Wahlmöglichkeit zwi-schen Sachleistung und Kostenerstattung schaffen, aberdarüber hinaus alle Patienten durch eine »Patientenquittung«über die erbrachten ärztlichen Leistungen und deren Kos-ten informieren. Erhöhte obligatorische Zuzahlungen – mög-licherweise nach Einkommen und Behandlungskosten ge-staffelt – zieht keine Partei in Betracht.

Erhöhte Zuzahlungen und ein eingeschränkter Leistungs-umfang – bei entsprechend reduziertem Beitragssatz – sol-len allerdings nach Ansicht von CDU/CSU und FDP freiwilligvereinbart werden können, um die Wahlmöglichkeiten derVersicherten zu erhöhen. Dagegen sieht die SPD günstigereTarife dann vor, wenn sich die Versicherten zu einer Ein-schränkung ihres Rechts auf freie Arztwahl verstehen und voreinem Facharztbesuch zunächst einen Hausarzt aufsuchen.

Der die Behandlungseffizienz hemmende Organisations-mangel der weitgehenden Trennung von stationärer und

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3 . Ger ingeWahlmöglich-kei ten beimVersicherungs-schutz

Keine Ausführungen Größere Wahlfreiheiten fürdie Versicherten überLeistungsumfang undSelbstbehalte

Größere Wahlfreiheiten fürdie Versicherten überLeistungsumfang undSelbstbehalte;Zwangsbeiträge senkendurch Beschränkung aufKernleistungen

Günstigere GKV-Tarife mitHausarzt/Lotsenarzt

4. Leistungsni-veau niedrigerals möglich

Schaffung eines Institutsfür Qualitätssicherung imGesundheitswesen;

Stärkung von Präventionund Rehabilitation

Keine Ausführungen Keine Ausführungen Behandlungsleitlinien aufEvidenzbasis sollen bei derVertragsgestaltung zwi-schen Kassen und LE(bzw. zwischen Kassenund KÄV) berücksichtigtwerden.

5. Verteilungs-e f fek te derGKV

Bekenntnis zur Solidaritätdes Systems

Bekenntnis zur Solidaritätdes Systems

Bekenntnis zur Solidaritätdes Systems

Bekenntnis zur Solidaritätdes Systems

6. DrohenderÄrztemangel

Keine Ausführungen Keine Ausführungen Leistungsgerechte, festePreise für die einzelnenärztlichen Leistungen;

Lockerung des Werbever-bots

Umsetzung der geltendenNormen des Arbeitszeit-rechts

7. GKV-Systemim europäi -schen Wettbe-werb

Keine Ausführungen Keine Ausführungen Keine Ausführungen Keine Ausführungen

Abkürzungen: siehe Tab. 1.

Zusammenstellung: ifo Institut.

Fortsetzung Übersicht 2:

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ambulanter Versorgung (in der Welt einmalig) wird von al-len Parteien als Problem gesehen. CDU/CSU und FDP wol-len die Abschottung durch die Aufhebung aller Budgets er-reichen, wobei es aber in diesem Zusammenhang ausrei-chen würde, die sektoralen Budgets abzuschaffen. Die SPDund die Grünen formulieren nur das Ziel, geben aber kei-nen Weg dahin an. Die Grünen wollen darüber hinaus aller-dings den Hausärzten eine zentrale Rolle zuweisen.

Außer den Grünen wollen alle Parteien den Versicherten ei-ne größere Wahlfreiheit (z.B. höhere Zuzahlungen, Hausarzt-Modell) einräumen, wobei dies auch zu niedrigeren Prä-mien führen können soll.

Das Problem, dass das Leistungsniveau des deutschenGesundheitswesens niedriger ist, als es angesichts der Kos-ten sein könnte, sprechen nur SPD und die Grünen an. Zen-trale Vorstellung bei der SPD ist die Einführung evidenzba-sierter Behandlungsleitlinien, deren Beachtung oder Nicht-Beachtung durch die Ärzte auch in den Honorarverträgenzwischen Krankenkassen und Ärzten eine Rolle spielen soll.Die Grünen wollen dagegen ein Institut zur Qualitätssiche-rung im Gesundheitswesen schaffen und im Übrigen Prä-vention und Rehabilitation – anstelle der vorherrschendenkurativen Behandlung – stärken.

Zu dem Problem der intransparenten und zum Teil uner-wünschten Verteilungseffekte, die von der GesetzlichenKrankenversicherung ausgelöst werden, nimmt keine Par-tei Stellung. Sie bekennen sich jedoch alle pauschal zumSolidarcharakter der Versicherung. Insbesondere wird vonkeiner Partei das Problem der unterschiedlichen Belastungder Generationen angesprochen, das nicht nur bei der Ren-tenversicherung, sondern auch bei der Krankenversiche-rung besteht.

Auch das Problem eines möglicherweise drohenden Ärzte-mangels wird von keiner Partei explizit thematisiert. Die FDPwill allerdings die Attraktivität des Arztberufs durch »leis-tungsgerechte« und feste Preise (gegenwärtig schwankensie) für Leistungen niedergelassener Ärzte bewahren unddas bestehende Werbeverbot lockern. Die SPD hat vor al-lem die angestellten Ärzte in Krankenhäusern im Blick undwill erreichen, dass dort die geltenden Normen des Ar-beitszeitrechts eingehalten werden.

Die gegenwärtige »Europa-Untauglichkeit« des Systemsder Gesetzlichen Krankenversicherung wird ebenfalls vonkeiner Partei angesprochen.

Die Reformvorschläge der Gesundheitsökonomen

Die von Ökonomen gemachten Vorschläge zur Reformie-rung des deutschen Gesundheitswesens lassen sich grob

in zwei Kategorien einteilen. Die erste kann als »System-evolution«, die zweite als »marktwirtschaftliche Lösung« be-zeichnet werden. Für die Systemevolution hat der Sachver-ständigenrat (Wirtschaft) in seinem Jahresgutachten2000/2001 ein detailliertes Konzept vorgelegt. In eine ähn-liche Richtung gehen die Vorstellungen von Dieter Cassel(2001) und (weniger weitgehend) von Jürgen Ahrens (2001),dem Vorstandsvorsitzenden des AOK-Bundesverbands. Erstkürzlich ist Peter Zweifel zusammen mit Michael Breuer(2002a; 2002b) für eine radikal marktwirtschaftliche Lösungeingetreten, während Günter Neubauer (2002) und KlausDirk Henke (2002) etwas weniger radikale Positionen ver-treten, aber dabei unterschiedliche Schwerpunkte setzen.4

Auch der Sachverständigenrat (Wirtschaft) hat in seinemJahresgutachten 2000/2001 neben der systemevolutori-schen Konzeption eine marktwirtschaftliche Lösung erar-beitet.5

Um die Vorstellungen der politischen Parteien umfassendbeurteilen zu können, sind in Übersicht 3 die systemevolu-torischen – und nicht die radikaleren – Vorschläge des Sach-verständigenrats zusammengefasst und anhand der auchin den Übersichten 1 und 2 verwendeten Problemklassifi-zierung dargestellt. Der Vergleich zeigt, dass die Vorstellun-gen aller Parteien zusammengenommen gar nicht so weitvon den Vorschlägen der Ökonomen entfernt sind. Bei derKorrektur von Fehlanreizen für die Marktteilnehmer geht derSachverständigenrat zum Teil weniger weit als die Parteien.So hält er z.B. die Umstellung auf das Kostenerstattungs-prinzip für organisatorisch zu aufwendig und glaubt auchnicht, dass durch erhöhte Zuzahlungen ein erheblicher Ein-spareffekt zu erzielen ist.6

Die radikale Konzeption

Der Sachverständigenrat (Wirtschaft) lässt jedoch keinenZweifel daran, dass das eigentliche Ziel eine deutlich weiter-gehende Reform sein müsste. Die dazu entwickelten Vor-schläge werden weiter unten dargelegt. Zunächst soll hieraber die radikalste Reformvariante erwähnt werden, die Zwei-fel und Breuer entwickelt haben. Danach würden alle we-sentlichen Regulierungen des Gesundheitssektors – bis aufzwei – entfallen. Die eine wäre das Gebot einer obligatori-schen Mindestversicherung für die gesamte Wohnbevölke-rung. Die Bürger müssten unter den Angeboten auf demfreien Versicherungsmarkt wählen und sich individuell ver-sichern. Das impliziert vor allem, dass die Krankenversi-cherungsprämien individuell risiko-äquivalent wären. Die Ver-sicherten müssten Prämien zahlen, deren Höhe ihrem indi-

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4 Ausführlicher in Henke, Neubauer et al. (2002).5 Eine Übersicht über Reformoptionen findet sich auch in Osterkamp (2001).6 Im Hinblick auf den Effekt von Zuzahlungen vertritt der SVR unter den Ge-

sundheitsökonomen eine Minderheitsmeinung.

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viduellen Erkrankungsrisiko entspricht. Das heißt aber auch,dass die Prämien in manchen Fällen außerordentlich hochwären und auch untragbar hoch sein könnten, so dass insolchen Fällen direkte Unterstützungszahlungen – die zwei-te Art von Regulierung – vorzusehen wären.

Die Vorteile eines derartigen Systems würden insbesonde-re darin liegen, dass

• das Gesundheitswesen kein wettbewerblicher Ausnah-mebereich mehr wäre;

• mit einem großen Angebot an differenzierten Kranken-versicherungsverträgen zu rechnen wäre, die auf die in-dividuellen Präferenzen eingingen;

• kein Versicherter – auch keiner mit hohem Risiko – mehrunwillkommen wäre;

• ein Risikostrukturausgleich nicht mehr erforderlich wäre;• die Versicherungen Interesse hätten, die Anbieter von Ge-

sundheitsdienstleistungen zu einem kostengünstigen Ver-

halten anzureizen und entsprechende Angebotsstruktu-ren (z.B. integrierte Versorgung, Hausarztprinzip, Be-handlungsleitlinien) zu fördern;

• die Kosten des Gesundheitswesens zu einem privatenProblem würden.

Die Nachteile bzw. Risiken würden jedoch darin bestehen,dass

• die Belastung des öffentlichen Haushalts mit direktenUnterstützungszahlungen außerordentlich groß sein kann– je nachdem, wo die Grenze für eine »untragbare Prä-mienbelastung« gezogen wird;

• für (besonders hohe) Risiken, die die Versicherungen mög-licherweise nicht versichern wollen, eine Sonderlösung(z.B. »Hochrisikopool«) gefunden werden muss;

• ein gleichmäßiger Zugang zu Gesundheitsdienstleistun-gen nicht mehr bestehen bzw. sich auf die Leistungen imRahmen der Mindestversicherung beschränken würde;

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Übersicht 3: Reformkonzeption „Systemevolution“ (des Sachverständigenrats Wirtschaft)

Problemfelder Reformelemente

1. Belastung des Arbeitsmarktsdurch Kostensteigerungen imGesundheitswesen

Einkommensteuer-neutrale Auszahlung des gegenwärtigen AG-Beitrags zur KV;

Erweiterung der Beitragsgrundlage um Vermögenseinkommen;

Einbeziehung aller Erwerbstätigen;Steuerfinanzierung versicherungsfremder Leistungen

2. Unnötig hohe Kosten

(-steigerung)a. durch mangelnden Wett-bewerb

Fehlleitung des Wettbewerbs zwischen den GKV-Kassen beseitigen durch Einschluss vonMorbidität in den RSA;Schaffung eines Hochrisikopools

b. durch Fehlanreize für LE undVersicherer

Positivliste für Medikamente;

Kopf- und Fallpauschalen statt Einzelleistungsvergütung für LE

c . durch Fehlanreize fürNachfrager

Begrenzung des Leistungskatalogs durch Aufspaltung in Grund- und Wahlleistungen oderdurch erweiterte Negativliste;

Praxisgebühr bei Erstbesuch;(Dagegen wird eine Umstellung von Sachleistungs- auf Kostenerstattungsprinzip alsorganisatorisch aufwendig und mit Budgetierung nicht kompatibel angesehen. Eine An-reizfunktion erhöhter Zuzahlungen wird skeptisch gesehen.)

Anreize zur Einschränkung des Rechts auf freie Arztwahl

d. durch Organisationsmängel Ausbau der integrierten Versorgung

3. Geringe Wahlmöglichkeitenbeim Versicherungsschutz

Wahlmöglichkeit für Hausarztsystem

4. Leistungsniveau niedriger alsmöglich

Evidenzbasierte Behandlungsleitlinien;

Ausbau der integrierten Versorgung;

5. Verteilungseffekte der GKV Umverteilung innerhalb der GKV-Systems nur noch zwischen Gesunden und Kranken;weitere Umverteilungen durch Steuern und Transfers;d.h. auch, dass die beitragsfreie Mitversicherung vom Familienangehörigen durch Steuer-finanzierung ersetzt wird;

Überprüfung, ob die Exit-Option (von der GKV in die PKV) beibehalten werden kann

6. Drohender Ärztemangel Keine Ausführungen

7. GKV-System im europäi-schen Wettbewerb

Kostenerstattung muss grenzüberschreitend ermöglicht werden;

GKV-Kassen müssen auch mit ausländischen LE kontrahieren dürfen;

Abkürzungen: siehe Tab. 1.Zusammenstellung: ifo Institut.

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• eine Belastung mit Prämien nach dem Prinzip der Leis-tungsfähigkeit nicht mehr stattfinden würde.

Nicht zuletzt kann als Nachteil bzw. Risiko dieser radikalenReformkonzeption auch die Tatsache angesehen werden,dass ein derartiges System in keinem Land der Welt besteht,auch nicht in den Ländern mit einem traditionell individualis-tischen Gesundheitswesen, nämlich in der Schweiz und denUSA. Die Schweiz hat sogar vor einigen Jahren ihr altesSystem individuell risiko-äquivalenter Prämien abgeschafft,u.a. weil die dabei erforderlichen Unterstützungszahlungenan die Versicherten für den öffentlichen Haushalt zu hochwurden. Jetzt gibt es – stark regulierte – Tarife, die nicht in-dividuell, sondern für ganze Gruppen risiko-äquivalent sind.Diese Tarife gelten für die Versicherten eines Versicherungs-unternehmens in einem Kanton und sind nur (dürfen nur)nach Eintrittsalter und Geschlecht differenziert (werden).

Die Gruppentarife in den USA (community rating) werdenvor allem für die Beschäftigten eines Unternehmens verein-bart. (Sie unterliegen im Übrigen nicht der Einkommensteuer.)Echte individuell risiko-äquivalente Prämien sind die Aus-nahme. Um Bürger außerhalb eines Beschäftigungsver-hältnisses (Rentner) oder solche geringen Einkommens nichtdiesen individuell risiko-äquivalenten Prämien auszusetzen,wurden die öffentlich finanzierten KrankenversicherungenMedicare (für die Rentner) und Medicaid (für die Geringver-diener) geschaffen – anstatt den Weg der direkten Unter-stützung zu gehen.

Reform des deutschen Gesundheitswesens nachSchweizer Vorbild?

Neben der systemevolutorischen Konzeption hat der Sach-verständigenrat (Wirtschaft) eine Variante entwickelt, dieetwas weniger radikal ist als das Konzept von Zweifel undBreuer, aber deutlich »marktwirtschaftlicher« als das gegen-wärtige – und das in den kommenden Jahren zu erwar-tende – System. Eine solche »gemäßigt marktwirtschaftli-che Konzeption« findet sich auch in den oben erwähntenDiskussionsbeiträgen von Neubauer (2002) und Henke(2002). Diese gemäßigte Variante wird, soweit sie über diereine Systemevolution hinausgeht, im Folgenden kurz cha-rakterisiert. Die Konzeption ist von folgenden Eigenschaf-ten geprägt:

• Obligatorische Mindestversicherung für die gesamteWohnbevölkerung;

• zu einer solchen Mindestversicherung müsste auch dasLohnersatzgeld (bisher: Lohnfortzahlung und Kranken-geld) gehören;

• Erhebung von individuell zu zahlenden Kopfprämien, dienur nach Alter und Geschlecht, nicht nach Einkommenund nicht nach Krankheitsanfälligkeit differenziert sind;

das hieße auch, dass es keine beitragsfreie Mitversiche-rung mehr geben würde;

• es würde Zuzahlungen geben; diese könnten einen obli-gatorischen und einen frei zu vereinbarenden Teil ent-halten;

• die Übernahme von Gesundheitsrisiken wäre damit voll-ständig vom Beschäftigungsverhältnis abgekoppelt;

• Beschränkung der Umverteilung auf den Risikoausgleichzwischen Gesunden und Kranken; weitere Umverteilun-gen wie gegenwärtig (von Reich zu Arm, von Jung zuAlt, von kleinen zu großen Familien, von Ledigen zu Ver-heirateten) wären im Rahmen des Steuersystems vorzu-nehmen;

• die Anbieter von Gesundheitsdienstleistungen würdenvon aktiveren Krankenversicherungen (»players statt pay-ers«) zu innovativen und effizienteren Formen der Ange-botserstellung angeregt (z.B. »managed care«, Praxis-netze, Hausarztmodell) und müssten auch andere For-men der Honorierung (z.B. Fallpauschalen statt Einzel-leistungsvergütung) akzeptieren;

• die Versicherungen müssten Altersrückstellungen bilden(wie jetzt bereits in der Privaten Krankenversicherung vor-geschrieben und praktiziert), die beim Wechsel der Ver-sicherung mitgenommen werden können (gegenwärtignicht der Fall); dadurch würde die individuelle Beitrags-last nicht nur unabhängig vom Altersaufbau der Bevöl-kerung sein, sondern auch nicht (oder weniger als ohneAltersrückstellung) mit zunehmendem Alter des Einzel-nen ansteigen;7

• nach dem in diesem Punkt weitergehenden Vorschlagvon Henke soll die GKV-Versicherung grundsätzlich(schrittweise) von der Umlagenfinanzierung auf die Ka-pitaldeckung umgestellt werden.

Die Grundzüge einer derartigen gesundheitspolitischen Kon-zeption sind in der Schweiz durch die Reform von 1996 weit-gehend umgesetzt worden. Die aufgetretenen Problemekonnten damit allerdings nicht vollständig gelöst werden.Insbesondere ist eine Eindämmung der steigenden Kostendes Gesundheitswesens bisher nicht im erhofften Maßemöglich geworden. Außerdem waren Ergänzungen der Re-form notwendig und werden es wohl auch weiterhin sein.Mängel bestehen z.B. nach wie vor im System des Risi-kostrukturausgleichs zwischen den Krankenkassen sowiein unzureichenden Anreizen für Prozessinnovationen (stattnur Produktinnovationen) auf der Seite der Anbieter von Ge-sundheitsdienstleistungen. Dennoch scheint es vielverspre-chend, in Deutschland die Erfahrungen der Schweiz zu ver-folgen, vor allem dann, wenn sich am Ende der kommen-den Legislaturperiode in Deutschland an dem bestehen-den Reformdefizit im Gesundheitswesen wenig geändert ha-ben sollte.

28

7 Der Vorschlag von Henke (2002) bzw. Henke und Neubauer (2002) gehtweiter, da er eine grundsätzliche (schrittweise) Umstellung von der Umla-genfinanzierung auf die Kapitaldeckung vorsieht.

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55. Jahrgang – i fo Schne l ld ienst 18/2002

Forschungsergebnisse

Literatur

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Neues russisches Zentralbank-gesetz

Zu den grundlegenden Aufgaben derBank Russlands zählt nach Artikel 3 desgeltenden russischen Zentralbankgeset-zes die Entwicklung und Stärkung desBankensystems der Russischen Födera-tion.1 Um dieser Aufgabe gerecht zu wer-den, benötigen die russischen Zentral-banker dementsprechende Leitlinien undZielsetzungen. Derartige Leitlinien undZielsetzungen sind in einschlägigen Do-kumenten, allen voran im Zentralbank-gesetz, niedergelegt. Das Zentralbank-gesetz weist der Zentralbank nicht nureine wichtige Rolle bei der Entwicklungund Stärkung des Bankensystems imLand zu, sondern setzt auch fest, wie undin welchem Rahmen die russischen Zen-tralbanker für die Banken des Landes Sor-ge zu tragen haben. Insofern waren dieKorrekturen und die Inkraftsetzung desZentralbankgesetzes im Juli 2002 eine un-abdingbare Voraussetzung, um Restruk-turierungsvorhaben im gesamten russi-schen Bankensektor auf den Weg zu brin-gen und voranzutreiben.

Die Beschließung des Zentralbankge-setzes erfolgte in Übereinstimmung mitdem Reglement der verfassungsmäßi-

gen Gesetzgebung2, da die Zentralbankdes Landes eine Einrichtung öffentlichenInteresses ist. Demnach können die Zen-tralbankmitarbeiter über ihre Arbeits-grundlage, das Zentralbankgesetz, nichtselbst abstimmen, sondern müssen diesden Vertretern der gesetzgebenden Or-gane des Landes überlassen. Ihre Ein-flussmöglichkeiten beschränken sich hierausschließlich auf beratende Funktionen,die sie z.B. bei Tagungen der befugtenFachausschüsse zur Geltung bringenkönnen. Mit Blick auf die nachstehendeÜbersicht zum Gesetzgebungsprozessin der Russischen Föderation durchliefdie Gesetzgebung zum Zentralbankge-setz von 2002 im Einzelnen nun folgen-de Stufen3:

• 5. Juli 2000 erste Lesung in der Staats-duma;

• 6. April 2002 zweite Lesung in derStaatsduma;

• 22. Mai 2002 erneute zweite Lesungin der Staatsduma;

• 5. Juni 2002 dritte Lesung in derStaatsduma;

• 14. Juni 2002 Ablehnung des Geset-zes durch den Föderationsrat;

• 27. Juni 2002 Überstimmung des Ve-tos des Föderationsrates durch Staats-duma;

• 10. Juli 2002 Unterschrift des Präsi-denten.

Bankenreformen im Aufwind?

Josephine Bollinger-Kanne*

Wechsel an der Spitze der Bank Russlands –

Auch wenn sich Wachstumstendenzen und Anzeichen von Stabilität in der russischen Volks-

wirtschaft in den letzten Jahren gezeigt haben, geben Unterkapitalisierung, Privatisie-

rungsdefizite und die Neigung zu kurzfristigen Krediten russischer Banken nach wie vor An-

lass zu Kritik und lassen Forderungen nach durchgreifenden Bankenreformen nicht ver-

stummen. Um dem Reformstau im russischen Bankwesen beizukommen, waren bestimmte

Änderungen im Zentralbankgesetz unumgänglich. Gleichzeitig hatten die Auseinanderset-

zungen um die Neufassung des Zentralbankgesetzes einen verfrühten Wechsel an der Zen-

tralbankspitze zur Folge, den Präsident Vladimir Putin, seine wirtschaftsliberalen Berater und

Amtsinhaber in der Präsidentenadministration und den einschlägigen Ministerien sicherlich

begrüßt haben dürften. Ob die angedachten Reformen des russischen Bankensektors die Ban-

ken als Finanzierungsmittler zwischen den einzelnen volkswirtschaftlichen Sektoren eta-

blieren werden, bleibt zurzeit abzuwarten.

* Dr. Josephine Bollinger-Kanne ist Osteuropa-Ex-pertin mit Schwerpunkt »Wirtschaft und PolitikRusslands« in München.

1 Rechenschaftsbericht der Bank Russlands 2000,S. 120 und Artikel 3 im Zentralbankgesetz 2002,in:http://www.cbr.ru/today/status_functions/print.asp?file=law.htm.

2 Konstitucija Rossijskoj Federacii, Moskva 1997.3 Die hervorgehobenen Kästchen in der Übersicht

kennzeichnen den Gang der Zentralbankgesetz-gebung.

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ÜbersichtDer Gang der Gesetzgebung in der Russischen Föderation nach Artikel 104,105 und 107 in der Verfassung der RF

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Auffällig an den einzelnen Zentralbankgesetzgebungsstufenist, dass zwischen der ersten Lesung und der ersten zwei-ten Lesung in der Staatsduma fast zwei Jahre liegen, diezweite Lesung zweimal stattfand und die Beschlussfassungam Ende im Vergleich zum Zeitraum zwischen den beidenersten Lesungen nur ca. drei Monate dauerte.

Bereits nach der Inkraftsetzung des Zentralbankgesetzesvon 1995 setzte ein stetiger Kampf um Korrekturen ein. Ei-nige von ihnen fanden in den folgenden Jahren Schritt fürSchritt Eingang in das 95-er Gesetz. Sie berührten den Sta-tus und die Vollmachten der Bank Russland jedoch nichtgrundlegend (Bollinger-Kanne 2001, S. 192 ff.) Die Beteili-gung der Bank Russlands an Kreditinstitutionen war im Zen-tralbankgesetz von 1995 grundsätzlich zwar untersagt, ließaber Ausnahmen zu. Durch die Beteiligungen an der Außen-handelsbank, der Sperbank und an einer Reihe von Ban-ken mit Sitz im Ausland steht die Bank Russlands allerdingspermanent unter Verdacht, diese bei der Ausübung ihrer Auf-sichts- und Kontrollfunktion über das gesamte russischeBankensystem zu begünstigen bzw. zu übervorteilen, sodass Wettbewerbsverzerrungen Vorschub geleistet wird.4

Anfang Juni 2000 kam es in der Staatsduma schließlich zueiner ersten Lesung über ein Zentralbankgesetz mit Kor-rekturen, die den Status, die Vollmachten und die strittigenBeteiligungen der Bank Russlands auf die politische Ta-gesordnung brachte (Kulakova 2000). Verschiedene Ver-treter aus der Präsidentenadministration, Staatsduma, Re-gierung und Zentralbank beteiligten sich in der Folgezeit ander Ausarbeitung von Vorschlägen und Kompromissformeln.Vonseiten der Duma nahm der einstige Duma-Abgeordne-te und Vorsitzende des Ausschusses für Kreditorganisatio-nen und Finanzmärkte Alexandr S ochin eine meinungsfüh-rende Position ein. Er plädierte für eine Ausweitung der Kom-petenzen des Nationalen Bankenrats, der bis dahin als be-ratendes Organ in der Bank Russlands tätig war. Fortan soll-te der Bankenrat neben dem Direktorenrat als zweites Lei-tungsorgan in Gestalt eines Aufsichtsrates in Erscheinungtreten5 und sich vor allem aus Staatsvertretern zusammen-setzen. Dagegen setzte sich der zu dieser Zeit amtierendeZentralbankvorsitzende Viktor Gerascenko vehement zurWehr. Er wertete dies als einen Angriff auf die Unabhängig-keit seiner Bank.6

In Fragen der Ausgliederung der Außenhandelsbank ausdem russischen Zentralbanksystem und in der Strategie derBankenreform im gesamten geriet Gerascenko mit den Re-

gierungsvertretern in Streit.7 Während die Regierungs- undStaatsduma-Vertreter bzw. Ausschussvertreter im Verlaufder Verhandlungen um Kompromisse rangen, führte Ge-rascenko gegen sie einen Zweifrontenkrieg und stellte sicheiner geplanten zweiten Lesung in der Staatsduma entge-gen. Am 15. März 2002 griff Putin schließlich ein und ver-anlasste Gerascenko zum Rücktritt. Den ersten stellvertre-tenden Finanzminister Sergej Ignat’ev ernannte er zu sei-nem Nachfolger. Diesen bestätigten die Duma-Abgeordne-ten mit einer Mehrheit von 276 Stimmen am 19. März 2002.8

Der zweiten Lesung stand somit nichts mehr im Wege. DieKompetenzen des Nationalen Bankenrats blieben zwischenDuma- und Regierungsvertretern nach der zweiten Lesungam 5. April 2002 weiterhin ein Stein des Anstoßes. Wolltendie Duma- bzw. Ausschussvertreter einen starken ent-scheidungsfähigen Bankenrat mit einer maximalen Anzahlvon Duma-Vertretern durchsetzen, setzten sich die Regie-rungsvertreter für einen weniger einflussreichen Bankenratein, um die Unabhängigkeit der Bank Russland nicht zu argzu beschneiden. Der Streit um die Kompetenzen des Ban-kenrats machte weitergehende Aushandlungen und Kom-promisse erforderlich, die letztlich in einer wiederholten zwei-ten Lesung am 22. Mai 2002 mündeten. Die dritte Lesungfolgte unmittelbar in der ersten Juniwoche.

Beide Seiten steckten im Verlauf der Verhandlungen zurück.Die Duma-Abgeordneten begnügten sich mit einem Ban-kenrat mit den Funktionen eines Kollegialorgans, das denRechenschaftsbericht der Bank Russlands und das Projektüber die Grundlinien einer einheitlichen Kredit- und Geld-politik prüft und nicht, wie vorgesehen, bestätigten soll. Da-für wurde ihnen zugesichert, dass der Bankenrat den Audi-tor der Bank Russlands zu ernennen, die buchhalterischenRegeln und die Ausgaben der Bank Russlands zu bestäti-gen hat.9 Gleichzeitig bestanden die Duma-Abgeordnetendarauf, dass die Mitarbeiter der Bank Russlands bei den Ge-schäftsbanken im laufenden Geschäftsjahr nur einmal Kon-trollen durchführen dürfen. Bei den Regierungsvertretern undZentralbankern rief diese Forderung Unmut hervor.10 Der Fö-derationsrat berief sich in seinem Veto ebenfalls darauf undversuchte gleichzeitig mehr Vertreter aus seinen Reihen fürden Bankenrat einzufordern.11 Am Ende scheiterte er wieschon im Jahr 1995, weil sich die Beteiligten aus der Du-

4 G. Griscenko, Popytki lis it’ Centrobank e.konomiceskoj vlasti ni k c emu

ne priveli: CB vrjad li vyidet iz kapitalov VTB i Sperbanka, in: http://www.polit.ru/printable/473814.html.

5 Zu den Vorschlägen genauer bei A. Sochin Interview der Woche vom 24. Juli2001, in: www.shohin.ru/iweek/010724.html.

6 V. Gerascenkos Brief an den Duma-Sprecher vom 5. Dezember 2001 isthierfür ein einschlägiges Beispiel, in: http://www.cbr.ru/today/publications_reports/print.asp?file=letter.htm.

7 Dazu A. Sochins Tageskommentar vom 13. November 2001, in:http://www.shohin.ru/documents/020313.html; sein Tageskommentarvom 18. März 2002, in: http://www.shohin.ru/documents/020318.htmlund N. Kulikova/E. Kiseljova; The New Face of the Banking Reform, in: http://therussianissues.com/print/13833.html.

8 Russia Tightens Central Bank Control, in: http://news.bbc.co.uk/1/hi/bu-siness/1883307.stm.

9 Artikel 12 und 13 im Zentralbankgesetz 2002. 10 Povtorenje projdennogo: pravitel’stvo snova nedovol’no prijatnymi vo

vtorom ctenii popravkami v zakon o CB i grozit prezidentskim veto (22. Mai2002), in: http://www.polit.ru/printable/topnews.html?=date2002-05-22.

11 SF nameren uvelicit’ cislo svoich ljudej v Centrobanke, in: http://www.pronews.ru/print/week/id/439504.html.

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ma, Regierung und der Präsident einigen konnten. Am10. Juli 2002 hat Präsident Vladimir Putin mit seiner Unter-schrift das neue Zentralbankgesetz in Kraft gesetzt.

Sergej Ignat’evs Amtsübernahme

Wie aus den obigen Ausführungen deutlich wird, ging derjüngste Zentralbankgesetzgebungsprozess mit einer fol-genschweren Personalentscheidung einher. Gerascenkobeharrte im Verlauf des Verhandlungen auf seine Positio-nen und geriet dadurch wie seinerzeit der erste Zentral-bankvorsitzende Georgij Matjuchin zwischen die Frontender Duma-Abgeordneten und Regierungsvertreter. Putinsah darin eine Gunst der Stunde und setzte einen Kandi-daten durch, der das Konzept der Wirtschaftspolitik seinerwirtschaftsliberalen Berater und Regierungsvertreter unter-stützt. Da Putin auf eine respektable ihn unterstützendeMehrheit in der Duma zählen kann, hatte er damit Erfolg.Zudem war Sergej Ignat’ev im Amt des ersten stellvertre-tenden Finanzministers als Vermittler in Zentralbank- undBankangelegenheiten zwischen Duma- und Zentralbank-vertretern tätig gewesen und hatte dabei Anerkennung undEinfluss erworben, so dass Putin mit seiner Ernennung ei-nen für alle Beteiligten akzeptablen Kandidaten ins Spiel ge-bracht hatte.12

Gerascenkos Einwände gegen die Einschnitte der Unab-hängigkeit der Zentralbank durch die Ausweitung der Kom-petenzen des Nationalen Bankenrat lassen sich nicht soeinfach von der Hand weisen. Sie fanden im Zentralbank-gesetz 2002 in der Weise Berücksichtigung, dass das Ge-setz dem Nationalen Bankenrat zwar mehr Kompetenzenzugesteht, aber nicht in dem Umfang, wie es Meinungs-führer aus der Duma ursprünglich geplant hatten. Viel nach-haltiger auf Geras c enkos Rücktritt dürften seine zögerlichenMaßnahmen im Bankensektor gewirkt haben. So war erim Gegensatz zu seinem Nachfolger Sergej Ignat’ev ge-gen eine zügige Ausgliederung der Außenhandelsbank ausder Bank Russlands, die Ignat’ev neben der Schaffung ei-nes Systems zur Garantierung von Einlagen bzw. Spargut-haben der Bevölkerung für einen entscheidenden Be-

standteil der Bankenreform hält.13 Auch die Bankenaufsichtwar unter Gerascenko nicht ausreichend entwickelt undfand nur in einem geringen Umfang statt.14 Vor diesemHintergrund setzte Putin mit Ignat’evs Berufung zum neu-en Chefbanker des Landes ein deutliches Zeichen in Rich-tung Bankenreform.

Ignat’ev berief kurze Zeit nach seiner Amtsübernahme zweineue Mitglieder in den Direktorenrat der Bank Russlands,Oleg Vjugin und Andrej Kozlov. Besonders Kozlovs Wieder-eintritt in die Russische Zentralbank ist als ein Signal zu be-trachten, dass Ignat’ev mit Bankenreformen Ernst machenwill. Kozlov war seit seinem Austritt aus der Bank Russlandskurz nach Gerascenko abermaliger Amtsübernahme als Zen-tralbankvorsitzender im September 1998 beim Financial Ser-vices Volunteer Corps (FSVC) als Managing Director tätigund hat zusammen mit dem U.S. – Russischen Banken-dialog 29 Reformempfehlungen ausgearbeitet, die sie im Mai2002 an die Präsidenten George Bush und Vladimir Putinüberreicht haben.15

Ignat’evs Reformmaßnahmen im Bankensektor richten sichu.a. auch auf Restrukurierungen in seiner Bank. Hierbei gehtes ihm insbesondere um die Schaffung von Voraussetzun-gen für eine angemessene und nach internationalen Stan-dards ausgerichtete Bankenaufsicht und um durchsichtigeEntscheidungsstrukturen. Um den mit den Jahren ange-wachsenen Bürokratisierungstendenzen und Personalkos-ten entgegen zu treten, sind Personalabbau und Schlie-ßungen von Zentralbankeinrichtungen in der Region ge-plant.16 Die untenstehende Tabelle zeigt auf, dass sich dieAnzahl der Mitarbeiter im Russischen Zentralbankwesen von1992 bis 1998 nahezu verdoppelt hat und danach ein Rück-gangstrend eingetreten ist. In welchem Umfang und in wel-chem Zeitraum Personal weiterhin abgebaut wird, wird sichzeigen.

Tab 1

Mitarbeiter in der Bank Russlands

1. 1. 1993 1. 1. 1994 1. 1. 1995 1. 1. 1996 1. 1. 1997 1. 1. 1998 1. 1. 1999 1. 1. 2000 1.1. 2001

Anzahl derMitarbeiter 45364 52042 62805 70067 81805 88879 90438 88369 80699

Quelle: Rechenschaftsberichte der Bank Russlands 1992-2000.

12 Vgl. hierzu Tageskommentar von A. Sochin vom 18. März 2002, in:http://www.shohin.ru/comment/020318.html.

13 N. Kulikova/E. Kiseljova, The New Face of the Banking Reform (Kom-mersant, 21. März 2002), in: http://www.therussianissues.com/topics/56/02/03/21/13833.html.

14 Vgl. A. Zabotkin, New CBR Team: Policy Style Two Months on, in:http://www.prime-tass.com/news/65/opened/2002/212320.asp.

15 Hierzu FSVC Recent Events May 24, 2002 , in: http://ww.fsvc.org/ne-ws/News.asp?FilterUID=264 und FSVC Recent Events April 2002, in:http://ww.fsvc.org/news/News.asp?FilterUID=245.

16 Vgl. R. Nash, Reforming Russia – Building Banks, in: http://prime-tass.com/news/65/opened/2002/215293.asp.

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Forschungsergebnisse

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Schritte zu einem effektiveren Bankensystem derRussischen Föderation

Einen entscheidenden Schritt auf dem Weg zu einem ef-fektiveren und funktionstüchtigen Bankensystem stellt dasin diesem Sommer verabschiedete Zentralbankgesetz dar.Ein zentraler Punkt unter den zahlreichen Korrekturen imGesetz ist mit Blick auf durchgreifende Bankenreformen diegesetzliche Festlegung der Ausgliederung der Außenhan-delsbank aus dem System der russischen Zentralbank zum1. Januar 2003.17 Die Verminderung der Anteile der BankRusslands an der Sperbank und an den betreffenden Aus-landsbanken wird an dieser Stelle ebenfalls festgeschrie-ben. Dadurch hat die Rückführung staatlicher Anteile, hierin Gestalt der Anteile der Bank Russlands, am Bankensys-tem des Landes endlich eine rechtliche Basis erhalten, sodass Privatisierungsdefizite und damit verbundene Wett-bewerbsverzerrungen sowie Interessenkonflikte bei derBankenaufsicht vonseiten der Bank Russlands abgebautwerden können. Immerhin nehmen die Sperbank und dieAußenhandelsbank innerhalb der russischen Banken dieSpitzenplätze ein.18

Bereits in der Strategie über die Entwicklung des Ban-kensystems der Russischen Föderation, die die russi-sche Regierung und Zentralbanksitze am 30. Dezem-ber 2001 unterschrieben haben, wird die Ausgliederungder Außenhandelsbank aus dem russischen Zentral-bankwesen bis zum 1. Januar 2003 festgeschrieben.19

Kapitalanteile der Regierung und der Bank Russlands anKreditorganisationen sollen laut Strategie nur dann zu-lässig sein, wenn:

1. die Tätigkeit der betreffenden Kreditorganisationen fürdie staatliche Wirtschaftspolitik des Landes strategischeBedeutung hat und

2. dadurch eine optimalere Erhöhung der Kapitalisierung,Qualitätssteigerung des Kapitals und Ausweitung der Ge-schäftstätigkeit der Kreditorganisationen hinsichtlich desHeranziehens von Mitteln aus der Bevölkerung und vonUnternehmen möglich ist.20

Diese Ausnahmeregelungen lassen Spielraum für Interpre-tationen, so dass es für Gerascenko keine große Überwin-dung gewesen sein dürfte, die Strategieerklärung zu unter-schreiben. Sie unterliegt dem Status einer Absichtserklärungund enthält darüber hinaus keine konkreten Schritte, wie dieAusgliederung der Außenhandelsbank vonstatten gehen soll.

Erst mit der Inkraftsetzung des revidierten Zentralbankge-setzes ist die Ausgliederung der Außenhandelsbank schließ-lich rechtskräftig geworden, obgleich das Prozedere der Aus-gliederung dort ebenfalls nicht thematisiert wird.

Um das Bankensystem im Gesamten zu stabilisieren unddie Interessen der Anleger und Kreditoren zu schützen, weistdas geltende Zentralbankgesetz den russischen Zentral-bankern die Aufgabe zu, als gesetzgebende Instanz die Rah-menbedingungen bzw. Regeln des Bankengeschäfts fest-zulegen und ihre Einhaltung zu gewährleisten. Hieraus er-gibt sich die Regulierungs- und Bankenaufsichtsfunktion derBank Russlands.21 Als wichtigstes Instrument für die Ban-kenaufsicht gilt die Durchführung von Kontrollen bei Kredit-organisationen bzw. Banken im laufenden Geschäftsjahr, umFinanzengpässen rechtzeitig auf die Spur zu kommen undKrisen zu vermeiden oder einzugrenzen. Der endgültige Be-schluss über die Anzahl derartiger Kontrollen steht nochaus.22 Er wurde aus den Verhandlungen zum Zentralbank-gesetz in den Herbst des laufenden Jahres vertagt, da sichdie Kontrahenten aus der Regierung, Zentralbank und Du-ma nicht einigen konnten.

Als Stabilitätsparameter für Kreditorganisationen und Ban-ken gelten laut Zentralbankgesetz u.a.

• die Mindesthöhe des Satzungskapitals von Kreditorga-nisationen,

• die Höhe des maximalen Risikos für einen Kreditnehmerbzw. eine Gruppe von Kreditnehmer,

• die maximale Höhe großer Kreditrisiken inklusive Wäh-rungsrisiken,

• die maximale Höhe für Kredite, Garantien und Forde-rungen.23

Diese Parameter sollen Auskunft darüber geben, ob dieKapitalausstattung der Kreditorganisationen für bestimmteBankoperationen ausreicht und nicht ein bestimmtes un-kalkulierbares Risikoniveau überschritten wird. Die unten-stehende Tabelle und Abbildung zeigen auf, dass das Sat-zungskapital der führenden Kreditorganisationen des Lan-des in den letzten drei Jahren sich stetig erhöht hat undsich ein Trend hin zu Banken mit höherer Kapitalausstattungabzeichnet, wobei die Anzahl der Banken im Bereich von10 bis 60 Mill. Rubel ziemlich gleichmäßig verteilt ist und sichdie prozentualen Anteile von 13,8% für Banken mit 3 Mill.Rubel Satzungskapital im Jahr 2000 auf 8,2% im Jahr 2002stark verringert haben und sich die Anteile für Banken mitmehr als 300 Mill. Rubel Satzungskapital sich nahezu ver-doppelt haben. 17 Artikel 8 im Zentralbankgesetz 2002.

18 Vgl. hierzu z.B. Profile Magazine, Nr. 31, 26.08.2002: Top-10 Largest Rus-sian Banks in Terms of Capital (On 01. 07. 2002), in: http://www.globexbank.ru/ratinge.html.

19 Strategija Razvitija Bankovskogo Sektora Rossijskoj Federacii vom 30. De-zember 2001, in: http://www.minfin.ru/off_inf/92010401.doc sowiehttp://www.cbr.ru/today/publications_reports/print.asp?file=strat_2002.htm(nachfolgend kurz: Bankenstrategie).

20 Siehe Bankenstrategie, S. 5.12.

21 Artikel 56 im Zentralbankgesetz von 2002.22 Tageskommentar von A. Sochin vom 12. Juli 2002, in:

http://www.shohin.ru/comment/020712_2.html und sein Tageskommentarvom 26. Juli 2002, in: http://www.shohin.ru/comment/020726.html.

23 Artikel 62 im Zentralbankgesetz von 2002.

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Forschungsergebnisse 35

Gleichzeitig zeichneten sich von 1998 bis zum Frühjahr 2002positive Tendenzen bei den Guthaben der Bevölkerung inden Banken und bei den Investitionen der Banken in denrealen Sektor ab.

Der in Tabelle 3 verzeichnete Anstieg der Sparguthabender Bevölkerung in den Banken sowie die Erhöhung der In-vestitionen der Banken in den realen Sektor legen die Ein-schätzung nahe, dass die russischen Banken ihre Funk-tion, als Finanzvermittler in der Volkswirtschaft des Landestätig zu sein, schon viel besser erfüllen. Problematisch bleibtjedoch nach wie vor, dass die Banken gemessen an denModernisierungserfordernissen der heimischen Produk-tionskapazitäten in den realen Sektor immer noch zu weniginvestieren und sich zu einseitig auf den Exportbereich so-wie auf Währungsgeschäfte konzentrieren.24 Darüber hin-aus bilden viele Banken Satzungskapital nicht auf der Grund-lage von wirklich erwirtschafteten Mittel, sondern nehmenUmbewertungen auf der Basis von Subventionskrediten vor,die sie früher oder später zurückzahlen müssen (Paramo-nova 2002, S. 14).

Vor diesem Hintergrund hat der erste Vize-präsident der Bank Russlands Andrej Koz-lov auf dem internationalen Bankenkongressin St. Petersburg Anfang Juni diesen Jahresseine Vorstellungen über die Modernisierungdes russischen Bankensystems im Einzel-nen vorgetragen. Als unmittelbare Aufgabender Modernisierung nannte er:

1. die Ausarbeitung und Einführung von Me-thoden und Kriterien für eine qualitativeDiagnostik (Bewertung) der Banken (En-de 2002)

2. die Reorganisation der Bankeninspektion (Ende 2002)3. den Übergang zu internationalen Standards der finan-

ziellen Rechnungsführung und Rechenschaftslegung(2004)

4. die Vorbereitung und Annahme von erforderlichen Ge-setzesakten (Veränderungen in den Gesetzen über Ban-ken, Insolvenzverfahren von Banken, Garantierung vonEinlagen bzw. Sparguthaben etc. (Herbst 2002)

5. die Schaffung eines Systems zur Garantierung von Ein-lagen bzw. Sparguthaben (Ende 2002-2004)

6. die Optimierung der Durchführung der Bankenaufsichtdurch die Bank Russlands (2002-2003)

7. die Organisation einer Übergangsperiode bis zur Schaf-fung eines Systems zur Garantierung von Einlagen bzw.Sparguthaben (2002-2004) (Kozlov 2002, S. 11).

Diese Aufgaben sind allesamt auf die Schaffung positiverBedingungen für ein zivilisiertes und effektives Bankgeschäftim Land und die Optimierung der Bankenaufsicht gerich-tet. Sie sollen im Einzelnen die Qualität des Bankengeschäftsverbessern, für Finanzstabilität, ein optimales Risikoniveau

Tab. 2 Verteilung der führenden Kreditorganisationen nach der Höhe ihres registrierten Satzungskapitals in Millionen Rubel und in Prozent

Mill.Rubel/Anzahl

Bis 3 Mill. 3-10 Mill. 10-30 Mill. 30-60 Mill. 60-150 Mill. 150-300 Mill. >300 Mill. Gesamt

01.09.2000 183 308 316 260 119 60 79 1325

01.09.2001 139 245 313 254 154 92 125 1322

01.09.2002 109 200 304 261 190 117 154 1335

in %

01.09.2000 13,8 23,2 23,8 19,6 9,0 4,5 6,0 100

01.09.2001 10,5 18,5 23,7 19,2 11,6 7,0 9,5 100

01.09.2002 8,2 15,0 22,8 19,6 14,2 8,8 11,5 100

24 Vgl. Russian Premier Says Banking Sector Does NotFulfil One Of Its Major Functions, in:http://english.pravd.ru/econo-mics/2002/07/10/32223_.html und A. Kozlov (2002,S. 8).

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Forschungsergebnisse

i fo Schne l ld ienst 18/2002 – 55. Jahrgang

36

und eine genaue Finanzplanung aufseiten der Banken sor-gen sowie zu mehr Vertrauen der Kreditoren und Sparer, ver-lässlichen Wettbewerbsbedingungen und wirksamen Re-geln bei Insolvenzverfahren von Banken führen. Erst dannkönnen die russischen Banken erfolgreich als Finanzver-mittler zwischen den einzelnen volkswirtschaftlichen Sek-toren tätig sein und das volkswirtschaftliche Wachstum desLandes befördern. Das wiederum wirkt auf Putins Präsidi-alamt bestätigend und bestärkend ein, so dass er Kozlovsund Ignat’evs Bemühungen mit Sicherheit unterstützt. Wieschnell die Maßnahmen umgesetzt werden und wie weitsie wirklich greifen, bleibt zur Zeit noch abzuwarten.

Literatur

Bollinger-Kanne, J. (2001), Die Institutionalisierung der Russischen Zentral-bank, München.Kozlov, A. (2002), »Voprosy modernizacii bankovskoj Sistemy Rossii«, Den’gii Kredit (6).Kulakova, N. (2000), »CB otstojal svoju nezavisimost’«, Kommersant vom6. Juli, 2.Paramonova, T. (2002), »Ot stabilizacii k ustojc ivomu razvitiju: itogi, strate-gija i perspektivy«, Den’gi i Kredit (6).

Tab. 3 Sparguthaben der Bevölkerung und Kredite der Banken an den realen Sektor in % zum BIP

Januar 1998 April 2002

Sparguthaben der Bevölkerung inden Banken 6,3 7,4

Investitionen der Banken in denrealen Sektor 4,4 7,6Quelle: A. Kozlov, Voprosy Modernizacii Bankovskoj Sistemy Rossii, in:Den’gi i Kredit, 6, 2002, S. 6.

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55. Jahrgang – i fo Schne l ld ienst 18/2002

Stimmung verschlechtert sich,Geschäftserwartungen bleibenaber noch zuversichtlich

Ernüchternde Zahlen kommen derzeit ausder deutschen Software- und DV-Dienst-leistungsbranche: Die überaus positivenErwartungen vom 1. Vierteljahr 2002 wur-den enttäuscht, die aktuelle Geschäfts-lage hat sich weiter verschlechtert, die ne-gativen Stimmen hatten (mit per saldo– 11%) jetzt ein klares Übergewicht: Nurnoch 18% der Unternehmen beurteiltenihren Geschäftsverlauf als günstig, 53%als befriedigend, und mittlerweile 29% derTestteilnehmer empfanden ihre derzeitigeSituation als schlecht. Binnen Jahresfristhat sich der Anteil der negativen Ge-schäftslageurteile verdreifacht, binnenzwei Jahren sogar verfünffacht. Die Soft-wareunternehmen setzten zudem weni-ger Vertrauen in die kommende Entwick-lung als noch im März, dennoch werdenim zweiten Halbjahr konjunkturelle Fort-schritte erwartet, per saldo 14% derUnternehmen rechnen mit einem günsti-geren Geschäftsverlauf. Das Geschäfts-klima – das geometrische Mittel aus Ge-schäftlage und Geschäftserwartungen –hat sich dementsprechend wieder ein-getrübt, Hoffnungen ruhen derzeit aus-schließlich auf den Erwartungen für diezweite Jahreshälfte (vgl. Abb. 1).

Nachdem die DV-Dienstleister im erstenQuartal erstmalig mit rückläufigen Um-sätzen konfrontiert wurden, blieben dieErgebnisse des zweiten Quartals sogar

noch stärker hinter dem Vorjahresergeb-nis zurück. Per saldo fast jedes fünfteUnternehmen registrierte ein Umsatzmi-nus. Die Nachfrage zeigte sich bis zuletztäußerst zögerlich, den Angaben der Un-ternehmen zufolge hat sich der Rückgang

37

Beschäftigungsabbau hält an

Joachim Gürtler

DV-Dienstleister: Geschäftsverlauf knickt weiter ein,

Ernüchternde Zahlen kommen derzeit aus der deutschen Software- und DV-Dienstleistungs-

branche, dennoch gibt es durchaus Anzeichen, dass die Talsohle im Laufe des Jahres 2002

durchschritten wird. Dafür sprechen die Ergebnisse der 30. Konjunkturumfrage für DV-Dienst-

leistungen, die schwerpunktmäßig im Juli und August 2002 stattfand. Insgesamt haben 301 Un-

ternehmen einen auswertbaren Fragebogen zurückgeschickt, 169 Testteilnehmer haben an

der Online-Befragung über das Internet teilgenommen. Die insgesamt einbezogenen Betrie-

be erwirtschafteten 2001 einen Umsatz von 9,0 Mrd. q. Gemessen am geschätzten Gesamt-

umsatz nach Diebold repräsentieren die Erhebungsergebnisse damit 28,4% des deutschen

Marktes für Software und DV-Dienstleistungen.1

1 Der nominale Umsatz im deutschen Software- undServices-Markt betrug (nach Diebold Markt-Fo-rum 2001, unveröffentliche Ergebnisse) 2001:31,7 Mrd. q.

Abb. 1

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Daten und Prognosen

i fo Schne l ld ienst 18/2002 – 55. Jahrgang

aber verlangsamt (per saldo – 10% gegenüber – 20% imersten Quartal). Mit den Aufträgen schwanden auch die Auf-tragsbestände, sie wurden ab der zweiten Jahreshälfte 1999Schritt für Schritt abgebaut. Die Auftragsreserven erschie-nen jedem zweiten Betrieb als zu klein, die Urteile haben sichaber zuletzt nicht weiter verschlechtert. Auch die Umsatz-erwartungen waren unverkennbar von Vorsicht geprägt, nurnoch per saldo jeder zehnte Testteilnehmer rechnete für dasdritte Quartal mit einem Umsatzplus. Die Mehrzahl der Unter-nehmen geht allerdings eher von gleichbleibenden Umsät-zen in der nächsten Zeit aus.

Sehr differenziert ist die Entwicklung nach Größenklassen:Insbesondere bei den großen Dienstleistungsanbietern (ab50 Mill. q Umsatz) hat sich der vorsichtige Optimismusvom Vorquartal bestätigt. Die positiven Geschäftslageurtei-le überwogen wieder, Nachfrage und Umsätze haben etwaszugelegt, und auch das Vertrauen in eine konjunkturelle Er-holung ist nahezu unverändert vorhanden. Ganz anders beiden kleineren und mittleren Unternehmen der Branche: DieUnzufriedenheit mit der Geschäftslage hat sichtlich zuge-nommen, Nachfrage und Umsatz waren rückläufig, und auchdie Urteile über die Auftragsreserven spiegeln den jähen Ein-bruch wider. Eine durchgreifende Wende zum Besseren istnicht in Sicht, für die nächsten Monate befürchteten die Test-teilnehmer eine weitere Verschlechterung ihrer Geschäfts-lage, mit höheren Umsätzen wird kaum noch gerechnet.

Nach der erdrutschartigen Verschlechterung im Vorquartalzeigten sich die ostdeutschen DV-Dienstleister erneut ent-täuscht über die aktuelle Geschäftssituation. Nachfrage undUmsätze gaben deutlich nach – wenn auch weniger starkals zuvor – die Urteile über die Auftragsreserven ver-schlechterten sich aber weiter. Mittlerweile werden die Auf-tragsbestände von rund zwei Drittel der Unternehmen alsvöllig unzureichend angesehen. Vorsichtige Zuversicht las-sen dennoch die Umsatzerwartungen erkennen (per saldo+ 6%), und auch bei den Geschäftserwartungen für die zwei-te Jahreshälfte 2002 ist noch kräftiger Optimismus vorhan-den (per saldo + 31%). Günstiger waren allerdings die Pers-pektiven im Vorquartal.

Beschäftigung geht zurück

Bereits seit den Sommermonaten 2000 schlägt die Er-nüchterung der deutschen Software- und Dienstleistungs-branche immer stärker auf die Beschäftigung durch: Erst-mals seit Einführung der Konjunkturumfrage sinkt in be-trächtlichem Umfang die Zahl der Beschäftigten. Nach denaktuellen Befragungsergebnissen hatte zwar immerhin nochjedes zehnte Unternehmen im zweiten Quartal 2002 Per-sonal eingestellt, dem standen aber fast 30% mit Perso-nalentlassungen gegenüber. Insgesamt verringerte sich dieZahl der Beschäftigten in der deutschen Softwarebranche

um fast 2% (1. Quartal: – 1%). Ein Jahr zuvor (vergleichba-res Vorjahresquartal) lag das Plus noch bei 1%, vor zwei Jah-ren sogar bei 21/2%. Am stärksten betroffen waren die Mit-arbeiter bei den mittleren Dienstleistungsunternehmen (10 bis25 Mill. q Umsatz). Hier verringerte sich die Zahl der Be-schäftigten um fast 41/2%. Auch die Perspektiven für dienächste Zeit waren unverkennbar von Vorsicht geprägt, dieBeschäftigung dürfte weiter sinken (per saldo – 7%).

Auftragsmangel erreicht neuen Spitzenwert

Die weltwirtschaftliche Abschwächung macht den deutschenSoftware- und Dienstleistungsanbietern schwer zu schaf-fen, die Sorgen über schwach gefüllte Auftragsbücher neh-men rasant zu: 60% der Unternehmen klagten im zweitenQuartal 2002 über fehlende Aufträge. Die Anzeichen einerschwierigen Auftragslage zeichneten sich bereits zum Jahr-tausendwechsel ab, binnen drei Jahren hat sich der Nach-fragemangel mehr als versiebenfacht (vgl. Abb. 2). Nochetwas häufiger (mit 71%) waren die DV-Dienstleister in denneuen Bundesländern davon betroffen.

Die konjunkturelle Entwicklung hat den Fachkräftemangelvon Softwareexperten fast vergessen lassen, nur noch ver-einzelt waren diese Klagen zu hören (6%). Unterschiede zwi-schen West und Ost sind nicht mehr auszumachen, auchin den neuen Ländern ist Fachkräftemangel so gut wie keinThema mehr. Finanzierungsschwierigkeiten kamen mit 8%der Nennungen ebenfalls relativ wenig zur Geltung, sie sind

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Abb. 2

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55. Jahrgang – i fo Schne l ld ienst 18/2002

Daten und Prognosen

offenbar nur bei den kleineren Dienstleistern ein Hemmschuh:14% der kleineren Unternehmen gegenüber 4% der grö-ßeren registrierten im Berichtszeitraum Finanzierungs-probleme.

Auftragsmangel, Umsatz- und Beschäftigungs-einbußen in allen DV-Sparten

Die Entwicklung von Standard-, Anwender- und System-software sowie die Beratungsdienstleistungen (Consultingund Projekt-Services2) stellen mit einem Anteil von 67%das größte Marktsegment dar. Die Unternehmen zeigtensich abermals enttäuscht über die aktuelle Geschäftsitua-tion, die negativen Urteile hatten noch ein deutlicheres Über-gewicht als zuvor. Der rückläufige Bestelleingang verlang-samte sich zwar, die Vorjahresumsätze wurden jedoch nochklarer verfehlt. Per saldo fast jedes fünfte Unternehmen re-gistrierte im zweiten Quartal 2002 (gegenüber dem Vorjahr)ein Umsatzminus. Die schwache Nachfrage hinterlässt nachwie vor tiefe Spuren in den Auftragsbüchern, die Auftrags-bestände erschienen – auch nach Abnahme der negativenUrteile – mehr als zwei Fünftel der Testteilnehmer als zu klein.Nachgelassen hat der Optimismus in Bezug auf die künfti-ge Geschäftsentwicklung, und auch die Umsatzerwartun-gen wurden nun etwas vorsichtiger gesehen. Per saldo je-des zehnte Unternehmen rechnet aber noch mit steigendenUmsätzen in den nächsten Monaten. Der Beschäftigtenab-bau hat sich offenbar im Berichtszeitraum verstärkt (– 11/2%).

Über einen enttäuschenden Geschäftsverlauf berichtetenerneut die Testteilnehmer aus dem Bereich System-/Net-

work Operation3 (Facilities Management, Outsourcing), persaldo jedes vierte Unternehmen empfand die aktuelle Lagenegativ. Die Umsätze lagen noch deutlicher unter dem Standdes Vorjahres, zur weiteren Entwicklung hielten sich positi-ve und negative Stimmen lediglich die Waage. Die Ge-schäftserwartungen für das zweite Halbjahr lassen zwar nochOptimismus erkennen, das Vertrauen hat aber auch hiernachgelassen. Das Geschäftsklima rutschte erstmalig in dieUnterkühlungszone. Die Zahl der Beschäftigten sank mit– 3% überdurchschnittlich.

Auch die Sparte Processing und Network Services4 beur-teilte die Geschäftssituation vermehrt negativ. Nachfrage undUmsätze gingen verstärkt zurück, die Urteile über die Auf-tragsreserven verschlechterten sich aber nicht weiter. DerBeschäftigtenabbau verstärkte sich. Hoffnungen auf eineWende zum Besseren sind durchaus in Sicht, bei der Ein-schätzung der Perspektiven gewannen die optimistischenStimmen wieder die Oberhand. Auch hoffen die Firmen aufUmsatzsteigerungen im dritten Quartal, die Firmen äußer-ten sich mit zaghafter Zuversicht – nachdem in den beidenVorquartalen noch die Skepsis überwog.

Bei deutlich rückläufigen Bestelleingängen (per saldo – 46%)und Umsatzeinbußen (per saldo – 52%) überwogen auchin der Sparte Environmental Services5 klar die negativen Ge-schäftslageurteile. 60% der Testteilnehmer beurteilten dieAuftragsreserven als zu klein, zwei von drei kritisierten dieunzureichende Nachfrage. Die im Vorquartal aufkommen-

39

-1.8 60 6 8 7

-1.4 59 4 7 4

-3.1 57 10 4 7

-2.3 50 4 7 1

-1.9 66 1 3 3

-1.6 56 3 6 0

-2.0 68 7 4 9

2. Quartal 2002

BereichBeurteilung und Entwicklung im Berichtsquartal Erwartungen

Geschäftslage Umsatz Umsatz Auftragseingang Auftragsvolumen Behinderung der Umsatz Geschäftsentwickl.Beurteilung geg. Vorquartal geg.Vorjahresquartal geg. Vorquartal Beurteilung

in %

Geschäftstätigkeit

bei % der Firmen

im nächsten Quartal für 2 Quartale

Erläuterungen: Die Gesamtfläche jedes Feldes entspricht 100 % der Antworten der meldenden Firmen. Die Unterteilung gibt die unter- schiedliche Häufigkeit der Antwor- ten wieder (Firmenmeldungen in %).

gut

befr

iedi

gend

bzw

. sai

son-

üblic

h

schl

echt

höhe

r

etw

a gl

eich

gerin

ger

höhe

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Vor

quar

tal

DV-Dienstleistungen insgesamt

Consulting + Projekt-Services

System-/Network Operation

Processing und Network Services

Environmental Services

Wartung

Ausbildung und Schulung

ifo Konjunkturspiegel für DV-Dienstleistungen

Berichtszeitraum:

2 Beratung und Unterstützung bei der Beschaffung von Hard- und Software,Technologie und Systemberatung, Beratung über Systemsicherheit, Ent-wicklung von Standard-, Anwender- und Systemsoftware, Systemanaly-se und Programmierung, Systemintegration.

3 Dienstleistungen zur Übernahme von DV-Aufgaben für andere Unter-nehmen.

4 Leasing oder Vermietung von Rechenzeit, Mehrwertdienste, Datenfern-übertragungs- und Datenfernverarbeitungsdienste, Datenerfassung.

5 Dienstleister, die die Unternehmen zur Unterstützung im DV-Bereich en-gagieren können, wie z.B. Kundenunterstützung beim Betrieb und bei derProduktion, Software-Installation, Umzug und Installation von DV-Equip-ment, Bereitstellung von Vorsorge-Dienstleistungen.

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Daten und Prognosen

i fo Schne l ld ienst 18/2002 – 55. Jahrgang

de Zuversicht in Bezug auf die Geschäftsperspektiven istweitgehend abgeklungen, lediglich bei den Umsatzerwar-tungen versprechen sich die Unternehmen eine marginaleBesserung.

Als verschlechtert, aber noch zufriedenstellend wurde dieaktuelle Geschäftslage bei den Wartungsdienstleistern6 be-urteilt. Die Nachfrage zeigte sich aber auch hier äußerst zu-rückhaltend, die Umsätze verfehlten durchweg das Ergeb-nis vom Vorjahr, der Arbeitsplatzabbau hielt an. Die Auf-tragsbestände gingen verbreitet zurück, die Auftragsreser-ven galten noch häufiger als zu klein (per saldo – 45%). Ei-ne wesentliche Änderung der augenblicklichen Situationzeichnete sich offenbar für das kommende halbe Jahr nichtab, positive und negative Stimmen hielten sich lediglich dieWaage. Nur wenige Unternehmen versprechen sich höhe-re Umsätze in den nächsten Monaten, per saldo 8% der Teil-nehmer waren zuversichtlich.

Auf ein äußerst unbefriedigendes Niveau hat sich die Ge-schäftslage bei den ausbildungs- und schulungsorientiertenDienstleistern7 verschlechtert, fast die Hälfte der Testteil-nehmer beurteilte sie negativ. Die Nachfrage war außeror-dentlich schwach, die Umsätze lagen (mit per saldo – 40%)erneut deutlich unter dem vergleichbaren Vorjahreswert. Inden Geschäftserwartungen drückte sich erstmals Skepsisaus, die Umsätze werden wohl auch in den nächsten Mo-naten weiter zurückgehen. Der Stellenabbau verstärkte sich,einen weiteren Personalabbau erwartet die Mehrzahl derTestteilnehmer.

40

6 Kostenpflichtige Wartungsdienstleistungen für DV-Equipment, wie z.B. Re-paratur, Installation, Abbau, vorbeugende Wartung.

7 Kostenpflichtige Schulungs- und Trainingsleistungen, die im Hause desAnbieters, beim Kunden oder bei Dritten erbracht werden und die dazubenötigten Schulungsunterlagen.

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im Internet: http://www.ifo.de

ifo Institut für Wirtschaftsforschung

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