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2011 Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München Zur Diskussion gestellt Jörg Asmussen, Gunther Schnabl Umbruch im Weltwährungssystem: Sollte die Zeit freier Wechselkurse beendet werden? Forschungsergebnisse Hans-Dieter Karl Die volkswirtschaftliche Bedeutung der Energiewirtschaft Daten und Prognosen Erich Gluch und Ludwig Dorffmeister Steigende Wohnungsbaunachfrage stimuliert deutsches Bauvolumen Arno Städtler und Joachim Gürtler Ausrüstungsinvestitionen boomen – Leasing holt kräftig auf Matthias Balz Branchen im Blickpunkt: Der deutsche Markt für ökologische Lebensmittel Im Blickpunkt Jana Lippelt, Janina Ketterer und Giovanni Ruta Kurz zum Klima: Ein Rucksack voller Kohlenstoff Klaus Abberger ifo Konjunkturtest März 2011 ifo Schnelldienst 64. Jg., 13.–14. KW, 8. April 2011 7

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2011

Institut fürWirtschaftsforschungan der Universität München

Zur Diskussion gestelltJörg Asmussen, Gunther SchnablQ Umbruch im Weltwährungssystem:

Sollte die Zeit freier Wechselkurse beendet werden?

ForschungsergebnisseHans-Dieter KarlQ Die volkswirtschaftliche Bedeutung der Energiewirtschaft

Daten und PrognosenErich Gluch und Ludwig DorffmeisterQ Steigende Wohnungsbaunachfrage stimuliert

deutsches Bauvolumen

Arno Städtler und Joachim GürtlerQ Ausrüstungsinvestitionen boomen –

Leasing holt kräftig auf

Matthias BalzQ Branchen im Blickpunkt:

Der deutsche Markt für ökologische Lebensmittel

Im BlickpunktJana Lippelt, Janina Ketterer und Giovanni RutaQ Kurz zum Klima: Ein Rucksack voller Kohlenstoff

Klaus AbbergerQ ifo Konjunkturtest März 2011

ifo Schnelldienst64. Jg., 13.–14. KW, 8. April 2011

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ISSN 0018-974 X

Herausgeber: ifo Institut für Wirtschaftsforschung e.V., Poschingerstraße 5, 81679 München, Postfach 86 04 60, 81631 München,Telefon (089) 92 24-0, Telefax (089) 98 53 69, E-Mail: [email protected]: Dr. Marga Jennewein.Redaktionskomitee: Prof. Dr. Dr. h.c. Hans-Werner Sinn, Dr. Christa Hainz, Annette Marquardt, Dr. Chang Woon Nam,Dr. Gernot Nerb, Dr. Wolfgang Ochel.Vertrieb: ifo Institut für Wirtschaftsforschung e.V.Erscheinungsweise: zweimal monatlich.Bezugspreis jährlich:Institutionen EUR 225,– Einzelpersonen EUR 96,–Studenten EUR 48,–Preis des Einzelheftes: EUR 10,–jeweils zuzüglich Versandkosten. Layout: Pro Design.Satz: ifo Institut für Wirtschaftsforschung e.V.Druck: Majer & Finckh, Stockdorf.Nachdruck und sonstige Verbreitung (auch auszugsweise): nur mit Quellenangabe und gegen Einsendung eines Belegexemplars.

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Umbruch im Weltwährungssystem:Sollte die Zeit freier Wechselkurse beendet werden?

Im November dieses Jahres sollen auf dem G-20-Gipfel in Cannes Vorschläge zurReform des internationalen Währungssystems vorgelegt werden. Wie sollte ein zu-künftiges globales Wechselkursregime gestaltet werden? Jörg Asmussen, Staats-sekretär im Bundesministerium der Finanzen, unterstreicht, dass aus Sicht des Bun-desfinanzministeriums ein System fester Wechselkurse oder von Wechselkursziel-zonen abzulehnen ist. Europa habe mit den Wechselkurszielzonen des Europäi-schen Wechselkurssystems in der Vergangenheit ausreichend Erfahrungen gesam-melt. Stattdessen könnten Reformmaßnahmen, z.B. eine Stärkung der IWF-Über-wachungsmechanismen, eine verbesserte Kooperation bei der Steuerung globalerKapitalflüsse sowie ein Fahrplan zur Integration weiterer Währungen wie des chine-sischen Renminbis in den SZR-Währungskorb helfen, in einem flexibleren weltwei-ten Wechselkursregime die Volatilität zu verringern, und dazu beitragen, dass Wech-selkurse stärker die Fundamentaldaten der Volkswirtschaften widerspiegeln. Dieswürde auch einen Beitrag zu einem geordneten Abbau der globalen Ungleichge-wichte leisten. Nach Ansicht von Gunther Schnabl, Universität Leipzig, sollte derKern der Reformen zunächst nicht bei den optimalen Wechselkursstrategien derPeripherieländer liegen, sondern bei der Frage, wie der geldpolitische Kurs der USAim Interesse der ganzen Welt diszipliniert werden kann. Die Antwort könnte in einerNeuausrichtung der Wechselkurse Ostasiens am Euro liegen. Eine informelle Bin-dung aller ostasiatischer Währungen an den Euro wäre vielversprechend, weil einexterner Anker sowohl für Japan als auch für China politisch akzeptabel sei. Undauch für Europa wäre die »informelle Fernosterweiterung« der Eurozone attraktiv.Unter anderem wäre der Zwang, dem geldpolitischen Kurs der US-Fed zu folgen, imerweiterten informellen Euroraum deutlich gemindert.

Die volkswirtschaftliche Bedeutung der EnergiewirtschaftHans-Dieter Karl

Die ausreichende und beständige Verfügbarkeit von Energie ist für hoch entwi-ckelte Industrieländer eine unabdingbare Voraussetzung für ihre wirtschaftlicheEntwicklung. Das gilt für alle Bereiche einer modernen Volkswirtschaft, vom Pro-duktionssektor über den Transport- und den Dienstleistungssektor bis hin zu denprivaten Haushalten. Durch die Verwendung von Energie in ihren verschiedenenFormen ist es zusammen mit dem Einsatz anderer Produktionsfaktoren möglich,eine anhaltende Steigerung der Arbeitsproduktivität zu erreichen, die Arbeitstei-lung weiter zu entwickeln und zu optimieren sowie den Aufwand für zeitraubendeTätigkeiten deutlich zu reduzieren. Vor dem Hintergrund des für entwickelte Volks-wirtschaften in nahezu allen Lebensbereichen notwendigen Bedarfs an Energieund ihres daraus resultierenden Stellenwerts hat das ifo Institut die volkswirt-schaftliche Bedeutung der gesamten Energiewirtschaft und insbesondere derStromversorgung untersucht. Themenschwerpunkte und wesentliche Ergebnisseder Studie werden in diesem Beitrag vorgestellt.

Steigende Wohnungsbaunachfrage stimuliert deutsches Bauvolumenin den nächsten JahrenErich Gluch und Ludwig Dorffmeister

Nach der Prognose des ifo Instituts wird die Bautätigkeit in Deutschland in den Jah-ren 2011 bis 2020 voraussichtlich nur moderat zunehmen. 2020 dürfte das Bauvo-lumen einen Umfang von rund 254 Mrd. Euro erreichen. Die erbrachten Bauleistun-gen werden dann um rund 10 Mrd. Euro über dem Wert des Jahres 2010 liegen. Für

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Forschungsergebnisse

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Daten und Prognosen

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den betrachteten Zehnjahreszeitraum ergibt sich damit ein durchschnittliches jährli-ches Wachstum von lediglich knapp 1/2%. Hauptgrund für die vorhergesagte Aus-weitung der Bauaktivitäten ist die Entwicklung im Wohnungsbau. In dieser Teilspar-te dürfte sich das Bauvolumen in den nächsten zehn Jahren um durchschnittlichknapp 1% p.a. erhöhen. Die gewerblichen Bauausgaben dürften im Prognosezeit-raum hoch bleiben, aber nicht wesentlich zunehmen.

Ausrüstungsinvestitionen boomen und treiben den XXL-Aufschwung –auch das Leasing holt kräftig aufArno Städtler und Joachim Gürtler

Die Verbesserung des Geschäftsklimas hat auch die Leasingbranche erreicht. Persaldo berichtete im März 2011 jeder fünfte Testteilnehmer über eine gute Ge-schäftslage, und jeder zweite erwartet, dass sich die Erholungsphase auch in dennächsten Monaten fortsetzen wird. Der ifo/BDL Investitionsindikator zeigt für dieAusrüstungsinvestitionen 2010 im Jahresdurchschnitt ein Plus von 8,6%. Der Auf-wärtstrend dürfte 2011 weiter bestehen.

Branchen im Blickpunkt: Der deutsche Markt für ökologische LebensmittelMatthias Balz

Die Nachfrage nach Lebensmitteln, die gemäß ökologischen Richtlinien erzeugtwerden, wächst kontinuierlich. Die heimische Erzeugung kann mit dieser Entwick-lung nicht Schritt halten. Dafür stellen zu wenige Bauern auf eine ökologische Land-wirtschaft um. Für die Marktversorgung in Deutschland waren deshalb 2010 zu ca. 50% Importe notwendig. Die deutschen Einfuhren von Bio-Waren haben sich in-nerhalb der letzten drei Jahre nahezu verdoppelt. Der Deutsche Bauernverband hatindessen zum klaren Ziel erklärt, den Wachstumsmarkt Bio-Nahrungsmittel nichtden Importeuren überlassen zu wollen; er fordert hierfür Verlässlichkeit bei agrarpo-litischen Rahmenbedingungen sowie regionalen Bezugspartnerschaften.

Kurz zum Klima: Ein Rucksack voller KohlenstoffJana Lippelt, Janina Ketterer und Giovanni Ruta

Die Frage, was Kohlenstoffemissionen verursacht, wurde in verschiedenen Studi-en und mit zahlreichen Berechnungsmethoden untersucht. Der vorliegende Kurz-zum-Klima-Artikel widmet sich der Frage: Wer verursacht Emissionen? Diese Fra-gestellung kann aus zwei verschiedenen Perspektiven betrachtet werden. Zum ei-nen können Emissionen unter Verwendung eines produktionsbasierten Ansatzesberechnet werden. Alle Emissionen eines Landes, die bei der Verbrennung fossi-ler Brennstoffe entstehen, werden dem jeweiligen Land zugeschlagen. Der kon-sumbasierte Ansatz geht vom Konsum eines Landes aus und berechnet, welcheEmissionen bei der Herstellung dieser Güter und Dienstleistungen entstandensind. Der Vergleich des produktions- und des konsumbasierten Ansatzes bietetinteressante Einblicke.

ifo Konjunkturtest März 2011 in KürzeKlaus Abberger

Das ifo Geschäftsklima für die gewerbliche Wirtschaft Deutschlands hat sich imMärz sehr leicht eingetrübt, nachdem es sich zuvor neunmal in Folge verbesserthatte. Der kleine Rückgang resultiert aus etwas weniger optimistischen Erwartun-gen der Befragungsteilnehmer. Dennoch bleiben die Unternehmen in Deutschlandhinsichtlich des Geschäftsverlaufs im kommenden halben Jahr sehr zuversicht-lich. Die momentane Geschäftslage bewerten die Firmen abermals vermehrt alsgut. Auch die Arbeitsmarktperspektiven sind weiterhin hervorragend.

Im Blickpunkt

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Die G-20-Arbeiten für einstabileres und krisen-festeres internationalesWährungssystem

Ausgangslage

Die Regelung der internationalen Wäh-rungs- und Finanzbeziehungen ist eine der zentralen Ordnungsaufgaben in einerglobalisierten Welt. Der InternationaleWährungsfonds (IWF) definiert das inter-nationale Währungssystem als die Regelnund Institutionen, die einen Ordnungsrah-men für internationale Zahlungsströme bil-den. Dieser Rahmen beinhaltet die Wech-selkurse, internationale Währungsreser-ven, laufende Zahlungen, wie z.B. Ent-wicklungshilfe, sowie Kapitalströme allerArt. Ziel des Systems ist es, zu ausge-wogenem Wirtschaftswachstum beizu-tragen, eine möglichst hohe Wechselkurs-stabilität zu gewährleisten sowie die An-passung einer Volkswirtschaft an mone-täre und realwirtschaftliche Schocks zuerleichtern. Da es makroökonomisch nichtmöglich ist, dass offene Volkswirtschaf-ten gleichzeitig über feste Wechselkurse,geldpolitische Souveränität und freien Ka-pitalverkehr verfügen, sind die Staaten iminternationalen Währungsverbund immergezwungen, auf Teile ihrer wirtschafts-und finanzpolitischen Souveränität zu ver-zichten.

In diesem Spannungsfeld ist das interna-tionale Währungssystem gegenwärtig zumeinen durch flexible Wechselkurse derwichtigsten Währungen der Industrielän-der geprägt, deren Wechselkurse sich freidurch Nachfrage und Angebot an den De-visenmärkten ergeben (insbesondere US-Dollar, Euro, Yen). Zum anderen lassen vie-le Schwellenländer den Wechselkurs ihrerWährung gegenüber wichtigen Leitwäh-rungen, allen voran dem US-Dollar, nur ineiner festgelegten Bandbreite schwankenoder fixieren diesen sogar vollständig.

Aus Sicht der ökonomischen Theorie lässtsich dabei kein grundsätzlich »optimales«Wechselkurssystem herleiten – zu sehrhängt die Wahl von den einem jeden Landeigenen makroökonomischen Rahmen-bedingungen und Herausforderungen ab.Aus Sicht des IWF gehen insbesonderein Schwellenländern weniger flexible Re-gime längerfristig tendenziell mit niedrige-rer Inflation und stärkerem Wachstum ein-her. Auf der anderen Seite sind fixe Wech-selkursregime tendenziell anfälliger für Fi-nanzkrisen. Zudem zeigt die Empirie deut-lich, dass fixe Wechselkurse vor allem inSchwellenländern mit niedrigem Einkom-men den Aufbau dauerhafter Leistungs-bilanzungleichgewichte begünstigen. Sohält beispielsweise China seine Währungvor allem zur Unterstützung eines export-orientierten Wachstumsmodells künstlichunterbewertet und baut als Konsequenzdaraus immense Währungsreserven auf.Diese haben mittlerweile eine Höhe vonrund 3 Billionen US-Dollar erreicht. DieWahl des Wechselkursregimes beinhaltetalso schon aus Sicht des jeweiligen Lan-des bzw. Währungsraums immer eine Ab-wägung zwischen den Zielen nominalerStabilität und nachhaltigen Wachstums,der Minimierung des Risikos von Finanz-und Währungskrisen sowie der Anpas-sungsfähigkeit an externe Ungleichge-wichte. Darüber hinaus gilt es, angesichtsimmer weiter steigender globaler Güter-und Kapitalströme und der damit verbun-denen Zunahme von Spillover-Effektenzwischen den Staaten bzw. Währungs-räumen viel stärker als in der Vergangen-heit das gemeinsame Interesse der Staa-tengemeinschaft zu berücksichtigen. Ge-rade große offene (»systemisch relevan-te«) Volkswirtschaften haben hier eine be-sondere Verantwortung. Unter dem Ein-druck der jüngsten Finanz- und Wirt-schaftskrise und der sich derzeit wiederspürbar verstärkenden Ungleichgewich-

Wechselkurse beendet werden? Umbruch im Weltwährungssystem: Sollte die Zeit freier

Im November dieses Jahres sollen auf dem G-20-Gipfel in Cannes Vorschläge zur Reform des in-

ternationalen Währungssystems vorgelegt werden. Wie sollte ein zukünftiges globales Wechsel-

kursregime gestaltet werden?

Jörg Asmussen*

* Jörg Asmussen ist Staatssekretär im Bundesmi-nisterium der Finanzen.

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te sollte die Abwägung deshalb deutlich in Richtung einerweiteren Flexibilisierung der Wechselkursregime besondersin den Schwellenländern gehen, zu groß sind die Kosten glo-baler Krisen letztlich für alle Länder dieser Welt.

Obwohl das Weltwährungssystem seit dem Zusammen-bruch des Bretton-Woods-Systems Anfang der 1970er Jah-ren recht gut funktioniert hat, haben sich über die Jahre dieAnzeichen von Schwäche und Instabilität vermehrt – ins-besondere sind dies die sehr hohen und volatilen Kapital-flüsse, Wechselkursbewegungen, die nicht im Einklang mitden Fundamentaldaten einer Volkswirtschaft stehen, einegroße Unsicherheit über die Verfügbarkeit internationalerLiquidität in Zeiten von Finanzkrisen sowie nicht zuletzt derAufbau hoher und dauerhafter globaler Ungleichgewichteverbunden mit der Anhäufung immenser Währungsreservenin einigen Ländern. Das internationale Währungssystem weistderzeit keine Mechanismen auf, die eine automatische Kor-rektur dieser globalen Ungleichgewichte ermöglichen wür-den. Ebenso schwierig gestaltet sich die Steuerung deszunehmenden Stroms (kurzfristiger) Kapitalflüsse. GeradeDeutschland, das eine hohe wirtschaftliche Vernetzung mitdem Rest der Welt aufweist, ist auf das reibungslose Funk-tionieren internationaler Zahlungsströme fundamental ange-wiesen. Ein stabiler Ordnungsrahmen für das globale Finanz-und Währungssystem ist im ureigensten Interesse unseresLandes.

Die zunehmende Komplexität des Systems erhöht das Ri-siko, dass sich im Falle von Krisen die Auswirkungen schnellüber den Globus ausbreiten und somit die wirtschaftlichenund sozialen Erfolge einer zunehmend globalisierten Weltin Frage stellen. Dies zeigt, dass der alleinige Blick aufdas jeweilige Wechselkursregime oder auf bilaterale Wech-selkursprobleme sowohl bei der Analyse der derzeitigenProbleme sowie bei der Entwicklung geeigneter Reform-maßnahmen zu kurz greift. Was notwendig ist, ist viel-mehr ein breiter Blick auf das gesamte internationale Wäh-rungssystem.

Auftrag der G-20

Die G-20-Staats- und Regierungschefs haben sich genaudas zur Aufgabe gemacht. Arbeiten an der Entwicklung ei-nes stabileren und krisenfesteren internationalen Währungs-systems sind daher ein zentrales Schwerpunktthema derdiesjährigen französischen G-20-Präsidentschaft. Ausgangs-punkt ist das Bekenntnis vom Seoul-Gipfeltreffen im Novem-ber 2010 zu flexibleren Wechselkursen, welche stärker dieökonomischen Fundamentaldaten widerspiegeln. Deutsch-land unterstützt die französische G-20-Präsidentschaft beidiesem Thema aktiv und hat gemeinsam mit Mexiko denVorsitz einer entsprechenden Arbeitsgruppe »Reform of theInternational Monetary System« übernommen. Im Zentrum

stehen das Management von globalen Kapitalflüssen so-wie globales Liquiditätsmanagement. Hierzu sollen Reform-schritte und -maßnahmen diskutiert werden, die nach Ver-abschiedung durch die G-20-Finanzminister und Zentral-bankgouverneure im Oktober den Staats- und Regierungs-chefs zum G-20-Gipfeltreffen im November 2011 in Canneszur politischen Entscheidung vorgelegt werden können. Zent-rale Ansatzpunkte für die Arbeit sind das Management vo-latiler Kapitalflüsse, die Weiterentwicklung lokaler Bondmärk-te, die zukünftige Rolle der Sonderziehungsrechte beim IWF,finanzielle Sicherheitsnetze bei Finanz- und Währungskrisen(»financial safety nets«) sowie eine Überprüfung der Über-wachungsmechanismen des IWF (»surveillance«). Die Arbei-ten sollen damit über reine Wechselkursfragen deutlich hin-ausgehen.

Steuerung globaler Kapitalflüsse

Ausgangspunkt für die Arbeiten sind die derzeit erhebli-chen Kapitalzuflüsse in einige Schwellenländern, die vor al-lem auf die rasche und starke wirtschaftliche Erholung in die-sen Ländern bei gleichzeitigem verhaltenem Wachstum ineinigen entwickelten Volkswirtschaften zurückzuführen sind.Übermäßige Kapitalflüsse können zu Überhitzung und zurEntstehung von Vermögenspreisblasen führen. Eine solcheEntwicklung ist aktuell in einigen Schwellenländern wie Chi-na oder Brasilien zu beobachten und wird vom IWF als ei-nes der zentralen Risiken für den globalen Aufschwung an-gesehen. Zudem kann es zu einem plötzlichen Kapitalab-fluss im Krisenfall kommen. Nicht zuletzt kann ein Land durchhohe Kapitalzuflüsse zu Politiken gezwungen sein, die ma-kroökonomisch kontraproduktiv sind. So musste die Türkeijüngst zur Eindämmung von Kapitalzuflüssen die Leitzinsensenken, obwohl Inflationsgefahren eher eine Straffung derGeldpolitik notwendig gemacht hätten.

Kapitalzuflüsse können darüber hinaus die Wettbewerbs-fähigkeit der betroffenen Schwellenländer senken, weil durchdie Aufwertung der Währung eine Verteuerung der eigenenExporte ausgelöst wird. Das gilt umso mehr, wenn andereSchwellenländer feste Wechselkurse beibehalten. Als Re-aktion auf die starken Aufwertungen ihrer Währungen ha-ben einige Schwellenländer Kapitalverkehrskontrollen ein-geführt, die den Zufluss ausländischen Kapitals erschwe-ren oder sogar verhindern. So hat Brasilien im Angesichteiner deutlichen Aufwertung des Real im Oktober 2009 ei-ne Steuer auf kurzfristige Kapitalzuflüsse für Portfolioinves-titionen wieder eingeführt und die Steuer auf Auslandskapi-tal, das in Anleihen des Landes investiert wird, zuletzt deut-lich erhöht.

Ein Ziel der Arbeiten im Kreis der G-20 ist es daher, eineninternationalen Konsens zum Umgang mit Kapitalströmenzu entwickeln. Nach Ansicht des IWF sowie vieler entwickel-

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Zur Diskussion gestellt

ter Volkswirtschaften sollte das Prinzip der Kapitalverkehrs-freiheit möglichst wenig eingeschränkt werden. Idealerwei-se sollten Länder im Umgang mit internationalen Kapital-strömen zunächst eine angemessene Geld-, Fiskal- undWährungspolitik sowie ggf. zusätzliche finanzaufsichtlicheund regulatorische Maßnahmen ergreifen, ohne ausländi-sche Kapitalzuflüsse zu diskriminieren. Nur als letztes Mit-tel der Wahl sollte auf Kapitalverkehrskontrollen zurückge-griffen werden. Hierbei ist auch angedacht, die Rolle desIWF zu stärken, indem dieser einen größeren Schwerpunktauf die Analyse von Kapitalverkehrsströmen legt. Aus deut-scher Sicht wäre es wünschenswert, sich innerhalb der G-20 auf Richtlinien zum Umgang mit internationalen Kapi-talströmen zu einigen. Hier ist allerdings – wie auch bei derVerankerung solcher Richtlinien beim IWF – entschiedenerWiderstand mancher Schwellenländer zu konstatieren, dieeinen Eingriff in ihre wirtschaftspolitische Autonomie fürch-ten. Die Analyse sollte daher auch auf die Rolle der netto-kapitalexportierenden Länder und das Verhalten der entwi-ckelten Volkswirtschaften eingehen. Nicht zuletzt geht esdann auch um eine Bewertung der makroökonomischen Po-litik in den entwickelten Volkswirtschaften hinsichtlich ihrerAuswirkungen auf Kapitalflüsse, insbesondere wenn derenWährung einen internationalen Reservecharakter aufweist,wie zum Beispiel die jüngsten geldpolitischen Maßnahmender US-amerikanischen Notenbank (»quantitative easing«).

Darüber hinaus soll im Rahmen dieses Arbeitsstrangs dieEntwicklung lokaler Anleihe- und Kapitalmärkte in Schwel-len- und Entwicklungsländern vorangetrieben werden. Diessoll zum einen die Notwendigkeit dieser Länder zur Verschul-dung in Fremdwährung reduzieren, indem die Vorausset-zungen zur Ausgabe von Staatsanleihen in der heimischenWährung verbessert werden. Zum anderen gilt es, die Auf-nahmefähigkeit der heimischen Finanzsektoren für Kapital-flüsse zu erhöhen, zum Beispiel durch die Verbesserung dernationalen Regulierung und Aufsicht.

Globales Liquiditätsmanagement

Die Wirtschafts- und Finanzkrise hat gezeigt, dass Liquidi-tät in einer globalisierten Welt mit eng miteinander verknüpf-ten Volkswirtschaften und Finanzmärkten im globalen Kon-text analysiert werden muss und national ausgerichtete Po-litiken erhebliche Auswirkungen auf den Rest der Welt ha-ben können. Ausgangspunkt der G-20-Arbeiten sind da-her die Fragen einer angemessenen Definition sowie einesgeeigneten Maßes für globale Liquidität im Zusammenhangstaatlicher Liquiditätssteuerung. Eine wichtige Frage ist da-bei die Angemessenheit der Höhe der internationalen Wäh-rungsreserven eines Landes. Sowohl die stabilisierende Rol-le von Reserven als auch mögliche negative Auswirkungenwie eine hohe Anfälligkeit gegenüber Wechselkursschwan-kungen und ihr Beitrag zum Aufbau globaler Ungleichge-

wichte werden hier genau analysiert werden. Eng damit ver-bunden ist auch die Frage der Diversifizierung von Wäh-rungsreserven. So hat China ohne Zweifel ein großes Inte-resse daran, Teile seiner US-Dollar Reserven von weit über1 Billion nach und nach in andere Währungen umzuschich-ten. Dies führt zu möglichen Szenarien einer größeren Mul-tipolarität der Reservewährungen sowie der Frage nach derRolle, die die Sonderziehungsrechte beim IWF (SZR) als Re-servewährung spielen könnten. Auch hier müssen möglicheVorteile und Risiken sorgfältig abgewogen werden. Insbe-sondere gilt es, die Unabhängigkeit der Zentralbanken oh-ne Einschränkung zu respektieren. Dies zeigt, dass derKunstwährung des IWF als internationale Reservewährungsehr enge Grenzen gesetzt sind. Darüber hinaus wird, aus-gehend von den bisherigen Arbeiten im Bereich der finan-ziellen Sicherheitsnetze, dem Auftrag der G-20-Staats- Re-gierungschefs in Seoul folgend, ausgelotet werden, wie wirzukünftig noch besser auf systemische Finanz- und Wäh-rungskrisen reagieren können.

Überwachungsmechanismen des IWF (»surveillance«)

Eine besondere Rolle kommt im Zusammenhang aller Ar-beiten zur Reform des internationalen Währungssystemsdem IWF zu. Der IWF stellt nicht nur seine ausgezeichneteExpertise zur Verfügung, sondern hat auch eine entschei-dende Aufgabe zu erfüllen. Im Rahmen seiner Überwa-chungsfunktion gilt es, das Verhalten seiner Mitgliedstaa-ten sowohl bi- als auch multilateral zu analysieren und da-mit die Umsetzung und Durchsetzung der vereinbarten Re-gelungen zu kontrollieren. In diesem Zusammenhang wirddem IWF in Zukunft wohl noch stärker als heute auch einegewisse »Lotsenfunktion« zukommen müssen, da viele derzentralen Spannungsfelder im Bereich des internationalenWährungssystems sehr sensible nationale Politikbereicheberühren. Ein zentrales Beispiel ist die fundamentale Fragenach den Ursachen und möglichen Ansatzpunkten zum Ab-bau der globalen Leistungsbilanzungleichgewichte. Die zen-trale Konfliktlinie besteht hier zwischen China einerseits, daseine Diskussion um die Angemessenheit ihrer Währungsre-serven und die Unterbewertung seiner Währung fürchtet,und einiger Industrieländer andererseits, die eine abnehmen-de Bedeutung des US-Dollar als Reservewährung fürchtenund gleichzeitig China zu einer rascheren Aufwertung sei-ner Währung drängen wollen.

Fazit

Allein dieser kurze und unvollständige Problemaufriss zeigtdeutlich, dass es ein langer Weg sein wird, bis im Novem-ber dieses Jahres auf dem G-20-Gipfel in Cannes konkre-te Ergebnisse zur Reform des internationalen Währungssys-

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tems vorgelegt werden können. Wichtig ist, von vornhereinrealistische Erwartungen an die Ergebnisse zu stellen. Na-türlich kann es nicht gelingen, innerhalb einiger Monate ein-vernehmlich eine neue globale Währungsordnung zu ent-wickeln und diese umzusetzen. Dies ist aber auch nicht not-wendig. Es geht vielmehr um die Stärkung des bestehen-den Systems durch ein Bündel von Verbesserungen einzel-ner Elemente mit dem Ziel, das System als Ganzes wider-standsfähiger gegen zukünftige Krisen zu machen. Aus heu-tiger Perspektive sind dahingehend durchaus substanzielleErgebnisse in Reichweite, wie zum Beispiel eine Stärkungder IWF-Überwachungsmechanismen, eine verbesserte Ko-operation bei der Steuerung globaler Kapitalflüsse, Verfei-nerungen bestehender finanzieller Sicherheitsnetze, ein Fahr-plan zur Integration weiterer Währungen wie des chinesi-schen Renminbis in den SZR-Währungskorb sowie die Ent-wicklung und Stärkung lokaler Anleihe- und Kapitalmärktein Schwellen- und Entwicklungsländern.

Ich möchte abschließend den Zusammenhang zur anfangsgestellten, übergeordneten Frage wieder aufgreifen, welchesWechselkursregime für die Zukunft anzustreben ist. Ein Sys-tem fester Wechselkurse oder von Wechselkurszielzonen istaus Sicht des Bundesfinanzministeriums ganz klar abzu-lehnen. Dies wäre auch nicht durchsetzbar, man brauchtsich nur die Reaktion der Finanzmärkte vorzustellen, diebei ersten Spannungen in einem solchen System dieses tes-ten würden. Europa hat mit den Wechselkurszielzonen desEuropäischen Wechselkurssystems in der Vergangenheitausreichend Erfahrungen damit gesammelt. Stattdessenkönnen die in diesem Artikel skizzierten Reformmaßnahmeninsgesamt helfen, in einem tendenziell flexibleren weltweitenWechselkursregime die Volatilität zu verringern und dazu bei-tragen, dass Wechselkurse stärker die Fundamentaldatender Volkswirtschaften widerspiegeln. Dies würde aus mei-ner Sicht auch einen wesentlichen Beitrag zu einem geord-neten Abbau der globalen Ungleichgewichte leisten. Nichtzuletzt würden wir dadurch auf dem Weg zu einem stärkermultipolaren und damit tendenziell krisenresistenteren Wäh-rungssystem einen deutlichen Schritt vorankommen, indemneben dem US-Dollar und dem Euro zukünftig etwa auchder chinesische Renminbi eine größere Rolle spielt. Die G-20 sind genau das richtige Forum, um solche Maßnah-men global zu vereinbaren und einvernehmlich umzusetzen.

Die Fernosterweiterung der informellenEurozone als währungspolitischesDruckmittel

Die globalen Güter-, Finanz- und Währungsmärkte sind in-stabil geworden. Wurde in der ersten Hälfte des neuen Jahr-tausends unter dem Stichwort »große Moderation« noch dasEnde von Inflationsdruck und zyklischen Schwankungen ge-feiert, werden seit dem Ausbruch der globalen Finanz- undWirtschaftskrise immer größere geld- und finanzpolitischeRettungsaktionen nötig, um die Welt im Gleichgewicht zuhalten. Im Zentrum der Turbulenzen steht der US-amerika-nische Dollar. Als dominierende internationale Währung giltdieser nicht nur als sicherer Hafen in Krisenzeiten, sonderndessen Glaubwürdigkeit und Stabilität wird auch durch dieimmense monetäre Expansion der Federal Reserve Bankunterminiert.

Ausgehend von den USA ist eine neue ungeheure Welle vonCarry Trades angelaufen, die in den Rohstoffmärkten undden aufstrebenden Märkten am Rande des Weltwährungs-systems neue Boom-und-Krisen-Zyklen ankündigt. Die glo-bale Angst vor Finanzmarktinstabilität und Inflation lässt dieForderung nach einem stabilen Anker im Zentrum eines neu-en Weltwährungssystems lauter werden. Denn spätestensseit der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise gelten flexi-ble Wechselkurse nicht mehr als Allheilmittel gegen Krisenund für geldpolitische Unabhängigkeit.

Mehr als zehn Jahre nach der Asienkrise ist klar, dass fle-xible Wechselkurse nicht – wie vom IWF vertreten (Fischer2001) – ein Versicherungsmechanismus gegen Krisen sind.Die südostasiatischen Staaten hatten vor der Krise festeWechselkursstrategien verfolgt, um über Kapitalzuflüsseund Export den wirtschaftlichen Aufholprozess zu be-schleunigen. Starke Kapitalzuflüsse, die am südostasiati-schen Wirtschaftswunder partizipieren wollten, wurdendurch Devisenmarktinterventionen in übermäßige inländi-sche monetäre Expansion übersetzt. Überinvestition, Spe-

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Gunther Schnabl*

* Prof. Dr. Gunther Schnabl ist Direktor des Instituts für Wirtschaftspolitik ander Universität Leipzig.

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kulation und die Krise waren die Folgen. Die unter ande-ren vom IWF forcierte wirtschaftspolitische Implikation warzweifach. Zum einen sollten flexible Wechselkurse dasWechselkursrisiko erhöhen und so spekulative Kapitalzu-flüsse reduzieren. Zum anderen wird argumentiert, dassdie Abkehr von Festkursen den kleinen offenen Volkswirt-schaften mehr geldpolitische Unabhängigkeit ermöglicht,um auf makroökonomische Fehlentwicklungen reagierenzu können (vgl. Bernanke et al. 2011).

Beides ist nicht der Fall! Zum einen ist in einem Umfeld glo-baler Überschussliquidität – wie es spätestens seit der Jahr-tausendwende zu beobachten ist – Wechselkursflexibilitätkein Versicherungsmechanismus gegen spekulative Kapi-talzuflüsse. Der Übergang einiger aufstrebender Volkswirt-schaften zu flexiblen Kursen – wie zum Beispiel Südkoreaseit der Asienkrise – hat vielmehr zu spekulativen Kapital-zuflüssen beigetragen, da risikolose Währungswetten mög-lich wurden. Wenn Spekulanten sich zu nahe null in den gro-ßen Volkswirtschaften finanzieren und zu höheren Zinsen inder aufstrebenden Volkswirtschaften anlegen können, danngesellen sich zu den renditeträchtigen Carry Trades beträcht-liche Aufwertungsgewinne. Dies gilt umso mehr, wenn Auf-wertungen öffentlich angekündigt werden. So begünstigtebeispielsweise die von den USA erzwungene graduelle Auf-wertung des chinesischen Yuan gegenüber dem Dollar zwi-schen 2005 und 2008 trotz Kapitalverkehrskontrollen im-mense spekulative Kapitalzuflüsse (vgl. McKinnon undSchnabl 2009). Ostasien blieb trotz mehr Wechselkursflexi-bilität seit der Krise nicht von spekulativen Kapitalzuflüssenverschont. Der Anstieg der Devisenreserven hat sich viel-mehr beschleunigt.

Zwar lernten die ostasiatischen Zentralbanken dahingehendaus der Krise, dass sie die aus der Akkumulierung von De-visenreserven resultierende Geldmengenexpansion neutra-lisierten. Doch entstanden auf der Grundlage nicht-markt-basierter Sterilisierung neue Verzerrungen, insbesondere imchinesischen Exportsektor (vgl. Schnabl 2010). Seit der Jahr-tausendwende absorbierten die Peoples Bank of China undandere Zentralbanken in der Region Überschussliquiditätdurch den Verkauf von Zentralbankwertpapieren oder dieErhöhung von Mindestreserven. Da eine marktbasierte Ste-rilisierung das Zinsniveau nach oben treibt und neue Kapi-talzuflüsse nach sich ziehen würde, erfolgt die Sterilisierungper Zwang unter dem Marktzinsniveau. Dies führt einer-seits zur Fragmentierung des inländischen Kapitalmarktes,da die Zinsen nicht vom Markt, sondern vom Staat bestimmtwerden. Andererseits eröffnet es die Möglichkeit, über einenstaatlich kontrollierten Bankensektor billige Kredite in die po-litische gewünschte Richtung zu lenken. In China dürftedas vor allem der Exportsektor sein, was zu den bekanntenVerzerrungen der Wirtschaftsstrukturen in China und denUSA geführt hat. Kompetitive Zinssenkungen (statt kom-petitiver Abwertungen) sind die Folge.

Drittens ist klar, dass sich selbst Länder mit völlig flexiblenWechselkursen – zum Beispiel das Eurogebiet – nicht vomzinspolitischen Kurs der USA isolieren können (vgl. Belkeund Schnabl 2010). Denn die Nullzinspolitik und quantitati-ve Lockerung der Federal Reserve bremsen über den Ab-wertungsdruck auf den Dollar Exporte und Wachstum derUS-amerikanischen Handelspartner. Der (potenziell) sinken-de Export erhöht bei flexiblen Wechselkursen den Druck aufdie Zentralbanken, die Zinsen ebenfalls zu senken. Der ge-minderte Inflationsdruck bei Aufwertung der inländischenWährung gibt die Rechtfertigung dazu, auch wenn dieWachstumsraten der Geldbasis einen monetären Überhangsignalisieren (vgl. Hoffmann und Schnabl 2011).

In Zeiten von Instabilität und Krisen ist es deshalb schwie-rig, trotz flexibler Wechselkurse vom geldpolitischen Kursder Économie Dominante zu isolieren (vgl. Belke und Schnabl2010). Denn setzt beispielsweise die Europäische Zentral-bank den Exit aus der Niedrigzinspolitik konsequent fort,während die Zinsen in den USA bei null verweilen, dann sinktdie internationale Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmenin der gesamten Eurozone. Zwar haben deutsche Unterneh-men gelernt mit einer starken Währung zu leben, doch dürf-ten die Exporte, Wachstum und Steuereinkommen andererEuroländer leiden. Droht aufgrund der sich verschärfendenRezession an der Peripherie der Eurozone ein Zahlungsaus-fall einzelner Länder, dann wird der Druck auf die EZB stär-ker, den Exit zu vertagen, auch wenn der Inflationsdruck imZentrum der Währungsunion steigt.

Die monetäre Expansion der großen Zentralbanken, insbe-sondere der Federal Reserve und der Bank of Japan, führtdeshalb unabhängig von Wechselkursregime zu globalemInflationsdruck und Finanzmarktinstabilität. Dies wird da-durch begünstigt, dass in globalisierten Güter- und Finanz-märkten Geldmengenausweitungen auf nationaler Ebenein großen Ländern zunächst nicht zwingend im Inland infla-tionswirksam werden. Sondern sie treiben zuerst in den Län-dern an der Peripherie des Weltwährungssystems Inflationund Boomphasen auf den Vermögensmärkten. Erst wenndort die Preise der Exportgüter ansteigen, steigen auch diePreise in den großen Volkswirtschaften. Erst dann werdendie Zinsen erhöht. Wenn allerdings Blasen in den aufstre-benden Volkswirtschaften platzen, können neue Zinssen-kungen in den Zentren die Folge sein. Dieses Reaktionsmus-ter hat das Zinsniveau in den großen Volkswirtschaften imVerlauf der letzten zwei Dekaden nahe null gebracht (vgl.Hoffmann und Schnabl 2011). Da insbesondere die USA alsgrößtes Gläubigerland derzeit nicht gewillt sind, bald ausihrem beispielslosen monetären Expansionskurs auszustei-gen, stellt sich die Frage nach einem alternativen Weltwäh-rungssystem. Der Kern der Reformen liegt zunächst nichtbei den optimalen Wechselkursstrategien der Peripherielän-der, sondern bei der Frage wie der geldpolitische Kurs derUSA im Interesse der ganzen Welt diszipliniert werden kann.

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Zur Diskussion gestellt

Derzeit konzentrieren sich die Vorschläge im Sinne vonHayek (1937), der im Lichte der kompetitiven Abwertun-gen in Folge der Weltwirtschaftskrise eine internationaleVerantwortung nationaler Geldpolitiken anmahnte, auf ei-ne Goldwährung bzw. die Hinterlegung des Dollars mit Goldnach dem Modell des Bretton-Woods-Systems. Auf die-ser Grundlage könnte die Welt in Kombination mit weitge-hend festen Wechselkursen in den kleinen offenen Volks-wirtschaften zu mehr Währungs-, Finanz- und Gütermarkt-stabilität zurückfinden. Neben technischen Bedenken dürf-te diese Option aber nicht zuletzt aufgrund der fehlendenKooperation der Vereinigten Staaten scheitern. Denn die-se haben als weltgrößtes Schuldnerland, wo sowohl derStaat als auch der private Sektor eine hohe (Auslands-)Ver-schuldung aufweisen, ein Interesse an Dollarabwertungund Inflation.

Deshalb richten sich die Erwägungen hinsichtlich eines neu-en Weltwährungssystems auf die Frage, wie die USA zu ei-ner baldigen Abkehr vom sehr expansiven geldpolitischenKurs bewegt werden können, bzw. wie Europa und die Dol-larperipherie mehr geldpolitische Unabhängigkeit gewin-nen können. Die Lösung könnte in einer Neuausrichtung derWechselkurse Ostasiens am Euro liegen, die zwei wesent-liche Vorteile gegenüber dem bestehenden dollarzentriertenSystem hätte. Erstens, die ostasiatischen Länder, deren in-ternationaler Güter- und Kapitalverkehr weitgehend dollari-siert ist und die über hohe Auslandsvermögen in Dollar ver-fügen, leiden unter der monetären Expansion in den USA.Diese treibt die spekulativen Kapitalzuflüsse und die für Chi-na aufgezeigten strukturellen Verzerrungen in Finanz- undGütermärkten. Durch die von den USA geforderte Aufwer-tung gegenüber dem Dollar würden die hohen dollar-deno-minierten Auslandsvermögen entwertet.

Zwar wünschen sich die ostasiatischen Länder aus die-sen Gründen eine Abkehr vom Dollar als Leitwährungdurch einen eigenständigen monetären Integrationspro-zess nach europäischem Muster. Doch ist dieser Weg blo-ckiert, weil es an einer ostasiatischen Ankerwährung fehlt.Der japanische Yen fällt als Anker für Ostasien aus, weildie fortdauernde Nullzinspolitik der Bank of Japan dieGlaubwürdigkeit des Yen unterminiert. Der chinesischeYuan kann bis auf weiteres nicht als Leitwährung dienen,da Kapitalverkehrskontrollen die Konvertibilität des Yuanunmöglich machen und die nicht-marktbasierten Sterili-sierungsoperationen die Finanzmärkte fragmentieren. Ei-ne internationale (Anker-)Währung muss jedoch mit frei-en, hoch entwickelten Finanzmärkten hinterlegt sein. Ei-ne informelle Bindung aller ostasiatischen Währungen anden Euro könnte hingegen vielversprechend sein, weilein externer Anker sowohl für Japan als auch für Chinapolitisch akzeptabel ist. Zudem garantiert die EuropäischeZentralbank mehr als die Federal Reserve Bank geldpoli-tische Stabilität.

Zweitens, wäre für Europa die informelle Fernosterweiterungder Eurozone attraktiv. Zwar würde die Konvertierung vonDollar- in Euroreserven kurzfristig zu Aufwertungsdruck aufden Euro führen. Doch könnte die gestiegene Nachfragenach Euro durch eine entsprechende Ausweitung der Geld-menge »wechselkursneutral« befriedigt werden. Die nichtunerheblichen Seigniorage-Gewinne könnten dazu verwen-det werden, die Bilanz der Europäischen Zentralbank zu kon-solidieren und so deren Glaubwürdigkeit zu stärken. Die Ge-winne aus der deutlichen Erweiterung des Euro-Umlaufge-biets würden auch zur Konsolidierung der nationalen Staats-haushalte der Euroländer beitragen. Zudem würde derenSensibilität für Aufwertungen gegenüber dem Dollar redu-ziert. Der Zwang dem geldpolitischen Kurs der US-Fed zufolgen wäre im erweiterten informellen Euroraum deutlichgemindert.

Die kurzfristigen Kosten für die ostasiatischen Länder sindbei einer Neuausrichtung der Währungspolitik zwar aufgrundder hohen Netzwerkeffekte zugunsten des Status quo hoch.Doch könnten diese durch den langfristigen Nutzen gerecht-fertigt sein. Der graduelle Übergang Russlands von einer ein-seitigen Dollarbindung zu einem Währungskorb mit steigen-den Gewichten für den Euro könnte als Vorbild dienen. Ei-ne Koordinierung der sich verändernden Gewichte in denostasiatischen Währungskörben würde die Übergangskos-ten weiter reduzieren, da die intraregionale Wechselkurssta-bilität in der wirtschaftlich hoch integrierten Region erhaltenbliebe.

Im Ergebnis läge das Rezept für einen nachhaltigen Aus-stieg aus der globalen Niedrigzinspolitik in Festkursen be-gründet. Während die Europäische Zentralbank auf derGrundlage ihres stabilitätsorientierten institutionellen Rah-mens den geldpolitischen Kurs vorgibt, folgen die Länder ander Peripherie des erweiterten informellen Euroraums aufder Grundlage von stabilen Wechselkursen. Das Wachstumin westlichen und östlichen Teil der informellen Eurozonewürde durch zwei Faktoren stimuliert: Konstante Erwartun-gen auf der Grundlage von Preisstabilität und mehr intrare-gionalem Handel in einer informellen Währungszone von be-eindruckender Dimension.

Vielleicht wäre die währungspolitische Wende von Ost-asien aber auch hinfällig. Nämlich dann, wenn der drohen-de Verlust des exorbitanten Privilegs einer Weltleitwäh-rung als Druckmittel die USA zur geldpolitischen Wendezwingt.

Literatur

Belke, A. und G. Schnabl (2010), »Europäischer geldpolitischer Exit im Zei-chen von QE2 und Staatsanleihenkäufen der EZB«, Quarterly Journal of Eco-nomic Research 79(4), 147–161.Bernanke, B., C. Bertraut, L.P. DeMarco und S. Kamin (2011), »Internatio-nal Capital Flows and the Returns to Safe Assets in the United States, 2003–

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Zur Diskussion gestellt

2007«, Board of Governors of the Federal Reserve System International Fi-nance Discussion Papers 1014.Fischer, S. (2001), »Exchange Rate Regime: Is the Bipolar View Correct?«,Journal of Economic Perspectives 15(2), 3–24.Hayek, F. v. (1937), Monetary Nationalism and International Stability, London.Hoffmann, A. und G. Schnabl (2011), »A Vicious Cycle of Manias, Crashesand Asymmetric Policy Responses – An Overinvestment View«. The WorldEconomy 34(3), 382–403.McKinnon, R. und G. Schnabl (2009), »The Case for Stabilizing China’s Ex-change Rate: Setting the Stage for Fiscal Expansion«, China and the WorldEconomy 17, 1–32.Schnabl, G. (2010), »The Role of the Chinese Dollar Peg for MacroeconomicStability in China and the World«, Working Papers on Global Financial Mar-kets 13.

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Obgleich die Unverzichtbarkeit von Ener-gie und damit die Bedeutung einer effi-zienten Energiewirtschaft evident sind,kann ihre gesamtwirtschaftliche Bedeu-tung nicht unmittelbar angemessen be-wertet werden. Grundsätzlich hängendiese Schwierigkeiten auch damit zu-sammen, dass Energie sowohl als Pro-duktionsgut dient (Aufwendungen hier-für also auf der Entstehungsseite des So-zialprodukts anfallen) als auch konsum-tiv verwendet wird (Energieausgaben al-so auf der Verwendungsseite des So-zialprodukts auftreten) und die Energie-ausgaben somit in ihrer Gesamtheit we-der dem Produktions- noch dem Kon-sumbereich der Volkswirtschaft zugeord-net werden können (vgl. Wessels 1966,56). Aber mit dem Beitrag der Energie-wirtschaft zum Bruttoinlandsproduktwird ihr Stellenwert für die Volkswirt-schaft nur zum Teil und letztlich unzu-reichend beschrieben. Maßgeblich istinsbesondere die »Allgegenwärtigkeit derEnergie«, die ihre fundamentale Positioninnerhalb der Volkswirtschaft zum Aus-druck bringt (vgl. Kruse 1972, 17).

Die Energieversorgung für eine moderneIndustriegesellschaft hat vor allem folgen-de Bedingungen zu erfüllen: Sie muss –wie in den Zielen des deutschen Ener-giewirtschaftsgesetzes konkret ausgeführtwird – sicher, ausreichend und preisgüns-

tig sein sowie auf umweltfreundliche Wei-se bereitgestellt werden. Darüber hinausstellt sich aber die Frage, in welchem Um-fang die Energiewirtschaft die Entwick-lung der Wirtschaft beeinflusst. Dabei gehtes nicht nur um den direkten Beitrag derEnergiewirtschaft zur Produktion und zurBruttowertschöpfung, sondern auch umdie von ihr bewirkten Wachstums- undBeschäftigungseffekte. Schließlich ist zuberücksichtigen, dass insbesondere dieelektrische Energie in vielen Anwendungs-bereichen eine Art Katalysatorfunktion beider Implementierung technischer Neue-rungen besitzt.

Die Rahmenbedingungen der Energiebe-reitstellung werden durch spezielle ener-giepolitische Maßnahmen und Entwick-lungen beeinflusst. Das betrifft neben deninstitutionellen Fragen der Marktorganisa-tion vor allem die Bewältigung des alsdrängend empfundenen Problems der Kli-maveränderung. Als aktuelle Herausfor-derung kämen die Effekte eines mögli-cherweise vorgezogenen Verzichts auf dieNutzung der Kernenergie hinzu. Vor die-sem Hintergrund ist die Umgestaltung derEnergieversorgung hin zu einem Zeitalterder erneuerbaren Energien, die die Bun-desregierung mit dem Energiekonzept2050 unternimmt, zu sehen. Der geplan-te Ausbau der erneuerbaren Energien zurStromerzeugung, der umfangreiche In-vestitionen erfordert, ist aber mit Risikenfür eine sichere und preisgünstige Ener-gieversorgung verbunden. Dadurch ver-ändert sich auch der Stellenwert vonKernenergie und Kohle im Hinblick auf die

Hans-Dieter Karl für das Forschungsteam

Die volkswirtschaftliche Bedeutung der Energiewirtschaft

Die ausreichende und beständige Verfügbarkeit von Energie ist für hoch entwickelte Industrielän-

der eine unabdingbare Voraussetzung für ihre wirtschaftliche Entwicklung. Das gilt für alle Berei-

che einer modernen Volkswirtschaft, angefangen vom Produktionssektor über den Transport- und

den Dienstleistungssektor bis hin zu den privaten Haushalten. Durch die Verwendung von Energie

in ihren verschiedenen Formen ist es zusammen mit dem Einsatz anderer Produktionsfaktoren

möglich, eine anhaltende Steigerung der Arbeitsproduktivität zu erreichen, die Arbeitsteilung

weiter zu entwickeln und zu optimieren sowie den Aufwand für zeitraubende Tätigkeiten deutlich

zu reduzieren. Vor dem Hintergrund des für entwickelte Volkswirtschaften in nahezu allen Le-

bensbereichen notwendigen Bedarfs an Energie und ihres daraus resultierenden Stellenwerts be-

auftragte die RWE AG das ifo Institut damit, die volkswirtschaftliche Bedeutung der gesamten Ener-

giewirtschaft und insbesondere der Stromversorgung zu untersuchen.1 Themenschwerpunkte

und wesentliche Ergebnisse der Studie werden im Folgenden vorgestellt.

1 Albrecht, J., M. Gronwald, H.-D. Karl, J. Pfeiffer, L. Röpke und M. Zimmer unter Mitarbeit von J. Lip-pelt (2011), Bedeutung der Energiewirtschaft fürdie Volkswirtschaft, ifo Forschungsbericht Nr. 50,ifo Institut für Wirtschaftsforschung, München.

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Energieversorgungssicherheit. Von wesentlicher Bedeutungist dabei eine Abschätzung der Auswirkungen der Energie-politik auf die industrielle Entwicklung in Deutschland.

Energie in den europäischen Ländern – einige Merkmale im Vergleich

Die Höhe und Struktur der Energienachfrage eines Landeshängt entscheidend von seinem Entwicklungsniveau ab, dassich in einer Vielzahl von Faktoren konkretisiert. Dazu zäh-len insbesondere die Größe und die Struktur einer Volkswirt-schaft, ihre Energieintensität und Energieeffizienz. Dane-ben sind die Ausstattung eines Landes mit Energieressour-cen, die Energiepreise und demographische Faktoren, dieklimatischen Gegebenheiten sowie institutionelle und recht-liche Rahmenbedingungen von erheblichem Einfluss.

Die deutsche Volkswirtschaft ist die größte in der EU mitdem bei weitem höchsten Energieverbrauch. Rund einFünftel der in der EU benötigten Primärenergie entfiel imJahr 2008 auf Deutschland, gefolgt von Frankreich (15%),Großbritannien (12%) und Italien (10%) (vgl. Eurostat 2010).Insgesamt hat der Primärenergieverbrauch in den Ländernder EU-27 bis 2008 zugenommen, obwohl in den großenLändern Deutschland und Großbritannien ein Rückgangbzw. eine Stagnation zu beobachten war. Die fossilen Ener-gieträger – Erdöl, Erdgas und Kohle – dominieren nach wievor den europäischen Energiemix. Die wesentlichen Trendsim Hinblick auf die Entwicklung der Energieträgerstrukturwaren ein deutlicher Rückgang des Anteils von Kohle, einstark gestiegener Anteil von Erdgas sowie ein stetig zu-nehmender Beitrag der erneuerbaren Energien. Im Durch-schnitt der EU-27-Länder ist Erdöl mit einem Anteil von36% am Primärenergieverbrauch der mit Abstand wich-tigste Energieträger. Insgesamt entfielen 2007 nahezu 80%des Primärenergieverbrauchs der EU-27 auf fossile Ener-gieträger; Atomkraft und erneuerbare Energien steuern denRest bei (vgl. Tab. 1).

Die Energieträgerstruktur entwickelte sich in Deutschlandgrundsätzlich in ähnlicher Weise, abgesehen von einem nochstärkeren Zuwachs bei den erneuerbaren Energien. Ihr An-teil am Primärenergieverbrauch Deutschlands hat sich zwi-schen 1990 und 2008 von 2% auf 8% vervierfacht. FossileEnergieträger sind aber weiter dominierend. In Deutsch-land wurde über die Hälfte des Primärenergieverbrauchs ausErdöl (33%) und Erdgas (23%) gedeckt; beide Energieträ-ger muss Deutschland größtenteils importieren.

Die Energieressourcensituation der einzelnen europäischenLänder ist sehr unterschiedlich: So verfügen beispielsweisedie Niederlande über signifikante Erdgasvorkommen undGroßbritannien sowohl über Erdgas- als auch Erdölvorräte,Tschechien, Polen und Deutschland über erhebliche (Stein-und Braun-)Kohlereserven. Stellt man die Energieträgerstruk-tur von Primärenergieproduktion und Primärenergiever-brauch der Länder gegenüber, wird deutlich, dass die ver-fügbaren inländischen Energieträger tendenziell mehr imjeweiligen Energiemix vertreten sind. So deckt Polen überdie Hälfte seines Primärenergiebedarfs aus Kohle, Tsche-chien tut dies zu 46%, und auch in Deutschland steuert Koh-le mit 26% einen erheblichen Teil bei. In den Niederlandenstammen 84% der eingesetzten Primärenergie aus Erdölund Erdgas, ebenso deckt Großbritannien über 70% sei-nes Bedarfs aus Öl und Gas. Insgesamt ist die EU in ho-hem und zunehmendem Maße auf Energieimporte angewie-sen, im Durchschnitt der EU-27 lag die Nettoimportquote2007 bei 53%. Auch Deutschland muss seinen Energiebe-darf zu gut 60% aus Energieimporten decken.2

Die Entwicklung der Wirtschaftsleistung ist zwar nach wievor mit dem Energieverbrauch korreliert, jedoch kann inden entwickelten Volkswirtschaften Westeuropas nicht mehrder einst synchrone Verlauf dieser beiden Größen be-obachtet werden. Die Zunahme der Energienachfrage blieb

Tab. 1 Primärenergieverbrauch nach Energieträgern

Millionen t Ölaquivalent Anteile am Primärenergieverbrauch, 2007 (%)

1997 2002 2008 Stein-kohle

Braun-kohle Erdöl Gas

Atom-kraft

Erneuerbare Energien

EU-27 1 704,5 1 757,8 1 799,3 13 6 36 24 13 8 Tschechien 42,8 42,0 45,1 14 32 22 15 15 5 Deutschland 347,6 345,6 343,7 14 11 33 23 11 8 Spanien 106,6 130,8 141,9 13 1 48 22 10 7 Frankreich 248,3 267,3 273,7 5 0 34 14 42 7 Italien 164,1 174,2 181,4 9 0 44 38 – 7 Ungarn 25,8 25,9 26,8 5 6 28 40 14 5 Niederlande 76,3 79,7 83,7 10 0 44 40 1 4 Polen 102,5 89,4 98,8 44 12 26 13 – 5 Großbritannien 223,1 226,8 218,5 18 – 36 37 7 2

Quelle: Eurostat.

2 Dabei ist zu berücksichtigen, dass Eurostat die Kernenergie als heimischeEnergie betrachtet.

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in den letzten Jahrzehnten hinter dem Wirtschaftswachstumzurück, beide Größen haben sich zunehmend entkoppelt.Zwischen 1997 und 2008 sank in der EU-27 die RelationPrimärenergieverbrauch pro Einheit Bruttoinlandsprodukt imJahresdurchschnitt um 1,8%. Zurückzuführen ist diese Ent-wicklung in erster Linie auf die erheblich gestiegene Ener-gieeffizienz im Umwandlungssektor und in den Endver-brauchssektoren. Der Strukturwandel hin zu weniger ener-gieintensiven Produktionen, die teilweise Verlagerung ener-gieintensiver Sektoren ins Ausland und das geringe Bevöl-kerungswachstum sind weitere Gründe.

Von entscheidendem Einfluss auf die Energienachfrage istdie Wirtschaftsstruktur, insbesondere das Gewicht der be-sonders energieintensiven Industriesektoren. Gemeinsamist den hier betrachteten Länder grundsätzlich ein jeweils re-lativ geringer und tendenziell fallender Anteil des primärenSektors (Land- und Forstwirtschaft, Fischerei, Bergbau), einbedeutender, wenngleich in den meisten betrachteten Län-dern rückläufiger Anteil des sekundären Sektors (Verarbei-tendes Gewerbe, Energie- und Wasserversorgung, Bauge-werbe) und ein mit zwei Drittel bis drei Viertel der Bruttowert-schöpfung sehr hoher Anteil des tertiären Sektors (Handelund Verkehr, Dienstleistungsunternehmen, Staat und Or-ganisationen ohne Erwerbszweck). Diese Wirtschaftsstruk-tur ist das Ergebnis eines sich seit geraumer Zeit vollzie-henden sektoralen Strukturwandels weg vom primären undvor allem sekundären hin zum tertiären Sektor (»Dienstleis-tungsgesellschaft«).

Auch in Deutschland vollzog sich in den vergangenen Jahr-zehnten ein erheblicher sektoraler Strukturwandel. Den-noch bleibt die Industrie für die deutsche Volkswirtschaftvon sehr großer Bedeutung. Der relative Anteil der Indus-trie an der gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung lag inDeutschland 2008 bei 26% und damit um 6 Prozentpunk-te über dem EU-27-Durchschnitt. Nur in zwei EU-Län-dern (der Tschechischen Republik und der Slowakei) warein noch höherer Industrieanteil zu verzeichnen, jedochsteht die absolute Wertschöpfung des deutschen Verar-beitenden Gewerbes in der EU-27 klar an der Spitze undist mehr als doppelt so hoch wie die der zweit- und dritt-platzierten Frankreich und Italien. Bemerkenswert ist, dassder Beitrag der Industrie zur Bruttowertschöpfung inDeutschland im vergangenen Jahrzehnt entgegen dem all-gemeinen Trend in der EU, aber auch in den USA und Ja-pan, sogar leicht angestiegen ist.

Der gesamte Endenergieverbrauch in der EU-27 nahm zwi-schen 1997 und 2007 um rund 5% zu. Im Durchschnittder EU-27-Länder entfielen 2007 rund 28% der eingesetz-ten Endenergie auf die Industrie, 32% auf den Verkehrssek-tor, 25% auf private Haushalte und 11% auf den Dienst-leistungssektor. Dabei übertraf der Zuwachs im Verkehrs-sektor und für Dienstleistungen den Rückgang in der Indus-

trie und in Haushalten. In Deutschland war die sektoraleAufteilung des Endenergieverbrauchs im Jahr 2007 wiefolgt: Industrie 27%, Verkehr 30%, Haushalte 29% undDienstleistungssektor 10%. Der Rest entfiel jeweils auf dieLandwirtschaft und andere Sektoren. Während sich derEndenergieverbrauch der Industrie in der EU-27 seit 1998insgesamt nur leicht verringert hat, waren bei einzelnen Ener-gieträgern starke Veränderungen zu verzeichnen. Der Ein-satz fester Brennstoffe und von Heizöl wurde kräftig redu-ziert; auch wurde im EU-27-Durchschnitt weniger Erdgas,aber mehr Strom verwendet.

Einen weiteren wichtigen Einflussfaktor der Energienach-frage stellt die demographische Entwicklung dar. Dabei sindnicht nur die absolute Bevölkerungszahl und das Bevölke-rungswachstum, sondern auch die Bevölkerungsstrukturvon großer Bedeutung. Das Bevölkerungswachstum inEuropa ist insgesamt verhältnismäßig niedrig: seit 2000wuchs die Bevölkerung der EU-27 nur um 3%. Die Wachs-tumstrends in den einzelnen EU-Staaten sind allerdings äu-ßerst unterschiedlich. Während die Bevölkerung etwa inGroßbritannien, Frankreich, Italien oder Spanien in den letz-ten zwei Jahrzehnten deutlich zugenommen hat, stagnier-te sie beispielsweise in Polen, Tschechien, Ungarn undDeutschland. Nach Schätzungen des Statistischen Bundes-amtes wird die Bevölkerung in Deutschland in den kommen-den Jahrzehnten erheblich schrumpfen. Von der Bevölke-rungsentwicklung sind in Deutschland somit also eher dämp-fende Effekte auf die Energienachfrage zu erwarten. Im Ge-gensatz dazu trägt die Tendenz hin zu im Durchschnitt klei-neren Haushalten zu einem Anstieg des Pro-Kopf-Energie-verbrauchs bei.

Der Primärenergieverbrauch pro Kopf ist im EU-27-Durch-schnitt von 2000 bis 2007 nur geringfügig gestiegen, wo-bei aber erhebliche Unterschiede auf Länderebene zu be-obachten waren. Spanien, Ungarn, Tschechien, Polen unddie Niederlande hatten deutliche Pro-Kopf-Verbrauchsstei-gerungen zu verzeichnen, in Deutschland und Großbritan-nien waren die entsprechenden Werte rückläufig. Ganz an-ders sah die Entwicklung des Stromverbrauchs pro Kopfaus. Hier traten in allen betrachteten Ländern jeweils kräfti-ge Zuwächse auf. Dabei ist zudem noch festzustellen, dassdie höher entwickelten Länder, wie Frankreich, die Nieder-lande und Deutschland, auch noch 2007 die höchsten Ver-brauchswerte pro Kopf aufwiesen.

Die Energiewirtschaft in der deutschen Volkswirtschaft

Der Stellenwert der deutschen Energiewirtschaft innerhalbder Volkswirtschaft wird anhand der folgenden ökonomi-schen Merkmale und Kennzahlen, die auf Daten des Sta-tistischen Bundesamtes basieren, beschrieben:

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• Bruttoproduktionswert,• Bruttowertschöpfung und• Anlagevermögensowie daraus abgeleitet durch die Kennzahlen:• Arbeitsproduktivität,• Kapitalkoeffizient und• Investitionsintensität.

Dabei sind die absoluten Größen wie folgt definiert:

• Der Produktionswert als die umfassende Größe ent-spricht den Unternehmensumsätzen zuzüglich den Be-standsveränderungen an Erzeugnissen aus eigener Pro-duktion und den selbsterstellten Anlagen, soweit sie ak-tiviert wurden,

• die Bruttowertschöpfung zu Marktpreisen ergibt sich ausder Differenz des Bruttoproduktionswerts und den Vor-leistungen,

• das Bruttoanlagevermögen (Ausrüstungen und Bauten)wird zu Wiederbeschaffungspreisen ausgewiesen.

Die gesamte Energiewirtschaft in Deutschland setzt sich zu-sammen aus dem Bergbau auf Energieträger (Kohlenberg-bau, Torfgewinnung, Gewinnung von Erdöl und Erdgas), derMineralölverarbeitung sowie der Energieversorgung (Strom-,Gas- und Fernwärmeversorgung). Im Jahr 2008 waren im gesamten Energiesektor 311 000 Personen beschäftigt, derProduktionswert der Energiewirtschaft belief sich auf rund206 Mrd. Euro (Anteil an allen Wirtschaftszweigen: 4,6%).3

Die Bruttowertschöpfung erreichte zusammen 59,3 Mrd. Euro(2,7%). Damit lag in der Energiewirtschaft 2008 der Anteil

der Bruttowertschöpfung an der Produktion, die Wertschöp-fungsquote, mit 28,9% deutlich unter dem entsprechendenWert für alle Wirtschaftsbereiche in Höhe von 48,2%. Dieserhohe Anteil bei allen Wirtschaftsbereichen erklärt sich vor al-lem aus dem beträchtlichen Gewicht des Dienstleistungssek-tors. Ein besonderes Merkmal der Energiewirtschaft ist diehohe Kapitalintensität, die sich vor allem bei dem Teil des Brut-toanlagevermögens zeigt, der die Ausrüstungen betrifft. Ins-gesamt belief sich das Bruttoanlagevermögen zu Wiederbe-schaffungspreisen bei den Ausrüstungen 2008 auf 127,3 Mrd.Euro; das entsprach einem Anteil an allen Wirtschaftsberei-chen von 6,2%. Beim gesamten Anlagevermögen in Höhevon rund 357 Mrd. Euro (2,8%) kommt diese Ausnahme-stellung weniger zum Ausdruck. Auffallend ist auch die hoheArbeitsproduktivität in der Energiewirtschaft; sie lag 2008 proBeschäftigten bei 191 000 Euro – Bruttowertschöpfung je Er-werbstätige – und war damit wesentlich höher als im Durch-schnitt aller Wirtschaftsbereiche mit 55 000 Euro.

Der wirtschaftlich weitaus bedeutendste Bereich der Bran-che ist die Energieversorgung (Strom, Gas, Fernwärme).In dieser Sparte waren 2008 gut 77% aller Beschäftigtender Energiewirtschaft tätig, sie steht für knapp 60% des ge-samten Produktionswerts und für 89% der Bruttowert-schöpfung (vgl. Tab. 2). Außerdem entfallen auf die Ener-gieversorgung rund 90% des energiewirtschaftlichen An-

Tab. 2 Strukturdaten der Energiewirtschaft 2008

Energie-wirtschaft insgesamt

Energie-versorgung

Kohlen-bergbau,

Torfgewinnung

Gewinnung von Erdöl und

Erdgas

Kokerei, Mineralöl-

verarbeitung, Brutstoffe

Erwerbstätige, in 1 000 311 240 43 7 21 Anteil in % 100,0 77,2 13,8 2,3 6,8

Produktionswert, Mrd. Euro 205,5 122,9 4,2 4,0 74,3 Anteil in % 100,0 59,8 2,1 1,9 36,2

Bruttowertschöpfung, Mrd. Euro 59,3 52,8 1,5 2,4 2,7 Anteil in % 100,0 89,0 2,5 4,0 4,5

Arbeitsproduktivität in 1 000 Euro/Person 191 220 35 339 127 Wertschöpfungsquote 28,9 42,9 35,8 59,7 3,6 Anlagevermögen insgesamt, Mrd. Euro 357,4 321,3 9,8 8,6 17,7

Anteil in % 100,0 89,9 2,7 2,4 5,0 darunter: Ausrüstungen, Mrd. Euro 127,3 103,1 5,4 6,2 12,7

Anteil in % 100,0 81,0 4,2 4,8 9,9 darunter: Bau, Mrd. Euro 230,1 218,1 4,5 2,4 5,0

Anteil in % 100,0 94,8 1,9 1,1 2,2 Kapitalkoeffizient (Anlagevermögen/Wertschöpfung) 6,0 6,1 6,5 3,6 6,6 Anlageinvestitionen, Mrd. Euro 14,5 12,1 0,4 0,6 1,3 Ausrüstungsinvestitionen, Mrd. Euro 10,5 8,2 0,4 0,6 1,2 Bauinvestitionen, Mrd. Euro 4,0 3,9 0,0 0,0 0,1

Quelle: Statistisches Bundesamt; ifo Institut.

3 Dabei wurde der Produktionswert ohne Handelsware verwendet. Wegender vertikalen Trennung im Bereich Energieversorgung fallen die Unter-schiede zwischen dem Produktionswert einschließlich der Handelswareund dem Produktionswert sehr hoch aus, da der Bezug und Weiterver-kauf von elektrischer Energie und Erdgas als Handel deklariert wird.

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lagevermögens und 81% der Ausrüstungs-investitionen; noch größer ist mit fast 95%ihr Anteil an den Bauten.

Die übrigen Bereiche der deutschen Ener-giewirtschaft haben ein deutlich geringeresGewicht. Während die Sparte Kohlenberg-bau und Torfgewinnung bei den Beschäf-tigten an zweiter Stelle steht, belegt dieBranche Kokerei, Mineralölverarbeitung,Brutstoffe diesen Platz bei den FaktorenBruttoproduktion, Bruttowertschöpfungund Anlagevermögen. Der – gemessen anden Beschäftigten – kleinste Bereich, dieGewinnung von Erdöl und Erdgas, hat mitfast 53% die höchste Wertschöpfungsquo-te. Diese Sparte benötigt somit vergleichs-weise geringe Vorleistungen zur Produkti-onserstellung; allerdings dürfte auch der hohe Ölpreis 2008zu dem hohen Wertschöpfungsanteil beigetragen haben.Der Kapitalkoeffizient (Anlagevermögen/Bruttowertschöp-fung) liegt im gesamten Sektor bei durchschnittlich 6,0.Die Bereiche Kohlenbergbau und Kokerei, Mineralölver-arbeitung benötigen pro Einheit Bruttowertschöpfung ei-nen tendenziell höheren Kapitaleinsatz. Einen auffallendniedrigen Kapitalkoeffizienten hat die Sparte Erdöl- undErdgasgewinnung.

Wie sich die Gewichte innerhalb der Energiewirtschaftverändert haben, zeigt die Entwicklung seit Beginn der1990er Jahre. Die herausragende Stellung der Energie-versorgung an der gesamten Energiewirtschaft wird auchdurch die Entwicklung der einzelnen Kenngrößen unter-strichen. So nahm die Bruttowertschöpfung der gesam-ten Energiewirtschaft zwischen 1991 und 2008 um rund50% zu, die der Energieversorgung aber um gut 80%.(vgl. Abb. 1).

Die nominale Produktion, die neben der Bruttowertschöp-fung noch die Vorleistungen umfasst, ist vor allem in den Jah-ren ab 2000 in der gesamten Energiewirtschaft kräftig gestie-gen. Wie die indizierte Darstellung in Abbildung 2 (1995 =100) zeigt, war sie im Jahr 2008 rund doppelt so hoch wie2000. Die Produktion in der Energieversorgung, die aufgrundihres dominierenden Anteils an der Energiewirtschaft die Ent-wicklung maßgeblich bestimmt, hat den nahezu gleichen Ver-lauf. Die Produktion des Bergbaus auf Energieträger hat imZeitraum von 1995 bis 2008 wegen der deutlich gesunkenenSteinkohlenförderung um fast die Hälfte abgenommen. Da-gegen ist der Produktionswert der Branche Kokerei, Mine-ralölverarbeitung, Herstellung von Brutstoffen zwischen 1995und 2008 mehr als verdreifacht worden. Das ist vor allemauf den starken Anstieg der Rohölpreise ab etwa dem Jahr2000 zurückzuführen, wodurch der Wert der Vorleistungenüberproportional zugenommen hat.

Energiesektor vergleichbar mit großen Industriebranchen

Um Rang und Stellenwert der Energiewirt-schaft besser ermessen zu können, wird sieausgewählten Industriebranchen gegenüber-gestellt. Dazu wurden aus der Industrie diebeiden Wirtschaftszweige »Herstellung vonchemischen Erzeugnissen« (Chemie) und»Herstellung von Kraftwagen und Kraftwa-genteilen« (Automobilindustrie) herangezo-gen. Mit 463 000 bzw. 829 000 Beschäftig-ten im Jahr 2008 zählen sie zu den großenBranchen des Verarbeitenden Gewerbes; derAnteil der Chemie am Produktionswert allerWirtschaftsbereiche belief sich auf 3,5% undjener der Automobilindustrie auf 6,5%. DieBruttowertschöpfung der chemischen Indus-trie war 2008 fast ebenso hoch wie jene der

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10

20

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1991 1993 1995 1997 1999 2001 2003 2005 2007

EnergiewirtschaftEnergieversorgungBergbau auf EnergieträgerKokerei, Mineralölverarbeitung, Herst. v. Brutstoffen

Entwicklung der Bruttowertschöpfung in der Energiewirtschaftin jeweiligen Preisen

Mrd. €

Quelle: Statistisches Bundesamt; ifo Institut.

Abb. 1

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1991 1993 1995 1997 1999 2001 2003 2005 2007

EnergiewirtschaftEnergieversorgungBergbau auf EnergieträgerKokerei, Mineralölverarbeitung, Herst. v. Brutstoffen

Entwicklung der Produktionswerte in der Energiewirtschaftin jeweiligen Preisen

Quelle: Statistisches Bundesamt; ifo Institut.

1995 = 100

Abb. 2

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Energieversorgung; noch wesentlich höher war die Wert-schöpfung in der Automobilindustrie. Während der Anteil derBruttowertschöpfung an der gesamten Produktion in derChemie rund ein Drittel erreichte, lag er in der Automobilin-dustrie nur bei gut einem Fünftel. Dieser vergleichsweiseniedrige Anteilswert in der Automobilindustrie erklärt sichaus den hohen Vorleistungen dieser Branche. Allerdingslag 2008 auch in der gesamten Energiewirtschaft die Wert-schöpfungsquote nur bei knapp drei Zehnteln. Mit rund 43%war dieser Wert in der Energieversorgung, die ebenfalls ingroßem Umfang auf Vorleistungen, wie etwa Brennstoffe,angewiesen ist, aber wesentlich höher.

Es kann festgehalten werden, dass sich die gesamte Ener-giewirtschaft bei einem Vergleich der wesentlichen volks-wirtschaftlichen Kennzahlen auf dem Niveau der beiden gro-ßen Industriebranchen in Deutschland bewegt (vgl. Tab. 3):

• Beim Produktionswert rangierte die Energiewirtschaft2008 mit 206 Mrd. Euro hinter der Automobilindustrie.

• Das Gleiche gilt für die Bruttowertschöpfung. Sie beliefsich für die Energiewirtschaft auf 59 Mrd. Euro. Die Au-tomobilindustrie erreichte mit 66 Mrd. Euro einen höhe-ren Wert. Die Bruttowertschöpfung der Chemieindustriemachte 53 Mrd. Euro aus.

• Die Energiewirtschaft ist einer der großen Investoren imProduzierenden Gewerbe. 2008 belief sich das Investi-tionsvolumen auf 14,5 Mrd. Euro. Darunter entfallen12,1 Mrd. Euro auf die leitungsgebundene Energiever-sorgung, also Strom, Gas und Fernwärme. Zum Vergleich:Die Investitionsausgaben der Automobilindustrie erreich-ten im Vergleichsjahr 14,8 Mrd. Euro. Die Chemie inves-tierte 8,0 Mrd. Euro. Damit steht die Energiewirtschaft für16,5% der gesamten Investitionsausgaben des Produ-zierenden Gewerbes (ohne Bau).

Ein besonderes Kennzeichen der Energiewirtschaft ist derhohe Kapitaleinsatz. Produktion und Wertschöpfung in derEnergiewirtschaft werden mit weniger Beschäftigten, abermit mehr Kapital erwirtschaftet als in der Autoindustrie undin der Chemie. Daraus resultiert für die Energiewirtschafteine weit überdurchschnittlich hohe Arbeitsproduktivität.

Hohe gesamtwirtschaftliche Effekte von Energieinvestitionen

Die Investitionstätigkeit der Energieversorgung hat beträcht-liche gesamtwirtschaftliche Auswirkungen. Ein besonderesAugenmerk bilden dabei die Arbeitsmarktwirkungen. Dabeiprofitieren von den Investitionen nicht nur diejenigen Unter-nehmen, die als direkte Zulieferer der Elektrizitätsbrancheauftreten, sondern es sind auch indirekte Nachfrageeffektedurch die Vorleistungsproduzenten zu berücksichtigen. AlsMethode zur Bestimmung dieser Effekte hat sich die Input-Output-Analyse etabliert, welche neben der Quantifizierungder direkten und indirekten Effekte auch deren Aufteilung aufdie unterschiedlichen Wirtschaftssektoren erlaubt.

Unter der Annahme der problemlosen Verfügbarkeit der Pro-duktionsfaktoren zu gegebenen Preisen führt eine Investiti-on von einer Mrd. Euro in der Energieversorgung zu einemProduktionseffekt von 2,86 Mrd. Euro. Durch Investitionenvon einer Mrd. Euro in der Energieversorgung werden ins-gesamt rund 18 000 Personenjahre beschäftigt. Unter derAnnahme knapper Produktionsfaktoren müssen die Inves-titionen in anderen Wirtschaftsbereichen eingeschränkt wer-den, um die Investitionen in der Energieversorgung zu er-möglichen. Dadurch verringern sich zwangsläufig die durchdie Investitionen hervorgerufenen gesamtwirtschaftlichenProduktions- und Beschäftigungswirkungen erheblich.

Tab. 3 Energiewirtschaft und ausgewählte Industriebranchen in Deutschland 2008

Absolute Werte Ranking Erwerbstätige Produktionswert Bruttowertschöpfung Investitionen

Branche 1 000 Branche Mrd. Euro Branche Mrd. Euro Branche Mrd. Euro 1. Automobil-

industrie 829 Automobil-

industrie 302 Automobil-

industrie 66 Automobil-

industrie 14,8

2. Chemie 463 Energie 206 Energie 59 Energie 14,5 3. Energie 311 Chemie 160 Chemie 53 Chemie 8,0 Kennzahlen Ranking Arbeitsproduktivität Modernitätsgrad Wertschöpfungsquote Investitionsquote

Branche 1 000 Euro Wertsch./ Erwerbst.

Branche Anlagevermögen: Netto zu

Brutto in %

Branche Wertschöpf./Produktion

in %

Branche Investitionen zu Produk-tion in %

1. Energie 191 Energie 55,2 Chemie 33,2 Energie 7,0 2. Chemie 115 Automobil-

industrie 52,2 Energie 28,9 Chemie 5,0

3. Automobil-industrie 80

Chemie 48,8 Automobil-industrie 21,9

Automobil-industrie 4,9

Quelle: Statistisches Bundesamt; ifo Institut.

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Hoher Stellenwert einer sicheren Stromversorgung

Strom wird verlässlich in allen Lebensbereichen benötigt. Diesichere und kostengünstige Stromversorgung ist eine ent-scheidende Basis für den Wohlstand jeder modernen In-dustriegesellschaft. Eine hohe Versorgungssicherheit darf da-her nicht nur als Kostenfaktor angesehen werden, sondernist ein entscheidendes Standortkriterium. Ihr kann eine Schlüs-selfunktion nicht nur bei der Schaffung von wirtschaftlichemWachstum, sondern auch von Beschäftigung zugesprochenwerden. So beeinflusst sie in wesentlichem Umfang die Wett-bewerbsfähigkeit von Volkswirtschaften. Ereignisse aus derjüngsten Vergangenheit, so z.B. mehrere große Blackoutswie 2003 in Nordamerika und Kanada oder auch in Deutsch-land, hatten immense volkswirtschaftliche Kosten zur Folge.Daher wird die Sicherheit der Stromversorgung neben ihrerWirtschaftlichkeit und Umweltverträglichkeit als zentralesenergiepolitisches Ziel angesehen.

In Zusammenhang mit der Versorgungssicherheit kommtden technischen Risiken eine besondere Bedeutung zu. Die-se können zu temporären Versorgungsausfällen führen undsind von verschiedenen Faktoren wie dem qualitativen Zu-stand und der Kapazität der Anlagen oder auch Umweltbe-dingungen abhängig. Darüber hinaus können aber auchregulatorische Risiken einen nachgelagerten Sicherheits-aspekt bilden. Durch Veränderungen des Gesetzesrahmens,z.B. die Einspeisetarife im Erneuerbare-Energien-Gesetz(EEG), können Technologien bevorzugt oder benachteiligtwerden, die die Sicherheit der Versorgung spürbar beein-flussen. Die aus der Energiepolitik resultierenden Unsicher-heiten wirken sich negativ auf langfristige Investitionsent-scheidungen und damit auf die volkswirtschaftliche Wohl-fahrt aus.

Aufgrund ihrer hohen Bedeutung für die gesamte Volkswirt-schaft wird der sicheren Versorgung mit Elektrizität ein ent-sprechender Platz in der Gesetzgebung eingeräumt. §§ 1und 2 EnWG (Energiewirtschaftsgesetz) legen fest, dass Ener-gieversorgungsunternehmen u.a. verpflichtet sind, für einesichere leitungsgebundene Versorgung der Allgemeinheit mitElektrizität zu sorgen. In §§ 49 ff. EnWG werden verbindli-che Maßnahmen zur Gewährung von Sicherheit und Zuver-lässigkeit der Elektrizitätsversorgung festgeschrieben. SeitJanuar 2009 sind im Rahmen der Einführung der Anreizre-gulierung im Netzbereich Regelungen zur Gewährleistungder Versorgungssicherheit formuliert worden, die vor allemdie Anreize für Netzinvestitionen verbessern sollen, um dieAufrechterhaltung oder sogar Verbesserung des derzeitigenNiveaus an Versorgungssicherheit erreichen zu können (vgl.BMWi 2008, 4).

Die aus einer unzureichenden Versorgungssicherheit resul-tierenden Belastungen für eine Volkswirtschaft gehen weit

über den Preis für Strom hinaus. Besonders für Deutsch-land als hochentwickeltes Industrieland ist ein hohes Maßan Versorgungssicherheit ein elementares Gut. Anhand ei-nes internationalen Vergleichs wurde gezeigt, wie die Ver-sorgungssicherheit in Deutschland einzuschätzen ist. Ver-schiedene deskriptive Methoden ermöglichen eine solcheUntersuchung, wobei das hier betrachtete Maß für die Ver-sorgungssicherheit das (Nicht-)Auftreten von Stromausfäl-len ist. Zwei Dimensionen stehen hierbei im Vordergrund:Dauer und Häufigkeit der Störfälle.

Trotz gewisser Ungenauigkeiten, die sich aus der Verwen-dung teils variierender Indizes ergeben, belegt der Vergleichüberzeugend das hohe Sicherheitsniveau der deutschenElektrizitätsversorgung. Deutschland hat europaweit die we-nigsten Stromunterbrechungen (ohne höhere Gewalt) unddamit die europaweit höchste Versorgungsqualität aufzuwei-sen. Während osteuropäische Länder, wie beispielsweise Un-garn oder Litauen, bis zu dem sechsfachen an Stromausfäl-len pro Jahr erleiden, treten auch in den mit Deutschland ver-gleichbaren Ländern wie Frankreich oder Großbritannien nochbis zu dreimal so viele Stromausfälle auf.

Ein weiteres wichtiges Kriterium ist die durchschnittliche Un-terbrechungsdauer der Stromversorgung je Kunde in Minu-ten. Auch hier nimmt die deutsche Stromversorgung einenSpitzenplatz in Europa ein. Die Dauer eines Stromausfalls be-trägt in Deutschland im Durchschnitt nur ein Fünftel im Ver-gleich zu Spanien, Portugal oder einigen osteuropäischenLändern. So musste im Durchschnitt im Jahr 2008 jederStromkunde nur mit 18 min Stromausfall zurechtkommen.Damit erreicht Deutschland eine Versorgungszuverlässigkeitvon 99,9965% (vgl. Abb. 3, BDEW 2010, 13). Im Jahr 2009hat sich die »durchschnittliche Nichtverfügbarkeit in Minutenje Letztverbraucher« in Deutschland sogar noch weiter auf14,63 min verbessert (vgl. Bundesnetzagentur 2010, 30), wo-mit Deutschland seine internationale Spitzenposition in punk-to Versorgungssicherheit beibehält. Als ein Grund für diesesbemerkenswerte Ergebnis können die in Deutschland beson-ders engmaschig ausgelegten Stromnetze genannt werden,die durch diese Eigenschaft deutlich weniger anfällig für Stö-rungen sind als die weitermaschigen Stromnetze der euro-päischen Nachbarländer (vgl. BDEW 2010, 13).

Um eine Antwort auf die Frage nach der Bedeutung einer zu-verlässigen Versorgung für die Volkswirtschaft und damit de-ren Wohlfahrtsimplikationen zu finden, müssen, wie oben be-reits angedeutet, Kosten und Nutzen der Versorgungssicher-heit abgewogen werden. Je höher der Grad der Versorgungs-sicherheit ist, desto höher ist auch deren volkswirtschaftli-cher Nutzen. Dabei wurde gezeigt, dass die Kosten vonStromausfällen, also der Nutzen der Versorgungssicherheit,je nach Situation sehr hoch sein können. Aber auch die volks-wirtschaftlichen Kosten von Investitionen in die Netzsicher-heit steigen mit einem zunehmenden Sicherheitsniveau. Bei

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der Wahl des Versorgungsniveaus sollte eine Gewichtung derunterschiedlichen Interessen stattfinden, um den für die Volks-wirtschaft optimalen Wert zu erreichen.

Dabei ist die Wertschätzung von Versorgungssicherheit zwi-schen den Verbrauchergruppen unterschiedlich stark aus-geprägt. Die hierzu durchgeführte Auswertung einer Reihevon Studien kommt zu dem durchgängigen Ergebnis, dassdie Versorgungssicherheit wesentlich höher bewertet wirdals im Strompreis zum Ausdruck kommt. Das gilt für priva-te Haushalte, aber noch stärker für die Industrie. Vier deranalysierten Studien haben den Wert für den Industriesek-tor in der Bandbreite von 8 bis 14 Euro pro Kilowattstundeberechnet. Der mittlere Wert dieser Spanne entspricht inetwa dem Hundertfachen des Preises, den die Industrie imDurchschnitt für Strom bezahlt.

Die Anforderungen an Konzepte der Versorgungssicherheitsind ständigen Veränderungen unterworfen. Diese bestim-men sich sowohl aus den vorhandenen politischen Rahmen-bedingungen als auch aus den technologischen Gegeben-heiten und Möglichkeiten im Energiesektor. Eine besonde-re Herausforderung stellen in diesem Zusammenhang derAusbau der erneuerbaren Energien und der (langfristige)Atomausstieg dar. Nur durch kontinuierliche Überprüfungder verschiedenen Risikoebenen und gegebenenfalls durchAnpassung der Sicherheitsstrategie kann eine dauerhafteAnnäherung an das optimale Niveau der Versorgungssicher-heit sichergestellt werden.

Hohe Energiepreise und Energiekosten

Neben der Sicherheit der Energieversorgung kommt denEnergiekosten eine entscheidende Bedeutung für die wirt-schaftliche Entwicklung zu. Im Vordergrund der Untersu-

chung standen dabei die Kosten der Ener-gieversorgung und die Strompreise inDeutschland; darüber hinaus wurden diedeutschen Strompreise mit der Preisent-wicklung in anderen Ländern verglichen. DerSchwerpunkt der Analysen betraf die Situa-tion in ausgewählten Branchen des Verar-beitenden Gewerbes sowie bei den priva-ten Haushalten. Dazu wurden die wesentli-chen Determinanten der Strompreisentwick-lung in Deutschland diskutiert und bewer-tet. Exemplarisch wurden dabei die ökono-mischen Wirkungen der Förderung der er-neuerbaren Energien zur Stromerzeugungim Hinblick auf die Strompreisentwicklunguntersucht.

Im Verarbeitenden Gewerbe stellt Energie ei-nen zentralen Produktionsfaktor dar. Für na-

hezu alle Produktionsprozesse in der Industrie ist der Ein-satz von Energie notwendig, und nur durch den stetig zu-nehmenden Stromeinsatz war es möglich, den starken An-stieg der Produktivität in den vergangenen Jahrzehnten zuerzielen. Bei den Anteilen der Energiekosten am Bruttopro-duktionswert gibt es dabei deutliche Unterschiede zwischenden Branchen des Verarbeitenden Gewerbes in Deutsch-land. Auch wenn im Verarbeitenden Gewerbe insgesamt derAnteil der Energiekosten am Bruttoproduktionswert 2007nur bei 1,8% lag, gibt es doch energieintensive Branchen,in denen der Kostenanteil die Marke von 5% überschritt (vgl.BMWi 2010, Tab. 27). Als augenfällig kann in diesem Zu-sammenhang bezeichnet werden, dass zu dieser Hetero-genität noch der Aspekt hinzutritt, dass in einigen Bran-chen diese Anteile im Zeitverlauf starken Veränderungen un-terworfen waren.

Maßgeblich für die Energiekosten im Verarbeitenden Gewer-be ist auch die Entwicklung der Energieträgerstruktur. In denvergangenen Jahrzehnten gab es neben Substitutionspro-zessen zwischen den Brennstoffen vor allem eine kontinu-ierliche Zunahme des Stromverbrauchs. Elektrische Ener-gie ist zwar bezogen auf den Energiegehalt teurer als Brenn-stoffe, besitzt aber ein wesentlich breiteres Einsatzpotenzi-al. Sie wird daher zunehmend für moderne Produktionstech-niken und generell zur Steigerung der Produktivität benötigt.Im Jahr 2008 belief sich der Anteil der elektrischen Energieam gesamten Endenergieverbrauch im Verarbeitenden Ge-werbe auf rund 33%. Der Anteil der Stromkosten an den ge-samten Energiekosten der Industrie erreichte aber rund 60%;das unterstreicht den Stellenwert der elektrischen Energiefür die Entwicklung der Energiekosten. Da es sich bei die-sen Anteilen um Durchschnittswerte handelt, kann es in ein-zelnen Wirtschaftszweigen, energieintensiven Produktions-prozessen oder auch der Ebene einzelner Unternehmen zudeutlich höheren Stromkostenanteilen kommen. Eine iso-

33.1

43.752.5

57.7

89.4 92.0

102.5 103.8

18.3

0

20

40

60

80

100

120

Deutschland Nieder-lande (2)

Österreich Italien (2) Frankreich(2)

Groß-britannien

(1)

Litauen (2) Por-tugal (2)

Spanien (2)

Durchschnittliche Unterbrechungsdauer der Stromversorgung je Kunde 2008

min/Jahr

Quelle: BDEW (2010); ifo Institut.(1) 2006 (2) 2007

Abb. 3

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lierte Erhöhung der Strompreise in Deutschland kann da-her für diese Wirtschaftszweige bzw. Unternehmen zu ei-ner spürbaren Beeinträchtigung der internationalen Wettbe-werbsfähigkeit führen.

Der internationale Vergleich der Entwicklung der Strom-preise für die Industrie und die Haushalte hat belegt, dasssich die Preise in Deutschland verglichen mit jenen in aus-gewählten europäischen Ländern stets über dem Durch-schnitt befunden haben und dass in Deutschland in derjüngeren Vergangenheit ausgesprochen starke Strompreis-anstiege zu verzeichnen waren. Dazu haben in beträchtli-chem Umfang Belastungen beigetragen, die aus energie-politischen Maßnahmen, wie z.B. der Förderung des Aus-baus der erneuerbaren Energien und der Kraft-Wärme-Kopplung, resultieren.

Vor allem der Ausbau der Stromerzeugung aus erneuer-baren Energien hat erhebliche finanzielle Folgen für dieVerbraucher. Zu einem beträchtlichen Teil ist das auf diesolare Stromerzeugung zurückzuführen, in die derzeit gutdie Hälfte der gesamten Investitionsausgaben für Anlagenzur Nutzung erneuerbarer Energien fließen. Der daraus re-sultierende Beitrag zur Stromversorgung ist jedoch ver-gleichsweise gering. Ein zentrales Problem der Stromer-zeugung mit Windkraft- und Solaranlagen betrifft die zu-fällige Verfügbarkeit der Leistung dieser Anlagen. Zur Ge-währleistung der Versorgungssicherheit ist daher die Vor-haltung entsprechender Reserve- oder Speicherkapazi-täten erforderlich.

Auf längere Sicht ist mit einem weiteren Anstieg der Strom-preise und damit auch der Energiekosten zu rechnen. Preis-treibend wirkt vor dem Hintergrund der energiepolitischenWeichenstellungen vor allem der forcierte Ausbau der er-neuerbaren Energie zur Stromerzeugung. Auch ist die Be-lastung des Strompreises mit Steuern und Abgaben inDeutschland besonders hoch. Dazu kommen aktuell dieAuswirkungen eines möglicherweise vorgezogenen Verzichtsauf die Kernenergie, wodurch sich ein zusätzlicher Bedarfan fossilen Brennstoffen ergeben dürfte. Zwar gibt es auchFaktoren, die dem Preisauftrieb entgegenwirken; ob sie aberstark genug sind, den vorherrschenden Preistrend zu bre-chen, darf bezweifelt werden.

Zunehmende Bedeutung von Innovationen

Die Energieversorgung stand bislang insbesondere vor derHerausforderung, hohe Versorgungssicherheit mit zugleich,gerade im internationalen Vergleich wettbewerbsfähigen Prei-sen für die Endverbraucher vereinbaren zu können. Vor demHintergrund eines drohenden, starken Temperaturanstiegsauf der Erde, der in wesentlichem Umfang auf die Verbren-nung fossiler Energieträger zurückgeführt wird, müssen die

Anforderungen um den Klimaschutz ergänzt werden. Zu-mindest kurzfristig bestehen Konflikte zwischen den Eck-punkten des Zieldreiecks Versorgungssicherheit, Kosten undKlimaschutz.

Innovationen bzw. technischer Fortschritt stellen letztlich deneinzigen Weg dar, diesen Zielkonflikt zwischen den Anfor-derungen einer zukunftsfähigen Energieversorgung zu lösen(vgl. Gallagher et al. 2006, 195). Inwieweit dies gelingt, wirdmaßgeblich über Erfolg oder Misserfolg der beabsichtigtenund notwendigen Transformation der heutigen Wirtschafts-und Gesellschaftsstrukturen zu klimaverträglichen Ökono-mien entscheiden. Neue Technologien und Innovationen imEnergiebereich bilden damit den entscheidenden Ansatz-punkt, über den effektiver Klimaschutz mit den bekanntenZielen der kostengünstigen und sicheren Energieversorgungvereint werden kann.

Die Berücksichtigung des Klimaschutzes in den Anforderun-gen an die Energieversorgung beschleunigt eine Entwick-lung, die aufgrund der Erschöpfbarkeit der fossilen Ener-gieträger ohnehin unausweichlich wäre. Die Knappheit die-ser Ressourcen lässt von sich aus in Zukunft steigende Kos-ten der fossilen Energiegewinnung und steigende Risikenfür die Versorgungssicherheit erwarten. Unabhängig von Kli-maschutzbestrebungen muss ein Ziel der technologischenEntwicklung daher in einer stärkeren Unabhängigkeit vonfossilen Ressourcen liegen.

Die Energiewirtschaft und im Speziellen die Energieversor-ger treten traditionell zumeist als Anwender innovativer Pro-dukte anderer Branchen denn als Unternehmen mit umfang-reichen Forschungs- und Entwicklungsabteilungen auf. Daszeigt sich auch anhand einzelner Innovationen im Kraftwerks-und Versorgungsbereich. So setzen etwa Effizienzverbes-serungen im konventionellen Kraftwerksbereich Erfolge inder Materialforschung z.B. der Chemieindustrie oder neueAnlagenkomponenten aus dem Maschinenbau voraus. DieEnergieversorger greifen diese Entwicklungen auf und füh-ren sie vielfach in Pilotanlagen in Kooperation mit der In-dustrie zur großtechnischen Einsatzreife. Sie stehen damitan der Schnittstelle zwischen Entwicklung und Einsatz neu-er Technologien. In dieser Hinsicht kommt ihnen auch eine»Katalysatorfunktion« für Innovationserfolge zu. Gleichzei-tig können sie als Reaktion auf sich ändernde Marktbedin-gungen – ausgelöst etwa durch neue gesetzliche Vorgaben,die Preisentwicklung der Energieträger oder neue Zielset-zungen der Energieversorgung – als Impulsgeber für Inno-vationen in anderen Wirtschaftszweigen wirken.

Die Schwerpunkte der Forschungs- und Entwicklungsarbeitliegen in der Weiterentwicklung konventioneller Technolo-gien zur Nutzung fossiler Energieträger und ihrer Anpassungan die Anforderungen eines effektiven Klimaschutzes so-wie in der Erschließung neuer, klimaverträglicher Energie-

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quellen. Denn unverändert kommt fossilen Energieträgernzur Stromerzeugung in Deutschland eine große Bedeutungzu. Rund drei Fünftel der Bruttostromerzeugung entfiel imJahr 2009 auf fossile Brennstoffe, wobei überwiegend Stein-und Braunkohle eingesetzt wurden. Zur Reduzierung desCO2-Ausstoßes dieser fossil befeuerten Kraftwerke kom-men grundsätzlich die folgenden Möglichkeiten in Frage (vgl.IEA 2010, 115):

• Anpassung und Optimierung des konventionellen Kraft-werkpark, d.h. durch Stilllegung der ineffizientesten Kraft-werke, Modernisierung von Kraftwerken und Zubau derneuesten Technologien;

• »Fuel-Switching«, d.h. durch Wechsel von fossilen Ener-gieträgern mit hohem Kohlenstoffgehalt zu Energieträ-gern mit niedrigerem Kohlenstoffgehalt und entsprechendniedrigeren CO2-Emissionen je produzierter Energie-einheit;

• »Carbon Capture and Storage« (CCS), d.h. durch Ab-scheidung und Speicherung des in der Verbrennung ent-stehenden CO2.

Gleichzeitig leisten die erneuerbaren Energien gegenwär-tig schon einen wichtigen Beitrag zur Deckung des Strom-bedarfs in Deutschland. Seit Anfang der 1990er Jahre nahmihr Anteil am deutschen Energiemix kontinuierlich zu. ImJahr 2009 stammten in Deutschland fast 16% der Brutto-stromerzeugung aus erneuerbaren Energiequellen wieWind, Sonne oder Biomasse. Die Steigerung der Strom-erzeugung aus erneuerbaren Energien in den vergange-nen zwei Jahrzehnten war nur möglich durch umfangrei-che, staatlich initiierte Fördermaßnahmen, worunter dieVergütungsregelung über das Erneuerbare-Energien-Ge-setz (EEG) einen besonderen Stellenwert hat. Um der lang-fristigen Bedeutung der Technologien für eine klimafreund-liche Energieerzeugung gerecht werden zu können, liegtder Entwicklungsfokus für die meisten Technologien in ei-ner weiteren Senkung der Kosten der Energieerzeugungaus erneuerbaren Quellen.

Vor allem Wind- oder Solaranlagen speisen nur variabel (et-wa in Abhängigkeit von Tageszeit und Wetterlage) Strom indas Versorgungsnetz ein. Im Vergleich zur installierten Ka-pazität stellen sie so nur eine geringe gesicherte Leistungzur Verfügung und sind nicht grundlastfähig. Für Netzstabi-lität und Versorgungssicherheit müssen daher konventionel-le Kraftwerkskapazitäten zum kurzfristigen Ausgleich der An-gebotsschwankungen vorgehalten werden, die in Spitzen-zeiten bei geringer erneuerbarer Stromerzeugung zugeschal-tet werden können (vgl. IEA 2010, 145 f.). Die wesentlicheVoraussetzung zur Integration hoher Anteile fluktuierendererneuerbarer Energien unter Wahrung von Versorgungssi-cherheit, Netzstabilität und Wirtschaftlichkeit der Versorgungist eine Erhöhung der Flexibilität des Energiesystems (vgl.IEA 2010, 149). Diese Flexibilisierung zielt auf eine stärkere

(zeitliche) Entkopplung von Stromnachfrage und -angebot,für die das gesamte System transformiert und mehrere Maß-nahmen effizient kombiniert werden müssen (vgl. dena 2010,87). Neben Energiespeichern können das etwa die (geogra-phische) Vergrößerung des Systems zur weiteren Streuungder variabel einspeisenden Anlagen, zusätzliche und schnellzuschaltbare Kraftwerkskapazitäten sowie gezieltes Last-management über die Nutzung moderner Kommunikations-technologien (Smart Grids) zwischen Versorgungssystemund Nachfragern leisten (vgl. IEA 2010, 149 ff.). Weiterhinsind genauere und schnellere Prognosen der Einspeisungund ihrer Schwankungen nötig für eine bessere Abstimmungder Bestandteile einer intelligenten und flexiblen Versorgungs-struktur.

Diesen Aspekten der Stromerzeugung und -verteilung stehteine sehr wahrscheinlich noch wachsende Zahl stromba-sierter Anwendungen, wie das Beispiel der Elektromobilitätverdeutlicht, gegenüber. Hier zeigt sich ein Trend, der teil-weise ebenso durch die gesamtwirtschaftlichen Klimaschutz-anstrengungen angestoßen wird und der zugleich aber dieBedeutung weiterer Entwicklungserfolge im Bereich derEnergieerzeugung und -verteilung unterstreicht.

Fazit

Die Energiewirtschaft und insbesondere die Energieversor-gung haben einen hohen Stellenwert für die deutsche Wirt-schaft. Das kommt insbesondere in den Beiträgen zur wirt-schaftlichen Entwicklung und zur Beschäftigung zum Aus-druck. Die Gewährleistung einer im internationalen Vergleichaußerordentlich sicheren Versorgung stellt einen maßgebli-chen Standortvorteil dar. Auch im Hinblick auf das Erreichender Klimaschutzziele kommt der Energieversorgung großeBedeutung zu. Dabei kann die von der Energiepolitik ange-strebte Umgestaltung der Energieversorgung nur durch um-fassende Innovationen gemeistert werden. Eine besondereHerausforderung stellt für die Versorger die Bewältigung derdurch eine Vielzahl energiepolitischer Entscheidungen ver-ursachten beträchtlichen Kostenbelastungen, insbesonde-re für die industriellen Verbraucher, dar.

Literatur

BDEW – Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (2010), Ener-giemarkt Deutschland: Zahlen und Fakten zur Gas-, Strom und Fernwärme-versorgung, BDEW, Berlin.Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (2008), Monitoring-Be-richt des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie nach § 51 EnWGzur Versorgungssicherheit im Bereich der leitungsgebundenen Versorgungmit Elektrizität, BMWi, Berlin.Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (2010), Zahlen und Fak-ten: Energiedaten, nationale und internationale Entwicklung, BMWi, Septem-ber, Berlin. Bundesnetzagentur (2010), Monitoringbericht 2010, Bundesnetzagentur,Bonn.

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Forschungsergebnisse

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Spürbare Erholung im Wohnungsneubau

Der Wohnungsneubau befindet sich amBeginn einer neuen Aufwärtsentwicklung.Noch relativ niedrige Hypothekenzinsen,Inflationsängste und positive Erwartungenzu ihrer zukünftigen Einkommenssituationveranlassen derzeit zahlreiche Haushaltezum Bau oder Erwerb von Wohneigentum.2010 dürfte die Zahl der Wohnungsfertig-stellungen in neuen Wohngebäuden des-halb auf rund 155 000 Einheiten zugelegthaben, nachdem 2009 ein historischerTiefstwert (knapp 137 000 Wohnungen) er-reicht worden war. In den Jahren 2007 bis2009 konnte lediglich der ostdeutsche Ge-schosswohnungsbau – entgegen dem all-gemeinen Abwärtstrend – positive Wachs-tumsraten aufweisen. Das Neubauniveau

ist derzeit aber immer noch äußerst nied-rig. Dies zeigt etwa ein Vergleich mit demJahr 2000. Damals wurden – mit insge-samt fast 370 000 Fertigstellungen – mehrals doppelt so viele Wohnungen neu er-richtet (vgl. Abb. 1).

Trotz der wieder leicht gestiegenen Fertig-stellungen 2010 dürften im vorigen Jahrnur ca. 1,9 Wohnungen pro 1 000 Einwoh-ner neu errichtet worden sein. Auf demvorangegangenen Höhepunkt der Neu-bauaktivitäten 1995 lag diese Quote nochbei 6,4. Dieser Wert kann selbstverständ-lich langfristig kein Maßstab sein. Dennochmüssten dauerhaft zumindest etwa vierWohneinheiten pro 1 000 Personen fertiggestellt werden, um den Wohnungsbe-stand nicht zu stark altern zu lassen. Diesentspräche mehr als 300 000 neuen Woh-

deutsches Bauvolumen in den nächsten JahrenAusgewählte Ergebnisse der »ifo Bauvorausschätzung Deutschland«

Erich Gluch und Ludwig Dorffmeister

Steigende Wohnungsbaunachfrage stimuliert

Die Bautätigkeit wird in Deutschland in den Jahren 2011 bis 2020 voraussichtlich nur moderat zu-

nehmen. 2020 dürfte das Bauvolumen einen Umfang von rund 254 Mrd. Euro (in Preisen von 2000)

erreichen. Die erbrachten Bauleistungen werden dann um rund 10 Mrd. Euro über dem Wert des

Jahres 2010 liegen. Für den betrachteten Zehnjahreszeitraum ergibt sich damit ein durchschnitt-

liches jährliches Wachstum von lediglich knapp 1/2%.

Hauptgrund für die prognostizierte Ausweitung der Bauaktivitäten ist die Entwicklung im Woh-

nungsbau. In dieser Teilsparte dürfte sich das Bauvolumen in den nächsten zehn Jahren um durch-

schnittlich knapp 1% p.a. erhöhen. Neben weiterhin umfangreichen Maßnahmen im Wohngebäu-

debestand wird es zu einer nachhaltigen Belebung des Neubaus kommen. Entsprechend den Vor-

hersagen dürften 2013 wieder mehr als 200 000 Neubauwohnungen errichtet werden; noch im Jahr

2009 war die Fertigstellungszahl auf den historischen Tiefstwert von 136 500 Einheiten gesun-

ken. Nach etlichen Jahren, die von einer schrumpfenden Neubautätigkeit geprägt waren, sind die

Vorzeichen für eine dauerhafte Aufwärtsentwicklung nun klar positiv.

Die gewerblichen Bauausgaben dürften im Prognosezeitraum hoch bleiben, aber nicht wesentlich

zunehmen. Die wirtschaftlichen Perspektiven und der notwendige Umbau der energetischen In-

frastruktur machen eine deutliche Einschränkung der Bauleistungen in den kommenden Jahren

mehr als unwahrscheinlich. Insgesamt dürfte sich der gewerbliche Hochbau etwas besser entwi-

ckeln als der Tiefbau. Für 2020 wird mit einem Investitionsvolumen von rund 761/2 Mrd. Euro (in

Preisen von 2000) gerechnet. Dieser Wert liegt merklich über dem Niveau des Jahres 2005 (66 Mrd.

Euro, in Preisen von 2000), in welchem die seit der Wiedervereinigung geringste gewerbliche

Bautätigkeit zu verzeichnen war.

Der Umfang der Bauvorhaben, die von der öffentlichen Hand in Auftrag gegeben werden, dürfte

zwischen 2010 und 2020 von 381/2 Mrd. Euro auf unter 35 Mrd. Euro (jeweils in Preisen von 2000)

sinken. Trotz anhaltend hohem Sanierungsbedarf – etwa im Verkehrsinfrastrukturbereich – wird

die Höhe der Bauausgaben auch in Zukunft maßgeblich von der öffentlichen Kassenlage abhän-

gen. Zwar werden 2011 noch etliche Projekte aus den »Konjunkturprogrammen« zu Ende geführt.

Schon jetzt stehen die Zeichen jedoch auf nachhaltiger Haushaltskonsolidierung. Die für die nächs-

ten Jahre erwarteten merklichen Steuerzuwächse dürften daran nur wenig ändern.

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Daten und Prognosen

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nungen pro Jahr; bezogen auf den aktuellen Bestand anWohneinheiten in Wohngebäuden von fast 40 Millionen könn-ten damit jährlich aber nicht einmal 1% der Wohnungen »er-setzt« werden.

In den westdeutschen Bundesländernwird seit 1995 vor allem in Baden-Württemberg, Bayern, Rheinland-Pfalzund Schleswig-Holstein eine überdurch-schnittlich hohe Fertigstellungsquote je1 000 Einwohner erzielt. Für die erhöhteWohnungsbautätigkeit dürfte vor allem derstetige Bevölkerungszuwachs verantwort-lich sein. In den neuen Bundesländern, dieteilweise erhebliche Bevölkerungseinbu-ßen aufweisen, sind dagegen – mit Aus-nahme von Mecklenburg-Vorpommernund Brandenburg – die Quoten deutlichkleiner als im Bundesdurchschnitt. Wäh-rend die positive Entwicklung in Meck-lenburg-Vorpommern unter anderem aufden Bau von Ferienwohnungen zurückzu-führen sein dürfte, profitiert Brandenburgdavon, dass viele Arbeitnehmer, die in Ber-

lin arbeiten, nicht in der Stadt, sondern lieber im Um-land wohnen möchten.

Bei den Wohnungsgenehmigungen zeichnet sich seit Mitte2009 eine Belebung ab. Dies gilt sowohl für Wohnungen inEin- und Zweifamiliengebäuden als auch in Mehrfamilien-häusern. Nach den Ergebnissen der ifo Architektenumfra-ge sollten sich die Genehmigungen in der nächsten Zeit wei-ter erhöhen, denn das Volumen der bei den teilnehmendenArchitekturbüros eingegangenen Planungsaufträge für neueEin- und Zweifamiliengebäude wächst seit Ende 2007 kon-tinuierlich. Im Hinblick auf den Mehrfamilienhausbau deu-ten die Umfrageergebnisse eine deutlich weniger starke Auf-wärtsentwicklung an (vgl. Abb. 2).

Wohnungsbaufirmen berichten von extremgünstigem Geschäftsklima

Die im Rahmen des ifo Konjunkturtests befragten Wohnungs-baufirmen des Bauhauptgewerbes beurteilen ihre aktuelleLage derzeit so günstig wie letztmals zu Beginn des Jahres1995. Damals wurden mehr als eine halbe Million Wohnun-gen neu errichtet. Seitdem wurden die Kapazitäten aller-dings erheblich zurückgefahren und die Zahl der Beschäf-tigten drastisch verringert. Hinzu kommt, dass etliche derteilnehmenden Firmen auch Ausbauarbeiten durchführen,also in dem Bereich tätig sind, der in den letzten Jahren starkvon den Klimaschutzdiskussionen profitiert hat. Der gute Kli-mawert beruht zudem auf äußerst optimistischen Einschät-zungen für die kommenden sechs Monate.

Langfristig wird die Neubaunachfrage insbesondere von derBevölkerungsentwicklung, der Inflation, den Preisen fürWohnimmobilien sowie von den Finanzierungskosten beein-flusst. Staatliche Fördermaßnahmen spielen so gut wie kei-ne Rolle mehr. Die öffentliche Förderung wurde seit Mitte der

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1993 1996 1999 2002 2005 2008 2011 2014 2017 2020

Wohnungsfertigstellungen in Deutschland nach Gebäudearten

Anzahl in 1 000, Wohnungen in neu errichteten Wohngebäuden

insgesamt

in Ein- und Zweifamiliengebäuden

in Mehrfamiliengebäuden(inkl. Wohnheime)

Quelle: Statistisches Bundesamt; ifo Institut.

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1985 1987 1989 1991 1993 1995 1997 1999 2001 2003 2005 2007 2009

Geschätztes Bauvolumen der freischaffenden Architekten (EUR)

Quelle: ifo Institut.

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1985 1987 1989 1991 1993 1995 1997 1999 2001 2003 2005 2007 2009

Ursprungswerte geglättete Werte

für Ein- und Zweifamiliengebäude

Index 1990 = 100

für Mehrfamiliengebäude

Abb. 2

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Daten und Prognosen

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1990er Jahre drastisch reduziert, und dieSparanstrengungen verhindern eine merkli-che Ausweitung der staatlichen Hilfen.

Trotz schrumpfender Bevölkerung nimmt dieZahl der Haushalte immer noch leicht zu. DieInflation in Deutschland dürfte aufgrund derexpansiven Geldpolitik der EuropäischenZentralbank sowie der Preisentwicklungenfür Energie, Rohstoffe und Lebensmittel inden nächsten Jahren eher hoch bleiben. ImGegensatz zum vergangenen Jahrzehnt wie-sen die Preise für Wohnimmobilien 2010 ei-ne sichtliche Aufwärtsdynamik auf. Dane-ben werden die anhaltend günstigen Finan-zierungskonditionen die Neubaunachfrage»anheizen«.

Für den Wohnungsneubau ist überdies dielangfristige gesamtwirtschaftliche Entwicklung von überge-ordneter Bedeutung. Dabei kommt es vor allem darauf an,wie stark die Beschäftigten bzw. die gesamte Bevölkerungan der zusätzlichen Wertschöpfung teilhaben. Zwischen1970 und 1991 betrug das durchschnittliche reale Wachs-tum im früheren Bundesgebiet gut 21/2% pro Jahr. Im Zeit-raum 1992 bis 2010 kletterte das gesamtdeutsche Brutto-inlandsprodukt im Schnitt um jährlich rund 11/2%. Mittel- undlangfristig ist von einem jährlichen Trendwachstum in derGrößenordnung von 1 bis 11/2% auszugehen. In welchemUmfang wird dabei die »breite Masse« an diesem Anstiegdes Volkseinkommens partizipieren können?

Höhere reale Einkommenszuwächse stimulierendie Baunachfrage

Vergleicht man die durchschnittlichen nominalen Brutto-verdienste (ohne Sonderzahlungen) mit der Entwicklungder Verbraucherpreise, so zeigt sich, dass die Beschäftig-ten vom kräftigen Aufschwung zwischen 2006 und 2008kaum profitieren konnten (vgl. Abb. 3). In diesen drei Jah-ren wurden die Zuwächse bei den Einkommen von den ho-hen Preissteigerungen nahezu neutralisiert. Die hieraus ab-geleitete Zunahme der Kaufkraft, die Steuern und Abga-ben bewusst unberücksichtigt lässt, lag jeweils bei deut-lich weniger als einem halben Prozentpunkt. 2009 kamenviele Beschäftigte in den Genuss bereits vereinbarter Lohn-erhöhungen. Im Zusammenspiel mit der extrem niedrigenInflation konnte dadurch der höchste Kaufkraftzuwachsseit 2003 erzielt werden. Auch 2010 blieb die Teuerungüberschaubar. Gleichzeitig erholte sich die Wirtschaft sorasch, dass die Kurzarbeit erheblich reduziert und die Löh-ne zum Teil deutlich angehoben werden konnten. Die Kauf-kraftzunahme fiel mit gut 11/2% fast doppelt so hoch auswie 2009.

In den vergangenen zehn Jahren hat die Zurückhaltungder Arbeitnehmerseite bei den Lohnverhandlungen insge-samt zu einer deutlichen Steigerung der internationalenWettbewerbsfähigkeit deutscher Firmen geführt. Die rea-len Verdienstzuwächse lagen im Durchschnitt bei lediglichknapp 1% pro Jahr. Auf der einen Seite profitierte hiervondie deutsche Wirtschaft, so dass die mittelfristigen Zu-kunftsaussichten als gut einzuschätzen sind. Auf der an-deren Seite hatten die privaten Haushalte nur unwesent-lich mehr Geld für Konsumzwecke zur Verfügung. Auchauf die Wohnungsnachfrage wirkte sich diese Entwicklungdämpfend aus. Angesichts der positiven wirtschaftlichenZukunftsaussichten, des sich verknappenden Arbeitskräf-teangebots sowie der parteiübergreifenden politischenForderung nach Lohnanpassungen sollten die Verdiens-te in den nächsten Jahren real wieder stärker steigen alsin der Vergangenheit. Dies dürfte den Wohnungsneubauzusätzlich stimulieren.

Die Bestandsmaßnahmen werden auch weiterhin den Woh-nungsbau dominieren. So erfordert der Wohnungsbestandvon knapp 40 Millionen Einheiten mittlerweile immense In-standsetzungsarbeiten. Nahezu die Hälfte der Wohnungenstammt aus den drei Nachkriegsjahrzehnten, wobei dieserAnteil in Westdeutschland bei über 50% und in den neuenBundesländern bei lediglich knapp 30% liegt. Während ei-ne Wohnimmobilie im Westen im Durchschnitt zwischen45 und 50 Jahre alt ist, beträgt das durchschnittliche Alterim Osten mehr als 55 Jahre.

2009 kamen fast vier Fünftel der Wohnungsbau-leistungen dem Gebäudebestand zugute

Nach Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirt-schaftsforschung (DIW) stagnierte der Umfang der Be-

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1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010

Kaufkraftänderung in %-Punkten

Bruttoverdienste

Verbraucherpreise

Bruttoverdienstea) und Verbraucherpreise 1992 bis 2010

a) Verdienste ohne Sonderzahlungen.

Veränderung zum Vorjahr in %

Quelle: Statistisches Bundesamt; ifo Institut.

Abb. 3

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Daten und Prognosen

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standsmaßnahmen 2009 bei knapp 100 Mrd. Euro (in Prei-sen von 2000). Entsprechend den rückläufigen Fertigstel-lungszahlen ging das Neubauvolumen auf rund 271/2 Mrd.Euro (in Preisen von 2000) zurück. Der Anteil der Instand-haltungs- und Modernisierungsmaßnahmen machte somitnahezu 79% aus.

Ein großer Teil der Leistungen im Gebäudebestand ent-fällt auf Maßnahmen zur Senkung des Energieverbrauchs.Erheblich gestiegene Energiepreise haben sowohl bei Pri-vateigentümern als auch bei Wohnungsunternehmen zueinem Umdenken geführt. Der Umstieg auf erneuerbareEnergieträger und die Verbesserung der Energieeffizienzder Wohngebäude werden dabei unter anderem durch Pro-gramme der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) geför-dert. Das Energiekonzept der Bundesregierung sieht enor-me Einsparungen im Gebäudebereich vor. Deshalb soll dieSanierungsrate »von derzeit jährlich weniger als 1% auf 2%des gesamten Gebäudebestands verdoppelt werden«. Al-lerdings ist die Datenlage über den energetischen Zustanddes Wohngebäudebestands – trotz einer Stichprobener-hebung durch das Statistische Bundesamt alle vier Jahre– äußerst dürftig.

Eine umfangreiche und detaillierte Abbildung der aktuellenSituation liefert die Studie »Datenbasis Gebäudebestand –Datenerhebung zur energetischen Qualität und zu den Mo-dernisierungstrends im deutschen Wohngebäudebestand«.Erstellt wurde dieser Bericht durch das Institut Wohnen undUmwelt (IWU) in Zusammenarbeit mit dem Bremer EnergieInstitut (BEI), wobei die Durchführung der Eigentümerbe-fragung durch Schornsteinfeger erfolgte. Die erzielten Er-gebnisse beruhen auf einer Stichprobenerhebung; insge-samt liegen auswertbare Datensätze für knapp 7 500 Wohn-gebäude vor. Die Ergebnisse spiegeln in etwa den Standzum Jahresende 2009 wider und decken sich gut mit denResultaten der Mikrozensus-Erhebungen des StatistischenBundesamtes.

Die Studie beinhaltet statistische Informationen zum Wär-meschutz (Dämmung, Modernisierungsraten, Fenster), zu

Heizungs- und Gebäudetechnik (Heizkessel, Solaranla-gen, Lüftungs- und Klimaanlagen usw.), zur Inanspruch-nahme von Förderungen für Energieeinsparmaßnahmensowie zum barrierefreien Bauen und Wohnen. Im Folgen-den soll auf einzelne ausgewählte Ergebnisse eingegan-gen werden.

Drei Viertel aller Wohngebäude verfügen überspezielle Dämmung des Daches bzw. der Obergeschossdecke

In Bezug auf eine spezielle Wärmedämmung von Außen-wänden, Dach/Obergeschossdecke sowie Fußboden/Kel-lerdecke schneiden Wohngebäude, die vor 1979 fertig ge-stellt wurden, erwartungsgemäß am schlechtesten ab (vgl.Tab. 1). Die Betrachtung aller Wohngebäude lässt erkennen,dass Dächer bzw. Obergeschossdecken am besten isoliertsind. Etwa 71% der existierenden Flächen dieser Bauteilesind mit einer speziellen Wärmedämmung versehen. Hin-sichtlich der Außenwände beträgt dieser Anteil lediglich rund36%, für Fußböden bzw. Kellerdecken liegt er noch etwasniedriger.

Ein- und Zweifamiliengebäude weisen zumeist eine höhe-re Dämmungsquote bzw. -grad auf als Mehrfamiliengebäu-de. Zu beachten ist auch, dass gut dämmende Mauer-steine aus erhebungstechnischen Gründen hier nicht be-rücksichtigt werden konnten. Insbesondere die um die vor-letzte Jahrhundertwende errichteten Wohngebäude wei-sen eine solch massive Bauweise auf. Der Nutzen aus ei-ner zusätzlichen Dämmung würde hier in der Regel ehergering ausfallen.

Ein umfassender Wärmeschutz für die einzelnen Wohnge-bäude ist nur erreichbar, wenn gleichzeitig auch dieFenster/Verglasung auf den neuesten Stand gebracht wird.Rund 21/2% der Fenster, die Ende 2009 in den Wohngebäu-den eingebaut waren, dürften noch die früher verwendeteEin-Scheiben-Verglasung aufweisen. Auf einen Anteil vonüber 90% bringt es dagegen die Doppelverglasung. Die neue

Tab. 1

Wärmedämmunga) deutscher Wohngebäude

Außenwand Dach/Obergeschossdecke Fußboden/Kellerdecke

alle EFG/ ZFG

MFG alle EFG/ ZFG

MFG alle EFG/ ZFG

MFG

Gedämmte Bauteilfläche im gesamten Gebäudebestandb) (Anteil in %)

insgesamt 35,8 36,1 34,4 71,2 72,1 66,6 33,8 35,6 25,1

Baujahr bis 1978 27,8 27,3 29,8 61,9 62,0 61,2 19,9 20,5 17,5 1979–2004 49,7 49,8 48,7 88,9 89,5 84,9 59,2 60,5 49,8

ab 2005 64,0 64,4 58,6 98,2 98,2 98,6 85,3 85,4 83,6 a) Bezieht sich auf das Vorhandensein spezieller Wärmedämmschichten. –

b) Anteil der Gebäude mit Dämmung des Bauteils

gewichtet mit dem gedämmten Flächenanteil.

Quelle: Institut Wohnen und Umwelt (IWU); Bremer Energie Institut (BEI); Ergebnisstand: Ende 2009.

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Daten und Prognosen

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Drei-Scheiben-Wärmeschutzverglasung istbislang bei etwa 31/2% der verbauten Fens-ter anzutreffen.

Die Auswertung der Frage nach dem Einbau-zeitpunkt der Fenster, zeigt, dass in über derHälfte der Wohngebäude der »überwiegen-de Anteil der Fensterfläche« mehr als 15 Jah-re alt ist. Bei der Gruppe der »Altbauten«, dervor 1979 errichteten Wohnhäuser, trifft diesauf über 60% der Gebäude zu. In einem Vier-tel aller Wohngebäude wurde das Gros derFenster im vergangenen Jahrzehnt einge-setzt (»Altbauten«: 20%).

Vier Fünftel der Solaranlagen dienender Wärmeerzeugung, nur ein Fünftel der Stromgewinnung

Neben Aussagen zum Wärmeschutz werden in der Studieauch Daten zur Heizung und Gebäudetechnik aufgezeigt.Zu den sehr zahlreichen Resultaten zählt unter anderem,dass Ende 2009 bereits mehr als 10% der bestehendenWohngebäude mit einer Solaranlage ausgestattet waren (vgl.Abb. 4). Zum größten Teil sind solche Anlagen auf Ein- undZweifamiliengebäuden installiert, wobei die solarthermischenAnlagen klar dominieren. Vor dem Hintergrund der aufge-heizten öffentlichen Diskussionen über die Absenkung derEinspeisevergütungen für selbst erzeugten Solarstrom hät-te man eine größere Verbreitung der Photovoltaik vermutenkönnen. Von den Wohngebäuden, die seit 2005 errichtetwurden, verfügen sogar knapp 30% über Solarthermie undlediglich rund 31/2% über Photovoltaikanlagen.

Die Erhebung gibt auch Aufschluss über die Bedeutungder unterschiedlichen Förderungen von Sanierungsmaßnah-men. Für 20% der Wohngebäude, die vor 2005 errichtet

wurden und an denen seit 2005 Energieeinsparmaßnahmendurchgeführt worden sind, haben die Eigentümer hierfür För-derungen erhalten. Für fast 60% dieser Gebäude wurdenKfW-Mittel in Anspruch genommen, in 32% der Fälle wur-den Gelder aus dem Marktanreizprogramm für erneuerba-re Energien für Investitionen verwendet (vgl. Tab. 2). Knapp12% der geförderten Objekte profitierten von weiteren För-derprogrammen des Bundes. Betrachtet man Wohngebäu-de, an denen ausschließlich der Wärmeschutz (Dämmung,Fenstererneuerung) verbessert wurde, so zeigt sich einenoch dominierende Rolle der KfW-Programme.

Für die Errichtung von Neubauten (ab 2005) wurden dage-gen in 40% der Fälle Förderungen genutzt. In der Rangfol-ge der wichtigsten Förderprogramme für Energieeinspar-maßnahmen stehen wiederum die der KfW an der Spitze.Das Marktanreizprogramm für erneuerbare Energien hat je-doch für Neubauprojekte einen deutlich höheren Stellenwertals für Sanierungsvorhaben.

Tab. 2

Förderung von Energieeinsparmaßnahmen Anteil an allen Wohngebäuden, für die seit 2005 eine Förderung

a) in Anspruch genommen wurde (in %)

Wohngebäude mit Baujahr bis 2004

(Förderung zur Modernisierung)

Neubau ab 2005

(Neubauförderung)

Art der Förderung

alle

Energieeinspar-maßnahmen

ausschließlich

Wärmeschutz-maßnahmen

alle

Energieeinspar-maßnahmen

Förderung der KfW 58,6 78,4 69,5

Marktanreizprogramm für EE 32,0 – 46,8 Sonstige Fördermittel des Bundes 11,5 7,8 9,0

Fördermittel eines Bundeslandes 6,2 10,6 10,8 Fördermittel von Kommune/Landkreis 5,4 7,7 6,9 Fördermittel von EVU 5,6 3,1 3,9 Sonstige Fördermittel 1,0 – 0,6 a) Bei einem Teil der Gebäude erhielten die Eigentümer Mittel aus verschiedenen Fördertöpfen, deshalb beträgt die Summe

der angegebenen Prozentwerte jeweils mehr als 100%.

Quelle: Institut Wohnen und Umwelt (IWU); Bremer Energie Institut (BEI); Ergebnisstand: Ende 2009.

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alle Wohngebäude EFG/ZFG Mehrfamiliengebäude Neubauten (ab 2005)

Photovoltaikanlagesolarthermische Anlage

Installierte Solaranlagen im Wohngebäudebestand Ende 2009

%Anteil der Gebäude, die über die jeweilige Technik verfügena)

a) Die 0,8% der Gebäude, die über beide Techniken verfügen, wurden doppelt gezählt.Quelle: Institut Wohnen und Umwelt (IWU); Bremer Energie Institut (BEI).

Abb. 4

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Daten und Prognosen

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Wirtschaftsbau stabilisiert sichlangfristig bei rund 76 Mrd. Euro

Auch in den nächsten Jahren dürften vonSeiten der Unternehmen umfangreicheBaumaßnahmen erfolgen. Anders als imZeitraum 1995 bis 2005, als die gewerb-lichen Bauleistungen erheblich schrumpf-ten (– 28%), existieren gegenwärtig keinemassiv dämpfenden Sondereffekte. Viel-mehr sind derzeit die langfristigen wirt-schaftlichen Aussichten ausgezeichnet.Deutsche Firmen werden weiterhin vomhohen Wachstum in den ehemaligenSchwellenländern profitieren. Zudem wirdfür die Zukunft wieder von einer dynami-scheren Entwicklung des Binnenkonsumsausgegangen.

Zwischen 2005 und 2008 hat der Wirt-schaftshochbau bereits um rund 10 Mrd. auf 55 Mrd. Euro(in Preisen von 2000) zugenommen (vgl. Abb. 5). Diesentspricht einem realen Anstieg um ca. 23%. Großen An-teil hieran hatte der umfangreiche Neubau von Industrie,Handel- und Logistikgebäuden. Die Wirtschaftskrise hatin vielen Fällen nur zu einem zeitlichen Aufschub der ge-planten Bauvorhaben geführt. Die genehmigten Flächennehmen – bezogen auf die veranschlagten Baukosten –zwar noch ab, bewegen sich aber immer noch auf ei-nem deutlich höheren Niveau als 2006. Zudem berich-ten die Architekten seit Ende 2009 von einer merklichenBelebung ihrer Planungstätigkeit für gewerbliche Auftrag-geber.

Der Hochbau, der nicht dem Wohnungsbau zuzuordnenist, wird in Deutschland sehr stark von gewerblichen Auf-traggebern dominiert. 2013 und 2014 dürfte das Fertig-

stellungsvolumen von Nichtwohngebäuden aufgrund desaktuellen wirtschaftlichen Aufschwungs wieder merklichansteigen. Dies dürfte auch für die Gruppe der Büro- undVerwaltungsgebäude gelten. Tendenziell sind jedoch dieVolumina für neu erstellte Büros seit 1993 tendenziell rück-läufig (vgl. Abb. 6). Bis 2014/2015 dürfte lediglich eineStabilisierung auf niedrigem Niveau erfolgen. Einer derHauptgründe für die schwache Neubautätigkeit – abge-sehen von einer vorübergehenden Belebung im Rahmendes Wiedervereinigungsbooms – ist der im internationa-len Vergleich immer noch hohe Industrialisierungsgrad.In anderen Ländern spielt der Dienstleistungssektor einewesentlich größere Rolle.

In einer im Frühjahr 2010 veröffentlichten Studie der Hypo-thekenbank Deutsche Hypo werden die entscheidenden Kri-terien aufgezeigt, welche die Büroimmobilienmärkte lang-

fristig prägen dürften. Nach dieser Analysesind dies, neben dem Nachhaltigkeitsaspekt,vor allem die demographische Entwicklungund der technische Fortschritt.

Im Gegensatz zur Deutschen Hypo legt dasInstitut der deutschen Wirtschaft Köln (IW)in einer Analyse aus dem Jahr 2009 einstärkeres Gewicht auf die demographi-schen Einflüsse. Es erwartet daher für nurwenige Städte bis 2025 noch eine steigen-de Büroflächennachfrage. An der Spitzerangieren dabei München, Köln und Ham-burg. In beiden Untersuchungen wird aberdarauf verwiesen, dass es räumlich eher zueiner Konzentration auf die bisher schonherausragenden Bürostandorte kommendürfte.

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Gewerbliches Bauvolumen in Deutschland nach Bauartenin Preisen von 2000

insgesamt

Wirtschaftshochbau

Wirtschaftstiefbau

Quelle: Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW); ifo Institut.

Mrd. €

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Fertigstellung neuer Nichtwohngeäude

Büro- und Verwaltungsgebäude (linke Skala)

Quelle: Statistisches Bundesamt; ifo Institut.

Nichtwohngebäude insgesamt(rechte Skala)

in Mill. m3

Abb. 6

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Daten und Prognosen

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Gewerblicher Tiefbau profitiert von Netzinvesti-tionen und Ausgaben für erneuerbare Energien

Anders als im Hochbau verlaufen die Bauaktivitäten im Tief-bau wesentlich stabiler. Der Wiedervereinigungsboom führ-te zu einem Anstieg des Bauvolumens auf gut 25 Mrd. Euro(in Preisen von 2000) im Jahr 1994. Der bisherige gesamt-deutsche Tiefstwert lag 2004 mit knapp 21 Mrd. Euro (inPreisen von 2000) »nur« um 17% darunter. Im Prognose-zeitraum ist mit keinen großen Zuwächsen zu rechnen. Un-abhängig von der allgemeinen konjunkturellen Entwicklungdürften sich die Tiefbauleistungen in den nächsten zehn Jah-ren auf einem Niveau von rund 221/2 Mrd. Euro (in Preisenvon 2000) bewegen.

Stabilisierend wirken sich dabei langfristig die Investitionenin die Netze zur Informationsübertragung sowie in Einrich-tungen zur Erzeugung, Verteilung und Speicherung von Ener-gie aus. Zu nennen ist beispielsweise der Ausbau der Glas-fasernetze oder die Ausweitung der Produktionskapazitä-ten erneuerbarer Energien, auf die im Folgenden näher ein-gegangen wird.

Bei der Stromerzeugung liegen die größten Hoffnungen auf der Windenergie

Was die Stromproduktion betrifft, so steht die Nutzung derWindenergie mit einem Beitrag von knapp 7% bei den re-generativen Energien mit Abstand an erster Stelle. 1990drehten sich in Deutschland 405 Windräder mit einer in-stallierten Leistung von 68 MW; 2000 immerhin 9 359 mit6 095 MW Leistung. Im Jahr 2009 kam es erstmals zu ei-nem Rückgang bei der erzeugten Strommenge. Rund21 000 Anlagen produzierten 38,5 TWh Strom, bei 25,7 GWinstallierter Leistung – nach 40,6 TWh bei rund 20 000 Wind-kraftanlagen mit fast 24 GW Gesamtleistung im Vorjahr. Ver-antwortlich für die rückläufige Entwicklung der Strompro-

duktion waren vor allem die 2009 vergleichsweise ungüns-tigen Windverhältnisse. Nach dem aktuellen Leitstudie desBundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reak-torsicherheit (BMU) soll die Stromproduktion aus Windkraftbis 2020 auf rund 108 TWh (davon ca. 75 TWh Onshore undca. 33 TWh Offshore) gesteigert werden (vgl. Tab. 3).

Von den 25,7 GW installierter Leistung, die Ende 2009 be-reits in Betrieb waren, entfiel gut ein Viertel auf Anlagen inNiedersachsen. Zusammen mit vier weiteren Bundesländern(Brandenburg 16%, Sachsen-Anhalt 13%, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen jeweils 11%) wurde be-reits ein Anteil von gut drei Viertel erreicht. In den beiden gro-ßen südlichen Bundesländern, Baden-Württemberg undBayern, wurden bislang lediglich rund 450 MW Leistung ins-talliert. Das entspricht einem Anteil von gerade einmal je-weils knapp 2%.

Da günstige Standorte an Land bereits knapp werden, wirdder Bau von Anlagen auf See stärker gefördert. Der Bau vonWindrädern in der so genannten ausschließlichen Wirt-schaftszone (AWZ) – dies ist die Zone zwischen 12 und200 Kilometern vor der Küste – soll damit erleichtert wer-den. Konkret plant die Bundesregierung in ihrem Energie-konzept ein Sonderprogramm für Offshore-Anlagen. Mit ei-nem von der KfW bereit gestellten Kreditvolumen von 5 Mrd.Euro sollen zehn Windparks finanziert werden.

Momentan sind in europäischen Gewässern insgesamt17 Windparks im Bau, weitere 52 haben das Genehmi-gungsverfahren erfolgreich absolviert. Mehr als die Hälf-te der neuen Anlagen soll vor der deutschen Küste ent-stehen. Insgesamt befinden sich Projekte mit einer prog-nostizierten Leistung von mehr als 100 GW in den unter-schiedlichen Planungsstadien. Ziel der Bundesregierungist die Bereitstellung von Anlagen mit einer Leistung vonmehr als 12 000 MW in 40 Parks in Nord- und Ostsee biszum Jahr 2020.

Tab. 3 Stromerzeugung erneuerbarer Energien im Leitszenario

2000 2005 2008 2009 2010 2015 2020

in TWh/a

Wasserkraft 24,9 21,5 20,4 19,1 20,4 21,4 22,2

Windenergie 7,6 27,2 40,6 38,6 43,4 72,0 108,0 Onshore 7,6 27,2 40,6 38,5 43,0 63,8 75,5 Offshore – – – 0,2 0,4 8,2 32,5

Photovoltaik 0,1 1,3 4,4 6,6 12,5 30,4 43,9 Biomasse 4,1 13,5 27,8 30,5 31,7 41,1 49,5 Biogas, Klärgas u.a. 1,7 5,8 11,8 13,4 14,1 18,5 22,3

Feste Biomasse 0,6 4,6 11,1 12,1 12,4 17,1 21,3 Biogener Abfall 1,8 3,1 4,9 5,0 5,1 5,4 5,9 Erdwärme – – 0,0 0,0 0,0 0,3 1,7

EE-Strom insgesamt 36,7 63,5 93,2 94,8 108,0 165,2 225,3a)

a) Ohne 1,8 TWh/a aus dem sich bis 2020 etablierten europäischen EE-Stromverbund. – Abweichungen in den Summen

durch Runden der Zahlen.

Quelle: Leitszenario 2008, Leitstudie 2010, BMU.

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Daten und Prognosen

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Nach einer Faustformel des Bundesverbandes Windener-gie (BWE) kostet der Bau einer Offshore-Anlage bei einerWassertiefe von 30 Metern etwa 3 Mill. Euro je Megawatt.Sollte es bei der großen Anzahl der Anlagen zu keiner Kos-tendegression kommen, wären bis 2020 Investitionskostenin Höhe von rund 30 Mrd. Euro zu veranschlagen.

Der durch den Wind erzeugte Strom entsteht so gut wie aus-schließlich im Norden der Republik. Zur optimalen Nutzungder dort produzierten großen Strommengen ist es daher not-wendig, entsprechende Leitungen für den Transport in süd-lichere Regionen vorzuhalten. Um dieses Problem zu lö-sen, hat der Bund bereits in der vergangenen Legislaturpe-riode das Energieleitungsausbaugesetz (EnLAG) verabschie-det, um die Planungs- und Genehmigungsverfahren für Lei-tungsbauvorhaben zu beschleunigen.

Der Ausbau der Stromübertragungsnetze hinktden Zielvorgaben hinterher

Dieses Gesetz enthält eine Liste mit 24 Höchstspannungs-leitungen, für deren Bau »vordringlicher Bedarf« festgestelltwurde. Im Wesentlichen handelt sich dabei um die von derDeutschen Energieagentur (Dena) in ihrer ersten Netzstu-die 2005 benannten dringend benötigten weiteren 850 Netz-Kilometer. Der Investitionsaufwand hierfür wird auf rund6 Mrd. Euro geschätzt. Der Ausbau geht jedoch sehr schlep-pend voran, bislang wurden davon gerade einmal 90 Kilo-meter realisiert.

Die zunehmende Dezentralisierung und die stark schwan-kende Stromerzeugung der erneuerbaren Energien, wieWindkraft oder Photovoltaik, erfordern neben der Anpas-sung der bestehenden Übertragungsnetze idealerweise auchumfangreichere Speicherkapazitäten, als derzeit zur Verfü-gung stehen. So ist beispielsweise Ende 2009 von den Nord-seeanrainerstaaten sowie von Schweden und Irland die

Nordsee-Offshore-Initiative ins Leben gerufen worden. Die-se sieht eine Stärkung der Versorgungssicherheit und einebessere Integration der erneuerbaren Energien vor. Danachsoll ein Teil des im Nordseeraum in Windparks erzeugtenStroms in windstarken Zeiten skandinavischen Pumpspei-cherkraftwerken zugeleitet werden, die wiederum in wind-schwachen Phasen Strom ins Netz zurückgeben würden.

Neben der Windkraft spielt bei den erneuerbaren Energiennoch die Stromerzeugung aus Biomasse mit einem Anteilvon etwa 4% an der Gesamtproduktion eine größere Rolle.2009 lieferten rund 8 500 Anlagen mit einer installierten Leis-tung von knapp 6 000 MW bereits gut 30 TWh Strom. Mitetwa 105 TWh ist die Wärmebereitstellung aus Biomassejedoch noch wesentlich bedeutender (vgl. Tab. 4). Bis 2020sollen nach der »Leitstudie 2010« des BMU rund 50 TWhStrom und 145 TWh Wärme aus Biogas, fester Biomasseund biogenen Abfällen hergestellt werden. Mit diesen Wer-ten dürfte das Potenzial sowohl zur Strom- als auch zur Wär-meerzeugung in Biomasseanlagen in Deutschland allerdingsschon fast erschöpft sein.

Die Stromerzeugung aus Wasserkraft stagniert seit dem Jahr2003 bei einem Anteil von gut 3% an der insgesamt produ-zierten Menge. 2009 lieferten etwa 7 000 Anlagen mit einerinstalliert Gesamtleistung von knapp 5 000 MW rund 19 TWhStrom. Das Erweiterungspotenzial der Wasserkraft scheintbereits fast vollständig ausgeschöpft; in den Berechnun-gen der »Leitstudie 2010« geht das BMU für 2020 nur nochvon einem Anstieg der Stromproduktion auf lediglich22,2 TWh aus.

Beitrag der Photovoltaikanlagen zur Stromproduktion sehr gering

Der Ausbau der Photovoltaik erlebte in Deutschland in denvergangenen Jahren einen ungeahnten Aufschwung. Im Jahr

Tab. 4

Wärmeerzeugung erneuerbarer Energien im Leitszenario

2000 2005 2008 2009 2010 2015 2020

in TWh/a

Biomasse 54,3 77,0 97,2 104,9 109,3 128,8 144,6 Biogas, Klärgas u.a. 1,0 4,5 16,4 17,2 18,3 22,9 27,0

feste Biomasse 50,0 67,8 75,8 82,6 85,8 100,4 111,6 biogener Abfall 3,3 4,7 5,0 5,1 5,2 5,5 6,0

Solarkollektoren 1,3 2,8 4,1 4,8 5,1 10,5 19,5

Einzelanlagen 1,3 2,8 4,0 4,7 4,9 9,2 15,8 Nahwärme 0,0 0,0 0,1 0,1 0,2 1,3 3,7

Erdwärme 1,4 1,9 4,6 5,0 6,3 14,7 26,0

Einzelanlagen 1,3 1,8 4,4 4,7 5,8 11,8 18,0 Nahwärme 0,1 0,1 0,2 0,3 0,5 2,9 8,0

EE-Wärme insgesamt 57,0 81,6 105,9 114,7 120,7 153,9 190,1

Abweichungen in den Summen durch Runden der Zahlen.

Quelle: Leitszenario 2008, Leitstudie 2010, BMU.

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Daten und Prognosen

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2009 war die Solarenergie aber nur für rund 1% der Brutto-stromerzeugung verantwortlich. Seit dem EEG vom 1. April2000 sind zwar Mindestpreise für die Einspeisung von So-larstrom verbindlich vorgegeben, den eigentlichen Schuberhielt die Photovoltaik aber erst durch das »100 000-Dä-cher-Progamm«, in dem bis Ende 2003 mit einem Aufwandvon über 1 Mrd. Euro rund 300 MW Spitzenleistung instal-liert wurden. Ende 2009 produzierten Photovoltaikanlagenmit fast 10 000 MWp 6,6 TWh Strom. Heute dürfte die Kol-lektorfläche in Deutschland bereits bei über 13 Mill. m2 lie-gen. Die Wärmeerzeugung durch Solarkollektoren betrug2009 knapp 5 TWh.

Noch relativ unterentwickelt – und damit mit dem höchstenWachstumspotenzial – stellt sich die Geothermie dar. MitErdwärme wurden 2009 bei einer installierten Leistung vonnur 7 MW gerade einmal 0,02 TWh Strom erzeugt. Weitausbedeutender erwies sich mit rund 5 TWh (davon rund4,7 TWh oberflächennahe und rund 0,3 TWh tiefe Geo-thermie) bereits die Wärmebereitstellung aus Geothermie.

Besonders das Potenzial der Tiefengeothermie ist nahezuunerschöpflich und die Energiequelle ist ständig verfügbar.Vor allem in Teilen Bayerns sowie im Oberrheingraben unddem Norddeutschen Becken sind die geologischen Voraus-setzungen für derartige Kraftwerke günstig. Die vom BMUin ihrer »Leitstudie 2010« geschätzten Leistungsvermögenfür die Strom- und Wärmeproduktion aus Erdwärme bis 2020liegen etwa bei knapp 2 TWh für die Strom- und rund 26 TWhfür die Wärmeerzeugung. Der Ausbau läuft bislang aber rechtschleppend an. Langfristig birgt die Geothermie allerdingsvielversprechende Potentiale (150 TWh Strom und 330 TWhWärmeerzeugung). Um die Entwicklung zu beschleunigenwurden im EEG 2009 die Fördersätze für Geothermieanla-gen nochmals verbessert.

Entwicklung im öffentlichen Bauhängt stark von kommunaler Finanzlage ab

Laut Angaben des Statistischen Bundesam-tes entfallen auf den Bund nahezu ein Vier-tel der öffentlichen Baumaßnahmen. Weite-re fast 20% werden von den Bundesländern(einschließlich Stadtstaaten) in Auftrag gege-ben. Mit knapp 60% wird aber das Gros deröffentlichen Bauleistungen von Städten undGemeinden initiiert. Dies bedeutet kurz ge-sagt: Geht es den Kommunen finanziellschlecht, so tendieren die öffentlichen Bau-volumina nach unten. Es sei denn, Bund undLänder geben ihnen zusätzliches Geld zumInvestieren – so geschehen im Rahmen derKonjunkturpakete zur Stimulierung der ge-samtwirtschaftlichen Entwicklung nach den

dramatischen Einbrüchen im Gefolge der Finanzkrise. Auf-grund der mittlerweile beschlossenen Schuldenbremse dürf-te die Bereitschaft zu einer »Investitionshilfe« allerdings starkgesunken sein.

Im vergangenen Sommer führte das Deutsche Institut fürUrbanistik (Difu) zum zweiten Mal eine Befragung von Städ-ten und Gemeinden durch (KfW Kommunalpanel 2010).53% bezeichneten dabei ihre aktuelle Gesamtfinanzie-rungssituation als mangelhaft. Bei den befragten Städtenzwischen 20 000 und 50 000 Einwohnern waren es 60%und bei den Städten mit mehr als 50 000 Einwohnern so-gar 74%. Ungefähr jede zehnte Kommune berichtete voneinem gravierenden, 40% von einem nennenswerten In-vestitionsrückstand. Überdurchschnittlich angespannt istdie Situation im Bereich Straßen und Verkehrsinfrastruk-tur. Darüber hinaus sehen die Umfrageteilnehmer größe-ren Nachholbedarf bei Kinderbetreuung und Schulen, derWasserver- und -entsorgung sowie hinsichtlich öffentlicherVerwaltungsgebäude.

PPP-Projekten stehen die Kommunen insgesamt abweisendgegenüber. Den Umfrageergebnissen zufolge vermutet dieMehrzahl der Befragten, dass derartige Projekte unwirt-schaftlich sind bzw. zu viele Planungs- und Umsetzungsri-siken aufweisen. Auch wird mit einem zu großen Aufwandbei der Umsetzung gerechnet. Etwa die Hälfte der Gemein-den geht davon aus, dass ihr vorhandenes Fachwissen fürdie Realisierung der geplanten Baumaßnahmen mindestensausreichend ist.

Ein Teil der Bauinvestitionen konnte von den Kommunen be-reits 2009 und 2010 – bei einer deutlichen Verschlechterungihrer finanziellen Lage – nur unter Inkaufnahme einer weiteranwachsenden Verschuldung getätigt werden. Der Schul-denstand der Gemeinden und Gemeindeverbände dürfte

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Schuldenstand der Gemeinden und Gemeindeverbände

in Mrd. €

Quelle: Statistisches Bundesamt; ifo Institut.

Kreditmarktschulden

Kassenkredite

2010: Prognose

Abb. 7

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sich allein in diesen beiden Jahren um rund 101/2 Mrd. Euroauf 1191/2 Mrd. Euro erhöht haben, nachdem dieser in denJahren 2006 bis 2008 noch leicht zurückgeführt werdenkonnte (vgl. Abb. 7). Dieser Anstieg dürfte so gut wie aus-schließlich über eine Aufstockung der Kassenkredite er-folgt sein.

Der Bestand an Kassenkrediten bzw. Krediten zur Liquidi-tätssicherung dürfte 2010 rund 40 Mrd. Euro erreicht ha-ben (2008: 29,86 Mrd. Euro) und damit mittlerweile rund derHälfte des Bestandes an Investitionskrediten entsprechen.Die aktuell gute Entwicklung der Wirtschaft in Deutschlandkönnte allerdings – entgegen den sehr zurückhaltenden Ein-schätzungen in der Befragung vom Sommer – die von denmeisten Kommunen so pessimistisch eingeschätzte Ent-wicklung 2011 und 2012 etwas bremsen. So konnte bei-spielsweise auch der Arbeitskreis Steuerschätzung im No-vember 2010 seine im Mai 2010 vorgelegte Prognose deut-lich nach oben korrigieren. Die Experten erwarteten nun-mehr Steuereinnahmen der Gemeinden in Höhe von72,3 bzw. 77,1 Mrd. Euro 2011 bzw. 2012. Ein halbes Jahrzuvor lagen die Schätzwerte noch jeweils rund 5 Mrd. Euroniedriger.

Finanzlage der Kommunen bleibt 2011 sehr angespannt

Dennoch dürfte sich der Finanzierungssaldo der Gemein-den und Gemeindeverbände zumindest 2011 noch nichtwesentlich verbessern. Die Haushaltssituation der Städteund Gemeinden wird nach Einschätzung des DeutschenStädtetags im laufenden Jahr »sehr ernst« bleiben. Nacheiner aktuellen Mitteilung des Statistischen Bundesamteshaben die Ausgaben der Kommunen 2010 die Einnahmenum 7,7 Mrd. Euro übertroffen (vgl. Abb. 8). 2009 betrugdas Defizit 7,18 Mrd. Euro.

Das große Problem für die Städte und Gemeinden stellendie hohen Sozialausgaben dar, für die sie aufkommen müs-sen. 2010 mussten die Kommunen über 42 Mrd. Euro fürsoziale Leistungen aufbringen, knapp 2 Mrd. Euro mehr als2009. Und 2011 steigen die Ausgaben auf schätzungswei-se über 43 Mrd. Euro an. Die wichtigsten Ausgabenblöckesind die Kosten für die Unterkunft für Langzeitarbeitsloseund die Grundsicherung für ältere Menschen. Letztere sindseit der Einführung 2003 extrem stark gestiegen. Deshalbhat der Bund bereits beschlossen, die Kommunen bis 2013schrittweise davon zu entlasten.

Die große Finanznot zwingt viele Städte und Gemeinden zuverstärkten Sparbemühungen. Viele haben daher umfang-reiche Spar- und Haushaltssicherungskonzepte beschlos-sen. Dabei geht es u.a. um folgende Sparmaßnahmen:

– Reduzierung des Personals oder Streichung von Leis-tungsprämien,

– Optimierung von Verwaltungsvorgängen,– Verstärkung der interkommunalen Zusammenarbeit,

z.B. durch die Zusammenlegung von Behörden,– Erhöhung der Hunde- und Vergnügungssteuer sowie der

Hebesätze zur Grund- und Gewerbesteuer,– Heraufsetzung von Gebühren, z.B. für Kitas, Bibliothe-

ken, Friedhöfe oder Krematorien,– Kürzung von Zuschüssen an Vereine und Projekte,– Einführung einer Zweitwohnsteuer.

Finanzprobleme führen zur Verschiebung dringend erforderlicher Baumaßnahmen

Besonders kritisch ist, dass etliche Städte und Gemeindenauch eigentlich dringend notwendige Baumaßnahmen – ins-besondere im Bereich des Unterhalts ihrer Straßen – kür-zen bzw. strecken müssen, da sie diese aus haushaltsrecht-

lichen Gründen nicht mehr realisieren kön-nen bzw. dürfen.

Kritiker der aktuellen kommunalen Investiti-onspolitik weisen darauf hin, dass die Ge-meinden häufig eine Mitschuld an der eige-nen Finanzmisere und dem hohen Investiti-onsrückstand tragen. Sie argumentieren,dass die vermeintlich kostengünstigere Al-ternative des Reparierens und Instandset-zens den Kommunen auf lange Sicht deut-lich teurer kommt als das konsequente An-gehen umfangreicher Sanierungsmaßnah-men. Beispielsweise werden jedes Frühjahrdie am Straßennetz entstandenen Frostschä-den meist nur notdürftig behoben. Der Bundstellt den Kommunen hierfür immer mehr Mit-tel zur Verfügung. Der nächste Winter ver-schlechtert den Zustand der Straßen in der

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1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010

Finanzierungssaldo der Gemeinden und Gemeindeverbände

in Mrd. €

Quelle: Statistisches Bundesamt.

Abb. 8

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Daten und Prognosen

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Regel jedoch weiter. Die Aufwendungen fürdie Reparaturen bleiben insgesamt also oh-ne große Wirkung.

Insbesondere im Straßenbau könnte es sichsomit empfehlen, aufgrund der Frostproble-matik bereits kleinere Schäden dauerhaft zubeheben, auch wenn dies für den Momenterst einmal deutlich mehr Geld kosten wür-de. Daneben existiert eine Reihe innovativerBauverfahren, deren Anwendung durchausSinn machen könntel. So kann etwa der ab-gefräste Straßenbelag vollständig wiederver-wertet werden, was die Anschaffungskostenfür Baumaterial reduzieren würde. Mit spe-ziellen chemischen Zusätzen kann zudem dieWiderstandsfähigkeit und Haltbarkeit derAsphaltflächen merklich erhöht werden. Inder Praxis dominieren jedoch noch immer die traditionellenVerfahren.

Derzeit kann der Bund etwa über viermal so hohe Steu-ereinnahmen verfügen wie alle Kommunen zusammen.Für die Bundesländer (einschließlich Stadtstaaten) beträgtder Faktor ungefähr drei. Diese Gebietskörperschaftenkönnen sich demnach auch höhere Schuldenberge leis-ten. Allerdings war die Pro-Kopf-Verschuldung des Bun-des zum Jahresende 2009 bereits ca. 81/2-mal und dieder Länder etwa 41/2-mal so hoch wie die der Gemein-den. Die Situation ist demnach nicht nur für die Kommu-nen alles andere als erfreulich. Auch wenn hinsichtlichder öffentlichen Infrastrukturnetze enorme Investitionsbe-darfe bestehen, so ist deshalb – unter »normalen« Bedin-gungen – langfristig nicht von einer spürbaren Belebungder Bauausgaben auszugehen. Im Hochbau werden sichdie Ausgaben, nach Ablauf der letzten durch die Konjunk-turprogramme finanzierten Arbeiten, in den nächsten Jah-ren auf einem deutlich niedrigeren Niveauals 2010 einpendeln: ca. 141/2 Mrd. Euro(in Preisen von 2000). Der öffentliche Tief-bau dürfte bis 2020 einen jährlichen Um-fang von gut 20 Mrd. Euro (in Preisen von2000) aufweisen (vgl. Abb. 9).

In Ostdeutschland Fokussierung aufden Nichtwohnbau

Für Ostdeutschland ist dabei eine beson-dere Entwicklung zu erwarten. Ein Vergleichmit der westdeutschen Bautätigkeit zeigt,dass im Osten pro Einwohner noch immererheblich höhere Bauausgaben getätigtwerden. Im öffentlichen Tiefbau lagen diePro-Kopf-Investitionen im Jahr 2009 nochum fast 60% über denen im Westen (vgl.

Abb. 10). Im öffentlichen Hochbau machten die einwoh-nerbezogenen Mehrausgaben über 40% des westdeut-schen Wertes aus. Langfristig ist mit einer stärkeren An-näherung zwischen Ost- und Westdeutschland zu rech-nen. Auch wenn es – etwa aufgrund der geringeren Be-siedelungsdichte im Osten – nicht zu einer vollständigenAngleichung kommen dürfte, so wird sich diese Entwick-lung bis 2020 doch dämpfend auf die öffentlichen Bauaus-gaben in Ostdeutschland auswirken. Werden im Westendie Bauaktivitäten nicht entsprechend ausgeweitet – unddies ist eher nicht zu erwarten – so hat dies negative Aus-wirkungen auf die langfristige Entwicklung des gesamt-deutschen öffentlichen Bauvolumens.

Während die Investitionsquoten je Einwohner im öffentlichensowie im gewerblichen Bau im Osten immer noch deutlichüber den westdeutschen liegen, ist die Situation im Woh-nungsbau völlig konträr hierzu. So werden im Durchschnittder westdeutschen Bundesländer bereits seit einigen Jah-

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1991 1994 1997 2000 2003 2006 2009 2012 2015 2018

Öffentliches Bauvolumen in Deutschland nach Bauartenin Preisen von 2000

insgesamt

öffentlicher Hochbau

öffentlicher Tiefbau

Quelle: Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW); ifo Institut.

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in jeweiligen Preisen

Wohnumgsbau

öffentlicher Hochbau

öffentlicher Tiefbau

Quelle: Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW); Statistisches Bundesamt; ifo Institut.

ostdeutsches Bauvolumen pro Kopf

gewerblicher Tiefbau

gewerblicher Hochbau

bis einschließlich 1994:

westdeutsches Niveau = 100

Vergleich der Bauintensität in West- und Ostdeutschland nach Bausparten

Ostdeutschland ohne West-Berlin

Abb. 10

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ren rund 50% höhere Wohnungsbauleistungen pro Einwoh-ner erbracht als in Ostdeutschland.

Der Wohnungsbau dürfte im Prognosehorizont bis 2020 jähr-lich um durchschnittlich knapp 1% zulegen und damit auflange Frist die Wachstumslokomotive des Bausektors dar-stellen. Insgesamt wird das Bauvolumen in den Jahren 2011bis 2020 aber lediglich um etwa 4% zunehmen. Ein Grunddafür ist die verhaltene Entwicklung im Wirtschaftsbau. Hierist nur ein bescheidener Zuwachs zu erwarten. So befindetsich das Investitionsvolumen aktuell bereits auf einem rela-tiv hohen Niveau. Dämpfend wird sich die Investitionszu-rückhaltung im öffentlichen Bau auswirken. Die Investitionendürften in dieser Sparte im Durchschnitt der nächsten zehnJahre um knapp 1% p.a. abnehmen.

Literatur

Gluch, E. und L. Dorffmeister (2010), ifo Bauvorausschätzung Deutschland,2010–2015/2020, ifo Institut für Wirtschaftsforschung, München.

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Mit einiger Verzögerung hat die bemer-kenswerte Verbesserung des Investitions-klimas auch die Leasingbranche erreicht.Dies legen auch die geglätteten Ergebnis-se der Konjunkturumfragen des ifo Insti-tuts im Leasingsektor nahe (Glättung nachdem STAMP 6.02-Testverfahren1): Diedeutsche Leasingbranche hat sich aus-gesprochen langsam nach dem jähen Ab-sturz erholt. Seit dem Frühjahr 2009 über-wiegen zwar die zuversichtlichen Ge-schäftserwartungen, die Urteile zur aktu-ellen Geschäftslage reagierten aber erstmit beträchtlicher Verzögerung. Es dau-erte immerhin fast zwei Jahre, bis sich po-sitive und negative Urteile zur Lage wie-der im Gleichgewicht befanden (vgl.Abb. 1). Erst zu Herbstbeginn 2010 über-wogen wieder die günstigen Geschäfts-lageurteile, einen markanten Sprung nachoben gab es dann in den Wintermonaten.Per saldo jeder fünfte Testteilnehmer be-richtete im März 2011 über eine gute Ge-

schäftslage. Die Leasingunternehmen sa-hen zwar am aktuellen Rand der weiterenEntwicklung nicht mehr ganz zuversicht-lich entgegen wie zuvor, jeder zweite Test-teilnehmer erwartet, dass sich die Erho-lungsphase auch in den nächsten Mona-ten fortsetzen wird. Die etwas vorsichti-geren optimistischen Einschätzungendürften u.a. wohl auch mit dem Nachlas-sen des Überlaufeffekts bezüglich der be-reits im Vorjahr bestellten Investitionsgü-ter zusammenhängen.

Bei der Gegenüberstellung der Zeitreihen»Mobilien-Leasing« und »unternehmens-nahe Dienstleister« (ohne Handel, Kredit-gewerbe, Leasing, Versicherungen undStaat) fällt auf, dass sich die Leasingge-sellschaften über einen langen Zeitraumin einer günstigeren konjunkturellen Ver-fassung befanden als die ausgewähltenDienstleister, das Geschäftsklima im Lea-singbereich erschien bis zu den Herbst-monaten 2007 spürbar freundlicher (vgl.Abb. 1). Danach gingen beide Zeitreihenim konjunkturellen Gleichlauf nach unten,

XXL-Aufschwung – auch das Leasing holt kräftig auf

Arno Städtler und Joachim Gürtler

Ausrüstungsinvestitionen boomen und treiben den

Titel wie: »Das deutsche Jahrzehnt«, »Goldene Jahre«, »Deutschlands Ökonomen rechnen mit Ma-

rathon-Boom« oder »Sieben fette Jahre« finden sich in der Presse immer häufiger. Die Volkswirte

der OECD prophezeien Deutschland sogar ein Dauerwachstum (vgl. o.V. 2010). Auch der ifo Ge-

schäftsklimaindikator für die gewerbliche Wirtschaft Deutschlands setzte bis Februar 2011 sei-

nen Höhenflug ungebremst fort, er hat sich zum neunten Mal in Folge verbessert und damit den

höchsten in Gesamtdeutschland gemessenen Wert überschritten. Im März tendierte der Indikator

allerdings leicht nach unten. Der jüngste Rückgang ist allein dem etwas nachlassenden Optimis-

mus bezüglich der Geschäftserwartungen für das Sommerhalbjahr geschuldet. Knapp die Hälfte

der Firmenantworten traf nach der Havarie in Fukushima ein. Insgesamt sind die Unternehmen in

Deutschland jedoch weiterhin sehr zuversichtlich. Die momentane Geschäftslage ist sogar noch

besser als zuvor. »Die Konjunkturampeln stehen unverändert auf grün. Deutschland befindet sich

im Aufschwung.« (Sinn 2011).

Die veröffentlichten BIP-Prognosen für 2011 tendieren inzwischen in Richtung der 3%-Marke. Zu

dieser Wachstumsdynamik trägt die hohe Investitionsbereitschaft der Unternehmen maßgeblich

bei. Hilfreich ist hierbei auch die Tatsache, dass der Kreditmarkt heute so liquide ist wie lange

nicht mehr. Die ifo Kredithürde für die gewerbliche Wirtschaft ist im Februar 2011 weiter gesun-

ken, sie war bisher nur im Sommer 2007 noch niedriger und stieg im März nur um 0,1 Prozent-

punkte. Der Aufschwung hat inzwischen fast alle Teile der Wirtschaft erfasst und auch zu kräfti-

gen Steigerungen der Gewinne geführt. Nachdem anfänglich insbesondere die Exporte die Kon-

junktur befeuerten, ziehen nun auch die Investitionen der Unternehmen in Maschinen, Fahrzeuge

sowie sonstige Ausrüstungen rapide an, und auch das Konsumklima zeigt sich von seiner freund-

lichen Seite. Nach langer Zeit sorgt also gegenwärtig die Binnenkonjunktur maßgeblich für die Kon-

junkturdynamik.

1 Im Detail beschreiben dieses Testverfahren Koop-mann et al. (2000).

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Daten und Prognosen

die Abschwächung war aber dabei im Leasingsektor, auf-grund der Konzentration des Geschäfts auf die besonderskonjunktursensiblen Investitionsgüter, wesentlich ausgepräg-ter. Das Geschäftsklima zeigte nach der deutlichen Ver-schlechterung im Jahr 2008 und Anfang 2009 vor allem inder zweiten Jahreshälfte 2009 eine kontinuierliche Aufwärts-entwicklung, die sowohl für die unternehmensnahen Dienst-leister als auch für die Leasingunternehmen in den erstenMonaten des Jahres 2011 anhielt. Erst im Laufe des Jah-resschlussquartals 2010 erschien der Stimmungsindikatorfür die Leasingbranche wieder ein etwas günstigeres Niveauzu erreichen.

Im Jahresdurchschnitt von 2010 konnte im Leasing-Neu-geschäft mit Mobilien ein moderates Wachstum von 2,5%auf 41,1 Mrd. Euro generiert werden. Das Immobilien-Lea-sing hat auf niedrigem Niveau um fast 36% zugelegt. Da-durch ergab sich für das gesamte Leasing-Neugeschäft2010 ein Wachstum von 4% (vgl. Städtler 2010). DieserZuwachs blieb hinter der gesamtwirtschaftlichen Investiti-onsentwicklung zurück, was u.a. mit der im Zuge gehor-teter Liquidität sowie reichlich sprudelnder Gewinne deut-

lich verstärkten Innenfinanzierung vieler Unternehmen unddem drastischen Rückgang des Privat-Leasings zusam-menhängt. Im Kreditsektor war eine ähnlich zurückhal-tende Nachfrage zu beobachten, zudem finanzierten sichetliche Unternehmen direkt am Kapitalmarkt, z.B. mit An-leihen.

Derartige Bremsfaktoren für das Leasing werden 2011 weit-gehend wegfallen, zudem sind die Aussichten auf ein wei-teres dynamisches Wachstum der Investitionsausgaben2011 und sogar darüber hinaus sehr gut. Neben den an-haltend günstigen Konjunkturperspektiven werden auchnicht wenige Investitionsgüter – vor allem Fahrzeuge undMaschinen –, die bereits 2010 bestellt wurden, aber we-gen langer Lieferfristen erst 2011 ausgeliefert und damitbilanzwirksam. Immerhin sind bereits im ersten Quartal2011 die Neuzulassungen nach oben geschnellt, die Zu-wächse betrugen bei Nutzfahrzeugen fast 28% und beiPkw 14% (vgl. Kraftfahrt-Bundesamt 2011). Nach erstenSchätzungen wird in diesem Jahr ein Anstieg der Pkw-Neuzulassungen um 7 bis 10% erwartet. Wie kräftig derAufschwung gegenwärtig ist, signalisiert auch der Auftrags-eingang in der Industrie. Die Nachfrage bei den deutschenKunden zog (gegenüber dem Vormonat) um 2,6% an, wäh-rend die aus dem Ausland um 2,3% zulegte (vgl. Sigmundund Schrinner 2011). Insbesondere Investitionsgüter wa-ren gefragt (+ 4,5%). Auch der Maschinenbau rechnet da-mit, dass sich für ihn das Wachstum noch beschleunigt.Im Gefolge des Fukushima-Desasters wird die weitere Um-stellung auf eine alternative Stromerzeugung in Deutsch-land enorm beschleunigt werden und entsprechende In-vestitionen anstoßen, zugleich muss die Energie aber aucheffizienter genutzt werden (vgl. Bullinger 2011), was eben-falls neue Ausrüstungen erfordert. Bei dieser durch ener-gieerzeugende und -sparende Technologien getriebenenInvestitionswelle werden die Leasinggesellschaften wiedereinmal gefragte Experten bei der Markteinführung der neu-en Produkte sein. Das sind neben neuen Generationen vonStraßenfahrzeugen insbesondere Anlagen zur dezentralenEnergieerzeugung aus nachwachsenden Rohstoffen, Ma-schinen und Elektroanlagen. Auch früher wurden schonneue Technologien maßgeblich via Leasing bzw. Miete ver-breitet. Für eine Finanzierung durch Banken kommen neu-artige Produkte mit rascher technischer Obsoleszenz undschwer einschätzbarer technischer Reife weniger in Fra-ge, es sei denn, es handelt sich bei den Banken um Ab-leger von Herstellern.

Die erfreulichen Aussichten auf weiter dynamisch steigendeAusgaben für Ausrüstungsgüter bekräftigt auch der ifo/BDLInvestitionsindikator für das Jahr 2011. Daran dürften die Lea-singgesellschaften angemessen partizipieren, zumal Refinan-zierungsprobleme die Geschäftsentwicklung kaum noch be-lasten. Der auf den Geschäftslagebeurteilungen der Leasing-gesellschaften basierende Investitionsindikator2, der zusam-

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LeasingDienstleistungen

Unternehmensnahe Dienstleister und Leasing

Quelle: ifo Konjunkturtest Dienstleistungen, Berechnungsstand: 28. März 2011.

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Werte saisonbereinigt und geglättet

a) Durchschnitt der Salden aus den Prozentsätzen der positiven und der negativen Meldungen zu den Größen "Geschäftslage" und "Geschäftserwartungen".b) Differenz aus den Prozentanteilen der positiven und negativen Firmenmeldungen.

Geschäftsklimaa)

Prozentpunkte

Mobilien-LeasingSaldenb)

aktuelle GeschäftslageGeschäftsentwicklung in den nächsten 6 Monaten

Abb. 1

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Daten und Prognosen

men vom ifo Institut und dem BundesverbandDeutscher Leasing-Unternehmen (BDL) er-mittelt wird, zeigte bereits im November 2010für die Ausrüstungsinvestitionen einschließ-lich der sonstigen Anlagen für den Jahres-durchschnitt ein Plus von 8,6% an (vgl. Städt-ler 2010); dieser Wert wurde Ende Febru-ar 2011 vom Statistischen Bundesamt exaktbestätigt (vgl. Statistisches Bundesamt 2011).

Der robuste Aufwärtstrend setzt sich also of-fenbar im Jahr 2011 fort. Der Investitionsin-dikator signalisiert immerhin einen nomina-len Anstieg der Ausrüstungsinvestitionen ein-schließlich der sonstigen Anlagen von knapp14%, also ein noch höheres Plus als 2010.Damit wäre nahezu wieder das Vorkrisenni-veau erreicht. Bisherige Prognosen gingennoch von einer Abschwächung aus. Denn sie unterstelltenfür das erste Quartal von 2011 – als technische Reaktion aufdie vorgezogenen Investitionen in den letzten Monaten von2010 – ein leichtes Minus bei den Käufen von Ausrüstungs-gütern. Der aktuelle Investitionsindikator zeigt stattdessenerneut für das Auftaktquartal einen kräftigen Zuwachs ge-genüber dem Vorjahreswert (+ 16,9%) an, der sogar nochdas Plus aus dem vierten Quartal 2010 (+ 14,7%) übertrifft.Erst in den ersten Monaten des Jahres 2012 errechnet sichfür den Investitionsindikator eine allmähliche Verflachung, einPlus in einer Größenordnung von etwa 10% dürfte aber nochmöglich sein (vgl. Abb. 2). Dieses äußerst positive Szenariokann allerdings noch getrübt werden, wenn die Konjunk-turprobleme in wichtigen Zielländern der deutschen Expor-teure, die weltweit begonnenen fiskalischen Konsolidierun-gen, die neuerlichen Zuspitzungen der Finanz- und Schul-denkrise in Europa oder die geopolitischen Herausforderun-gen im nordafrikanisch-arabischen Raum (mit möglichen Fol-gen für den Ölpreis) und Japan den deutschen Höhenflugspürbar dämpfen sollten. Da aber der Aufschwung diesmalvornehmlich von der Binnennachfrage getragen wird und

die Auftriebskräfte ziemlich robust sind, besteht die Hoff-nung, dass die weltwirtschaftlichen Störungen den deut-schen Aufschwung nicht allzu sehr beeinträchtigen werden.

Das Leasinggeschäft wird auch 2011 maßgeblich von derEntwicklung auf dem Markt für Straßenfahrzeuge tangiert.Nachdem sich die Zahl der neu zugelassenen Pkw 2009 auf3,81 Mill. (+ 23,2%) belaufen hatte, ist der Markt 2010 um23% auf nur noch 2,9 Mill. Einheiten eingebrochen. Der kräf-tige Rückgang um etwa ein Fünftel geht alleine auf das Kon-to des im Gefolge der Abwrackprämie 2009 boomende Pri-vatkundensegment zurück, während es bei den leasingre-levanten gewerblichen Zulassungen – nach dem Einbruchvon 2009 – im letzten Jahr einen markanten Zuwachs von17% gab; davon profitierten auch die Leasinggesellschaf-ten. Die ersten drei Monate des Jahres 2011 haben bereitshohe zweistellige Wachstumsraten bei den Neuzulassungengebracht, wozu vor allem gewerbliche Kunden beigetragenhaben. Rund 763 000 Neuwagen sorgten für ein Zulassungs-plus von 13,9% (vgl. Kraftfahrt-Bundesamt 2011). Auch imweiteren Jahresverlauf ist mit einer dynamischen Entwick-lung der Fahrzeuginvestitionen zu rechnen, eine zweistelli-ge Zuwachsrate würde nicht überraschen. Elektroautos sinddabei allerdings noch in geringer Zahl beteiligt, sie sind aberein Hoffnungsträger für die Leasingbranche in den Jahrendanach. Der Verband der Automobilindustrie (VDA) geht da-von aus, dass der »Hochlauf« von Autos mit alternativen An-trieben in den Jahren 2013 bis 2015 sichtbar werde (vgl.Fromm 2010). Bis 2013 wollen 23 Hersteller in die Serien-produktion von Elektromobilen einsteigen (vgl. o.V. 2009).Immerhin zeigen aber einige deutsche Hersteller mit Klein-serien von Elektroautos, die sie ausschließlich per Leasingoder Miete in einigen Ballungsräumen weltweit auf die Stra-ße gebracht haben, schon jetzt Flagge und geben an, wo-hin die Reise demnächst gehen wird. Die Bundesregierungwill dafür sorgen, dass Deutschland ein Leitmarkt für Elek-tromobilität wird und dafür auch Fördermittel bereitstellen;

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2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012

InvestitionenTrend-Konjunktur-Komponente der InvestitionenIndikator für die Trend-Konjunktur-Komponente

Ausrüstungsinvestitionen: Kräftiges Wachstum setzt sich fort

in Mrd. €

Berechnungsstand: 28. März 2011.Quelle: ifo Konjunkturtest Dienstleistungen; Statistisches Bundesamt; Berechnungen des ifo Instituts.

Abb. 2

2 Dieser Forschungsansatz basiert auf den Urteilen zur aktuellen Geschäfts-lage der Leasinggesellschaften aus dem monatlichen ifo KonjunkturtestDienstleistungen. Der methodische Ansatz zur Schätzung der Ausrüs-tungsinvestitionen benutzt ein strukturelles Zeitreihenmodell, das die Zeit-reihen in ihre Komponenten Trend und Zyklen, Saison- und irreguläre Kom-ponenten zerlegt. Es ergibt sich ein Prognosehorizont von vier Quartalen– bei der aktuellen Berechnung also bis zum ersten Quartal 2012; zurMethode vgl. Gürtler und Städtler (2007). Unter normalen Umständen wirdauf kurze Frist der Trend als gegeben angenommen. Der stufenförmigeRückgang der Ausrüstungsinvestitionen zu Anfang 2009 weist jedochdarauf hin, dass als Folge der weltweiten Wirtschaftskrise für diese Zeitnicht nur ein zyklischer Rückgang, sondern auch ein vorübergehendes Ab-sacken des mittelfristigen Trends anzunehmen ist. Dieser externe Einflusswird bei der vorliegenden Schätzung durch eine Dummyvariable für dieersten beiden Quartale von 2009 berücksichtigt. Des Weiteren wird an-genommen, dass das Auslaufen der bis Ende 2010 befristeten Abschrei-bungserleichterungen im vierten Quartal dieses Jahres einen zusätzlichenSchub bei den Investitionen ausgelöst hat. Ein vergleichbarer Effekt warin der Vergangenheit auch bei den bis Ende 2007 laufenden Abschrei-bungsvergünstigungen zu beobachten.

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Daten und Prognosen

im Jahr 2020 sollen eine Million Elektrofahrzeuge auf deut-schen Straßen fahren (vgl. Tartler 2008).

Literatur

Bullinger, H.-J. (2011), »Maximaler Gewinn mit minimalen Ressourcen«,Handelsblatt, 31. März, 9.Fromm, T. (2010), »Im Rausch der Geschwindigkeit«, Süddeutsche Zeitung,3. Dezember, 25.Gürtler, J. und A. Städtler (2007), »Ausgezeichnete Geschäftslage beim Leasing – Boom bei den Ausrüstungsinvestitionen«, ifo Schnelldienst 60(12),54-57.Kraftfahrt-Bundesamt (2011), »Fahrzeugzulassungen im März 2011«, Pres-semitteilung Nr. 10/2011, 4. April.Koopmann, S.J., A.C. Harvey et al. (2000), STAMP: Structural Time SeriesAnalyser, Modeller and Predictor, Timberlake Consultants Press, London.o.V. (2009), »Infineon hofft auf Ökoautos«, Süddeutsche Zeitung, 14. Okto-ber, 24.o.V. (2010), »OECD prophezeit Deutschland Dauerwachstum«, Manager Magazin online, 18. November.Sigmund, T. und A. Schrinner, »Euphorische Wirtschaft«, Handelsblatt, 7. April, 4.Sinn, H.-W. (2011), »Ergebnisse des ifo Konjunkturtests im März 2011«,www.cesifo-group.de, 30. November.Statistisches Bundesamt (2011), »Ausführliche Ergebnisse zur Wirtschafts-leistung im 4. Quartal 2010«, Pressemitteilung Nr. 74 des Statistischen Bundesamtes, 24. Februar. Städtler, A. (2010), »Die Investitionswelle erreicht das Leasing«, ifo Schnell-dienst 63(24), 69–79.Tartler, J. (2008), »Koalition schiebt Elektroautos an«, Financial Times Deutsch-land online, 26. November.

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Der Umsatz mit nach ökologischen Richt-linien erzeugten Lebensmitteln, landläufigkurz: Bio-Produkten, ist von 2,1 Mrd. Euroim Jahr 2000 auf 5,9 Mrd. Euro im Jahr2010 angestiegen, d.h. er hat sich in denletzten zehn Jahren nahezu verdreifacht.Das Kürzel »Bio« steht in der Wahrneh-mung der Konsumenten synonym für ge-sunde und schadstofffreie, unbelasteteErnährung. Nachhaltigkeit, Klima- undUmweltschutz stellen inzwischen in so gutwie allen Konsumbranchen das zentraleKriterium dar, an dem keine Marketing-strategie mehr vorbeikommt. Am gesam-ten deutschen Lebensmittelmarkt haltenBio-Produkte immer noch einen ver-gleichsweise niedrigen Marktanteil vonknapp 4%. Hier besteht für die Zukunft al-so noch Luft nach oben.

Auch 2010 Produktionswachstum

Im Jahr 2010 wurde erstmals die Millio-nengrenze bei der landwirtschaftlich ge-nutzten Gesamtfläche (LF) von landwirt-schaftlichen Betrieben, die nach ökolo-gischen Kriterien wirtschaften, über-schritten (vgl. Tab. 1). Die Anzahl derÖko-Betriebe insgesamt nahm gegen-über dem Vorjahr um 1 144 auf nunmehr22 200 zu. Von den Neuen waren444 Mitglieder in einem von insgesamtneun Anbauverbänden organisiert (»Bio-land«, »Demeter«, »Naturland«, »Gäa/Ökohöfe«, »Ecoland«, »Biopark«, »Bio-kreis«, »ECOVIN«), und 700 beschränk-ten sich auf die Einhaltung der wenigerstrengen EU-Richtlinien zum ökologi-

schen Landbau (seit 1. Januar 2009neue EU-Öko-Verordnung (EG) Nr.834/2007 des Rates vom 28. Juni 2007).Die verbandsgebundenen Betriebe sindals deutlich flächen- und damit wirt-schaftsstärker als die übrigen zu kenn-zeichnen. So stehen insgesamt 68,3%der ökologisch bewirtschafteten LF un-ter der Verantwortung der 52% Betrie-be, die Mitglied in einem Anbauverbandsind.

Flächen- und einkaufsstätten-deckende Marktdurchdringung

In den letzten Jahren erkannte der Han-del »Bio« als wichtiges Wachstumsfeld(sein Motto: »Grün denken lohnt sich«.).Lebensmittel-Discounter und -Super-märkte haben verstärkt Bio-Produkte inihre Sortimente aufgenommen (vgl. auchRunge 2011). Das Angebot umfasst so-wohl den Frischwarenbereich als auchverarbeitete Erzeugnisse. Innerhalb Eu-ropas ist Deutschland mit einem Markt-volumen von knapp 6 Mrd. Euro dergrößte Markt für Bio-Lebensmittel, esrangiert deutlich vor Frankreich, demVereinigten Königreich und Italien. Welt-weit hat es – nach den USA – den zweit-größten Bio-Inlandsmarkt. Mittlerweileverfügt der engere Naturkostfachhandelzusammen mit der Erzeuger-Direktver-marktung »nur« noch über einen Markt-anteil in Deutschland von knapp 30%(vgl. Abb. 1). Die Zeiten, in denen eineKundenmehrheit als Müsli- und Körner-sonderlinge bezeichnet wurden, gehö-

ökologische Lebensmittel

Matthias Balz

Branchen im Blickpunkt: Der deutsche Markt für

Die Nachfrage nach Lebensmitteln, die gemäß ökologischen Richtlinien erzeugt werden, wächst

kontinuierlich. Der Dioxin-Skandal in der konventionellen Landwirtschaft Anfang des Jahres 2011

hat insbesondere bei Eiern und Geflügelfleisch zusätzliche Impulse bewirkt und der Branche zwi-

schenzeitlich erneut zweistellige Wachstumsraten beschert. Die Verbraucher haben allerdings ein-

deutig eine Vorliebe für regional erzeugte Produkte. Die heimische Erzeugung hält dabei seit Jah-

ren nicht Schritt mit der Entwicklung der inländischen Nachfrage. Dafür stellen zu wenige Bauern

auf eine ökologische Landwirtschaft um. Für die Marktversorgung in Deutschland waren deshalb

2010 zu ca. 50% Importe notwendig. Die deutschen Einfuhren von Bio-Waren haben sich inner-

halb der letzten drei Jahre nahezu verdoppelt. Der Deutsche Bauernverband hat demgegenüber

als klares Ziel erklärt, den Wachstumsmarkt Bio-Nahrungsmittel nicht den Importeuren überlas-

sen zu wollen; er fordert hierfür Verlässlichkeit bei agrarpolitischen Rahmenbedingungen sowie

regionalen Bezugspartnerschaften.

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Daten und Prognosen

ren längst der Vergangenheit an. »Bio« bzw. »Öko« sindals Marken etabliert. Ihnen werden positiv besetzte Be-griffe wie Gesundheit, Wellness, Fitness sowie Umwelt-verträglichkeit, Klimaschutz (Treibhausgase/CO2 einspa-ren), allgemein Nachhaltigkeit zugeordnet. Hinzu kommenForderungen nach sozialer Verantwortung in der Produk-tion und fairem Handel (»Fairtrade«). Breite Konsumenten-zielgruppen orientieren sich umfassend und weltweit andiesem zentralen, ethischen Wertekanon sowie der Hoch-wertigkeit von Nahrungsmitteln. Öko- und Sozial-Zer-tifikate, wie Fairtrade/Transfair oder Rainforest-AllianceCertified, haben zunehmend größere Schnittmengen bzw.sprechen die gleichen wachsenden Zielgruppen an. Ge-nussorientiertes, nachhaltiges Konsumieren hat sich weitverbreitet durchgesetzt. EU-weit wurde zum 1. Juli 2010für alle vorverpackten ökologischen Lebensmittel, die ineinem EU-Mitgliedsland hergestellt werden und die not-wendigen Normen erfüllen, die Kennzeichnungspflicht mitdem neuen EU-Bio-Logo (Verordnung EU Nr. 271/20102010) als einheitliches Bio-Label in Gestalt eines »Euro-Blattes«1 eingeführt, um so zwei klare Botschaften zu ver-mitteln: »Natur und Europa«. In Deutschland war nebenden einschlägigen Verbandszeichen mit dem Öko-Kenn-

zeichengesetz bereits vor zehn Jahren im September 2001ein staatliches »Bio-Siegel« geschaffen worden, ein sechs-eckiges Kennzeichen, das auf Antrag verliehen wird, wenndie Lebensmittel den Bestimmungen der EU-Öko-Verord-nung entsprechen. Dieses äußerst erfolgreiche Marken-zeichen gilt auch weiterhin und ist als Verkaufsargumentauf dem deutschen Markt bestens eingeführt. Zum Stich-tag 28. Februar 2010 wurde es von insgesamt 3 836 Her-stellern genutzt, die mit dem Bio-Siegel insgesamt62 021 Produkte kennzeichnen.2

Dioxin-Skandal Anfang 2011 befeuert die Bio-Nachfrage neu

Der Start in das Jahr 2011 verlief für die Bio-Branche nachüberwiegender Einschätzung fantastisch, mit unerwarte-ten Schubkräften: Der Dioxin-Skandal in der konventionel-len Landwirtschaft bescherte der ökologischen Lebens-mittelwirtschaft zusätzlich Schwung, quasi eine Sonder-konjunktur zu Jahresanfang. Vieles erinnerte an den BSE-Skandal vor zehn Jahren. Am deutlichsten war die Wahr-nehmung der Verbraucher bezüglich der Dioxinbelastun-

gen der Eier.3 Bereits vor dem Dioxin-Skan-dal war der Erlös durch den Verkauf vonEiern – nach Milch- und Rindfleischproduk-ten und vor Schweinefleisch, Geflügel- undSchaf-/Ziegenfleisch – der dritthöchste, derdurch die Veräußerung von tierischen Er-zeugungen aus der Öko-Landwirtschaft er-zielt wurde. Seit Januar 2011 ist die Nach-frage nach Bio-Eiern spürbar weiter ange-stiegen (vgl auch tegut 2011), denn wieKonsumentenbefragungen belegen, woll-ten die Verbraucher sicher sein, dass siekeine verseuchten Frühstückseier essen.Ähnliches gilt auch für Geflügelfleisch. Klei-

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Tab. 1

Kenndaten zum ökologischen Landbau in Deutschland 2010

Kennzahl Veränderung

gegenüber 2009 in % Anteil an der Landwirt-schaft insgesamt in %

Ökolandbaufläche 1,001 Mill. ha. + 5,7 5,9 Anzahl Bio-Betriebe 22 200 + 5,4 5,9

darunter verbandsgebundena) 11 474 Durchschnittliche Betriebsgröße insgesamt 45,15 ha + 0,3 62,7 hab) Verbandsgebunden 59,61 ha + 0,6 a) Insgesamt neun Anbauverbände: »Bioland«,»Demeter«, »Naturland«, »Gäa/Ökohöfe«, »Ecoland«, »Biopark«, »Biokreis«, »ECOVIN«. – b) Durchschnitt aller landwirtschaftlichen Haupterwerbsbetriebe.

Quelle: Bund Ökologischer Lebensmittelwirtschaft (BÖLW); Bundesministerium für Ernährung, Ladwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV).

7.0%

4.5%

3.5%

7.0%

22.0%

Verteilung der Bio-Umsätze nach Einkaufsstätten in Deutschland 2009

Gemüsefachgeschäfte)

Naturkostfachgeschäfte

(Direktvermarktung:

(einschl. Discount, Obst- und Lebensmittelhandel

sonstige

Tiefkühlheimdienste u.a.)(Drogerien, Tankstellen, Versandhandel,

56.0%

Reformhäuser

(Fleischer, Bäcker, Konditor)Ernährungshandwerk

Hofladen, Wochenmarkt, Lieferdienste)

Erzeuger

Quelle: AMI, Marktbilanz Öko-Landbau (2011).

s

Abb. 1

1 Zwölf EU-Sterne in Form eines Blattes vor grünen Hin-tergrund angeordnet.

2 Vgl. www.biosiegel.de.3 Zum deutschen Eiermarkt generell vgl. auch Balz

(2008).

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Daten und Prognosen

ne, direkt vermarktende Bauern spürten diegestiegene Nachfrage. Der Lebensmittel-einzelhandel setzt inzwischen beim Waren-bezug ebenfalls auf regionale Strukturen,gerade im Eiersegment. Der Vorrang für einbis zwei Lieferanten, die möglichst den Ab-satz für das gesamte Bundesgebiet garan-tieren können, ist Vergangenheit. So sinderste Ansätze für einen Aufbruch hin zu neu-en Strukturen von Bauerngemeinschaften,die durch ihren Zusammenschluss großeLebensmittelketten zuverlässig beliefernkönnen, statt wenigen Massenbetrieben zuerkennen. Den Vorreiter hierbei bildet wie-derum die Bio-Eierproduktion (z.B. Biohen-nen AG). Eier zählen zu den vergleichswei-se preiswerten, aber äußerst wertvollenNahrungsmitteln. Die Absatzstrukturen nachEinkaufsstätten zeigen deutlich, dass es ho-he Präferenzen gibt, beim bekannten Erzeu-ger des persönlichen Vertrauens Bio-Eier zubeziehen. Und dies muss nicht mit höhe-ren Einkaufspreisen bezahlt werden (vgl.Abb. 2). Der überwiegende Teil von Kon-sum-Bio-Eiern wird allerdings im Lebens-mitteleinzelhandel eingekauft, wobei die Le-bensmittel-Discounter auch im ökologi-schen Segment spürbare Preisvorteile bieten.

Erzeuger- und Verbraucherpreiseentwickelten sich im Durchschnittleicht rückläufig

Für die Erzeuger haben sich ihre Verkaufs-preise in den vergangenen drei Jahren ten-denziell leicht zurückentwickelt (vgl. Abb. 3).Die gleichzeitig verhältnismäßig moderatansteigende Entwicklung der Jahresumsät-ze in der ökologischen Landwirtschaft ins-gesamt bedeutet daher ein relativ größeresMengenwachstum als das des Umsatzpro-duktes (= Menge mal Preis). Auch für dieVerbraucher war an der Preisfront eher ei-ne Entspannung zu beobachten. In denletzten Monaten hat sich allerdings im ge-samten Lebensmittelsektor der Wind wie-der gedreht, die agrarischen Rohstoffprei-se haben weltweit angezogen (vgl. Statis-tisches Bundesamt 2011; Frankfurter All-gemeine Zeitung 2011; Deutsche Bank2011). Infolgedessen müssen die Konsu-menten überwiegend über alle Produktbe-reiche Preissteigerungen verkraften.

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Einkaufsmengen Umsatz

Erzeuger(Hofladen, Lieferdienste)

Erzeuger (Wochenmärkte)

Naturkostfachhandel(Naturkostffachgeschäfte,Reformhäuser)

Discounter

Food-Vollsortimenter

SB-Warenhäuser

restliche Einkaufsstätten

EinkaufsstättenAnteile in %

Verteilung der Einkaufsmengen und Umsätze mit Bio-Eiern in Deutschland 2010

Lebensmitteleinzelhandel (LEH)insgesamt

darunter:

Quelle: AMI, Marktbilanz Öko-Landbau (2011).

Abb. 2

0.0 1.0 2.0 3.0 4.0 5.0 6.0 7.0 8.0 9.0

Frischmilch 3,5% Fett kg

Schweinehackfleisch kg

Eier Klasse M 10 Stück

Speisekartoffeln 12,5 kg

Frühkartoffeln 12,5 kg

Salatgurke Stück

Zucchini 1 kg

Okt. 2008Okt. 2009Okt. 2010

Entwicklung der Verbraucherpreise von ausgewählten Bio-Produkten

a)

b)

a) Jahresdurchschnitt b) Juli

a)

a)

a)

Quelle: AMI, Marktbilanz Öko-Landbau (2011).

Möhren 1 kg, ohne Laub

Abb. 4

0.0 0.5 1.0 1.5 2.0 2.5 3.0

Schweine Klasse E kg

Eier Klasse M 10 Stück

Speisekartoffeln 12,5 kg

Frühkartoffeln 12,5 kg

Knollensellerie Stück

Rote Bete 1 kg

Möhren 1 kg, verpacktOkt. 2008Okt. 2009Okt. 2010

Entwicklung der Erzeugerpreise von ausgewählten Bio-Produkten

(bei 150 t Jahreslieferung)

a)

b)

a) August b) 2008: September

Quelle: AMI, Marktbilanz Öko-Landbau (2011).

Rohmilch kg

Abb. 3

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Daten und Prognosen

Die inländische Nachfrage übersteigt das Angebot aus heimischer Erzeugung

Die inländische Nachfrage nach ökologisch erzeugten Le-bensmitteln übersteigt das Angebot aus heimischer Erzeu-gung deutlich, und die Schere wird mit zunehmender Ten-denz größer. Insgesamt bestand 2010 die VersorgungDeutschlands mit Bio-Produkten zu ca. 50% aus Einfuhren.4

Selbstverständlich müssen exotische Erzeugnisse, wie Kaf-fee, Kakao, Bananen etc., für die deutsche Versorgunggrundsätzlich stets importiert werden. In einer Studie derUniversität Bonn wird jedoch aufgezeigt, dass deutsche Bio-Produkte immer mehr an Marktanteilen verlieren (vgl. Röp-ke, Neuhoff und Küpper 2011). Länder wie Spanien, Schwe-den oder Tschechien fördern gezielt ihre Öko-Landwirtschaft,um nach Deutschland zu exportieren. Die Importe von Bio-Produkten nach Deutschland sind nach Angaben des BundsÖkologischer Lebensmittelwirtschaft e.V. (BÖLW) im Wirt-schaftsjahr 2009/10 gegenüber 2007/08 am stärksten beiZwiebeln (+ 240%), Ölsaaten (+ 200%), Frischgemüse (knapp100%), Getreide (+ 65%), Möhren (+ 50%) sowie Kartoffeln(+ 30%) angestiegen (vgl. Bund Ökologischer Lebensmittel-wirtschaft 2011). Die deutsche Landwirtschaft will diesenWachstumsmarkt allerdings nicht den Importeuren über-lassen. Bauernpräsident Gerd Sonnleitner macht sich für ei-ne stärkere Zunahme von umstellungswilligen Betriebenstark, denn dem Bio-Boom in Deutschland darf nicht seineregionale Basis und somit seine Glaubwürdigkeit abhan-den kommen (vgl. Dienel 2011). Hierfür werden adäquateRahmenbedingungen, d.h. hinrechende Förderungen auf-grund der in Kuppelproduktion erbrachten Umweltleistun-gen, einfache, also wenig bürokratische Regelungen sowie

Planungssicherheit, eingefordert. Von den Verbrauchernerwartet der Berufsstand, dass sie Bereitschaft zeigen, kos-tenorientierte Preise zu bezahlen. Im Vergleich zu seinen un-mittelbaren Nachbarstaaten nimmt Deutschland in den Pro-Kopf-Umsätzen für Bio-Lebensmittel eine mittlere Positionein, vergleichbar mit Schweden (vgl. Abb. 5). Die Zahlen, ge-rade bei den unmittelbaren Nachbarn in Luxemburg, Ös-terreich und der Schweiz sowie Liechtenstein, lassen jedochgute Perspektiven für weitere Wachstumspotenziale auf demdeutschen Markt erkennen. Notwendige Voraussetzung hier-für ist allerdings nach Einschätzung aller Experten eine Zu-nahme der heimischen Produktion.

Außer-Haus-Verpflegung und Bio-Tourismus mitebenfalls großen Wachstumspotenzialen

Dem Außer-Haus-Markt kommt eine große Bedeutung zu,er macht mit mehr als 70 Mrd. Euro Umsatz ca. ein Drit-tel des gesamten deutschen Lebensmittelumsatzes aus.Die Nachfrager zeigen dabei, dass sie immer stärkerenWert auf Gesundheit, sichere Produkte (Herkunft und Re-gionalität) sowie Frische legen. Alle drei Kriterien führenzu einer Stärkung von Bio-Angeboten in Großküchen (Kan-tinen in Betrieben und Behörden, Mensen, Schüler- undKindergarten-/Tagesstättenverpflegung), Gastronomie so-wie Imbisseinrichtungen. Die Anzahl der gewerblichen Kü-chen in Deutschland mit Bio-Zertifikat hat sich zwischen2004 und 2009 in fünf Jahren nahezu vervierfacht. Der Be-reich von Kindergarten-/-tagesstätten- und Schulverpfle-gung entwickelt sich zusehends als Domäne für speziali-sierte Bio-Catering-Unternehmen. Viele Experten erwar-ten auf längerfristige Sicht gerade in der Gastronomie nochdeutlich weiter ansteigende Potenziale. Insbesondere auchim Getränkesektor zeigen Bio-Angebote eine vielverspre-chende Entwicklung. Aktuell werden im Sektor Außer-Haus-

Verzehr die größten Mengen von Bio-Ange-boten in Studentenwerken (Universitäts-Mensen) umgesetzt. Hier bilden sich damitnicht nur einflussreiche Trends heraus, son-dern mittel- und längerfristig werden dieseNachfragepräferenzen damit in den darauffolgenden älteren Generationen verstärktanzutreffen sein. Schließlich suchen immermehr Menschen nach Bio-Urlaub. Die Deut-sche Landwirtschaftsgesellschaft (DLG) hatdaher ein neues Gütezeichen für den Bio-Tourismus im Bereich von »Urlaub auf demBauernhof« entwickelt. Das DLG-Gütezei-chen garantiert besonderen Urlaubskom-fort, dazu wurde ein Katalog »Urlaub undGenießen beim Biobauern« aufgelegt. Bio-Ferienhöfe stehen nach eigenem Selbstver-ständnis für Genuss, Authentizität und öko-logische Landwirtschaft und damit für das

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4 Genaue Daten liegen hierzu nicht vor, da die deutsche Einfuhrstatistik nichtnach Bio- und konventionellen Lebensmitteln trennt. So bleibt es bei In-formationen auf Grundlage von Befragungen von Importunternehmen.

0 20 40 60 80 100 120 140

Tschechien

Belgien

Niederlande

Frankreich

Deutschland

Schweden

Liechtenstein

Luxemburg

Österreich

Schweiz

Dänemark

Quelle: Bund ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) auf Grundlage von Daten der FIBL, AMI, Organic Research Centre.

Umsatz mit Bio-Lebensmitteln in Deutschland und seinen Nachbarländern, 2009

Euro pro Kopf

Abb. 5

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Daten und Prognosen

wachsende Bedürfnis nach ökologisch intakter Lebens-und Freizeitwelt.

Literatur

AMI Agrarmarkt Informations-Gesellschaft mbH (2011), Marktbilanz Öko-Landbau, Bonn. Balz, M. (2008), »Entwicklungstendenzen auf dem deutschen Eiermarkt«,Agra-Europe (AgE): Unabhängiger Europäischer Presse- und Informations-dienst für Agrarpolitik und Agrarwirtschaft 49(42), 1–8.BIOwelt Jahrbuch 2011/2012, Osnabrück 2011.Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz(BMELV), http://www.bmelv.de/DE/Landwirtschaft/Oekolandbau/ und insbe-sondere Bundesprogramm ökologischer Landbau (BÖL), http://www.bun-desprogramm-oekolandbau.de/. Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz(BMELV), »Die wirtschaftliche Lage der landwirtschaftlichen Betriebe – Buch-führungsergebnisse der Testbetriebe«, http://www.bmelv-statistik.de/de/test-betriebsnetz/buchfuehrungsergebnisse-landwirtschaft/#c1088.Bund Ökologischer Lebensmittelwirtschaft e.V. (BÖLW) (2011), »Zahlen, Da-ten, Fakten: Die Bio-Branche 2011«, http://www.oekolandbau.de/.Deutsche Bank (2011), »Steigende Lebensmittelpreise – strukturell oder tem-porär?«, 28. März, http://www.dbresearch.de/PROD/DBR_INTERNET_DE-PROD/PROD0000000000271533.pdf.Deutscher Bauernverband (DBV) (2010), »Situationsbericht 2011«,http://www.situationsbericht.de/ und http://onlineproof.chcb.de/sb2011/index.html.Deutscher Bauernverband (DBV), Deutsche Bauernkorrespondenz, Monats-schrift des Deutschen Bauernverbandes, http://www.bauernverband.de/index.php?redid=153546.Dienel, W. (2011), »Ökolandbau braucht langfristig sichere Agrarpolitik – DBV-Perspektivforum bei der BioFach«, Deutsche Bauern Korrespondenz, Mo-natsschrift des deutschen Bauernverbandes (3), 30–31.Frankfurter Allgemeine Zeitung (2011), »Rekordpreise für Rohstoffe« und »Nah-rungsmittel werden teurer«, 12. März, 14.Röpke, U., D. Neuhoff und P.M. Küpper (2011), Förderung des ökologi-schen Landbaus – Deutschland im europäischen Vergleich, Institut für orga-nischen Landbau IOL, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, 17. Ja-nuar, http://www.iol.uni-bonn.de/indexneu.htm.Runge, K. (2011), »Die Bilanz der Boomjahre«, BIOwelt, das Wirtschaftsma-gazin für den gesamten Biomarkt 7(3), 24–26.Statistisches Bundesamt (2011), Pressemitteilung Nr.079, 28. Februar.Stiftung Ökologie und Landbau (SÖL), http://www.soel.de/.tegut (2011), Monatsjournal »Marktplatz«, April, 2–7, http://www.tegut.com/archiv/startseite_marktplatz_April_2011.php.

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Was verursacht Kohlenstoffemissionen? Diese Frage wur-de bereits in verschiedenen Studien und mit zahlreichenBerechnungsmethoden untersucht. Der vorliegende Kurz-zum-Klima-Artikel widmet sich einer anderen Fragestellung:Wer verursacht Emissionen? Diese Frage kann aus zweiverschiedenen Perspektiven beantwortet werden. Zum ei-nen können Emissionen durch die Verwendung eines pro-duktionsbasierten Ansatzes berechnet werden. Alle Emis-sionen eines Landes, die bei der Verbrennung fossiler Brenn-stoffe entstehen, werden dem jeweiligen Land zugeschla-gen. Der konsumbasierte Ansatz bedient sich einer ande-ren Perspektive. Ausgehend vom Konsum eines Landes,wird berechnet, welche Emissionen bei der Herstellungder verbrauchten Güter und Dienstleistungen entstandensind. Kohlenstoff, der während der gesamten Wertschöp-fungskette eines Produkts freigesetzt wird, bezeichnet manals »virtuellen« Kohlenstoff. Sinnbildlich ausgedrückt, trägtjedes Produkt einen Rucksack virtuellen Kohlenstoffs beisich. Der konsumbasierte Ansatz berechnet die Größe desjeweiligen Rucksacks und beobachtet die Reise des Gutsbis zum Verbraucher. Die Berechnung ist nicht trivial, aberder Vergleich des produktions- und konsumbasierten An-satzes bietet interessante Einblicke.

Zunächst ein kurzer Blick aus der produktionsbasierten Pers-pektive: Kohlenstoffemissionen variieren deutlich zwischenden Regionen der Welt. So liegen reiche Volkswirtschaftenbezüglich ihrer Pro-Kopf-Emissionen im Vergleich vorne.Im Hinblick auf absolute Emission befinden sich auch Bra-silien, China, Indien, Mexiko und Russland unter den zehngrößten Emittenten (vgl. World Resource Institute für dasJahr 2005). Die Höhe der nationalen CO2-Emissionen hängtvom Entwicklungsstand des Landes ab, aber auch der wirt-schaftlichen Struktur und den Ressourcenvorkommen.

Nimmt man virtuellen Kohlenstoff des konsumbasierten Ansatzes mit in die Berechnung auf, ändert sich das Bilddeutlich. In letzter Zeit haben verschiedene Studien be-rechnet, wie viel Kohlenstoff mit dem internationalen Han-del verbunden ist. Laut Caldeira und Davis (2010) wurdenim Jahr 2004 6,2 Gigatonnen CO2 weltweit gehandelt. In rei-chen Volkswirtschaften, wie Schweden, der Schweiz, demVereinigten Königreich oder Frankreich, stammen sogar über30% der konsumbasierten Emissionen aus Importen. Die-sem Artikel liegen die Daten von Atkinson et al. (2011) zu-grunde, die einem ähnlichen methodischen Ansatz wie Cal-deira und Davis (2010) folgen. Um den Gehalt an virtuellemKohlenstoff der gehandelten Güter zu berechnen, nutzen dieAutoren eine mehrregionale Input-Output-Analyse und kom-binieren Handelsdaten mit Input-Output-Tabellen.2 Atkinsonet al. (2011) bilden Ländergruppen anhand der Größe, des

Einkommens und der Lage eines Landes sowie dessen Sta-tus unter dem Kyoto-Protokoll.3

Die beigefügten Karten (vgl. Abb. 1) stellen den Unterschiedzwischen den produktions- und den konsumbasierten Emis-sionen dar. Dies entspricht, um eine intuitive Bezeichnungzu wählen, den Nettoexporten (Export abzüglich Import) vonvirtuellem Kohlenstoff. Die obere Karte zeigt das Niveau derNettoexporte von virtuellem CO2. Die unteren Karten illus-trieren Intensitäten – Nettoexporte von virtuellem Kohlen-stoff pro Bruttonationaleinkommen und pro Kopf.

In allen Karten zeichnet sich ein ähnliches Bild ab. Die EU-154, Japan und die USA sind sowohl bezüglich der ab-soluten Nettoimporte als auch in den relativen Darstellun-gen der unteren Karten stets die Spitzenreiter. Mexiko und»andere-Annex-I-Staaten«5 zählen ebenfalls zu den Net-toimporteuren. Ein bedeutender Anteil der Emissionen, dieden Konsumgütern reicher Länder »anhaften«, wird offen-sichtlich im Ausland produziert. Dass die meisten dieserEmissionen in schnell wachsenden Volkswirtschaften wieBrasilien, Indien, China und Russland entstehen, ist nichtverwunderlich. So zeigt die obere Karte, dass Brasilien, In-dien, Kanada, Südafrika und die Transformationsländer6 mo-derate Nettoexporte aufweisen. China, Russland und »an-dere Länder mittleren Einkommens« zählen zu den größtenNettoexporteuren. Interessanterweise fällt der Annex-I-StaatKanada unter die Nettoexporteure, Mexiko hingegen ist einNettoimporteur.

Die Berechnungen von Atkinson et al. (2011) ermöglicheneine Unterteilung der Exporte eines Landes nach ihrem Be-stimmungsort. Ein Beispiel hierfür liefert Abbildung 2, diedarstellt, in welche Länder die chinesischen Exporte des vir-tuellen Kohlenstoffs fließen. Über die Hälfe von Chinas vir-tuellem Kohlenstoff werden in die EU-15, Japan und die USAtransportiert. Aber CO2-intensive Güter werden auch in an-dere aufstrebende Volkswirtschaften wie Mexiko, Indien undRussland geliefert.

Die beiden unteren Karten der Abbildung 1 zeigen die Da-ten, nachdem für die Größe der Volkswirtschaft und die Be-völkerung kontrolliert wurde. Trotz einiger Veränderungen er-

Jana Lippelt, Janina Ketterer und Giovanni Ruta1

Kurz zum Klima: Ein Rucksack voller Kohlenstoff

1 Giovanni Ruta arbeitet bei der Weltbank und ist Doktorand am GranthamResearch Institute der London School of Economics.

2 Die Daten beziehen sich nur auf das Jahr 2004 und auf die CO2-Emissio-nen aus der Nutzung fossiler Brennstoffe.

3 Die Studie unterteilt die Welt in 15 Länder und Regionen: Brasilien, Kana-da, China, EU-15, Indien, Japan, Länder geringen Einkommens, Mexiko,andere Annex-I-Staaten, andere Länder hohen Einkommens, andere Län-der mittleren Einkommens, Russland, Südafrika, Transformationsländer,Vereinigte Staaten.

4 EU-15: Österreich, Belgien, Dänemark, Finnland, Frankreich, Deutschland,Griechenland, Irland, Italien, Luxemburg, Niederlande, Portugal, Spanien,Schweden und das Vereinigte Königreich.

5 Andere Annex-I-Staaten sind Australien, Island, Liechtenstein, Neuseeland,Norwegen, die Schweiz und die Türkei. Ein Annex-I-Staat unterliegt Reduktionsverpflichtungen bezüglich seiner Treibhausgase unter dem Kyoto-Protokoll.

6 Die Gruppe der Transformationsländer umfasst Bulgarien, Estland, Kroa-tien, Lettland, Litauen, Polen, Rumänien, Slowakei, Slowenien, Tschechien,die Ukraine, Ungarn und Weißrussland.

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Im Blickpunkt 43

Level der Nettoexporte

keine Angabe

Hohe Importe

Geringe Importe

Geringe Exporte

Hohe Exporte

Nettoexporte pro Bruttonationaleinkommen

keine Angabe

Hohe Importe

Geringe Importe

Geringe Exporte

Hohe Exporte

Nettoexporte pro Kopf

keine Angabe

Hohe Importe

Geringe Importe

Geringe Exporte

Hohe Exporte

Quelle: Atkinson et al. (2011).

Abb. 1Nettoexporte von virtuellem Kohlenstoff

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Im Blickpunkt

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gibt sich ein grundsätzlich ähnliches Bild. In beiden Intensi-tätsdarstellungen wechselt Südafrika in die Gruppe der gro-ßen Nettoexporteure. Das virtuelle CO2 der »anderen Län-der mittleren Einkommens« befindet sich nun auf modera-terem Niveau. Die unterste Karte, in der Kanada auf dieSeite der großen Nettoexporteure wechselt, stellt Pro-Kopf-Werte des virtuellen CO2 dar. Chinas Nettoexporte hinge-gen sinken auf ein niedrigeres Niveau. Dieser Wechsel spie-gelt wider, dass Kanada im Gegensatz zu China ein bevöl-kerungsarmes Land ist.

CO2-Emissionen verursachen globale Schäden und somitmuss eine Stabilisierung der atmosphärischen Konzent-ration klimawirksamer Gase angestrebt werden. Bei Ent-scheidungen bezüglich globaler Vermeidungsstrategienund Verhandlungen internationaler Umweltabkommen istes allerdings notwendig, sich den Unterschied zwischenproduktions- und konsumbasierten Emissionen bewusstzu machen. In der Diskussion um mögliche umweltpoliti-sche Instrumente wurde die Einführung einer globalenSteuer auf den CO2-Gehalt von Konsumgütern vorge-schlagen. Atkinson et al. (2011) berechnen den effekti-ven Steuersatz, der auf alle Exporte zu entrichten wäre,wenn eine einheitliche und konsumbasierte CO2-Steuereingeführt würde. Eine solche Besteuerung hätte starkeVerteilungseffekte zur Folge. Zwar würden sich die Prei-se für z.B. chinesische Produkte bei produktions- eben-so wie bei konsumbasierten Steuern erhöhen und damitdämpfend auf chinesische Exporte wirken. Bei einer kon-sumbasierten Besteuerung würden die Steuereinnahmenallerdings in Europa und nicht in China anfallen. Die Dis-kussion um konsumbasierte Emissionen zeigt erneut, dassdie Frage, wer Emissionen zu verantworten hat, neben As-pekten der Verteilungsgerechtigkeit eine zentrale Rolle inder Klimadebatte spielt.

Literatur

Atkinson, G. et al. (2011), »Trade in ›virtual carbon‹:Empirical results and implications for policy«, GlobalEnvironmental Change, im Erscheinen.Davis, S. und K. Caldeira (2010), Consumption-based accounting of CO2 emissions, PNAS, 107(12), 5687–5692.World Resource Institute, www.cait.wri.org.

USA

EU-15 Japan

andere Länder

Russland

Mexiko

Indien

Chinesischer Export von virtuellem Kohlenstoff nach Ländern, 2004

Quelle: Atkinson (2011).

Transformationsländer

Kanada

Abb. 2

Quelle: Atkinson et al. (2011).

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Das ifo Geschäftsklima für die gewerbliche WirtschaftDeutschlands hat sich im März sehr leicht eingetrübt, nach-dem es sich zuvor neun Mal in Folge verbessert hatte. Derkleine Rückgang resultiert aus etwas weniger optimistischenErwartungen der Befragungsteilnehmer. Dennoch bleibendie Unternehmen in Deutschland hinsichtlich des Ge-schäftsverlaufs im kommenden halben Jahr sehr zuver-sichtlich. Die momentane Geschäftslage bewerten die Fir-men abermals vermehrt als gut. Die Konjunkturampeln ste-hen unverändert auf grün. Deutschland befindet sich imAufschwung.

Die Geschäftserwartungen der Unternehmen haben sich inallen vier betrachteten Wirtschaftsbereichen eingetrübt – imVerarbeitenden Gewerbe, im Bauhauptgewerbe sowie imEinzel- und im Großhandel. Unterschiedlich entwickelte sichdie Geschäftslage der Unternehmen: Im Verarbeitenden Ge-werbe und im Einzelhandel ist die aktuelle Situation güns-tiger als im Vormonat. Dagegen ist die Geschäftslage imBauhauptgewerbe und im Großhandel nicht mehr ganz sogut wie im Februar. Mehr als die Hälfte der Befragungsteil-nehmer antworteten vor der Katastrophe in Japan. Da dieSituation dort auch noch längere Zeit unklar war, sind dieVorkommnisse nur sehr begrenzt in den Befragungser-gebnissen berücksichtigt. Über das Thema Japan hinausbergen die Entwicklungen in Nordafrika und im Nahen Os-ten Risikopotenzial für die Weltwirtschaft in sich. In Anbe-tracht der Unsicherheiten ist das Geschäftsklima in Deutsch-land recht stabil.

Das ifo Beschäftigungsbarometer für die gewerbliche Wirt-schaft Deutschlands ist im März den siebten Monat in Fol-ge gestiegen und steht deutlich höher als im Boom 2007.Die Arbeitsmarktperspektiven sind weiterhin hervorragend.Im Verarbeitenden Gewerbe hat die Einstellungsbereitschaftder Unternehmen erneut merklich zugenommen. Im Vor-produkte- und Investitionsgüterbereich ist der Personal-stamm zu klein. So bewerten speziell die Unternehmen imMaschinenbau, im Fahrzeugbau, in der Medizin-, Mess-,Steuer- und Regelungstechnik, Optik sowie in der Herstel-lung von Geräten der Elektrizitätserzeugung und -vertei-lung ihre Personalreserve als zu klein. Dagegen wird im Kon-sumgüterbereich die Mitarbeiterzahl eher als zu groß ein-gestuft. Die Einzelhändler planen ebenfalls vermehrt, die Zahlder Mitarbeiter zu erhöhen. Dagegen wollen die Großhänd-ler und die Unternehmen des Bauhauptgewerbes ihr Per-sonal etwas zurückhaltender aufstocken als bisher.

Die Geschäftslage im Verarbeitenden Gewerbe hat sichweiter gebessert. Die Nachfrage entwickelte sich lebhaf-

Klaus Abberger

ifo Konjunkturtest März 2011 in Kürze1

1 Die ausführlichen Ergebnisse des ifo Konjunkturtests, Ergebnisse vonUnternehmensbefragungen in den anderen EU-Ländern sowie des Ifo World Economic Survey (WES) werden in den »ifo Konjunkturpers-pektiven« veröffentlicht. Die Zeitschrift kann zum Preis von 75,– EUR/Jahrabonniert werden.

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2006 2007 2008 2009 2010 2011

Geschäftserwartungen

Gewerbliche Wirtschafta)

Geschäftslage

Geschäftsklima

Indexwerte, 2000 = 100, saisonbereinigt

a) Verarbeitendes Gewerbe, Bauhauptgewerbe, Groß- und Einzelhandel.

Geschäftsentwicklung

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2006 2007 2008 2009 2010 2011

ifo Beschäftigungsbarometer Deutschland Gewerbliche Wirtschafta)

a) Verarbeitendes Gewerbe, Bauhauptgewerbe, Groß und Einzelhandel.

Indexwerte, 2000 = 100, saisonbereinigt

im März 2011

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Klima positivaber verschlechtert

Klima positivund verbessert

Klima negativaber verbessert

Klima negativund verschlechtert

Geschäftsklima nach Wirtschaftsbereichen

Salden, saisonbereinigte Werte

Veränderung in Prozentpunkten

Verarbeitendes Gewerbe

Einzelhandel

Großhandel

im März 2011

Bauwirtschaft

Abb. 1

Quelle: ifo Konjunkturtest.

Abb. 2

Quelle: ifo Konjunkturtest.

Quelle: ifo Konjunkturtest.

Abb. 3

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Im Blickpunkt

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ter, und die Unternehmen sind zufriedener mit ihren Auf-tragsreserven als im Vormonat. Die Fertigwarenbeständewerden wieder häufiger als zu gering erachtet. Mit Blick aufdie Geschäfte in der nächsten Zeit hat die Zuversicht derIndustriefirmen aber leicht abgenommen. Das weitere Aus-landsgeschäft wird ebenfalls nicht mehr ganz so optimis-tisch wie im Februar, aber dennoch weiterhin sehr positiveingeschätzt. Über die Hauptgruppen hinweg hat sich dasGeschäftsklima uneinheitlich entwickelt. Die Vorleistungs-güterhersteller sind mit ihrer Geschäftssituation zufriede-ner. Sie blicken zudem etwas zuversichtlicher auf die wei-tere Geschäftsentwicklung als im Februar. Bei den Inves-titionsgüterproduzenten hat sich die Geschäftslage weiterdeutlich verbessert. Allerdings wurden die Geschäftser-wartungen etwas gesenkt. Mit Blick auf den Export sinddie Investitionsgüterhersteller lediglich geringfügig wenigeroptimistisch als bisher. Merklich eingetrübt hat sich dasGeschäftsklima im Konsumgüterbereich. Die Geschäftsla-ge ist hier zwar ähnlich gut wie im vergangenen Monat,die Geschäftserwartungen der Betriebe sind aber merklichweniger positiv.

Im Bauhauptgewerbe ist das Geschäftsklima nicht mehrganz so prächtig wie im Vormonat. Die Befragungsteilneh-mer sind mit ihrer momentanen Geschäftslage etwas weni-ger zufrieden als im Februar. Ihre Erwartungen sind zudemnicht mehr so optimistisch wie bislang. Das Geschäftskli-ma im Bauhauptgewerbe bleibt aber trotz der leichten Ein-trübung weiterhin sehr gut. Die befragten Bauunternehmenbeabsichtigen, die Bautätigkeit in den kommenden Mona-ten deutlich auszuweiten. Allerdings waren diese Planungenin den beiden vergangenen Monaten noch expansiver. DieKapazitätsauslastung ist im März merklich gestiegen undliegt über dem Wert des vergleichbaren Vorjahresmonats.Vor einem Jahr wurde die Bautätigkeit aber auch stärkerdurch die Witterung behindert als gegenwärtig. Das Ge-schäftsklima hat sich im Tiefbau und im Hochbau eingetrübt.Innerhalb des Hochbaus ist der Geschäftsklimaindex im öf-fentlichen Nichtwohnungsbau, im gewerblichen Bau und imWohnungsbau gesunken.

Im Großhandel hat der Geschäftsklimaindex leicht nach-gegeben. Die Geschäftslage ist momentan fast genausogut wie im vergangenen Monat. Allerdings schätzen die Be-fragungsteilnehmer ihre Perspektiven etwas weniger güns-tig ein als bisher. Die Verkaufspreise wollen sie dennochabermals häufiger anheben. Der Rückgang des Ge-schäftsklimaindex resultiert aus dem Produktionsverbin-dungshandel. Zwar bewerten hier die Befragungsteilneh-mer ihre derzeitige Lage günstiger, doch sind sie hinsicht-lich der weiteren Geschäftsentwicklung merklich zurück-haltender. Dies gilt für den Großhandel mit Vorproduktenund mit Investitionsgütern. Im Großhandel mit Kfz habensich die Geschäftslage und die Geschäftserwartungen ver-bessert. Auch im Konsumgütergroßhandel hat sich das Ge-

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saisonbereinigtsaisonbereinigt, geglättet

Einzelhandel

Salden

Salden aus den Prozentsätzen der Meldungen über erhöhte und verringerte Bestellplanungen.

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saisonbereinigt

saisonbereinigt, geglättet

Salden aus den Prozentsätzen der Meldungen über steigende und abnehmende Bautätigkeit.

Bauhauptgewerbe

Salden

Erwartete Bautätigkeit

Abb. 5

Quelle: ifo Konjunkturtest.

Quelle: ifo Konjunkturtest.

Abb. 6

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2006 2007 2008 2009 2010 2011

saisonbereinigt, geglättet saisonbereinigt

Verarbeitendes Gewerbea)

Salden

Salden aus den Prozentsätzen der Meldungen über zu- und abnehmende Exportgeschäfte. a) Ohne Ernährungsgewerbe und Tabakverarbeitung.

Exporterwartungen

Abb. 4

Quelle: ifo Konjunkturtest.

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Im Blickpunkt

schäftsklima aufgehellt. Die Befragungsteilnehmer sind zwarmit ihrer derzeitigen Geschäftssituation nicht mehr so zu-frieden wie im Februar, für die nahe Zukunft rechnen sie sichaber größere Chancen aus.

Die Einzelhändler berichten von einer besseren Geschäfts-lage als im Februar. Hinsichtlich der Entwicklung in dennächsten sechs Monaten sind sie aber zurückhaltender, sodass insgesamt das Geschäftsklima für den Einzelhandelnahezu unverändert ist. Der Lagerdruck hat etwas nachge-lassen, neue Waren wollen die Unternehmen aber etwas we-niger großzügig bestellen. Sie planen nochmals häufigerPreisaufschläge. Gesunken ist der Geschäftsklimaindex imEinzelhandel mit Verbrauchsgütern und mit Lebensmitteln.Dagegen ist der Geschäftsklimaindex in den für die Kon-junkturbeobachtung besonders wichtigen HandelsbereichenGebrauchsgüter und Kfz gestiegen. Im Kfz-Einzelhandel hatsich die Geschäftslage erheblich verbessert, auch die Pers-pektiven sind den Befragungsergebnissen zufolge deutlichgünstiger als bislang.

Das Geschäftsklima im Dienstleistungsgewerbe2 hat sichim März etwas eingetrübt. Die Dienstleister bewerten ihre Ge-schäftslage als nicht mehr ganz so gut. Ihre Erwartungen anden Geschäftsverlauf im kommenden halben Jahr habensie ebenfalls etwas reduziert. Sie sehen aber weiterhin rechtoptimistisch in die nahe Zukunft. Die Personalplanungen derDienstleistungsunternehmen sind nahezu unvermindert aufeine Ausweitung der Mitarbeiterzahl ausgerichtet. Im BereichTransport und Logistik hat sich das Geschäftsklima merk-lich eingetrübt. Die aktuelle Lage bewerten die Befragungs-teilnehmer nicht mehr so günstig wie im Vormonat, und ihrAusblick auf die Geschäfte im kommenden halben Jahr fälltdeutlich zurückhaltender aus. Im Gastgewerbe hat sich dasGeschäftsklima weiter verbessert. Die Geschäftssituationist hier günstiger als im Vormonat, die Geschäftserwartun-gen der Befragungsteilnehmer sind aber nicht mehr so po-sitiv. Preisanhebungen planen die Gastwirte weniger häufigals im Februar. Etwas abgekühlt hat sich das Geschäftskli-ma bei den Reisebüros und Reiseveranstaltern. Die Ge-schäftssituation ist in diesem Bereich merklich weniger gutals im Vormonat. Auch die Perspektiven für die nächste Zeitschätzen die Befragungsteilnehmer zurückhaltender ein. ImBereich Personal- und Stellenvermittlung, Überlassung vonArbeitskräften – zu dem die Zeitarbeitsfirmen gehören – hatsich das Geschäftsklima wieder deutlich aufgehellt. Die be-fragten Firmen berichten von einer spürbar günstigeren Ge-schäftslage. Auch für die nächste Zeit rechnen sie sich wie-der größere Chancen in ihrem Geschäftsfeld aus. Insgesamtzeigt die Detailbetrachtung der Befragungsergebnisse imDienstleistungsbereich ein heterogenes Bild. Es lässt sichim März keine einheitliche Entwicklung in diesem großen Wirt-schaftsbereich erkennen.

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2 In den Ergebnissen für die »gewerbliche Wirtschaft« nicht enthalten.

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Geschäftserwartungen

Geschäftslage

Geschäftsklima

Dienstleistungen

Salden, nicht saisonbereinigt

Geschäftsentwicklung

Abb. 7

Quelle: ifo Konjunkturtest.

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im Internet: http://www.cesifo-group.de

ifo Institut für Wirtschaftsforschung

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