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It`s hard to kiss a system – von der Systemtheorie zur Systemischen Therapie
Jochen Schweitzer, Julika Zwack
Sektion Medizinische Organisationspsychologie, Universitätsklinikum Heidelberg
Anliegen der heutigen Vorlesung
1. Grundkonzepte der Systemtheorie soweit verstehen, dass sie als Anregungen für Praktiker nutzbar werden.
2. Geschichte der Systemischen Therapie soweit verstehen, dass die Vielzahl heutiger Praktiken daraus nachvollziehbar wird.
Wie hängen Systemtheorien und systemische Praxis zusammen?
1. Die Kopplung zwischen Systemtheorie und Systemischer Therapie/Beratung ist „lose“: sie regen einander an, aber sie regieren einander nicht (sie „instruieren einander nicht deterministisch“).
2. Systemtheorie ist ein die Wissenschaften überquerender („transdisziplinärer“) Ansatz – der in Biologie und Regelungstechnik begann, Sozialwissenschaften und Medizin infiltrierte und auch mathematisiert wurde.
Systemtheorie hilft Praktikern zu verstehen, …
… warum das Leben manchmal so komplex ist und menschliches Handeln so viele unerwartete Nebenwirkungen haben kann.
… warum Menschen, Familien, Organisationen so „seltsam“ handelnkönnen, obwohl es aus ihrer Eigenlogik völlig sinnvoll erscheint.
… warum man Menschen, Familien, Organisationen nur seltenverändern kann – aber viel dafür tun kann, dass sie sich selbstverändern.
Praxisrelevante Grundkonzepte der Systemtheorie
Ein System ist eine Gruppe von Elementen,
… durch Beziehungen verbunden,
… die nach einer Weile ein Muster ausbilden
und durch eine Grenze von ihren Umwelten getrennt sind.
Was ist ein System? SINN
SINN
„Der Sinn von Grenzen liegt in der Begrenzung von Sinn.“N. Luhmann
6
Was macht wem welchen Sinn?
"In Anlehnung an Anmerkung 6a zum Kapitel 2 der KN hat die Zollverwaltung zusätzlich sog. Schweizerische Erläuterungen zum Zolltarif publiziert. Danach werden gewisse Erzeugnisse noch im Kapitel 2 eingereiht, denen bei der Herstellung Würzstoffe zugesetzt worden sind, sofern dadurch der Charakter einer Ware dieses Kapitels nicht verändert wird (zum Beispiel Bündnerfleisch). Ausgeschlossen von diesem Kapitel bleibt hingegen Fleisch, bei dem die Würzstoffe auf allen Flächen des Erzeugnisses verteilt und mit bloßem Auge wahrnehmbar sind."
Praxisrelevante Grundkonzepte der Systemtheorie
Beim Menschen lassen sich drei Systemebenen unterscheiden, die füreinander Umwelt sind.
Soziales System:Kommunikation
Psychisches System:Gedanken & Gefühle
Biologisches System:Hormone,Neurotransmitter, …
S
P
B
S
P
B
„… Kommunikativer Erfolg muss als äußerst unwahrscheinlich gelten.“
N. Luhmann
Praxisrelevante Grundkonzepte der Systemtheorie
Systeme sind eigensinnig: Die Bedeutung der Botschaft bestimmt der Empfänger.
„Lebewesen sind als autopoietische (sich selbst erschaffende) Systeme strukturdeterminiert, operational geschlossen und autonom.“
H. Maturana
Praxisrelevante Grundkonzepte der Systemtheorie
Von der Kybernetik 1. Ordnung zur Kybernetik 2. Ordnung.
„Alles was gesagt wird, wird von einem Beobachter gesagt.“H. Maturana
Praxisrelevante Grundkonzepte der Systemtheorie
„Beobachten heißt Unterscheidungen treffen.“
G. Bateson
Praxisrelevante Grundkonzepte der Systemtheorie
„Die Wirklichkeit, so wie wir sie wahrnehmen ist unsere Erfindung.“
H. v. Förster
Praxisrelevante Grundkonzepte der Systemtheorie
Sozialer Konstruktivismus: Wir kommunizieren – also bin ich.
„Jeder von uns wird zunehmend eine bunte Mischung von Potenzialen, wobei jedes Potenzial eine oder mehrere Beziehungen, in die wir uns einlassen, darstellt.“
K. Gergen
Praxisrelevante Grundkonzepte der Systemtheorie
Synergetik: Wie entsteht Ordnung in sich selbst organisierenden Systemen?
Fokus auf Kontrollparameter, „versklavende“ Ordner, Phasenübergänge & zukünftige Ordnungszustände.
Kurze Geschichte der systemischen Therapie in acht Akten
Kurze Geschichte der systemischen Therapie in acht Akten
1. Akt: Palo Alto Gruppe und „Menschliche Kommunikation“
„Zwischenmenschliche Systeme können als Rückkoppelungskreise angesehen werden.“
Watzlwick et al.
1. Kommunikationsstrukturen führen ein Eigenleben, das sich durch Kommunikationsregeln beschrieben lässt.
2. Menschen können sich auf der Inhalts- und der Beziehungsebene (un-)einig sein.
3. Kommunikationsabläufe sind komplementär oder symmetrisch.
4. Psychiatrische Symptome sind Elemente eines absurden und unhaltbaren zwischenmenschlichen Kontexts.
=> Schizophrenie als Versuch, nicht zu kommunizieren und keine Stellung zu beziehen.
5. Kommunikative Teufelskreise können nur durch Metakommunikation unterbrochen werden.
Von der intrapsychischen Energetik zur kommunikativen Bedeutung von Symptomen
Kurze Geschichte der systemischen Therapie in acht Akten
Gregory Bateson
Symmetrische Kommunikation: „Was immer du tust, kann ich viel besser tun“
Kurze Geschichte der systemischen Therapie in acht Akten
Komplementäre Kommunikation: „Was immer du tust, ich bestätige es.“
Kurze Geschichte der systemischen Therapie in acht Akten
Paradoxe Kommunikation – das double bind
Zutaten:
• eine bedeutsame Beziehung,
• Uneinlösbare Handlungs-aufforderungen („Sei spontan“)
• das Verbot, die Situation zu verlassen oder über sie zu sprechen („Metakommunikation“)
• Die Allgegenwart dieser Kommunikationsform („paradoxes Universum“)
Kurze Geschichte der systemischen Therapie in acht Akten
2. Akt: Gerechtigkeit, Delegation, Bezogene Individuation –Ivan Boszormenyi-Nagy und Helm Stierlin
• Symptome deuten auf „unausgeglichene Konten“ und „angehäufte Ungerechtigkeit“ früherer Generationen
• Symptome als Versuche von Kontenausgleich und Entschädigung
• Therapieziel: „die Kette der verschobenen Ungerechtigkeiten anhalten“
Ivan Boszormenyi-Nagy
„Achte auf die Balance von Geben und Nehmen“
Kurze Geschichte der systemischen Therapie in acht Akten
Kurze Geschichte der systemischen Therapie in sieben Akten
2. Akt: Gerechtigkeit, Delegation, Bezogene Individuation –Ivan Boszormenyi-Nagy und Helm Stierlin
Delegation: unbewusste Beauftragung von Kindern, Lebensziele ihrer Eltern zu vollenden
•Gebundene Delegierte: „Kind bleib bei uns und versorge uns!“
•Ausgestoßene Delegierte: „Kind geh hinaus und bewirke, was wir nicht bewirken konnten!“
Helm Stierlin „Kind mach Du das, was ich mich nicht getraut habe, aber ich werde Dich dafür kritisieren“
Therapieziel „Bezogene Individuation“: im Kontakt bleibend sich abgrenzen
3. Akt: Wachstum – Selbstwert – Kommunikation: Humanistische („erlebnnisorientierte“) Familientherapie
„Jeder will wachsen und ein gutes Selbstwertgefühl haben“„Verrücktheit ist ein Hilferuf eines gekränkten Menschen“„Kongruente Kommunikation erleichtert Wachstum“
Kommunikationsformen und Selbstwert: •„Beschwichtigend“•„Anklagend“•„Rationalisierend“•„Irrelevant“•„Kongruent“
Kurze Geschichte der systemischen Therapie in acht Akten
Virginia Satir
Kommunikationsformen nach Satir
beschwichtigend
"Was immer du willst, ist in Ordnung. Ich bin nur hier, um dich glücklich zu machen."
"Du machst einfach alles falsch!"
anklagend
Kommunikationsformen nach Satir
„Sei vernünftig. Und mach keine Fehler.“
rationalisierend
Kommunikationsformen nach Satir
"Ich bin gerade irgendwo anders."
irrelevant
Kommunikationsformen nach Satir
4. Akt: Struktur, Grenzen, Macht – Salvador Minuchin und Jay Haley
• klare Grenzen zwischen den Generationen
• altersangemessene individuelle Grenzen, Rechte und Pflichten
• Auflösung generationsüberschreitendeKoalitionen
Therapieziel: Familienorganisation in eine „gut funktionierende Struktur“ zu führen.
These: Normalisiert sich die Familienorganisation, verschwindet das Symptom.
Salvatore Minuchin„Die Grenzen fest, aber durchlässig machen!“
Kurze Geschichte der systemischen Therapie in acht Akten
4. Akt: Struktur, Grenzen, Macht – Salvador Minuchin und JayHaley
Die Lösung ist das Problem: dysfunktionaleProblemlösungsstrategien explorieren, umdeuten und durch Symptomverschreibung unterbrechen.
Jay Haley
Perverse Dreiecke: Geheime Koalition zwischen zwei Parteien aus zwei unterschiedlichen Statusebenen –gegen die ausgeschlossene dritte Partei
Therapieziel: „perverse Dreiecke“ identifizieren und unterbrechen
„Die Hierarchie muss wieder hergestellt werden“
Kurze Geschichte der systemischen Therapie in acht Akten
5. Akt Paradoxon und Gegenparadoxon – Mailänder Gruppe
Merkmale des Settings
• „lange Kurzzeittherapie“; Mind. ein Therapeut vor und zwei hinter der Scheibe
• Abschlusskommentar
Haltungen & Interventionen
• Hypothesenbildung, Zirkularität und Neutralität
• Positive Konnotation des Verhaltens des Symptomträgers wie seiner Umgebung => paradoxe Verschreibung
• Zirkuläres Fragen nach Unterschieden in Beziehungen
Kurze Geschichte der systemischen Therapie in acht Akten
6. Akt: Problemsprache und Lösungssprache – die Milwaukee Gruppe
Grundannahmen:
• Jedes Erleben ist AufmerksamkeitsFokussierung: „Energy flows whereattention goes“
• Potenzialhypothese: Menschen verfügen bereits über die Ressourcen, ihre Probleme zu lösen – müssen sie nur noch finden Steve de Shazer &
Insoo Kim Berg
Kurze Geschichte der systemischen Therapie in acht Akten
6. Akt Problemsprache und Lösungssprache – die Milwaukee Gruppe
„Aufgabe des Therapeuten ist es, die Aufmerksamkeit des Patienten auf Lösungs- und Kompetenzerfahrungen in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu richten und ihm damit den Zugang zu seinen verschütteten Ressourcen zu ermöglichen. Dies ist möglich, ohne das Problem in all seinen Details verstanden zu haben.“
S. de Shazer
Kurze Geschichte der systemischen Therapie in acht Akten
6. Akt Problemsprache und Lösungssprache – die Milwaukee Gruppe
Kurze Geschichte der systemischen Therapie in acht Akten
7. Akt „Herrschende und unterdrückte Geschichten“ –Postmodernes Denken und narrative Therapie
Systemisch-narrative Fragen:
Aus welchen Geschichten entstehen die Glaubenssätze („Familiencredo“) in Ihrer Familie?
Wie regieren diese Geschichten das eigene oder familiäre Leben? Wo stärken, wie schwächen sie?
Welche alternativen Geschichten könnten erzählt werden?
Menschen werden zu den Geschichten, die sie über sich erzählen.
Michael White
Kurze Geschichte der systemischen Therapie in acht Akten
8. Akt: Familien und größere Systeme – Evan Imber-Black, Eia Asen, Haim Omer
Kurze Geschichte der systemischen Therapie in acht Akten
Evan Imber-Black: Familien-Helfer-Gespräche
Eia Asen: Multifamilientherapie
Haim Omer: Eltern-Coaching
Moderne Familien sind oft eine zu kleine „Einheit wirksamer Veränderung“ – Freunde, Nachbarn, Leidensgenossen und andere Profis in die Problemlösung einbeziehen!
Danke für Ihre Aufmerksamkeit.