Iusfull - der Fall

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d er fall ius.full 3/4/10 94 I. Sachverhalt, Aufgabenstellung 2 und Hilfsmittel 1. Sachverhalt A.  F ist 30 Jahre alt und betreibt seit Kurzem ein Ein- zelunternehmen, das Schokolade herstellt und hauptsächlich regional vertreibt. Sie wohnt in ihrem Einfamilienhaus in Ostermundigen (BE), welches sie für CHF 1 250 000.– gekauft hat. Am Montag, den 5. Januar 2004 nimmt sie bei der Bank B einen Geschäftskredit in der Höhe von CHF 600 000.– auf, um dringend benötigte Maschi- nen kaufen zu können. Um diesen Kredit abzusi- chern, muss F ihr Haus, welches einen amtlichen Wert von CHF 1 000 000.– aufweist, mittels Schuld- brief als Sicherheit verpfänden. Am Freitag, den 4. Juni 2004 heiratet F den 32 Jahre alten M (italienischer Staatsangehöriger) in Bern. Da M in Italien seine Doktorarbeit beenden will, beschliessen die beiden, dass sie bis auf Weite- res an den bisherigen Orten (F in Ostermundigen und M in Mailand) wohnen bleiben. F besucht M bis Ende des Jahres 2004 an acht zum Teil verlängerten Wochenenden, ansonsten halten die beiden telefo- nischen Kontakt. Am Montag, den 20. Dezember 2004 verkauft F ihr Haus für CHF 1 500 000.– und zieht in eine Mietwoh- nung an der Musterstrasse 1 in 3072 Ostermundigen. Den Geschäftskredit kann sie noch gleichentags aus während dem Jahr 2004 erwirtschafteten Einnahmen aus ihrer Unternehmung zurückbezahlen. Am Mittwoch, den 11. Mai 2005 kauft sie für CHF 1 500 000.– in Münsingen (BE) ein Fabrika- tionsgebäude für ihr Unternehmen, welches bisher in Wabern (BE) eingemietet war. In der Steuererklärung für das Jahr 2004, welche F im Juni 2005 bei der Steuerverwaltung einreicht, gibt sie an, seit der Heirat räumlich getrennt von M zu leben. Ferner schreibt sie, sie habe im Mai 2005 aus dem Geld des Verkaufs ihres Hauses in Ostermundi- gen das Gebäude in Münsingen als Ersatz erworben. B.  Am Samstag, den 10. Juni 2006 erhält F die Veranla- gungsverfügungen für das Jahr 2004 von der kanto- Steuerprobleme mit Ehe und Hausverkauf Schriftliche Arbeit im öffentlichen Recht René Matteotti* / Christa Niklaus-Michel** Der nachfolgende Steuerrechtsfall wurde an den Anwaltsprüfungen vom 14. Januar 2010 in Bern als schriftliche Aufgabe im öffentlichen Recht gestellt. Für die Bearbeitung des Falls – auszuarbeiten war das Urteil der zustän- digen Rechtsmittelinstanz – standen den Kandidaten/-innen sechs Stunden zur Verfügung 1 . Insgesamt 62 Perso- nen haben die Prüfung absolviert. Der Gesamtnotendurchschnitt betrug 4,35. Rund 23% der Arbeiten mussten mit einer ungenügenden Note bewertet werden, 48% wurden mit der Note 4 bis 4,5 bewertet und 29% der abgegebenen Lösungen erreichten eine gute bis sehr gute Bewertung (Note 5 und höher).  * Prof. Dr. iur., M.A., LL.M. Tax, Rechtsanwalt, Ordinarius für schweizerisches, europäisches und internationales Steu- errecht an der Universität Bern. ** BLaw Bern, MLaw Bern, wissenschaftliche Assistentin am Institut für Steuerrecht der Universität Bern. – Die Verfasser danken Prof. Bernard Rolli, Präsident der Abteilung für französischsprachige Geschäfte des Verwal- tungsgerichts des Kantons Bern, für die Unterstützung beim Aufbau der Aufgabe und die wertvollen Anregungen beim Erarbeiten der Lösungsskizze.  1 Die erlaubten Hilfsmittel sind am Ende der Aufgabenstel- lung (vgl. I, Ziff. 2 hiernach) aufgeführt.  2 Der Prüfungsfall lehnt sich, was den Streitpunkt der An- wendung des Alleinstehenden- oder Ehegattentarifs be- trifft, an das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 30. Januar 2009 (publiziert in StE B 13.1 2009 Nr. 16). Für die Prüfung wurde der Fall mit zusätzlichen formellen und materiellen Fragestellungen angereichert.

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Steuerprobleme mit Ehe und Hausverkauf

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I. Sachverhalt, Aufgabenstellung2

und Hilfsmittel

1. Sachverhalt

A. 

F ist 30 Jahre alt und betreibt seit Kurzem ein Ein-zelunternehmen, das Schokolade herstellt und hauptsächlich regional vertreibt. Sie wohnt in ihrem Einfamilienhaus in Ostermundigen (BE), welches sie für CHF 1 250 000.– gekauft hat.

Am Montag, den 5. Januar 2004 nimmt sie bei der Bank B einen Geschäftskredit in der Höhe von CHF 600 000.– auf, um dringend benötigte Maschi-nen kaufen zu können. Um diesen Kredit abzusi-chern, muss F ihr Haus, welches einen amtlichen Wert von CHF 1 000 000.– aufweist, mittels Schuld-brief als Sicherheit verpfänden.

Am Freitag, den 4. Juni 2004 heiratet F den 32 Jahre alten M (italienischer Staatsangehöriger) in Bern. Da M in Italien seine Doktorarbeit beenden will, beschliessen die beiden, dass sie bis auf Weite-res an den bisherigen Orten (F in Ostermundigen und M in Mailand) wohnen bleiben. F besucht M bis Ende des Jahres 2004 an acht zum Teil verlängerten Wochenenden, ansonsten halten die beiden telefo-nischen Kontakt.

Am Montag, den 20. Dezember 2004 verkauft F ihr Haus für CHF 1 500 000.– und zieht in eine Mietwoh-nung an der Musterstrasse 1 in 3072 Ostermundigen. Den Geschäftskredit kann sie noch gleichentags aus während dem Jahr 2004 erwirtschafteten Einnahmen aus ihrer Unternehmung zurückbezahlen.

Am Mittwoch, den 11. Mai 2005 kauft sie für CHF 1 500 000.– in Münsingen (BE) ein Fabri ka-tions gebäude für ihr Unternehmen, welches bisher in Wabern (BE) eingemietet war.

In der Steuererklärung für das Jahr 2004, welche F im Juni 2005 bei der Steuerverwaltung einreicht, gibt sie an, seit der Heirat räumlich getrennt von M zu leben. Ferner schreibt sie, sie habe im Mai 2005 aus dem Geld des Verkaufs ihres Hauses in Ostermundi-gen das Gebäude in Münsingen als Ersatz erworben.

B. 

Am Samstag, den 10. Juni 2006 erhält F die Veranla-gungsverfügungen für das Jahr 2004 von der kanto-

Steuerprobleme mit Ehe und HausverkaufSchriftliche Arbeit im öffentlichen Recht

René Matteotti* / Christa Niklaus-Michel**

Der nachfolgende Steuerrechtsfall wurde an den Anwaltsprüfungen vom 14. Januar 2010 in Bern als schriftliche Aufgabe im öffentlichen Recht gestellt. Für die Bearbeitung des Falls – auszuarbeiten war das Urteil der zustän-digen Rechtsmittelinstanz – standen den Kandidaten/-innen sechs Stunden zur Verfügung1. Insgesamt 62 Perso-nen haben die Prüfung absolviert. Der Gesamtnotendurchschnitt betrug 4,35. Rund 23% der Arbeiten mussten mit einer ungenügenden Note bewertet werden, 48% wurden mit der Note 4 bis 4,5 bewertet und 29% der abgegebenen Lösungen erreichten eine gute bis sehr gute Bewertung (Note 5 und höher).

  * Prof. Dr. iur., M.A., LL.M. Tax, Rechtsanwalt, Ordinarius für schweizerisches, europäisches und internationales Steu-errecht an der Universität Bern.

** BLaw Bern, MLaw Bern, wissenschaftliche Assistentin am Institut für Steuerrecht der Universität Bern.

– Die Verfasser danken Prof. Bernard Rolli, Präsident der Abteilung für französischsprachige Geschäfte des Verwal-tungsgerichts des Kantons Bern, für die Unterstützung beim Aufbau der Aufgabe und die wertvollen Anregungen beim Erarbeiten der Lösungsskizze.

  1 Die erlaubten Hilfsmittel sind am Ende der Aufgabenstel-lung (vgl. I, Ziff. 2 hiernach) aufgeführt.

  2 Der Prüfungsfall lehnt sich, was den Streitpunkt der An-wendung des Alleinstehenden- oder Ehegattentarifs be-trifft, an das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 30. Januar 2009 (publiziert in StE B 13.1 2009 Nr. 16). Für die Prüfung wurde der Fall mit zusätzlichen formellen und materiellen Fragestellungen angereichert.

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nalen Steuerverwaltung Kreis Mittelland (nachfol-gend Steuerverwaltung genannt) sowohl für die Kantons- und Gemeindesteuern als auch für die di-rekte Bundessteuer.

Die Steuerverwaltung ordnet das ehemalige Haus von F in Ostermundigen wegen der Verpfändung für den Geschäftskredit dem Geschäftsvermögen zu. Den Gewinn aus dem Verkauf des Hauses in Oster-mundigen rechnet sie F für die direkte Bundessteuer als Einkommen aus selbständiger Erwerbstätigkeit auf, was nach Vornahme aller Abzüge ihr steuerba-res Einkommen um rund CHF 180 000.– und die Steuerbelastung um rund CHF 21 800.– steigen lässt.

F wird ferner eröffnet, dass Sie nach dem Tarif für Ehegatten, die in rechtlich und tatsächlich unge-trennter Ehe leben (nachfolgend Verheiratetentarif genannt), veranlagt wird. Die Steuerverwaltung be-gründet die Tarifanwendung damit, dass nebst der räumlichen und wirtschaftlichen Trennung der Haushalte auf den Willen der Ehegatten zur Fort-führung der ehelichen Gemeinschaft abzustellen sei.

Hinweis: Es darf vorausgesetzt werden, dass M im Jahr 2004 kein steuerbares Einkommen erwirtschaf-tet hat.

Hinweis: Der Steuerbetrag auf dem von F selbst de-klarierten steuerbaren Einkommen fällt für den Kan-ton und die Gemeinde unter Anwendung des Verhei-ratetentarifes erheblich tiefer aus. Unabhängig von der Korrektur des steuerbaren Einkommens führt dieser Tarif bei der direkten Bundessteuer jedoch zu einem höheren Steuerbetrag als derjenige für eine ge-trennte bzw. selbständige Besteuerung der Ehepartner (nachfolgend Alleinstehendentarif genannt).

C.

F erhob bei der Steuerverwaltung am Dienstag, den 20. Juni 2006 Einsprache gegen die beiden Veranla-gungen. Sie begründete diese sinngemäss wie folgt:

Hinsichtlich der verkauften Liegenschaft Oster-mundigen sei sie immer davon ausgegangen, dass durch die Verpfändung für den Geschäftskredit kein Wechsel vom Privat- ins Geschäftsvermögen statt-gefunden habe. Schliesslich habe sie immer als Pri-vatperson im Haus gewohnt. Ferner habe sie die Liegenschaft absichtlich nicht in die Geschäftsbuch-haltung aufgenommen, woraus ihr Wille ersichtlich werde, dass das Haus nicht zum Geschäftsvermögen

gehören solle. Sie argumentierte weiter, dass es auf dasselbe hinausgelaufen wäre, wenn sie ihren (pri-vaten) Hypothekarkredit um CHF 600 000.– erhöht und dann das Geld dem Geschäft für den Maschi-nenkauf zur Verfügung gestellt hätte. Sie habe das andere Vorgehen nur gewählt, weil ihr für den Ge-schäftskredit günstigere Zinskonditionen offeriert worden seien als für die Erhöhung des Hypothekar-kredites. F fügte ferner an, dass unter der Vorausset-zung, dass die Liegenschaft Ostermundigen wider Erwarten dem Geschäftsvermögen zugeordnet werde, der Erlös aus deren Verkauf nicht zu be-steuern sei. Sie habe nämlich aus dem gesamten Verkaufserlös der Liegenschaft Ostermundigen die Liegenschaft in Münsingen gekauft, womit ein Steuer aufschubstatbestand eingetreten sei.

Zur Anwendung des Verheiratetentarifs führte sie aus, dass sie und ihr Mann M nie zusammengewohnt hätten, weil er in Italien seine Doktorarbeit habe beenden wollen. Es habe somit nie eine Gemein-schaftlichkeit der Mittel für Wohnung und Lebens-unterhalt bestanden. F schrieb, dass sie ihren Mann nach der Hochzeit bis Ende 2004 an nur insgesamt acht, zum Teil verlängerten Wochenenden besucht habe und dass die beiden bis heute durchgehend ge-trennt voneinander lebten. Die Voraussetzung der Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft sei ihres Erachtens gleichbedeutend mit der Aufhebung oder dem Nichtbestehen des gemeinsamen Haushaltes, beziehe sich aber nicht auch auf die eheliche Ge-meinschaft seelischer Art bzw. den Willen zur Wei-terführung oder Aufrechterhaltung derselben. Im Übrigen sei sie nie mit ihrem Ehegatten in der Öffentlichkeit aufgetreten.

Weiter führte F aus, sie wolle als Einzelperson be-steuert werden, auch wenn dies zu höheren Steuern führen sollte. Im Steuerrecht gehe es bekanntlich nicht darum, zugunsten der Steuerpflichtigen den jeweils günstigeren Tarif, sondern das Steuergesetz korrekt anzuwenden.

Am Freitag, den 8. Juni 2007 weist die Steuerver-waltung die Einsprachen ab.

D.

Gegen diese Einspracheverfügungen erhebt F frist-gerecht mit denselben Rechtsbegehren und Begrün-dungen, die sie bereits bei der Steuerverwaltung anführte, bei der Steuerrekurskommission des Kan-

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tons Bern (nachfolgend StRK genannt) Rekurs be-treffend der Kantons- und Gemeindesteuern und Beschwerde bezüglich der direkten Bundessteuern.

Am Donnerstag, den 12. Juni 2008 heisst die StRK beide Rechtsmittel gut, hebt die Einspracheverfü-gungen vom 8. Juni 2007 auf und weist die Steuer-verwaltung an, F in beiden Veranlagungen getrennt von ihrem Ehegatten zu besteuern, da keine Ge-meinschaftlichkeit der Mittelherkunft und -verwen-dung bestehe. Damit liege keine Einheit vor, die eine Familienbesteuerung rechtfertige. Die StRK weist die Steuerverwaltung ferner an, bei der direk-ten Bundessteuer die ehemalige Liegenschaft in Os-termundigen unter entsprechender Korrektur des steuerbaren Einkommens dem Privatvermögen zu-zuordnen. Die StRK eröffnet F die Entscheide mit-tels Postzustellung am Freitag, den 13. Juni 2008 und der Steuerverwaltung am Montag, den 16. Juni 2008.

E.

Am Mittwoch, den 16. Juli 2008 erhebt die Steuer-verwaltung gegen den Rekurs- und gegen den Be-schwerdeentscheid der StRK jeweils separat Be-schwerde an die zuständige Rechtsmittelinstanz mit dem Rechtsbegehren, die Entscheide der StRK seien aufzuheben und die Einspracheverfügungen vom 8. Juni 2007 seien zu bestätigen. Sie begründet ihre Anträge gleich wie gegenüber F und fügt an, dass die Einordnung der Liegenschaft Ostermundi-gen zum Geschäftsvermögen und die Veranlagung von F nach dem Verheiratetentarif den Vorgaben der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichts entsprächen. Zudem liege durch den Kauf der Lie-genschaft Münsingen kein Tatbestand vor, welcher die Besteuerung aufzuschieben vermöchte.

Am Mittwoch, den 15. Juli 2009 vereinigt die Be-schwerdebehörde die Verfahren betreffend die Kantons- und Gemeindesteuer sowie die direkte Bundessteuer.

Die StRK beantragt in ihrer Vernehmlassung vom Montag, den 3. August 2009 die Abweisung der Be-schwerden.

F reichte keine Beschwerdeantwort ein.

2. Aufgabenstellung

Verfassen Sie den Entscheid der zuständigen Rechtsmittelinstanz. Auch bei einem allfälligen

Nichteintretensentscheid ist der Sachverhalt materi-ell zu behandeln. Es darf auf den Sachverhalt und die Prozessgeschichte der Aufgabenstellung verwie-sen werden.

II. Lösungsskizze3

Gemäss Aufgabenstellung hatten die Kandidaten/ -innen die Falllösung in Form eines Entscheides der zuständigen Rechtsmittelinstanz auszuarbeiten. Im vorliegenden Fall handelte es sich um ein Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern.

A. Eidgenössische Erlasse:

n BV (SR 101)n DBG (SR 642.11)n StHG (SR 642.14)n ZGB (SR 210)n OR (SR 220)n BGG (SR 173.110)n VwVG (SR 172.021)n SchKG (SR 281.1)n Verordnung über die zeitliche Bemessung der

direkten Bundessteuer bei natürlichen Personen (SR 642.117.1)

B. Bernische Erlasse:

n KV (BSG 101.1)n StG (BSG 661.11)n VRPG (BSG 155.21)n StRKG (BSG 661.611)n ZPO (BSG 271.1)n BStV (BSG 668.11)

C. Kreisschreiben der eidgenössischen Steuerverwaltung:

n KS Nr. 2 vom 12. November 1992 (Präponderanzmethode)

n KS Nr. 14 vom 29. Juli 1994 (Familienbesteuerung)

HILFSMIT TEL

  3 Die in der Lösungsskizze in den Fussnoten aufgeführten Hinweise zu Bundesgerichtsentscheiden und Literaturstel-len konnten von den Kandidaten/-innen selbstverständlich nicht erwartet werden, da sie an der Prüfung über keine entsprechende Dokumentation verfügten.

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A. Deckblatt

Das Rubrum präsentierte sich korrekterweise wie folgt:

Verwaltungsgericht des Kantons BernVerwaltungsrechtliche Abteilung

Urteil vom 14. Januar 2010Verwaltungsrichter/-in X, Abteilungspräsident/-inVerwaltungsrichter/-innen Y und ZKammerschreiber/-in K

Steuerverwaltung des Kantons BernBrünnenstrasse 66, 3001 Bern

Beschwerdeführerin

gegen

FMusterstrasse 1, 3072 Ostermundigen

Beschwerdegegnerin

und

Steuerrekurskommission des Kantons BernSägemattstrasse 2, 3097 Liebefeld

Betreffend Kantons- und Gemeindesteuern sowie direkte Bundessteuer pro 2004 (Rekurs- und Be-schwerdeentscheid der Steuerrekurskommission des Kantons Bern vom 12. Juni 2008)

B. Formeller Teil4

1.  Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts

Die beiden angefochtenen Urteile der StRK vom 12. Juni 2008 stützen sich auf öffentliches Recht. Sie

ergingen noch unter der bis am 31. Dezember 2008 gültigen Fassung des Gesetzes über die Verwal-tungsrechtspflege (VRPG; BSG 155.21). Am 1. Ja-nuar 2009 trat die revidierte Fassung des VRPG in Kraft. Sowohl nach alter5 wie nach neuer Fassung der Art. 74 ff. VRPG beurteilt das Verwaltungsge-richt als letzte kantonale Instanz Beschwerden ge-gen solche Entscheide. Gemäss Art. 75 ff. VRPG liegen keine Ausschlussgründe vor, womit das Ver-waltungsgericht zur Beurteilung der vorliegenden Beschwerden zuständig ist (vgl. Art. 145 Abs. 2 i.V.m. Art. 141 des Bundesgesetzes vom 14. Dezember 1990 über die direkte Bundessteuer [DBG; SR 642.11] sowie Art. 9 Abs. 3 der Verordnung vom 18. Oktober 2000 über den Vollzug der direkten Bundessteuer [BStV; SR 668.11]; Art. 50 Abs. 3 des Bundesgesetzes über die Harmonisierung der direk-ten Steuern der Kantone und Gemeinden [StHG; SR 642.14] und Art. 201 Abs. 1 des Steuergesetzes vom 21. Mai 2000 [StG; BSG 661.11]). Neues Ver-fahrensrecht ist grundsätzlich sofort anwendbar.

2.  Beschwerdelegitimation

Die beschwerdeführende Partei ist im zu beurteilen-den Fall die kantonale Steuerverwaltung. Gestützt auf Art. 79 Abs. 2 VRPG ist jede Behörde beschwer-deberechtigt, die durch Gesetz oder Dekret dazu ermächtigt wird. Diese Ermächtigung liegt bezüg-lich der Steuerverwaltung entsprechend Art. 201 Abs. 2 StG und Art. 145 Abs. 2 i.V.m. Art. 141 Abs. 1 DBG vor. Nach dem Gesetzeswortlaut bestehen zur Erhebung der Behördenbeschwerde keine weiteren Voraussetzungen (vgl. auch Art. 73 Abs. 2 StHG i.V.m. Art. 111 Abs. 1 und Art. 89 Abs. 2 des Bundes-gesetzes über das Bundesgericht vom 17. Juni 2005 [BGG; SR 173.110])6. Verlangt wird lediglich die Teilnahme am vorinstanzlichen Verfahren, sofern diese überhaupt vorgesehen und möglich war7. Die Beschwerdeführerin erfüllt vorliegend diese Vor-aussetzung.

3.  Form und Frist

Der Rekurs- und Beschwerdeentscheid der StRK vom 12. Juni 2008 wurde F brieflich am 13. Juni und der Steuerverwaltung am 16. Juni 2008 eröffnet. Die Beschwerdefrist begann am 17. Juni zu laufen und endete nach 30 Tagen am 16. Juli 2008. Mit ihrer an

  4 Die vorliegende Unterteilung des Urteils mittels Über-schriften erfolgt aus redaktionellen Gründen und der bes-seren Übersicht halber. In der Praxis und an den Prüfun-gen werden i. d. R. keine solchen Titel gesetzt.

  5 Da die Entscheide der StRK noch vor der Inkraftsetzung der Teilrevision des VRPG ergingen, war die Zuständigkeit nach unrevidiertem Recht zu prüfen.

  6 Im dem diesem Fall zugrunde liegenden Entscheid vom 30. Januar 2009 stellte sich das Verwaltungsgericht des Kan-

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diesem Datum eingereichten Eingabe hat die Steuer-verwaltung die Beschwerdefrist eingehalten (vgl. Art. 151 StG, Art. 41 Abs. 1 und Art. 81 Abs. 1 VRPG sowie Art. 145 Abs. 2 i.V.m. Art. 141 Abs. 2 DBG). Auf die frist- und formgerecht (vgl. Art. 32 VRPG) eingereichte Beschwerde ist somit einzutreten.

4.  Verfahrensvereinigung

Sind sowohl Entscheide bezüglich der kantonalen und kommunalen Steuern als auch der direkten Bundessteuer angefochten, muss das Verwaltungs-gericht zwei Urteile fällen, denn es handelt sich um zwei verschiedene Steuern, die unterschiedlichen Gemeinwesen zukommen und in getrennten Ver-fahren veranlagt werden. Die beiden Entscheide können aber in ein und derselben Urteilsschrift enthalten sein, selbst, wenn die anzuwendenden Rechtsnormen nicht unbedingt gleich lauten. In die-sem Fall müssen die Entscheide getrennte Begrün-dungen enthalten, was aber gegenseitige Verweisun-gen nicht ausschliesst8.

In materieller Hinsicht ist vorliegend in beiden Beschwerden strittig, ob die Beschwerdegegnerin getrennt von ihrem Ehepartner zu besteuern ist oder aber der Ehegattenbesteuerung untersteht. Ferner ist zu ermitteln, ob die Liegenschaft Ostermundigen dem Privat- oder Geschäftsvermögen der Beschwer-degegnerin zuzuordnen ist und ob im letzteren Fall eine Ersatzbeschaffung getätigt wurde, welche eine allfällige Besteuerung aufzuschieben vermag.

Die massgeblichen Normen des StG und des DBG lauten für die Frage der Tarifanwendung weitestgehend gleich. Die Frage der Vermögenszu-ordnung der Liegenschaft Ostermundigen betrifft ohnehin nur Normen der direkten Bundessteuer, da wegen des im Kanton Bern herrschenden monisti-schen Systems vorliegend nur die Grundstückge-winnsteuer und nicht die Einkommenssteuer zum Zuge kommt. Somit rechtfertigen sich sowohl die Verfahrensvereinigung vom 15. Juli 2009 gemäss Art. 17 Abs. 1 VRPG als auch die gemeinsame Beur-teilung für die kantonale, kommunale und die eidge-nössische Steuer in derselben Urteilsschrift.

5.  Spruchkompetenz 

Da die Aufrechnung des Grundstückveräusserungs-gewinns im Bund als Einkommen aus selbständiger

Erwerbstätigkeit eine Erhöhung des Steuerbetrages von CHF 21 800.– zur Folge hat, ist der Streitwert grösser als CHF 20 000.– und die einzelrichterliche Zuständigkeit nach Art. 128 Abs. 1 VRPG ausge-schlossen. Somit urteilt die Kammer, bestehend aus drei Richter/-innen (vgl. Art. 126 Abs. 1 VRPG).

6.  Kognition des Verwaltungsgerichts

Die Steuerverwaltung rügt eine falsche Tarifanwen-dung und Zuordnung der Liegenschaft Ostermundi-gen und damit Rechtsverletzungen.

Das Verwaltungsgericht überprüft die angefoch-tenen Entscheide auf Rechtsverletzungen hin (vgl. Art. 151 StG i.V.m. 80 lit. a und b VRPG sowie Art. 145 Abs. 2 i.V.m. Art. 142 Abs. 4 DBG).

7.  Beschwerdelegitimation der F im Rekurs-verfahren vor der Vorinstanz (StRK) hinsichtlich der Frage der Tarifanwendung 

Die getrennte Veranlagung nach dem Alleinstehen-dentarif, die F von der StRK verlangte, führte für sie hinsichtlich der Kantons- und Gemeindesteuern zu

tons Bern trotz klaren Gesetzeswortlauts im VRPG auf den Standpunkt, dass nicht restlos geklärt sei, ob die Steuer verwaltung zur Beschwerdelegitimation ein schutz-würdiges Interesse vorweisen müsse. Das Bundesgericht hat sich später in einem anderen Fall (vgl. BGer 2C_235/2009 vom 30. Oktober 2009) indes dahingehend geäussert, dass die Steuerverwaltung im Einkommenssteu-erverfahren gestützt auf Art. 89 Abs. 2 lit. d BGG i.V.m. Art. 73 Abs. 1 StHG zur Beschwerde an das Bundesgericht in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten berechtigt sei und die kantonalen Verfahrensgesetze die Rechtsmittel-befugnis von Behörden aufgrund des Grundsatzes der Ein-heit des Verfahrens (vgl. Art. 111 BGG) nicht enger als diejenige für die Beschwerde an das Bundesgericht fassen dürfe. Daraus folgt, dass die Beschwerdebefugnis der Steuer verwaltung in casu auch vor den kantonalen Rechts-mittelinstanzen unabhängig vom Vorliegen eines schutz-würdigen Interesses zu bejahen ist.

Bewertungshinweis: Es wurde nicht erwartet, dass die Kandidaten/-innen die Rechtsprechung des Verwaltungs- und des Bundesgerichts betreffend die in Frage gestellte Abstraktheit der Behördenbeschwerde kennen.

  7 Vgl. müller marKuS, Bernische Verwaltungsrechtspflege, Bern 2008, 163 f.

  8 BGE 130 II 509, E. 8.3; NStP 2005, 21, E. 1.3 sowie 57, E. 1.2.

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einer höheren Steuerbelastung, sodass es fraglich ist, ob F überhaupt materiell beschwert war und ein schutzwürdiges Interesse am Rekurs vor der StRK aufwies.

Die Rechtsmittellegitimation ist rein prozess-rechtlicher Natur und zählt zu den Voraussetzungen, welche erfüllt sein müssen, damit das Gericht einen Sachentscheid überhaupt fällen darf (vgl. Art. 20a Abs. 2 VRPG). Prozessvoraussetzungen unterste-hen nicht der Disponibilität der Parteien und sind von Amtes wegen immer vorweg zu prüfen, auch wenn die Vorinstanz das Fehlen einer solchen über-sehen hat9.

Grundsätzlich ist eine steuerpflichtige Person zur Beschwerde gegen die Einspracheentscheide der Steuerverwaltung berechtigt (vgl. Art. 195 Abs. 2 StG, Art. 140 Abs. 1 DBG und Art. 50 Abs. 1 StHG). « Diese Rekurs- bzw. Beschwerdebefugnis ist nach dem Gesetzeswortlaut zwar an keine weiteren Vor-aussetzungen gebunden. Nach einhelliger Lehre und gefestigter Praxis setzt sie indessen ein steuer-rechtliches und damit schutzwürdiges Interesse an der Aufhebung oder Änderung der angefochtenen Einspracheverfügungen voraus (vgl. auch Art. 151 StG i.V.m. Art. 86 und Art. 65 Abs. 1 Bst. c VRPG bzw. aArt. 65 Bst. a VRPG in der bis zum 31. Dezem-ber 2008 geltenden Fassung […]). Dieses Rechts-schutzinteresse liegt auf der Hand, wenn die steuer-pflichtige Person eine tiefere Steuerbelastung anstrebt, nicht aber im umgekehrten Fall: Wird eine Abänderung der Steuerfaktoren zum eigenen Nach-teil beantragt, fehlt es in der Regel an einem schutz-

würdigen Interesse. Das Interesse an einer Höher-veranlagung wird nur ausnahmsweise bejaht, wenn sich eine Höherveranlagung gesamthaft als günsti-ger erweist, namentlich im Zusammenhang mit einer aktuellen oder virtuellen Doppelbesteuerung oder Konkurrenz der ordentlichen Besteuerung mit einer Sonderbesteuerung oder zur Abwendung ei-nes Nachsteuer- oder Hinterziehungsverfahrens […]10. » Im vorliegenden Fall hätte eine Gutheissung der Beschwerde von F hinsichtlich der Tarifanwen-dung zu einer höheren Steuerbelastung geführt. F machte aber anlässlich des Rekurses keine Gründe geltend, die ein Rechtsschutzinteresse begründen würden. Solche sind auch nicht ersichtlich. Die StRK ist somit im Hinblick auf die Tariffrage zu Un-recht auf den Rekurs gegen die Einspracheverfü-gung eingetreten. Der angefochtene Entscheid ist somit insoweit bereits aus diesem Grund aufzuhe-ben11 und die Verwaltungsgerichtsbeschwerde da-hingehend gutzuheissen (vgl. Art. 84 Abs. 1 VRPG)12. Wie sich nach materieller Prüfung ergibt, wäre sie selbst dann gutzuheissen, wenn die StRK zu Recht auf den Rekurs eingetreten wäre.

C. Materieller Teil

1.  Anwendung des Alleinstehenden- oder  Verheiratetentarifs

1.1 Ausgangslage

Für verheiratete Personen gilt grundsätzlich die Ehegattenbesteuerung. Auch wenn die Partner wäh-rend der fraglichen Steuerperiode geheiratet haben, werden sie für die ganze Steuerperiode gemeinsam veranlagt (vgl. Art. 68 Abs. 1 StG und Art. 5 Abs. 1 der Verordnung über die zeitliche Bemessung der direkten Bundessteuer bei natürlichen Personen [SR 642.117.1]).

Das Gericht hat zu beurteilen, ob die Ehe im Sinne der Bestimmungen von Art. 10 Abs. 1 StG i.V.m. Art. 3 Abs. 3 StHG und Art. 9 Abs. 1 DBG tat-sächlich ungetrennt war.

War die Ehe im Jahr 2004 ungetrennt, gilt grund-sätzlich die Faktorenaddition. Da nur F aufgrund ihres Wohnsitzes die Voraussetzungen der subjekti-ven Steuerpflicht erfüllt (vgl. Art. 4 Abs. 1 StG und Art. 3 Abs. 1 DBG), ist bloss deren Einkommen in der Schweiz zu besteuern. Hingegen sind die Ein-

  9 Vgl. merKli /aeSchlimann / herzoG, Kommentar zum ber-nischen VPRG, Bern 1997, N 1 zu Art. 65, N 8 zu Art. 51 und BGE 116 II 386.

10  Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 30. Januar 2009, E. 2.2.

11  Vgl. merKli /aeSchlimann / herzoG, Kommentar zum ber-nischen VPRG, Bern 1997, N 13 zu Art. 51.

12  Als Alternative wäre, unter Anführung einer tragfähigen Argumentation, auch eine Kassation nach Art. 40 Abs. 1 VRPG als vertretbare Lösung des Problems anerkannt worden. Zu beachten ist allerdings, dass dieselbe Wirkung auch mit Gutheissung der Beschwerde erreicht werden kann. Da eine Kassation nur als ultimo ratio eingesetzt werden sollte, verdient somit die Lösung des Verwaltungs-gerichts (Aufhebung des Rekursentscheides nach Art. 84 Abs. 1 VRPG) den Vorzug.

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künfte des Ehegatten zur Satzbestimmung (vgl. Art. 8 Abs. 1 StG und Art. 7 Abs. 1 DBG) dazuzu-zählen und es ist der Verheiratetentarif (vgl. Art. 42 Abs. 1 StG, Art. 36 Abs. 2 und Art. 214 Abs. 2 DBG) anzuwenden.

Falls die Ehe getrennt ist, bleibt das Einkommen des Ehegatten zur Satzbestimmung ausser Acht und es gelangt der Alleinstehendentarif (vgl. Art. 42 Abs. 2 StG, Art. 36 Abs. 1 und Art. 214 Abs. 1 DBG) zur Anwendung.

Die Steuerverwaltung ist der Ansicht, die Ehegat-ten lebten in tatsächlich ungetrennter Ehe, obwohl feststeht, dass sie über getrennte Wohnsitze verfü-gen und keine Gemeinschaftlichkeit der Mittel für Wohnung und Lebensunterhalt bestand. Die Steuer-verwaltung verlangt für die Annahme einer tatsäch-lichen Trennung entsprechend der bundesgerichtli-chen Rechtsprechung zusätzlich, dass die eheliche Gemeinschaft willentlich aufgehoben wurde. Die StRK erwog, es bestehe keine Gemeinschaftlichkeit der Mittelherkunft und -verwendung, womit keine Einheit vorliege, die eine Familienbesteuerung recht fertige.

1.2 Kreisschreiben Nr. 14 und Auseinandersetzung mit der bundesgerichtlichen Praxis

Das Kreisschreiben Nr. 14 führt auf Seite 3 unter lit. c verschiede Kriterien auf, nach welchen auf-grund einer Gesamtbeurteilung im Einzelfall zu ent-scheiden ist, ob eine Ehe tatsächlich als getrennt zu gelten hat.

Bei der Rechtsnatur des Kreisschreibens Nr. 14 handelt es sich um eine Verwaltungsverordnung und nicht um ein Gesetz im formellen Sinn. Verwaltungs-verordnungen sind keine Quelle von Verwaltungs-recht, denn sie richten sich an die Behörden und ver-pflichten grundsätzlich nur im Verhältnis zwischen übergeordneter und untergeordneter Verwaltungs-einheit. Grundlage des Rechts bleibt das einschlägige Gesetz und seine dazugehörigen Verordnungen13. Das Gericht ist nur insoweit an die Verwaltungsver-ordnung gebunden, als diese die bundesgerichtliche Praxis abbildet. Ansonsten hat es für seine Beurtei-lung die zugrunde liegenden Normen zu prüfen. Vor-liegend geht es darum, den Begriff der tatsächlichen Trennung nach Art. 3 Abs. 3 StHG und Art. 9 Abs. 1 DBG auszulegen, dessen Ergebnis dann auch für Art. 10 Abs. 1 StG zu gelten hat.

Nach der bundesgerichtlichen Praxis zu Art. 9 Abs. 1 DBG und zu Art. 3 Abs. 3 StHG müssen zu-mindest einzelne der im Kreisschreiben genannten Kriterien kumulativ erfüllt sein. Eine getrennte Ver-anlagung aufgrund faktischer Trennung setzt dem-nach voraus, dass die Ehegatten getrennte Wohnsitze bzw. Wohnstätten haben, keine Gemeinschaftlich-keit der Mittel für Wohnung und Lebensunterhalt besteht bzw. sich die gegenseitige Unterstützung in ziffernmässig bestimmten Beiträgen erschöpft. Zu-sätzlich verlangt das Bundesgericht, dass die eheli-che Gemeinschaft (auch) nach dem Willen der Ehe-leute nicht mehr im Sinn von Art. 159 ZGB gelebt wird (bzw. der gemeinsame Haushalt aus den in Art. 137 und 175 ZGB genannten Gründen nicht oder nicht mehr besteht)14. Die Steuerverwaltung geht wie das Bundesgericht davon aus, dass die Ehe-gattenbesteuerung nicht in erster Linie auf wirt-schaftlichen Gesichtspunkten, sondern auf persönli-chen Umständen, namentlich dem Willen der Ehegatten zur Fortführung der ehelichen Gemein-schaft, beruht. Es versteht den gesetzlichen Wortlaut nach gewöhnlichem Sprachgebrauch im Umfeld von Familie, Ehe und Konkubinat dahingehend, dass die Partner keine emotionale Bindung mitein-ander mehr teilen und sich deshalb räumlich ge-trennt haben. Nach der bundesgerichtlichen Praxis liegt deshalb selbst im Fall, wo die Eheleute über ge-trennte Wohnsitze verfügen und keine Gemein-schaftlichkeit der Mittelverwendung besteht, keine tatsächliche Trennung vor, solange die Ehegatten an der (nicht mit dem gemeinsamen Haushalt zu ver-wechselnden) ehelichen Gemeinschaft festhalten, auch wenn sich dies bloss im Rahmen eines sporadi-schen Gemeinschaftslebens wie an den Wochenen-den oder in den Ferien äussert.

Die Beschwerdegegnerin versteht die gesetzliche Regelung hingegen so, dass bereits eine räumliche Trennung zur Tatbestandserfüllung ausreichen soll.

13  Vgl. tSchannen / zimmerli / müller, Allgemeines Verwal-tungsrecht, Bern, 2009, § 41, N 11 ff.

14  Vgl. BGer 2P/2003 vom 7. Januar 2004, E. 2.4 sowie 2A.433/2000 vom 12. Juli 2001, E.2b/bb und dd und das Ur-teil des Verwaltungsgerichts Graubünden vom 11. Juli 2000, publiziert in StE B 13.1 Nr. 12, E. 3a.

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Bei einer gemeinsamen Haushaltsführung entste-hen – bezogen auf die Pro-Kopf-Ausgaben – erwie-senermassen Einsparungen, namentlich aufgrund der gemeinsamen Nutzung von Gütern und Dienst-leistungen sowie billigerem Essen15. Im vorliegen-den Fall wohnen F und M räumlich getrennt, sodass sie von diesem Synergieeffekt nicht profitieren kön-nen. Die Beschwerdegegnerin spielt mit ihrem Normverständnis auf eine Besteuerung nach ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit (vgl. Art. 127 Abs. 2 BV) an.

Gegen die Praxis des Bundesgerichts wird denn auch in der Lehre angeführt, dass es dem Zweck der Familienbesteuerung (Besteuerung aufgrund der wirtschaftlichen Einheit und ökonomische Vorteile des gemeinsamen Haushalts) widerspreche, dass es für die steuerliche Beurteilung über das Vorliegen einer ungetrennten Ehe trotz getrennten Wohnsit-zen und/oder getrennter Mittelverwendung auf den subjektiven Willen der Ehegatten zur Fortführung der ehelichen Gemeinschaft ankommen soll. Beim Willen, die eheliche Gemeinschaft zu leben und da-ran festzuhalten, handle es sich im Lichte des Prin-zips der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leis-tungsfähigkeit um ein sachfremdes und fragliches Kriterium16. Trotzdem hielt das Bundesgericht an seiner Praxis fest17. Es begründet seine Haltung da-mit, dass auch im Fall einer zwar intakten, aber be-wusst räumlich getrennt und ohne gemeinsame Mit-telverwendung gelebten Ehe den Eheleuten erbrechtlich, sozial- bzw. sozialversicherungsrecht-lich und zivilstandsrechtlich relevante wirtschaftli-che Vorteile erwachsen, die gerade im Lichte des

Prinzips der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit eine dem gesetzlichen Grundsatz der « Zusammenveranlagung » entsprechende, ge-meinsame Besteuerung als sachlich gerechtfertigt erscheinen lassen.

Es ist somit kein Grund ersichtlich, von der bun-desgerichtlichen Praxis abzuweichen. Entsprechend kommt es auch bezüglich der Kantons- und Ge-meindesteuern (vgl. Art. 10 Abs. 1 StG) nur nach Vorliegen der für die direkte Bundessteuer gelten-den Voraussetzungen (inkl. dem Willen der Ehegat-ten zur Aufgabe des Gemeinschaftslebens) zu einer getrennten Besteuerung. Um festzustellen, ob alle Voraussetzungen vorliegen, ist von den nach aussen in Erscheinung tretenden Verhältnissen auszuge-hen. Da die gemeinsame Veranlagung nach dem Ge-setzgeber die Regel darstellt und die getrennte Be-steuerung die Ausnahme bildet, trifft im vorliegenden Fall F die Beweislast für das Vorliegen einer faktisch getrennten Ehe. Gemäss Sachverhalt hat F nie be-hauptet, dass ihre Ehe im massgeblichen Zeitraum nicht mehr gelebt wurde bzw. gescheitert war. Sie hat vielmehr eingeräumt, dass sie ihren Ehegatten innert einem guten halben Jahr an insgesamt acht zum Teil verlängerten Wochenenden besucht habe. Das Getrenntleben hatte seine Ursache ihren Anga-ben nach nicht in der Aufgabe des Willens zur Fort-setzung der Ehe, sondern darin, dass M in Italien seine Doktorarbeit beenden wollte. Unter diesen Umständen ist die Dauer der Trennung unerheblich und ebenso, ob und wenn ja wie oft F und M in der Öffentlichkeit als Ehepaar aufgetreten sind.

1.3 Ergebnis

Nach Massgabe der bundes- und verwaltungsge-richtlichen Praxis ist so oder anders erstellt, dass am Stichtag keine faktisch getrennte Ehe im Sinn von Art. 10 Abs. 1 StG und Art. 9 Abs. 1 DBG vorlag und F demzufolge nach dem Verheiratetentarif zu ver-anlagen ist18.

2.  Liegenschaft Ostermundigen

2.1 Ausgangslage

F bewohnte ein Einfamilienhaus in Ostermundigen, welches sie als Sicherheit für einen Betriebskredit am 5. Januar 2004 verpfändete. Streitig ist, ob die

15  Vgl. BaumGartner ivo P. in: Zweifel/Athanas, Kommentar zum schweizerischen Steuerrecht, I/2a, Bundesgesetz über die direkte Bundessteuer (DBG), Art. 1–82, 2. Aufl. 2008, Art. 36 DBG, N 29 ff.

16  Vgl. SimoneK madeleine, Die steuerrechtliche Rechtspre-chung des Bundesgerichts im Jahr 2001, Direkte Bundes-steuer, in ASA 72 1 ff. sowie GreminGer Bernhard, in Zweifel/Athanas, Kommentar zum Schweizerischen Steu-errecht, Band I/2a, 2. Aufl. 2008, Art. 9 DBG N 10 f.

17  Vgl. BGer 2C_523/2007 vom 5. Februar 2008, E.2.3; vgl. auch BGer 2A352+354/2006 vom 18. Januar 2007, publi-ziert in StR 2007, 352, E.4.1.

18  Selbstverständlich wurde bei entsprechender Begründung auch ein anders lautendes Resultat als richtige Lösung an-erkannt, für die gleich viele Punkte vergeben wurde.

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Liegenschaft durch diese Verpfändung dem Ge-schäftsvermögen zuzuordnen ist oder ob sie im Pri-vatvermögen verbleibt.

Im Zuge der Erhebung der direkten Bundessteuer wurden F die Einkünfte aus Veräusserung von Ge-schäftsvermögen als steuerbares Einkommen aus selbständiger Erwerbstätigkeit gemäss Art. 18 Abs. 2 DBG in der Höhe von CHF 180 000.– aufgerechnet. Bliebe die Liegenschaft dem Privatvermögen zuge-ordnet, stellte der Verkaufserlös nach Art. 16 Abs. 3 DBG steuerfreien Kapitalgewinn dar.

Im Kanton Bern wird der Nettogewinn (Erlös mi-nus Anlagekosten, Aufwendungen und Besitzesdauer-abzug; vgl. Art. 137 ff. StG) aus dem Verkauf der Lie-genschaft Ostermundigen aufgrund des monistischen Systems grundsätzlich von der Grundstückgewinn-steuer erfasst. Als Einkommen aus selbständigem Er-werb gelten, gestützt auf Art. 21 Abs. 3 StG im Zusam-menhang mit der Veräusserung von Grundstücken aus dem Geschäftsvermögen, lediglich Gewinne und buchmässige Aufwertungen bis zur Höhe der Anlage-kosten.

Im vorliegenden Fall wurde die Liegenschaft durch die Steuerverwaltung in der Höhe der Anlagekosten von CHF 1 250 000.– ins Geschäftsvermögen übertra-gen19. Aus diesem Grund konnte bis zum Verkauf am 20. Dezember 2004 kein Gewinn bis zur Höhe der An-lagekosten entstehen, der als Einkommen zu versteu-ern wäre. Durch eine neue Vermögenszuordnung ver-ändert sich das steuerbare Einkommen von F weder auf kantonaler noch auf kommunaler Ebene. Der Ver-kaufsgewinn wird selbst bei der Einordnung der Lie-genschaft im Geschäftsvermögen ausschliesslich von der Grundstückgewinnsteuer (vgl. Art. 126 Abs. 1 lit. a StG) erfasst20. Das Verwaltungsgericht hat somit die Steuerfolgen des Grundstückverkaufs nur noch im Hinblick auf die direkte Bundessteuer zu beurteilen.

Damit sichergestellt wird, dass ein Wertzuwachs, welcher vor der Übertragung der Liegenschaft ins Ge-schäftsvermögen entstanden ist, im Zeitpunkt des spä-teren Verkaufs nicht als echt realisierte stille Reserve nach Art. 18 Abs. 2 DBG versteuert werden muss, son-dern wie vom Gesetzgeber vorgesehen gemäss Art. 16 Abs. 3 DBG als steuerfreier Kapitalgewinn qualifiziert wird, muss die Einordnung der Liegenschaft ins Ge-schäftsvermögen im Zeitpunkt der Übertragung (hier der Verpfändung) zum Verkehrswert erfolgen21. Die Steuerverwaltung hat im vorliegenden Fall den Ver-kehrswert mit dem ursprünglichen Anschaffungswert

in der Höhe von CHF 1 250 000.– gleichgesetzt22 und ist somit davon ausgegangen, dass der Wertzuwachs in der Zeit vom 5. Januar bis zum 20. Dezember 2004 er-folgt ist.

2.2 Gesetzliche Grundlagen

F betreibt als selbständig Erwerbende ein Einzelun-ternehmen. Als Geschäftsvermögen gelten alle Ver-mögenswerte, die ganz oder vorwiegend der selbstän-digen Erwerbstätigkeit dienen (vgl. Art. 18 Abs. 2 DBG).

19  Gemäss Sachverhalt hat F CHF 250 000.– (CHF 1 500 000.– Verkaufserlös – CHF 1 250 000.– Anschaffungskosten) durch den Hausverkauf als Bruttogewinn erzielt. Daraus ergibt sich, dass die Steuerverwaltung die Liegenschaft zu CHF 1 250 000.– ins Geschäftsvermögen eingebucht haben muss (vgl. dazu auch FN 22).

20  Ein allfälliger Übergang des Grundstücks vom Privat- ins Geschäftsvermögen löst noch keine Grundstückgewinn-steuern aus, da kein ziviler oder wirtschaftlicher Halterwech-sel und somit auch kein Veräusserungstatbestand gemäss Art. 126 Abs. 1 i.V.m. Art. 130 StG vorliegt.

21  Vgl. BGer 2A.433/2004 vom 13. April 2005, publiziert in StR 60 (2005), 489 – 493, E. 3.2.

22  Die Einbuchung der Liegenschaft durch die Steuerverwal-tung zum Anschaffungswert ist nicht nur nach OR handels-rechtskonform, sondern die einzig sachgerechte Lösung, wenn es für sie keinen Anlass gab, davon auszugehen, dass dieser nicht dem Verkehrswert entsprach. Da dem Sachver-halt dahingehend nichts zu entnehmen war, durften die Prüf-linge annehmen, dass der Verkehrs- dem Anschaffungswert entsprach und der Einbuchungswert in casu korrekt ermittelt worden ist. Wäre der Verkehrswert nachweisbar höher gewe-sen, hätte sich diese Tatsache steuermindernd für die Be-schwerdegegnerin ausgewirkt. Weil die natürliche Vermutung besteht, dass Steuerpflichtige alle sie entlastenden Umstände von sich aus vorbringen, obliegt der Beschwerdegegnerin, steuermindernde Tatsachen geltend zu machen und nachzu-weisen (vgl. richner / frei / Kaufmann / meuter, Handkom-mentar zum DBG, 2. Auflage, Zürich 2009, Art. 140 N 54 so-wie VGer ZH vom 21. Mai 2003, publiziert in StE 2004 B72.14.2 Nr. 32 = ZStP 2003, 217). Die Festlegung des Ver-kehrswertes zum Zeitpunkt der Verpfändung der Liegen-schaft in der Höhe von CHF 1 250 000.– wurde von F jedoch zu keinem Zeitpunkt bestritten. Ferner musste das Verwal-tungsgericht auch nach dem Sachverhalt keine offensicht-lichen Zweifel daran hegen und hat folglich vom von der Steuer verwaltung festgestellten Wert auszugehen.

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2.3 Zuordnung eines Wertgegenstandes zum Geschäfts- oder Privatvermögen

2.3.1 Allgemeines

Ausschlaggebendes Kriterium für die Zuordnung zu einer Vermögensmasse ist, wie sich aus der gesetzli-chen Begriffsumschreibung ergibt, die aktuelle tech-nisch-wirtschaftliche Funktion des fraglichen Gegen-stands; massgebend ist dem Gesetzeswortlaut nach also in erster Linie, ob der Gegenstand tatsächlich dem Geschäft dient23. Dabei kann das tatsächliche Dienen auch nur ein mittelbares sein, indem es durch den Wert erfolgt, den der Gegenstand verkörpert.

Steuerrechtlich wird unterschieden zwischen not-wendigem Geschäfts- und Privatvermögen und Alter-nativgütern, die gleichzeitig sowohl Geschäfts- wie Privatvermögen sein können. Dient ein Alternativgut gleichzeitig privaten wie auch geschäftlichen Zwe-cken, spricht man von gemischten Gütern. In Fällen gemischter Nutzung erfolgt die Zuweisung zum Ge-schäfts- oder Privatvermögen nach der Präponderanz-methode (vgl. Art. 18 Abs. 2 DBG und KS Nr. 2).

Für die Beantwortung der Frage, welcher Vermö-gensmasse ein Alternativgut dient, sind objektive Kri-terien ausschlaggebend. In Betracht fallen insbeson-dere die tatsächliche Nutzung, das Erwerbsmotiv, die Herkunft der Mittel zur Finanzierung und die buch-mässige Behandlung. Nicht massgebend ist die allei-nige subjektive Willenserklärung des Steuerpflichti-gen. Ob ein Wertgegenstand dem Privat- oder dem Geschäftsvermögen zuzuordnen ist, entscheidet sich aufgrund einer Würdigung aller in Betracht kommen-den tatsächlichen Umstände. Wo aufgrund der äusse-ren Beschaffenheit ein tatsächliches Dienen nicht klar erkennbar ist, ist auf den Willen der pflichtigen Person abzustellen, soweit dieser in den tatsächlichen Verhält-nissen zum Ausdruck gebracht und verwirklicht wor-den ist (sog. objektivierte Willenskundgebung)24.

2.3.2 Diente die Liegenschaft Ostermundigen durch die Verpfändung dem Unternehmen der F?

Bei Immobiliarsachen, welche nach ihrer Verpfän-dung für einen Geschäftskredit weiterhin ausschliess-lich privat bewohnt werden, ist umstritten, ob über-haupt ein Dienen nach dem gesetzlichen Wortlaut vorliegt. Betrachtet man nämlich den Vorgang rein wirtschaftlich, käme es, wie F in ihrer Einsprache vom 20. Juni 2006 festhielt, auf dasselbe hinaus, wenn sie ihren (privaten) Hypothekarkredit um CHF 600 000.– erhöht und anschliessend das Geld als Privateinlage in das Geschäft eingebracht hätte. Durch die Verpfän-dung einer im Privatvermögen stehenden Immobilie für geschäftliche Zwecke hat die steuerpflichtige Per-son nicht ihr Einfamilienhaus oder einen Teil davon, sondern einzig flüssige Mittel in die Gesellschaft eingelegt. An der Zweckbestimmung und der tat-sächlichen Nutzung (privates Wohnen) des Ein fami-lien hauses ändert die Pfandbestellung nichts. Die Ver-pfändung betrifft so gesehen nur den Bereich der Finanzierung25.

Überdies gehört ohnehin das gesamte Vermögen, also auch das Privatvermögen der F zum Haftungssub-strat für Verbindlichkeiten ihres Unternehmens. Es ist deshalb fraglich, ob der Umstand, dass einzelne Teile dieses Privatvermögens noch besonders als Pfand für bestimmte Geschäftsschulden bestellt werden, eine Umqualifizierung dieser Vermögensstücke zum Ge-schäftsvermögen zu bewirken vermag26.

Aufgrund der äusseren Beschaffenheit ist in casu ein tatsächliches Dienen nicht klar erkennbar. Somit ist auf den Willen von F abzustellen, soweit dieser in den tatsächlichen Verhältnissen zum Ausdruck ge-bracht d.h. effektiv verwirklicht worden ist.

Vorliegend hat sich F für die Aufnahme des Ge-schäftskredits mit nachfolgender Verpfändung der Liegenschaft und nicht für die Erhöhung des Hypo-thekarkredits und anschliessender Privateinlage ent-schieden, da ihr ein günstigerer Zinssatz offeriert wor-den ist. Die Wahl bezüglich des Vorgehens der Geldbeschaffung wurde von F aufgrund geschäftlicher Überlegungen getroffen. In diesem tatsächlichen Vor-gehen manifestiert sich dann auch die Absicht von F, den Wert des Hauses für das Geschäft nutzbar zu ma-chen. Auch das Bundesgericht hat in seiner bisherigen Praxis festgehalten, dass die Verpfändung eines Ver-mögenswertes für Geschäftsschulden diesen zum Ge-schäftsvermögen mache, da der Betriebsinhaber den

23  Vgl. BGE 133 II 422 und ASA 75 (2006), 265 ff.24  Vgl. ASA 75 (2006), 277.25  Vgl. amSchwand faBian, StR 55 (2000), 480 ff., Ziff. 2.6.3 so-

wie unpublizierte Entscheide der StRK vom 11. August 1998 und 10. August 1999.

26  Vgl. altdorfer werner, Geschäftsvermögen und Privatver-mögen im Einkommenssteuerrecht, Zürich/St. Gallen 1959, 56.

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Vermögenswert dem Geschäft durch die Verpfändung in besonderer Weise gewidmet habe27.

Selbst wenn F durch eine Hypothekarkreditauf-nahme resp. eine -erhöhung Geld beschafft hätte, än-dert das nichts daran, dass dieser Vorgang rein geschäft-lich motiviert war, da F Geld für den Ankauf von Geschäftsmaschinen benötigte und ohne das Siche-rungsobjekt Haus der Kredit nicht oder zumindest nicht zu den offerierten Konditionen gewährt worden wäre.

Ebenfalls unabhängig von der konkreten Vorge-hensweise der Mittelbeschaffung beschlägt das be-schränkt dingliche Recht Grundpfand (vgl. Art. 793 ff. ZGB) das Eigentumsrecht der Pfandschuldnerin F, da die Pfandgläubigerin (hier die Bank, welche den Be-triebskredit gewährte) das Recht hat, sich im Falle der Nichtbefriedigung aufgrund des Betriebskreditvertra-ges (und sei es auch für einen im Vergleich zum Wert des Hauses äusserst geringen Kreditbetrag) aus dem Erlös des Grundstücks bezahlt zu machen (vgl. Art. 816 Abs. 1 ZGB). Da eine Verwertung auf den ge-samten Pfandgegenstand abzielt, geht der Pfand-schuldnerin, auch wenn sie den allfällig über der gesi-cherten Forderung liegenden Pfandverwertungserlös (Superfluum) ausgehändigt erhält, das dingliche Recht umfassend verloren. Mit anderen Worten ausgedrückt, wird durch die Kapitalbeschaffung für den Geschäfts-betrieb mittels der Pfandsicherheit Haus das (private) Eigentumsrecht potenziell beschlagen und damit eine sachliche Annäherung zum Geschäftsbereich geschaf-fen, was für ein tatsächliches Dienen spricht.

In der Einsprache vom 20. Juni 2006 führte F über-dies an, dass das Haus in Ostermundigen zum Privat-vermögen gehöre, da es bewusst nicht bilanziert worden sei. Diese Ausführung wird vom Gericht da-hingehend verstanden, dass die Beschwerdegegne-rin den privaten Vermögenswert Haus ihrem Ge-schäft nicht hat widmen wollen. Auf diese Erklärung ist jedoch nicht abzustellen, da sie nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmt bzw. nicht den objekti-ven Verhältnissen entspricht. Selbst wenn man auf diese Erklärung abstellen würde, ist die buchmäs sige (Nicht-)Behandlung des Vermögensgegenstands im Rahmen einer Gesamtwürdigung höchstens als schwaches Indiz zu werten, das allein besehen eine bestehende Zuordnung nicht verändern kann. Das Indiz ist deshalb schwach, weil im Nachhinein nicht zu eruieren ist, ob die Nichtbilanzierung auf einen be-wussten Entscheid oder auf einem Vergessen fusst.

Anzufügen bleibt, dass die geschäftskreditgewäh-

rende Bank28 beim gewählten Vorgehen für den Verwer-tungsfall eine Privilegierung gegenüber allen anderen Gläubigern erfährt, da sie die Fortsetzung der Betrei-bung auf Pfandverwertung verlangen kann (vgl. Art. 41 SchKG). Die anderen Gläubiger müssen die Betrei-bung, wenn der Schuldner in seiner Eigenschaft als In-haber einer Einzelfirma nach Art. 934 und 935 OR in das Handelsregister eingetragen ist, auf dem Weg des Konkurses fortsetzen (vgl. Art. 39 Abs. 1 Ziff. 1 SchKG). Insofern der Schuldner nicht im Handelsregister einge-tragen ist, lautet die Fortsetzung auf Pfändung (Art. 42 Abs. 1 SchKG). Mittels Pfandverwertung erlangt die Bank als Gläubiger des Geschäftskredits wesentlich schneller und im Gegensatz zur Konkursbetreibung auch betragsmässig sicherer die Befriedigung ihrer For-derung. Da das von F gewählte wirtschaftliche Vorgehen die geschäftskreditgebende Bank in eine Vor zugsstellung im Verwertungsfall bringt, rückt der Vermögensgegen-stand Haus durch seine Verpfändung gleichzeitig sach-lich näher zum Geschäftsbereich, sodass man ein Die-nen auch objektiv betrachtet bejahen kann.

Aus dem Gesagten folgt, dass F die Liegenschaft Os-termundigen dem Geschäft durch Verpfändung gewid-met und damit wertmässig dienlich gemacht hat29. Da F die Liegenschaft danach weiterhin privat bewohnte, liegt eine gemischte Nutzung vor, welche die Anwen-dung der Präponderanzmethode notwendig macht.

2.3.3 Präponderanzmethode

Der klassische Fall einer gemischten Nutzung liegt vor, wenn ein Gebäude teils privat bewohnt und teils als Ladengeschäft genutzt wird. Diesfalls werden zur Bestimmung, ob eine überwiegende geschäftliche Nutzung vorliegt, die Erträge aus dem privaten und aus dem geschäftlichen Bereich der Gebäudenutzung einander gegenübergestellt (vgl. Kreisschreiben Nr. 2). Da im vorliegenden Fall keine Ertragswerte zum Ver-gleich herangezogen werden können, ist auf die Ver-mögenswerte Rückgriff zu nehmen30.

27  Vgl. BGE 70 I 261 und BGE 93 I 359.28  Insofern diese nicht mit der hypothezierenden Bank iden-

tisch ist.29  Angesichts des Zeitrahmens reichte es zur Erreichung der

vollen Punktzahl, wenn sich die Kanditaten/-innen mit einem Argument vertieft auseinandersetzten.

30  Vgl. Kreisschreiben Nr. 2, Ziff. 2.1, sowie amSchwand faBian, StR 55 (2000), 480 ff., Ziff. 2.6.3, FN 50.

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Gemäss Sachverhalt lautet der amtliche Wert auf CHF 1 000 000.–, der Verkehrswert zum Zeitpunkt der Verpfändung beträgt CHF 1 250 000.– und die Ge-schäftskreditsumme CHF 600 000.–. Nimmt man den amtlichen Wert von CHF 1 000 000.– als Referenz-grös se, so wären 60% des Wertes durch das Pfand be-schlagen und die Liegenschaft dem Geschäftsvermö-gen zuzuordnen. Geht man vom Verkehrswert aus, so sind lediglich rund 48% des Wertes des Grundstückes dem Geschäft dienlich gemacht worden. Orientiert man sich am Verhältnis zwischen der Kreditsumme und dem Verkehrswert, ist die Liegenschaft folglich im Privatvermögen zu belassen.

Da es nun darum geht, das Verhältnis der wertmäs-sigen Pfandbeschlagung in Bezug zum Marktwert der Liegenschaft zu bestimmen, bietet sich der Verkehrs-wert als ausschlaggebende Referenz31 an. Dieser gibt ja eben gerade den unter normalen Verhältnissen auf dem freien Markt realisierbaren Kaufpreis wieder, während sich der amtliche Wert als reiner Steuerwert präsentiert. Daraus ergibt sich im vorliegenden Fall, dass die Liegenschaft im Privatvermögen zu belassen ist, da sie diesem überwiegend dient32.

2.4 Ersatzbeschaffung

F führte im Einspracheentscheid vom 20. Juni 2006 an, der Erlös aus dem Hausverkauf Ostermundigen vom 20. Dezember 2004 sei ohnehin nicht zu besteuern, da sie diesen vollumfänglich zum Kauf der Liegenschaft in Münsingen vom 11. Mai 2005 verwendet habe und somit ein Steueraufschubstatbestand vorliege. Da die Liegenschaft im Privatvermögen zu belassen ist, ist diese Rüge in der Folge zwar nicht mehr zu prüfen. Es ist aber anzumerken, dass im vorliegenden Fall auch bei Zuordnung der Liegenschaft zum Geschäftsver-mögen aus verschiedenen Gründen keine Ersatzbe-schaffung gemäss Art. 30 Abs. 1 DBG vorgelegen hätte. Zum einen gilt nach Abs. 3 nur Anlagevermögen

als betriebsnotwendig, das dem Betrieb unmittelbar dient. In casu liegt aber nur ein mittelbares Dienen vor. Ferner weist das Ersatzobjekt nicht die gleiche Funktion wie das Ausgangsobjekt auf. Die Liegen-schaft Ostermundigen diente ausschliesslich der Kre-ditsicherung, während das Unternehmen im Gebäude in Münsingen Schokolade fabriziert und es keinen Kredit mehr sichert.

D. Ergebnis/Kostenverlegung

1.  Ergebnis

Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Be-schwerden, soweit sie die Anwendung des Tarifes für Ehegatten in rechtlich und tatsächlich ungetrennter Ehe für das Jahr 2004 betreffen, gutzuheissen sind. Die Entscheide der StRK vom 12. Juni 2008 werden aufge-hoben. Die Akten werden zur Vornahme der Veranla-gung im Sinne der Erwägungen an die Steuerverwal-tung des Kantons Bern zurückgewiesen. Soweit weitergehend, werden die Beschwerden abgewiesen.

2.  Kostenverlegung im Verfahren vor  dem Verwaltungsgericht

Angesichts der von der Beschwerdeführerin gestellten Rechtsbegehren obsiegt diese zur Hälfte.

Die in der Sache zur einen Hälfte unterliegende Be-schwerdegegnerin hat die Verfahrenskosten nach Massgabe ihres Unterliegens zu tragen (vgl. Art. 108 Abs. 1 VRPG; Art. 145 Abs. 2 i.V.m. Art. 144 Abs. 1 DBG). Da sie sich an den verwaltungsgerichtlichen Verfahren aber nicht beteiligt und insbesondere keine Anträge gestellt hat, kann sie nicht als unterliegend betrachtet werden. Ihr sind somit für diese Verfahren keine Kosten aufzuerlegen33.

Es sind keine Parteikosten zu Gunsten der Be-schwerdeführerin als Behörde zu sprechen (vgl. Art. 151 StG i.V.m. Art. 108 Abs. 3 und Art. 104 Abs. 3 VRPG; Art. 145 Abs. 2 i.V.m. 144 Abs.4 DBG und Art. 64 Abs. 1–3 VwVG).

Obschon die Beschwerdeführerin in der Sache zur anderen Hälfte unterliegt, hat diese als Verwaltungs-behörde von Gesetzes wegen keine Verfahrens kosten zu tragen (vgl. Art. 151 StG i.V.m. Art. 108 Abs. 1 und 2 VRPG, Art.145 Abs. 2 i.V.m. 144 Abs. 1 DBG, Art. 104 Abs. 4 DBG i.V.m. Art. 151 StG i.V.m. 108 Abs. 2 VRPG).

31  Vgl. amSchwand faBian, StR 55 (2000), 480 ff., Ziff. 2.6.3, FN 50.

32  Unter Anführung einer tragfähigen Argumentation, ist es un-ter Vergabe derselben Punktzahl auch als vertretbare Lösung anerkannt worden, wenn die Prüflinge den amtlichen Wert als Referenzgrösse herangezogen haben.

33  Vgl. merKli /aeSchlimann / herzoG, Kommentar zum berni-schen VRPG, Bern 1997, N 3 zu Art. 108.

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Zugunsten der Beschwerdegegnerin sind ebenfalls keine Parteikosten zu sprechen, da diese nicht anwalt-lich vertreten war (vgl. Art. 151 StG i.V.m. Art. 104 Abs. 1VPRG, Art. 145 Abs. 2 i.V.m. 144 Abs. 4 DBG und Art. 64 Abs. 1–3 VwVG).

3.  Kostenverlegung im Verfahren vor der Steuer-rekurskommission

Aus der Aufhebung des Beschwerde- und des Rekurs-entscheids hinsichtlich der Tarifanwendung ergibt sich die Kostenpflicht der unterlegenen Beschwerdegegne-rin für die Verfahren vor der StRK. Nachdem die Be-schwerdegegnerin mit Bezug auf die beiden angefoch-tenen Entscheide, d.h. sowohl im Rekurs- als auch im Beschwerdeverfahren zur Hälfte unterlegen ist, hat sie die vorinstanzlichen Verfahrenskosten anteilig zu tra-gen (vgl. Art. 200 Abs. 1 StG; Art. 144 Abs. 1 DBG). Parteikosten sind keine zu sprechen (vgl. Art. 104 Abs. 3 VRPG; Art. 200 Abs. 4 StG; Art. 144 Abs. 4 DBG und Art. 64 Abs. 1–3 VwVG).

E. Urteilsdispositiv und Rechtsmittel-belehrung

1.  Urteilsdispositiv

Demnach entscheidet das Verwaltungsgericht:

1. Die Beschwerde betreffend die Kantons- und Ge-meindesteuern pro 2004 wird hinsichtlich der An-wendung des Tarifes für Ehegatten in rechtlich und tatsächlich ungetrennter Ehe gutgeheissen und der Entscheid der Steuerrekurskommission vom 12. Juni 2008 wird aufgehoben. Die Akten werden zur Vornahme der Veranlagung im Sinne der Erwägun-gen an die Steuerverwaltung des Kantons Bern zu-rückgewiesen. Soweit weitergehend, ist die Be-schwerde abzuweisen.

2. Die Beschwerde betreffend die direkte Bundes-steuer pro 2004 wird hinsichtlich der Anwendung des Tarifes für Ehegatten in rechtlich und tatsäch-lich ungetrennter Ehe gutgeheissen und der Ent-scheid der Steuerrekurskommission vom 12. Juni 2008 wird aufgehoben. Die Akten werden zur Vor-nahme der Veranlagung im Sinne der Erwägungen an die Steuerverwaltung des Kantons Bern zurück-gewiesen. Soweit weitergehend, ist die Beschwerde abzuweisen.

3. Für das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht wer-den keine Kosten erhoben und keine Parteikosten gesprochen34.

4. Die Kosten der Verfahren vor der Steuerrekurs-kommission des Kantons Bern, bestimmt auf eine Pauschalgebühr von CHF X.–, werden zur Hälfte der Beschwerdegegnerin auferlegt.

5. Zu eröffnen:n der Steuerverwaltung des Kantons Bernn der Beschwerdegegnerin (GU)n der Steuerrekurskommission des Kantons Bernn der Eidgenössischen Steuerverwaltung

Der/Die Abteilungspräsident/-in:Der/Die Kammerschreiber/-in:

2.  Rechtsmittelbelehrung

Gegen dieses Urteil kann innert 30 Tagen seit Zustel-lung der schriftlichen Begründung beim Bundesge-richt, 1000 Lausanne 14, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gemäss Art. 39 ff., 82 ff. und 90 ff. des Bundesgesetzes vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (BGG; SR 173.110) geführt werden.

III. Bemerkungen

A. Allgemeine Vorbemerkungen zur Prüfung

Die bernische Anwaltsprüfung im öffentlichen Recht vom 14. Januar 2010 wies einen mittleren Schwierig-keitsgrad auf. In formeller und materieller Hinsicht konnten mehrere voneinander unabhängige Problem-kreise bearbeitet und beantwortet werden, sodass die Kandidaten/-innen eine vielseitige und faire Prüfung vor sich hatten. Die Punkteverteilung im Rahmen der Korrekturarbeiten erfolgte nach einem relativ detail-liert ausgearbeiteten Korrekturschema35. Die zu errei-chende Maximalpunktzahl für die gesamte Prüfung belief sich auf 75, wovon maximal 33 Punkte im for-

34  Falls keine Parteikosten gesprochen werden, muss dieser Um-stand nicht zwingend im Urteilsdispositiv festgehalten wer-den, eine Erwähnung ist aber im Prüfungsfall vorzuziehen.

35  Das Korrekturschema ist abrufbar auf der Website des Insti-tuts für Steuerrecht der Universität Bern unter www.isr.unibe.ch/Prüfungen.

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mellen Teil und 29 Punkte im materiellen Teil erzielt werden konnten; bis zu 3 Punkte waren zudem für ei-nen guten Aufbau bzw. Gesamteindruck der Arbeit, eine sprachlich differenzierte Ausdrucksweise und fol-gerichtige Argumentation möglich. Im materiellen Teil ging es bei der Frage nach der Tarifanwendung darum, die Grundstrukturen der Ehegattenbesteuerung dar-zulegen, was nur steuerliches und verwaltungsrechtli-ches Grundwissen erforderte. Ferner war der Begriff der « tatsächlichen Trennung » nach den allgemein be-kannten Methoden des Verwaltungsrechts auszulegen. Auch die Abgrenzung zwischen Geschäfts- und Privat-vermögen bei Selbständigerwerbenden und die The-matik der Ersatzbeschaffung setzte keinerlei « exoti-sche » Spezialkenntnisse im Steuerrecht voraus. Es gab für beide Problembereiche nicht nur eine richtige Lö-sung. Mit entsprechender Argumentation hatten die Prüflinge jeweils die Möglichkeit einer Gutheissung oder Abweisung, wobei beide Lösungen bei der Punkt-vergabe gleich bewertet wurden.

B. Die häufigsten Fehler

1.  In formeller Hinsicht

Insgesamt haben die Kandidaten/-innen den formel-len Teil gut gemeistert. Nur selten ging ein wesentli-cher Prüfpunkt unter. In vielen Arbeiten fanden sich jedoch über den ganzen formellen Teil verstreute Feh-ler, die dazu geführt haben, dass nur eine verminderte Punktzahl vergeben werden konnte.

Aus dem Betreff auf dem Deckblatt (vgl. II, lit. A) und den Ausführungen im formellen Teil ging nicht oder zu wenig deutlich hervor, dass es sich im Grunde um zwei Beschwerden – nämlich diejenige betreffend die direkte Bundessteuer und jene betreffend die Kantons- und Gemeindesteuern – um zwei angefoch-tene Entscheide der StRK und um zwei Steuerveran-lagungen handelte.

Betreffend die Beschwerde auf Ebene der kantona-len Steuern ging oft der Verweis von Art. 151 StG auf das VRPG verloren. Dasselbe gilt für die Beschwerde bezüglich der direkten Bundessteuern, wo Art. 104 Abs. 4 DBG als Verweisungsnorm angegeben werden konnte36.

Anlässlich der Prüfung der Zuständigkeit des Ver-waltungsgerichts hat fast niemand bemerkt, dass das VRPG revidiert worden ist. Von denjenigen Personen, die das realisiert haben, hat leider keine eine Zustän-digkeitsüberprüfung (auch) nach unrevidiertem Recht vorgenommen. Obwohl das Recht in diesem Bereich unverändert geblieben ist, war eine solche notwendig, da die Entscheide der StRK vor dem Inkrafttreten der Revision per 1.1.2009 ergangen sind.

Von ein paar Kandidaten/-innen wurde die Be mer-kung der Steuerverwaltung vor dem Verwal tungsgericht, dass die Einordnung der Liegenschaft Ostermundigen zum Geschäftsvermögen und die Ver anlagung von F nach dem Verheiratetentarif den Vorgaben der ständi-gen Rechtssprechung des Bundesgerichts entsprächen, fälschlicherweise als Novum nach Art. 25 VRPG quali-fiziert37. Bei dieser Vorbringung handelt es sich weder um ein rechtserhebliches Element, das den bisher mass-gebenden Sachverhalt ändert, noch um ein neues Be-weismittel. Die Parteien dürfen jederzeit neue rechtli-che Argumentationen vorbringen.

Teilweise wurde nicht erkannt, dass die Eröffnung der Entscheide der StRK an die Steuerverwaltung als Beschwerdeführerin vom 16. Juni 2008 den Fristenlauf auslöste. Es wurde erwartet, dass der Fristablauf (16. Juli 2008) berechnet und genannt wird. Nicht aus-reichend für die Erlangung der gesamten Punktzahl war es, in einem Satz zu erwähnen, dass die Beschwer-den fristgerecht eingereicht worden seien.

In vielen Prüfungen wurde die Verfahrensvereini-gung überhaupt nicht thematisiert. Sie stellt eine pro-zessleitende Verfügung (Zwischenverfügung) dar und kann in casu erst durch Beschwerde gegen den End-entscheid angefochten werden (vgl. Art. 61 Abs. 4 VRPG), weshalb deren rechtliche Begründung noch-mals im Urteil des Verwaltungsgerichts zu erwähnen ist. In manchen Arbeiten, in der sie zur Sprache kam, wurde als solche ausschliesslich die Prozessökonomie angeführt. Diese ist zwar eine wichtige Richtschnur, reicht aber zur Tatbestandserfüllung von Art. 17 Abs. 1 VRPG allein nicht aus. Im vorliegenden Fall war des-halb der Inhalt der oben angeführten Musterlösung festzuhalten (vgl. II, lit. B, Ziff. 4).

36  Nach Art. 104 Abs. 4 DBG regelt das kantonale Recht Or-ganisation und Amtsführung der kantonalen Vollzugsbe-hörde, soweit das Bundesrecht nichts anderes vorsieht. In casu war diese Norm für die Einsetzung einer weiteren Be-schwerdeinstanz nach Art. 145 Abs. 1 DBG und später bei der Kostenverlegung im Falle der Beschwerdeabweisung von Belang.

37  Vgl. müller marKuS, Bernische Verwaltungsrechtspflege, Bern 2008, 65 f.

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d e r f a l lSTEUERPROBLEME MIT EHE UND HAUSVERK AUF

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In casu standen ausschliesslich Fragen der falschen Rechtsanwendung zur Debatte. Das Verwaltungsge-richt kann nach Art. 151 StG i.V.m. 80 lit. a und b VRPG für die kantonalen Steuern und gemäss Art. 145 Abs. 2 i.V.m. Art. 142 Abs. 4 DBG für die direkten Bun-dessteuern Rechtskontrolle ausüben und war somit zur Überprüfung aller vorgebrachten Rügen befugt. Die Meisten erwähnten bei der Kognition bloss Art. 80 VRPG als gesetzliche Grundlage, was zu ungenau war. Sie vergassen einerseits, Art. 151 StG anzugeben und andererseits, dass es hinsichtlich der Tarifanwendungs-frage auch die direkten Bundessteuern zu beurteilen galt und somit die gesetzlichen Grundlagen aus dem DBG hätten angeführt werden sollen. Es war zudem unpräzis, zu schreiben, dass das Verwaltungsgericht über volle Kognition verfügt. Hinsichtlich der kantona-len Steuern trifft dies für die Rüge der Unangemessen-heit (vgl. Art. 80 lit. c VRPG) nur zu, wenn diese spezi-algesetzlich vorgesehen ist. Da im StG eine solche Bestimmung fehlt, wäre eine solche Rüge unzulässig.

Wirklich schwierig war im Prüfungsstress die feh-lende Legitimation der F vor der StRK für den Rekurs zu erkennen. Zur Erreichung der vollen Punktzahl wäre es notwendig gewesen, das Problem kurz zu skiz-zieren und eine mögliche Lösung anzugeben. Nicht erwartet wurden ausführliche Argumentationen zu ei-nem allfälligen Rechtsschutzinteresse der F oder das Abwägen möglicher Lösungen gegeneinander (vgl. II, lit. B, Ziff. 7 und FN 12).

Bei der Kostenverlegung fehlten bei den meisten Arbeiten die bundesrechtlichen Gesetzesgrundlagen. Bei solchen Arbeiten, die sich für eine umfassende Gutheis sung entschieden haben, fehlte in aller Regel die Neuverlegung der Kosten vor der Vorinstanz. Im Falle einer umfassenden Abweisung verstanden einige Prüflinge die Bestimmung von Art. 108 Abs. 2 VRPG nicht richtig. Sie führten korrekt aus, dass der Steuer-verwaltung als Behörde im Sinne von Art. 2 Abs. 1 lit. a VRPG (Organe des Kantons, seiner Anstalten und Körperschaften) keine Verfahrenskosten auferlegt werden, fügten dann aber fälschlicherweise an, dass vorliegend eine Ausnahme bestehe, da die beschwer-deführende Steuerverwaltung in ihren Vermögensin-teressen betroffen sei. Diese Kandidaten/-innen überlasen offensichtlich, dass eine Verfahrenskos-tenauferlegung nur für andere Vorinstanzen oder be-schwerdeführende und unterliegende Behörden gilt, sprich für Behörden nach Art. 2 Abs. 1 lit. b und c VRPG. Leider hat keine der geprüften Personen in

der Arbeit festgehalten, dass die Kostenfreiheit für die Behörde auf Bundesebene weder im DBG noch im VwVG geregelt wird und deshalb nach Art. 104 Abs. 4 DBG kantonales Recht zur Anwendung gelangt (vgl. Art. 151 StG i.V.m. Art. 108 Abs. 2 VRPG). Im Falle der teilweisen Gutheissung hat die korrekte Kosten-verteilung grosse Mühe bereitet. In der Hitze des Ge-fechts ging auch die Bestimmung der Parteikosten manchmal unter.

Im Urteilsdispositiv fehlte bei der Entscheidformel in vielen Fällen die Unterscheidung zwischen Kan-tons- und Gemeindesteuern sowie direkten Bundes-steuern, die je separat hätten abgehandelt werden sol-len (vgl. II, lit. E, Ziff. 1.1 und 1.2).

Bei der Eröffnung des Urteils vergassen fast alle Kandidaten/-innen die Mitteilung an die eidgenössi-sche Steuerverwaltung (ESTV).

2.  In materieller Hinsicht 

In materieller Hinsicht war erfreulich zu sehen, dass alle Kandidaten/-innen sämtliche Rügen zumindest grundlegend abgehandelt haben. Sie hatten grob gese-hen zwei Problemkreise zu behandeln: die Tarifanwen-dung und die Einordnung der Liegenschaft Oster-mundigen zum Privat- oder Geschäftsvermögen, verbunden mit der Frage, ob allenfalls ein Ersatzbe-schaffungstatbestand vorliegt.

Bei der steuerlichen Beurteilung, welcher Tarif auf F anzuwenden ist, handelt es sich im Kern um eine Auslegungsfrage des Begriffs der tatsächlichen Tren-nung. Idealerweise wäre nach einer kurzen Darlegung der Ausgangslage38 unter Angabe der gesetzlichen Grundlagen eine Auseinandersetzung mit der Ausle-gung desselben angezeigt gewesen.

Es war erforderlich, zuerst kurz auf den Charakter des Kreisschreibens 14 als Verwaltungsverordnung einzugehen und dann die Auslegung der diesem ge-setzlich zugrunde liegenden Normen (und nicht etwa des Kreisschreibens selbst) in Angriff zu nehmen. Ein Grossteil der Kandidaten/-innen hielt sich allerdings nicht mit methodischen Überlegungen auf, sondern

38  Besteuerung von Verheirateten und von Getrennten; allei-nige subjektive Steuerpflicht von F sowie Heranzug des Einkommens des M zur Satzbestimmung bei ungetrennter Ehe (vgl. II lit. C, Ziff. 1.1).

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stürzte sich direkt auf den Abgleich des Sachverhalts mit den Kriterien des Kreisschreibens. Mit diesem Vorgehen schrammte man aber an der eigentlichen Aufgabe vorbei. Gemäss Sachverhalt standen sich zwei unterschiedliche Auslegungsverständnisse ge-genüber. Einerseits setzte F den Begriff der tatsächli-chen Trennung mit der räumlichen gleich. Anderer-seits verlangte die Steuerverwaltung unter Anführung der bundesgerichtlichen Praxis, dass es zusätzlich zur räumlichen Trennung den Willen der Eheleute brau-che, die eheliche Gemeinschaft nicht mehr im Sinn von Art. 159 ZGB leben zu wollen. Dieses emotionale Element war im Kriterium des Kreisschreibens 14 be-reits enthalten, in dem es hiess, dass die Aufhebung des gemeinsamen Haushaltes nach Art. 175 ZGB vorlie-gen müsse. Diese Hauhaltsaufhebung muss aus den in diesem Artikel genannten Gründen erfolgen, nament-lich eben aus dem Willen heraus, die Ehe nicht mehr gemeinsam leben zu wollen. Das Kreisschreiben gibt somit nur die bundesgerichtliche Praxis wieder. Die blosse Auseinandersetzung damit führt zu keiner Ant-wort, welchem Auslegeverständnis aus welchem Grund gefolgt werden sollte. Erwartet worden wäre, dass die Kandidaten/-innen die verschiedenen Norm-verständnisse gegeneinander abwägen.

Im zweiten Teil musste entschieden werden, ob das Grundstück in Ostermundigen durch seine Verpfän-dung als Geschäftsvermögen qualifiziert werden musste. Diese Aufgabe wurde häufig methodisch un-sauber oder falsch angegangen. Zuerst hätte wiederum eine kurze Darstellung der Ausgangslage39 stattfinden sollen (vgl. II, lit. C, Ziff. 2.1). Dann hätte in einem ers-ten Schritt festgehalten werden müssen, was als Ge-

schäftsvermögen gilt und anschliessend geprüft wer-den sollen, ob die Liegenschaft dem Geschäft der F durch Verpfändung diente. Hier konnte keinesfalls verlangt werden, dass die Argumentation der Kan-didaten/-innen der Begründungsdichte der Lösungs-skizze entsprach. Immerhin wäre aber erwartet worden, dass sie die Argumentation der Parteien auf-greifen und in ihre Lösung einbeziehen.

Erst nachdem ein Dienen bejaht worden ist, konnte in einem zweiten Schritt die Präponderanzmethode herangezogen werden. Einige Prüflinge vermischten diese beiden Schritte miteinander.

Die Frage der Ersatzbeschaffung hätte auch dann kurz aufgegriffen werden sollen, wenn man zum Schluss kam, dass die Liegenschaft Ostermundigen selbst nach deren Verpfändung beim Privatvermögen verblieben ist. Bei Anwendung von Art. 30 DBG wurde von einigen Prüflingen übersehen, dass sowohl das zu ersetzende als auch das neu erworbene Objekt jeweils zum betriebsnotwendigen Anlagevermögen gehören müssen und nicht nur eines von beiden.

3.  Allgemeine Fehler und Fazit

Nebst den oben aufgezeigten konkreten Schwierigkei-ten in formeller und materieller Hinsicht war ein sehr häufiger, allgemeiner Fehler darin auszumachen, dass die Kandidaten/-innen die massgebenden gesetzlichen Grundlagen als Basis für ihre (an sich richtige) Argu-mentation nicht oder nur unvollständig wiedergege-ben haben. Eine Vielzahl der Prüflinge hat es zudem unterlassen, konsequent auf beide gesetzlichen Grund-lagen – diejenigen für die Bundessteuer und diejeni-gen für die Kantons- und Gemeindesteuern – zu ver-weisen40.

Weiter haben sich einige Prüflinge Punkte und wert-volle Zeit dadurch verscherzt, dass sie in umständlicher und unnötiger Weise längere Textpassagen aus dem Sachverhalt und den als Hilfsmittel aufgelegten Kreis-schreiben wiedergegeben, gleichzeitig jedoch keine oder nur äusserst knappe eigenständige Würdigungen der Rechtslage in ihre Arbeit eingebracht haben.

Sehr positiv aufgefallen ist, dass eine Vielzahl der Kandidaten/-innen es geschafft hat, eine weitgehend ausformulierte Arbeit abzuliefern, was auf ein gutes Zeitmanagement hinweist. Für die Personen, welche sich dahingehend noch verbessern wollen, sei auf alte Prüfungsfälle41 hingewiesen, mit denen man wunder-bar üben kann, bis es klappt.

39  Was ist die Streifrage? Was sind die steuerlichen Konse-quenzen bei einem Verkauf mit Gewinn, wenn die Liegen-schaft im Geschäftsvermögen oder im Privatvermögen ge-halten wurde? Feststellung, dass aufgrund des im Kanton Bern geltenden monistischen Systems ein Grundstückge-winn ausschliesslich von der Grundstückgewinnsteuer er-fasst wird und deshalb nachfolgend nur die Ebene der di-rekten Bundessteuern für den Entscheid von Belang ist.

40  Insbesondere wären im formellen Teil bei den Ausführungen zur Zuständigkeit, Legitimation und Beschwerdefrist nicht nur die Rechtsgrundlagen des VRPG, sondern auch diejeni-gen des DBG und des bernischen Steuergesetzes zu nennen gewesen.

41  Die schriftlichen Anwaltsprüfungen im Steuerrecht aus frühe-ren Jahren sind unter www.isr.unibe.ch/Prüfungen abrufbar.