JULI Nr. 12 / Feb. 2011

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JULI 21 FEBRUAR IMPRESSUM JULI KULTURMAGAZIN AARGAU POSTFACH 5600 LENZBURG WWW.JULIMAGAZIN.CH [email protected] NR. 12, FEBRUAR 2011 ISSN 1663-8999 AUFLAGE : 5750 HERAUSGEBERIN : INTERESSENGEMEINSCHAFT KULTUR AARGAU VERLAGSLEITUNG: KONI WITTMER, [email protected] REDAKTION : MARCEL AUF DER MAUR, ANGELA THUT, [email protected] MITARBEITER/INNEN DIESER AUSGABE : SVENJA HERRMANN, THOMAS HIRSCHHORN, ANDRINA JöRG, SARAH KELLER, ALBERT KUHN, BRIGITT LATTMANN, THOMAS MEIER, KONI WITTMER, ELIANE ZGRAGGEN, WALTER ZUBERBüHLER KORREKTORAT: STEFAN WORMINGHAUS GESTALTUNG : BONBON – VALERIA BONIN, DIEGO BONTOGNALI, ZüRICH DRUCK : EFFINGERHOF AG, BRUGG COPYRIGHTS: ALLE RECHTE VORBEHALTEN, KEINE KOPIE OHNE GENEHMIGUNG DER HERAUSGEBERIN DIE PROGRAMMHINWEISE IN JULI STAMMEN VON DEN JEWEILIGEN VERANSTALTERN REDAKTIONSSCHLUSS VERANSTALTUNGSHINWEISE UND AGENDA-EINTRäGE FüR NR. 3 MäRZ 2011 BIS 5. FEBRUAR 2011 AN: [email protected] ABO JAHRESABONNEMENT: 50.– FüR GöNNERABONNEMENT: 200.– HANS BISCHOFBERGER [email protected] WWW.JULIMAGAZIN.CH/KONTAKT ANZEIGEN KONI WITTMER T 079 290 06 75 [email protected] DER «AARGAU-BEZUG» IM NEUEN KULTURGESETZ Das neue Aargauer Kulturgesetz ist seit einem Jahr in Kraft. Wir befassen uns in einem ersten Beitrag mit dem so genannten «Aargau-Bezug», den Künstler/innen – wenn sie nicht im Kanton Aargau leben – nachweisen müssen, um in den Genuss von kantonalen Fördergeldern zu kom- men. JULI hat einer Vertreterin des Aargauer Kuratori- ums und einem Mitglied von visarte Aargau Fragen dazu und zu andern Aspekten der Kulturförderung gestellt. Seiten 22 – 26 WANDERN UND NACHDENKEN MIT THOMAS HIRSCHHORN Wirtschaftslandschaft Davos heisst die raumgreifen- de Installation, die das Aargauer Kunsthaus mit finan- zieller Unterstützung des Bundes und des Aargauischen Kunstvereins ankaufen konnte. Bis zum 25. April erfüllt nun Thomas Hirschhorns Scotch- und Pappkarton-Berg- tal unser Museum im Unterland und lädt zum Wandern und Nachdenken ein. Seiten 30 – 33 NR 12 COMIC VON NABALOUM BOUREIMA S. 27 LYRIK VON SVENJA HERRMANN S. 28 MILANO BROKE MY HEART VON ALBERT KUHN S. 28 KLEIN UND FEIN (FRAU MEISE NISTET üBERALL) VON WALTER ZUBERBüHLER S. 29 GOODNIGHT NOBODY VON THOMAS MEIER S. 34 FAMILIENSILBER VON ELIANE ZGRAGGEN S. 35

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JULI Kulturmagazin Aargau

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Juli 21 Februar

iMPreSSuM Juli KulturMagazin aargau PoStFach 5600 lenzburg www.JuliMagazin.ch [email protected] nr. 12, Februar 2011 iSSn 1663-8999 auFlage : 5750

herauSgeberin : intereSSengeMeinSchaFt Kultur aargau

VerlagSleitung: Koni wittMer, [email protected]

redaKtion : Marcel auF der Maur, angela thut, [email protected]

Mitarbeiter/innen dieSer auSgabe : SVenJa herrMann, thoMaS hirSchhorn, andrina Jörg, Sarah Keller, albert Kuhn, brigitt lattMann, thoMaS Meier, Koni wittMer, eliane zgraggen, walter zuberbühler

KorreKtorat: SteFan worMinghauS

geStaltung : bonbon – Valeria bonin, diego bontognali, zürich

drucK : eFFingerhoF ag, brugg

coPYrightS: alle rechte Vorbehalten, Keine KoPie ohne genehMigung der herauSgeberin

die PrograMMhinweiSe in Juli StaMMen Von den Jeweiligen VeranStaltern

redaKtionSSchluSSVeranStaltungShinweiSe und agenda-einträge Für nr. 3 März 2011 biS 5. Februar 2011 an: [email protected]

aboJahreSabonneMent: 50.– Für gönnerabonneMent: 200.–

hanS biSchoFberger [email protected] www.JuliMagazin.ch/KontaKt

anzeigenKoni wittMer t 079 290 06 75 [email protected]

Der «AArgAu-Bezug» im neuen Kulturgesetz

Das neue Aargauer Kulturgesetz ist seit einem Jahr in Kraft. Wir befassen uns in einem ersten Beitrag mit dem so genannten «Aargau-Bezug», den Künstler/innen – wenn sie nicht im Kanton Aargau leben – nachweisen müssen, um in den Genuss von kantonalen Fördergeldern zu kom-men. JULI hat einer Vertreterin des Aargauer Kuratori-ums und einem Mitglied von visarte Aargau Fragen dazu

und zu andern Aspekten der Kulturförderung gestellt. Seiten 22 – 26

WAnDern unD nAchDenKen mit thomAs hirschhorn

Wirtschaftslandschaft Davos heisst die raumgreifen-de Installation, die das Aargauer Kunsthaus mit finan-zieller Unterstützung des Bundes und des Aargauischen Kunstvereins ankaufen konnte. Bis zum 25. April erfüllt nun Thomas Hirschhorns Scotch- und Pappkarton-Berg-tal unser Museum im Unterland und lädt zum Wandern

und Nachdenken ein. Seiten 30 – 33

NR

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comic von

nABAloum BoureimA s. 27

lyriK von

svenjA herrmAnn s. 28

milAno BroKe my heArt

von AlBert Kuhn s. 28

Klein unD Fein (FrAu meise

nistet üBerAll) von

WAlter zuBerBühler s. 29

gooDnight noBoDy von

thomAs meier s. 34

FAmiliensilBer von

eliAne zgrAggen s. 35

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Juli 22 KunStbrache aargau?

Urs Faes, Literatur, 1999

Gabriel Baur, Film, 1995

Klaudia Schifferle, Bildende Kunst, 1981

Denise Kobler, Bildende Kunst, 1999

Hansjörg Schertenleib, Literatur, 1995

Heidi Langauer, Bildende Kunst, 2000

Eric Hattan, Bildende Kunst, 1982

Hans Koch, Musik, 1995

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Juli 23 KunStbrache aargau?

KunstBrAche AArgAu?

Von Andrina Jörg

Für bildende Künstlerin-nen und Künstler ist es je länger, je schwieriger, im Aargau tätig zu sein. Es mangelt an Grundlegen-dem. An Ausstellungs-möglichkeiten zum Bei-spiel. Es gibt praktisch keine Galerien mehr, Kunst- und Bauaufträge sind rar, die Fachhoch-schule für Gestaltung und Kunst, welche den Nach-wuchs förderte und für in-novatives Potenzial sorgte, ist – kaum warm gelaufen – nach Basel ausgezogen. Im Aargauer Kunsthaus wird zwar hochkarätige Kunst gezeigt, aber kleinere Ausstellungsräume haben es schwer, zu überleben, weil oft Unterstützungs-gelder fehlen. Zürich mit seinem Galerienboom, aber auch Basel oder das Ausland haben in den

DAs neue AArgAuer Kulturgesetz in Der PrAxis

seit einem jahr ist das revidierte Aargauer Kulturgesetz in Kraft. Der Beitrag «Kunst-brache Aargau» befasst sich mit dem neu definierten und immer noch umstrittenen «Aargau-Bezug» in der Kulturförderung. Während jahrzehnten war der Aargau schweizweit der einzige Kanton, der Werk-beiträge an Künstlerinnen und Künstler aufgrund ihres aargauischen Bürgerrechts vergab. Das führte dazu, dass der Kanton alljährlich viele Kulturschaffende in der ganzen schweiz unterstützte, die oft wenig mit dem lokalen Kulturleben zu tun hatten. es führte aber auch dazu, dass der Aargau unter den Künstlerinnen und Künstlern einen sehr guten ruf ge-noss. nicht zuletzt war die freizügige Pra-xis dem image des «Kulturkantons» för-derlich, denn in keinem anderen Kanton wurde das Bürgerrecht bei der Kultur-förderung derart hoch geschätzt. innerhalb des Kantons waren die Kulturschaffen den jedoch wenig begeistert, wenn reihen-weise Werkbeiträge nach zürich und Basel und anderswohin flossen. man kann sich in zeiten, in denen sich Kantone gegensei-tig die so genannten zentrumslasten im Kultursektor vorrechnen – und der Kanton Aargau jetzt jährlich ca. 5 mio. Franken an den Kanton zürich für seine grossen und teuren Kulturhäuser überweist – auch fragen, wie sinnvoll die grosszügige geste aus den 60er-jahren heute noch wäre.

in einem nächsten Beitrag zum neuen Kulturgesetz wird sich das juli Kultur-magazin mit den neu durch den regie-rungsrat zu bewilligenden Betriebsbeit-rägen an überregionale Kulturinstitutionen beschäftigen.

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Juli 24 KunStbrache aargau?

während rund 20 Jahren hat die

FotograFin brigitt lattMann iM auFtrag deS

aargauer KuratoriuMS JeweilS die KünStler/innen,

die Mit werKbeiträgen

geFördert wurden, an ihreM

arbeitSPlatz Porträtiert. wir

haben auS dieSeM bildarchiV einige

auFnahMen auSgewählt. bild Seite 21:

charlotte hug, MuSiK, 1999

brigitt lattMann iSt FreiSchaFFende

FotograFin und lebt in gränichen,

brigittlattMann.ch

Hannah Villiger, Bildende Kunst, 1986

Bruno Jakob, Bildende Kunst, 1981

Joke Lanz, Musik, 1998

Claudia Ulla Binder, Musik, 2000

Claudia Acklin, Film, 1995

Claudia und Julia Müller, Bildende Kunst, 1995

Karl-Andreas Kolly, Musik, 1998

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Juli 25 KunStbrache aargau?

letzten jahren eine sogwirkung entwickelt, welche die kreativen Kräfte aus dem vermeintlichen Kultur-kanton abzieht und eine kulturelle leere im Be-reich der Bildenden Kunst hinterlässt. es fehlt eine metropole. mit dem Aargau verbinden die ausge-wanderten Künstlerinnen und Künstler meist nur noch die Fördergelder. Die Probleme im Bereich der Bildenden Kunst im Aargau wurden in den letzten jahren von verschiedenen seiten erkannt und zur Diskussion gestellt. mit dem neu formulierten Kultur-gesetz, welches den ‹Aargau-Bezug› stärker gewich-tet, versucht man den Fliehkräften entgegenzu-wirken (siehe Kasten). Wie ist die zu bestellende Kunstbrache zwischen zürich und Basel in zukunft für bildende Künstler-innen und Künstler als Arbeitsfeld wieder attraktiv zu machen? Die Frage, welche verbesserungen in der aktuellen situation möglich sind, welche grenzen sich zeigen und welche rolle das Aargauer Kura-torium dabei spielen sollte oder spielen kann, wird je nach standpunkt unterschiedlich beantwortet. mit eva Bechstein, vorsitzende der Fachgruppe visuelle Kunst des Kuratoriums und oliver Krähen-bühl, mitglied des Berufsverbandes visuelle Kunst visarte, haben wir gespräche geführt. sie nehmen stellung zu Problemen der Kulturförderung im Bereich der Bildenden Kunst.

der «aargau-bezug»

Im neuen Aargauer Kulturgesetz ist unter «Kul-turförderung» in Paragraph 5, Absatz 2, Folgen-des festgehalten:

«Der Kanton fördert hauptsächlich Personen, Pro-jekte, Programme, Veranstaltungen, Institutionen und Organisationen mit Bezug zum Aargau.»

Die Verordnung zum Kulturgesetz präzisiert:«Personen haben einen Bezug zum Aargau, wenn siea) seit zwei Jahren zivilrechtlichen Wohnsitz im Kanton haben oderb) durch Werk, Tätigkeit oder in anderer Weise mit dem Kulturleben im Kanton in besonderer Beziehung stehen.»

Das Aargauer Kuratorium setzt dies in der Pra-xis so um:«Förderung kann beantragen – wer den zivilrechtli-chen Wohnsitz seit zwei Jahren im Aargau hat, oder – wer durch Werk oder Tätigkeit im Aargauer Kul-turleben präsent ist, oder – wer einmal 15 Jahre lang am Stück im Aargau gewohnt hat, oder – wer in den letzten fünf Jahren zweimal vom Aargauer Kuratorium gefördert wurde. Diese letzte Klausel ist nur in den Jahren 2010 bis und mit 2012 gültig.»

Wie kann das Kuratorium Ihrer Meinung nach in der aktuellen Situation agieren? eva Bechstein: in der regel können wir als miliz-gremium die uns zur verfügung stehenden finan-ziellen mittel erst auf gesuch hin sprechen. Wir sind also auf gute Projekte und Angebote seitens der Künstlerinnen und Künstler und der Kunstvermitt-lerinnen und Kunstvermittler angewiesen. unsere Fördergelder sind zudem an inhalte gebunden. Wir können also nicht losgelöst von konkreten Projekten strukturen und Plattformen an sich unterstützen, wie das die visarte von uns fordert. neue strukturen sind für uns erst unterstützungswürdig, wenn sie mit einem qualitativ befriedigenden inhaltlichen Konzept oder Programm verbunden sind. in einer aktiven rolle treten wir auf, wenn wir Wettbewerbe ausschreiben, die jeweils mit einem sonderkredit finanziert sind und aus denen zum teil langfristige Projekte wie die museumspädagogik oder die musikvermittlung resultieren können.Den handlungsrahmen gibt uns das gesetz vor, inner-halb dieses rahmens sind wir autonom. gerade weil wir nicht involviert sind in die Kulturpolitik, können wir inhaltlich unabhängig fördern. oliver Krähenbühl: Das Kuratorium ist das aus-führende organ für einen teil der Aufgaben, die im Kulturgesetz festgesetzt sind. innerhalb des im gesetz definierten rahmens ist es frei; es kann seine Parameter selber setzen. Ausser dem Kurato-rium und der Fachstelle für Kulturvermittlung gibt es leider keine instanz im Aargau, die sich um strukturelle Fragen kümmern könnte. so ist das Kuratorium momentan die erste und einzige Anlauf-stelle für kulturelle Projekte und kulturpolitische Fragen ausserhalb der kantonalen verwaltung.

Wie stehen die Beitragsempfängerinnen und Bei­tragsempfänger und die unterstützten Projekte in Beziehung zum Kanton Aargau? e. B.: Das Aargauer Kuratorium hat den Aargau-Bezug schon bisher berücksichtigt. neu ist, dass wir jetzt darauf fokussieren. Das Kuratorium findet es richtig und wichtig, dass die mit finanziellen Beiträgen unterstützten Künstlerinnen und Künstler einen Bezug zum Kanton haben, ihn pflegen oder sich darum bemühen. Aber was heisst es, Bezug haben durch Werk und tätigkeit, wie es in der verordnung zum Kulturgesetz formuliert ist? Das heisst nichts Ande-res, als im Kanton auszustellen oder Kunst- und Bauprojekte realisieren zu können. Das ist jedoch schwierig, weil Ausstellungsmöglichkeiten rar sind und noch seltener bietet sich die möglichkeit zu einem gestaltungsauftrag für den öffentlichen raum. unser beschränktes Budget zwingt uns, in der Förderung schwerpunkte zu setzen. seit einigen jahren haben wir uns zum ziel gesetzt, qualitativ hoch-stehende Kunstschaffende auf ihrem Werdegang zu

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26 FebruarKunStbrache aargau?

nationaler und allenfalls internationaler Anerken-nung zu unterstützen. unsere zielsetzung für die individualförderung strebt aus dem Kanton hinaus, und so soll es auch sein. Der von der visarte lan-cierte Kantönligeist läuft dem zuwider und ist in meinen Augen nicht zeitgemäss. heute, wo alles vernetzt ist und in der schweiz auf so kleinem raum stattfindet, verliert der Wohnort an Bedeutung. mit anderen Worten, auch wenn ein Künstler in zürich oder Basel oder vielleicht auch in Berlin wohnt, hat er ein recht auf finanzielle unterstützung, vorausgesetzt er hat einen konkreten Bezug zum Kanton Aargau. o. K.: unserer meinung nach wurde der Aargau-Bezug der stipendienempfänger bisher grosszügig ausgelegt. es ist die Aufgabe des Kuratoriums, Aar-gauer Kultur zu fördern; es sollte nicht die Förde-rung national bekannter Künstler übernehmen, welche vielleicht auch einmal im Aargau gelebt haben. Dies ist sache des Bundes. Die leute, die geld bekommen, sollten ausserdem verpflichtet werden, im Aargau einen teil ihrer Arbeit zu zeigen oder aufzuführen. so würde die geförderte Kunst hierher zurückkommen. seitens des Kuratoriums wird argumentiert, dass es keinen Ausstellungs-raum dafür gibt. zum Problem der Abwanderung der Künstler/innen und der gelder kommt noch etwas anderes hinzu: wenn ein Aargauer Künstler in einem raum im Aargau ausstellt, der schon subventioniert ist, wird die Ausstellung wegen der Doppelförderung nicht unterstützt. Ausserkantonale Künstler hin-gegen können in ihren Kantonen für diese räume unterstützung beantragen. Dies ist ein systemfehler

und eine Benachteiligung für die Aargauer. gleich-zeitig bekommen Aargauer Künstlerinnen und Künstler für Ausstellungen in ausserkantonalen museen vom Kanton Aargau grosszügig gelder zugesprochen, was zwar richtig ist, aber die situa-tion für die kantonalen räume noch prekärer macht. es sollte doch das ziel einer kantonalen Förderpolitik sein, öffentliche gelder so einzu-setzen, dass sie im Kanton wirksam werden.

Zukunftsvisionen? e. B.: unser ziel ist es, die Aargauer Kunstszene zu stärken, häuser, in denen Kunst gezeigt wird, vermehrt zu fördern und die veranstalter dahin-gehend zu unterstützen, eine gewisse Professio-nalisierung zu erreichen. Wir würden uns wünschen, dass das Kuratorium mehr als veranstalter auf-treten könnte. Die Autonomie ist uns aber genauso wichtig. o. K.: Wir erhoffen uns, dass der Kanton Aargau für die Kreativbranche zum attraktiven Arbeits- und Wohnkanton wird. Wir würden gerne ein zent-rum für Kulturschaffen realisieren. gerade, weil der Kanton kein grösseres, urbanes zentrum hat, scheint das Bedürfnis eines vernetzungspunktes für Künstlerinnen und Künstler gross zu sein. ein erster schritt ist «centre virtuel», eine Webplatt-form für Kunst-, Kultur- und Kreativschaffende, die künftig auf unkomplizierte Art den zugang zu in-formationen, Dienstleistungen, verfügbarkeit von räumen, geräten, software und studios im Kanton gewährleisten soll. Das vom Kuratorium grosszügig unterstützte Projekt wird nächstes jahr realisiert.

der coMic-zeichner, illuStrator, Maler und KariKaturiSt nabalouM

boureiMa war 2010 artiSt in reSidence iM Krone-atelier

in aarau. der KünStler iSt in bobo-dioulaSSo geboren

und hat Sein StudiuM in YaKo (burKina FaSo) abgeSchloSSen.

2007 VeröFFentlichte er Sein erSteS albuM Mit deM titel «le réVeil du MaSque albinoS».

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Juli 27 le regret

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28 FebruarMilano broKe MY heart

Es ist später Nachmittag. Im Hauptbahnhof Zürich fährt auf Gleis siebzehn ein Zug ab und ein Film beginnt. Er spielt zwischen Zü-rich und Rom, Hauptdarstellerin ist die fünf-undzwanzigjährige Autorin Andrea, die vor zwei Jahren ihr erstes Buch veröffentlicht hat – «Die Fiebermesserin», sehr erfolgreich. Der männliche Hauptdarsteller ist Sergio, ein achtundfünfzigjähriger Italoschweizer im crèmeweissen Anzug mit dubioser Vergan-genheit, der nun als V-Mann einer Investo-rengruppe einen höchst vertraulichen Job er-ledigen muss: Transferpapiere über gut 500 Millionen Euro, es soll sein letztes grosses Ding sein. Die junge Frau mustert ihr Gegenüber ungeniert und versucht, den Unbekannten in ein Gespräch zu verwickeln, wofür sie heim-lich ihr Handy auf Record stellt. Der Mann aber liest die Gazzetta dello Sport und spricht kein Wort. Der Zug hält in Zug, rast durch den Gotthard – wo sich A im Halbdunkel über-gibt – dann den Ticino hinunter und erst nach Chiasso lässt V von seiner Zeitung ab, schein-bar erleichtert. Am Morgen desselben Tages fährt in Rom ein Mann, Filmproduzent, erschreckt aus dem Schlaf. Er stürzt ins Bad, rasiert sich blutig, stürzt sich in seinen Anzug, stürzt sich – der Reception eine Note hinwerfend – auf die Strasse, stürzt Richtung Bahnhof und ruft: BELLEZZA, BELLEZZA!! Und: MI-LANO BROKE MY HEART, AH BELLEZZA! Am Bahnhof Termini stürzt er sich wahllos auf Menschen, die er schüttelt und anschreit: I BLEW IT! I FUCKED UP BIG TIME! IO SONO PAZZO! HO FATTO TUTTO FALSO, COMPLETAMENTE FALSO! COMPRENDI? COMPRENDI?? Die Passagiere aus dem Norden stehen nun in der Mailänder Bahnhofhalle herum, separat, ohne jede Gemeinsamkeit. Beide er-halten, fast gleichzeitig, einen Anruf auf ih-rem Handy, beide Anrufe scheinen alarmie-rend. Kurz treffen sich die Blicke von And-rea und Sergio, sie sind aus unterschiedlichen Gründen fassungslos, können für eine Ewig-keit von zehn Sekunden den Blick nicht lö-sen. Dann verschwindet Sergio Richtung To-iletten, Andrea setzt sich auf eine Stufe und kotzt. Ihr Freund hat ihr gekündigt, weil sie seinen Geburtstag vergessen hat. Der mittlerweile auch in Milano eingetrof-fene Filmproduzent findet Andrea und spricht mit ihr, aber sie versteht nicht, was er will. Ebenso fruchtlos ist ein Gespräch mit Sergio.

Der Regisseur tritt vor die Kamera, stellt den Produzenten zur Rede und macht ihm klar, dass er nun zwar eine Rolle spiele, aber den weiteren Ablauf des Films nicht beeinflussen könne, weil er, der Produzent, eben auch nur ein Schauspieler sei. Während der Produzent deprimiert nach Norden fährt und pausenlos telefoniert, rast Sergio im Zug nach Süden. Im letzten Moment springt auch Andrea auf denselben Zug nach Rom. Sergio fühlt sich nach dem Anruf über-wacht und verbunkert sich in seinem Schlafab-teil. Andrea, Schwarzfahrerin, versteckt sich in Nischen, Ecken und Toiletten. Dann begeg-net sie Sergio auf dem Korridor. Sie folgt ihm, habe Angst und bettelt, in sein Abteil zu dürfen – er wehrt ab. Sie macht eine Szene, ein Zugs-begleiter kommt dazu – Sergio lässt Andrea wi-derwillig herein und schliesst die Tür. Die geht aber nicht ganz zu, jemand hat eine Pistole da-zwischengesteckt. Andrea, die aus Angst aufs obere Kajütenbett stieg, kickt mit dem Schuh den Pistolenlauf nach draussen und die Tür ist zu. Sergio erhält drohende Anrufe vom Safe-ty Manager der Investorengruppe, dazu pol-tert es dauernd an der Türe. Wer das sei, fragt Andrea. Das würde sie nicht wissen wollen, meint Sergio zynisch. Er zeigt ihr kurz die Dokumente, damit würde er nun Schluss machen. Beginnt die 500-Mio.-Dokumente zu zerreissen und lässt die Fetzen aus dem Fenster flattern. Sergio’s Handy klingelt und an der Türe ruft einer: POLIZIA – APRITE SUBITO! Die beiden sitzen in der Falle. Sergio ist am Ausrasten, wird bleich statt rot, sackt in sich zusammen, hat einen Herzinfarkt. Der Zug fährt in Roma Termini ein, Andrea stützt Sergio, der schwere Schlagseite hat. Lang-sam wanken sie in Richtung Bahnhofshalle, es sind starke Scheinwerfer da und Carabinie-ri. Sergio hält die Hände hoch – da zerreissen drei Schüsse den frühen Morgen. Sergio fällt tot zu Boden. Anna erbricht sich. Wer in Rom ist und Zeit hat, zu sehen, sieht die Schriftstellerin und den eleganten Alten manchmal in der blendenden Sonne oder in einer lauen Nacht, wie sie dem Tiber entlang spazieren.

(Dieser Text ist eine verworfene Erzählvari-ante eines Kinofilms, an dem zwei aargaui-sche Filmemacher arbeiten. Sie behandelt vier von acht Erzählebenen des künftigen Drehbuches.)

Milano broKe MY heartvon Albert Kuhn

Der Punkt zum Abschiedaufs Fens-terglas gehaucht

Der Zug fährt losdie Umrisse verrutschen

Einen Atem-zug langein klares Bild von dir

Dann schie-ben sichdie Vororte dazwischen

von Svenja Herrmann

die autorin (*1973) iSt PrograMMaSSiStentin iM

aargauer literaturhauS und betreibt eine FirMa Für begabungSFörderung,

Mentoring und SchreibwerKStätten

(www.SchreibStroM.ch). 2010 wurde Von ihr der

gedichtband «auSSchwärMen» iM wolFbach Verlag, zürich,

Publiziert. www.SVenJaherrMann.ch

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Juli 29 Klein / Fein

FrAu meise nistet üBerAll

von Walter Zuberbühler

ich habe in Badens Altstadt, wo’s zur holz-brücke hinabgeht, «frau meise» kennen gelernt, gegen Abend beim Kaffee. Am tischchen mit Diwan die grossmutter und die tochter und ihre kleinen mädchen, schauen Bilderbücher, erzählen, schwatzen. eine Frau mir gegenüber macht Pause zwischen Arbeit und Abend. ein mann mit laptop. zwei junge Frauen neben an. gäste queren das lokal nach hinten, wo die theke ist, es klingt fröhlich, vertraut, Freunde sind da. frau meises Webauftritt weitet den hori-zont. Das menu heisst: Kaffee – Kultur – Boutique – Kontakt. Das Bistro bietet Frühstück bis 16 uhr an; essen zu mittag und Abend. «Bei uns ist fast alles möglich.» – im «Archiv» Kultur sind veranstaltungen festgehalten. Die Boutique verkauft mode. Dies alles in räumen mit insgesamt 70 Quadratmetern Fläche. – ich habe respekt vor der Arbeit, die claudia nabholz (frau meise und andere meisen dazu) aufwendet für die Führung des vielgliedrigen Betriebs. ich fragte sie, ob man ihn «typisch Baden» nennen dürfte. eigentlich nicht, meinte sie, er könnte überall auf der Welt sein. Die idee sei Frucht eines Aufenthalts in Berlin. immer-hin sei ihr die Altstadtumgebung schon wichtig. unter den Pressestimmen (auf der Website) ist eine studie des gottlieb Dutt-weiler instituts, welche sich mit der zukunft der gastronomie beschäftigt. lokale in Weltstädten von tokio bis Baden (frau meise) sind beschrieben. sie haben mehr-

fachangebote, legen Wert auf Produkte, die in irgendeiner Weise aus der nähe kom-men; sie heben sich «vom mainstream einer oft lieblos-funktionalen Bedürfnisbefrie-digung» ab. Der stil der einrichtung aller-dings geht von heimelig-altmodisch bis zur rechtwinkligkeit mit glas und metall. Die Qualität des Angebots macht den ort, wo der gast sich aufgehoben fühlt. – ich las letzthin im geschichtsbuch: «Die zwei jahrzehnte vor dem ersten Weltkrieg wurden zur gründerzeit legendärer luxus-hotels in europa und in teilen der kolonialen Welt. … in nordafrika und Westasien besass man den vorteil der altbewährten institution der Karawanserei, die sich leicht modernisieren liess: oft geschlossene hofanlagen, in denen fremde Kaufleute mit ihren tieren übernachteten und in de- nen auch handel getrieben wurde.» (Quelle auf Anfrage) Wer weiss schon, welche überraschun-gen uns die heimische gastronomie bereit - hält. Der Begriff Karawanserei ist übrigens positiv geladen (siehe suchmaschine). er steht für das Wohlbefinden von arbeiten-den und erholung suchenden menschen. ich werde nicht mit dem Kamel bei frau meise die nacht verbringen wollen, aber wieder mal handel treiben im freundlichen Betrieb sehr wohl.

untere halde 15 5400 baden

www.FrauMeiSe.ch

Februar-tiPPS: Mi 2. Februar 20.30

worSt caSe Szenarien – eine

leSung Mit andreaS StorM und cathrin

StörMer

Do 3. Februar 20.30 labrador + SPecial

gueSt toM KriMi

Fr 18. Februar 20.30 der autoMat –

iMMer unterwegS hanno V. danielS

walter zuberbühler war lehrer

an der alten KantonSSchule

und lebt in aarau. er reiSt gleichSaM

alS idealer Julianer iMMer Mal

wieder deM KulturPrograMM nach und landet

in baden, lenzburg oder Muri.

Foto: Sarah Keller

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30 FebruarJournal de PariS

darum geht es doch, als Künstler: Wie kann ich eine Arbeit machen, im heute, in meiner zeit, in der ich lebe, die über das heute, über meine geschichte hinaus eine Wahrheit schafft? Das ist weiterhin die Ambition der Arbeit «Wirtschaftslandschaft Davos». und tatsächlich hat sich nichts, überhaupt nichts geändert in den letzten zehn jahren – oder gibt es mehr gerechtigkeit? mehr gleichheit? mehr Frie-den? mehr grosszügigkeit? mehr verständnis unter den völkern auf dieser Welt? oder gibt es heute

weniger Angst vor dem Anderen? übrigens gab es in der zwischen -zeit nicht nur die «Finanzmarkt-krise», sondern auch den 11. sep - tember, und dazu wurden zwei «globale Kriege» geführt, wobei der eine schon verloren ist und der andere ebenfalls verloren gehen wird. Aber ein WeF geht weiter, wie wenn nichts geschehen wäre! eine veranstaltung wie das WeF will uns vormachen, dass irgendje-mand irgendetwas im griff hat, aber wir wissen – nicht erst seit

Wikileaks – definitiv, dass niemand nichts im griff hat! Das WeF ist in Wirklichkeit ein eingeständnis der totalen machtlosigkeit, visionslosigkeit und ideenlosigkeit derer, die sich anmassen, die ‹mächti-

thomAs hirschhorn

«Wirtschaftslandschaft Davos» ist eines der wich­tigen Werke von Thomas Hirschhorn der letzten Jahre. Es wurde letztes Jahr vom Aargauer Kunst­haus angekauft und ist jetzt erstmals in Aarau zu sehen. Die Eröffnung der Ausstellung fand gleich­zeitig mit dem diesjährigen «World Economic Forum» (WEF) statt, auf welches sich Hirschhorns Arbeit bezieht. – Vier Fragen an den Künstler.

«Wirtschaftslandschaft Davos» entstand vor knapp 10 Jahren. In der Zwischenzeit fegte eine massive Finanzmarktkrise über die Welt. Hat das deine Sicht auf das Werk verändert?

«Wirtschaftslandschaft Davos» ist eine Arbeit, die – wie alle meine Arbeiten – versucht, eine Position zu beziehen und ich will mit der Arbeit «Wirtschaftslandschaft Davos» dieser Position eine Form geben. Darüber hinaus will ich – wie jeder Künstler – damit eine Wahrheit schaffen, eine universelle Wahrheit, eine Wahrheit, die über die aktuellen ereignisse hinaus eine Wahrheit schafft. Denn

gen› und die ‹einflussreichen› auf der Welt zu sein. in Wirklichkeit haben sie null ideen, null einfluss und null vision. Bei einer veran-staltung wie dem WeF wird nichts gedacht und nichts entworfen. Das WeF ist ein trauerspiel, von dem alle wissen, dass dabei absolut nichts herauskommen wird, was irgendeinem einzelnen menschen auf der Welt, auf Fragen bezüglich unserer komplexen und chaotisch schlingernden Welt eine Antwort geben würde. Aber mir geht es mit meiner Arbeit nicht darum herumzukritisieren – obwohl Kunst immer auch kritisch sein muss – mir geht es darum, mit meiner Arbeit zu versuchen, über Kritik hinauszugehen. Das will ich auch mit «Wirtschaftslandschaft Davos» – es geht darum, mit «Wirtschaftsland-schaft Davos» der globalisierung und seinen Konsequenzen gewollt oder ungewollt, eine Form zu geben. Denn während des WeF ist in Davos Ausnahmezustand, ich sage, dass in Davos, einmal pro jahr – dank dem WeF – der «Ausnahmezustand der Welt» herrscht, mit seinen Ängsten vor terrorismus und vor Attentaten. Der ‹unschuldige› Davoser Bewohner erlebt hautnah totale überwachung und staatsparanoia. in der friedlichen schneelandschaft herrscht höchster Alarmzustand. so halten – dank dem WeF – die ungelösten Weltprobleme, die öko-nomische, soziale und politische ungerechtigkeit einzug in Davos. Dem wollte ich eine Form geben, dem Fakt, dass trotz ernst ludwig Kirchner und thomas mann, dass trotz spengler-cup und trotz dem ingeniösen Davoser Flachdach – für einen moment – nur die sicherheit von scheinbar mächtigen und scheinbar einflussreichen zählt. Dass wirklich nur das zählt und dass alles andere, der Bolgenlift und der Davoser-schlitten, der hcD und die Deutschen heilstätten, unwichtig sind. hier, in diesem Ausnahmezustand muss – sich auf höhere Kräfte und staatsräson beziehend – das reale der realität weichen und es

«Ich will meine Arbeit mit Risiko-bereitschaft, mit Kopflosigkeit, mit Energie und mit Liebe machen.»

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Juli 31 thoMaS hirSchhorn

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32 FebruarJournal de PariS

entsteht eine neue, ungewollte Wirklichkeit. Das will ich zeigen, das ist die «Wirtschaftslandschaft Davos». Diese Wahrheit erlebt die Davoser Bevölke-rung einmal pro jahr und es verbindet sie – unge-wünscht und unerhofft – dadurch mit Kabul, Bagdad oder anderen städten der Welt. Das wollte ich zeigen, das ist die Form.

Was treibt dich an, Kunst zu machen, Künstler zu sein?

ich will Form geben. ich will der Welt – in der ich lebe – meine Form geben. ich will mich selbst erfin-den, ich will aufstehen, ich will etwas behaupten und etwas schaffen. ich will meine Form behaupten, gegen alles und gegen alle, aber als Form für sich. ich will arbeiten, mit Freude, mit spass, mit energie, mit lust und mit dem unabänderlichen Willen etwas zu schaffen, was einen neuen Begriff in der Kunst hervorbringt. ich will für ein «nicht-exklusi-ves Publikum» arbeiten. nie will ich jemanden durch meine oder in meiner Arbeit ausschliessen. ich will eine Arbeit machen, die Andere einschliesst und ich will eine Arbeit machen, die einen «Kri-tischen Körper» bildet. ich will immer eine dichte, geladene, komplexe Arbeit machen. nie will ich zum Kontext oder über den Kontext Kunst machen. ich will viel arbeiten, viel produzieren, ich sage

ja zu Produktion. Künstler zu sein ist nicht das Problem, Kunst zu machen, das ist das Problem, das ist meine mission. ich will meine Arbeit, die Kunst, als Werkzeug verstehen, als Werkzeug, mich mit der Welt auseinanderzusetzen. ich verstehe Kunst als Werkzeug, um mich mit der realität zu konfrontieren und ich will Kunst verstehen als Werkzeug, um mich mit der zeit – in der ich lebe – zu beschäftigen. ja, Kunst ist für mich ein Werkzeug, oder eine Waffe.

Kannst du deinen Werkprozess beschreiben?

Das Wichtigste ist nicht der Prozess, das Wichtigste ist die mission. ja, als Künstler brauchst du eine mission und meine mission heisst: Form geben! ich gehe, wie schon angedeutet, immer von der Form aus, meiner Form. Der Form, die ich geben kann, und die ich geben muss. ich erachte das als die wichtigste Frage in der Kunst. ich will absolut enga-giert sein gegenüber meiner Form. Die wichtigste Frage an mich ist: Welche Form soll meine Arbeit erhalten? ich frage mich, kann ich eine Form geben – die nur von mir ist, eine Form, die nur ich geben kann, eine Form, die nur ich so sehe und eine Form, die nur ich verteidigen kann – die über politische, ästhetische und kulturelle gewohn- heiten hinausgeht? Das ist, wenn du so willst, der eigentliche Prozess: meinen absoluten Formwillen

zu verwirklichen. Alles zählt dabei von Anfang an. ich will meine Arbeit mit risikobereitschaft, mit Kopflosigkeit, mit energie und mit liebe machen. Das Werk muss immer offensiv sein, präzise aber auch offen. Das alles muss im Werk drin sein. Das muss mein Werk ausstrahlen und ich muss während dieses Prozesses auf meinen ‹guten stern› vertrauen und ich muss es aushalten, von der ‹grazie› be - rührt zu werden, während ich meine Arbeit mache.

Du bist in Davos aufgewachsen und bist Aargauer Bürger. Hast du einen Bezug zum Kanton Aargau?

tatsächlich habe ich meine ersten 20 lebensjahre in Davos verbracht, in Davos, wo meine mutter immer noch lebt. ich bin ein Davoser! mit dem Kanton Aargau verbindet mich der zufall. Denn per zufall bin ich Aargauer Bürger – von lenzburg. Durch diesen zufall erhielt ich – vor jahren – einen Werkbeitrag des Aargauer Kuratoriums, und meine Arbeit wurde auch in der Folge vom Kanton Aargau unterstützt.* und per zufall wird nun meine Arbeit «Wirtschaftslandschaft Davos» in Aarau ausgestellt. es ist schön, dass mich diese zufälle an diesen Kanton binden, denn ist nicht ‹zufall› ein anderes Wort für die ‹Welt›? Die ‹eine Welt› – das ist das verständnis, das wir alle in einer, in dieser, in unserer, in unserer einzigen Welt leben. und ist nicht ‹zufall› ein anderes Wort für ‹universalität› und geht es nicht darum, diesen zufall zu fixieren? geht es nicht darum, ‹universalität› zu fixieren?

thoMaS hirSchhorn, bildender KünStler, auFgewachSen in daVoS, lebt heute in PariS.

die Fragen Stellten angela thut und Koni wittMer.

die antworten hat thoMaS hirSchhorn SchriFtlich

ForMuliert.

aargauer KunSthauS aarau

thoMaS hirSchhorn, «wirtSchaFtSlandSchaFt

daVoS»

bis 25. april Siehe auch K wie KunSt, Seite 14

Donnerstag 10. März 18.30: KünStlergeSPräch

thoMaS hirSchhorn iM geSPräch Mit Madeleine

SchuPPli, direKtorin aargauer KunSthauS.

*Neben Beiträgen zu Ausstellungspro-jekten (1992 Shed-halle, Zürich; 1998 Portikus, Frankfurt a. M., 1999 Bien-nale, Venedig) wur-de Thomas Hirsch-horn vom Aargauer Kuratorium 1993 ein Werkbeitrag zu-gesprochen.

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Juli 33 thoMaS hirSchhorn

Aufbau von «Wirtschaftslandschaft Davos» im Kunsthaus Aarau (Foto René Rötheli)

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34 FebruarScreenologY

gooDnight noBoDy

von Thomas Meier

«Kein wichtiger Film», sagt Henry, als wir noch tief in unseren Kinostühlen sitzen. Leute, die ihr Urteil abgeben, so lange der Abspann noch läuft, verlieren ihr Recht auf körperliche Unver-sehrtheit. Finde ich. Jeder Film hat eine Aura. Ihrem Glimmen möchte ich ungestört im Dunkel der Wort-losigkeit nachblicken. Abspannsitzenblei-ber, so verhöhnte mich Tristan jeweils und wartete draussen auf mich.

KinoStart: 3. Feb. 2011

goodnight nobodY

ch, 2010

regie: Jacqueline zünd Mit: Mila dean, JéréMie

KaFando, lin Yao, Fedir neSterchuK

httP://SaKKaden.SwiSSblog.ch

zu henry sage ich nichts. Als wir uns aufrichten, haue ich ihm stattdessen mit der flachen hand auf den Kopf. «stell dir vor. ein leser hat mir geschrieben», sage ich dann. «Beat gloor. er nahm Bezug auf unseren streit über Des hommes et des dieux. er schrieb, das Wort wichtig erinnere an Wicht. es sei sein Adjektiv. ein Wicht ist wichtig, wie die luft luftig ist. Das erzeuge vielleicht den leicht nervenden unterton des armen Adjektivs, das ver-mutlich gar nichts dafür könne.» henry schaut mich verblüfft an: «Wichtig kommt von Wicht? Aber… Aber das stimmt doch nicht.» es ist, wie es ist: gewisse humor- und Poesie-ebenen sind henry unzugänglich. Wir gehen die strasse entlang. «Das ist ein schöner Film», sage ich, um das gespräch wieder aufzunehmen. «und schön ist neuerdings ein euphemismus für belanglos, oder?», gibt henry zurück. «um was geht es denn im Film?», fährt er erregt fort. «um schlaflosigkeit. es ist ein Dokumentarfilm über schlaflosigkeit. und was erfahre ich darüber? es gibt offenbar vier leute auf dieser Welt, die nachts nicht schlafen. Fedir in der ukraine, der seit 20 jahren nicht mehr geschlafen hat und als medizinisches Wunder gilt. jérémie in Burkina Faso, der das theater bewacht. lin yao in china, die nicht schlafen kann vor lauter lernen und nicht lernen kann vor lauter müdigkeit. mila in den vereinigten staaten, die mit dem Auto durch die nacht fährt, um die zeit totzuschlagen. that’s it. mehr informationen erhalten wir nicht. spätestens nach 30 minuten dreht sich der Film im Kreis.» «Warte, henry. Warte, warte.» Wir bleiben stehen. «guck in den himmel. Was siehst du?» henry schaut mich an, schaut in den himmel, schaut mich an, schaut in den him-mel, öffnet den mund, schaut mich wieder an und schliesst seinen mund. henry ist ein mensch, der auf Partnersuche im internet schreibt: Ich stehe mit beiden Beinen im Leben. Mit mir kann man Pferde stehlen. ich versuche es trotzdem: «Goodbye Nobody ist ein filmi-sches gedicht. Das ist kein sachbuch. jedes Bild ist ein fotografisches Kunstwerk und bringt jene rilke-tiefen in uns zum schwingen. Das Dunkel spült diese ganz anderen ein-zelheiten des lebens an die oberfläche. scheinbar Bedeutsa-mes verliert seine Dringlichkeit. Der ruhige Puls der nacht öffnet die Fragen, die im täglichen verdrängungskampf um Aufmerksamkeit untergehen. und hier zeigt sich der stille zauber des Films: Die Fragen nennt er nicht. er schafft es, dass sie aus meinem eigenen Alltagsmüll auftauchen. indem die Bilder diese weite verbundenheit der nacht erzeugen. und trotzdem: Die vier Protagonisten sind nicht befreite geister der nacht. Auch in ihnen glüht das vergebliche stre-ben des menschen. Das ist herzerwärmend. mag es auch hin und wieder inszeniert wirken, es ist herzerwärmend.» ich sehe henry erwartungsvoll an. sein gesicht zeigt guten Willen. seine Worte lenken ab: «Das war der siegerfilm des zürcher Filmfestivals. Wusstest du das? ich dachte, die machen auf hollywood-glamour. silvester stallone, oliver stone, milos Forman und so.» ich lache: «es ist, wie es ist.» Als wir weitergehen, schaue ich in den tiefen nachthimmel, der leise glitzert.

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Juli 35 rubriK titel

Man nehme Leonard Cohens furchige Stimme und poetische Weise, etwas inter-textuelle Liebe, den ¾-Takt einst rebelli-scher Walzer, mind. 6 Minuten gesegne-tes Sitzen, Wein, Whisky oder Wasser und lasse sich zum Tanz auffordern. Gegen den Uhrzeigersinn setzen sich nun drehend ambivalente Wortpaare und achtsam plazierte Metaphern in Bewegung. Dem Morgen wurde ein Stück entrissen, ich habe gehört, es hängt nun in der Gale-rie des Frosts. Verloren geht nichts im Or-bit des Walzers und geliebt wird dort auch. Gipsy, Gospel, Jazz, Blues und Pop verbin-den sich ebenso schwebend wie Schönheit, Geniales und wahrhaft Verstörendes. Vielleicht sieht man ja aus einem der 900 Fenster der besungenen Halle den Baum, auf welchem sich die Tauben zum Sterben niederlassen? Cohen ist mehr als Musik hören. Man betritt den Raum und findet das vom Mond verschwitzte Bett vor. Sogleich steht man

im Dialog, interpretiert oder parodiert. Man empfindet mindestens parallel. Durch sprachliche Dichte springt die Tür weit auf, immer die Wahl, Freiheit liegt einem Ge-schenk gleich zwischen den Zeilen. Mit den 10 mild gealterten Frauen aus Wien sticke ich nun an der Misch-technik-Collage weiter. Hin und wieder wandert mein Blick zu der Schulter hinü-ber, an der sich der Tod gerade ausweint. Ein Tänzer, gleich links von mir und als Fluss verkleidet, spricht: Im Walzer liegt alles und er gehört nun dir. «I entered this world and I am so happy to say, I never left it» (so Lenonard Cohen bezüglich Lorcas Schaffen).

Leonard Cohen, I’m your man, 1988

eliane zgraggen lebt in lenzburg, illuStriert, Macht bühnenbilder und geStalteriSche

leitungen Für daS KulturhauS toMMaSini und daS StadtFeSt baden, unterrichtet bg und hört

auch gerne SquarePuSher.

taKe thiS waltz zuM beiSPiel

von Eliane Zgraggen

Unter diesen Kontaktadressen beraten wir Sie gerne:

Juli Kulturmagazin AargauPostfach, 5600 LenzburgT 062 888 01 66/056 470 03 [email protected]

ProgrammZeitung Verlags AGPostfach 312, 4001 BaselT 061 262 20 40, F 061 262 20 [email protected]

Berner KulturagendaKontaktadresse: Publicitas AGSeilerstrasse 8, 3001 BernT 031 384 12 64, F 031 384 14 [email protected]

Das KulturmagazinBruchstrasse 53, Postfach, 6000 Luzern 7T 041 410 31 07, F 041 410 00 [email protected]

KoltPostfach 1927, 4600 OltenT 079 253 15 [email protected]

Verlag SaitenBlumenbergplatz 3, Postfach 556, 9004 St. GallenT 071 222 30 66, F 071 222 30 [email protected]

Vaduzer Medienhaus AGMonatsmagazin «KuL»Lova Center, Postfach 884, FL-9490 VaduzT +423 236 16 64, F +423 236 16 [email protected] * Sofern in mindestens zwei Titeln des Kulturpools verbindlich gebucht wird.

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Betriebsbeiträge an weitere Kultureinrichtungen

Mit dem revidierten und im Januar 2010 in Kraft gesetzten neuen Kultur-gesetz hat der Regierungsrat neu die Möglichkeit, private Kultureinrichtun-gen mit «mindestens kantonaler Be-deutung» mit mehrjährigen Betriebs-beiträgen zu subventionieren. Bisher mussten diese Einrichtungen alljähr-lich beim Kuratorium Gesuche vor-legen, was für professionell geführte Kulturbetriebe ein kaum haltbarer Zu-stand war, da er kaum Planungssicher-heit bot. Neu können sich um solche Beiträge Kulturinstitutionen bewerben, die bestimmte Grundvoraussetzungen erfüllen, wie z.B. einen Mindestjahres-umsatz von 400’000 Franken und min-destens 300 Stellenprozente.Nachdem bereits im vergangenen Som-mer eine erste Serie von Beiträgen ge-sprochen wurde, hat der Regierungs-rat jetzt auf Antrag der Kommission für Kulturfragen vier weiteren Kultu-reinrichtungen solche Beiträge bewil-ligt: dem Aargauer Symphonie Orches-ter, dem KiFF Aarau, dem Künstlerhaus Boswil und Murikultur, dem Zusam-menschluss verschiedener Veranstal-ter in Muri. Im August 2010 hatte der Regierungsrat bereits das Stapferhaus Lenzburg, das Museum Langmatt, Ba-den, und das Schweizer Kindermuseum, Baden, für Betriebsbeiträge erkoren.

Kulturkonzept Baden

Kuratorium: Anmeldetermin für Ateli-ers und Werkbeiträge MusikNoch bis zum 15. Februar 2011 kön-nen sich Kulturschaffende aller Spar-ten sowie Kulturvermittler/innen beim Aargauer Kuratorium um einen Ate-lieraufenthalt im Jahr 2012 bewer-ben. Welche Bedingungen für eine Be-werbung erfüllt werden müssen, fin-den interessierte Kulturschaffende auf der Website des Kuratoriums (www.ag.ch/kuratorium). Der 15. Februar ist gleichzeitig der Anmeldetermin für Bewerbungen um Werkbeiträge in der Sparte Musik (Jazz, Klassik, Rock/Pop).

www.ag.ch/KuratoriuM

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ODER WAS IST AUS DEN ALTERNATIVEN KULTURHÄUSERN GEWORDEN?

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