KAPITEL 24 GESAMTWIRTSCHAFTLICHE ZIELE … · In einer zweiten Gruppe werden alle Haushalte zum...

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Volkswirtschaftslehre M. Lüthi / VWL / Kap. 24 Seite 1 KAPITEL 24 GESAMTWIRTSCHAFTLICHE ZIELE UND MASSZAHLEN Lernziele Was sind die Hauptziele makroökonomischer Politik? Wie wird Arbeitslosigkeit, Produktion einer Volkswirtschaft, Wachstum und Inflation gemessen? Welches sind einige der zentralen Probleme bei der Messung dieser Variablen? Wie alle Wissenschaften beruht auch die Makroökonomik auf dem Zusammenspiel von Theorie und Beobachtung. Ziel ist es ja, zu verstehen, wie die Wirtschaft funktioniert. Die Beobachtung der Wirtschaft liefert die Basis für die Theorien. Diese können durch empirische Beobachtung überprüft (falsifiziert) werden. Eine systematische und objek- tive Quelle von Informationen stellen die verschiedenen Wirtschaftsstatistiken dar. Wirt- schaftswissenschaftler verwenden Statistiken, um ein quantitatives Mass für die wirt- schaftliche Leistung zu erhalten. Diese statistischen Reihen liefern das Datenmaterial, das die Makroökonomen bei ihrer Analyse der Wirtschaft verwenden. Sie dienen aber auch der Wirtschaftspolitik zur Beobachtung der Wirtschaft und stellen eine wichtige Entscheidungsgrundlage für wirtschaftspolitische Massnahmen dar. In Kapitel 24 werden die wichtigsten Kennziffern, die den Zustand einer Volkswirtschaft beschreiben, beschrieben. Ökonomen suchen in diesen Zahlen nach Mustern und wenn sich Regelmässigkeiten finden, wird nach den Gründen gefragt. Mit ökonomischen Variablen sind auch Messprobleme verbunden. Diese sind ebenfalls anzuführen. Drei ökonomische Kennzahlen sind für die makroökonomische Analyse von ganz zent- raler Bedeutung: Bruttosozialprodukt (BSP) / Bruttoinlandsprodukt(BIP): es beschreibt gleichzeitig das Gesamteinkommen der betrachteten Volkswirtschaft und die Höhe der Produktion von Waren und Dienstleistungen. Preisindex der Lebenshaltung: er misst das Preisniveau (Inflation) Arbeitslosenquote: sie gibt an, welcher Anteil der Erwerbspersonen ohne Beschäftigung ist. Wie werden diese Kennzahlen ermittelt und welche Aussagen über die wirtschaftliche Lage lassen sich aus ihnen ableiten?

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KAPITEL 24GESAMTWIRTSCHAFTLICHE ZIELE UND MASSZAHLEN

Lernziele

Ø Was sind die Hauptziele makroökonomischer Politik?

Ø Wie wird Arbeitslosigkeit, Produktion einer Volkswirtschaft, Wachstum und Inflationgemessen?

Ø Welches sind einige der zentralen Probleme bei der Messung dieser Variablen?

Wie alle Wissenschaften beruht auch die Makroökonomik auf dem Zusammenspiel vonTheorie und Beobachtung. Ziel ist es ja, zu verstehen, wie die Wirtschaft funktioniert.Die Beobachtung der Wirtschaft liefert die Basis für die Theorien. Diese können durchempirische Beobachtung überprüft (falsifiziert) werden. Eine systematische und objek-tive Quelle von Informationen stellen die verschiedenen Wirtschaftsstatistiken dar. Wirt-schaftswissenschaftler verwenden Statistiken, um ein quantitatives Mass für die wirt-schaftliche Leistung zu erhalten. Diese statistischen Reihen liefern das Datenmaterial,das die Makroökonomen bei ihrer Analyse der Wirtschaft verwenden. Sie dienen aberauch der Wirtschaftspolitik zur Beobachtung der Wirtschaft und stellen eine wichtigeEntscheidungsgrundlage für wirtschaftspolitische Massnahmen dar.

In Kapitel 24 werden die wichtigsten Kennziffern, die den Zustand einer Volkswirtschaftbeschreiben, beschrieben. Ökonomen suchen in diesen Zahlen nach Mustern undwenn sich Regelmässigkeiten finden, wird nach den Gründen gefragt.

Mit ökonomischen Variablen sind auch Messprobleme verbunden. Diese sindebenfalls anzuführen.

Drei ökonomische Kennzahlen sind für die makroökonomische Analyse von ganz zent-raler Bedeutung:

Bruttosozialprodukt (BSP) / Bruttoinlandsprodukt(BIP): es beschreibt gleichzeitig dasGesamteinkommen der betrachteten Volkswirtschaft und die Höhe der Produktion vonWaren und Dienstleistungen.

Preisindex der Lebenshaltung: er misst das Preisniveau (Inflation)

Arbeitslosenquote: sie gibt an, welcher Anteil der Erwerbspersonen ohne Beschäftigungist.

Wie werden diese Kennzahlen ermittelt und welche Aussagen über die wirtschaftlicheLage lassen sich aus ihnen ableiten?

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Der einfache und erweiterte Wirtschaftskreislauf

Eines der Hauptziele der Makroökonomie besteht darin, einen Überblick über die Ge-samtwirtschaft zu vermitteln. Zu diesem Zweck werden einzelne Typen von Wirt-schaftssubjekten zu Blöcken zusammengefasst und die zwischen ihnen bestehendenökonomischen Beziehungen als Ströme dargestellt.

Betrachtet sei zuerst eine ganz einfache Volkswirtschaft, in der es nur zwei Typen vonWirtschaftssubjekten gibt: Unternehmungen und Haushalte. Die Unternehmungen stel-len Konsumgüter her, die sie den Haushalten verkaufen. Die Haushalte ihrerseits stel-len den Unternehmungen die ihnen gehörenden Produktionsfaktoren gegen Entgelt(Lohn, Zins und Gewinn) zur Verfügung. Es ergeben sich folgende Beziehungen:

Der Output wird von den Unternehmungen produziert. Der Wert dieses produziertenOutputs ist das Bruttoinlandprodukt. Das BIP beinhaltet sowohl den Wert von produ-zierten Gütern, wie beispielsweise von Automobilen und Eiern, als auch den Wert vonDienstleistungen, wie Haarschneiden und medizinische Leistungen. Die Unternehmun-gen produzieren den Output, indem sie die Produktionsfaktoren wie Boden, Arbeit undKapital verwenden und dafür bezahlen. Diese Bezahlung der Unternehmungen stelltdas in der Volkswirtschaft verdiente Einkommen dar. Also muss der Wert des Outputsdem Wert der in der Volkswirtschaft erhaltenen Einkommen entsprechen. Die Summeder Ausgaben für Güter ist ebenfalls gleich dem Wert des Outputs. Das BIP ist gleichdem in der Volkswirtschaft verdienten Gesamteinkommen und entspricht auch den Ge-samtausgaben. (Allerdings gibt es auf den tatsächlichen Volkseinkommenskonten einebeträchtliche Komplexität bei der Beziehung des BIP's zum Volkseinkommen und zuden Gesamtausgaben. Diese Komplexität entsteht grösstenteils aus der Rolle desStaates und aus der Präsenz des Aussenhandels.) Der Wert der Güterströme kann da-her auch anhand der leichter messbaren Geldströme erfasst werden.

Oder kurz zusammengefasst:

- Die Konsumausgaben entsprechen dem Einkommen.- Die produzierten Konsumgüter stellen den Output dieser einfachen Volkswirtschaft dar.- Der Konsumgüterstrom entspricht dem Output und dieser wiederum dem Einkommen.- Den Output bezeichnet man auch als Bruttoinlandprodukt.- Aus dem einfachen Wirtschaftskreislauf ergeben sich drei Möglichkeiten der Mes-

sung des Outputs einer Volkswirtschaft: Entstehungsrechnung (Produktion), Verwen-dungsrechnung (Konsum etc.), Verteilungsrechnung (Einkommen etc.).

Der einfache Wirtschaftskreislauf entspricht nicht der Wirklichkeit. Einbeziehen mussman noch die Sektoren Staat, Ausland und Vermögensbildung.

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Die Staatsausgaben bestehen aus Güterkäufen und Löhnen, die Staatseinnahmen ausSteuern. Daneben gibt es staatliche Geldzahlungen, denen keine Güterströme ent-sprechen. Man bezeichnet sie als Transfers. Beispiele sind Subventionen und Sozi-alleistungen. Steuern sind auch Transfers, da ihnen keine spezifische Gegenleistungdes Staates gegenüber stehen. Hinsichtlich des Auslandes sind die Güterströme (Ex-port und Import) und der Abfluss und Zufluss von Devisen zu berücksichtigen. DieHaushalte legen einen Teil ihrer Einkommen als Ersparnisse auf die Seite. Die Unter-nehmungen stellen auch Investitionsgüter her. Zudem behalten sie einen Teil ihrerGewinne ein (unverteilte Gewinne). Zwischen Ersparnissen und Investitionen bestehtein Zusammenhang: sie sind ex post aus definitorischen Gründen gleich hoch (ex post:in der Vergangenheit realisierte Grössen, in Nachhinein; ex ante - zukunftsbezogenePlan-, Erwartungs- oder Zielgrössen).

Aus dem erweiterten Wirtschaftskreislauf kann man die Komponenten der volkswirt-schaftlichen Nachfrage erkennen. Sie bestehen aus dem Konsum der Haushalte, denInvestitionen von Unternehmungen, den Staatsausgaben und den Nettoexporten (Ex-porte - Importe).

Die Messung des Outputs

Der Output einer Volkswirtschaft besteht aus Millionen von Gütern und Dienstleistun-gen. Um diese vergleichbar zu machen, bewertet man sie mit ihrem Geldwert und ad-diert alle Geldwerte. Dabei darf man nur die Endprodukte berücksichtigen. Als Resultaterhält man das Bruttoinlandprodukt (BIP; engl. GDP = gross domestic product). DerMarktpreis wird verwendet, weil er zeigt, wie viel die Menschen für ein bestimmtes Gutzu zahlen bereit sind. Kosten Äpfel 0.5 CHF je Stück und werden davon 4 Stück er-zeugt und kosten Birnen 1 CHF je Stück und werden 3 Stück erzeugt, so ergibt sich einBIP von

BIP = (Apfelpreis x Apfelmenge) + (Birnenpreis x Birnenmenge)

= ( 0.5 CHF x 4 Stück) + (1 CHF x 3 Stück) = 5 CHF

Der Wert eines CHF verändert sich mit der Zeit. Vieles kostet mit der Zeit mehr. DasBIP soll nun nicht vortäuschen, dass der Output gewachsen ist, in Wirklichkeit sind a-ber nur die Preise gestiegen. Deshalb korrigiert man das BIP um Veränderungen desdurchschnittlichen Preisniveaus. Das nicht korrigierte BIP ist das nominelle BIP. Daspreisbereinigte BIP ist das reale BIP. Dabei gilt:

reales BIP = nominales BIP / Preisniveau.

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Die EntstehungsrechnungDas Ziel der Nationalen Buchhaltung ist es, die Leistung einer Volkswirtschaft zahlen-mässig zu erfassen, um den Unternehmern, den Arbeitnehmern, den Konsumenten,den Politikern und Wissenschaftlern die für ihre Tätigkeit notwendigen Informationen zuliefern. Dabei kann man die Leistung einer Volkswirtschaft unter verschiedenen Aspek-ten betrachten. Ein erster Aspekt ist die Entstehungsseite oder die Entstehungs-rechnung, bei der die folgende Fragestellung im Zentrum des Interesses steht:Wer hat die Leistung erbracht?

Was aber bedeutet überhaupt Leistung einer Volkswirtschaft und wie kann man siemessen? Zu Beginn sei die Frage gestellt, wie man die Leistung einer Unternehmungmisst.Das Instrument dafür ist die Erfolgsrechnung und als Massstab dient - aus betriebswirt-schaftlicher Optik - der Gewinn und der Umsatz. Aus volkswirtschaftlicher Optik ist al-lerdings der Gewinn allein kein guter Massstab. Denn neben dem Gewinn erbringt eineUnternehmung noch andere Leistungen, so bezahlt sie zum Beispiel ihren MitarbeiternLöhne aus, welche für eine Volkswirtschaft von zentraler Bedeutung sind. Im Rahmender Verteilungsrechnung wird dieser Aspekt wieder aufgegriffen.

Der Umsatz enthält Vorleistungen und ist deshalb kein geeignetes Mass für das Brut-toinlandprodukt (BIP), da andernfalls Doppelzählungen vorhanden wären. Vorleistun-gen sind alle nicht dauerhaften Produktionsmittel, die von anderen Produzenten bezo-gen werden. Dazu zählen Sachgüter wie Roh- und Hilfsstoffe,Energie, Halbfabrikate und Handelswaren ebenso wie Dienstleistungen (z.B. Transport-leistungen, Beratungshonorare, Leistungen der PTT, Mietaufwand). Ein Kauf eines In-vestitionsgutes (z.B. einer Maschine) gehört selbstverständlich nicht zu den Vorleistun-gen, da es sich dabei nicht um eine Aufwand-, sondern um eine Vermögenserhöhunghandelt, die nicht in der Erfolgsrechnung, sondern in der Bilanz erfasst wird. DerVolkswirtschafter interessiert sich also primär weder für den Gewinn noch für den Um-satz. Für ihn sind die Leistungen von Interesse, die von den verschiedensten Produ-zenten neu erbracht wurden. Mit anderen Worten geht es ihm um den Wert, welcherden Vorleistungen durch die Produktion und den anschliessenden Absatz hinzugefügtwurde. Deshalb bezeichnen wir diese Grösse mit dem Begriff Wertschöpfung:

Wertschöpfung ist die Differenz zwischen den abgegebenen Leistungen eines Produ-zenten (Produktionswert) und den von ihm übernommenen Leistungen (Vorleistungen).

Vorleistungen Produktion Produktionswert

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Dieser Begriff der Wertschöpfung soll - vorerst am Beispiel einer einzelnen Unterneh-mung - noch exakter betrachtet werden. Zusätzlich zu den Gütern, die der Unterneh-mer aus der laufenden Produktion verkauft, ist es möglich, dass er für sich selber Güterproduziert, dass er produzierte Güter ins Lager legt oder zusätzlich Güter aus dem La-ger verkauft. Die Summe aller Verkäufe, den Wert der Bestandesveränderungen undden Wert der selbsterstellten Anlagen, bezeichnen man mit Bruttoproduktionswert.

Wie oben beschrieben, subtrahiert man vom Bruttoproduktionswert alle Vorleistungenund erhält dadurch die Bruttowertschöpfung.

Subtrahiert man von der Bruttowertschöpfung die Abschreibungen, resultiert die Netto-wertschöpfung, die dem Wert entspricht, den man maximal verbrauchen könnte, ohnedie Vermögenssubstanz zu gefährden. Die in der Brutto- und Nettowertschöpfung ent-haltenen Leistungen werden dabei zu den Preisen bewertet, zu denen sie am Marktverkauft werden (Bewertung zu Marktpreisen).

Die Nettowertschöpfung zu Faktorkosten ergibt sich, indem von der Nettowertschöp-fung zu Marktpreisen die indirekten Steuern subtrahiert und die Subventionen addiertwerden.

Die folgende Übersicht verdeutlicht die Zusammenhänge.

Begriff Definition

Bruttoproduktionswert Wert aller Verkäufe + Wert der Bestandes-veränderungen + Wert der selbsterstellten An-lagen

- Vorleistungen Alle von Unternehmungen und der öffentlichenHand bezogenen und für die Produktion ver-brauchten Güter und Dienstleistungen

= Bruttowertschöpfung Der erarbeitete Mehrwert

– Abschreibung

= Nettoproduktionswert Mehrwert, den man maximal zu Marktpreisenverbrauchen könnte, ohne die Ver-mögenssubstanz zu gefährden

- Indirekte Steuern + Subventionen

= Nettowertschöpfung Mehrwert, den man an diezu Faktorkosten Produktionsfaktoren ausbezahlen kann

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Wer - ausser den Unternehmungen - produziert in einer Volkswirtschaft auch noch et-was, erbringt also eine Wertschöpfung?

Die Wirtschafssubjekte können in Gruppen zusammengefasst werden, deren Tätigkeitin etwa dieselbe ist:

Eine erste Gruppe, deren Wertschöpfungsberechnung bereits besprochen wurde, sinddie Unternehmungen. Zum Sektor Unternehmungen gehören auch die staatlichen Be-triebe, die ihre Leistung entgeltlich zur Verfügung stellen (z.B. PTT, SBB).

In einer zweiten Gruppe werden alle Haushalte zum Sektor Private Haushalte zusam-mengefasst. Zu dieser Gruppe zählen auch private Organisationen ohne Erwerbscha-rakter wie z.B. Vereine, Verbände oder Kirchen.

In jeder Wirtschaft spielt der Staat eine wichtige Rolle. Er erhebt einerseits Steuern,andererseits gewährt er Sozialleistungen und Subventionen und erfüllt öffentliche Auf-gaben (z.B. Bildungswesen, Krankenhäuser, Militär). Zum Sektor Staat gehören derBund, die Kantone und Gemeinden sowie die Sozialversicherungen.

Nicht vergessen werden darf das Ausland. Gerade in einem kleinen Land wie derSchweiz fliessen viele Leistungen ins Ausland, bzw. stammen von dort.

Um die Leistungsfähigkeit einer Volkswirtschaft zu erhalten, muss man die Summe derWertschöpfung aller Sektoren ermitteln. Dazu gehört die Wertschöpfung von Archi-tekten, Banken, Unterhosenherstellern, Wahrsagern ebenso wie diejenige von Lehrern,Hausfrauen oder -männern.

Wie steht es aber mit der Wertschöpfung im Sektor Private Haushalte?Zweifellos werden in privaten Haushalten eine Menge von Leistungen erbracht: Reini-gung, Erziehung, Krankenpflege, Unterhaltung, Bewirtung, Psychotherapie usw. Wiebei den Unternehmungen werden diese Leistungen unter erheblichem Einsatz vonProduktionsfaktoren (Arbeit, Kapital, know-how und Boden) erbracht. Weil dabei aberkeine Markttransaktionen stattfinden, finden diese Leistungen auch keine Berücksichti-gung in der Nationalen Buchhaltung.

Findet beim Staat eine Wertschöpfung statt?Ohne die verschiedenen staatlichen Leistungen wäre das Leben unangenehmer (Auto-bahnen, Ruhe und Ordnung, Rechtssicherheit, öffentliche Schulen). Allerdings ist esschwierig, diese Leistungen zu bewerten. Denn wie bei den privaten Haushalten habenstaatliche Leistungen in den meisten Fällen keinen Marktpreis, ihre Finanzierung findeteben nicht über den Verkauf, sondern über Steuern statt. Bei der Lösung dieses Prob-lems bedient man sich eines statistischen Tricks. Im Gegensatz zum Sektor Haushaltekennt man beim Staat nämlich den Aufwand, der für die Leistungserstellung erforder-lich war. Man nimmt deshalb an, dass die Bruttowertschöpfung der Summe aller Auf-wände abzüglich der Vorleistungskäufe entspricht.

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Wie kann das Ausland in die Wertschöpfungsrechnung einbezogen werden?Bei der Entstehungsrechnung bereitet die Berücksichtigung des Auslandes überhauptkeine Probleme, denn die Exporte sind selbstverständlich im Bruttoproduktionswertenthalten. Die importierten Vorleistungen werden, wie alle anderen Vorleistungen auch,vom Bruttoproduktionswert abgezogen, um die Bruttowertschöpfung zu erhalten.

Um die gesamtwirtschaftliche Wertschöpfung zu erhalten, addiert man die Wertschöp-fung der Unternehmungen und des Staates. Die Leistungen in den privaten Haushaltenbleiben unberücksichtigt, da sie unentgeltlich erbracht werden.

Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist die Gesamtheit der im Laufe eines Jahres im Inlanderzeugten Wertschöpfungen.Eine oft gehörte und bekannte Definition lautet:Das Bruttoinlandsprodukt ist die Gesamtheit der im Laufe eines Jahres im Inland pro-duzierten Güter und geleisteten Dienste.

Diese Definition kann richtig sein. Es muss allerdings klargestellt werden, dass es sichdabei nur um Güter und Dienste handelt, die an den Konsumenten gehen, andernfallssind sie Vorleistungen und gehören somit nicht zum Bruttoinlandsprodukt.

Eine zweite präzise Definition lautet deshalb:

Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist die Gesamtheit aller im Laufe eines Jahres im Inlandproduzierten Güter und Dienstleistungen unter Abzug aller Vorleistungen.

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Übersicht zur gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung:

Begriff Definition

Bruttoproduktionswert Wert aller Verkäufe + Wert der Be-standesveränderungen an Fertigprodukten +Wert der selbsterstellten Anlagen aller Unter-nehmungen und des Staates

- Vorleistungen Alle von Unternehmungen und der öffentlichenHand bezogenen und für die Produktion ver-brauchten Güter und Dienst- leistungen

= Bruttoinlandsprodukt Summe aller Bruttowertschöpfungenvon Unternehmungen und Staat im Inland

- Abschreibungen

= Nettoinlandsprodukt Wertschöpfung, die man maximalzu Marktpreisen verbrauchen könnte, ohne die Vermögens-

substanz einer Volkswirtschaft zu gefährden- Indirekte Steuern + Subventionen

= Nettoinlandsprodukt Wertschöpfung, die man an dieProduktionsfaktoren ausbezahlen kann.

Die Behandlung der Lagerinvestitionen

Angenommen, ein Unternehmen einer Ein-Gut-Wirtschaft stellt zusätzliche Arbeiterein, um mehr Brot zu erzeugen. Es bezahlt die entsprechenden Löhne, kann dasBrot aber nicht verkaufen. Wie berührt diese Transaktion das BIP?

Die Antwort hängt davon ab, was mit dem nicht verkauften Brot geschieht. Falls dasBrot verdirbt, vermindert sich der Gewinn des Unternehmens genau im Umfang derzusätzlichen Lohnzahlungen. Das Unternehmen hat nämlich eine höhere Lohnsum-me gezahlt, ohne dafür einen Vorteil zu erlangen. Weil die beschriebene Transak-tion weder die Ausgaben berührt noch das Gesamteinkommen verändert, bleibt dasInlandprodukt konstant. (Es ändert sich aber selbstverständlich das Verhältnis vonLöhnen und Gewinnen.) Falls das Brot nicht verdirbt, sondern auf Lager genommenwird, um zu einem späteren Zeitpunkt verkauft zu werden, wird die Transaktion ent-sprechend den Gepflogenheiten der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung andersbehandelt. In diesem Fall vermindert sich der Gewinn des betrachteten Unterneh-mens nicht. Es wird so getan, als ob die Eigner des Unternehmens das Brot für dieLagerhaltung kaufen. Nunmehr steigt das Inlandprodukt: das Einkommen steigt we-gen der höheren Löhne, denen nun keine Gewinnreduzierung gegenübersteht, unddie Ausgaben steigen wegen der Erhöhung der Lagerhaltung. Die allgemeine Regel

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lautet: Wenn eine Unternehmung ihre Bestände an Gütern vergrössert, werdendiese Lagerinvestitionen sowohl als Teil der Ausgaben als auch als Teil des Ein-kommens gezählt. Die Produktion, die für eine Erhöhung der Lagerhaltung bestimmtist, trägt daher genauso zu einem höheren BIP bei wie die Produktion, die unmittel-bar abgesetzt wird.

Die Verwendungsrechnung

Man muss zwischen Endprodukten und Vorprodukten unterscheiden, um Doppel-zählungen zu vermeiden (siehe dazu auch den folgenden Abschnitt). Eine Möglich-keit, den Wert der Endprodukte zu berücksichtigen, besteht darin, zu sehen, werdiese Produkte kauft. Einige Endprodukte werden von Haushalten konsumiert, manspricht vom Konsum der Haushalte. Einige Produkte werden von Unternehmen ge-nutzt, um Gebäude und Produktionsanlagen herzustellen. Man redet von Investition.Andere Endprodukte werden vom Staat gekauft und als Staatsverbrauch bezeich-net. Wiederum andere gehen in den Export und damit ins Ausland. Einige Güterwerden aus dem Ausland importiert und müssen deshalb wieder abgezogen werden.Es ergibt sich nun:

BIP=C+I+G+X-M (C = Konsum, I = Investitionen, G = Staatsausgaben, X = Exporte, M = Importe)

Diese Gleichung ist eine Identität und definitionsgemäss immer wahr. Die Differenzzwischen Export und Import wird auch als Nettoexport oder Aussenbeitrag bezeichnet.

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Ein Teil der Einkommen kann aber auch gespart werden. Was passiert mit diesen Er-sparnissen?

Diese werden an diejenigen ausgeliehen, die zu wenig eigene Mittel erarbeitet haben,um ihre Investitionen zu finanzieren. Das heisst, dass schlussendlich immer soviel in-vestiert wird, wie gespart wird. Falls Sparen und Investieren nicht gleich gross sind,treten Mechanismen auf, die wieder auf ein Gleichgewicht zwischen Sparen und Inves-tieren hinwirken. Einzelne Sektoren (z.B. die Haushalte) können also sehr wohl einenSparüberschuss erzielen, während andere Sektoren (z.B. die Unternehmungen) mehrinvestieren, als dass sie zu sparen in der Lage sind. Gesamtwirtschaftlich aber sindSparen und Investieren - rückblickend (ex post) – immer ausgeglichen.

In einer offenen Volkswirtschaft können inländische Ersparnisse von den inländischenInvestitionen abweichen. Falls die inländischen Ersparnisse grösser sind als die inlän-dischen Investitionen, können diese auch im Ausland angelegt werden. Umgekehrtkönnen, falls im Inland mehr investiert als gespart wird, die fehlenden Mittel vom Aus-land zur Verfügung gestellt werden.

Sparsamkeit ist nicht immer etwas Gutes. Auch wenn es für den einzelnen durchaussinnvoll sein kann, in wirtschaftlich schwierigen Zeiten mehr zu sparen, kann es für dieVolkswirtschaft - wenn das alle tun - verheerende Folgen haben. Der Versuch mehr zusparen, kann damit enden, dass die tatsächlichen volkswirtschaftlichen Ersparnissezurückgehen.

Sämtliche Ausgaben der Privaten Haushalte zählen zum Konsum. Konsum im volks-wirtschaftlichen Sinne sind alle Güter und Dienstleistungen, die nicht im Produktions-prozess der Unternehmungen verwendet werden. Haushalte können definitionsgemässnur konsumieren, mit einer einzigen Ausnahme: Ein Haushalt, der ein Haus baut, kon-sumiert nicht, sondern investiert. Diese Investitionen werden aber dem Sektor Unter-nehmungen zugerechnet.

Was macht der Sektor Unternehmung mit seinem Einkommen? Zum Einkommen(=Wertschöpfung) der Unternehmungen zählt nur das, was nach den Vorleistungskäu-fen bzw. den Faktorentschädigungen übrig bleibt. Dieses Einkommen verwenden dieUnternehmungen für die Nachfrage nach Investitionsgütern.

Beim Sektor Staat ist die Sache ein bisschen komplizierter. Der Staat verkauft seineDienstleistungen nicht, weshalb sie bei der Entstehungsrechnung von der Aufwandsei-te her (zu Herstellkosten) bewerten werden müssen. Vor demselben Problem stehtman auch bei der Verwendungsrechnung: Die unentgeltlichen staatlichen Dienstleis-tungen konsumieren im Grunde genommen die Haushalte und die Unternehmungen.Weil sie aber eben nicht verkauft werden, können sie ihnen auch nicht zugeordnetwerden. Deshalb arbeitet die Nationale Buchhaltung mit der Fiktion des Eigenkonsumsdes Staates. Zum Staatskonsum gehören alle unentgeltlich abgegebenen Dienstleis-tungen dieses Sektors, bewertet zu Herstellkosten. Das heisst, dass z.B. die Ausgaben

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für das Militär, für Schulen, für die Polizei und die Feuerwehr mit Staatskonsum gleich-gesetzt werden - statistisch gesehen konsumiert der Staat die Leistungen dieser Insti-tutionen selbst. Neben dem Konsum tätigt der Sektor Staat auch Investitionen, z.B.beim Kauf von Gebäuden, beim Strassenbau oder bei der Anschaffung einer EDV-Anlage.

Wie wird in der Verwendungsrechnung das Ausland berücksichtigt? Im Konsum undden Investitionen der genannten Sektoren sind einerseits die Importe aus dem Auslandenthalten, andererseits fehlen die Exporte. Da die Importe zum Einkommen des Aus-landes werden, müssen wir diese subtrahieren, die Exporte aber addieren, um die Leis-tung des Inlands zu erhalten.

Überblick über die Verwendungsrechnung:

Konsum der privaten Haushalte

+ Konsum des Staates+ Investitionen der Unternehmungen+ Investitionen des Staates- Importe+ Exporte

= Bruttoinlandsprodukt

+ Kapital- und Arbeitseinkommen aus dem Ausland- Kapital – und Arbeitseinkommen an das Ausland

= Bruttosozialprodukt

Die Investitionen können in Ersatz- und Nettoinvestitionen aufgeteilt werden. Ersteredienen zum Ersatz unbrauchbar gewordener Produktionsmittel. Sie werden von denUnternehmungen in Form von Abschreibungen erfasst und den Kosten zugerechnet.Bei den Nettoinvestitionen handelt es sich um alle jene Güter, die nicht den Haushaltenals Konsumgüter zugeflossen sind: Bauten, Ausrüstungen, aber auch um die in denLäden liegen gebliebenen Videorecorder, Konserven und Bücher (= Lagerzunahme).

Die Verteilungsrechnung

Jeder Franken Wertschöpfung ist für irgendjemanden irgendwo ein Franken Einkom-men. Wertschöpfung und Einkommen sind die beiden Seiten derselben Medaille. Eskann deshalb nicht nur analysiert werden, wer die Wertschöpfung erstellt hat, sondernauch wie dieser Wertschöpfungskuchen verteilt wird. Die Verteilungsrechnung setztsich mit folgender Frage auseinander: Wie werden die erzielten Einkommen verteilt?

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Firmen verwenden ihre Erlöse für fünf verschiedene Zwecke: Löhne, Zinsen, Vorpro-dukte, indirekte Steuern, einbehaltene Gewinne.

Erlöse = Löhne+Zinsen+Kosten für Vorprodukte+indirekte Steuern+Gewinne

Es gilt auch:

Wertschöpfung = Erlöse - Kosten für Vorprodukte

Das BIP ist die Summe aller Wertschöpfungen also gilt:

BIP = Löhne + Zinsen + indirekte Steuern + Gewinne

Die Nettowertschöpfung zu Faktorkosten kann als Einkommen verteilt werden:Einkommen erhält man entweder als Entschädigung für die Zurverfügungstellung derArbeitskraft (Löhne und Gehälter) oder als Entschädigung für die Zurverfügungstellungvon Kapital (Zinsen, Dividenden, unausgeschüttete Gewinne).

Zusammenhang Entstehungs- und Verteilungsrechnung:

Bruttoproduktionswert

- Abschreibungen- Indirekte Steuern+ Subventionen- Vorleistungen

= Nettowertschöpfung (Faktorkosten)

= Löhne + Zinsen + Dividenden + unverteilte Gewinne

Das gesamte Einkommen einer Volkswirtschaft setzt sich also aus Löhnen, Zinsen, Di-videnden und unverteilten Gewinnen zusammen.

Kapitalgewinne stellen einen Anstieg im Wert eines Vermögensgegenstandes dar undentsprechen keiner Produktion. Das BIP enthält deshalb keine Kapitalgewinne.

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Alternative Masse für den gesamtwirtschaftlichen Output

Lange Zeit wurde nicht das BIP, sondern das BSP (Bruttosozialprodukt) als wichtigstestatistische Masszahl verwendet. In den meisten Ländern ist der Unterschied zwischenBSP und BIP nicht sehr gross. Dies gilt nicht für die Schweiz. Was sind nun die Unter-schiede zwischen diesen beiden Konzepten?

Zunächst stellt sich die Frage, wie die Grenze zwischen unserer Volkswirtschaft unddem Ausland gezogen werden soll.

Sollen die Einkommen an das Ausland zur Wertschöpfung der Schweiz gezählt wer-den?

Bei einer positiven Antwort ist der inländische Entstehungsort massgebend, gleichgültigob im Ausland Wohnhafte daran beteiligt sind. Es handelt sich um die Anwendung desInlandsprinzips, welches zum Inlandsprodukt führt.

Sollen die Einkommen aus dem Ausland zur Wertschöpfung der Schweiz gezählt wer-den?

Bei einer positiven Antwort ist der inländische Wohnsitz massgebend, gleichgültig obdas Einkommen aus dem In- oder Ausland stammt. Es handelt sich um die Anwendungdes Inländerprinzips, welches zum Sozialprodukt führt.

Das gesamte Einkommen einer Volkswirtschaft wird je nach angewendetem Prinzipfolgendermassen genannt:

Nettoinlandsprodukt zu Faktorkosten + indirekte Steuern – Subventionen = Nettoin-landsprodukt zu Marktpreisen + Abschreibungen= Bruttoinlandsprodukt

Nettosozialprodukt zu Faktorkosten (Volkseinkommen) + indirekte Steuern - Subventi-onen = Nettosozialprodukt zu Marktpreisen + Abschreibungen = Bruttosozialprodukt

Die Bezeichnungen "Inländer" und "Ausländer" beziehen sich nicht auf die Nationalität,sondern auf den Wohnsitz. Ein in der Schweiz wohnhafter ausländischer Arbeiter ist imSinne der Nationalen Buchhaltung deshalb ein Inländer bzw. ein inländischer Produkti-onsfaktor.

Vom Bruttosozialprodukt zum Bruttoinlandsprodukt gelangt man, indem die Kapital undArbeitseinkommen an das Ausland addiert und die Kapital- und Arbeitseinkommen ausdem Ausland subtrahiert werden.

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Die Messung des Lebensstandards

Das Bruttoinlandprodukt dient grundsätzlich als Vergleichsgrösse, als Wertmesser der Wirt-schaftskraft einer Volkswirtschaft und zur Bildung von Strukturparametern.

Die Grössen Volkseinkommen und Inlandprodukt dienen vier Hauptzwecken:

1. Sie werden als Vergleichsgrössen verwendet.2. Sie sind Wertmesser der Wirtschaftskraft einer Volkswirtschaft.3. Für wirtschaftspolitische Zwecke interessiert oft nicht die Globalgrösse Inlandprodukt, sondern dessen Struktur (Zusammensetzung).4. Sie sind Messgrösse für die Wirtschaftsentwicklung (Wachstum).

Oft wird die Zinsbelastung für die Schuldenlast des Staates in Prozent des Volksein-kommens ausgedrückt, um die Belastung anschaulicher aufzuzeigen.

Die Militärausgaben der einzelnen Länder werden in Prozent des Inlandprodukts aus-gedrückt. Dadurch erst wird ein Vergleich der Verteidigungsanstrengungen zwischen deneinzelnen Ländern möglich.

Je grösser das BIP ist, desto mehr Güter und Dienstleistungen stehen zur Verfügung undumso höher ist der Wohlstand der Bevölkerung (unter Voraussetzung einer einigermassengleichmässigen Verteilung).

Zu Vergleichszwecken eignet sich aber nicht die Globalgrösse, sondern nur das Volks-einkommen pro Kopf (Pro-Kopf-Einkommen). Das Pro-Kopf-Einkommen ist ein - allerdingssehr grober - Wohlstandsindikator für eine Volkswirtschaft.

Die Wirtschaftskraft spiegelt sich auch in der Arbeitsproduktivität wider.

BruttoinlandproduktArbeitsproduktivität = Anzahl der Erwerbstätigen

Die wichtigsten Grössen, die als Strukturparameter bezeichnet werden, sind:

Lohnquote: Arbeitseinkommen : VolkseinkommenInvestitionsquote: Gesamtinvestitionen : BruttoinlandproduktKonsumquote: Privater Konsum : BruttoinlandproduktExportquote: Exporte : BruttoinlandproduktImportquote: Importe : Bruttoinlandprodukt

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Die Lohnquote zeigt den Anteil der Arbeitseinkommen am Volkseinkommen. Eine steigendeLohnquote deutet auf steigende Einkommen der Unselbständigerwerbenden hin, sofern de-ren Zahl konstant geblieben ist.

Die Investitionsquote bezeichnet den Anteil der Investitionen am Bruttoinlandprodukt. All-gemein gilt: Je höher die Investitionsquote ist, desto stärker wächst die Wirtschaft in der Re-gel.

Die Konsumquote zeigt den Anteil der privaten Konsumausgaben am Bruttoinlandprodukt.Zu beachten ist, dass eine rückläufige Konsumquote nicht zwangsläufig einen Wohlstands-rückgang bedeutet. Steigt nämlich das Bruttoinlandprodukt an, so kann der prozentuale An-teil der Konsumgüter zurückgehen, obschon nominell mehr Konsumgüter zur Verfügungstehen.

Kurzfristig ist das BIP ein guter Konjunkturindikator, indem es die jährlichen Schwankungender Güterproduktion und der Dienstleistungen wiedergibt. Zu beachten ist dabei allerdingsdas Ausmass der Geldentwertung.

Langfristig zeigt das Inlandprodukt das Wirtschaftswachstum an.

Das Produktionspotential

Das potentielle BIP (Produktionspotential) gibt an, wie viel die Volkswirtschaft produzierenkönnte, wenn die Kapazität der Arbeitskräfte und der Maschinen voll ausgenutzt würde. DieSchätzung des Potentials geht von einem normalen Niveau der Arbeitslosigkeit aus und vonder Tatsache, dass selbst in wirtschaftlich guten Zeiten immer ein kleiner Teil der Kapazitätnicht genutzt wird. Auffallend ist, dass das Wachstum des Potentials einen stetigen Trendnach oben aufweist. Das tatsächlich erreichte BIP kann über oder unter dem Potentialtrendliegen. Bei einer starken Abweichung nach oben spricht man von Boom oder Hochkonjunk-tur. Bei einer Abweichung nach unten von Rezession. Von Rezession redet man heute,wenn das tatsächliche BIP in mindestens zwei aufeinander folgenden Quartalen zurückge-gangen ist.

Die Fluktuation der volkswirtschaftlichen Produktion um den langfristigen Trend herum be-zeichnet man als Konjunkturzyklen. Der Ausdruck Zyklus suggeriert eine Regelmässigkeit,die aber nicht beobachtet werden kann. Besonders schwierig ist es, die Wendepunkte rich-tig zu prognostizieren.

In einer Rezession ist die Arbeitslosigkeit typischerweise hoch und ein grosser Teil der Ma-schinenkapazität liegt brach. Die Kapazitätsauslastung schwankt zwischen 70% in der Re-zession und 90% im Boom. Da immer einige Maschinen gewartet werden müssen und an-dere brach liegen, wird 100% nie erreicht. Ein niedriger Auslastungsgrad ist wie hohe Ar-beitslosigkeit eine Verschwendung ökonomischer Ressourcen.

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Begriffsklärung

Das Produktionspotential gibt an, wie hoch der Output einer Volkswirtschaft bei vollständigerAuslastung der vorhandenen Produktionsfaktoren und bei gegebenem Stand des tech-nischen Wissens sein könnte. Bei der Definition dessen, was unter vollständiger Auslastungder Produktionsfaktoren zu verstehen ist, sind die Wirklichkeitsbedingungen, also auchstrukturelle Marktunvollkommenheiten und gegebene Faktorpreisrelationen, zu berücksich-tigen. Das Verhältnis von tatsächlicher Produktion zum Produktionspotential bestimmt dieHöhe der Kapazitätsauslastung in der Wirtschaft. Das Produktionspotential soll im allgemei-nen nicht die technisch maximale Produktion erfassen; es ist ein ökonomisches Konzept,das auf die Erklärung der Angebots- und Nachfrageverhältnisse am Gütermarkt sowie dar-aus resultierender Konsequenzen etwa für das Preisniveau abzielt.

a) Verwendungsmöglichkeiten: Das Produktionspotential hat grosse Bedeutung für die Kon-junktur- und Wachstumsanalyse. Es ist ein Bewertungsmassstab dafür, ob das Wachs-tum einer Volkswirtschaft angemessen ist. Die Kapazitätsauslastung, die mit Hilfe desProduktionspotentials berechnet wird, kann zur Abgrenzung von Konjunkturzyklen heran-gezogen werden. Steigt die tatsächliche Produktion schneller als das Produktionspotenti-al, dann spricht man von einem Konjunkturaufschwung. Bei sinkender Kapazitätsauslas-tung liegt dagegen ein Abschwung vor. Das Produktionspotential ist aber auch für einemittelfristig angelegte Wirtschaftspolitik von Bedeutung. Es dient als Orientierungsgrössefür die Geldpolitik, und es hilft bei der Analyse der Frage, inwieweit Haushaltsdefizite aufkonjunkturelle oder strukturelle Ursachen zurückgehen.

b) Berechnungsmethoden: Das Produktionspotential kann nicht direkt gemessen, sondernnur geschätzt werden.

c) Aussagefähigkeit der Potentialschätzungen: Welchem Ansatz der Potentialschätzungletztlich der Vorzug zu geben ist, hängt somit nicht nur von der Zielsetzung der Analyse,sondern auch von der gesamtwirtschaftlichen Lage, insbesondere von der Lage auf demArbeitsmarkt ab. Bei allen Schätzansätzen ist jedoch in einer Hinsicht eine vorsichtige In-terpretation anzuraten. Starre Produktionsgrenzen, bei deren Überschreitung automa-tisch inflationäre Entwicklungen eintreten, wird es in zunehmend offenen und dienstleis-tungsintensiven Volkswirtschaften nicht geben. Überschreitet die Expansion der Nachfra-ge das Wachstum des Produktionspotentials, so wird sich tendenziell ein Importsog er-geben. Bei freien Produktionskapazitäten im Ausland und intensiver internationaler Preis-konkurrenz muss somit auch ein kräftiger Nachfrageschub im Inland nicht automatisch in-flationäre Folgen haben. Das weltwirtschaftliche Umfeld spielt bei der Interpretation desProduktionspotentials und der Kapazitätsauslastung eine wesentliche Rolle.

Zitiert aus Geigant et al., Lexikon Volkswirtschaft, mi-Verlag, 2000, S. 790 ff.

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Kritik am BIP

In der Praxis werden die BIP-Daten nicht nur als Mass dafür benutzt, wie viel produziertworden ist, sondern auch als Wohlfahrtsmass für die Einwohner eines Landes. Ökonomenund Politiker sprechen so, als ob eine Erhöhung des realen BIP's bedeuten würde, dass esden Menschen besser ginge. Aber die Zahlen des BIP's sind weit davon entfernt, ein ge-naues Mass für die Produktion oder die Wohlfahrt zu sein. Einige Messprobleme des BIP'sergeben sich durch die Existenz einer Schattenwirtschaft. Bei dieser handelt es sich unteranderem um Arbeit aus einer zweiten Beschäftigung gegen Bargeld, illegales Glückspiel,Arbeit als illegaler Einwanderer, Arbeit bei Bezug von Arbeitslosengeld, illegaler Drogen-handel, die Einnahmen von Trinkgeld bei der Arbeit, die dem Finanzamt nicht mitgeteiltwerden, der Verkauf von selbstangebauten Tomaten gegen Bargeld. Die Liste ist damit kei-neswegs vollständig! Es dürfte unmittelbar ersichtlich sein, dass es schwer fällt, diese Tätig-keiten zu messen oder gar zu schätzen. Die Schätzwerte unterscheiden sich stark und dürf-ten von der Belastung der Bürger/innen eines Staates mit Steuern, Sozialabgaben undZwangssparen abhängig sein. Für Italien belaufen sich die Schätzungen auf 8% - 33% desBIP's. Andere Probleme ergeben sich bei Unzulänglichkeiten bei der Messung einiger Out-puts und dann beim Gebrauch des BIP's als Massstab für ökonomische Wohlfahrt. Hier er-wächst vor allem Kritik aus ökologischer Sicht.

Ungenau gemessene OutputsDie meisten Schwierigkeiten bei der Berechnung des BIP's entstehen deshalb, dass einigeOutputs nicht auf den Markt kommen. Es wurde schon bemerkt, dass die staatliche Produk-tion zu Kosten bewertet wird. Dies wird deshalb gemacht, weil die staatliche Produktionnicht auf dem Markt verkauft wird und auch nichts Vergleichbares zur Verfügung steht, wel-che es ermöglichen würde, den Wert der staatlichen Produktion zu schätzen. Wie sollte manden Wert der Produktion des Gutes "Sicherheit vor Angriffen" messen, den man von denVerteidigungsausgaben erwartet? Aber es gibt bei einem grossen Teil der staatlichen Pro-duktion auch ein konzeptmässiges Problem. Wir berücksichtigen im BIP den Wert der Lohn-zahlungen an die Polizei und an die Verteidigungskräfte. Nehmen wir einmal an, dass sichdie öffentliche Sicherheit verbessert hat und ein Teil der Polizei freigesetzt wird, um bei glei-chem Lohn Bonbons herzustellen. Das BIP würde sich nicht oder kaum ändern, aber esscheint so, als hätte sich der volkswirtschaftliche Output brauchbarer Güter und Dienstleis-tungen erhöht. In diesem Fall besteht das Problem darin, dass wir negative Outputs oder sogenannte "Bads" vom BIP nicht abziehen. Man versucht nicht, die Verringerung der öffentli-chen Sicherheit, die eine Erhöhung der Polizeikräfte erfordern würde, zu bewerten. Auchden Wert, der durch Fabriken und Automobile verursachten Umweltverschmutzung ziehenwir nicht vom BIP ab. Dies sind "Bads", aber sie werden in den Konten der volkswirtschaftli-chen Gesamtrechnung für das BIP nicht aufgeführt. Auch andere nicht auf dem Markt er-scheinende Aktivitäten, „do-it-yourself“ und freiwillige Tätigkeiten eingeschlossen, könnennicht vom BIP erfasst werden. Hier ist die wichtigste Kategorie die Haushaltsarbeit. Das ge-messene BIP würde höher, wenn jemand aufhört sein Haus selbst zu putzen und stattdes-sen einen Reinigungsservice damit beauftragt, das gleiche zu tun. Doch die gesamtwirt-schaftliche Produktion hat sich in Wirklichkeit gar nicht erhöht.

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Änderungen der QualitätÄnderungen der Qualität der Güter im Zeitablauf verursachen beträchtliche Schwierigkeitenfür das Messen des realen BIP's. Angenommen wir versuchten das BIP von 1960 und 1998zu vergleichen und wir verwenden die Preise des Jahres 1960, um die Automobilproduktiondes Jahres 1998 zu bewerten. Das Problem ist aber, dass ein Auto des Jahres 1998 nichtdasselbe ist wie ein Auto im Jahre 1960, so dass es sicherlich ein Fehler wäre, den realenWert der Automobilproduktion des Jahres 1998 zu berechnen, indem wir die Zahl der pro-duzierten Autos mit dem Durchschnittspreis eines Autos im Jahre 1960 multiplizieren. DasProblem der Qualitätsänderungen ist so schwerwiegend, dass langfristig Vergleiche desrealen BIP's sehr unsicher werden.

Wohlstand = Wohlfahrt?Die Wirtschaftstätigkeit, insbesondere die zunehmende Wirtschaftstätigkeit bringt auch So-zialkosten mit sich. So wird vor allem der Wert der Natur völlig unterbewertet. Desweiternwird gezeigt, dass mit dem Wirtschaftswachstum auch die Zivilisationskrankheiten zuneh-men. Dies alles hat zur massiven Kritik am BIP als Wohlstands- bzw. Wohlfahrtsmass ge-führt. Trotzdem wird das BIP weiter verwendet. Zu erwähnen gilt es deshalb, dass das BIPein recht guter Indikator für die Konjunkturentwicklung darstellt und für viele der makroöko-nomischen Grundfragen ein nützliches und einfach handbares Mass darstellt. Eine Lösungder angesprochenen Probleme kann eventuell dadurch erreicht werden, dass man ergän-zend Sozialindikatoren an- und einführt. Zu nennen wären hier: Alphabetisierungsrate, Kin-dersterblichkeitsrate, Lebenserwartung.

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Arbeitslosigkeit

Ein wichtiger Gesichtspunkt bei der Beurteilung der wirtschaftlichen Lage einer Nation ist dieFrage, in welchem Ausmass diese Nation ihre Ressourcen nutzt. Da die Arbeitskraft diewichtigste Ressource der Wirtschaft darstellt, gehört ein hoher Beschäftigungsstand zu denbedeutendsten wirtschaftspolitischen Zielen. Arbeitslosigkeit verursacht eine Reihe vonProblemen: Lohneinbusse, Verletzung Selbstwertgefühl, mangelnde Entwicklung der Ar-beitsfähigkeit vor allem bei Jugendarbeitslosigkeit, Kriminalität, Benachteiligung älterer Men-schen, Kosten für den Staat.

Die Arbeitslosenquote ist diejenige statistische Masszahl, die angibt, welcher Prozentsatzder Personen, die arbeiten möchten, keine Arbeit haben.

Erfasst werden nur diejenigen, die sich bei ihrem zuständigen Arbeitsamt als arbeitssu-chend registrieren lassen und für die Arbeitsvermittlung zur Verfügung stehen. Insbe-sondere werden in der Arbeitslosenstatistik also alle Personen berücksichtigt, die aus einerTätigkeit als abhängige Beschäftigte, als Selbständige oder mithelfende Familienangehörigeausgeschieden und beim Arbeitsamt als arbeitssuchend registriert sind. Mitgezählt werdenbeispielsweise aber auch alle Schulabgänger, die sich erfolglos beim Arbeitsamt um eineArbeitsstelle bzw. einen beruflichen Ausbildungsplatz beworben haben.

Als erwerbstätig gelten demgegenüber alle Personen, die einer Erwerbstätigkeit nachgehen,und zwar unabhängig von der Dauer der tatsächlich geleisteten oder vertragsmässig zu leis-tenden Arbeitszeit. Die Erwerbstätigen lassen sich nach ihrer Stellung im Beruf gliedern inabhängige Beschäftigte sowie Selbständige und mithelfende Familienangehörige. Zu denabhängig Beschäftigten gehören alle, die in einem Arbeits- oder Dienstverhältnis stehenund überwiegend diese Tätigkeit ausüben, also beispielsweise Arbeiter, Angestellte, Beam-te und Soldaten. Zu den Selbständigen zählt man beispielsweise tätige Eigentümer in Ein-zelunternehmen und Personengesellschaften, freiberuflich Tätige, Landwirte usw. In die Ka-tegorie der mithelfenden Familienangehörigen fallen alle Personen, deren überwiegendeTätigkeit in einer regelmässigen, unentgeltlichen Mitarbeit in einem Betrieb besteht, der voneinem Familienmitglied als Selbständigem geleitet wird. Arbeitslose und Erwerbstätige zu-sammen bilden die Gruppe der Erwerbspersonen.

Erwerbspersonen = Arbeitslose + Erwerbstätige

Eine auch in der Öffentlichkeit stark beachtete statistische Masszahl ist die Arbeitslo-senquote. Sie ist definiert als prozentualer Anteil der Arbeitslosen an den Erwerbspersonen.

Arbeitslosenquote = Anzahl Arbeitslose x 100 Erwerbspersonen

Dies ist nicht die einzige Definition der Arbeitslosenquote. Daneben wird als Arbeitslo-senquote auch der prozentuale Anteil der Arbeitslosen an den abhängigen Erwerbs-personen betrachtet. Als abhängige Erwerbspersonen bezeichnet man die Summe aus Ar-beitslosen und abhängig Beschäftigten. Internationalen Gepflogenheiten entsprechend wer-den im Nenner der Arbeitslosenquote oft auch nur die zivilen Erwerbspersonen (Erwerbs-personen abzüglich Soldaten) berücksichtigt. Bei der Analyse von Arbeitslosenquoten ist es

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daher sehr wichtig, sich stets klarzumachen, welcher Personenkreis im Nenner berücksich-tigt wird.

Eine andere interessante statistische Masszahl ist die Erwerbsquote, die den prozentualenAnteil der Erwerbspersonen an der Wohnbevölkerung beschreibt:

Erwerbspersonen Erwerbsquote = Erwerbspersonen x 100 Wohnbevölkerung

In anderen Ländern wird häufig ein anderes Erfassungssystem verwendet. So beruht z.B.die Arbeitslosenstatistik der Vereinigten Staaten auf einem Umfragesystem. Dabei werdenmonatlich bei ca. 60000 Haushalten arbeitsmarktrelevante Daten erhoben. Auf der Grundla-ge dieser Befragungen wird jede Person in eine von drei Kategorien eingeordnet: Beschäf-tigter, Arbeitsloser oder Nichterwerbsperson. Eine Person gilt als beschäftigt, wenn sie dengrössten Teil der dieser Erhebung vorangehenden Woche an einem Arbeitsplatz beschäftigtwar. Hausarbeiten, Ausbildung u.ä. fallen nicht hierunter. Eine Person gilt als arbeitslos,wenn sie in der Berichtswoche nicht beschäftigt war und entweder auf den Beginn einerneuen Tätigkeit wartet, vorübergehend arbeitslos oder arbeitssuchend ist. Fällt eine Personin keine der beiden Kategorien, gilt sie als Nichterwerbsperson. Eine solche Person hat kei-ne Arbeit und möchte auch keine. Die schweizerische Arbeitskräfteerhebung geht in diegleiche Richtung.

Formen der Arbeitslosigkeit

Grundsätzlich können die folgenden Arten von Arbeitslosigkeit unterschieden werden:

- friktionelle Arbeitslosigkeit- strukturelle Arbeitslosigkeit- natürliche Arbeitslosigkeit- saisonale Arbeitslosigkeit- konjunkturelle Arbeitslosigkeit- Wachstumsdefizit-Arbeitslosigkeit

Friktionelle Arbeitslosigkeit entsteht aufgrund der Mobilität von Arbeitnehmern zwischen ein-zelnen Regionen, Berufen oder aufgrund sich ändernder Lebensumstände. Diese Art derArbeitslosigkeit entsteht oft im Zusammenhang mit Arbeitnehmern, die einen Arbeitsplatz-wechsel vornehmen oder bessere Stellen suchen. Man geht deshalb davon aus, dass essich hier um "freiwillige" Arbeitslosigkeit handelt.

Strukturelle Arbeitslosigkeit liegt vor, wenn ein Missverhältnis zwischen Angebot und Nach-frage nach Arbeitskräften besteht. Dies kann eintreten, weil ein Ungleichgewicht in einzel-nen Berufen oder Regionen aufgrund der Tatsache entsteht, dass einzelne Wirtschaftsbran-chen im Vergleich zu anderen wachsen. Bei flexiblen Löhnen würden diese zwischen deneinzelnen Arbeitsmärkten auftretenden Ungleichgewichte abgebaut. Dies setzt aber aucheine gewisse Mobilität der Arbeitskräfte in allen Lebensbereichen voraus.

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Natürliche Arbeitslosigkeit setzt sich aus der friktionellen und der strukturellen Arbeitslosig-keit zusammen.

Konjunkturelle Arbeitslosigkeit tritt auf, wenn die Nachfrage nach Arbeit insgesamt gering ist(also nicht nur die Nachfrage in einzelnen Bereichen). Die konjunkturelle Arbeitslosigkeitdeutet darauf hin, dass sich eine allgemeine Flaute am Arbeitsmarkt anbahnt.

Wachstumsdefizit-Arbeitslosigkeit entsteht, wenn die Wirtschaft ein ungenügendes Wachs-tum hat, was zu einer chronischen Unterauslastung des Produktionsapparates führen kann.Diese Form der Arbeitslosigkeit, die Langzeitwirkungen hat, ist auf viele Ursachen zurückzu-führen wie dauernde Investitionsschwäche der Wirtschaft, geringe Investitionsbereitschaftim innovativen Bereich, Auftreten geburtenstarker Jahrgänge auf dem Arbeitsmarkt ohnewesentliche Konsum- und Innovationsimpulse, wenig flexible Produktions- und Beschäfti-gungsstrukturen und Investitionsschwäche infolge politischer Instabilität und unklaren wirt-schaftspolitischen Zielvorstellungen der Regierung.

Inflation

Wenn nur der Preis eines einzelnen Gutes steigt, spricht man nicht von Inflation. Eine Infla-tion liegt vor, wenn die Preise von fast allen Gütern steigen. Die Steigerungsrate des allge-meinen Preisniveaus wird Inflationsrate genannt. Im Unterschied zur Arbeitslosigkeit, wohäufig nur einzelne Bevölkerungsgruppen betroffen sind, trifft die Inflation alle. Dies stellteines der Hauptprobleme der Wirtschaftspolitik dar.

Die Preise der Güter steigen unterschiedlich. Einige steigen im Preis, andere werden billi-ger. Da aber einige Güter für die Konsumentinnen und Konsumenten eine grössere Bedeu-tung haben als andere, werden diese in einem Warenkorb gewichtet.

Das gebräuchlichste Mass zur Erfassung des Preisniveaus ist der Preisindex für die Le-benshaltung. Um ihn zu ermitteln, werden die Preise einer grossen Anzahl von Waren undDienstleistungen erfasst, die von den Konsumenten gekauft werden. Der Preisindex ver-dichtet die Preise einer Vielzahl von Gütern zu einem Index, der das gesamtwirtschaftlichePreisniveau beschreibt. Um ihn zu ermitteln, wird ein Warenkorb definiert und die einzelnenGüter innerhalb des Warenkorbs entsprechend ihrer Bedeutung für den Konsumenten ge-wichtet. Der Preisindex stellt dann das Verhältnis aus dem aktuellen Preis des Warenkorbsund dem Preis des Warenkorbs in einem Basisjahr dar. Von Zeit zu Zeit werden Warenkorbund Gewichtung überprüft.

Nimmt man beispielsweise an, dass der durchschnittliche Konsument pro Monat fünf Äpfelund zwei Birnen kauft, dann besteht der dem Preisindex zugrunde gelegte Warenkorb ausfünf Äpfeln und zwei Birnen. Für den Preisindex PI gilt:

PI = (5 x Apfelpreis) + (2 x Birnenpreis) (5 x Apfelpreis 2000) + (2 x Birnenpreis 2000)

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In diesem Preisindex ist 2000 das Basisjahr. Der Index besagt, wie viel im laufenden Jahrder Kauf von fünf Äpfeln und zwei Birnen relativ zum Kauf des gleichen Warenkorbs im Jahr2000 kostet.

Der Preisindex der Lebenshaltung aller privaten Haushalte ist der meistbeachtete Preisin-dex. Ein anderer wichtiger Preisindex ist z.B. der Grosshandelspreisindex, der das Preisni-veau auf einer dem Konsum vorgelagerten Handelsstufe erfasst.

Die Bedeutung der Inflation

Steigen die Preise, nehmen die Renten an Kaufkraft ab, wenn sie nicht angepasst werden.Rentnerinnen und Rentner gehören also unter Umständen zu den Verlierern der Inflation.Da wegen der Finanzierungsproblematik der AHV die Rentenanpassung (Indexierung) nurnoch alle zwei Jahre erfolgen soll, wird die Bekämpfung der Inflation von besonderer Bedeu-tung sein.

Auch alle Arbeitnehmer erleiden einen Einkommens- und Kaufkraftverlust, wenn die Löhnenicht angepasst werden. Dies reduziert den Konsum.

Gläubiger erhalten weniger für ihre Guthaben zurückbezahlt, wenn Inflation herrscht. Da-durch steigt die Tendenz zur Kreditrationierung.

Da sich Volkswirtschaften an die Inflation anpassen, wird unter Ökonomen diskutiert, inwie-weit massvolle Inflationsraten überhaupt Anlass zur Sorge bieten. Ist bei niedrigen Raten dieTherapie nicht sogar schlimmer als die Krankheit selbst (Kosten der Inflationsbekämpfungdurch entgangenes Wachstum bei niedriger Inflationsrate). Die Schweizerische National-bank SNB und die Europäische Zentralbank EZB betrachten eine Inflation von unter 2% alsPreisstabilität. Zweistellige Inflationsraten hingegen sind ernsthafte Störungen der Volkswirt-schaft und müssen bekämpft werden.

Alternative InflationsmasseEs gibt drei wichtige Unterschiede zwischen BIP-Deflator und Preisindex der Lebens-haltung.

Der erste besteht darin, dass der BIP-Deflator die Preise aller Güter erfasst, während derPreisindex der Lebenshaltung die Preise von bestimmten Waren und Dienstleistungen (=Warenkorb) berücksichtigt, die von den privaten Haushalten gekauft wurden. Ein Anstiegder Preise von Gütern, die ausschliesslich von Unternehmen oder öffentlichen Haushaltenerworben werden, erhöht daher den BIP-Deflator, nicht aber den Preisindex der Lebenshal-tung.Der zweite Unterschied besteht darin, dass der BIP-Deflator nur die Güter enthält, die imInland erzeugt worden sind. Aus dem Ausland importierte Güter sind kein Bestandteil desBIP und tauchen daher auch nicht im BIP-Deflator auf. Ein Preisanstieg japanischerImportwagen beispielsweise führt zwar zu einer Erhöhung des Preisindex der Lebens-haltung, weil diese von den inländischen Konsumenten gekauft werden, der BIP-Deflatorbleibt jedoch unverändert.

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Der dritte und subtilste Unterschied betrifft die Frage, wie die beiden Masse die vielen Preiseder Volkswirtschaft aggregieren. Der Preisindex der Lebenshaltung weist den Preisen derverschiedenen Güter feste, der BIP-Deflator dagegen veränderliche Gewichte zu. Mit anderenWorten wird der Preisindex der Lebenshaltung unter Verwendung eines festen Warenkorbsberechnet, während der BIP-Deflator Veränderungen des Warenkorbs zulässt, wenn sich dieZusammensetzungen des BIP ändert. Als Beispiel soll nochmals ein Warenkorb betrachtetwerden, der nur Äpfel und Birnen enthält.

Für den BIP-Deflator gilt:

(P Äpfel x Q Äpfel) + (P Birne x Q Birne)BIP Deflator =

(P2ooo Äpfel x Q Äpfel ) + (P2ooo Birne x Q Birne)

Für den Preisindex der Lebenshaltung gilt:

(P Apfel x Q2000 Apfel) + (P Birne x Q2000 Birne)(P2000 Apfel x Q2000 Apfel) + (P2000 Birne x Q2000 Birne)

Diese beiden Gleichungen zeigen, dass sowohl der Preisindex der Lebenshaltung als auchder BIP-Deflator die Kosten eines Warenkorbs im laufenden Jahr mit den Kosten des selbenWarenkorbs in einem Basisjahr vergleichen. Der Unterschied zwischen beiden Massen be-steht darin, ob sich der Warenkorb im Zeitverlauf ändert oder nicht. Der Preisindex der Le-benshaltung benutzt feste Gewichte (die Mengen von 2000), der BIP- Deflator dagegen ver-änderliche, die sich aus den jeweils aktuellen Mengen ergeben.

Die Konsequenzen der unterschiedlichen Konzepte zur Aggregation von Preisen lassen sichan einem Beispiel deutlich machen. Es sei angenommen, dass die Apfelernte durch Schäd-linge vollständig zerstört wird. Dies hat zur Folge, dass die Menge der erzeugten Äpfel auf nullabsinkt. Der Preis der wenigen Äpfel, die sich noch im Handel befinden, steigt in schwindeler-regende Höhe. Da die Äpfel nun nicht länger Bestandteil des BIP sind, hat der Anstieg desApfelpreises keinen Effekt auf den BIP-Deflator. Weil der Preisindex der Lebenshaltung je-doch mit einem festen Warenkorb errechnet wird, der Äpfel enthält, führt die Zunahme desApfelpreises zu einem deutlichen Anstieg des Preisindex der Lebenshaltung.

Ein Preisindex mit festem Gewichtungsschema gehört zur Klasse der Laspeyres - Indizes, einPreisindex mitveränderlichem Gewichtungsschema zur Klasse der Paasche - Indizes. In derökonomischen Theorie wurden die Eigenschaften dieser verschiedenen Indizes untersucht,um herauszufinden, welcher Index-Typ besser ist. Dabei zeigte sich, dass beide Index-Klassen gewisse Vor- und Nachteile aufweisen.

Glücklicherweise sind die Unterschiede zwischen BIP-Deflator und Preisindex der Lebens-haltung in der Praxis meist nicht sehr gross. Die Entwicklung beider Preisindizes verläuftzum grossen Teil nahezu parallel. Beide Masszahlen geben gewöhnlich die gleiche Aus-kunft auf die Frage, wie schnell die Preise steigen.

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Schlüsselbegriffe

ArbeitslosenquoteDer Anteil derjenigen Arbeitssuchenden, die keine Anstellung finden können.

InflationEin andauernd steigendes allgemeines Preisniveau.

potentielles BIPEin Mass für das BIP-Wachstum, wenn die Ressourcen voll beschäftigt wären.

KonjunkturzyklenDie Fluktuation der Höhe der volkswirtschaftlichen Aktivitäten. Früher glaubte man an einzyklisches Verhalten dieser Fluktuationen. Heute wird der Begriff Zyklus immer noch ge-braucht, obwohl die Fluktuationen unregelmässige Verläufe haben.

Hochkonjunktur, BoomEine Periode völlig ausgelasteter Ressourcen und stetiger Zunahme des BIP.

RezessionZwei aufeinander folgende Quartale mit fallendem BIP.

WertschöpfungDie in jeder Produktionsstufe erzeugte Wertschöpfung ergibt sich als Differenz zwischendem Outputwert und dem Wert des Inputs, der von anderen Firmen gekauft wird.

BruttoinlandproduktDer totale Geldwert der von Inländern während einer Periode erzeugten Güter und Dienst-leistungen.

BruttosozialproduktBruttoinlandprodukt + Kapital- und Arbeitseinkommen aus dem Ausland - Kapital- und Ar-beitseinkommen an das Ausland.

reales BIPDer reale Wert aller Endprodukte und Dienste, gemessen in CHF und inflationsbereinigt.

NettoinlandproduktBruttoinlandprodukt minus Abschreibungen.

ErwerbsquoteDer Anteil der erwerbsfähigen Bevölkerung, der beschäftigt ist oder eine Beschäftigungsucht.

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nominales BIPDer Wert der produzierten Endprodukte und Dienste zu laufenden Preisen.

BIP-DeflatorEin gewichteter Durchschnitt der Preise verschiedener Güter und Dienste, bei welchem dieGewichte die Bedeutung jeden Gutes und jeder Dienstleistung im BIP repräsentieren.

DeflationEin andauerndes Sinken des allgemeinen Preisniveaus.

Literaturempfehlungen

Abschied vom Bruttosozialprodukt, Wirtschaftsstudium 10/99, S. 1256 -1260

Was steckt hinter dem BIP? Hohe Ansprüche an ein statistisches Konstrukt, NZZ,29.7.2000, Nr. 175, S. 18

Barbara Lüscher, Eveline Ruoss: Entwicklung der potentiellen Produktion in der Schweiz,Quaralsheft der SNB, 1/96, S. 61 ff.

Im Dunkeln ist gut munkeln; BIP Statistiken sind falsch: Die Schwarzarbeit wird in jedemLand anders – und meist willkürlich – berücksichtigt, Cash Nr. 41, 11.10.2002, S. 17

Thomas Bernauer: Wirtschaftswachstum und Umweltschutz, Basler Zeitung, 15.7.2002, Nr.162, S. 10

Wachstum ist nicht alles, Basler Zeitung, 28.4.2003, Nr. 98, S. 1

Revolution beim Messen des Wachstums, Basler Zeitung, 15.5.2003, Nr. 112, S. 16

Robert Repetto: Die Bewertung natürlicher Ressourcen, Spektrum der Wissenschaft, Di-gest: Umwelt – Wirtschaft, S. 14 ff.

Brigitte Buhmann: Statistiken zur Arbeitslosigkeit; Was messen sie wirklich? Die Volkswirt-schaft, 1/2000, S. 40 ff.

Bundesamt für Statistik BFS, Wichtigste Ergebnisse der Schweizerischen Arbeitskräfteer-hebung, SAKE 2002 in Kürze, Neuchâtel 2003,http://www.statistik.admin.ch/stat_ch/ber03/sake/dsake.htm, Zugriff 23.11.2003, 14.45

Bundesamt für Statistik BFS, Der neue Landesindex der Konsumentenpreise: Mai 2000 =100. Methodenübersicht, BFS aktuell, Neuchâtel November 2000,http://www.statistik.admin.ch/stat_ch/ber05/dufr05.htm, Zugriff 23.11.2003, 14.30

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Bundesamt für Statistik BFS, Der Landesindex der Konsumentenpreise 2000, Gewichtung2003, BFS aktuell, Neuchâtel Februar 2003,http://www.statistik.admin.ch/stat_ch/ber05/dufr05.htm, Zugriff 23.11.2003, 14.30

BFS-Leporello, Landesindex der Konsumentenpreise, Neuchâtel 2003,http://www.statistik.admin.ch/stat_ch/ber05/dufr05.htm, Zugriff 23.11.2003, 14.30

H.W. Brachinger, B. Schips, W. Stier: Expertise zur Relevanz des „Boskin-Reports“ für denschweizerischen Landesindex der Konsumentenpreise, Kurzfassung,http://www.statistik.admin.ch/stat_ch/ber05/dufr05.htm, Zugriff 23.11.2003, 14.30

Joseph E. Stiglitz: Volkswirtschaftslehre, Kapitel 24, S. 647 ff., Oldenbourg 2. Auflage 1999

N. Gregory Mankiw: Principles of Economics, International Edition, Kapitel 23 und 24, S. 499ff., Third Edition, Thomson-South Western

Rolf Iten, Martin Peter, Anna Vettori, Sarah Menegale: Hohe Preise in der Schweiz: Politi-scher Wille oder mangelnde Wettbewerbsintensität?, Die Volkswirtschaft, 7-2003, S. 5 ff.