Konzeption und Dienstanweisung zur Umsetzung des ... · Landkreis Rotenburg (Wümme) Jugendamt...

26
Landkreis Rotenburg (Wümme) Jugendamt Stand: 06/2009 LANDKREIS ROTENBURG (WÜMME) DER LANDRAT JUGENDAMT Konzeption und Dienstanweisung zur Umsetzung des Schutzauftrages nach § 8a SGB VIII

Transcript of Konzeption und Dienstanweisung zur Umsetzung des ... · Landkreis Rotenburg (Wümme) Jugendamt...

Landkreis Rotenburg (Wümme) Jugendamt Stand: 06/2009

LANDKREIS ROTENBURG (WÜMME)

DER LANDRAT JUGENDAMT

Konzeption

und

Dienstanweisung

zur Umsetzung des Schutzauftrages

nach § 8a SGB VIII

- 2 -

Landkreis Rotenburg (Wümme) Jugendamt Stand: 06/2009

Inhalt: 1. Einleitung 2. Grundlagen 2.1. Rechtsgrundlagen 2.2. Begriffsbestimmungen 2.3. Örtliche Zuständigkeit 2.4. Datenschutz 3. Ablaufregelungen im Allgemeinen Sozialen Dienst 4. Vorgehen der sozialpädagogischen Fachkräfte bei Kindeswohlgefährdung: Phase 1 - Meldung bzw. Wahrnehmung einer Kindeswohlgefährdung Phase 2 - Informationsgewinnung Phase 3 - Einschätzung und Bewertung einer Kindeswohlgefährdung Phase 4 - Hilfeprozesse für das Kind, den Jugendlichen und seine Familie Phase 5 - Einbezug des Familiengerichts Phase 6 - Bewertung der Hilfe- und Veränderungsprozesse 5. Kooperation zum Schutz von Kindern und Jugendlichen: 5.1. Kooperationspartner nach § 8 a Abs. 2 SGB VIII 5.2. Kooperation zwischen dem ASD und anderen Behörden 5.2.1 Zusammenarbeit mit den Schulen 5.2.2 Zusammenarbeit mit der Polizei Anlagen

- 3 -

Landkreis Rotenburg (Wümme) Jugendamt Stand: 06/2009

1. Einleitung Täglich werden von den sozialpädagogischen Fachkräften des Jugendamtes Beratungsge-

spräche geführt, bei denen eine nicht optimale Versorgung und Pflege von Kindern, unan-gemessenes Erziehungsverhalten oder fehlende Förderung thematisiert werden müssen.

Aufgabe der Fachkräfte ist es hier, Eltern über förderliche Wege zur Erziehung ihrer Kinder

zu informieren und ihnen geeignete Hilfen anzubieten. Vor besonderen Anforderungen stehen die Fachkräfte, wenn es gewichtige Hinweise auf

eine Gefährdung des Kindeswohles gibt und Hilfen nicht angenommen werden oder nicht ausreichend sind (§ 8a SGB VIII). In diesen Fällen ist eine besonders sorgfältige Ab-wägung und ein strukturiertes Vorgehen erforderlich. Es muss sichergestellt sein, dass die Überprüfung der Betreuungs-, Erziehungs- und Versorgungssituation des Kindes oder Ju-gendlichen, die Hinzuziehung spezialisierter Fachkräfte, die Einleitung geeigneter Hilfen und die Dokumentation sach- und fachgerecht erfolgt.

Die vorliegende Konzeption zur Umsetzung des Schutzauftrages bei Kindeswohlgefähr-

dung umfasst vier Abschnitte

• Grundlagen • Ablauforganisation im Jugendamt • Vorgehen der sozialpädagogischen Fachkräfte bei Kindeswohlgefährdungen • Kooperationen zum Schutz von Kindern und Jugendlichen

Diese Konzeption unterstützt die Einzelfallarbeit und dient gleichzeitig als Dienstanwei-sung. Die Hinweise und Arbeitshilfen zum Vorgehen bei Kindeswohlgefährdungen wurden vom Qualitätszirkel des Allgemeinen Sozialen Dienstes (ASD) und des Adoptions- und Pflege-kinderdienstes (APKD) entwickelt. Als fachliche Grundlage nutzten die Mitarbeiter/innen u. a. das Handbuch „Kindeswohlgefährdung nach § 1666 BGB und Allgemeiner Sozialer Dienst (ASD)“, Kindler H. Lillig, S. Blüml H. Meysen, T. & Werner A. (2006) München: Deutsches Jugendinstitut e.V. Das Handbuch wurde im Internet veröffentlicht (www.dji.de/asd) Bei den einzelnen Abschnitten wird auf weitergehende Arbeitshilfen des Handbuches hingewiesen, damit sie bei Bedarf hinzugezogen werden können. Im Frühjahr 2009 wurde die bisher geltende Fassung überarbeitet. Die aktualisierte Fassung der Dienstanweisung tritt am 01.07.2009 in Kraft.

- 4 -

Landkreis Rotenburg (Wümme) Jugendamt Stand: 06/2009

2. Grundlagen 2.1. Rechtsgrundlagen Die Verpflichtung zum Tätigwerden des Jugendamtes ergibt sich aus dem Schutzauftrag nach § 1 Abs. 3 Nr. 3 und § 8a SGB VIII, der wiederum seine Grundlage im staatlichen Wächteramt nach Art. 6 Abs. 2 GG hat. Der § 8a SGB VIII gibt der Praxis für die Wahrnehmung des Schutzauftrages bei Kindeswohlgefährdung bestimmte Handlungsverfahren vor. Auslöser für das Verfahren zur Wahrnehmung des Schutzauftrages des Jugendamtes sind gewichtige Anhaltspunkte für eine Gefährdung des Wohls eines Kindes oder Jugendlichen. Dies sind konkrete Hinweise oder ernstzunehmende Vermutungen. „Gewichtig“ bedeutet, dass Art, Dauer und Ausmaß der schädigenden Situation so gravierend sind, dass sie eine Kindeswohlgefährdung herbeiführen können. Es spielt keine Rolle, ob diese Hinweise ano-nym, auf legale oder gegen Datenschutzbestimmungen widersprechende Weise, auf eigene Initiative oder aufgrund einer Information von außen zur Kenntnis gelangt sind. Mit „Gefährdung“ ist eine deutlich höhere Schwelle als die fehlende „Gewährleistung einer dem Wohle des Kindes dienende Erziehung“ im Sinne des § 27 Abs. 1 SGB VIII normiert. Eine Kindswohlgefährdung liegt vor, wenn eine gegenwärtige oder zumindest unmittelbar be-vorstehende Gefahr für die Kindesentwicklung abzusehen ist, die bei ihrer Fortdauer eine erhebliche Schädigung des körperlichen, geistigen oder seelischen Wohls mit ziemlicher Si-cherheit voraussehen lässt. Je schwerer der Schaden ist, der einzutreten droht, umso geringere Anforderungen sind an den Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts zu stellen. Bei Säuglingen und Klein-kindern sowie bei Kindern bzw. Jugendlichen, bei denen eine psychische Erkrankung oder geistige Behinderung vorliegt, muss ein besonderes Gefährdungsrisiko angenommen werden. 2.2 Begriffsbestimmung Grundlage eines professionellen Vorgehens ist eine möglichst konkrete Feststellung zum Ge-fährdungsgrad und zum Hilfebedarf. Die einheitliche Verwendung von Begriffen unterstützt den erforderlichen Austausch und die Kooperation der Fachkräfte und wird deshalb verbind-lich vorgegeben. Es werden von den Fachkräften des ASD und APKD bei allen Erörterungen und Dokumentati-onen zur Bewertung der Gefährdungslage folgende Begriffe genutzt: Akute Gefahr Ein sofortiges Handeln zur Sicherstellung der

körperlichen Unversehrtheit oder zur Vermei-dung von körperlichen Schäden ist erforder-lich.

Gefahr Kein sofortiges Eingreifen, aber eine zügige Veränderung der Situation ist erforderlich.

Geringe Gefahr Anhaltspunkte für eine Gefährdung liegen vor, die eine Überprüfung/Begleitung erfor-derlich erscheinen lassen.

Keine Gefahr Eine Gefährdung ist nicht gegeben.

Mangel an Information zur Gefährdungs-einschätzung

Weitere Nachforschungen sind erforderlich.

- 5 -

Landkreis Rotenburg (Wümme) Jugendamt Stand: 06/2009

2.3. Örtliche Zuständigkeit Die örtliche Zuständigkeit für vorläufige Maßnahmen zum Schutz von Kindern und Jugendli-chen ergibt sich aus § 87 SGB VIII. Danach ist der örtliche Jugendhilfeträger verantwortlich, in dessen Bereich sich der oder die Minderjährige vor Beginn der Schutzgewährung tatsäch-lich aufhält. Im Falle einer Inobhutnahme wird das örtlich zuständige Jugendamt unverzüglich informiert. Die örtliche Zuständigkeit für Leistungen ergibt sich aus § 86 SGB VIII. 2.4. Datenschutz Eine fundierte Einschätzung des tatsächlich bestehenden Risikos einer Kindeswohlgefähr-dung setzt voraus, dass alle zur Klärung dieser Frage relevanten Informationen erhoben wer-den. Eine Erhebung derartiger Informationen stellt datenschutzrechtlich einen Eingriff in das ver-fassungsrechtlich geschützte Persönlichkeitsrecht dar. In erster Linie gilt daher, dass die Da-tenerhebung bei bzw. im Einvernehmen mit den Betroffenen (den Minderjährigen und ihren Eltern) erfolgen muss. Abweichend von diesem Grundsatz muss die Einbeziehung der Betroffenen dann unterblei-ben, wenn dadurch der wirksame Schutz des Minderjährigen in Frage gestellt würde (§ 8 a Abs. 1, § 62 Abs. 3 Nr. 4 SGB VIII). Dies betrifft vor allem die Verdachtsfälle des sexuellen Missbrauchs. Die Informationserhebung ohne Wissen oder gegen den Willen der Betroffenen ist weiterhin zulässig und erforderlich, wenn diese zur Mitwirkung an der Risikoeinschätzung nicht bereit sind (§ 62 Abs. 3 Nr. 2 d SGB VIII). Die freien Träger der Jugendhilfe werden über die Vereinbarungen nach § 8 a Abs. 2 SGB VIII verpflichtet. Unter bestimmten Voraussetzungen ist das Jugendamt über die Gefährdung von in ihren Einrichtungen und Diensten betreuten Kindern und Jugendlichen ggf. auch ohne Wis-sen oder gegen den Willen der Sorgeberechtigten und des betroffenen Kindes zu informieren. Dies jedoch nur und erst dann, wenn die eigenen und vorrangigen Bemühungen zur Wieder-herstellung und Sicherung des Kindeswohls gescheitert sind. Die Datenweitergabe des freien Trägers an das Jugendamt ist dann zulässig entsprechend § 64 Abs. 1 und 2 SGB VIII. Lehrkräfte, Fachkräfte anderer Dienste oder Ärzte dürfen Informationen ohne Einwilligung der Betroffenen weitergeben, wenn ein „rechtfertigender Notstand“ nach § 34 StGB vorliegt. Da-nach handeln sie nicht rechtswidrig, wenn die Gefahr für Gesundheit und Leben des Kindes so groß ist, dass eine Abwendung dieser Gefahr schwerer wiegt, als die Einhaltung der Schweigepflicht. Meldende Fachkräfte anderer Institutionen dürfen Informationen zum weiteren Vorgehen des Jugendamtes erhalten, wenn diese Information zur Wahrnehmung des eigenen Schutzauftra-ges nach § 8a SGB VIII erforderlich ist. Voraussetzung für die Datenweitergabe ist, dass da-durch der Erfolg, der vom Jugendamt zu gewährenden Leistung, nicht infrage gestellt wird (vgl. DIJuF-Rechtsgutachten vom 07.03.2007, JAmt, 06/2007). Es ist zur Abwendung einer Gefahr zulässig, unter den in § 8 a Abs. 4 SGB VIII genannten Voraussetzungen Sozialdaten an andere Leistungsträger, an Einrichtungen der Gesundheits-hilfe oder an die Polizei weiterzugeben. Zuletzt verpflichtet § 65 Abs. 1 Nr. 3 SGB VIII zur Weitergabe der relevanten Sozialdaten bei einem Wechsel der Fallzuständigkeit im Jugendamt oder bei einem Wechsel der örtlichen Zuständigkeit. Dies trifft zu, wenn begründete Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung gegeben sind und die Daten für eine Abschätzung des Gefährdungsrisikos im Rahmen einer wechselnden Zuständigkeit notwendig sind.

- 6 -

Landkreis Rotenburg (Wümme) Jugendamt Stand: 06/2009

Die Erstattung von Strafanzeigen ist neben den Fällen von § 138 StGB (Anzeigepflicht bei geplanten Straftaten) zulässig nach § 69 SGB X im Rahmen der Erfüllung eigener Aufgaben der Jugendhilfe - hier des Kinderschutzes. Weitere Hinweise im Handbuch DJI: Kapitel 2 - Was ist unter Kindeswohlgefährdung zu verstehen? Kapitel 40 - Welche Bedeutung haben im Fall einer Kindeswohlgefährdung die Da-

tenschutzbestimmungen?

- 7 -

Landkreis Rotenburg (Wümme) Jugendamt Stand: 06/2009

3. Ablaufregelungen im ASD Zur Sicherung des sachgemäßen Ablaufs werden folgende Hinweise gegeben: Gesicherte Erreichbarkeit Die Teams der Sozialen Dienste entwickeln einen Innendienstplan und stellen damit während der Dienstzeiten die persönliche und telefonische Erreichbarkeit sicher. In Krankheits- oder Urlaubszeiten klären die jeweiligen Vertreter, wer die Aufgaben des abwesenden Kollegen übernimmt. Hinsichtlich der telefonischen Erreichbarkeit kann auch mit Kollegen anderer Teams verabredet werden, dass sie diese Aufgabe übernehmen. Die Vertretungsregelung wird jeweils am Dienstort bekannt gegeben. Außerhalb der Dienstzeiten wird der Bereit-schaftsdienst tätig. Der aktuelle Innendienst- und der Bereitschaftsplan sind im Laufwerk S/Gruppe1 gespeichert. Priorität Die Sicherung des Kindeswohls hat höchste Priorität. Wenn eine Meldung eingeht, bei der eine akute Gefahr angenommen werden muss oder droht, werden alle anderen Tätigkeiten zurückgestellt, bis der Schutz des Kindes oder des Jugendlichen gewährleistet ist. Ersterfassung Jede eingegangene Meldung (auch anonym) mit gewichtigen Anhaltspunkten wird sofort do-kumentiert (Anlage 2) Zuständigkeit Wenn eine Meldung eingeht, übernimmt die aufnehmende Fachkraft die Zuständigkeit für die Krisenhilfe. Falls aufgrund der Bezirksaufteilung eine andere Zuständigkeit besteht, geht die Verantwortung auf die betreffende Kollegin/den Kollegen erst dann über, wenn sie/er die Auf-gabe persönlich annehmen kann. Personensorgeberechtigte Bei der Überprüfung von Gefährdungshinweisen sind die Personensorgeberechtigten mit ein-zubeziehen, soweit hierdurch der wirksame Schutz des Kindes nicht in Frage gestellt wird. Bei getrennt lebenden und gemeinsam sorgeberechtigten Elternteilen ist der Elternteil, der nicht die tatsächliche Sorge ausführt, zu beteiligen, wenn eine formelle Hilfe eingeleitet werden muss, ein Aufenthaltswechsel ansteht oder die Einschaltung des Familiengerichtes erwogen wird. Hausbesuch Um die Bedeutung einer Mitteilung einschätzen und bewerten zu können, ist in der Regel ein Hausbesuch erforderlich. Dabei ist das Alter des betroffenen Kindes bzw. Jugendlichen zu berücksichtigen. Je jünger ein Kind ist, desto wichtiger ist ein Hausbesuch. Bei Jugendlichen ist die Notwendigkeit eines Hausbesuches abzuwägen. Im Zuge der ersten Fallberatung entscheidet die fallzuständige Fachkraft, ob die Kindeswohl-gefährdung nach vorheriger Anmeldung überprüft werden kann oder ob ein sofortiger und unangemeldeter Hausbesuch erforderlich ist. Ein unangemeldeter Hausbesuch ist angezeigt, wenn es Hinweise auf eine Gefährdung gibt, bei der die Gesundheit und das Leben des be-

- 8 -

Landkreis Rotenburg (Wümme) Jugendamt Stand: 06/2009

troffenen Kindes unmittelbar bedroht ist und wenn die Eltern auf eine Mitteilung und Bitte um Terminabsprache nicht reagiert haben. Häusliche Gewalt Bei der Umsetzung der Aufgaben des Jugendamtes in Fällen häuslicher Gewalt wird wie folgt vorgegangen: • Nach Eingang einer Mitteilung der Polizei über einen Vorfall von häuslicher Gewalt mit

Wegweisung erfolgt kurzfristig (wenn möglich mit telefonischer Anmeldung) ein Hausbe-such.

• Beim Hausbesuch wird überprüft, ob eine akute Gefährdung von Kindern oder Jugendli-

chen vorliegt. Den Betroffenen wird Beratung angeboten oder erforderlichenfalls wird eine Hilfe eingeleitet.

• Erneute Überprüfung der familiären Situation. Wenn bei dem Erstkontakt eine Gefährdung

festgestellt wurde, erfolgt eine enge Begleitung. Beteiligung mehrerer Fachkräfte Bei Feststellung gewichtiger Anhaltspunkte sucht die für die Krisenhilfe zuständige Fachkraft bei Bedarf und nach Möglichkeit den Austausch mit mindestens einer weiteren Fachkraft des Teams. Wenn nach der ersten Überprüfung (Hausbesuch, Beratungsgespräch) gewichtige Anhalts-punkte für eine Gefährdung festgestellt werden, folgt eine Vorstellung des Problems und der Planung in einer Team- oder Dienstbesprechung. Die Fallvorstellung ist nicht erforderlich, wenn durch Einleitung einer Hilfe zur Erziehung ein ausreichender Schutz gewährleistet ist und in der nächsten Hilfekonferenz die Planung vorgestellt werden kann. Das Einbeziehen spezialisierter Fachkräfte dient in besonderem Maße dem Schutz der Kinder und Jugendlichen. Spezialisierte fachliche Beratung wird von den Mitarbeiter/innen der Erzie-hungsberatungsstelle, der BISS-Stelle, den Fachkräften des Gesundheitsamtes sowie von den psychologischen Fachkräften der Beratungsstelle Wildwasser angeboten. Bei Kindern drogenkonsumierender oder drogensubstituierter Eltern und bei Kindern, deren Eltern an ei-ner schweren psychischen Erkrankung leiden, ist eine besondere Sorgfalt geboten. In diesen Fällen ist es unbedingt erforderlich, medizinischen/psychiatrischen Sachverstand hinzuziehen. Soweit keine Schweigepflichtsentbindungen vorliegen, erfolgt die Beratung mit den speziali-sierten Fachkräften in anonymisierter Form. Information sowie Beteiligung der Dienst- und Fachv orgesetzten Die Leitung der Sozialen Dienste wird in allen Meldungsfällen, in denen es Hinweise auf eine akute Gefahr für Leben und Gesundheit des Kindes/Jugendlichen gibt und deshalb ein sofor-tiger Handlungsbedarf angenommen werden muss, unverzüglich eingeschaltet. Die für die Krisenhilfe zuständige Fachkraft leitet hierzu die Ersterfassung sowie die eingegangenen Be-richte von Fachkräften oder Institutionen persönlich oder per Fax an die Leitung Soziale Dienste oder - falls die Leitungskraft mehrtägig nicht im Amt ist - an die Amtsleitung weiter. Im weiteren Verlauf informiert die fallzuständige Kraft die Leitung schriftlich über das Ergebnis der Überprüfung und über die Planung. In allen anderen Fällen gibt die fallzuständige Kraft eine Kopie der schriftlichen Dokumentati-on ihrer Überprüfung und Planung nachrichtlich weiter an die Vorgesetzte. Falls wegen besonderer Eilbedürftigkeit eine Hilfe ohne Einhaltung des Hilfeplanverfahrens eingeleitet werden muss, entscheidet die für die Krisenhilfe zuständige Fachkraft im Einver-

- 9 -

Landkreis Rotenburg (Wümme) Jugendamt Stand: 06/2009

nehmen mit der Leitung Soziale Dienste oder mit der Amtsleiterin über die vorläufige Maß-nahme zum Schutz des Kindes oder Jugendlichen. Bei Vorliegen der Voraussetzungen nach § 8 a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII regt die zuständige Fachkraft ein gerichtliches Verfahren an. Der schriftliche Bericht für das Gericht wird der Lei-tung Soziale Dienste vor Absendung zugeleitet. Zusammenarbeit mit externen Fachkräften Fachkräfte, die das Jugendamt auf eine mögliche Gefährdung hingewiesen haben, erhalten eine Eingangsbestätigung und eine Mitteilung, welche Fachkraft des Jugendamtes fallzustän-dig ist. Bei Bedarf wird außerdem mitgeteilt, wann gegenüber den Beteiligten der Gefähr-dungsverdacht eröffnet wird. Diese Information kann mündlich oder schriftlich weitergeleitet werden. Die Erledigung wird in der Akte dokumentiert. Über das Ergebnis der Überprüfung und über die weitere Planung werden diese Fachkräfte informiert, wenn dies datenschutz-rechtlich zulässig ist und im Interesse des Kindes liegt. Dieser Sachverhalt ist z.B. gegeben, wenn das Kind weiter von den Fachkräften betreut wird und vor weiteren Schädigungen ge-schützt werden muss. Beteiligung der Polizei Falls die potentielle oder festgestellte Gefährdung eines Kindes oder Jugendlichen ein sofor-tiges Tätigwerden erfordert und diese Gefährdung nicht mit den Mitteln der Jugendhilfe besei-tigt werden kann, ist die Polizei einzuschalten (§ 8a Abs. 4 SGB VIII). Gibt es konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die Wohnung gegen den Willen des Wohnungsin-habers betreten werden muss und Zwangsmittel einzusetzen sind, ist die Polizei hinzuzuzie-hen, damit diese die Gefahrenlage in eigener Aufgabenwahrnehmung beseitigt. Das Gleiche gilt, wenn das Betreten der Wohnung ohne Eigengefährdung der ASD-Mitarbeiter bei einem Einsatz zur Beseitigung einer unmittelbaren Gefahr für das Kindeswohl nicht möglich er-scheint. Die Fachkraft des Jugendamtes hat keine Befugnis zur Anwendung unmittelbaren Zwanges (z. B. Aufbrechen von Haustüren, Unterdrückung der Gegenwehr einer Person). Nur Polizei-beamte dürfen eine Wohnung ohne Einwilligung der Inhaberin oder des Inhabers betreten und durchsuchen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich in ihr eine Person befin-det, die in Obhut genommen werden soll und dies zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit erforderlich ist (§ 24 SOG). Anzeige einer Straftat Wenn der Verdacht entsteht, dass eine Straftat wie z. B. die Verletzung der Fürsorge- und Erziehungspflichten nach § 171 StGB eine Misshandlung gemäß § 225 StGB oder ein Sexual-delikt gemäß § 174, § 176, § 176 a, § 180, § 182 StGB vorliegen könnte, erörtert die fallzu-ständige Fachkraft mit dem Team und mit der Leitung Soziale Dienste das weitere Vorgehen. Das Ergebnis wird von der fallzuständigen Fachkraft protokolliert. Für eine Mitteilung an die Polizei, für eine Anzeigeerstattung sowie für Aussagen in einem Gerichtsverfahren ist die Er-laubnis der Dienststelle einzuholen. Hierzu wird die Ausgangslage, die Fragestellung sowie der Entscheidungsvorschlag dokumentiert. Dieser Vermerk wird auf dem Dienstweg an die Dezernentin und anschließend an das Haupt- und Personalamt übersandt.

- 10 -

Landkreis Rotenburg (Wümme) Jugendamt Stand: 06/2009

Inobhutnahme Soweit keine geeigneten Bezugspersonen zur Übernahme der Betreuung und Versorgung von Kindern oder Jugendlichen in Notsituationen zur Verfügung stehen, erfolgt eine Unterbringung in einer Pflegestelle oder einer Heimeinrichtung. Für die Inobhutnahme von Kindern im Alter von 0 bis 10 Jahren - im Ausnahmefall bis zum Alter von 12 Jahren - stehen die Bereitschaftspflegefamilien im Landkreis Rotenburg (Wüm-me) zur Verfügung. Nähere Hinweise zum Verfahren bietet die „Konzeption für Inobhutnahme nach § 42 SGB VIII in Bereitschaftspflege“. Für die kurzfristige Unterbringung älterer Kinder und Jugendlicher wurden mit Trägern der freien Jugendhilfe entsprechende Entgeltvereinbarungen abgeschlossen. (aktuelle Vereinba-rungen siehe Laufwerk S/Amt 51/Vorlagen). Es wird vorrangig bei diesen Trägern angefragt, ob eine Aufnahme möglich ist. Für die Inobhutnahme von Kindern und Jugendlichen auswärtiger Jugendämter während der üblichen Dienstzeit gilt folgende Regelung: • Nach Aufnahme der Daten wird das zuständige Jugendamt sofort telefonisch oder per Fax

informiert. Es wird um Mitteilung gebeten, ob das Kind/der Jugendliche in Obhut genom-men werden soll oder ob das zuständige Amt eine sofortige Rückführung veranlassen wird.

• Bei angekündigter Rückführung wird das Kind in der jeweiligen Dienststelle des Jugendam-

tes versorgt und beaufsichtigt. • Soll eine Inobhutnahme erfolgen, wird die Wirtschaftliche Jugendhilfe informiert und Kon-

takt zu einer geeigneten Heimeinrichtung aufgenommen. Überprüfung des Verlaufs Der Grad der festgestellten Gefährdung bestimmt die Überprüfungsintervalle. Bei einer Ge-fährdung ist mindestens alle vier Wochen eine Überprüfung und damit Fortschreibung des Hilfeplans/Schutzkonzeptes erforderlich. Können innerhalb von drei Monaten keine erkennba-ren Fortschritte in der häuslichen und sozialen Situation der Familie und/oder beim Erschei-nungsbild des Kindes festgestellt werden, ist der Fall im Team zu beraten. Aktenführung und Statistik Die sorgfältige Dokumentation der Meldung, der Risikoeinschätzung, der Hilfeplanung und der folgenden Überprüfungen bis zur Feststellung ausreichender Sicherheit ist unverzichtbarer Bestandteil des Schutzauftrages. Für die erste Dokumentation wird der Vordruck „Ersterfassung“ genutzt (Anlage 2). Bei weite-ren Risikoeinschätzungen und bei der Einschätzung des Handlungsbedarfs werden immer die im Kapitel 2 der Konzeption genannten Begriffe genutzt (Bewertung des Gefährdungsgrades). Bei jedem weiteren Verfahrensschritt werden folgende Punkte schriftlich festgehalten: • beteiligte Fachkräfte • zu beurteilende Situation • Ergebnis der Beurteilung, eigene Überlegungen zum Schutzkonzept • weitere anstehende Entscheidungen • Definition der Verantwortlichkeit für den nächsten Schritt • Zeitvorgaben für Überprüfungen Die Wiedervorlagefristen sind in der Akte zu dokumentieren und über die Software GeDok zu aktivieren.

- 11 -

Landkreis Rotenburg (Wümme) Jugendamt Stand: 06/2009

Mit der Fachsoftware GeDok kann auch ermittelt werden, in wie vielen Fällen einem Verdacht der Kindeswohlgefährdung nachgegangen werden musste. Deshalb ist bei der Datenerfas-sung in jedem Überprüfungsfall unter dem Programmabschnitt „Situationsanalyse und Hilfe-bedarf“ in dem Feld „Problemlagen“ der Punkt „Kindeswohlgefährdung/Verdacht einer Kin-deswohlgefährdung“ auszuwählen. Zuständigkeitswechsel Wenn es zu einem Zuständigkeitswechsel aufgrund eines Umzuges der Familie kommt, sind folgende Vorgaben zu beachten: • Vor Abgabe des Falles ist ein zusammenfassender Sachstandsvermerk anzufertigen. • Bei Umzug in den Zuständigkeitsbereich eines anderen Jugendamtes ist das nun zuständi-

ge Jugendamt unverzüglich per Fax und anschließend auf dem Postweg über die Gefähr-dungslage zu informieren. Es wird um eine schriftliche Eingangsbestätigung gebeten.

• Bei Umzug innerhalb des Zuständigkeitsbereichs des Landkreises Rotenburg (Wümme) ist

die neu zuständig werdende Fachkraft sofort zu informieren. Grundsätzlich muss ein per-sönliches Fallübergabegespräch stattfinden. Die Zuständigkeit wechselt sofort. Bei einem Fall, bei dem eine akute Gefährdung vorliegt oder vorliegen könnte, unterstützt die bisher zuständige Fachkraft die neu zuständig gewordene Kollegin/den Kollegen bei der Hilfepla-nung und bei dem möglicherweise eingeleiteten Gerichtsverfahren, bis ein Schutz des Kin-des oder Jugendlichen gesichert ist.

Eine Übersicht bieten die Ablaufdiagramme (Anlage 1)

- 12 -

Landkreis Rotenburg (Wümme) Jugendamt Stand: 06/2009

4. Vorgehen der sozialpädagogischen Fachkräfte bei Kindeswohlgefährdung Phase 1- Meldung bzw. Wahrnehmung einer Kindeswohlg efährdung Der ASD kann über verschiedene Wege Kenntnis von einer Kindeswohlgefährdung erhalten: 1. Als Selbstmeldung von Eltern oder Minderjährigen, die von sich aus Kontakt mit der Ju-

gendhilfe aufnehmen, um Hilfe und Unterstützung in einer Gefährdungs-, Konflikt- oder Belastungssituation zu erhalten.

2. Als Fremdmeldung durch Privatpersonen, wie z. B. durch Verwandte, Nachbarn oder

Freunde bzw. Freundinnen des Kindes oder Jugendlichen oder durch Mitarbeiter/innen von Institutionen, wie z. B. Kindergarten, Schule, Hort, Gesundheitssystem, Polizei usw.

3. Im Rahmen der eigenen Fallarbeit kann sich eine Gefährdungssituation akut oder schlei-

chend zuspitzen und erfordert somit eine neue Einschätzung der individuellen und familiä-ren Gesamtsituation und ggf. veränderte Handlungs- und Kooperationsstrategien, um den Schutz des Kindes oder Jugendlichen zu gewährleisten.

In allen drei Fällen unterstützt eine speziell für diese Arbeit entwickelte Checkliste die Doku-mentation und weitere Bearbeitung (siehe Anlage 2) Gefährdungseinschätzungen sind grundsätzlich mit verschiedenen Beurteilungsproblemen und Fehlerrisiken verbunden. Risiken können im Verlauf der eigenen Fallarbeit über-, aber auch unterschätzt werden, elterliche Verhaltensweisen können eingeengt wahrgenommen oder unangemessen interpretiert werden, Entwicklungsbeeinträchtigungen des Kindes können unterschiedlich wahrgenommen und beurteilt werden. Während der Fallarbeit erhält die Fach-kraft zunehmende Informationen zu elterlichen Verhaltensweisen und zur Entwicklungssituati-on des Kindes/Jugendlichen. Zugleich kann sich im Prozess der Fallbearbeitung der fachliche und professionelle Abstand zur Familie und zum Kind minimieren. Aufgrund dieser beiden Entwicklungsverläufe (zunehmende Informationen mit zugleich unter Umständen zunehmen-der Nähe) kann es zu einer veränderten Bewertung der Gefährdungskriterien kommen. Dieser Vorgang wird unter Umständen nicht bewusst von der Fachkraft wahrgenommen. Des Weite-ren muss davon ausgegangen werden, dass die in einem Fall beschäftigte Fachkraft durch Gefährdungsaspekte eigene Betroffenheit, Angst und Unsicherheit erlebt. Zur Bewältigung der eigenen emotionalen Betroffenheit sowie um erhaltene Informationen strukturieren und bewerten zu können und um daraus insgesamt zu einem angemessenen Handeln zu finden, bedarf es der Möglichkeit von Fallbesprechungen und Supervisionen. Bei gewichtigen Hinweisen auf eine Kindeswohlgefährdung und einem speziellem Hintergrund ist es auch für Mitarbeiter/innen des ASD erforderlich eine „insoweit erfahrene Fachkraft“ zur Fallberatung hinzuziehen. Dies kann zum Beispiel der Fall sein bei einer Gefährdung eines Kleinkindes, akuter Suizidalität der Eltern und bei Anhaltspunkten für sexuellen Missbrauch (siehe Kapitel 3 - Beteiligung mehrer Fachkräfte). Weitere Hinweise im Handbuch DJI: Kapitel 43 - Welche Leitlinien bestimmen das Handeln in der Sozialen Arbeit bei

Kindeswohlgefährdung? Kapitel 47 - Wie ist mit einer Neu-Meldung einer Kindeswohlgefährdung umzuge-

hen?

- 13 -

Landkreis Rotenburg (Wümme) Jugendamt Stand: 06/2009

Phase 2 - Informat ionsgewinnung Ziel eines multiperspektivischen Informationssammlungsprozesses ist es, möglichst relevante und ausreichende Informationen über das Kind oder den Jugendlichen, seine Sicherheit, sei-nen Entwicklungsstand, seine familiäre und soziale Gesamtsituation sowie individuelle und familiäre Risiken und Ressourcen zu gewinnen, um zu einer begründeten Einschätzung einer möglichen Gefährdungssituation zu gelangen. In dieser Phase geht es im Falle einer Neumeldung zunächst um die Kontaktaufnahme zu der betroffenen Familie, in der ein Kind oder Jugendlicher möglicherweise gefährdet ist, um die Kontaktaufnahme mit dem betroffenen Kind oder Jugendlichen und ggf. mit Personen aus sei-nem sozialen Lebensraum (Familienangehörige, Nachbarn) und institutionellem Umfeld (Kin-dergarten, Schule, Hort, Arzt etc.). Informationsgewinnung in der betroffenen Familie se lbst Die Zugehensweisen von Fachkräften in Familien, in denen Gefährdungssituationen für Kin-der nicht ausgeschlossen werden können, sind grundsätzlich andere als die in Ressourcen orientierten Beratungskontexten.

Bei Verdacht einer Kindeswohlgefährdung sollten, wenn möglich, zwei Fachkräfte den Haus-besuch durchführen. Folgende Kriterien sollten vor einem solchen Hausbesuch geklärt sein:

• Rollen der am Kriseneinsatz beteiligten Fachkräfte absprechen (Gesprächsführung, Proto-koll, etc.)

• Erhebungsbögen, Telefonnummern (Anlage 3) und Handy mitnehmen

• Transportmöglichkeiten für Kinder klären (Kindersitze etc.) Es findet eine „Beratung im Zwangskontext“ statt, die auf die Einschätzung von Risiken, d. h. auf den professionellen Umgang im Spannungsfeld von Hilfe und Kontrolle angelegt ist. Im Gefährdungskontext kann von der ansonsten als Grundlage in der Zusammenarbeit mit Klien-ten vorhandenen Freiwilligkeitsprämisse nicht ausgegangen werden. Im Sinne des Kinder-schutzes ist es dann entscheidend, die Wege der Informationsgewinnung in der Familie sorg-fältig auf Vor- und Nachteile zu bedenken. So kann beispielsweise bei Verdacht auf sexuellen Missbrauch eine direkte und konfrontative Befragung des vermuteten Täters die unmittelbare Gefährdung eines Kindes erhöhen. Im Gespräch mit den Personensorgeberechtigten und ggf. mit dem Kind/Jugendlichen sollen systematisch Informationen erhoben werden, um dadurch eine Grundlage zu schaffen eine fachlich fundierte Gefährdungseinschätzung vornehmen zu können. Je nach Alter des Kindes und Jugendlichen gibt es unterschiedliche Kategorien und Bewertungskriterien, die zu be-rücksichtigen sind. Hierzu nähere Hinweise im Abschnitt „Phase 3“. Informationsgewinnung bei Personen aus dem sozialen Lebensraum (Familienangehö-rige, Nachbarn) und institutionellem Umfeld (Kinder garten, Schule, Hort, Arzt etc.) Bei der Informationsgewinnung durch Dritte sind die Bestimmungen des Datenschutzes zu beachten: Der ASD darf im Einzelfall Daten bei Dritten erheben (Rechtsgrundlage dafür ist der § 62 Abs. 3 Nr. 2 a, 2 c und 2 d und Nr. 4 SGB VIII).

Wichtig ist, unterschiedliche Informationsarten und Quellen zu nutzen, wie z. B. Beobachtun-gen von Kindergarten, Schule, Hort, Krankenhaus, Kinderarzt oder aus dem sozialen Umfeld. Im Sinne des Kinderschutzes ist es wichtig, die Wege der Informationsgewinnung sorgfältig auf Vor- und Nachteile zu bedenken und den Anlass und die Weitergabe von Informationen bei angesprochenen Menschen oder Institutionen fachlich und professionell abzuwägen. Ab-

- 14 -

Landkreis Rotenburg (Wümme) Jugendamt Stand: 06/2009

zuklären ist dabei, welche Informationen man den Informanten gibt und abzuwägen, wie diese Informationen auf diese wirken könnten. Bei der Befragung Dritter aus dem sozialen Umfeld sind selektiv die entsprechenden Frage-stellungen „Orientierungshilfe“ zu verwenden (siehe Abschnitt „Phase 3“ sowie Anlage 3 und 4). Weitere Hinweise im Handbuch DJI: Kapitel 50 - Welche rechtliche Voraussetzungen sind bei der Kontaktauf-

nahme mit dem Klientel zu beachten? Kapitel 51 - Wie kann mit der betroffenen Familie Kontakt aufgenommen

werden und wie kann die Zusammenarbeit aufgebaut werden? Kapitel 52 - Wie kann der Auftrag des ASD gegenüber der Familie erklärt

werden? Kapitel 53 - Was ist im Kontakt mit Familien zu beachten, die Vernachlässi-

gungs-Strukturen aufweisen? Kapitel 54 - Wie kann man mit Eltern sprechen, die ein Kind (körperlich)

misshandeln? Kapitel 55 - Wie kann man mit Eltern(teilen) sprechen, die vermutlich ein

Kind sexuell missbrauchen? Kapitel 56 - Was ist bei der Beratung von suchtkranken Eltern zu berücksich-

tigen? Kapitel 57 - Was ist bei psychisch kranken Eltern zu berücksichtigen? Kapitel 58 - Wie kann der Kontakt mit Kindern und Jugendlichen gestaltet

werden?

- 15 -

Landkreis Rotenburg (Wümme) Jugendamt Stand: 06/2009

Phase 3 – Einschätzung und Bewertung einer Kindeswo hlgefährdung Anhand der aus Phase 1 und 2 gewonnenen Informationen ist die Einschätzung und Bewer-tung über die Gefährdungslage des Kindes bzw. des Jugendlichen vorzunehmen. Risiko- und Belastungsfaktoren Bei der Einschätzung akuter und latenter Gefährdungssituationen in Familien oder familien-ähnlichen Strukturen ist das Zusammenwirken verschiedener Risikofaktoren bedeutsam. Des Weiteren sollte bei der Bewertung das Ausmaß bzw. die Schwere der Beeinträchtigung, Schädigung sowie die Häufigkeit/Chronizität der Schädigung und das Alter des Kindes/Ju-gendlichen betrachtet werden. Die Risikofaktoren müssen in Beziehung zu den Schutzfaktoren gesetzt werden. Hier können folgende Anhaltspunkte genutzt werden: Körperliche Erscheinung des Kindes (Säugling und Kleinkind 0 – 3 Jahre) - Früh-/Mangelgeburt, Mehrlingsgeburt - Chronische Krankheiten, Behinderung - Zeichen von Unter-/Überernährung, Flüssigkeitsmangel - keine altersgemäße motorische, sensomotorische Entwicklung - Steifheit, Verspannung, Schlaffheit - Hämatome, Mehrfachverletzungen in verschiedenen Heilstadien, Kleinwunden, Striemen,

Narben, Spuren von Gegenständen - Knochenbrüche, Mehrfachbrüche in verschiedenen Heilstadien - Schüttelsymptome (Stauungszeichen im Kopfbereich) - Verbrennungen, Verbrühungen - auffällige Rötungen/Entzündungen im Anal- und Genitalbereich - Schmutz- und Kotreste auf der Haut Psychische Erscheinung des Kindes (Säugling und Kleinkind 0-3 Jahre) - unruhig, schreit viel („Schreikind“) - traurig, apathisch - ängstlich, scheu, schreckhaft, zurückgezogen, - aggressiv, selbstverletzend - Kind zeigt Schlafstörungen (Einschlaf-, Durchschlafstörungen) - Essstörungen Weitere Symptome bei älteren Kindern und Jugendlichen: - nicht plausibel erklärbare sichtbare Verletzungen (auch Selbstverletzungen) - körperliche oder seelische Krankheitssymptome (Einnässen, Ängste, Zwänge etc.) - unzureichende Flüssigkeits- und/oder Nahrungszufuhr - fehlende, aber notwendige ärztliche Vorsorge und Behandlung - Zuführung gesundheitsgefährdender Substanzen - für das Lebensalter mangelnde Aufsicht - wiederholt Aufenthalt an jugendgefährdenden Orten - Hygienemängel (Körperpflege, Kleidung etc.) - unbekannter Aufenthalt (Weglaufen, Streunen) - fortgesetzte unentschuldigte Schulversäumnisse - wiederholte/schwerwiegende gewalttätige oder sexuelle Übergriffe gegen andere Personen - Gesetzesverstöße - Kind/Jugendlicher wirkt benommen (Medikamente, Alkohol oder andere Drogen)

- 16 -

Landkreis Rotenburg (Wümme) Jugendamt Stand: 06/2009

Anhaltspunkte in Familie und Lebensumfeld: - Gewalttätigkeiten in der Familie - fehlende emotionale Zuwendung durch Bezugspersonen (Beispielsweise: Körperkontakt,

Blickkontakt, Einfühlungsvermögen für das Kind, Wertschätzung für das Kind, Beziehungs-gestaltung mit dem Kind)

- fehlende Vorsorgeuntersuchung, medizinische Hilfe wird nicht (rechtzeitig) in Anspruch genommen

- Kind/Jugendlicher wird in die Obhut ungeeigneter Personen gegeben - sexuelle oder kriminelle Ausbeutung des Kindes oder Jugendlichen - Zugang zu Gewalt verherrlichenden oder pornographischen Medien - Eltern psychisch krank oder suchtkrank, körperlich oder geistig beeinträchtigt - Familie in finanzieller bzw. materieller Notlage - Schlafplatz für Kind/Jugendlichem fehlt oder ist ungeeignet - Nichtbeseitigung von erheblichen Gefahren im Haushalt (z.B. Herumliegen von Spritzbe-

steck, defekte Stromkabel) - desolate Wohnsituation (Vermüllung, Beheizbarkeit, Stromversorgung, Obdachlosigkeit) - traumatisierende Lebensereignisse (Verlust eines Angehörigen, Unglück etc.) - schädigendes Erziehungsverhalten und mangelnde Entwicklungsförderung durch Eltern - Leugnen früherer Vorfälle (z.B. Vernachlässigung, Kindesmisshandlung) oder Verantwor-

tungsübernahme wird abgewehrt - soziale Isolierung der Familie Anhaltspunkte zur mangelnden Mitwirkungsbereitschaft und -fähigkeit: - Kindeswohlgefährdung durch Erziehungs- oder Personensorgeberechtigte nicht abwendbar - fehlende Problemeinsicht - unzureichende Kooperationsbereitschaft - mangelnde Bereitschaft, Hilfe anzunehmen - bisherige Unterstützungsangebote unzureichend - frühere Sorgerechtsvorfälle Schutzfaktoren können sein: - Bezugspersonen aus dem nahen Umfeld des Kindes - verlässlich organisierte Bindungen im Kindergartenalter, in der Schule - Helfersysteme, an die sich das Kind bzw. der Jugendliche vertraulich wenden kann - vertraute, sichere Orte - Persönlichkeitsmerkmale des Kindes bzw. Jugendlichen und Entwicklungsstand; je nach

Intelligenz und Alter bestehen bereits eigene, kompetente Lösungsstrategien und Aufarbei-tungsmöglichkeiten.

- günstige, die Belastung abfedernde Umweltbedingungen Ausführlichere Hinweise können dem „Orientierungshilfe“ entnommen werden (siehe Anlage 4 und 5). Generell geben bereits folgende Kriterien einen Hin weis auf einen unverzüglichen Handlungsbedarf:

• Es werden Verhaltensweisen einer gegenwärtigen Betreuungsperson geschildert, die zu schweren Verletzungen bzw. Gesundheitsgefährdungen geführt haben oder leicht dazu hätten führen können.

• Ein betroffenes Kind ist aufgrund von Alter oder Gesundheitszustand als besonders ver-letzlich anzusehen.

• Es liegen Hinweise auf ein unberechenbares Verhalten einer Betreuungsperson vor, et-wa aufgrund von Suchtmittelmissbrauch, schwerer psychischer Erkrankung oder ausge-prägter Erregung.

• Es ist bekannt, dass eine Betreuungsperson in der Vergangenheit erheblich gefährdet oder geschädigt hat (z. B. nachgewiesene Kindesmisshandlung, nachgewiesener Miss-brauch).

• Eine andere Person, die das Kind aktuell schützen könnte, ist nicht vorhanden.

- 17 -

Landkreis Rotenburg (Wümme) Jugendamt Stand: 06/2009

Auswertung und Dokumentation Den Abschluss bildet eine Gesamtbewertung der Gefährdung sowie die kurz-, mittel- und langfristige Planung des Vorgehens, wie z. B. die Gestaltung von Hilfeprozessen. Die Beantwortung der folgenden vier Fragen unterstützt die Risikoeinschätzung: Gewährleistung des Kindeswohls

Inwieweit ist das Wohl des Kindes durch die Sorgeberechtigten gewährleistet oder ist dies nur zum Teil oder überhaupt nicht der Fall?

Problemakzeptanz

Sehen die Sorgeberechtigten und die Kinder selbst ein Problem oder ist dies weniger oder gar nicht der Fall?

Problemkongruenz

Stimmen die Sorgeberechtigten und die beteiligten Fachkräfte in der Problembeschreibung überein oder ist dies weniger oder gar nicht der Fall?

Hilfeakzeptanz Sind die Sorgeberechtigten und Kinder bereit und in der Lage, die angebotenen Hilfen an zunehmen und zu nutzen oder ist dies nur zum Teil oder gar nicht der Fall? Diese Auswertung wird nachvollziehbar dokumentiert. Damit sichergestellt ist, dass im Vertre-tungsfalle oder im Fall des Zuständigkeitswechsels andere Mitarbeiter/innen des ASD die Einschätzung nachvollziehen können, werden die im Kapitel 2.2 der Konzeption vorgestellten Begriffe zum Gefährdungsgrad genutzt. Weitere Hinweise im Handbuch DJI: Kapitel 59 - Welche Einschätzungsaufgaben stellen sich in Gefährdungsfällen? Kapitel 60 bis 61 - Kindbezogene Aspekte Kapitel 62 bis 67 - Elternbezogene Aspekte Kapitel 68 bis 72 - Gefährdungsbezogene Aspekte Kapitel 73 - Welche Aspekte können insgesamt bei der Einschätzung von Gefähr- dungsfällen bedeutsam sein?

- 18 -

Landkreis Rotenburg (Wümme) Jugendamt Stand: 06/2009

Phase 4 - Hilfeprozesse für das Kind, den Jugendlic hen und seine Familie In Abhängigkeit vom wahrgenommenen Ausmaß und Schweregrad der Gefährdung eines Kin-des oder Jugendlichen sowie den personen- und umfeldbezogenen Ressourcen der Familie ist zu klären, wie die Gefährdung abgewendet werden kann. In Frage kommen folgende Krisenhilfen: • Anderweitige Unterbringung (z. B. Verwandte) • Begleitung und Überprüfung der Gefährdungslage durch ASD • Hilfe zur Erziehung (ambulant z. B. Clearing oder Sozialpädagogische Familienhilfe und

teilstationär oder stationär) • Inobhutnahme Vorgehen

1. Nehmen die Eltern Beratung an und wünschen unterstützende Hilfe, dann kommt das Hil-feplanverfahren als Grundlage der Entscheidung für die Gewährung der notwendigen und geeigneten Hilfe zur Erziehung in Gang (siehe „Phase 6“).

2. Lehnen die Eltern bei Hinweisen auf eine Gefährdung Beratungs- und Unterstützungsan-

gebote ab, ist zu klären, ob dies mit Blick auf die Situation des Kindes/Jugendlichen hin-nehmbar oder ob zur weiteren Sachverhaltsaufklärung oder zur Installierung von Hilfen zur Erziehung das Familiengericht anzurufen ist. Hierzu ist vorbereitend die kollegiale Bera-tung bzw. die Supervision und eine Erörterung mit dem Vorgesetzten in Anspruch zu neh-men.

3. Wenn eine akute Gefährdung festgestellt wurde - ein Schadenseintritt beim Kind also un-

mittelbar bevorsteht und die Eltern nicht bereit oder fähig sind, die Gefahr abzuwenden oder geeignete Hilfen anzunehmen und eine Entscheidung des Familiengerichtes nicht mehr abgewartet werden kann, ist das Kind in Obhut zu nehmen. Das Familiengericht wird gemäß § 8a Abs. 3 SGB VIII angerufen und trifft eine Entscheidung über die erforderlichen Maßnahmen zum Wohl des Kindes bzw. Jugendlichen

Weitere Hinweise im Handbuch DJI: Kapitel 78 Welche Angebote und Hilfen stehen dem ASD im Fall einer Beein-

trächtigung oder Gefährdung des Kindeswohls zur Verfügung?

- 19 -

Landkreis Rotenburg (Wümme) Jugendamt Stand: 06/2009

Phase 5 - Einbezug des Familiengerichts Grundsätzlich ist das Familiengericht anzurufen, wenn dies zur Abwehr einer Gefährdung des Wohls des Kindes erforderlich ist oder die Eltern nicht bereit oder in der Lage sind, an der Gefährdungseinschätzung mitzuwirken. (§ 8a Abs. 3 SGB VIII). Die Grundlage bilden hier die Einschätzung und Bewertung der fallverantwortlichen Fachkraft zur häuslichen und sozialen Situation der Familie, zum Erscheinungsbild sowie dem Verhalten des Kindes und zum Ko-operationsverhalten und den Ressourcen der Eltern oder des erziehenden Elternteils sowie die Risikoeinschätzung bezogen auf die vier Fragen „Gewährleistung des Kindeswohls, Prob-lemakzeptanz, Problemkongruenz und Hilfeakzeptanz“ (siehe Phase 3)

Lassen gewichtige Anhaltspunkte eine Kindeswohlgefährdung möglich oder wahrscheinlich erscheinen und reichen die Befugnisse des Jugendamtes zur Gefährdungseinschätzung nicht aus, sollen die zusätzlichen familiengerichtlichen Möglichkeiten zur Herstellung von Verbind-lichkeit bei der Sachverhaltsaufklärung genutzt werden. Das Familiengericht kann im Rahmen seines Amtsermittlungsauftrags (§ 12 FGG) den Kontakt zu den Eltern und deren Kindern herstellen, der dem Jugendamt verweigert wurde, oder es kann ein Sachverständigengutach-ten bspw. über den Gesundheitszustand eines Kindes bzw. die Erziehungsfähigkeit eines Elternteils in Auftrag geben.

Einen bestimmten „Antrag“ muss das Jugendamt nicht stellen. Das Jugendamt hat das Ge-richt „anzurufen“, d.h. es informiert das Gericht über eine Problemlage und regt ein Verfahren an. In geeigneten Fällen soll dann das Gericht mit den Eltern, dem Kind und dem Jugendamt er-örtern, wie einer möglichen Gefährdung des Kindeswohls begegnet werden kann (§ 50f FGG). Diese Erörterung kommt zum Beispiel in Frage, wenn beim Jugendamt Hinweise auf eine Gefährdung eingegangen sind, die wegen einer Verweigerung der Eltern bisher nicht überprüft werden konnten oder wenn Eltern statt der erforderlichen stationären Hilfe nur eine ambulante Hilfe annehmen wollen. In Verfahren wegen Gefährdung des Kindeswohls hat das Familiengericht unverzüglich den Erlass einer einstweiligen Anordnung zu prüfen (§ 50e FGG). Dies wird immer dann der Fall sein, wenn konkrete Hinweise auf eine akute Gefährdung vorliegen. In § 1666 Abs. 3 BGB werden die möglichen familiengerichtlichen Maßnahmen aufgezählt. Zu den möglichen Maßnahmen gehören insbesondere:

• Gebote, Jugendhilfeleistungen in Anspruch zu nehmen (z.B. Förderung in einer Kin-dertageseinrichtung, Inanspruchnahme einer Erziehungsberatung)

• Gebote, Leistungen der Gesundheitsfürsorge in Anspruch zu nehmen (z.B. eine erfor-derliche ärztliche Behandlung oder Diagnostik zu initiieren)

• Gebote, für die Einhaltung der Schulpflicht zu sorgen • Verbote, sich dem Kind zu nähern oder Kontakt aufzunehmen • Verbot, die Familienwohnung zu nutzen • die Ersetzungen von Erklärungen des Inhabers der elterlichen Sorge • die teilweise oder vollständige Entziehung der elterlichen Sorge

Wenn das Familiengericht von Eingriffen in die elterliche Sorge absieht, hat es seine Ent-scheidung zu überprüfen. Diese Überprüfung wird in der Regel innerhalb von 3 Monaten statt-finden (§ 1696 BGB)

Vorgehen

Bevor das Familiengericht eingeschaltet wird, informiert die Fachkraft die Eltern über diesen geplanten Schritt, macht nochmals deutlich, weshalb die aktuelle Situation nicht verantwortet werden kann und weist darauf hin, dass das Familiengericht die strittige Gefährdungslage beurteilen muss.

- 20 -

Landkreis Rotenburg (Wümme) Jugendamt Stand: 06/2009

Die zuständige Fachkraft nutzt das Angebot der „Kollegialen Beratung“ und informiert die Vorgesetzte über die geplante Einleitung des Verfahrens durch Übersendung des erstellten Berichts. Außerdem ist es sinnvoll, die Verwaltungsfachkräfte, die ggf. als Pfleger oder Vormund einge-setzt werden, vorher über diesen Schritt zu informieren und sich mit ihnen zu beraten. Wenn eine akute Gefahr für das Kindeswohl vorliegt, die Eltern nicht kooperationsbereit sind und die Entscheidung des Familiengerichtes nicht abgewartet werden kann – also eine Gefahr im Verzuge vorliegt - hat das Jugendamt nach § 42 SGB VIII ein Kind sofort in Obhut neh-men. Die Inobhutnahme umfasst die Befugnis, das Kind von jeder anderen Person, auch von den Eltern bzw. Sorgeberechtigten wegzunehmen. Muss die Inobhutnahme gegen den Wider-stand anderer Personen durchgesetzt werden, so ist die Polizei als Vollzugshilfe hinzuzuzie-hen. Das Jugendamt hat anschließend unverzüglich (am nächsten Werktag) eine Entschei-dung des Familiengerichtes über die erforderlichen Maßnahmen herbeizuführen.

Mitteilung an das Familiengericht

Das Gesetz sagt nichts darüber, in welcher Form das Jugendamt das Familiengericht anzuru-fen hat. Im Regelfall wird ein ausführlicher schriftlicher Bericht an das Gericht gesandt. In Eilfällen kann mit einer kurzen Mitteilung für die sofortige Einleitung eines Verfahrens ge-sorgt werden (Anlage 6) Mit diesem Schreiben könnte z. B. die kurzfristige Ladung zur Anhö-rung angeregt werden.

In dem anschließend übersandten Bericht wird die Problemlage ausführlich geschildert, eine sozialpädagogische Einschätzung abgegeben und eine Anregung eingebracht. Wenn eine stationäre Hilfe eingeleitet werden muss, sollte z.B. der Entzug des Aufenthaltsbe-stimmungsrechts, der Gesundheitsfürsorge sowie des Rechts, Leistungen nach den Sozialge-setzbüchern zu beantragen und die Anordnung einer Ergänzungspflegschaft mit dem oben angegebenen Wirkungskreis angeregt werden (siehe Anlage 7).

Weitere Hinweise im Handbuch DJI: Kapitel 116 - Wie arbeitet das Familiengericht in Fällen der Kindeswohlgefährdung? Kapitel 117 - Wann und auf welcher Grundlage entscheidet das Familiengericht in Fällen

der Kindeswohlgefährdung?

- 21 -

Landkreis Rotenburg (Wümme) Jugendamt Stand: 06/2009

Phase 6 - Bewertung der Hilfe- und Veränderungsproz esse Der Hilfe- und Veränderungsprozess wird auf der Grundlage von individuellen und familiären Veränderungs- und Entwicklungszielen innerhalb eines angemessenen Zeitraums gemeinsam mit den Eltern und - altersabhängig - den Kindern eingeschätzt und bewertet. Besondere An-forderungen ergeben sich für die Fachkräfte in den Fällen, in denen die Minderjährigen in der Familie verbleiben.

Schutz- und Kontrollkonzept Wenn nach Überprüfung eines Verdachtes auf Kindeswohlgefährdung ein Verbleiben des Kin-des in der Familie verantwortet werden kann, eine (erneute) Kindeswohlgefährdung aber mög-lich erscheint bzw. nicht ausgeschlossen werden kann, ist sofort ein Schutz- und Kontrollkon-zept zu entwickeln. Dieses Schutz- und Kontrollkonzept kann Teil einer Hilfe zur Erziehung sein, es kann einer Hilfe vorangehen oder auch ohne intensive Hilfe eingeleitet werden. In diesem Konzept sollen Hilfe und Kontrolle nicht gegeneinander stehen, sondern durch die Verknüpfung der Elemente Unterstützung in der Krise und Kontrolle eine Einheit darstellen. Die Gewichtung der beiden Elemente sowie die Eignung des Vorgehens muss im Verlauf des weiteren Kontaktes immer wieder neu ausgelotet werden. Für das Schutz- und Kontrollkonzept werden Erfolgs- und Abbruchkriterien festgelegt. Bei positiven Entwicklungen ist ein schrittweiser Abbau der Kontrollen zur (Wieder-)Erlangung von Eigenverantwortlichkeit und Selbständigkeit der Eltern sinnvoll. Wichtigster Bestandteil des Schutz- und Kontrollkonzeptes ist eine Vereinbarung mit den El-tern zur Sicherung des Kindeswohls (siehe Anlage 9). Diese Vereinbarung kann einen Hilfe-plan ergänzen. In diesem Falle wird eines der im Hilfeplan festzulegenden Ziele die Einhal-tung dieser Vereinbarung sein. Ein weiterer Bestandteil des Schutzkonzeptes sind Vereinba-rungen mit den beteiligten Fachkräften, die den Informationsaustausch sowie deren Rolle und Aufgaben (Sicherung/Kontrolle des Kindeswohls) festlegen. Helferrunden Es sollte außerdem immer auch nach Möglichkeiten gesucht werden, die eigene Tätigkeit mit der Arbeit weiterer beteiligter sozialpädagogischer/therapeutischer/medizinischer Fachkräfte zu vernetzen. Sinnvoll sind hier Helferrunden. Eine Helferrunde sollte einberufen werden, wenn eine gemeinsame Entscheidungsfindung oder Planung in einem besonders komplexen Einzelfall ansteht und bereits verschiedene Pro-fessionen mit dem Fall in Berührung kamen oder kommen werden. Teilnehmer einer Helferrunde sind die Personensorgeberechtigten und die beteiligten Fach-kräfte. Wenn die sorgeberechtigten Eltern der Einladung zu dieser Runde zustimmen, aber selbst nicht teilnehmen wollen, wird eine Schweigepflichtstentbindung benötigt. Die Moderation der Helferrunde übernimmt die einladende Fachkraft. Es werden zunächst die Aufgaben, Arbeitsweisen, Ziele und Angebote von den beteiligten Helfern dargestellt und dann gemeinsam konkrete Verabredungen zur Zusammenarbeit getroffen. Das Ergebnis wird von der einladenden Stelle protokolliert und anschließend an die Teilnehmer und an die per-sonensorgeberechtigten Eltern versandt.

Damit wird die Helferrunde zu einem weiteren wichtigen Teil des Schutz- und Kontrollkonzep-tes des Jugendamtes.

- 22 -

Landkreis Rotenburg (Wümme) Jugendamt Stand: 06/2009

Berichte der Leistungserbringer Wenn das Schutzkonzept Teil einer Hilfe zur Erziehung ist, sollte mit der Familie und dem Leistungserbringer konkret besprochen werden, welche Informationen vom Leistungserbringer an das Jugendamt weitergeleitet werden. Die Leistungserbringer sind verpflichtet nachzuwei-sen, dass sie die Aufgabe sachgerecht und hinreichend erfüllt haben. Das Jugendamt hat deshalb Anspruch auf einen Tätigkeitsbericht. Dieser bezieht sich auf die im Hilfeplan verein-barten Inhalte und die hierfür erbrachten bzw. nicht erbrachten Leistungen. Daneben sind das fachliche Vorgehen, die Betreuungssettings und die eingesetzten Methoden zu beschreiben. Eine umfassende Berichterstattung zur Entwicklung und zum Verhalten der Hilfeempfänger wird möglich, wenn im Hilfeplan eine Informationsweitergabe bezüglich besonderer Aspekte vereinbart wird und die Eltern dieser Vereinbarung zustimmen. Auch ohne konkrete Zustimmung ist für die Leistungserbringer die Übermittlung geschützter Daten zulässig, wenn im Laufe einer Hilfeerbringung gewichtige Anhaltspunkte einer Kindes-wohlgefährdung festgestellt werden oder wenn deutlich wird, dass die eingeleiteten Hilfen nicht ausreichen oder nicht angenommen werden (Anlage 10). Sollte der Berichts- und Meldepflicht des Leistungserbringers gegenüber dem Leistungsträger nicht oder nicht genügend entsprochen werden, ist zwischen der Fachkraft des ASD und dem Leistungserbringer, ggf. unter Einschaltung der Dienstvorgesetzten, unverzüglich ein Klä-rungsgespräch zu führen. Überprüfungsintervalle und Fortschreibung Der Grad der festgestellten Gefährdung bestimmt die Überprüfungsintervalle. Bei einer Ge-fährdung ist mindestens alle vier Wochen eine Überprüfung und damit Fortschreibung des Hilfeplans erforderlich. Da die Fachkraft des ASD auch nach Einleitung einer Hilfe zur Erziehung verantwortlich bleibt, muss sie sich durch eigene Beobachtung (Hausbesuche, Inaugenscheinnahme des Kindes) regelmäßig einen eigenen Eindruck von der aktuellen Lage verschaffen. Mit der Hilfeplan-Fortschreibung ist von der Fachkraft des ASD eine Risikoeinschätzung vor-zunehmen. Es ist zu prüfen, inwieweit die aktuellen unterstützenden Maßnahmen weiterhin geeignet sind, das Kindeswohl zu schützen, oder ob zusätzliche Interventionen notwendig sind. Anhand der im Kapitel 2.2 festgelegten Begriffe (Gefährdungsgrad) wird die aktuelle Situation des betroffenen Kindes und die familiäre Situation bewertet. Wenn zu Beginn des Überprüfungsverfahrens noch Mängel festzustellen sind, ist zu prüfen, ob zumindest ein posi-tiver Veränderungsprozess in Gang gekommen ist. Bei Verschlechterungen oder bei Stagna-tion wird der Fall im Rahmen der Kollegialen Beratung oder der Supervision vorgestellt. Das Beratungsergebnis wird in einem Protokoll festgehalten und auch an die Leitung der Sozialen Dienste weitergeleitet. Grundsätzlich ist eine Dokumentation der einzelnen Arbeitsschritte, die zur Sicherung des Kindeswohls geleistet wurden, und eine Dokumentation der Bewertung der Gefährdungslage äußerst wichtig. Weitere Hinweise im Handbuch DJI: Kapitel 79 - Was ist zu tun, wenn die Sorgeberechtigten und/oder die Minderjähri-

gen die erforderliche Hilfe verweigern oder ihre Zustimmung zurückzie-hen?

Kapitel 85 - Wann sind in Krisen andere Leistungsträger, Einrichtungen der Ge-

sundheitshilfe oder die Polizei hinzuziehen? Kapitel 92 - Welche Hilfen brauchen Kinder, die nach einer Kindeswohlgefährdung

in der Familie bleiben?

- 23 -

Landkreis Rotenburg (Wümme) Jugendamt Stand: 06/2009

Kapitel 93 - Welche Hilfen brauchen Eltern, bei denen Kinder nach einer Kindes-wohlgefährdung weiterhin ihren Lebensmittelpunkt haben?

Kapitel 94 - Wie kann mit der Familie gearbeitet werden, wenn das Gericht den An-

trag abgelehnt hat? Kapitel 1008 - Was zeichnet eine funktionale Kooperation zwischen dem ASD und dem

zuständigen Leistungserbringer aus?

- 24 -

Landkreis Rotenburg (Wümme) Jugendamt Stand: 06/2009

5. Kooperation für den Schutz von Kindern und Jugen dlichen Ein Qualitätsmerkmal eines gelingenden Kinderschutzes ist eine verantwortungsbewusste Kooperation aller Beteiligten mit verbindlichen Strukturen und schnellen Informationswegen. Die Fachkräfte der Sozialen Dienste im Jugendamt des Landkreises Rotenburg (Wümme) kooperieren regelmäßig mit folgenden Diensten und Institutionen: 1. Einrichtungen und Dienste, die Leistungen nach § 16 SGB VIII (z.B. Suchtberatung, Fa-

milienförderung ), § 17 und § 28 SGB VIII (Erziehungsberatung) anbieten 2. Träger von Diensten, die Leistungen nach § 29 bis 35 a SGB VIII anbieten 3. Einrichtungen der Kindertagesbetreuung (§ 22 ff SGB VIII) und Tagespflegepersonen 4. Träger der Jugendarbeit 5. Frauenhaus und BISS – Beratungs- und Interventionsstelle bei häuslicher Gewalt 6. Gesundheitsamt (Kinder- und Jugendmedizinischer Dienst, Sozialpsychiatrischer Dienst, Behindertenhilfe, Betreuungsstelle) 7. Grundsicherung gewährende Stellen (Sozialamt, ArRoW) 8. Hebammen/therapeutische Fachkräfte/Frühförderung 9. Medizinische und psychotherapeutische Fachkräfte (z.B. Kinderärzte, Kinder- und Ju-

gendpsychiatrie, Psychotherapeuten) 10. Schulen (Lehrkräfte, Schulsozialarbeiter, Schulverwaltungs- und Kulturamt 11. Polizeiinspektion Rotenburg (Wümme) mit regionalen Dienststellen 12. Bewährungshilfe, Führungsaufsicht 13. Staatsanwaltschaft 14. Verfahrenspfleger in Kindschaftsverfahren 15. Familiengerichte 5.1. Kooperationspartner nach § 8a Abs. 2 SGB VIII Mit den unter 1. bis 4. genannten Trägern der freien Jugendhilfe hat das Jugendamt gemäß § 8 a Abs. 2 SGB VIII eine Vereinbarung abgeschlossen. Mit dieser Vereinbarung verpflichten sich die Träger, entsprechend der Vorgaben des § 8a Abs. 1 SGB VIII Hinweise auf Kindes-wohlgefährdungen zu überprüfen. Wenn die Fachkräfte dieser Träger feststellen, dass bei einem von ihnen betreuten Kind oder Jugendlichen von einer Kindeswohlgefährdung ausge-gangen werden muss und die Personensorgeberechtigten oder die Erziehungsberechtigten die von ihnen angebotene Hilfen nicht in Anspruch nehmen oder wenn die angebotene Hilfe nicht ausreicht, haben sie das Jugendamt zu informieren. (siehe Anlage 10) Analog zu dieser Vereinbarung wurde für die Mitarbeiter/innen der Erziehungsberatungsstelle des Landkreises Rotenburg (Wümme) und des Frauenhauses sowie der BISS eine Dienstan-weisung entwickelt. 5.2. Kooperation zwischen dem ASD und anderen Behör den Die Praxis zeigt immer wieder, dass bei Institutionen außerhalb der Jugendhilfe falsche Vor-stellungen im Hinblick auf die Handlungsmöglichkeiten der Jugendämter bestehen. Auch wenn das Jugendamt zur Wahrnehmung des Wächteramtes verpflichtet ist, folgt daraus nicht automatisch, dass das Jugendamt mit allen Handlungsmöglichkeiten zur Intervention ausges-tattet ist. Informationen über die tatsächlichen Handlungsmöglichkeiten und Handlungsspiel-räume helfen, falsche Erwartungen abzubauen und eine an den gegebenen Realitäten ausge-richtete Basis für Kooperation zu schaffen. Gemeinsam mit den weiteren, für den Schutz des Kindeswohls wichtigen Einrichtungen, Diensten und Ämtern, setzt sich das Jugendamt für eine Verbesserung der Kooperation ein, und zwar zum Beispiel fallübergreifend durch die Entwicklung von Kooperationsvereinbarun-gen (z. B. Vereinbarungen mit dem Gesundheitsamt), Teilnahme an Arbeitskreisen (z. B. Netzwerktreffen Kinder- und Jugendgesundheit, Regionale Präventionskreise, Arbeitskreis Gewaltschutz) und einzelfallbezogen durch die Initiierung von Helferrunden.

- 25 -

Landkreis Rotenburg (Wümme) Jugendamt Stand: 06/2009

5.2.1 Zusammenarbeit mit den Schulen Besonders wichtige Kooperationspartner für das Jugendamt sind die Lehrkräfte und Sozialar-beiter/innen der Schulen. Die Schulen werden mit den Bestimmungen des § 8a SGB VIII nicht verpflichtet. Das Jugendamt hat deshalb mit der Landesschulbehörde eine spezielle Vereinba-rung abgeschlossen (Anlage 11). 5.2.2 Zusammenarbeit mit der Polizei Einmal jährlich treffen sich Mitarbeiter/innen der Polizeidienststellen aus Rotenburg (Wüm-me), Zeven und Bremervörde mit Sozialarbeiter/innen des ASD. Neben einem Informations- und Erfahrungsaustausch werden fallübergreifend Vereinbarungen für die Zusammenarbeit getroffen. Weitere Hinweise im Handbuch DJI: Kapitel 106 - Welche Möglichkeiten bieten kooperative Verbundsysteme im Falle ei-

ner Kindeswohlgefährdung? Kapitel 107 - Welche Aufgaben hat der/die zuständige ASD-MitarbeiterIn während

der Leistung einer Hilfe durch einen anderen Dienst oder Hilfeträger bei vorliegender Kindeswohlgefährdung?

Kapitel 111 - Was zeichnet eine funktionale Kooperation zwischen dem ASD und den

verschiedenen pädagogischen Institutionen und Einrichtungen aus? Kapitel 113 - Was zeichnet eine funktionale Kooperation zwischen dem ASD und der

Polizei bei einer vorliegenden Kindeswohlgefährdung aus? Kapitel 123 - Was zeichnet die Zusammenarbeit mit kinder- und jugendpsychiatri-

schen Diensten und Institutionen im Zusammenhang mit Kindeswohlge-fährdungen aus?

- 26 -

Landkreis Rotenburg (Wümme) Jugendamt Stand: 06/2009

Anlagen: Anlage 1 = Ablaufdiagramme Anlage 2 = Erfassungsbogen und Checkliste „Wichtige Informationen“ Anlage 3 = Wichtige Rufnummern Anlage 4 = Orientierungshilfe 0- bis 6-Jährige Anlage 5 = Orientierungshilfe 6- bis 14-Jährige Anlage 6 = Anrufung Familiengericht Anlage 7 = Gliederung Bericht an Familiengericht Anlage 8 = Protokoll Fallberatung Anlage 9 = Vereinbarung mit den Eltern (Vordruck)

Anlage 9a = Vereinbarung mit den Eltern (Muster)

Anlage 10 = Vereinbarung mit den freien Trägern der Jugendhilfe (Muster)

Anlage 11 = Vereinbarung mit den Schulen