Liberale Politik wirkt | Leseprobe "liberal"

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8/12/2019 Liberale Politik wirkt | Leseprobe "liberal" http://slidepdf.com/reader/full/liberale-politik-wirkt-leseprobe-liberal 1/2 4  2.2014 liberal Liberale Politik wirkt“ Als Spitzenkandidat wird Alexander Graf Lambsdor die FDP in die Europa- wahl führen. Im Interview spricht er über die bis heute währende Tragkraft des europäischen Gründungsimpulses, erläutert, wieso sich der Liberalismus heute nicht mehr hinter nationale Grenzen zurückziehen kann und erklärt, warum das Verhältnis vieler Westeuropäer zur Freiheit dem der Fische zum Ozean entspricht.  // INTERVIEW // DAVID HARNASCH  Wenige hundert Meter von Ihrem Bonner Büro entfernt findet in der Bundeskunsthalle die  Ausstellung „1914 – Die Avantgarden im Kampf“ statt, wo europäische Werke der beginnenden Klassischen Moderne in den Kontext des Ersten  Weltkriegs gestellt werden. Angesichts der Selbstverständlichkeit, mit der etwa Erasmus- studenten aus ganz Europa heute dauerhafte Freundschaften schließen, ist es schwer vorstell-  bar, dass diese Urkatastrophe gerade mal ein langes Menschenleben zurückliegt. Was bedeu- tet Europa 2014 für Sie vor dem Hintergrund  von Europa 1914? Die Ausstellung ist wirklich bemerkenswert, ich habe sie zusammen mit Liberalen aus dem Rhein-Sieg-Kreis besucht. Das europäische Projekt dient nicht nur dem Zweck, eine Wiederholung von 1939–1945 zu verhindern, sondern auch von 1914– 1918. Man darf nicht vergessen, dass Europa trotz der traumatischen Erfahrung des Ersten Weltkriegs eine halbe Generation später schon wieder in den Ab-  grund stürzte, und dann auch in den zivilisatorischen  Abgrund. Die Menschen damals waren nicht düm- mer oder unzivilisierter als wir heute. Trotzdem sind diese Katastrophen passiert, was umso beunruhigen- der ist. Das bedeutet, dass der Gründungsimpuls Europas, die Sicherung unseres Friedens, philosophisch und intellektuell nach wie vor trägt.  Allerdings kann dieser Impuls politisch kaum noch fruchtbar gemacht werden, da er für die junge Generation abstrakt und weit weg von der eigenen Lebenserfahrung ist. Es kommt aber näher. Eine Kindheitserinnerung sind mir die ZDF-Sendungen „Damals – vor vier- zig Jahren“, in denen Wochenschauen aus den letzten Kriegsmonaten und der Nachkriegszeit  gezeigt wurden. Das erschien mir als Kind unvorstellbar weit weg, ist aber heute – obwohl ich ja weitere 30 Jahre von den Geschehnissen entfernt bin – greifbar nahe, weil es in Bezug steht zu meiner eigenen Lebensspanne. Und plötzlich ist auch 1914 nicht mehr fern, sondern  vorgestern. Das ist ein interessantes Paradoxon: mit zunehmender Entfernung wächst das Verständnis für ein Ereignis, seine potenzielle Nähe wird besser verstanden. Das hat mit dem Reifeprozess und dem Willen zu tun, sich mit diesem auseinanderzusetzen. Meine Kinder  besuchen Schulen, die sich glücklicherweise darum kümmern. Meine Tochter war in Flandern auf dem Schlachtfeld von Ypern, mein Sohn hat gerade „Im  Westen nichts Neues“ durchgenommen. Auch wenn das bei Teenagern nicht sofort fruchtet, wird doch ein Saatkorn gelegt, das dann 20 Jahre später vielleicht aufgeht – und man versteht, dass der friedenssichernde Zweck der EU so zentral ist. EUROPA ALEXANDER GRAF LAMBSDORFF Lesen Sie weiter in der aktuellen  liberal  

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4   2.2014  liberal

„Liberale Politik wirkt“Als Spitzenkandidat wird Alexander Graf Lambsdorff die FDP in die Europa-

wahl führen. Im Interview spricht er über die bis heute währende Tragkraft

des europäischen Gründungsimpulses, erläutert, wieso sich der Liberalismus

heute nicht mehr hinter nationale Grenzen zurückziehen kann und erklärt,

warum das Verhältnis vieler Westeuropäer zur Freiheit dem der Fische zum

Ozean entspricht.  // INTERVIEW // DAVID HARNASCH

 Wenige hundert Meter von Ihrem Bonner Büro

entfernt findet in der Bundeskunsthalle die

 Ausstellung „1914 – Die Avantgarden im Kampf“

statt, wo europäische Werke der beginnenden

Klassischen Moderne in den Kontext des Ersten

 Weltkriegs gestellt werden. Angesichts derSelbstverständlichkeit, mit der etwa Erasmus-

studenten aus ganz Europa heute dauerhafte

Freundschaften schließen, ist es schwer vorstell-

 bar, dass diese Urkatastrophe gerade mal ein

langes Menschenleben zurückliegt. Was bedeu-

tet Europa 2014 für Sie vor dem Hintergrund

 von Europa 1914?

Die Ausstellung ist wirklich bemerkenswert,

ich habe sie zusammen mit Liberalen aus dem

Rhein-Sieg-Kreis besucht. Das europäische Projekt

dient nicht nur dem Zweck, eine Wiederholung von1939–1945 zu verhindern, sondern auch von 1914–

1918. Man darf nicht vergessen, dass Europa trotz der

traumatischen Erfahrung des Ersten Weltkriegs eine

halbe Generation später schon wieder in den Ab-

 grund stürzte, und dann auch in den zivilisatorischen

 Abgrund. Die Menschen damals waren nicht düm-

mer oder unzivilisierter als wir heute. Trotzdem sind

diese Katastrophen passiert, was umso beunruhigen-

der ist. Das bedeutet, dass der Gründungsimpuls

Europas, die Sicherung unseres Friedens,

philosophisch und intellektuell nach wie vor trägt.

 Allerdings kann dieser Impuls politisch kaum noch

fruchtbar gemacht werden, da er für die junge

Generation abstrakt und weit weg von der eigenen

Lebenserfahrung ist.

Es kommt aber näher. Eine Kindheitserinnerung

sind mir die ZDF-Sendungen „Damals – vor vier-zig Jahren“, in denen Wochenschauen aus den

letzten Kriegsmonaten und der Nachkriegszeit

 gezeigt wurden. Das erschien mir als Kind

unvorstellbar weit weg, ist aber heute – obwohl

ich ja weitere 30 Jahre von den Geschehnissen

entfernt bin – greifbar nahe, weil es in Bezug

steht zu meiner ei genen Lebensspanne. Und

plötzlich ist auch 1914 nicht mehr fern, sondern

 vorgestern.

Das ist ein interessantes Paradoxon: mit zunehmender

Entfernung wächst das Verständnis für ein Ereignis,seine potenzielle Nähe wird besser verstanden. Das

hat mit dem Reifeprozess und dem Willen zu tun, sich

mit diesem auseinanderzusetzen. Meine Kinder

 besuchen Schulen, die sich glücklicherweise darum

kümmern. Meine Tochter war in Flandern auf dem

Schlachtfeld von Ypern, mein Sohn hat gerade „Im

 Westen nichts Neues“ durchgenommen. Auch wenn

das bei Teenagern nicht sofort fruchtet, wird doch ein

Saatkorn gelegt, das dann 20 Jahre später vielleicht

aufgeht – und man versteht,

dass der friedenssichernde

Zweck der EU so zentral ist.

EUROPA ALEXANDER GRAF LAMBSDORFF

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