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Manfred Kopp Europa in der Oberurseler Gartenstraße Die Gründung des Europa-Archivs 1945–1950 Sonderdruck aus dem Jahrbuch des Hochtaunuskreis 2013

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Manfred Kopp

Europa in der Oberurseler GartenstraßeDie Gründung des Europa-Archivs 1945–1950

Sonderdruck aus dem Jahrbuch des Hochtaunuskreis2013

Sonderdruckaus dem

Jahrbuch des Hochtaunuskreis 2013Frankfurt am Main, 2013, 304 S.

Manfred Kopp

Europa in der Oberurseler GartenstraßeDie Gründung des Europa-Archivs 1945–1950

Sonderdruck aus dem Jahrbuch des Hochtaunuskreis2013

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„Das Europa-Archiv will die in der In- undAuslandspresse, in Zeitschriften und Buch-veröffentlichungen verstreuten Daten undBerichte zu den wesentlichen Zeitfragen inPolitik, Wirtschaft und Kultur sammeln, sich-ten und in einer Form festhalten, die eineschnelle Übersicht und ein zuverlässigesNachschlagen ermöglicht.“ So steht es amAnfang des „Leitfadens für den Leser“ im ers-ten Heft des „Europa-Archiv“, das im August1946 erschien. Verlag und Redaktion waren

in Oberursel, Gartenstraße 12 (heute: Korf-straße), im Obergeschoss einer Schreiner-werkstatt. Gedruckt wurde die Auflage von10.000 Exemplaren in der Druckerei Hein-rich Berlebach. Die Hefte erschienen mo-natlich und kosteten 4,- Reichsmark. AuchVierteljahresausgaben erschienen und zu-nächst ebenso eine Ausgabe B, einseitig be-druckt für Zeitungsausschnittdienste.

Der Herausgeber Wilhelm Cornides for-mulierte als Ziel des Archivs, dass in Gegen-wartsfragen von größerer Bedeutung gegen-sätzliche Standpunkte sachlich einandergegenübergestellt werden sollen, um zurKlärung und zum Verständnis dieser Fragenauf einer möglichst breiten Basis beizutra-gen. Der Leser soll das Arbeitsmaterial nacheigenem Bedarf und Gutdünken verwenden.„Man ist heute überall noch dabei, die Ernteder Verwüstungen einzubringen und zu prü-fen, was zu neuer Aussaat geeignet ist. Dazuwird es notwendig, eine Technik des geisti-gen Sammelns und Sichtens zu entwickeln,die sich der Technik des Zerstörens und Zer-streuens nicht nur ebenbürtig, sondern über-legen zeigt.“1

Wilhelm Cornides

Der Initiator des Archivs war Wilhelm Corni-des, 1920 in München geboren, Sohn einerVerlegerfamilie und als junger Student1938/39 in London. Mit Kriegsbeginn wurdeer eingezogen und gehörte aufgrund seiner

1 EA, Juli 1946, S.1 f.

Europa in der Oberurseler Gartenstraße

Die Gründung des Europa-Archivs 1945–1950

Manfred Kopp

Schreinerei und Holzlager F. A. Rompel, Gartenstr.12. Redaktion und Verlag des „Europa-Archiv“, (Auf-nahme: E. Wachsmann, 1952)

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hervorragenden Englisch-Kenntnisse ab 1941zur Münchner Dolmetscher-Kompanie. Er tatDienst in verschiedenen Kriegsgefange-nenlagern, so in Moosburg und Eichstätt, under nutzte jede sich bietende Gelegenheit, Zeit-schriften und Nachrichten der Westalliiertenzu lesen, zu denen er im Lager Zugang hatte.Schon 1942/43 entwickelte er für die Zeitnach dem Kriegsende Pläne, wie er zu einemAufbau von analytisch orientierter, der histo-rischen Grundlage verpflichteter Arbeit bei-tragen könne.

Er schreibt später: „Ich kam mit einer um-fassenden Version meines Memorandums imJuni 1945 zum IG.Farben-Gebäude, geradeaus dem amerikanischen Kriegsgefangenen-lager Griesheim bei Darmstadt entlassen.Noch nie war ich vorher in Frankfurt gewe-sen, aber ich war von meiner Aufgabe, die

sich mir anzubieten schien, einfach begeis-tert. … Das ist die wichtigste Aufgabe, dersich ein Europäer meiner Generation mit allseiner Kraft widmen kann. Hier liegt ganzeinfach die Motivation für das, was ich zutun versuche.“

Sein Entwurf trägt die Überschrift: „Aneducational scheme for distribution of infor-mation and literature.“ Er hatte ein Institutvor Augen, das nicht nur Material sammeltund publiziert, sondern auch themenbezo-gene Studienarbeit fördert, Auskünfte erteilt,Institute und Einzelpersonen berät und denAustausch mit ähnlichen Instituten in denUSA und in Europa pflegt. Major MichaelGeyer, Leiter der Education Division imHeadquarter von USFET (US-Streitkräfte inEuropa) wünscht ihm in seinem Antwort-schreiben: „I hope your dreams will cometrue some day“. Am Ende blieben die alliier-ten Stellen aber misstrauisch und lehnten ab.

Lizenz US-W 2007

Schon wenige Monate nach Kriegsende fan-den sich Menschen in Frankfurt zu einem„Sozial-Republikanischen Arbeitskreis“ zu-sammen. Bei den Beratungen über ein Ar-beitsprogramm im Dezember 1945 hieltCornides ein Referat mit dem Titel „Zur Lageunserer Generation“. Zu Beginn zitierter Friedrich Hölderlins „Hyperion“: „Wirselbst sind nichts. Was wir suchen ist alles.“Weiter sagt er: „Wenn uns auch die physi-schen Schrecken der Atombombe erspart ge-blieben sind, so hat doch – mindestens aufgeistigem Gebiet –, so etwas wie einemenschliche Atomzertrümmerung bei unsstattgefunden, deren Schockwirkungen erstlangsam nachlassen. Wenn wir die geistigeLandschaft in der Mitte Europas betrachten,so gleicht sie wirklich in erschreckendemMaß jenen Aufnahmen der von Atombom-ben getroffenen Landstriche, auf denen inweitem Umfang alles öde, ausgeblasen, ver-

Wilhelm Cornides (1920–1966), Gründer des„Europa-Archivs“ und sein Herausgeber 1946–1966.(Quelle: DGAP)

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schüttet, zerschmolzen und zertrümmert ist.“Er fasst zusammen: „Wir haben die konkreteLage, die wir nach dem Zusammenbruchvorfinden werden, nicht richtig vorausgese-hen. Wir haben sie bei weitem unterschätzt.“

So betreibt er – anders als zunächst vorge-sehen – nicht die Gründung eines Instituts,sondern stellt im September 1945 den An-trag auf Lizenzierung eines Verlages „Euro-pa-Archiv“. Im März 1946 wird die Lizenzerteilt, und zum 1. Juli 1946 erscheint dieerste Nummer der Zeitschrift. DasVierteljah-resheft umfasst 168 Seiten. Für RedaktionundVerlag war Oberursel ein hervorragenderStandort: Die „Publications Section – Infor-mation Control Branch – Office of MilitaryGovernment“ (kurz: ICB OMGUS) in Frank-furt war schnell zu erreichen. Hier gab esauch mit der Firma Heinrich Berlebach einefunktions- und leistungsfähige Druckerei,welche die Voraussetzung für eine Produkti-on mit hoher Auflage bot. Das Holzlager, wodie Redaktion untergekommen war, und dieDruckerei lagen einander gegenüber, Haus-nummern 12 und 13.

Gerade bei den ersten Ausgaben warendie Hindernisse oft enorm. Regelmäßig gabes Probleme bei der Beantragung, der Sucheund dem Transport des erforderlichen Pa-piers. So wurden im Herbst 1946 für dasvierte Quartal zehn Tonnen Papier zugeteilt.Sie kamen aus München und sollten inPfungstadt abgeholt werden. Frau Cornidestransportierte sie mit einem Holzgaslasternach Oberursel, aber dort stellte man fest,dass die Rollen maßgerecht zerteilt werdenmussten. Sie waren für die OberurselerDruckmaschinen zu breit. Das Schneidenwar nur in Okriftel möglich, also noch einmühsamer Umweg!

Am 5.11.1946 schreibt Cornides an dieICB: „Infolge der für Oberursel verfügtenStromsperre an 3 Wochentagen (Dienstag,Donnerstag und Samstag) von 8–17 Uhr isteine Umstellung des Druckereibetriebes er-

forderlich geworden. Um den Druck des Eu-ropa-Archivs termingemäß zu ermöglichen,muß auf Nachtbetrieb umgestellt werden.(Die Nachtarbeit muß genehmigt werden,wird also beantragt.) Um eine Nachtarbeitdurchzuführen, muß auch für eine entspre-chende Beleuchtung der Arbeitsräume ge-

sorgt werden. Es fehlt aber an Glühbirnen. –Wir bitten höflichst um Ihre Unterstützungbei der dringend erforderlichen Beschaffungvon Glühbirnen.“ (EA-Kopie)

Hermann Volle

Im Juli 1946 schreibt der Chief of Publica-tions Branch an den Bürgermeister vonOberursel. Er stellt fest, dass das „Europa-Archiv“ die volle Unterstützung der ameri-kanischen Militärbehörde genießt. Um erst-klassige Fachkräfte heranzuziehen, bittet erum Unterstützung des städtischen Woh-nungsamtes bei der Unterbringung solcherFachkräfte in Oberursel. Besonders drin-gend ist eine Wohnungsmöglichkeit für denaus Österreich eingetroffenen deutschenStaatsbürger Hermann Volle und dessenEhefrau.

Die Druckerei Heinrich Berlebach besteht heutenicht mehr. Nur ihr typischer Schriftzug erinnert andie vergangene Zeit. (Foto: M. Kopp, 2011)

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Hermann Volle, 1917 in Bochum gebo-ren, begann 1934 eine Ausbildung zum Ex-portkaufmann in der Bergwerksindustrie.Von 1937 bis 1939 hielt er sich in Englandund Schottland auf, wo er Volkswirtschaftund Sprachen studierte. Von Juli 1940 bis zuseiner Einberufung zur Wehrmacht (Sommer1941) war er als Dolmetscher beim Abhör-dienst in Berlin tätig. Als Nachrichtensoldatkam er an verschiedene Kriegsschauplätze,zuletzt nachTirol. Dort leitete er nach Kriegs-ende einen Nachrichtensender und halfbeim Aufbau von Radio Innsbruck. Er erfuhrvon den Plänen für das „Europa-Archiv“ undwar von der Idee fasziniert. Nach Gesprä-chen mit Wilhelm Cornides, den er in Inns-bruck kennenlernte, entschied er sich zurRückkehr nach Deutschland und zur leiten-den Mitarbeit in der Redaktion des Europa-Archivs in Oberursel. Cornides und Volle er-

gänzten sich hervorragend. In einem Inter-view 1990 beschreibt Hermann Volle dieAufgabenverteilung so: „Er war der Österrei-cher und ich war der Preuße. Er war der Ka-tholik und ich war der Protestant. Er war dergeistige Vater und der geistige Motor derZeitschrift und ich war der Organisator undKaufmann.“ 30 Jahre lang war dann Her-mann Volle Chefredakteur des „Europa-Ar-chivs“. Er gab der Zeitschrift Beständigkeitund einen hohen Standard.

Im Kreis der seit Sommer 1945 politisch en-gagierten Personen spielte Eugen Kogon, wieWilhelm Cornides, eine wichtige Rolle. Er warzunächst als Chronist der US-Army im CampKing in Oberursel tätig. Das Ergebnis war seinBuch „Der SS-Staat“, in dem er seine sechsjäh-rige Haft im Konzentrationslager Buchenwalddarstellte. Er wollte aber nicht nur beschrei-bend zurückblicken. Er wollte vor allem amAufbau einer erneuerten Gesellschaft mitwir-ken. Im September 1945 verfasste er mit weite-ren Persönlichkeiten die programmatischen„Frankfurter Leitsätze, die einen wirtschaftli-chen Sozialismus auf demokratischer Grund-lage forderten.“ Gemeinsam mit Walter Dirksbegründete er dann 1946 die „Frankfurter Hef-te“ (Lizenz US-W 2010). Der Kontakt zu Wil-helm Cornides war rege, denn beide fordertendie Abkehr vom klassischen Nationalstaat, sa-hen in Europa die Grundlage einer zukunfts-orientierten Politik und waren in Oberursel fastNachbarn. Ihre Wirkungsbereiche hatten einedeutliche Schnittmenge. Als Präsident der Eu-ropa Union schreibt Kogon im Sommer 1949:„Das Europa-Archiv des Herrn Wilhelm Corni-des in Frankfurt-Oberursel ist in Hinsicht aufdas Europäische Einigungswerk die bedeu-tendste Dokumentationsstelle unseres Konti-nents. Sie soll institutionalisiert und sowohlder europäischen Bewegung als auch der Pres-se zur Verfügung gestellt werden. In das Kura-torium werden außer Lord Beveridge bedeu-tende Persönlichkeiten eintreten, so ProfessorBrugmans, Andre Philip, Denis de Rougemon

Hermann Volle, Chefredakteur des „Europa-Archiv“,1946–1986. (Quelle: DGAP)

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und andere.“ Als Cornides 1949 endlich dieGründung eines Instituts realisieren wollte – sowie er es schon fünf Jahre zuvor vor Augen hat-te – da schlug die Gründungsversammlung Eu-gen Kogon als Vorsitzenden vor. Dieser aberlehnte wegen seiner starken Beanspruchungan anderer Stelle ab. (EA-Kopie)

Im September 1948 ist in einer Zeitungs-notiz unter der Überschrift „Oberurseler flie-gen nach Amerika“ zu lesen, dass WilhelmCornides (Herausgeber des Europa-Archiv,Oberursel) und Dr. Eugen Kogon (Herausge-ber der Frankfurter Hefte, wohnhaft in Ober-ursel) zum sechswöchigen Studium des „frei-en Pressewesens in einer demokratischenGesellschaft“ mit anderen Verlegern aus dendrei Westzonen in die USA fliegen.

In der Gartenstraße 12

Was in dieser bescheidenen Unterkunftvon allen Mitarbeitenden geleistet wurde,

ist staunenswert. Im Jahr 1947 arbeitetendort im Januar 20, im August 34 und imDezember 37 Angestellte. Die Zahl derausgewerteten Zeitungen, Pressediensteund Zeitschriften stieg von Monat zu Mo-nat. Um die Jahreswende 1949/50 warenes 159 Publikationen, die regelmäßig ge-sichtet, ausgewertet und themenorientiertgeordnet werden mussten. In einem Vorbe-richt für die Institutsgründung nennt Wil-helm Cornides den Bestand für Ende 1949:mehr als 500.000 Zeitungsausschnitte, ei-nen Stichwortkatalog der wichtigsten Zeit-schriftenartikel mit über 60.000 Nummernund eine Bibliothek mit rund 3.000 Bän-den. Das Material war in rund 850 Leitz-ordnern und 1.900 Schnellheftern unterge-bracht. Die Auswahl und die Gliederungdes Materials erfolgte von vornherein nichtunter außenpolitischen Gesichtspunkten,die national orientiert waren, sondern vomStandpunkt einer gesamteuropäischen Be-trachtungsweise aus, die die politischen,wirtschaftlichen und sozialen Faktoren deseuropäischen Lebens in gleicher Weise be-rücksichtigt.2

Betrug die Auflage des „Europa-Archivs“im Juni 1948 noch 12.400 Exemplare, sobrachte die Währungsreform einen schar-fen Einschnitt. Im Juli 1948 waren es geradenoch 2.000 Exemplare, die abgesetzt wer-den konnten. Selbst unter äußerster Ein-schränkung aller Unkosten und mit außer-ordentlich niedrigen Honoraren war eineWeiterführung nicht mehr möglich. Alleinein großzügiger Kredit eines FrankfurterBankhauses rettete den Verlag und seineDokumentationstätigkeit. Er konnte den ge-setzten Zielen weiter nachkommen.

In den Unterlagen findet sich noch eineAufstellung der unterschiedlichen Anfragenan das Archiv in der Zeit von November1948 bis Oktober 1949. So waren es 25

2 Cornides im Vorbericht, 2.11.1950, EA-Kopie

Das Titelblatt der ersten Vierteljahresausgabe des „Eu-ropa-Archiv“ zeigt das breite Themenspektrum, dasauf 168 Seiten vorgestellt wird. (29 x 19 cm) (Quelle:Kreisarchiv)

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Doktoranden aus deutschen Universitäten,die um Hilfe bei der Beschaffung von Infor-mationen und Nachweis von Quellen fürihre Arbeit baten. Themen waren etwa „Wirt-schaftskonferenzen nach dem 2. Weltkrieg“oder „Die Verfassungen Spaniens, Portugalsund Italiens in ihrer Beziehung zu internati-onalem Recht“. 20 Anfragen kamen von in-ternationalen Institutionen, so von der McGillUniversität in Montreal („German constituti-onal developments since the war“) oder demRipon College, Wisconsin USA („Die Arbeitdes Parlamentarischen Rates für die BonnerVerfassung“). Im Abschnitt über die Anfra-gen von Behörden, Wirtschaftsverbändenund Instituten finden wir die Ruhrgas AG inEssen („wg. Gas- und Elektrizitätswirtschaftin den USA“) oder den Fachverband derdeutschen Uhrenindustrie („wg. HavannaCharta“). Das Deutsche Büro für Friedensfra-gen in Frankfurt benötigte die Zeitungskom-mentare zur Rede des britischen Außenmi-nisters Byrnes vom September 1947.

Im Katalog der Deutschen Nationalbibli-othek erscheinen derzeit 32 Datensätze zum„Europa-Archiv“ und dem Verlagsort: Ober-ursel/Taunus. Ein Schwerpunkt liegt in denJahren 1947 und 1948. Darunter sind zumBeispiel eine historisch-politische Studie„Iran zwischen den Großmächten, 1941–48“ oder ein Bericht über die Londoner Au-ßenministerkonferenz 1947 „Um den Frie-den mit Deutschland“.

Das Protokoll der Gründungsversamm-lung der „Europa-Archiv-Studienhilfe für Eu-ropäische Zusammenarbeit e.V.“ vom 29.Oktober 1949 nennt noch als Versamm-lungsort Oberursel/Taunus, Gartenstraße 12,aber mit diesem Schritt war der Weg zumUmzug nach Frankfurt im Frühjahr 1950vorgezeichnet. In der Eschersheimer Land-straße, dann in einer Villa in der Myliusstra-ße 20 stand ein deutlich größeres, für dieAufgaben eines Instituts neben dem beste-henden Verlag geeignetes Gebäude zur Ver-

fügung. Drei Jahre später umfasste die Bib-liothek der Dokumentationsstelle bereits 12000 Bände. Etwa 300 Zeitungen, Informati-onsdienste und wissenschaftliche Zeitschrif-ten werden ausgewertet.

Chatham House, London

Um die Grundsätze der Arbeit von Cornidesund Volle zu verstehen – und sie gelten nochheute für die „Deutsche Gesellschaft fürAuswärtige Politik e.V.“ – ist ein Blick aufeine britische Institution notwendig, das„Royal Institute of International Affairs“, be-nannt nach dem Chatham House in London,in dem es sein Zuhause hat. Das Institutbesteht seit 1927. „Independent thinking oninternational affairs“ heißt das Motto, oderetwas ausführlicher: „Our mission is to be aworld-leading source of independent analy-sis, informed debate and influential ideas onhow to build a prosperous and secure worldfor all.“ (Dt.: „Unser Anliegen ist es, eineweltweit führende Quelle für unabhängigeAnalyse, Informationsaustausch und ein-flussreiche Ideen zu der Frage zu sein, wieeine blühende und sichere Welt aufzubauensei.“) Fragen der Außenpolitik eines Landesoder einer Staatengruppe sind zu erörternund einer Lösung zuzuführen, aber außer-halb von Partei- oder Gruppeninteressen.Dies wird deutlich in der sogenannten„Chatham House Rule“. Um zur Offenheitzu ermutigen und Informationen zu teilen,wird vereinbart: „Bei Veranstaltungen oderTeilen davon ist den Teilnehmenden die freieVerwendung der erhaltenen Informationenunter der Bedingung gestattet, daß wederdie Identität noch die Interessenbindung vonRednern oder anderen Teilnehmenden preis-gegeben werden dürfen.“3

Cornides und Volle hatten, unabhängigvoneinander, in ihrer Studienzeit in London

3 Dazu www.chathamhouse.org

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die Ziele und die Arbeitsweise des Royal In-stitute of International Affairs kennengelernt,hatten die Bibliothek genutzt und Gesprächegeführt. Die tiefen Eindrücke begleiteten siewährend des Krieges, und sie suchten dieGelegenheit zur vergleichbaren Arbeitswei-se in der zu gestaltenden politischen undwirtschaftlichen Landschaft in Westdeutsch-land, eingebunden in eine kooperierendeGemeinschaft der Staaten Europas. Das „Eu-ropa-Archiv“ war ihr Beitrag. Cornides sagteeinmal: „Zwölf Jahre lang sollten wir vonMeinungen gesteuert werden, was wir jetztbrauchen, sind Informationen, damit wir unseine Meinung bilden können.“

Oberursel – Frankfurt – Bonn – Berlin

Im Frühjahr 1950 zogen Redaktion und Schrift-leitung mit allem Material des Archivs nachFrankfurt um. In den Jahren bis 1955 folgtenverschiedene Versuche, das Angebot in einepraktikable Rechtsform und eine wirkungsvol-le Arbeitsweise umzusetzen. Da gab es 1949die „Europa-Archiv, Studienhilfe für europäi-sche Zusammenarbeit e.V.“, 1952 die „Deut-sche Gesellschaft für Europäische Politik und

Wirtschaft e.V.“ und 1955 endlich die „Deut-sche Gesellschaft für Auswärtige Politik e.V.“die so noch heute besteht und arbeitet. Was inder Abfolge von Gründungen und Liquidatio-nen wie ein höchst unsicheres Agieren er-scheint, ist stets ein zielsicheres Handeln. Drei„Säulen“ der Arbeit kamen nie aus dem Blick:das Forschungsinstitut, die Publikation und dieBibliothek mit der Dokumentationsstelle.Standort war ab 1955 Bonn, ab 1999 Berlin.

Ihr Selbstverständnis formuliert die „Deut-sche Gesellschaft für Auswärtige Politik e.V.“(DGAP) heute so: „Die DGAP versteht sich alsnationales Netzwerk für deutsche Außenpolitikan den Schnittstellen zwischen Politik, Wirt-schaft, Gesellschaft, Wissenschaft und Medien.Sie begleitet als unabhängiger, überparteilicher,gemeinnütziger und privater Verein mit mehrals 2000 Mitgliedern aktiv die politische Mei-nungsbildung zu allen relevanten außenpoliti-schen Themen.“ Im Jahr 1995 ändert die Zeit-schrift „Europa-Archiv“ ihren Namen in„Internationale Politik“. Das aktuelle Heft Mai/Juni 2012 weist auf der Titelseite stolz daraufhin: „Im 67. Jahr“, das war der Anfang 1945 inder Oberurseler Gartenstraße. Das Thema die-ses Heftes: „In Führung gehen – Welche Rollewill Deutschland in der Welt spielen?“ Ein Auf-satz trägt die Überschrift „Führen heißt nichtdominieren – Wie Deutschland seinen Part inEuropa spielen sollte“, ein anderer „Was für einHegemon? – Berliner Politik führt zu keinemdeutschen, sondern einem chaotischen Euro-pa.“ Alle Informationen zu den verschiedenenAngeboten sind zu finden unter der Adressewww.dgap.org.

Die Bibliothek und Dokumentationsstelleder DGAP ist mit ihren Beständen seit 1945eine der ältesten und bedeutendsten öffent-lich zugänglichen Spezialbibliotheken zurdeutschen Außen- und Sicherheitspolitik.Derzeit hat sie in ihrem Bestand 80.000 Bü-cher und elektronische Medien.

Bei der Tagung „Bündnissysteme und nationale Inter-essen“ in Heidelberg, April 1963, v. links Prof. DolfSternberger, Prof. Richard Löwenthal, Wilhelm Cor-nides und Prof. Arnold Bergstraesser. (Quelle: DGAP)

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Das Ziel heißt Frieden

In einer Zeit, in derVerordnungswut und Regu-lierungswahn der europäischen Behörden an-geprangert werden, Krisen der gemeinsamenWährung die Sehnsucht nach nationalstaatli-chen Einzelwegen verstärken und der Kurs derAktie „Europäische Gemeinschaft“ fällt, kannein Blick auf die Anfangsjahre hilfreich sein.

Damals war schon klar, dass es hier umein mühsames und langwieriges Vorhabenging. Im „Leitfaden für Leser“ schreibt Corni-des: „Das Europa-Archiv soll eine Informati-onsquelle für jeden sein, auch für den Mannauf der Straße, der sich sachlich mit denZeitproblemen auseinandersetzt und dieGeduld und den guten Willen mitbringt, dienotwendig sind, wenn eine so verworreneWelt wieder ins Gleichgewicht kommen,wenn europäisches Denken die Wirklichkeitbestimmen soll.“ Einige Jahre später, als dieVerfahrensfragen die Einigungsbewegunglähmten, gibt Cornides zu bedenken: „Nunbeginnt es sich zu rächen, daß eine tiefereBesinnung auf Sinn und Aufgaben der euro-päischen politischen Ordnung bisher ver-säumt wurde und die politische Einheit –noch dazu nach dem überkommenen

Vorbild nationaler Staatlichkeit – als einSelbstzweck angestrebt wurde … Der Sinnder politischen Ordnung Europas liegt nichtin der Einheit, sondern im Frieden!“

Anmerkungen:

Anlass zu der Recherche, deren Ergebnis ichhier dargestellt habe, war eine Bemerkung vonDr. Richard von Weizsäcker (Ehrenmitgliedder DGAP) zu Bürgermeister Hans-GeorgBrum, er wäre damals 1946 beinahe in Ober-ursel beim „Europa-Archiv” auf Dauer „hän-gengeblieben“. Die Frage von BürgermeisterBrum nach Einzelheiten zur Geschichte diesesArchivs habe ich aufgenommen.

Ende August 2009 war ich zwei Tage inBerlin bei der DGAP auf der Suche nachSpuren zu den Anfängen. Ein geordnetes Ar-chiv der Geschichte des Archivs gibt esnicht. Etwa zehn Umzugskartons gefüllt mitAkten unterschiedlicher Wertigkeit und un-geordnet standen seit dem Umzug von Bonnnach Berlin 1999 im Keller. Etwa 60 aussa-gekräftige Texte konnte ich mit Erlaubnis ko-pieren. Sie sind jetzt im Stadtarchiv Oberur-sel.

Literatur:

Cornides, Wilhelm (Hrsg.): „Europa-Archiv“, 1. Fol-ge, Vierteljahresausgabe Juli-September 1946, Ober-ursel, 168 S.Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik e.V. (Hrsg.):„50 Jahre DGAP, 1955–2005“, Berlin, 2005.Institut für europäische Politik und Wirtschaft (Hrsg.):„Aufgabe und Gliederung“, Frankfurt, 1953.Mende, Dietrich (Einf. und Auswahl): „Wilhelm Corni-des. Nachlese aus unveröffentlichten Manuskripten“, in:Europa-Archiv, August 1970, S. 525–540.Volle, Hermann: „Die Anfänge des Europa-Archivs, Wil-helm Cornides und Wolfgang Wagner“, in: Thies, Jo-chen (Hrsg.): „Auf der Suche nach der Gestalt Europas,Festschrift für Wolfgang Wagner“, Bonn, 1990, S. 9–14.

Die DGAP hat ihren Sitz in der Rauchstr. 17/18 inBerlin. (Aufnahme: M. Kopp, 2009)

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Über den Autor

Manfred Kopp

(geb. 1933 in Frankfurt/Main)

Pfarrer, Dozent f. Religionspädagogik

1964 Pfarrer für Religionsunterricht an Berufsbildenden Schulen inWiesbaden.

1969 Landesjugendpfarrer und Leiter des Amtes für Jugendarbeit derEv. Kirche in Hessen und Nassau.

1980 Dozent für Religionspädagogik an Berufsbildenden Schulen imStudienzentrum der Ev. Kirche in Hessen und Nassau (Kronberg)

1996 (nach der Ruhestandsversetzung) Geschäftsführer der "Orbishöhegem. GmbH, Pädagogische Hilfen für Kinder und Jugendliche"Zwingenberg

2001 Ende der Berufstätigkeit.Ehrenamtliche Arbeiten zurStadtgeschichte von Oberursel

Seit 1962 Geschichte der Urseler Druckereien (1557 - 1623),Bibliographie und Autopsie sämtlicher nachweisbarer Drucke inhistorischen Bibliotheksbeständen, so bei Reisen nach Wolfenbüttel,Gotha, München Berlin, Wien, London, Sammlung von Archivmaterial,Sonderforschungen zu den Mess-Zeitungen im 16. Jhdt. Konzept undEinrichtung eines Raumes zur "Reformationszeit und Druckgeschichte"im Vortaunussmuseum. Die Bibliographie weist derzeit 491 Titelauf.Nikolaus Henricus und Cornelius Sutor, Bürger und Drucker zuUrsel", "Oberursel, 1964, 111 S. Die Druckerei zu Ursel) 1557 - 1623,Versuch eines Portraits "Oberursel" , 1990, 168 S.

Seit 2003 Ausbildung und Beratung von ehrenamtlichen Stadtführernund Stadtführerinnen in Kooperation mit "Stadttourismus", Konzepteund Themen. Eigene Führungen ( bis jetzt 226)mit verschiedenenThemen und Gruppen

Seit 2005 Projekt: "Erinnerungsort der Zeitgeschichte - Das GeländeCamp King 1933 - 1993" Materialsammlung und -bearbeitung inKooperation mit dem Stadtarchiv, Recherchen im Hess.Hauptstaatsarchiv (Wiesbaden), Institut für Zeitgeschichte München),Stasi-Unterlagen-Behörde und Gedenkstättenkonzepte (Berlin),Zeitzeugen-Gespräche, Führungen öffentlich und für Gruppen, Vorträge,Beratung von Unterrichtsprojekten (z.B. Grundschule amEichwäldchen), Veröffentlichung im Jahrbuch des HTK, Mitarbeit bei derKulturregion Frankfurt Rhein Main, Topographie "Orte der Freiheit").

2008: Verleihung des Saalburgpreises

Weiterführende Informationen: www.CampKing.Org

www.Ursella.Org

Verein für Geschichteund

Heimatkunde Oberursel (Taunus) e.V.Postfach 11 46

61401 OberurselGeschäftsstelle: Hospitalstraße 9

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