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Marx und Gesell einfach – wirksam – gerecht 2,50 € • ISSN 1860-9694 Nr. 2 Juni 2018 Silvio Gesells Beitrag zur Geld- und Zinstheorie Karl Marx und das monetäre Syndrom Marx’ historisches Missverständnis

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Marx und Gesell

einfach – wirksam – gerecht

2,50

€ •

ISS

N 1

860-

9694 Nr. 2 Juni 2018

Silvio Gesells Beitrag zur Geld- und Zinstheorie

Karl Marx und das monetäre Syndrom

Marx’ historisches Missverständnis

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2 Juni 2/2018 INWO

ansatz in seiner enormen Wirksamkeiterkannt und umgesetzt werden:

Gesell stellt Gläubiger und Schuldnergleichberechtigt auf ein Stufe und schafftden Jokervorteil des Geldes (Dieter Suhr)ab. Eine Gebühr auf das Horten vonBargeld hält dieses in Umlauf und ermög-licht ebensolche Negativzinsen, die öko-nomisch angebracht sind, auf Bankgut-haben.

Noch heute bewegt mich die große Ge-lassenheit und Friedfertigkeit, mit der Ge-sell und seine Mitstreiter vor 100 Jahrenin der Münchner Räterepublik ans Werkgingen, in einer Zeit geprägt von den Wir-ren und Schrecken des Ersten Weltkrie-ges und den Gemetzeln widerstreitenderrevolutionärer Gruppen. Magna quies inmagna spe! – Eine große Ruhe liegt inder Hoffnung auf Großes! – Wenn wirdoch heute in den Wirren der Gegenwartmit der gleichen Zuversicht den gleichenMut beweisen und Geld und Boden re-formieren könnten!

Viele Grüße

In diesem Jahr seines 200. Geburtstagssteht Karl Marx im öffentlichen Inter-esse. Das ist gut so. Die Auseinanderset-zung mit Marx bietet aber auch Gelegen-heit, sich genauso mit einem seiner Kri-tiker zu befassen: Silvio Gesell. Was un-terscheidet Gesell von Marx?

Gesells ganze Theorie beruht auf der Be-obachtung von Marktverhältnissen undPreisen. Die herrschende Ökonomie, diedie Finanzkrise weder hat kommen sehen(wollen), geschweige denn, diese nach-haltig gelöst hat, aber auch die linkenÖkonomen, müssen sich die Frage ge-fallen lassen: Bestätigte Gesells Theoriesich nicht in der Finanzkrise? Und habennicht die Zinssenkungen Schlimmeresverhindert, wenn auch die leistungslosenEinkommen aus Boden und Ressourcennoch weiter sprudeln?

Gesell als Kaufmann und Praktiker beob-achtete den Moment, in dem der Geld-besitzer abwarten kann, aber Warenbe-sitzer und diejenigen, die Geld benötigen,dies nicht können. Es ist eine Tatsache,dass der Gläubiger die Unverderblichkeitdes Geldes für sich ausnutzen kann. Ererlebte die Wirkmacht dieser Eigenschaftwährend seiner Zeit in Argentinien, alsdie Währung zeitweise deflationäreTendenzen zeigte.

Marx als Philosoph und Theoretiker un-tersuchte dagegen lang und breit die his -torischen Bedingungen, was denn demGeld auf lange Sicht seinen Wert verleihtund unter welchen gesellschaftlichenVerhältnissen dieser Wert zustandekommt.

Beides hat seine Berechtigung. Doch umdie großen gesellschaftlichen Problemeder heutigen Zeit lösen zu können, sollteendlich der konkrete Gesellsche Lösungs-

Die FAIRCONOMY ist die Zeitschrift der INWO (Initiative für Natürliche

Wirtschaftsordnung e.V.). Mit dieser Zeitschrift machen wir auf unsere

Idee der FAIRCONOMY aufmerksam und informieren unsere Mitglieder.

FAIRCONOMY steht für eine Welt mit Zukunft. Sie schafft die Grund lage

für eine nachhaltige, stabile und gerechte Marktwirtschaft ohne kapita-

listische Auswüchse. Voraussetzung für die FAIRCONOMY ist eine Geld-

und Bodenreform. Sie sorgt dafür, dass die Wirtschaft an den Bedürfnissen

der Menschen ausgerichtet werden kann. Mit der FAIRCONOMY gehört

die Umverteilung von unten nach oben der Vergangenheit an. Sie er-

möglicht Wohlstand für alle, Chancengleichheit und Frieden.

Impressum

Liebe Leserinnen und Leser,

FAIRCONOMY 14. Jahrgang, Nr. 2 Juni 2018, ISSN 1860-9694

Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Für unverlangt eingesandte Manuskripte etc. wird keine Haftung übernommen.

Redaktion: B. Bockting (V.i.S.d.P.), M. Gassner E-Mail: [email protected]

Auflage: 1.600 Exemplare

Bildnachweis: Titelseite: privat, Christina v. Puttkamer; Autoren- und Produktfotos: privat und Verlage; 5: © pixel2013 /pixabay.com; 6: © jifreire3 / pixabay.com; 7: © Buecherwurm65/ pixabay.com; 10: © Alexas_Fotos / pixabay.com; 12: ©Alexas_Fotos / pixabay.com; 15: Grafik: Helmut Creutz und Thomas Kubo; 16: © Leo_65 / pixabay.com; 19: © EckhardWolff; 20: © weekoflinks.org; 21: © change.org; 23: © A. Lindert-Rottke / fotolia.com; 24: © Jacob_09 / shutter-stock.com

Layout: design-angel.de, Christina v. Puttkamer, München

Druck: Mühlbauer Druck, Puchheim (gedruckt auf 100% Recycling papier)

Herausgeberin: INWO Deutschland e.V., Max-Bock-Str. 55, 60320 Frankfurt

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Hinweis: Wir verwenden in unserem Verein und unserer Zeitschrift das solidarische Du.

Kontakt: [email protected]

Inhalt

3 John Maynard Keynes: Gesells Beitrag zur Geld- und Zinstheorie

5 Silvio Gesell: Magna quies in magna spe! – Vorwort NWO

8 Johannes Heinrichs: Silvio Gesell und Karl Marx – ein historisch verpasstes Bündnis

10 Dieter Suhr: Marx und das monetäre Syndrom

14 Felix Fuders: Karl Marx’ historisches Missverständnis

16 Gesell-T-Shirts und Virtuelle Ausstellung

17 INWO Schweiz

20 INWO Deutschland

22 Leopold Wonneberger: Warum eigentlich genug Geld für alle da ist

23 Buchvorstellungen

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in Auszug aus John Maynard Key-nes’ »Allgemeine Theorie der Be-schäftigung, des Zinses und desGeldes«, 23. Kapitel, Abschnitt VI:

Es ist zweckmäßig, an dieser Stelle den selt-samen, zu Unrecht übersehenen ProphetenSilvio Gesell (1862 - 1930) zu erwähnen, des-sen Werk Einfälle tiefer Einsicht enthält undder nur gerade eben verfehlte, bis zum Kernder Sache vorzudringen. In den Nachkriegs-jahren bombardierten mich seine Anhängermit Exemplaren seiner Werke; aber wegengewisser offenkundiger Mängel seiner Beweis-führung verfehlte ich vollständig, ihre Vorzügezu entdecken. Wie so oft im Falle unvollkom-men analysierter Eingebungen wurde ihre Bedeutung erst augenscheinlich, nachdem ichmeine eigenen Folgerungen auf meine eigeneArt erreicht hatte. Wie andere akademischeÖkonomen, behandelte ich inzwischen seinetief originellen Bestrebungen als nichts Bes-seres als die eines Überspannten. Da die Be-deutung Gesells voraussichtlich wenigen Le-sern dieses Buches sehr vertraut sein wird,will ich ihm einen sonst unverhältnismäßiggroßen Platz einräumen.

Gesell war ein erfolgreicher deutscher Kauf-mann in Buenos Aires, der durch die Krise derspäten achtziger Jahre, die in Argentinien be-sonders heftig war, zur Erforschung der geld-lichen Probleme geführt wurde. Sein erstesBuch, »Die Reformation im Münzwesen alsBrücke zum sozialen Staat«, wurde 1891 inBuenos Aires veröffentlicht. Seine grundle-genden Anschauungen über das Geld wurdenim gleichen Jahr in Buenos Aires unter dem

Titel »Nervus rerum« veröffentlicht, und esfolgten viele Bücher und Flugschriften, bis ersich 1906 als wohlhabender Mann in dieSchweiz zurückzog, in der Lage, die letztenJahrzehnte seines Lebens den köstlichstenBeschäftigungen zu widmen, die jenen, dieihren Unterhalt nicht zu verdienen brauchen,offenstehen, nämlich: Schriftstellerei und ex-perimentelle Landwirtschaft.

Der erste Teil seines Standardwerkes wurde1906 in Les Hauts Geneveys in der Schweizunter dem Titel »Die Verwirklichung des Rech-tes auf den vollen Arbeitsertrag« veröffentlichtund der zweite Teil 1911 in Berlin unter demTitel »Die neue Lehre vom Zins«. Beide Teilezusammen wurden in Berlin und in derSchweiz während des Krieges (1916) veröf-fentlicht und erreichten eine sechste Auflagewährend seines Lebens unter dem Titel »Dienatürliche Wirtschaftsordnung durch Freilandund Freigeld«. Die englische Ausgabe (über-setzt von Mr. Phillip Pye) erschien unter demTitel »The Natural Economic Order«. Im April1919 trat Gesell dem kurzlebigen Sowjet-Kabinett Bayerns als dessen Finanzministerbei und wurde danach vor ein Kriegsgerichtgestellt. Das letzte Jahrzehnt seines Lebenswurde in Berlin und in der Schweiz verbrachtund der Propaganda gewidmet. (...)

Trotz des prophetischen Schmuckes, mit demihn seine Verehrer ausgestattet haben, ist Ge-sells Hauptwerk in kühler, wissenschaftlicherSprache geschrieben, obschon es durchwegvon einer leidenschaftlicheren, einer erreg-teren Hingebung für gesellschaftliche Gerech-tigkeit durchströmt ist, als manche für einenGelehrten schicklich finden. Der Anteil HenryGeorges1, obschon ohne Zweifel eine wichtigeQuelle der Stärke der Bewegurg, ist von ganzuntergeordnetem Interesse. Der Zweck desBuches als Ganzes kann als die Aufstellungeines anti-marxistischen Sozialismus be -schrieben werden, eine Reaktion gegen das»laissez-faire«, auf theoretischen Grundlagenaufgebaut, die von jenen von Marx grund -verschieden sind, indem sie sich auf eine Verwerfung, statt auf eine Annahme der klas-

sischen Hypothesen stützen, und auf eineEntfesselung des Wettbewerbes, statt auf sei-ne Abschaffung. Ich glaube, daß die Zukunftmehr vom Geiste Gesells als von jenem vonMarx lernen wird. Das Vorwort zu »Die natür-liche Wirtschaftsordnung durch Freiland undFreigeld« wird dem Leser, wenn er es nach-schlägt, die moralische·Höhe Gesells zeigen.Die Antwort auf den Marxismus ist nach mei-ner Ansicht auf den Linien dieses Vorworteszu finden.

Gesells besonderer Beitrag zur Theorie desGeldes und der Zinsen ist wie folgt. Erstensunterscheidet er deutlich zwischen dem Zinsfuß und der Grenzleistungsfähigkeit desKapitals, und er legt dar, daß es der Zinsfußist, welcher der Wachstumsrate des Real -kapitals eine Grenze setzt. Dann hebt er her-vor, daß der Zinsfuß eine rein geldliche Er-scheinung ist, und daß die Eigentümlichkeitdes Geldes, von der die Bedeutung des Geld-zinsfußes herrührt, in der Tatsache liegt, daßihr Besitz als Mittel, Reichtum aufzuspeichern,dem Besitzer unbedeutende Durchhalteko-sten verursacht, und daß die Formen vonReichtum, wie Vorräte von Waren, die Durch-haltekosten bedingen, tatsächlich wegen desvom Geld gesetzten Standards einen Ertrag

Gesells Beitrag zur Geld- und Zinstheorie

E

»Ich glaube, daß die Zukunft mehr vom Geiste Gesells als von jenem von Marx lernen wird«,

meinte der britische Ökonom John Maynard Keynes 1936 und beschrieb Gesells »Natürliche

Wirtschafts ordnung« als die Aufstellung eines anti-marxistischen Sozialismus. Worin sah Keynes

den besonderen Beitrag Gesells?

»Gesell legt dar,

daß die Vermehrung

von Realkapital durch

den Geldzinsfuß

aufgehalten wird«

Silvio Gesell

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4 Juni 2/2018 · INWO

der Geldzinsfuß positiv ist, und er unterläßtes, zu erklären, warum der Geldzinsfuß nichtdurch den Standard beherrscht wird (wie diesvon der klassischen Schule behauptet wird),der vom Erträgnis produktiven Kapitals ge-setzt wird. Dies ist darauf zurückzuführen,daß ihm die Vorstellung der Vorliebe für Li-quidität entgangen ist. Er hat nur eine halbeTheorie des Zinsfußes aufgebaut. Die Unvollständigkeit seiner Theorie ist zwei-fellos die Erklärung, warum sein Werk vonder akademischen Welt vernachlässigt wor-den ist. Er hat aber seine Theorie trotzdemweit genug entwickelt, um zu einem prakti-schen Schluß zu kommen, der den Kern des-sen in sich tragen mag, was notwendig ist,obschon er in der vorgeschlagenen Form nichtdurchführbar ist. Er legt dar, daß die Vermeh-rung von Realkapital durch den Geldzinsfußaufgehalten wird, und daß, wenn diesesHemmnis beseitigt würde, die Vermehrungvon Realkapital in der modernen Welt so raschsein würde, daß ein Nullgeldzinsfuß wahr-scheinlich zwar nicht sofort, aber doch inner-halb einer verhältnismäßig kurzen Zeit ge-rechtfertigt sein würde. Die Hauptnotwendig-keit ist somit eine Senkung des Zinsfußes,und dies, hebt er hervor, kann dadurch er-reicht werden, daß man veranlaßt, daß dasGeld Durchhaltekosten bedingt, genau wieandere Vorräte unproduktiver Güter. Dies

führte ihn zu dem berühmten Vorschlag von»gestempeltem« Geld, mit dem sein Namehauptsächlich in Zusammenhang gebrachtwird, und der die Zustimmung von ProfessorIrving Fisher erhalten hat. Nach diesem Vor-schlag würden Banknoten (obschon er sichoffenbar zum mindesten auch auf einige For-men von Bankgeld beziehen müßte) ihrenWert nur bewahren, wenn sie jeden Monatähnlich wie eine Versicherungskarte mit aufdem Postbureau gekauften Marken gestem-pelt würden. Der Preis der Marken könnte

natürlich auf jeder angemessenen Höhe fest-gesetzt werden. Nach meiner Theorie sollteer ungefähr gleich dem Überschuß des Geld-zinsfußes (von den Marken abgesehen) überdiejenige Grenzleistungsfähigkeit des Kapitalssein, die einer Rate der Neuinvestition ent-spricht, die mit Vollbeschäftigung vereinbarist. Die von Gesell tatsächlich vorgeschlageneGebühr war 0,1 % in der Woche, gleich 5,2%im Jahr. Dies würde unter bestehenden Ver-hältnissen zu hoch sein, aber die richtige Zahl,die von Zeit zu Zeit geändert werden müßte,könnte nur durch Versuch und Irrtum erreichtwerden. Der hinter dem gestempelten Geld liegendeGedanke ist gesund. Es ist in der Tat möglich,daß Mittel gefunden werden könnten, um ihnin bescheidenem Rahmen in der Wirklichkeitanzuwenden. Aber es bestehen viele Schwie-rigkeiten, auf die Gesell nicht gefaßt war. Ins-besondere war er sich nicht bewußt, daß dasGeld nicht einzigartig darin ist, daß ihm eineLiquiditätsprämie anhaftet, sondern in dieserBeziehung nur im Grad von vielen anderenWaren abweicht, und daß seine Bedeutungdaher rührt, daß es eine größere Liquiditäts -prämie als irgendeine andere Ware hat. Wennden Banknoten somit durch das Stempel -system ihre Liquiditätsprämie genommenwürde, würde eine lange Reihe von Ersatz-mitteln in ihre Fußstapfen treten – Bankgeld,täglich abrufbare Darlehen, ausländischesGeld, Juwelen und die Edelmetalle im allge-meinen und so weiter. Wie ich oben erwähnthabe, hat es Zeiten gegeben, in denen wahr-scheinlich die Begierde nach dem Besitz vonLand, ohne Rücksicht auf sein Erträgnis, dazubeigetragen hat, den Zinsfuß hoch zu halten;– freilich wäre nach Gesells System diese Mög-lichkeit durch die Verstaatlichung des Landesausgeschaltet worden. z

Quelle: J. M. Keynes: Allgemeine Theorie der Be-schäftigung, des Zinses und des Geldes. 7. Aufl.,unveränderter Nachdruck der 1936 erschienen 1.Aufl. Duncker & Humblot, Berlin 1994, S. 298 ff.

abwerfen. Er führt die verhältnismäßige Be-ständigkeit des Zinsfußes durch alle Zeitalterals Beweis an, daß er nicht von rein stofflichenKennzeichen abhängen kann, da die Schwan-kungen des letzteren von einem Zeitabschnittzum andern unberechenbar größer als die be-obachteten Änderungen im Zinsfuß gewesensein müssen; das heißt (in meiner Termino-logie) der Zinsfuß, der von beständigen psy-chologischen Eigenschaften abhängt, ist be-ständig geblieben, während die stark schwan-kenden Kennzeichen, die hauptsächlich dieTabelle der Grenzleistungsfähigkeit des Kapi-tals bestimmen, nicht den Zinsfuß bestimmthaben, sondern die Rate, zu welcher der(mehr oder weniger) gegebene Zinsfuß demBestand an Realkapital zu wachsen erlaubt. Aber die Theorie Gesells hat einen großenFehler. Er zeigt, daß es nur das Bestehen einesGeldzinsfußes ist, der es möglich macht, ausdem Ausleihen von Warenvorräten ein Erträg-nis zu erzielen. Sein Zwiegespräch zwischenRobinson Crusoe und einem Fremden2 ist eineganz ausgezeichnete wirtschaftliche Parabel– so gut wie nur irgend etwas dieser Art, wasgeschrieben wurde –, um diesen Punkt dar-zulegen. Nachdem er aber den Grund ange-führt hat, warum der Geldzinsfuß im Gegen-satz zu den meisten Warenzinssätzen nichtnegativ sein kann, übersieht er vollständigdie Notwendigkeit einer Erklärung, warum

1 Gesell wich von George darin ab, daß er die Bezahlung einer Entschädigung empfahl, wenn das Land nationalisiert wird.

2 The Natural Economic Order, S. 297 et seq.

»Die Hauptnotwendigkeit

ist somit eine Senkung

des Zinsfußes,

und dies (…) kann

dadurch erreicht werden,

daß man veranlaßt,

daß das Geld

Durchhalte kosten

bedingt.«

Für Keynes in seiner »Allgemeinen Theorie« war Ge-sells Reaktion auf das Laissez-faire des Wirtschafts -liberalismus grundverschieden von der von Marx: Ver-werfung, statt Annahme der klassischen Hypothesen,und Entfesselung des Wettbewerbes, statt seiner Ab-schaffung. (Bild: Neuausgabe 2017)eren.

Keynes' Kritik, Gesell sei die ›Vorstellung derVorliebe für Liquidität entgangen‹, ist nichtgerechtfertigt. Vielmehr ist gerade die Vor-liebe für Liquidität, also das Streben, Bargeldzu horten, was nur aufgrund der Sonderstel-lung des Geldes gegenüber Waren möglichist, Ausgangspunkt seiner Überlegungen.Dem Geld diese Sonderstellung zu nehmenund sein Horten ebenso unattraktiv zu ma-chen wie das Horten von Waren, ist Grund-lage der Forderung Gesells nach gestempel-tem Geld. Es könnte daher andersherum Key-nes vorgehalten werden, dass er die eigent-liche Ursache für die Vorliebe zur Liquidität,die Monopolstellung des Geldes gegenüberden Waren, nicht erkannt hat.

Prof. Dr. Felix Fuders

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ie Wirtschaftsordnung, von derhier die Rede ist, kann insoferneine natürliche genannt werden,als sie der Natur des Menschenangepasst ist. Es handelt sich al-

so nicht um eine Ordnung, die sich etwa vonselbst, als Naturprodukt einstellt. Eine solcheOrdnung gibt es überhaupt nicht, denn immerist die Ordnung, die wir uns geben, eine Tat,und zwar eine bewußte und gewollte Tat.Den Beweis, daß eine Wirtschaftsordnung derNatur des Menschen entspricht, liefert uns dieBetrachtung der menschlichen Entwicklung.Dort, wo der Mensch am besten gedeiht, wirdauch die Wirtschaftsordnung die natürlichstesein. Ob eine in diesem Sinne sich be wäh -rende Wirtschaftsordnung zugleich die tech-nisch leistungsfähigste ist und dem Ermitt-lungsamt Höchstzahlen liefert, ist eine Frageminderer Ordnung. Man kann sich ja heute

leicht eine Wirtschaftsordnung vorstellen, dietechnisch hohe Leistungen aufweist, bei deraber Raubbau am Menschen getrieben wird.

(…)

Damit der Mensch gedeihe, muß es ihm mög-lich gemacht sein, sich in allen Lagen so zugeben, wie er ist. Der Mensch soll sein, nichtscheinen. Er muß immer erhobenen Hauptesdurchs Leben gehen können und stets dielautere Wahrheit sagen dürfen, ohne daß ihmdaraus Ungemach und Schaden erwachse.Die Wahrhaftigkeit soll kein Vorrecht der Hel-den bleiben.

(…)

Solche auf dem Eigennutz errichtete Wirt-schaftsordnung stellt sich dabei in keiner Wei-

se den höheren, arterhaltenden Trieben inden Weg. Im Gegenteil, sie liefert dem Men-schen nicht nur die Gelegenheit zu unei-gennützigen Taten, sondern auch die Mitteldazu. Sie stärkt diese Triebe durch die Mög-lichkeit, sie zu üben. Hingegen eine Wirt-schaft, wo jeder seinen in Not geratenen

Magna quies in magna spe!»Die Antwort auf den Marxismus ist nach meiner Ansicht auf den Linien dieses Vorwortes zu

finden«, schrieb John Maynard Keynes über Silvio Gesells Vorwort zu »Die natürliche

Wirtschaftsordnung«. Was wollte Gesell durch Freiland und Freigeld erreichen?1

Die andere Voraussetzung

aber, die den wichtigsten

Pfeiler der Natürlichkeit

in der Wirtschaftsordnung

bildet – die gleiche

Ausrüstung aller für

den Wettstreit,

die gilt es zu schaffen...

DMagna quies in magna spe! – Eine große Ruhe liegt in der Hoffnung auf Großes!.

1 Laut dem dem hier in Auszügen wiedergegebenen Vorwort vom Herbst 1918 aus der 3. Auflage von 1919, verlegtvon Roman Gesell in Arnstadt. Dieses Vorwort wurde von Philip Pye für die englische Ausgabe übersetzt.

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6 Juni 2/2018 · INWO

strebiger Neugestaltung gilt es, alle Vorrechte,die das Ergebnis des Wettbewerbs fälschenkönnen, spurlos zu beseitigen. DiesemZwecke dienen die beiden hier nun zu be-sprechenden, grundstürzenden Forderungen:Freiland und Freigeld.

(…)

Eine Beschreibung des Gesellschaftslebens,wie es sich im Staatsbetrieb abspielen würde,

will ich dem Leser ersparen. Aber erinnernmöchte ich daran, wieviel Freiheit das freieSpiel der Kräfte, sogar in der gründlich ver-pfuschten Ausgabe, die wir vor dem Kriegekennen gelernt haben, großen Kreisen des

Volkes bot. Eine größere Unabhängigkeit alsdie war, deren sich die Leute erfreuten, dieGeld hatten, läßt sich wohl gar nicht vorstel-len. Sie hatten eine vollkommen freie Berufs-wahl, arbeiteten nach freiem Ermessen, leb-ten wie sie wollten, reisten frei bald hierhinbald dorthin, die staatliche Bevormundunglernten sie überhaupt nicht kennen. Niemandfragte, woher sie das Geld nähmen. Mit kei-nem anderen Gepäck als einem »Tischleindeck dich!« in Form eines Scheckbuches reis -ten sie um die ganze Welt! Wahrhaftig, einfür die Betreffenden musterhafter Zustand,der nur von denjenigen nicht als das goldeneZeitalter anerkannt wurde, die von diesenFreiheiten infolge der Baufehler unserer imGrundgedanken richtigen Wirtschaft keinenGebrauch machen konnten, – von den Pro-letariern. Sind aber diese Klagen der Prole-tarier, sind die Baufehler in unserer Wirtschaftnun ein Grund, um diese selbst zu verwerfenund dafür ein Neues einzuführen, das dieseFreiheiten allen rauben und das ganze Volkin die allgemeine Gebundenheit stürzen soll?Wäre es nicht im Gegenteil vernünftiger, dieBaufehler zu beseitigen, die klagende Arbei-terwelt zu erlösen und dadurch allen Men-schen, restlos allen, die wunderbare, imGrundplan liegende Freiheit zugänglich zu machen? Darin kann doch nicht die Aufgabeliegen, wie wir alle Menschen unglücklich machen sollen, sondern darin, allen Menschendie Quellen der Lebensfreude zugänglich zumachen, die allein durch das freie Spiel derKräfte der Menschheit erschlossen werdenkönnen.

Vom Standpunkt des Wirtschaftsbetriebs, alsovom Wirkungsgrad der Arbeit, ist die Frage,ob Eigen- oder Staatswirtschaft, gleichbedeu-tend mit der Frage, ob wir als allgemeine be-wegende Kraft für die Überwindung der vonden Mühseligkeiten der Berufsarbeit ausge-henden Hemmungen den Selbst- oder denArterhaltungstrieb einsetzen sollen.Diese Frage dürfte ihrer unmittelbar fühlbarenBedeutung wegen manchen vielleicht näherangehen, als der mit unermeßlichen Zeiträu-men rechnende Vorgang der Auslese. So wollen wir auch dieser Frage einige Wortewidmen.

Es ist eine eigentümliche Erscheinung, dassder Regel nach der Kommunist, der Anhängerder Gütergemeinschaft, die anderen – sofernsie ihm persönlich unbekannt sind – für un-eigennütziger hält als sich selbst. Und sokommt es, daß die echtesten Selbstlinge(Egoisten), die in erster Linie an sich denkenund oft nur an sich, zugleich in der Theoriebegeisterte Vertreter jener Lehre sind. Wersich hiervon überzeugen will, der braucht nurin einer Versammlung von Kommunisten dengewiß echt kommunistischen Vorschlag derLohngemeinschaft, des Lohnausgleichs zu

Freund an die Versicherungsgesellschaft ver-weist, wo man die kranken Familienangehöri-gen ins Siechenhaus schickt, wo der Staat je-de persönliche Hilfsleistung überflüssigmacht, da müssen, scheint mir, zarte undwertvolle Triebe verkümmern.Mit der auf Eigennutz aufgebauten natürli-chen Wirtschaft soll jedem der eigene volleArbeits ertrag gesichert werden, mit dem erdann nach freiem Ermessen verfahren kann.Wer eine Befriedigung darin findet, seine Ein-nahmen, den Lohn, die Ernte mit Bedürftigenzu teilen, – der kann das tun. (…) Opferfreu-digkeit ist eine Nebenerscheinung persönli-chen Kraft- und Sicherheitsgefühls, das dortaufkommt, wo der Mensch sich auf seine Ar-me verlassen kann. Auch sei hier noch be-merkt, daß Eigennutz nicht mit Selbstsuchtverwechselt werden darf.

(…)

Die eine Voraussetzung dieser natürlichenOrdnung ist in unserer heutigen, so verschrie-enen Wirtschaft bereits erfüllt. Diese ist aufden Eigennutz aufgebaut, und ihre techni-schen Leistungen, die niemand verkennt, bür-gen dafür, daß sich auch die Neue Ordnungbewähren wird. Die andere Voraussetzungaber, die den wichtigsten Pfeiler der Natür-lichkeit in der Wirtschaftsordnung bildet – diegleiche Ausrüstung aller für den Wettstreit,die gilt es zu schaffen. Auf dem Wege ziel-

Lasst uns die Fehler in der Geld- und Bodenordnung beseitigen und dadurch allen Menschen, restlos allen, die Freiheit zugänglich machen!

Auf dem Wege

zielstrebiger

Neugestaltung gilt es,

alle Vorrechte,

die das Ergebnis des

Wettbewerbs fälschen

können, spurlos

zu beseitigen...

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machen. Sie sind dann alle plötzlich still, die-selben, die noch vorher die Gütergemein-schaft in allen Tonarten verherrlichten. Siesind still, weil sie ausrechnen, ob die Lohn-gemeinschaft ihnen vorteilhaft sein würde.Die Führer lehnen diesen Ausgleich glatt ab,unter den nichtigsten Vorwänden. Tatsächlichsteht solcher Lohngemeinschaft nichts ande-res im Weg, als der Eigennutz der Kommu-nisten. Niemand hindert die Arbeiter einerFabrik, einer Gemeinde, einer Gewerkschaft daran, die Löhne zusammenzulegen, um dieSumme dann nach den Bedürfnissen der ein-zelnen Familien zu verteilen und sich auf dieseWeise jetzt schon auf diesem schwierigen Ge-biete zu üben. Das wäre ein Vorgehen, mitdem sie ihre kommunistische Gesinnung voraller Welt bezeugen und alle die Zweifelsüch-tigen glatt widerlegen könnten, die da sagen,der Mensch sei kein Kommunist. Solchenkommunistischen Versuchen steht wirklichniemand im Wege, – der Staat nicht, die Kir-che nicht, das Kapital nicht. Sie brauchendazu kein Kapital, keine bezahlten Beamten,keine verwickelte Einrichtung. Sie können je-den Tag, in jedem beliebigen Umfang damitbeginnen. Aber so gering erscheint das Be-dürfnis nach wahrer Gemeinwirtschaft unterden Kommunisten, daß wohl noch niemalsein Versuch dazu gemacht wurde. Dabei ver-langt die Lohngemeinschaft, die sich inner-halb des Kapitalismus abspielt, zunächst nur,

daß der gemeinsame Arbeitsertrag unter allenach den persönlichen Bedürfnissen jedeseinzelnen verteilt werde. Für den auf Güter-gemeinschaft aufgebauten Staat dagegenmüßte noch der Beweis erbracht werden, daßdiese Grundlage keinen nachteiligen Einflußauf die Arbeitsfreudigkeit des einzelnen aus-übt. Auch diesen Nachweis könnten die Kom-munisten mit dem genannten Lohnausgleicherbringen. Denn wenn nach Einführung derLohngemeinschaft, die jeden persönlichenSondergewinn für persönlichen Fleiß aufhebt,die Ausdauer nicht nachläßt, namentlich beider Stücklohnarbeit nicht, wenn der Gesamt-arbeitslohn durch die Lohngemeinschaft nichtleidet, wenn die tüchtigsten unter den Kom-munisten ihren oft doppelten und dreifachenLohn ebenso freudigen Herzens in die ge-meinsame Lohnkasse stecken wie heute indie eigene Tasche, – dann wäre der Beweis

lückenlos erbracht. Daß diese gemeinwirt-schaftlichen Versuche, die man zahlreich aufdem Gebiete der Gütererzeugung ausgeführthat, sämtlich fehlschlugen, beweist die Un-möglichkeit des Kommunismus bei weitemnicht so schlagend, wie die einfache Tatsache,daß der Vorschlag der Lohngemeinschaft im-mer rundweg abgelehnt worden ist. Denn dieGemeinwirtschaft in der Güter erzeugung bedarf besonderer Einrichtungen, verlangtUnterordnung, eine technische und kaufmän-nische Leitung und dazu noch die Arbeitsmit-tel. Mißerfolge können also auf vielerlei Arterklärt werden; sie sprechen nicht unbedingtgegen die Sache an sich, gegen den Mangelan richtigem Geist der Gemeinwirtschaft, amGefühl der Zusammengehörigkeit. Bei derLohngemeinschaft fehlt dagegen solche Aus-rede vollständig; ihre Ablehnung zeugt unmit-telbar wider den kommunistischen Geist unddafür, daß der Arterhaltungstrieb nicht aus-reicht, um die Mühseligkeiten der Berufsarbeitzu überwinden.

(...)

Aber der in der Gemeinwirtschaft wirksameTrieb, der Arterhaltungstrieb (Gemeinsinn,Altruismus), ist nur eine verwässerte Lösungdes Selbsterhaltungstriebes, der zur Eigen-wirtschaft führt, und er steht diesem an Kraftin demselben Maße nach, wie die Verwässe-rung zunimmt. Je größer die Gemeinschaft(Kommune), umso größer die Verwässerung,umso schwächer der Trieb, zur Erhaltung derGemeinschaft durch Arbeit beizutragen. Wermit einem Genossen arbeitet, ist schon we-

niger ausdauernd, als derjenige, der dieFrucht der Arbeit allein genießt. Sind es 10-100-1000 Genossen, so kann man denArbeits trieb auch durch 10-100-1000 teilen;soll sich gar die Menschheit in das Ergebnisteilen, dann sagt sich jeder: auf meine Arbeitkommt es überhaupt nicht mehr an, sie ist,was ein Tropfen für das Meer ist. Dann gehtdie Arbeit nicht mehr triebmäßig vonstatten;äußerer Zwang wird nötig!

Darum ist es auch richtig, was der Neuenbur-ger Gelehrte Th. Secrétan sagt: »Der Eigen-nutz soll in der Hauptsache den Antrieb zurArbeit geben. Darum muß alles, was diesemAntrieb mehr Kraft und Bewegungsfreiheitgeben kann, unterstützt werden. Dies ist derGrundsatz, von dem man ausgehen und denman mit unerschütterlicher Folgerichtigkeitanwenden muß unter Verachtung kurzsichti-ger philanthropischer Entrüstung und derkirchlichen Verdammnis.«

So können wir also mit gutem Grunde auchdenen, die an den Hochzielen der NatürlichenWirtschaftsordnung sich unbeteiligt glauben,nur Gutes von dieser Ordnung versprechen;sie werden sich eines besser gedeckten Ti-sches, schönerer Gärten, besserer Wohnun-gen erfreuen. Die Natürliche Wirtschaftsord-nung wird auch technisch der heutigen undder kommunistischen überlegen sein. z

Stäfa am Zürichsee, im Herbst 1918

Silvio Gesell

...Diesem Zwecke

dienen die beiden

grundstürzenden

Forderungen:

Freiland und Freigeld.

Was treibt uns Menschen an?

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8 Juni 2/2018 · INWO

ie Geldreform-Bewegung, diesich auf Silvio Gesell beruft, hatallen Grund, sich selbstkritischzu fragen: Was ist in der Ge-schichte schief gelaufen, daß

ein scheinbar so plausibles, praktikables, fürdie überwältigende Mehrheit der Bevölkerungvorteilhaftes Angebot zur Gesellschaftsreformüber den Weg eines radikal reformierten Geld-wesens bis heute nicht angenommen, ja ge-radezu totgeschwiegen wird? Warum kam esnicht zu einem Schulterschluss zwischen Ge-sell und den besonnenen ›Marxisten‹, zu de-nen bis zur Spaltung der SPD alle Sozialde-mokraten gezählt werden konnten? Gesellshistorische Rolle bei der Novemberrevolution1918 und in der kurzen bayerischen Rätere-publik der ›Kommunisten‹ im März 1919 war-tet noch auf eine eigene, unparteiische Auf-arbeitung. Solche Geschichtsbeurteilung setztjedoch einen sachlichen Einblick in die Kon-troverse Gesell-Marx voraus.

Gegenseitige Diffamierung Die Mißachtung, ja Diffamierung von Marxbeginnt bei Silvio Gesell selbst. Sie ist einerder Geburtsfehler der Freiwirtschaftsbewe-gung, wenn es richtig ist, daß Marx nicht alleinin Bezug auf Gemeineigentum an Boden, son-

dern auch in Bezug auf den Zins zumindestdieselbe Diagnose hatte oder voraussetztewie Gesell. Dieser kommentiert jedoch Marx’Analyse, die Verwandlung des Geldes in Ka-pital, d.h. in sich selbst vermehrendes Geld,sei unmöglich »aus der doppelten Übervor-teilung des kaufenden und verkaufendenWarenproduzenten, durch den sich parasi-

tisch zwischen sie schiebenden Kaufmann«,also unmöglich aus »bloßer Prellerei« im Kauf-vorgang zu erklären (Kapital I, S. 178), auffolgende Weise:

»Hier sowohl wie da ist er (Marx) vollkommenim Irrtum. Und da er sich im Geld irrte, diesemZentralnerv der ganzen Volkswirtschaft, somuß er überall im Irrtum sein. Er beging –wie alle seine Jünger es taten – den Fehler,das Geldwesen aus dem Kreis seiner Betrach-tungen auszuschalten« (NWO, S. 313).

Allein die Behauptung, das Geldwesen sei»aus dem Kreis der Betrachtungen« von Marxausgeschaltet, ist angesichts des Verfassersdes dreibändigen, weltbewegenden WerkesDas Kapitalmit tiefschürfenden Kapiteln überGeld und auch über Zins, geradezu absurd.

Zins speziell im Kapitalismus (nach Marx)Eigentümlicherweise kommt Marx [allerdings]erst im dritten Band des Kapitals systematischund ausführlich auf den (auch vorher immereinschlußweise behandelten) Zins zurück,dort aber mit einer analytischen und dialek-tischen Eindringlichkeit, die ihresgleichensucht: Erst im Zinswesen zeige das Kapital

voll seine wahre Natur als »Geld heckendesGeld« (Kapital III, S. 405). Marx würde Gesell entgegenhalten (und erhält es Proudhon mehrfach entgegen), daßmit einem einfachen Erpressungs-Mehrwertdas Wesen des Zinses keineswegs erfaßt ist,vor allem nicht im Sinne des modernen Ka-pitalismus. Marx handelt nicht von zeitlosenWesen wie Zins, Geld und Arbeit, sondern ersieht diese Größen in einer bestimmten ge-schichtlichen, der kapitalistischen Gesell-schaftsformation. (Daß der Zins im kapitalis -tischen Sinne nicht mehr dasselbe ist wie inantiken und feudalen Zeiten, diente den Kir-chen gerade zur Rechtfertigung, das altkirch-liche Zinsverbot fallen gelassen zu haben.)

Dabei trifft Marx eine folgenreiche Unterschei-dung: »Es ist in der Tat nur die Trennung derKapitalisten in Geldkapitalisten und industri-elle Kapitalisten, die einen Teil des Profits inZins verwandelt, die überhaupt die KategorieZins schafft; und es ist nur die Konkurrenzzwischen diesen beiden Sorten Kapitalisten,die den Zinsfuß schafft« (Kapital III, S. 383).Jede Berufung auf oder Kritik an Marx, die die-se wichtige Unterscheidung von Unterneh-mern und Kapitalgebern vernachlässigt, mußalso mindestens der unerlaubten Vereinfa-

Silvio Gesell und Karl Marx – ein historisch verpasstes BündnisDie Frage, ob Silvio Gesell mit seiner Marx-Kritik in der »Natürlichen Wirtschaftsordnung« Recht hatte,

führte Johannes Heinrichs zu einer ausführlichen Beschäftigung mit den Standpunkten der beiden

Kapitalismuskritiker und zum Versuch eines Brückenschlags.1

D

»Festgefahrene

Gegensätze aufzuheben,

ist das einzige Interesse

der Vernunft.«

G.W.F. Hegel, Differenz des Fichte’schen und Schelling’schen

Systems der Philosophie

Marx und Gesell: In der Diagnose lagen die beiden nicht so weit auseinander.

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INWO · Juni 2/2018 9

Sinn tritt in Erscheinung als ein Verhältnis zwi-schen zwei »Sorten von Kapitalisten«, demgeldgebenden und dem produktiven. Marxblickt weit voraus: Im fortgeschrittenen Ka-pitalismus der Aktiengesellschaften werdendiese Rollen anonym, also noch weiter syste-misch verschleiert. Es »bleibt nur der Funk-tionär und verschwindet der Kapitalist alsüberflüssige Person aus dem Produktions-prozeß« (Kapital III, S. 401).Das ändert nichts am System und nichts ander Herkunft des Zinses als Teil des von denArbeitern (einschließlich des unternehmeri-schen Arbeiters) erwirtschafteten Mehrwerts.

Vollendeter Fetischcharakter desKapitalsGerade auf dem Höhepunkt seiner langwie-rigen Analysen erweist sich Marx, der angeb-lich nichts über Geld und Zins zu sagen wußte,als brillanter Zinstheoretiker:

»Im zinstragenden Kapital erreicht das Kapi-talverhältnis seine äußerlichste und fetischar-tigste Form. Wir haben hier G - G', Geld, dasmehr Geld erzeugt, sich selbst verwertendenWert, ohne den Prozeß, der die beiden Ex-treme vermittelt. (...) In der Form des zinstra-genden Kapitals erscheint dies unmittelbar,unvermittelt durch Produktionsprozeß undZirkulationsprozeß. Das Kapital erscheint alsmysteriöse und selbstschöpferische Quelledes Zinses, seiner eigenen Vermehrung. (...)Im zinstragenden Kapital ist daher dieser au-tomatische Fetisch rein herausgearbeitet, dersich verwertende Wert, Geld heckendes Geld,und es trägt in dieser Form keine Narben sei-ner Entstehung mehr. (...) Es wird so ganz Ei-genschaft des Geldes, Wert zu schaffen, Zinsabzuwerfen, wie die eines Birnbaums, Birnenzu tragen. (…) Für die Vulgärökonomie (...) istnatürlich diese Form ein gefundenes Fressen,eine Form, worin die Quelle des Profits nichtmehr erkenntlich und worin das Resultat deskapitalistischen Reproduktionsprozesses –

getrennt vom Prozeß selbst – ein selbstän-diges Dasein erhält« (Kapital III, S. 405f).

Silvio Gesell erklärt demgegenüber: »Um denvon Marx in der Formel G.W.G' aufgedecktenWiderspruch glatt zu lösen, werde ich keinesolche Kette von Mittelgliedern nötig haben.Ich werde dem Zins die Angel vor das Maulwerfen und ihn geradeswegs aus seinem Ele-mente ziehen, für jedermann erkennbar. DieKraft, die zu der Tauschformel G.W.G' gehört,werde ich unmittelbar im Tauschvorgang ent-hüllen« (NWO, S. 315).

Gerade diese »Unmittelbarkeit« ist es, überdie Marx sich anläßlich von Proudhons utopi-schen Versuchen wie auch in den zitiertenTexten lustig macht: Es gehöre zum System,daß das Kapital seine Eigen-Fruchtbarkeit alsarbeitendes Geld darstelle, aber dabei zu-gleich dessen Herkunft aus dem Produktions-prozeß verschleiere. Die einfache Wahrheitder komplexen Darstellung des Kapitals beiMarx lautet: Der Zins muß, ebenso wie derunternehmerische Mehrwert und als ein Teildessen, erarbeitet werden. Genau das wirdverschleiert und als Wesen des scheinbarselbst produktiven Geldes ausgegeben. Ohnedie Erarbeitung im Produktionsprozesse bliebeder Zins-Mehrwert die Sache vorübergehen-der Erpressung und Täuschung wie in vorka-pitalistischen Zeiten, nicht aber ein weltge-schichtlich einmalig effektiv funktionierendesSystem der scheinbaren Eigenproduktivitätdes Geldes, dessen rasante ‚Globalisierung’geradezu die Voraussetzung ist für seinen end-lichen Zusammenbruch.

Das Körnchen Wahrheit in der GesellschenKritik liegt darin, daß bei Marx das MediumGeld noch nicht zu einer eigenen geldsyste-mischen Betrachtung ausgeprägt ist. Dies istauch bei Gesell nur implizit der Fall (...). Erhat aus einer theoretischen Not eine pragma-tische Tugend gemacht. Das Unvermitteltehat Gesell sich zur Tugend gemacht und einenbeachtlichen praktischen Griff gefunden: dieUmlaufsicherung durch Negativzins. Worin ichseinen einzigen großen Beitrag sehe. z

Johannes Heinrichs(Jg. 1942), Philosophund Theologe, hattevon Herbst 1998 bisFrühjahr 2002 die Gast -professur für Sozial -öko logie (NachfolgeRudolf Bahro) an derHumboldt-Universitätzu Berlin inne. Neben

zahlreichen Ver öffent lichungen hält er Vor -träge in aller Welt, u.a. zur von ihm postulier-ten Vierstufigkeit des sozialen Systems, die erin einem viergegliederten Parlamenta ris musdemokratisch politisch konkretisieren will.

chung geziehen werden. Nicht umsonst kön-nen die Nachkriegsgewerkschaften nicht mehrviel mit Marx anfangen: Ihre grobschlächtigeEntgegensetzung von Arbeitgebern und Ar-beitnehmern hat mit Marxens Analysen nichtszu tun. Die Unternehmer als produktive »in-dustrielle Kapitalisten« (s. o.) nimmt Marx ge-radezu in Schutz gegen die »Geldkapita listen«.

Marx sieht den Zins – in der kapitalistisch-in-dustriellen Gesellschaft – nicht als eine Über-vorteilung von Mensch zu Mensch, der manmit individualethischen Sprüchen, Mahnungenund Verboten beikommen könnte (wie, mitgeringem Erfolg, in Antike und Mittelalter),sondern als eine systemisch vermittelte An-gelegenheit. Es sieht seinen Ursprung nichtin einer räuberischen Erpressung aufgrunddes vorausgesetzten körperlichen Vorteils desGeldes, nicht zu verderben, sondern als Ab-zweigung der charakteristischen Funktion desKapitals: seiner Fähigkeit, durch den Arbeits -prozeß mehr zu werden und zugleich dieseQuelle des Mehrwerdens. Erst wenn nämlichdie Kapitalseite sich aufspaltet in Geldkapita-listen und produktive Kapitalisten (Unterneh-mer), ergibt sich die Spaltung von Unterneh-mergewinn und Zins in zwei qualitativ unglei-che Bestandteile des Profits. Doch die Ver-hältnisse sind systemisch verschleiert:

»Das zinstragende Kapital hat als solches nichtdie Lohnarbeit, sondern das fungierende Ka-pital zu seinem Gegensatz; der verleihendeKapitalist steht als solcher direkt dem im Re-produktionsprozeß wirklich fungierenden Ka-pitalisten gegenüber, nicht aber dem Lohnar-beiter. (...) Der Unternehmergewinn bildet kei-nen Gegensatz zur Lohnarbeit, sondern nurzum Zins« (Kapital III, S. 392).

Deshalb wird die Ausbeutung der Arbeitendendurch das Kapital nicht offensichtlich: Der Un-ternehmer kann sich mit gewissem, meistgroßem Recht selbst als Agent und Ausge-beuteter des Geldkapitalisten fühlen. Ein Ge-danke von erheblicher Aktualität für unserederzeitigen Kämpfe zwischen »Arbeitgebern«und »Arbeitnehmern«, die in diesem Licht ge-sehen großenteils nur Scheinfronten darstel-len! Die eigentliche Front verläuft seit jeher– nur heute noch offensichtlicher – zwischenKapitalbesitzern und arbeitenden Kapitalver-wertern (d. h. Unternehmer und deren Mit-arbeiter).

»Der Zins ist ein Verhältnis zwischen zwei Ka-pitalisten, nicht zwischen Kapitalist und Ar-beiter« (Kapital III, S. 396). Zins im modernen

1 Seine Ergebnisse finden sich in seinem Buch »Sprung aus dem Teufelskreis. Logik des Sozialen und NatürlicheWirtschaftsordnung«, 1997 erschienen im Verlag Vita Nuova und werden hier in leicht bearbeiteten Auszügenaus der Neuauflage von 2005 wiedergegeben. Johannes Heinrichs: Sprung aus dem Teufelskreis. AktualisierteNeuauflage mit einem Geleitwort von Wilhelm Hankel und Nachwort von Rudolf Bahro. Steno, Wien 2005.S. 239-267.

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10 Juni 2/2018 · INWO

enn Marx das Geld als die»schlagfertige« Erschei-nungsform gesellschaft -lichen Reichtums kenn-zeichnet und wenn er den

Gebrauchswert des Geldes als eines Zirkula-tionsmittels in seinem »Zirkulieren selbst« be-obachtet so hat er zwei Eigenschaften im Auge, die auch heute noch die Grundlagender Geldtheorie bestimmen: Das Geld ist»schlagfertig«, weil es das »liquideste« unterden Tauschobjekten ist, und als Zirkulations-mittel taugt das Geld deshalb so vorzüglich,weil es, wie es in der modernen Theorie heißt,»Informations- und Transaktionskosten« er-spart. Marx hat insoweit Charakteristiken desGeldes beobachtet, die John Maynard Keynesin den dreißiger Jahren zum liquiditäts -theoretischen Ansatz der Geldtheorie weiter-entwickelt hat und die andererseits in jüngererZeit dem modernen »Informations- undTransaktionskostenansatz« der Ökonomie imallgemeinen und der Geldwissenschaft im besonderen zugrunde liegen.

Wo Marx allerdings den Nutzwert des verlie-henen Geldes nicht in den Tauscheigenschaf-ten des Geldes selbst sucht, sondern in denEigenschaften des Kapitals, das damit erwor-ben wird, bewegt er sich auf der Schiene einerkapitaltheoretischen Deutung des Geldes, wiesie heute etwa von den Monetaristen und vonWolfram Engels (1981) verfolgt wird: Das Geldwird weniger als notwendiges und unentbehr-liches Transaktionsmittel gedeutet, sondernals etwas, das nach dem Bilde von Sachkapitalbegriffen wird und ausgeformt werden soll.(…) Hier aber geht es um Eigenschaften, diedas Geld kennzeichnen, das seine Funktionals Transaktions- und Zahlungsmittel erfüllt.

Man kann sich diese spezifischen Eigenschaf-ten, die das bewegliche Geld gegenüber denanderen, weniger beweglichen Waren aus-zeichnen und die gleichzeitig seinen ökono-mischen Nutzen und »Mehrwert« als Trans-aktionsmittel konstituieren, mit Hilfe eines Bil-des gut veranschaulichen: Das Geld ist unterden Waren, was der Joker ist unter den übri-gen Karten in einem Kartenspiel, in dem derJoker jeder anderen Karte im Range überle-gen ist.1

Dieses Bild veranschaulicht sehr gut, inwieferndas Geld sowohl äquivalent als auch nicht-äquivalent zu den Waren ist: Auch der Jokerist eine »Karte« wie die anderen Karten, und

es ist durchaus üblich, daß man mit dem Jokerimmer nur eine andere Karte »stechen« kann,so daß der »Tauschwert« des Jokers im Au-genblicke des »Stechens« genau einer ande-ren Karte »äquivalent« ist. Aber beim Spielenund »Stechen« selbst erscheint die Überle-genheit und Nicht-Äquivalenz des Jokers ge-genüber den anderen Karten darin, daß er injeder Runde, gegenüber jedermann und ge-genüber jeder Karte »ausgespielt« werdenkann. Die Spielchancen und -möglichkeiten,die der Joker auf diese Art und Weise eröffnet,gleichen denen, die das Geld im Wirtschafts-

spiel vermittelt: Es sind spieltheoretisch ähn-liche Eigenschaften, die die »Schlagfertigkeit«des Jokers und die die »Schlagfertigkeit« desGeldes ausmachen.Will man die spezifischen Eigenschaften desGeldes also heute möglichst knapp und direktauf den Begriff bringen, so kann man sagen:Der »Gebrauchswert des Geldes« besteht inder Liquidität des Geldes und in der Transak-tionsbereitschaft, die es vermittelt, sowie indem Transaktionsnutzen, den es durch Ein -sparung von Informations- und Transaktions-kosten erbringt.

Marx und das monetäre SyndromWorin liegt der Mehrwert des Geldes? Dieter Suhr pflichtete Silvio Gesell bei, dass der Kapitalismus als

ein »Geld-Syndrom« zu verstehen ist.

W

Was der Jokernutzen im Kartenspiel, das ist der Liquiditätsnutzen des Geldes im Wirtschaftsspiel.

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INWO · Juni 2/2018 11

Dadurch, daß man an die anderen Güter nurvermittels des »Mittlers« Geld herankommt.Deshalb sind die Güter nur zu dem Eintritts-preis zu haben, den man für den Eintritt indie Zirkulationswelt des Geldes zu entrichtenhat. Je mehr Geld in einer Wirtschaft nichtmehr einfach ausgegeben, sondern gespartund angelegt und dann erst wieder von demBorger ausgegeben wird, desto mehr muß indieser Wirtschaft durchschnittlich von denProduzenten, Händlern und Konsumenten andie Kapitalbesitzer abgeführt und bezahlt werden. Diesen Vorgang gilt es jetzt noch et-was genauer zu betrachten.

1. Die gesellschaftliche Produktiondes Liquiditätsnutzens von GeldDer im Geld verkörperte Tauschwert ist imwirtschaftlichen Verkehr nützlicher als der inanderen Gütern verkörperte Tauschwert, weilder Tauschwert im Falle des Geldes zur»schlagfertigen« Kaufkraft verflüssigt ist: mo-netäre Liquidität. Wie aber ist dieser Nutzendes Geldes zu erklären? Woher kommt er?Bislang war der Nutzen des Geldes nur anhanddes Joker-Beispiels veranschaulicht worden.So konnte der Anschein aufkommen, als ent-stünde der Joker-Nutzen des Geldes gewis-sermaßen »aus dem Nichts« einfach dadurch,daß das Geld nützliche, jokerartige Eigen-schaften besitzt. Doch auch der Joker im Kar-tenspiel besitzt seine nützlichen Eigenschaftennur dann und nur so lange, wie die Spielregelnden Joker im Sinne der Allverwendbarkeit de-finieren und wenn und solange die Spielerdiese Regeln befolgen und den Joker im Sinneder Spielregeln ausspielen und akzeptieren.Das wirkliche Vergnügen am Joker und diewirklichen Spielerfolge entstehen also nichtschon allein daraus, daß der Joker eine be-sondere Karte ist, sondern dadurch, daß dieSpieler ihn im Sinne der Spielregeln praktischverwenden.

Mit dem Geld ist es nicht anders: Der Liqui-ditätsnutzen des Geldes entsteht nur dannund nur so lange, wie die Wirtschaftsteilneh-mer das betreffende Geld als Geld ausgebenund als Geld annehmen. Es ist ihrer aller wirt-schaftliche Tat, daß das Geld als Geld ausge-geben und angenommen und dadurch nütz-liches Transaktionsmittel wird und bleibt. Aufdiese Weise wird die Liquidität des Geldes produziert, indem das Geld ausgegeben undangenommen wird, und auf diese gesell-schaftliche Art und Weise wird auch die öko-nomische Nützlichkeit des Geldes geschaffen,die jeder einzelne Teilnehmer am Wirtschafts-

verkehr etwa in Gestalt der »Schlagfertigkeit«des Geldes genießen kann.

Auch bei Karl Marx ist es ein gesellschaftlicherProzeß, in dem die allgemeine Äquivalentformvon »Geld« hervorgebracht wird: »Nur die ge-sellschaftliche Tat kann eine bestimmte Warezum allgemeinen Äquivalent machen. Die ge-sellschaftliche Aktion aller anderen Warenschließt daher eine bestimmte Ware aus, wor-in sie allseitig ihre Werte darstellen. (...) Sowird sie – Geld.«2

Zu dieser gesellschaftlichen Produktion desLiquiditätsmittels »Geld« gehört nicht nur, daßdie Wirtschaftsteilnehmer das Geld annehmen(Akzeptanz), sondern ebensosehr, daß sie esauch ausgeben (Alienabilität), und zwar aus-geben gegen eine Ware oder ein Gut, das sieerwerben wollen.3

Wer Geld bei sich selbst festhält, wie etwa imFalle der »naiven Schatzbildung«, der sorgtfür eine Unterbrechung der Zirkulation undsteuert auf diese Art und Weise keinen posi-tiven, sondern einen negativen Beitrag zurgesellschaftlichen Produktion der Liquiditätdes Geldes bei.Wenn aber nun jemand die Produktion der Li-quidität von Geld stört, indem er Geld festhält,– genau dann kommt er in den Genuß des»Liquiditätsnutzens« des Geldes, das man inder Kasse bereithält. Das ist nicht nur absurd,sondern pervers: Ausgerechnet derjenige Teil-nehmer des Wirtschaftsspiels, der den übrigenMitspielern ihr unentbehrliches Zikulations-mittel vorenthält, wird durch den Liquiditäts-nutzen für seinen negativen Beitrag auch nochprämiert! Und nicht nur, daß er den »Liqui-ditätsnutzen« in der Naturalform genießenkann, wenn er sein Geld in der Kasse bereit-hält, – vielmehr kann er diesen Liquiditäts-nutzen auch noch vermarkten, indem er seinGeld anlegt, so daß er dann Erträge einstrei-chen kann. Diese Erträge sind gewissermaßendie Lösesumme, die die anderen zahlen müs-sen, damit der Geldanleger das Geld, das erfesthalten könnte, wieder für Transaktions-zwecke freigibt. So zahlen am Ende alle die-jenigen, die die Liquidität und den Liquiditäts-nutzen produzieren, für eben diesen Liqui-ditätsnutzen einen Preis an denjenigen, derihre Produktion stört!Dies ist das perverse »Geheimnis der Plus-macherei«. Dies ist die elementare Strukturdes Kapitalismus: Das System belohnt mit pri-vaten Prämien diejenigen, die die gesellschaft-liche Produktion der Liquidität von Geld sa-botieren.

2. Kapitalistische Privatisierung desLiquiditätsnutzens(…) Sobald ich Geld in der Kasse zurückhalte,störe ich zwar die gesellschaftliche Produktionder Liquidität, genieße jedoch den privatenNutzen, den sie mir vermittelt.4 Während ichdiesen Geldnutzen als »gesellschaftliche

Was der Jokernutzen im Kartenspiel, das istder Liquiditätsnutzen des Geldes im Wirt-schaftsspiel. Dieser Nutzen ist eine »Eigen-schaft in der Zeit«, vergleichbar der ständigenund andauernden Nützlichkeit, die mir eineHaftpflichtversicherung dadurch vermittelt,daß sie mir die Angst vor Schadensersatzan-sprüchen nimmt, die mich belasten könnten.Eine solche ständige Annehmlichkeit ist, öko-nomisch gesehen, ein »Nutzenzustrom«, derin der Regel mit einem »Abstrom« einhergeht,nämlich mit dem Preis der Versicherung, alsomit Kosten.Bei dem »Liquiditätsnutzen des Geldes« ha-ben wir es also nicht mit einer »Bestands-größe« zu tun, wie sie der schlichte »Wert«oder »Tauschwert« eines Gegenstandes dar-stellt, sondern mit einer »Stromgröße«, miteinem »Nutzen pro Zeiteinheit«. Und wennman den »Liquiditätsnutzen des Geldes« ver-marktet, wenn man also sein Geld auf Zeitleihweise anderen zur Verfügung stellt, sokann man einen Ertragsstrom herauswirt-schaften: den Zinsstrom.

Der Kapitalismus als Folge des GeldsystemsSchon oben war im Vorgriff formuliert worden:»Wie das Geld, so die Güter.« Damit war ge-meint, daß ein kapitalistisches Geld seine Spu-ren in der übrigen Wirtschaft derart hinterläßt,daß auch die Wirtschaft kapitalistisch wird.Wer kein Geld hat und es sich leihen muß, derbezahlt Zinsen; und wer keine Güter hat, son-dern sie sich mieten oder pachten muß, be-zahlt Miet- und Pachtzins. Wer Geld übrig hat,kann es verleihen und bekommt Zinsen; undwer andere Güter übrig hat, kann sie vermie-ten und verpachten und bekommt ebenfallsMiet- oder Pachtzins.Und wie übertragen sich die Eigenschaftendes Geldes auf die Güterwelt? Ganz einfach:

Die elementare Struktur

des Kapitalismus:

Das System belohnt

mit privaten Prämien

diejenigen, die die

gesellschaftliche

Produktion der Liquidität

von Geld sabotieren.

1 Dieter Suhr: Geld ohne Mehrwert. Entlastung der Marktwirtschaft von monetären Transaktionskosten.Frankfurt 1983. S. 59.

2 Karl Marx: Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie. 1. Band. 4. Aufl., Hamburg 1890. Zitiert nach: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Band 23. Berlin 1969. S. 101.

3 Dieter Suhr: Geld ohne Mehrwert, S. 89.4 Dieter Suhr und Hugo Godschalk: Optimale Liquidität. Eine liquiditätstheoretische Analyse

und ein kreditwirtschaftliches Wettbewerbskonzept. Frankfurt/M. 1986. S. 96ff.

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12 Juni 2/2018 · INWO

Mehrwert des Geldes in die Kasse: Entwederdie Naturalform des Mehrwertes in Gestaltdes Liquiditätsnutzens (liquidity-premium;money services); oder als pekuniäres Äqui-valent des Liquiditätsnutzens den Zins.Das gegenwärtige monetäre System hat alsozur Folge, daß der gesellschaftlich produzierteLiquiditätsnutzen von Kapitalbesitzern priva-tisiert und in eine Pfründe transformiert wer-den kann.Dabei fließen diese Gelder in der Gestalt vonZinsen dort ab, wo Geld gebraucht wird, unddorthin, wo seine Liquidität schon vorher nichtfür Transaktionszwecke benötigt wurde. DasGeld fließt also in einem kontraproduktivenStrom in der falschen Richtung. Dies ist derwohlfahrtsökonomische Unsinn des kapitali-stischen Geldes.

3. Kapitalistische Verteilung der LiquiditätskostenWer die Zirkulation stört, der liefert negativeBeiträge zur Produktion der Liquidität. Daskann man auch so ausdrücken: Er verursachtgesellschaftliche Kosten.Während also der Kassehalter den Nutzen derLiquidität genießt, produziert er zugleich Kos -ten für die anderen, und zwar in der Gestalt,daß er ihnen das ökonomisch erforderlicheZirkulationsmittel verknappt. Wenn nun dieanderen Wirtschaftsteilnehmer Informations-und Transaktionskosten dadurch sparen wol-len, daß sie das Transaktionsmittel »Geld«

verwenden, dessen Liquidität sie selbst pro-duzieren, so müssen sie den Geldanlegerdafür bezahlen, daß er von seiner Sabotagedes Zirkulationssystems abläßt. Die Kosten,die diese Sabotagekompetenz der Geldanle-ger verursacht, tragen wiederum die Produ-zenten und Konsumenten, die ohne Geld nichteffektiv und »schlagfertig« verkaufen undkaufen können.Es kommt aber noch etwas hinzu: Die mit derLiquidität verbundenen Kosten werden nichtgleichmäßig auf alle verteilt, die das Geld fürihre Transaktionszwecke als Konsumentenund Produzenten gebrauchen. Ganz im Ge-genteil: Je wohlhabender solche Konsumen-ten und Produzenten schon sind, – je wenigersie also auf kreditweise Vorfinanzierung ihrerProduktionsmittel (Fremdkapital) oder ihresKonsums (Konsumentenkredite) angewiesensind, desto weniger Zinsen kommen auf siezu. Je ärmer sie aber sind, je stärker sie alsoihre Produktion oder gar ihren Konsum aufKredit finanzieren müssen, desto mehr be-kommen sie mit Krediten zu tun, desto mehrZinsen haben sie zu tragen.Aber auch damit noch nicht genug: Ein Un-ternehmer, der ein Darlehen für 5 Jahre auf-nimmt, um in der nächsten Woche die vonihm erworbene Druckmaschine zu bezahlen,der gibt sein Geld und mit dem Geld den Li-quiditätsnutzen schon nach kurzer Zeit weiter.Aber die Kreditkosten, die er aus Anlaß seinergeplanten Transaktion auf sich genommen hat,

Macht« in Gestalt der monetären »Schlagfer-tigkeit« genieße, sind die Produzenten undKonsumenten mit ihrem Austauschbedürfnisauf Geld angewiesen.Das heißt zugleich: Mein relativ entbehrlichesGeld paßt vorzüglich zu ihren relativ existen-tiellen Bedürfnissen. Und diese Situation kannich ausnutzen dazu, den mir zugespielten Li-quiditätsnutzen zu vermarkten und in eineRendite zu verwandeln. So spielt mir das ge-sellschaftliche monetäre System einen priva-tisierbaren Nutzen in die Hand, den ich inmehr Geld umsetzen kann. So spielt das Geld-system denjenigen, die Geld übrig haben, dassie nicht ausgeben wollen, immer wieder den

Silvio Gesell über den kapitalistischen Warencharakter: »Die Ware nimmt heute die Gestalt eines einfachen Kassenboten des Geldkapitals an: Sie erhebt den Urzins vom Verbraucher

der Ware nicht für deren Erzeuger, sondern für den Besitzer des Geldes.«

So ist denn am Ende der

Kapitalismus nicht auf

die Eigentumsformen,

sondern die

kapitalistischen

Eigentumsformen

sind auf das

kapitalistische Geld

zurückzuführen.

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INWO · Juni 2/2018 13

bleiben bei ihm hängen. Während der gesam-ten Laufzeit des Darlehens, also für 5 Jahre,bezahlt er mit den Zinsen den Preis für denNutzen einer monetären Liquidität, die erschon nach einer Woche nicht mehr besitzt,die vielmehr von anderen längst wieder ko-stenlos in Anspruch genommen wird.So gesehen erscheinen Kapitalkosten als»hängengebliebene Liquidisierungskosten«.Und genau hier schließt sich der Kreis zu ei-nigen Überlegungen, die am Anfang dieserUntersuchung gestanden haben: Weil nämlichdie Geldbeschaffungskosten beim Kreditneh-mer hängenbleiben, erscheinen sie für ihn(und für den fachökonomischen Betrachter)nicht mehr als das, was sie wirklich sind, näm-lich nicht mehr als Liquidisierungs- und Trans-aktionskosten, sondern als Kosten des erwor-benen Sachgutes, also der Druckmaschine.So werden Sachkapitalien für die Produzentenund Konsumenten kostspielig. So hinterläßtdas kapitalistische Geld seine kapitalistischenKostenspuren bei den Sachgütern. So erhebt»das Kapital« seinen »Mehrwert« von Pro-duzenten und am Ende von Konsumenten,auf die letztlich die Kosten über die Preise ab-gewälzt werden.Man kann sagen: Das Geld überträgt seinekapitalistischen Eigenschaften auf die übrigenWirtschaftsgüter. Und so hat Silvio Gesell esauch beschrieben. Unter der Überschrift»Übertragung des Urzins auf die Ware« heißtes bei ihm:

»Weil also das herkömmliche Geld, unserTauschmittel, an und für sich ein Kapital ist,das keine Ware ohne seine Brandmarke inden Handel aufnimmt, findet die Ware ge-setz- und regelmäßig Marktverhältnisse vor,die die Ware als zinserhebendes Kapital er-scheinen lassen, wenigstens für den Verbrau-cher, denn dieser bezahlt den Preis, den derErzeuger erhalten hat, zuzüglich Zins. ›DieWare‹ nimmt dann ihre wahre Gestalt an,nämlich die eines einfachen Kassenboten desGeldkapitals. Sie erhebt den Urzins vom Ver-braucher der Ware nicht für deren Erzeuger,sondern für den Besitzer des Geldes (Tausch-mittel), – so etwa wie bei einer Nachnahme-sendung. Und die Waffe, womit das Geld sei-nen Kassenboten ausrüstet, das ist die Un-terbrechung der Verbindung zwischen denWarenerzeugern durch Verweigerung desTauschdienstes. Nimmt man dem Tauschver-mittler das Vorrecht, den Austausch der Wa-ren zur Erpressung des Urzinses untersagenzu können, wie es durch das Freigeld erreichtwird, so muß das Geld seine Dienste umsonstleisten, und die Waren werden, genau wie imTauschhandel, ohne Zinsbelastung gegenein-ander ausgetauscht.«5

Und ähnlich beschreibt Gesell unter der Über-schrift »Übertragung des Urzinses auf das so-genannte Realkapital (Sachgut)«, wie es dazukommt, daß nur diejenigen Realkapitalien er-zeugt werden, die so viel Ertrag erwarten las-sen, wie das Geld Zins. Und dann heißt es zu-sammenfassend:

»Es ist also klar: das sogenannte Realkapitalmuß Zinsen abwerfen, weil es nur durch Aus-geben von Geld zustande kommen kann, undweil dieses Geld Kapital ist. Das sog. Realkapitalbesitzt nicht, wie das Geld, eigene zinserpres-sende Machtmittel. Es handelt sich bei diesensogenannten Realkapitalien, genau wie beiden Waren, um vom Geld eigens zu diesemZweck geschaffene und erzwungene Markt-verhältnisse, um eine selbsttätig wirkende,künstliche Beschränkung in der Erzeu gung so-genannter Realkapitalien, so daß deren Ange-bot niemals die Nachfrage decken kann. Ge-setzmäßig erzeugt das herkömmliche, vomStaat abgestempelte und verwaltete Gelddurch erzwungene Arbeitslosigkeit die besitz-und obdachlose Menge, das Proletariat, dessenDasein die Voraussetzung für die Kapitaleigen-schaft der Häuser, Fabriken, Schiffe ist.«6

Kapitalistische Eigentumsformenals Folge kapitalistischen GeldesDer Geldkapitalist verfügt aber nicht nur überdas Mittel, sich den Mehrwert in Gestalt derZinsen auszubedingen. Er sitzt auch am län-geren Hebel, wenn es darum geht, als Geld-geber mit einem Unternehmer über die Be-dingungen einer Beteiligung zu sprechen. Erkann sich Entscheidungsrechte vorbehalten,

die er nicht ohne weiteres durchsetzen könn-te, hätten Geldgeber nicht die Macht, demUnternehmer das Medium der ökonomischenKommunikation zu überlassen oder eben auchvorzuenthalten. Er kann weitgehend die Be-dingungen vorschreiben, denen die anderensich fügen müssen, bevor er ihnen das le-bensnotwendige Transaktionsmedium zurVerfügung stellt.Zu diesen Bedingungen, die der Kapitalist sichals Geldgeber ausbedingen kann, gehört nichtnur, daß man Zinsen zahlen muß, wenn mansich Geld leiht. Dazu gehört auch, daß ein Ka -pi talgeber, der sich mit Produzenten zu sam -men tut, um etwas zu produzieren, die besse-ren Karten in der Hand hat und die Spielregelnbestimmen kann, nach denen das Spiel »Pro-duktion« in Unternehmen gespielt wird. Die»Spielregeln« der Produktion, – das sind die»Produktionsverhältnisse« einschließlich dereigentumsrechtlich ausgeformten Disposi -tionsbefugnisse des Kapitals im Unternehmen.Es überrascht also überhaupt nicht, daß unterden Bedingungen des kapitalistischen Geldessich Eigentumsformen herausgebildet habenund gesetzlich kodifiziert bzw. anerkannt wur-den, bei denen der Kapitalgeber das letzteWort hat. So ist denn am Ende der Kapitalis-mus nicht auf die Eigentumsformen, sonderndie kapitalistischen Eigentumsformen sind aufdas kapitalistische Geld zurückzuführen.Wer also den Kapitalismus abschaffen will, in-dem er die Eigentumsformen umstürzt, derbeschäftigt sich nur mit dem Symptom. Werden Kapitalismus radikal angehen will, alsonicht nur oberflächlich, sondern bei seinenWurzeln, der muß beim Geld ansetzen. z

Prof. Dr. Dieter Suhr(1939-1990) habilitiertesich 1973 an der FreienUniversität Berlin mit derSchrift »Bewusst seins -verfassung undGesellschaftsverfassung– Über Hegel und Marxzu einer dialektischenVerfassungstheorie«.

Seit 1975 war er Professor für öffentlichesRecht, Rechtsphilosophie und Rechts -informatik an der Universität Augsburg undparallel dazu kurze Zeit Richter amBayerischen Verfassungsgerichtshof.

Quelle:

Dieter Suhr: Der Kapitalismus als monetäres Syndrom – Aufklärung eines Widerspruchs in derMarxschen Kritik der politischen Ökonomie. Campus, Frankfurt/New York 1988.

Suhrs 100-Seiten-Text ist leicht lesbar, obwohl ermit Zitaten aus dem Werk von Marx gespickt ist. Er ist im Internet verfügbar: dieter-suhr.info/files/luxe/Downloads/Suhr_Kapitalismus.pdf

Wer also den

Kapitalismus abschaffen

will, indem er die

Eigentumsformen umstürzt,

der beschäftigt sich

nur mit dem Symptom.

Wer den Kapitalismus

radikal angehen will,

also nicht nur

oberflächlich, sondern bei

seinen Wurzeln,

der muß beim

Geld ansetzen.

5 Silvio Gesell: Die natürliche Wirtschaftsordnung. 9. Auflage. Lauf bei Nürnberg 1949. S. 324.6 Ebd. S. 226.

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14 Juni 2/2018 · INWO

Wie bereits Bernd Senffestgestellt hat, sah Marxdie tieferen Wurzeln derWirtschaftskrisen in denkapitalistischen Produkti-

ons- und Eigentumsverhältnissen und hat dievom Zins ausgehende Problematik demge-genüber vernachlässigt.1 Überdies hat Marxdurch seine Kapitaltheorie sogar wesentlichzu einem heute in den Wirtschaftswissen-schaften vorherrschenden Missverständnisbeigetragen.

Geld ist kein ProduktionsfaktorSowohl im Hauptwerk von Karl Marx als auchin marxistischen Lehrbüchern wird ausführlichhergeleitet, warum Geld ebenfalls – wie Pro-duktionsmittel – Kapital darstelle2. In der klas-sischen Volkswirtschaftslehre ist Kapital derdritte Produktionsfaktor neben Boden undmenschlicher Arbeitskraft. Gemeint waren da-mit ursprünglich jedoch Produktionsmittel wiez.B. Werkzeuge und Maschinen, also Sachka-pital. Im Grunde ist auch der vom Marxismusgeprägte Begriff des »Kapitalismus« Ausdruckder Gleichsetzung von Geld und Kapital, sug-geriert er doch den Drang des homo oeco-

nomicus, möglichst viel Geld und nicht, wieder Begriff vermuten ließe, Werkzeuge anzu-sammeln. Aus der Gleichsetzung von Geld undKapital folgt das Missverständnis, das die Wirt-schaftswissenschaften heute prägt, wonachjede Art des Gewinns als »Verzinsung« be-zeichnet wird, unabhängig davon, ob es sichum realwirtschaftliche Produktivgewinne oderGewinne aus dem Geldverleih handelt.3

Selbstverständlich kann es nicht verwerflichsein, einen maßvollen Ertrag aus produktiverArbeit zu erzielen. Solange Geld aber als Pro-duktionsfaktor angesehen wird, ist es schwernachzuvollziehen, dass es einen Unterschiedmacht, Gewinne aus dem Geldverleih (Zinsim ursprünglichen Sinn) oder Gewinne ausdem Einsatz anderer Produktionsmittel zu ziehen.

Klassenunterschiede entstehennicht durch WettbewerbDie Klassenunterschiede entstehen, andersals dies sozialistische Theorien suggerieren,nicht durch die Wettbewerbswirtschaft. ImGegenteil, wenn Wettbewerb funktioniert, hater das Potential, die Klassenunterschiede zuverringern.4 Je mehr Wettbewerb herrscht,

Karl Marx’ historisches MissverständnisMarx hat die vom Zins ausgehende Problematik nicht in ihrer entscheidenden Relevanz erkannt.

Der eigentliche Grund für die »Klassenunterschiede« in der Bevölkerung ist unser Geldsystem.

W Aus der Gleichsetzung

von Geld und Kapital

folgt das Missverständnis,

das die Wirtschafts -

wissenschaften heute

prägt, wonach

jede Art des Gewinns

als »Verzinsung«

bezeichnet wird,

unabhängig davon,

ob es sich um

realwirtschaftliche

Produktivgewinne oder

Gewinne aus dem

Geldverleih handelt.

1 B. Senf: »Geldfluss, Realwirtschaft und Finanzmärkte aus Sicht der verschiedenen Wirtschaftstheorien«, in: Zeitschrift für Sozialökonomie 156-157/2008, S. 14ff.2 K. Marx: Das Kapital, Band 1, 2. Aufl. Hamburg 1872, S. 128ff; A. Bogdanoff: A Short Course of Economic Science, 2. Aufl. London 1925, S. 139ff.3 Im Koran, wo der Geldzins ebenso wie in der Bibel verboten ist (hierzu F. Fuders: Neues Geld für eine neue Ökonomie« in: G. Krämer (Hg.): Finanzwirtschaft in

ethischer Verantwortung, Wiesbaden 2017, S. 147ff), verurteilt Mohammed übrigens ausdrücklich die Gleichstellung von realwirtschaftlichen Gewinnen und Kreditzinsen.Er war sich sicher, dass diejenigen bestraft würden, die da sagen: »Kaufgeschäfte und Zinsleihe sind ein und dasselbe« (Koran, 2. Sure, Vers 275 – 279).

4 Siehe auch Milton Friedman: Capitalismo y Libertad. Ediciones RIALP, Madrid 1966.5 H. R. Frank: Microeconomía y Conducta, 5. Aufl. Madrid 2005, S. 341ff.6 Zur Machtverteilungsfunktion zwischen Wirtschaft und Gesellschaft grundlegend: F. Böhm: Demokratie und ökonomische Macht, Karlsruhe 1961, S. 3ff. Er bezeichnet

Wettbewerb als das »großartigste und genialste Entmachtungsinstrument der Geschichte« (S. 22). Vgl. auch: K. Herdzina: Wettbewerbspolitik, 5. Aufl. Stuttgart1999, S. 28-31.

7 V. Emmerich: Kartellrecht, 9. Aufl. München 2001, S. 2; ähnlich auch E. Kantzenbach: Die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs, 2. Aufl. Göttingen 1967, S. 16f.8 Es wird auf den weltweiten Konsens hingewiesen, wonach eine freie Marktwirtschaft als das effizienteste Mittel für eine angemessene Verteilung von Ressourcen

gesehen wird, vgl. B. Saravia Frías: Concentración empresarial y defensa de la competencia en el Mercosur, Buenos Aires 1999, S. 135. Der Wettbewerb muss abersachgerecht, vor allem sittlich veranstaltet werden, damit sich die positiven Wirkungen einstellen, vgl. U. Schachtschneider: Nachhaltigkeit als geänderte Moderne?Frankfurt 2005, S. 685. Siehe auch K. Herdzina: Wettberbspolitik, 5. Aufl. Stuttgart 1999, S. 28-31; M. Tolksdorf: Dynamischer Wettberwerb, Wiesbaden 1994, S.29; H. R. Frank: Microeconomía y Conducta, 5. Aufl. Madrid 2005, S. 361f.

9 F. Fuders: EG-Wettbewerbsrecht, Saarbrücken 2009, S. 15; ders. »Zum so genannten freien Wettbewerb und dem vermeintlichen Verbot vertikaler Kartelle im EU-Wettberwerbsrecht«, in: Zeitschrift für Wettbewerbspolitik 60 3/2011, S. 279.

10 F. Fuders: Alternative Concepts for a world financial system«, in: Revista de Estudos Internacionales1 66/2010, Valdivia 2010; ders.: »Neues Geld für eine neueÖkonomie« in: G. Krämer (Hg.): Finanzwirtschaft in ethischer Verantwortung, Wiesbaden 2017, S. 136ff.

11 Mit Geld kann man Kapital und andere Produktionsfaktoren kaufen. Geld selbst stellt aber keinen Produktionsfaktor dar. Im »Islamic Banking« wird Geld richtigerweisenicht als tatsächliches, sondern als »potentielles Kapital« angesehen (Z. Iqbal und A. Mirakhor: Islamic Banking, Washington 1987, S. 2; H. v. Gruening und Z. Iqbal:Risk Analysis for Islamic Banking, Washington 2008, S. 7). Geld wird im Islamic Banking erst zu Kapital, wenn man es in solches eintauscht.

12 Die DDR-Staatsschulden wurden übrigens von der BRD übernommen. Nutznießer der Wiedervereinigung dürften die westlichen Banken gewesen sein, bei denen dieDDR verschuldet war, und die andernfalls hohe Kreditausfälle verzeichnet hätten.

13 J. M. Keynes: Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes, Berlin 1936, S. 140.14 Bedenkt man, dass diese sozialstaatliche Umverteilung in einer zinsbelasteten Wirtschaft für die Betroffenen dringend notwendig ist, so sind die Rüstungsausgaben

des Staates noch viel kritischer zu sehen. Wie in dieser Zeitschrift mehrfach dargelegt, hatten die Staatsschulden und Militärausgaben schon bis 1989 – dem Zeitpunktder Wiedervereinigung – die astronomische und fast identische Größenordnung von nahezu 1 Billion Euro erreicht (s. W. Kuhn in FAIRCONOMY Juni 2006).

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INWO · Juni 2/2018 15

produktiv arbeitender Bevölkerung nach ma-thematischer Logik stetig und vor allem immerschneller vergrößert.

Der Kommunismus behebt nicht nur nicht dieUrsache der Ungleichverteilung, er ist diesemFinanzsystem sogar dienlich. KommunistischeLänder neigen besonders schnell zur Verschul-dung, weil sie ineffizient produzieren, aberdennoch konsumieren möchten. Die fehlendeeigene Produktivität wird dann gerne durchkreditfinanzierte Importe gedeckt. Wennmehr importiert als exportiert wird, muss die

Zahlungsbilanz durch Kredit ausgeglichenwerden. Die Diskussion darüber, ob nun einemarktwirtschaftliche oder eine kommunisti-sche Wirtschaftsverfassung besser für dieMenschen ist, dient möglicherweise auch nurder Ablenkung. Beide funktionieren langfristignicht mit einer Zinswirtschaft. Wir erinnernuns: Sowohl die UdSSR als auch die DDR wa-ren am Ende überschuldet.12 Der Zins ergibtsich als »Prämie für den Verzicht auf Liqui-dität«13 aus der Eigenschaft des Geldes, an-ders als reale Produkte nicht zu verderbenund daher praktisch unbegrenzt hortbar zu

desto niedriger sind im Allgemeinen die Preise– was für die Haushalte vorteilhaft ist, nichtaber für die Produzenten, die im Vergleichzum Zustand mit weniger Wettbewerb Mono-polrenten einbüßen.5 Wettbewerb führt so zueiner gleichmäßigeren Verteilung des Einkom-mens zwischen Haushalten und Unterneh-men. Das ist die so genannte Verteilungsfunk-tion des Wettbewerbs.6 Der Wettbewerb kannso dazu beitragen, den Aufbau endgültigerMachtpositionen zu verhindern, durch welchedie Freiheit aller bedroht wird.7 Die Vertei-lungsfunktion bezieht sich nicht nur auf dasVerhältnis der Haushalte zu Unternehmen,sondern auch auf das Verhältnis der Wettbe-werber untereinander. Da im Modell der voll-ständigen Konkurrenz jeder Marktteilnehmereben so viel verdient, wie er mit demselbenEinsatz an Produktionsfaktoren auch an an-derer Stelle verdienen könnte, jeder also ge-nau so viel verdient, wie er seiner Leistungnach verdient zu verdienen, gewährleistetfunktionsfähiger Wettbewerb eine leistungs-gerechte Entlohnung der Wettbewerber8 underzeugt zugleich ein Maximum an wirtschaft-licher Freiheit.9

Ein wesentlicher Grund, warum Wettbewerbnicht immer die in der Theorie beschriebenenWohlstand vermehrenden Effekte und zu-gleich enorme und vor allem ungerechte Ein-kommensunterschiede erwirkt, ist unser Geld-system.10 Das Gesagte lässt sich nachvollzie-hen, indem man sich in Erinnerung ruft, dassder Geldverleiher Einkünfte erzielt, ohne über-haupt einen Produktionsfaktor eingesetzt zuhaben; denn Geld ist eben kein Produktions-faktor, kein Kapital.11 Im Modell der vollstän-digen Konkurrenz ist ein solcher leistungsloserGewinn nicht vorgesehen.

Der eigentliche Grund für die Klassenunterschiede Der eigentliche Grund für die »Klassenunter-schiede« in der Bevölkerung sowohl damalsals auch heute ist wohl unser Geldsystem, dasden Unterschied zwischen den »Rentnern undLasttieren«, wie es Silvio Gesell auszudrückenpflegte, also zwischen Zinsempfängern und

Der Zins ergibt sich als

»Prämie für den Verzicht

auf Liquidität« aus der

Eigenschaft des Geldes,

anders als reale Produkte

nicht zu verderben und

daher praktisch

unbegrenzt hortbar

zu sein.

Abb. 1: Die durch Thomas Kubo aktualisierte »legendäre« Grafik von Helmut Creutz macht deutlich: Währendauf der einen Seite die Guthaben durch den Zins (exponentiell) wachsen, so müssen sich auf der anderen Seitedie Schulden spiegelbildlich entwickeln, denn es gibt keinen Zins ohne Schuld.

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16 Juni 2/2018 · INWO

Bestellungen bitte an: [email protected],Betreff: »Bestellung T-Shirt«

sein. Dem Geld diese unnatürliche Sonder-stellung gegenüber Waren zu nehmen, wardie Idee Gesells.

Es gibt keine sozial gerechteStaatsverschuldungÜbrigens spielt auch eine ausufernde Sozial-gesetzgebung der Finanzwirtschaft in dieHände, jedenfalls dann, wenn sie den Staatzur Ausweitung der Staatsverschuldung ver-pflichtet. Das war lange Zeit in Deutschlandder Fall. So entsprachen die Aufwendungenfür Soziales in Deutschland jahrzehntelangetwa dem Betrag der jährlichen Neuverschul-dung.14 Das dürfte ganz im Sinne der Bankensein, die in ihrem Zwang, das Kreditvolumenstetig auszuweiten, auf den Staat als gutenKunden angewiesen sind. Langfristig bedeu-ten mehr Schulden immer auch mehr Gutha-ben, nämlich für diejenigen, die die Zinseneinstreichen (s. Abb.1 sowie Jürgen Kremer:»Eine andere unsichtbare Hand des Marktes«,in: Humane Wirtschaft 1/2009). Jeder Zinsführt zu wachsender Ungleichheit zwischendenjenigen, die real produktiv tätig sind, unddenjenigen, die arbeitsloses Einkommendurch das Verleihen von Geld erzielen. Schul-denfinanzierte Programme sozialer Sicherheit(wie auch andere staatliche Konsumausgaben»auf Pump«) tragen so dazu bei, dass dieLücke zwischen Arm und Reich größer wird,auch wenn diese Programme vorgeben, dasGegenteil zu tun. Es gibt keinen sozial ge-rechten Zins und folglich auch keine sozialgerechte Staatsverschuldung. z

Felix Fuders, INWO-Vorsitzen-der, Direktor des ÖkonomischenInstituts und Professor fürVolkswirtschaftslehre, insbeson-dere Mikroökonomie und Um-weltökonomie, an der Universi-dad Austral de Chile; DirektorSPRING Chile, Mitglied der

Gesellschaft für Nachhaltigkeit und im Netzwerkfür Nachhaltige Ökonomie, Berlin. E-Mail: [email protected]

Karl Marx sah Geld fälschlicherweiseals Produktionsfaktor und setzte Geldund Kapital gleich.

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Besuchen Sie die Ausstellung im Internet un-ter »Freiwirtschaftliche Markierungen«:https://www.wu.ac.at/geschichte/institut/forschung/virtuelle-ausstellung-freiwirtschaftliche-markierungen/

Rückfragehinweis:

ao.Univ. Prof. Dr. Gerhard SenftWU Wirtschaftsuniversität WienVienna University of Economics and BusinessDepartment of SocioeconomicsInstitute for Economic and Social HistoryWelthandelsplatz 1, Building D41020 Vienna, Austria

Tel.: ++43-1-31336-4713Fax: ++43-1-31336-9201

Historische soziale Bewegungen entstan-den stets aus gesellschaftlichen Anliegen

und aus dem Leidensdruck betroffener Grup-pen heraus. Aus dieser »Ursuppe« politischerAktivierung formierten sich Protesthaltungenund ein wachsendes öffentliches Problem -bewusst sein. Die Freiwirtschaftsbewegungbefasste sich im Besonderen mit der Frageder Finanzierung öffentlicher Haushalte, mitder durch Krisenanfälligkeit und problemati-sche Verteilungsergebnisse gekennzeichnetenkapitalistischen Geldordnung und sie thema-tisierte die zunehmende Verknappung der Bo-denflächen im urbanen Raum. Indem ihreVertreter/innen mit unkonventionellen Vor-schlägen hervortraten (Negativzinsen, Kom-plementärwährungen, Bodensozialisierungetc.), wurden sie häufig als Exoten/innenwahrgenommen. Dementsprechend kraftvollwaren ihre Anstrengungen hinsichtlich derVerbreitung ihrer Auffassungen.

Gewidmet ist die Ausstellung Werner Onkenanlässlich seines 65. Geburtstages am 20. Mai2018. Gezeigt werden verschiedene Bildma-terialien, Plakate, Flugblätter und andere Do-kumente – übrigens nicht nur aus Österreich.Die Ausstellung, initiiert von Prof. Dr. GerhardSenft, ist als ein »offenes« Projekt konzipiert.Jede Art von unterstützender oder auch kri-tischer Würdigung wird – soweit es möglichist – berücksichtigt.

Wir laden herzlich ein zum Besuch der virtuellen Ausstellung »FREIWIRT-SCHAFTLICHE MARKIERUNGEN IN ÖSTERREICH 1860-1960 – Dokumentationeiner sozialliberalen Bewegung«.

Virtuelle Ausstellung zurFreiwirtschaftsbewegung

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INWO · Juni 2/2018 17

Bericht zur INWO-Generalversammlung 2018

SCHWEIZ

Am Samstag, den 28. April 2018 fand die28. GV der INWO Schweiz in Zürich statt.

Vorgängig traf man sich zum gemütlichen Aus-tausch und Imbiss im Restaurant Bebek undab 13.30 Uhr kamen weitere Mitglieder dazu.Die offizielle GV fand von 14.00 und 15.30 Uhrstatt. Anschliessend führte uns Hendrik Barthdurch die Genossenschaft Kalkbreite in Zürich.

Landverkauf der Gemeinden vermeidenHeinz Girschweiler von der NWO-Stiftung Bel-campo erzählte Interessantes über das Wir-ken der Stiftung zum Thema Bodenrechte. Ineigener Sache ruft die NWO-Stiftung auf, dasssie ihren Vorstand ergänzen möchte mit Per-sonen, welche sich mit architektonischerRaumplanung und mit Baurecht auskennen.Bei Interesse bitte melden!

Auch der Aufruf der vergangenen Jahre giltnach wie vor: Bitte meldet es der NWO-Stif-tung Belcampo (E-Mail: [email protected]), falls in der eigenen Gemeinde Land

verkauft werden soll. Die Stiftungwird dann reagieren.

INWO will Boden-Initiative mittragenDie INWO Schweiz ist gerne bereit,eine allfällige (kantonale) Boden-In-itiative mitzutragen. Wir freuen unsauf Rückmeldungen aus unseremMitgliederkreis, um eine solche Ini -tiative möglich zu machen.

Das Jahr 2018 war ein Wahljahr fürden Vorstand. Die Vorstandsmitglie-der Daniel Meier und Hansruedi We-ber als Co-Präsidium sowie Alec Ga-gneux und Roland Stebler als Vor-

standsmitglieder stellten sich infolge Mangelan Nachwuchs noch einmal für zwei Jahre zurVerfügung. Sie wurden einstimmig gewählt,doch unter Verschiedenes wurde über die Zu-kunft diskutiert: Die INWO Schweiz nimmtimmer noch gerne Angebote von jungen undinitiativen Menschen an, welche sich der IN-WO-Themen, speziell der Boden- und Zins -thematik, annehmen. Bewerbungen nimmtdas Sekretariat gerne entgegen.

Wie weiter mit der INWO Schweiz?Giorgi Winter erzählte von seiner Arbeit beider Stiftung Meraggia im Tessin, wo er seinenWohnsitz hat. Diese Stiftung ist auch ein»Kind« von INWO/Silvio Gesell. Er sinnierteweiter, dass der Verein INWO e.V. unter neu-em Namen wie zum Beispiel »Monetäre Mo-dernisierung« eher neue Mitglieder anziehenkönnte, allein schon durch das Wort »mo-dern«. Bei INWO – »Initiative für…« ist ehermit Zurückhaltung zu rechnen, weil man beieiner »Initiative« etwas tun müsse.

Heinz Jossi zieht es vor und findet es wichtig,dass die Bewegung INWO weitergeht, weildie Themen tiefgründiger sind. Hendrik Barthmeinte, dass durch die Vollgeld-Leute eineVerjüngung stattfinden könnte. HansruediWeber fügte an, dass nach der Abstimmungzur Vollgeldinitiative diese Themen angegan-gen werden müssen.

Anschliessend begaben sich die Teilnehmen-den in die Wohnung von Hendrik Barth, wouns Giorgi Winter mit einem herrlichen Kaki-Dessert verwöhnte. Jedes Jahr können frischeKaki direkt bei ihm bezogen werden – gerneleitet das INWO-Büro entsprechende Anfra-gen weiter. Während wir das Dessert genos-sen, erzählte Hendrik Barth über die Entste-hung der Genossenschaft Kalkbreite. Unterseiner kundigen Leitung wanderten wir durchden grossen Bau und blickten von der Dach-terrasse über die Stadt Zürich und schrittendurch viele verwinkelte Gänge vorbei an Ate-liers, Wohnungen und Gemeinschaftsräumen.Danke, Hendrik, für die interessante Führung!

Monica Gassner-Rusconi

Wir bitten alle Mitglieder, welche den Jahresbeitrag 2018 noch nichtbeglichen haben, dies in den nächsten Tagen nachzuholen:

INWO Schweiz – Postkonto IBAN CH83 0900 3000 1771 2

oder eine Meldung per E-Mail an das Sekretariat [email protected]

Dank im Voraus!

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18 Juni 2/2018 · INWO

SCHWEIZ

Aus dem Jahresbericht der NWO-Stiftung Belcampo

Das gewichtigste Geschäft im Jahr 2017 war der Ent-scheid über die Zukunft der Schweizerischen Frei-

wirtschaftlichen Bibliothek. Seit 1988 ist dieses Lebens-werk des Basler Freiwirtschafters Paul Gysin (1911-1993)in der Universitätsbibliothek (UB) Wirtschaft Basel un-tergebracht. Per Ende 2017 lief der Depositumvertragaus, den der Stiftungsrat im Jahr 2008 um weitere zehnJahre verlängert hatte. Nun war zu entscheiden, ob dieBibliothek definitiv in die Hände der professionell ge-führten Fachbibliothekare gelegt werden sollte. Einstim-mig kam der Stiftungsrat zum Schluss, es sei Zeit zu die-sem Schritt. Die UB Wirtschaft der Uni Basel hat in denletzten drei Jahrzehnten bei der Pflege und Ergänzungdes Bestandes grosse Sorgfalt an den Tag gelegt undsich so das Vertrauen des Stiftungsrates erarbeitet.

In den 1990er-Jahren wurde die ursprünglich mehr als4.000 Titel umfassende Bibliothek auf ihren Kernbestandvon gut 1.400 Titeln reduziert und dann ins elektronischeinternationale Bibliothekssystem integriert. So kann heu-te jedermann den Bestand der Bibliothek abfragen undsich einzelne Bücher und Zeitschriften auch ausleihen.In Zusammenarbeit mit dem Stiftungsrat von NWO-Bel-campo werden Neuerscheinungen auch künftig in denBestand der Freiwirtschaftlichen Bibliothek (Signatur FB)integriert.

Die Leiterin der Basler Bibliothek, Irene Amstutz, zeigtesich erfreut über das Geschenk. Der Bestand erlaube In-teressierten einen ganz speziellen Blick auf die Wirt-schaftsgeschichte, schrieb sie in ihrem Dankesbrief. Auchder Stiftungsrat von NWO-Belcampo ist über die Lösungglücklich. Als Laiengremium hat er die Verantwortungfür die wertvollen Bestände jetzt definitiv Profis über-geben. Und er behält gleichwohl künftig das Recht, An-regungen zur Ergänzung der Bestände zu machen.

Für unsere Stiftung ist der Schritt als historisch zu be-zeichnen. Denn erster Stiftungszweck war bei der Grün-dung der Vorgängerstiftung NWO-Stiftung für natürlicheWirtschaftsordnung im Jahr 1986 die Sorge um die Bi-bliothek. Verliert unsere Stiftung deshalb jetzt ihrenZweck und damit ihre Daseinsberechtigung? Dies ist mit-nichten der Fall. Denn im Stiftungszweck wurde auchdie Förderung des freiwirtschaftlichen Gedankenguts,so insbesondere eines gerechten Geldwesens, eines so-zialen Bodenrechts und einer ökologisch ausgerichtetenWirtschaftsweise festgeschrieben.

Darlehen statt BaurechtEiniges an Geduld erfordert das bisher grösste Förder-projekt in der Geschichte der NWO-Stiftung Belcampo.Vor zwei Jahren hat der Stiftungsrat grundsätzlich be-schlossen, sich mit einem Landkauf und einer Baurechts-vergabe am Projekt einer ökologisch und sozial vorbild-lichen Siedlung nach den Grundsätzen der Permakulturin Trubschachen BE zu beteiligen. Wegen langwierigerVerhandlungen mit der Erbengemeinschaft als bisherigerEigentümerin des kleinen Bauernhofes und des Baulan-des ist das Geschäft immer noch hängig.

Einen wichtigen Grundsatzentscheid hat der Stiftungsrataber nach intensiver Diskussion im Herbst 2017 bereitsgefällt: Er hält nicht mehr länger an einem Baurechts-vertrag in Trubschachen fest. Vielmehr will er sein En-gagement für die Siedlung in Form eines langfristigenDarlehens an die Wohnbaugenossenschaft Sonnhas leisten. Dies, weil die rechtlichen Bedingungen beim Er-werb von Hof und Bauland sich geändert haben. Zudemhätte sich die Stiftung für den Kauf des Baulandes ver-schulden müssen. Dies kann jetzt vermieden werden.Angesichts dieser Umstände hat sich der Stiftungsratentschieden, der Genossenschaft Sonnhas ein langfris -tiges Darlehen von 300.000 Franken zu einem Vorzugs-zins zu gewähren.

Bodeninitiativen: Es werden immer mehrEin erfreuliches Kapitel in den Bemühungen unserer Stif-tung bilden die kommunalen Bodeninitiativen, die sichausbreiten. Ziel der Initianten ist es dabei, den Verkaufvon öffentlichem Boden für die Zukunft zu verhindern.Im November 2017 bestätigten die Stadtluzerner Stimm-berechtigten die aktive Bodenpolitik an der Urne. InHochdorf LU hingegen scheiterte die Initiative »Bodenbehalten, Hochdorf gestalten« an der Urne knapp. Aberdie Reihe der Bodeninitiativen findet eine erfreulicheFortsetzung. Die Grünen in Uster ZH und in Sursee LUhaben entsprechende Initiativen eingereicht, die SP inBinningen BL sammelt noch Unterschriften. All diesenInitianten lässt unsere Stiftung jeweils einen Aufmun-terungsbeitrag in schriftlicher sowie in pekuniärer Formzukommen. Auch begleitet unsere Stiftung den Gangder Begehren jeweils mit Nachrichten auf ihrer Website(www.nwo-belcampo.ch).

Gemeingut Boden verfasst Leitfaden zum BaurechtIm Herbst 2017 hat das Bundesamt für Wohnungsweseneine gut 50-seitige Broschüre mit dem Titel »Baurecht

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INWO · Juni 2/2018 19

Starkes Zeichen für die Vollgeld-Initiative

SCHWEIZ

unter der Lupe« in digitaler Form herausgegeben. Ver-fasser des Werks ist die Immobilienfirma Wüest Partner.Entsprechend einseitig beleuchten die Autoren die öko-nomischen Aspekte von Baurechtsverträgen. Immerhingibt die Broschüre Gemeinden als Baurechtgeberinneneinige wertvolle Tipps. Und wohltuend ist die Tonalitätder Broschüre, welche Wert auf partnerschaftliche Ver-träge legt. Das Infonetzwerk Gemeingut Boden, der loseZusammenschluss von mittlerweile neun Organisationen,die sich mit dem Boden als Gemeingut befassen, hatden Bericht des Bundes diskutiert und beschlossen, ihmeinen Leitfaden aus seiner Sicht zur Seite zu stellen. Erlegt starken Wert auf die politischen und die partner-schaftlichen Aspekte von Baurechtsverträgen.

Vollgeldinitiative unterstütztAm 10. Juni 2018 kam die Vollgeldinitiative des VereinsMonetäre Modernisierung zur eidgenössischen Abstim-mung. Schon das Zustandekommen der Initiative ohnejegliche parteipolitische Unterstützung war ein bewun-dernswerter Kraftakt. Noch viel mehr war es die Abstim-mung gegen eine breite Front der Gegner. Wichtig istaber, dass – erstmals überhaupt seit Jahrzehnten – dasGeldwesen und seine Funktionsweise in die öffentlicheDiskussion gelangen. Der Stiftungsrat hat dem Initiativ -komitee sowohl 2017 als auch bereits 2018 je 5.000Franken für die Kosten der Aufklärungs- und Abstim-mungskampagne zukommen lassen.

Heinz Girschweiler, Präsident NWO-Stiftung Belcampo

Trotz der massiven Verwirrungs- und Angstkampagneder Gegner und der Fehlinformationen durch den

Bundesrat und die Nationalbank stimmten 24,3 Prozent,also knapp ein Viertel der Stimmberechtigten, für dieVollgeld-Initiative. Das ist ein Achtungserfolg und zeigt,dass sehr viele Schweizerinnen und Schweizer realisierthaben, dass die Geldherstellung der privaten Geschäfts-banken zu zahlreichen Problemen führt.Den zigtausend ehrenamtlich Engagierten gebührt gros-ser Dank für ihr Engagement, welches zu diesem Ach-tungserfolg geführt hat. Die Initianten anerkennen dasAbstimmungsresultat. Die beiden SRG-Umfragen vor derAbstimmung zeigten aber deutlich, dass eine Mehrheiteigentlich nicht will, dass private Geschäftsbanken Geldselbst herstellen. Dies soll nur die Nationalbank machen.Obwohl die Vollgeld-Initiative genau das zum Ziel hatte,fand sie keine Mehrheit. Es ist dem Initiativkomitee auf-grund der beschränkten Mittel und angesichts der kom-plexen Materie offensichtlich nicht gelungen, die Bevöl-kerung genügend aufzuklären. Hinzu kam die Angst-kampagne der Bankenlobbyisten, welche das ihre zumEndergebnis beigetragen hat.

Probleme nicht gelöst – Politik gefordertDie Probleme im Bankensystem sind nicht gelöst undein grosser Anteil in der Bevölkerung sieht dies ebenso.Es besteht weiterhin dringender Handlungsbedarf, denndie nächste Krise kommt bestimmt. Die Politik ist jetztgefordert, konkrete Massnahmen zu treffen, um krisen-sicheres Geld und einen sicheren Zahlungsverkehr zugewährleisten. Es kann nicht sein, dass die privaten Ge-schäftsbanken durch die Gelderzeugung »aus demNichts« weiterhin unseren Wohlstand gefährden. Hinzukommen technologische Entwicklungen wie die Krypto-währungen, welche das schweizerische Geldsystem unddie Volkswirtschaften global vor grosse Herausforderun-gen stellen werden.Der Trägerverein MoMo der Vollgeld-Initiative steht aufguten Beinen und hat sich in den letzten Jahren starkvernetzt. In den Statuten steht: »Der Verein setzt sichdafür ein, die Finanzwirtschaft in den Dienst der Real-

wirtschaft und das Geldsystem in den Dienst der Men-schen zu stellen.« Der Verein MoMo fühlt sich durch diegrosse Zustimmung der Bevölkerung bestärkt und wirdden Druck auf die Politik aufrechterhalten.

Bürger stimmten über Zerrbild abViele Nein-Stimmende stimmten nicht über die Vollgeld-Initiative ab, sondern über das Zerrbild, das ihnen vonden Behörden sowie der Bankenlobby vermittelt wurde.Das Abstimmungsresultat kann deshalb nicht als Zu-stimmung zur Privatisierung der Schweizer Geldschöp-fung interpretiert werden. Die Beschwerde des Unter-nehmers Michael Derrer zur irreführenden Kommunika-tion der Behörden ist beim Bundesgericht nach wie voranhängig. Die Initianten hoffen, dass Bund und Behördenaus der Beschwerde zumindest für die Zukunft die Lehrenziehen und der Behördenpropaganda ein Riegel gescho-ben wird.

Raffael Wüthrich, Informationsbeauftragter Vollgeld-Initiative

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20 Juni 2/2018 · INWO

Die »Week of Links« zum Thema ökolo-gische, ökonomische und soziale Nach-

haltigkeit findet seit vier Jahren an der UniTübingen statt. In diesem Jahr gab es zumersten Mal eine Sommer-Edition Mitte April.Diese war für alle Menschen geöffnet, die sichmit Nachhaltiger Entwicklung auseinander-setzen wollten, egal ob studierend oder nicht.INWO-Mitglied Helmut Rau organisierte dies-mal einen Workshop zum Thema »Nachhal-tige Nachhaltigkeit«:

Warum ist es – obwohl wir alle sehr für Um-weltschutz sind – so schwer, wirklich nach-haltig zu leben? Wir haben immer kurzlebi-gere Produkte. Wir transportieren immermehr Güter unnötig durch die Gegend. Wirfahren mit immer mehr Autos immer öfter.Wir arbeiten trotz immer mehr Automatisie-rung immer mehr. Warum sind die Erfolgeder Umweltschutzverbände nicht nachhaltig?Warum hat uns der Rebound-Effekt so festim Griff? Braucht es einen neuen, transfor-mativen Umweltschutz? Neue Wege zu nach-

haltiger Nachhaltigkeit? Ist eine dauerhafteNachhaltigkeit überhaupt möglich? Mit verschiedenen Planspielen analysierteHelmut gemeinsam mit den Teilnehmendendas Problem, eröffnete ein neues Verständnisfür die wirtschaftlichen Zwänge und stelltebisher unbekannte Lösungsmöglichkeiten imSinne der INWO vor.

Helmut Rau bei der »Week of Links«

DEUTSCHLAND

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Eckhard Behrens verstorben

Am Samstag, den 7. April 2018 ist unser sehr ge-schätztes Mitglied Eckhard Behrens plötzlich ver-

storben.

Eckhard Behrens war vielen von uns als Vorstandsmit-glied des Seminars für freiheitliche Ordnung e.V. (SffO)bekannt und ist uns bei diversen freiwirtschaftlichen Ver-anstaltungen persönlich begegnet. Andere kannten ihndurch seine Beiträge in der Fairconomy. So kritisierte erzum Beispiel unter der Überschrift »Ende des Moneta-

rismus?« im Juniheft 2013, dass die Notenbanken dieUmlaufgeschwindigkeit des Geldes immer noch sträflichvernachlässigen. Sein Beitrag »Das Bargeld-Problemwird volkswirtschaftlich noch nicht verstanden« gehörtzu den meistgelesenen Beiträgen auf unserer Homepage.Unter dem Titel »Wie stabil ist unser Geld?« haben wiraus gegebenem Anlass eine Podiumsdiskussion mit Eck-hard Behrens auf unserem Youtube-Kanal online gestellt:youtube.com/user/FAIRCONOMY

Eckhard Behrens ist 1937 in Ostpreußen geboren. Erstudierte Volkswirtschaftslehre in Bonn und Frankfurtam Main, insbesondere bei Prof. Dr. iur. Franz Böhm, ei-nem der geistigen Väter der Sozialen Marktwirtschaft.Schon im Studium wurde er angeregt durch das 1958mitbegründete Seminar für freiheitliche Ordnung, dassozialwissenschaftliche Tagungen veranstaltet und dieSchriftenreihe »Fragen der Freiheit« herausgibt, in derEckhard Behrens regelmäßig mit eigenen Beiträgen ver-treten war. Beim SffO war er seit 1987 ehrenamtlich imVorstand tätig. Wir trauern um einen intelligenten, kompetenten undengagierten Mitstreiter.Eckhard Behrens

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INWO · Juni 2/2018 21

Strategietreffen »Grundsteuer: Zeitgemäß!«

Am 8. Juni trafen sich einige der Erst -unterzeichner des Aufrufs sowie aktive

Mitstreiter in Frankfurt am Main zu einemStrategietreffen von »Grundsteuer: Zeit-gemäß!«Nach einer Vorstellungsrunde und Informa-tionen über den Stand der Dinge in SachenGrundsteuerreform gab es einen gegensei-tigen Erfahrungsaustausch, u.a. zur Wahr-nehmung der politischen Debatte. Im An-schluss wurden Schwerpunkte in der Kom-munikation erörtert sowie die Argumentati-onslinien für die Bodenwertsteuer aufge-frischt. Auch die Gegenmodelle zur Boden-wertsteuer, die von der Koalition vereinbarte GrundsteuerC sowie die Umlegbarkeit der Grundsteuer auf die Mieterwurden diskutiert, bevor die Teilnehmer das weitere Vor-gehen besprachen.

Bodenwertsteuer statt Grundsteuer CEine Grundsteuer C wurde von den Teilnehmern als über-flüssig und anfällig für Rechtsstreitigkeiten betrachtet.Sie ist bei Einführung der Bodenwertsteuer gar nicht not-wendig, weil letztere den Zweck der Baulandmobilisie-rung viel besser erfüllt.Die Internetstartseite grundsteuerreform.net mit derkurzen Darstellung der Idee dient nach wie vor als erstesAushängeschild der Initiative. Weiter unten auf dieserSeite gibt es aktuell einen kurzen, sehr gelungenen undinformativen Videoclip der ARD-Sendung »Monitor« zumThema. Aufschlussreiche Erklärfilme zur Grundsteuer

und den verschiedenen Reformmodellen stellt übrigensauch Lothar Binding, der finanzpolitische Sprecher derSPD-Bundestagsfraktion, zur Verfügung. Einfach in derSuchmaschine »Lothar Binding Grundsteuer« eingeben.

Petition »Bodenspekulation und Wohnungsnot bekämpfen!«Des Weiteren wurde eine Petition bei change.org ein-gerichtet, die von Unterstützern unterzeichnet werdenkann. Auf der Website von change.org bitte nach demTitel »Bodenspekulation und Wohnungsnot bekämpfen!«suchen.Neben einem neuen Flyer soll es demnächst verschie-dene Hintergrundpapiere für verschiedene Themen ge-ben (Flächenverbrauch, steigende Mieten, Investitions-anreiz...)

Wir bitten unsere Mitglieder weiterhin,die Initiative »Grundsteuer: Zeitge -

mäß!« durch eigene Aktivitäten zu unterstüt-zen. Wir wollen deutlich machen, dass eine Bodenwertsteuer in der Bevölkerung viele Befürworter hat.Sprich mit Freunden und Bekannten über dasThema. Wende Dich per E-Mail oder Brief anDeinen Bürgermeister, die Kreisverbände derParteien oder örtliche Bundestags- und Land-tagsabgeordnete.

Deine Volksvertreter findest Du im Internetunter: www.bundestag.de/abgeordnete/

Eine Briefvorlage kann per E-Mail bei uns an-gefordert werden: [email protected]

Grundsteuerreform: Reaktionen auf INWO-Brief

Im Frühjahr hatte der INWO-Vorstand einepositive Stellungnahme zur Bodenwert-

steuer an Fachpolitiker fast aller Parteien so-wie an die SPD-Bundestagsabgeordneten ge-schickt. In unserem Schreiben machten wir deutlich:»Eine reine Bodenwertsteuer ist neben einemvermehrten Bodenrückkauf durch die öffent-

liche Hand und einer Ausweitung des Erb-baurechts sowie genossenschaftlicher Wohn-raumfinanzierung eine wirkungsvolle und zeit-gemäße Maßnahme.«Mittlerweile haben wir eine Reihe von Rück-meldungen erhalten, deren teils detailliertereAusführungen wir nochmals erwidert haben.

DEUTSCHLAND

Bodenwertsteuer: Werde aktiv!

Mitmachen!

Zur Schweizer Vollgeld-Initiative:

Die INWO Deutschland vertritt nicht dieIdee einer Geldschöpfung »aus demNichts«. Geschäftsbanken sind nicht in derLage, Zentralbankgeld zu schöpfen. Eineeinzelne Geschäftsbank kann sich nicht»aus dem Nichts« refinanzieren. Buchgeld-schöpfung erfolgt nur im Zusammenspielder Banken im Bankensystem insgesamt.Die Diskussion um die Geldschöpfung darfuns nicht vom eigentlichen Thema, der sichaus dem Geldzins ergebenden Umvertei-lungs-Problematik, ablenken.

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22 Juni 2/2018 · INWO

m 24. März 2018 lud der Trä-gerverein Regio Berlin e.V. zueiner Lesung ins Baumhaus imWedding ein, ein toller Ort zumNachdenken über Nachhaltig-

keit. Stefan Mekiffer, der sich selbst als »ab-trünniger Ökonom« bezeichnet, las vor 40 In-teressierten aus seinem Buch »Warum eigent-lich genug Geld für alle da ist – Eine radikalneue Geschichte des Geldes« (2016, HanserVerlag). In seinem Wirtschaftsstudium mussteer feststellen, dass entgegen der Theorie ebennicht »alles besser« wird und insbesondere

die Rolle des Geldeskaum thematisiertwird. Also hat ersich mit dem Geld-Thema beschäftigtund heraus kam eing l e i c h e rmaß enspannendes undgut lesbares Buch,das gerade auch fürEinsteiger empfoh-len werden kann.

Die Lesung begannmit einem histori-schen Teil zur Ent-stehung von Geld,das eben nicht er-funden wurde, um

den Tauschhandel zu erleichtern, sondern ingrößeren anonymen Gesellschaften dieSchuldverhältnisse dokumentierte.Grundsätzlich funktioniert Geld als soziale Ver-einbarung nur durch Vertrauen, auch und ge-rade weil es keinen inhärenten Wert hat. Die-ses Vertrauen wurde in der Geschichte immerwieder missbraucht, z.B. durch Herrscher, dieübermäßig Geld in Umlauf brachten und In-flation erzeugten. Banken traten auf den Plan,die als private Institutionen die Bonität vonHändlern prüften und die Schuldversprechenabsicherten ... und bis heute den Großteil desBuchgeldes per Kreditvergabe erzeugen.

Wirtschaftswachstum im Geldsystem angelegtVon der Entstehung des Geldes ging der Autorzu seiner Verwendung über und problemati-

sierte vor allem den Zins, der bei der Kredit-vergabe nicht mitgeschaffen, aber natürlicham Ende eingefordert wird. Da ein großer Teilder Zinseinnahmen, wie überhaupt dergroßen Einkommen, nicht wieder ausgegebenwird, fehlt in der Realwirtschaft das Geld zumSchuldentilgen, mit der Folge von Pleiten bzw.dem Zwang zu immer weiterem Wachstumund weiterer Verschuldung.

Wie könnte nun aber eine Alternative ausse-hen? Stefan Mekiffer schlägt vor, Geld nichtdurch Kredit zu schaffen, sondern schuldfreials eine Art Grundeinkommen auszuzahlen.Damit die Geldmenge aber nicht inflationärwächst, sollen auf der anderen Seite negativeZinsen erhoben werden. Nicht nur als Neben -effekt würde so der (positive) Zins abgesenkt,mit allen erwünschten Folgen für Umwelt undGesellschaft.

Gemeinschaftswährung in der PraxisDie Kombination aus öffentlicher Geldschöp-fung, Negativzins und Grundeinkommen bil-det den Kern des Buches. Der Autor möchtein erster Linie zum Nachdenken in diese Rich-tung anregen und den geistigen Boden fürVeränderungen schaffen. Aber auch in derDiskussion kam bald die Frage auf, wie dieseVeränderungen denn praktisch umzusetzenwären. Und hier kommt der FAIRO ins Spiel,der als Gemeinschaftswährung in Berlin undüberregional genau diese Elemente vereinenwill und vor Kurzem gestartet ist.

Für eine gerechte VerteilungDer Negativzins als »Umlaufsicherung« heißtbeim FAIRO »Gemeinschaftsbeitrag« und be-trägt ein Prozent pro Monat auf alle Guthaben.Er wird gleichmäßig wieder auf alle (privaten)Teilnehmer verteilt (»Gemeinschaftsbonus«).Der Gemeinschaftsbonus beträgt somit einProzent der Geldmenge.

Der FAIRO beinhaltet keinen Zins, der die Um-verteilung von denen, die wenig haben, zudenen, die bereits viel Geld besitzen, begün-stigt. Ganz im Gegenteil sorgt ein Umvertei-lungsprozess mit Gemeinschaftsbeitrag undGemeinschaftsbonus dafür, dass die Starkensolidarisch die Schwachen unterstützen.

Nein zu maßlosem WirtschaftswachstumDer FAIRO wird ohne die Forderung von Zin-sen geschaffen und zwingt so nicht zu maß-losem Wirtschaftswachstum und der Ausbeu-tung von Natur und Mensch. Durch den Ver-kauf und Tausch gebrauchter Artikel und dasTeilen von Produkten mit der Gemeinschaftwerden Ressourcen geschont und unser Kon-sumverhalten kann sich nachhaltig verändern.

Geld als Tauschmittel, nicht alsSpekulationsmittelDer FAIRO dient als reines Tauschmittel undfördert und erleichtert das Wirtschaften un-tereinander. Er ist zinsfrei, durch den Umver-teilungsmechanismus lohnt es sich nicht, denFAIRO zu horten, und er kann nicht an denFinanzmärkten gehandelt werden.

Stärkung der Region Der FAIRO unterstützt den Handel und dieWertschöpfung auf regionaler Ebene. Er mo-tiviert Unternehmen dazu, vermehrt auf re-gionale Zulieferer und Abnehmer zu setzen.Und auch auf privater Ebene steigt das Inter-esse daran, in der Region einkaufen zu gehenund selbst die Gemeinschaft in der Regiondurch eine angebotene Leistung zu unterstüt-zen. So haben auch strukturschwächere Re-gionen die Möglichkeit, wirtschaftlich wiederaufzublühen. Transportwege werden verkürztund das direkte Miteinander in der Regionwird gefördert. Geld ist eine der größten Erfindungen über-haupt, aber die Spielregeln sind menschen-gemacht … und das Ende der Geschichte istauch hier sicher noch nicht erreicht. z

Leopold Wonneberger, FAIROKontakt:Regio Berlin e.V.Schwabenallee 50, 12683 Berlin+49 30 58864068E-Mail: [email protected] Informationen im Internet unter:http://www.stefanmekiffer.dehttp://www.baumhausberlin.dehttps://fairo.cc

Warum eigentlich genug Geld für alle da ist Vor kurzem ist der FAIRO in Berlin wie auch überregional gestartet. Die Gemeinschaftswährung vereint

öffentliche Geldschöpfung, Negativzins und Grundeinkommen zu einer nachhaltigen und fairen

Alternative zum Euro.

A

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INWO · Juni 2/2018 23

Volker Weidermann: Träumer – Als die Dichter die Macht übernahmen. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2017, 288 S., 18.99 €,ISBN: 978-3-462-04714-1Mit »Träumer – Als die Dichter die Macht übernahmen« lässt Volker Weider-mann im Vorfeld des 100-jährigen Jubiläums der Münchner Räterepublik denheutigen Leser diesen besonderen Moment der deutschen Geschichte nach-empfinden. In Romanform erzählt er die Ereignisse nach und stellt die Pro-tagonisten der Revolution vor. Es ist je nach Vorbildung nicht ganz einfach,den Überblick zu behalten, denn die Protagonisten sind zahlreich und als ge-stalterisches Mittel weicht Weidermann schon gleich zu Beginn von einer reinlinearen Erzählweise ab: »Natürlich war es ein Märchen gewesen, nichts alsein Märchen«, lässt er Kurt Eisner denken, offenbar nach der verlorenen Wahlund bevor er seinen Rücktritt als Ministerpräsident bekanntgeben wollte. Danngeht es erstmal weiter zurück, zu den letzten Tagen des Bayrischen Königreichs,im November 1918: »Den König hatte man am Vormittag noch durch denEnglischen Garten spazieren sehen. Ja, wie lange wollte der denn noch spa-zieren? Wie lange noch regieren?« Das Buch lässt diese ferne, aber doch nichtunendlich weit zurückliegende Zeit lebendig werden.

Nahe beieinander sind für mich die Freude darüber,dass radikale gesellschaftliche Veränderungen ganzplötzlich möglich waren, sowie die Enttäuschung dar-über, dass es am Ende in München doch zu hundertenvon Toten kam… quasi als Vorbote von noch sehrviel mehr Blutvergießen gerade mal 20 Jahre später.Der bekannteste Kopf dieser düsteren Zeit, Adolf Hit-ler, taucht auch in Weidermanns München von1918/1919 gelegentlich auf, als bekannter Neben-darsteller.

Silvio Gesell und Gustav Landauer sind zwar aucheher Nebenfiguren in der Erzählung, werden aberals auf ihre Regierungsverantwortlichkeit sehr gutvorbereitete Männer vorgestellt. So habe der Finanz-minister Gesell »die Grundsätze seiner Amtsführungund sein zentrales Projekt« wie folgt formuliert: »Da

die absolute Währung nur mit Freigeld dauernd durchzuführen ist, da außerdemdas Freigeld die ganze Volkswirtschaft auf das kräftigste belebt, da endlichunter der dauernden Wirkung des Freigelds der Zinsfuß automatisch sinktund die Löhne entsprechend steigen, kann allein das Freigeld für die Räte -republik in Betracht kommen.« Geradezu komödiantisch scheint der Telegra-fen-Dialog zwischen Gesell und dem damaligen Reichsbank präsidenten Ha-venstein, einem Juristen, unter dessen Präsidentschaft später die Hyperinflationvon 1923 stattfand. Gesell telegrafierte: »Ich will mit durchgreifenden Mittelndie Währung sanieren, verlasse die Wege der sys temlosen Papiergeldwirtschaft,gehe zur absoluten Währung über und bitte um Bekanntgabe Ihrer Stellun-gnahme.« Für die Antwort habe der Reichsbankpräsident nur vier Worte ge-braucht: »Ich warne vor Experimenten!« (S. 175). Gustav Landauer war Bil -dungsminister, bis schließlich organisierte und von Russland unterstützte Kom-munisten sich doch an der Regierung beteiligen, was zwar die Streitkraftgegen Gegner der Räterepublik zunächst erhöht, vom Pazifisten Landaueraber zutiefst bedauert wurde. Das Buch Weidermanns kann man als leben dige Geschichtsstunde lesen, mankann es als Anlass zum Selber-Träumen nehmen und als Anregung zu weitererBeschäftigung. Obwohl der Ausgang der geschilderten Ereignisse eher de-primiert, kann das Buch doch auch ermutigen, eine Chance, die sich bietet,einfach zu nutzen, um große Veränderungen hin zu einer friedlicheren undfreudigeren Gesellschaft umzusetzen.

Vlado Plaga

Buchvorstellungen

Werner OnkenSilvio Gesell in der Münchener Räterepublik –Eine Woche Volksbeauftragter für das FinanzwesenOldenburg 2018

Nach dem Ersten Weltkrieg ging aus der deutschenNovemberrevolution im April 1919 die MünchenerRäterepublik hervor. Schon nach wenigen Wochenwurde sie von deutschen Regierungstruppen blutigniedergeschlagen.

Im Zusammenhang mit den historischen Erinne-rungen an diese rund 100 Jahre zurückliegende be-sondere Episode der Geschichte des frühen 20. Jahr-hunderts geht es in dieser Studie um den deutsch-argentinischen Kaufmann und Sozialreformer SilvioGesell, der als Volksbeauftragter für das Finanzwesenan der Münchener Räterepublik beteiligt war.Dargestellt werden seine Ziele, seine Mitwirkung inder Räterepublik und sein Schicksal nach ihrerNiederschlagung. Außerdem wird geschildert, wieSilvio Gesell die wirtschaftspolitische Entwicklung der1920er Jahre beurteilte, die danach zum AbsturzDeutschlands in die Barbarei des Nationalsozialismusbeitrug. Könnten seine Geld- und Bodenreformvor-schläge angesichts der gegenwärtigen Turbulenzenauf den Finanz- und Immobilienmärkten vielleichtauch heute noch aktuell sein und in weiterentwickelterForm zur Überwindung gegenwärtiger Krisen bei-tragen?

Bezug: Erhältlich in jeder Buchhandlung oder über Dieter Fauth, Betzengraben 5, 97299 Zell.

E-Mail: [email protected] (Lieferung frei Haus).

110 Seiten16,00 Euro

ISBN 978-3-933891-31-0

NEU

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Die Selbständigkeit, die Selbstverantwortung

will ich verstärken, vertiefen.

Keine Proletarier, nein, nicht einen; keine Knechte, keine Herren!

Alle diese Abhängigkeiten will ich auflösen.

Das Lohnverhältnis der Arbeiter zum Unternehmer will ich

durch Sicherung ihrer wirtschaftlichen Unterlagen,

durch Auflösung der Arbeiter-Reservearmee

zu einem gewöhnlichen Handelsvertrag gestalten,

bei dem keinem der beiden Teile ein Übergewicht verbleiben wird,

und zu dessen Schutz es keiner besonderen Gesetze bedarf.

Aus der (nicht gehaltenen) Verteidigungsrede Silvio Gesells,

der als Volksbeauftragter für Finanzen der Münchener Räterepublik

1919 nach deren Ende wegen Hochverrats angeklagt war,

geschrieben in Zelle 169 des Gefängnisses Stadelheim.

Gesammelte Werke Band 12, S. 35.