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Mathematische Billardspiele am Tag der Mathematik an der Carl von Ossietzky Universit¨ at Oldenburg am 5. November 2003 Zusammenfassung: Der Lauf einer Billardkugel h¨ angt entscheidend von der Geometrie des Billardtisches ab. Unterschiedliche Formen der Banden f¨ uhren auf ganz verschiedene dynamische Ph¨ anomene. Am Beispiel eines Billardtisches mit der geometrischen Gestalt einer Ellipse sind ent- weder alle Bahnen der Kugeln periodisch oder keine. Im letzteren Fall kommt die Bahn einer Billardkugel jedem Punkt auf dem Rand des Tisches beliebig oft beliebig nah. Doch existieren in beiden F¨ allen sogenannte ,,Konstanten der Bewegung”: Es gibt eine Ellipse oder eine Hyperbel mit denselben Brennpunkten wie bei der Billardtisch-Ellipse, die jeder geradlinige Teil der Bahn tangential ber¨ uhrt. Billard auf einem kreisrunden Tisch Hier geht es um die Bewegung eines Billardballes auf Tischen mit unterschied- lich geformten Banden. Wenden wir uns zun¨ achst einem kreisrunden Billard- tisch zu. Neben der Forderung, dass sich eine Kugel abseits vom Rand nur geradlinig fortbewegt, braucht man als Voraussetzung noch das Reflexionsge- setz: St¨ oßt die Billardkugel in einem gewissen Winkel auf die Bande, so wird sie mit demselben Winkel reflektiert. Abbildung 1: Beispiel, bei dem die Kugel im 45 o -Winkel auftrifft Bei der Definition von Einfalls- und Ausfallswinkel muss man sich behelfen, weil ja hier keine geraden Begrenzungsst¨ ucke vorliegen, sondern gekr¨ ummte. Deshalb definiert man Einfalls- und Ausfallswinkel in einem Punkt der Ellipse durch den Einfalls- und Ausfallswinkel, den man an der Tangente an die Ellipse in diesem Punkt haben w¨ urde. Eine Tangente 1 ist die Gerade, die die Ellipse in diesem Punkt ber¨ uhrt. Sie ist diejenige Gerade, die dem Verlauf der Kurve in der N¨ ahe des Punktes am n¨ achsten kommt. 1 tangere (lat.): ber¨ uhren 1

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Mathematische Billardspiele

am Tag der Mathematik

an der Carl von Ossietzky Universitat Oldenburg

am 5. November 2003

Zusammenfassung:

Der Lauf einer Billardkugel hangt entscheidend von der Geometrie des Billardtischesab. Unterschiedliche Formen der Banden fuhren auf ganz verschiedene dynamischePhanomene.Am Beispiel eines Billardtisches mit der geometrischen Gestalt einer Ellipse sind ent-weder alle Bahnen der Kugeln periodisch oder keine. Im letzteren Fall kommt die Bahneiner Billardkugel jedem Punkt auf dem Rand des Tisches beliebig oft beliebig nah.Doch existieren in beiden Fallen sogenannte ,,Konstanten der Bewegung”: Es gibt eineEllipse oder eine Hyperbel mit denselben Brennpunkten wie bei der Billardtisch-Ellipse,die jeder geradlinige Teil der Bahn tangential beruhrt.

Billard auf einem kreisrunden Tisch

Hier geht es um die Bewegung eines Billardballes auf Tischen mit unterschied-lich geformten Banden. Wenden wir uns zunachst einem kreisrunden Billard-tisch zu. Neben der Forderung, dass sich eine Kugel abseits vom Rand nurgeradlinig fortbewegt, braucht man als Voraussetzung noch das Reflexionsge-setz: Stoßt die Billardkugel in einem gewissen Winkel auf die Bande, so wirdsie mit demselben Winkel reflektiert.

Abbildung 1: Beispiel, bei dem die Kugel im 45o-Winkel auftrifft

Bei der Definition von Einfalls- und Ausfallswinkel muss man sich behelfen,weil ja hier keine geraden Begrenzungsstucke vorliegen, sondern gekrummte.Deshalb definiert man Einfalls- und Ausfallswinkel in einem Punkt der Ellipsedurch den Einfalls- und Ausfallswinkel, den man an der Tangente an die Ellipsein diesem Punkt haben wurde. Eine Tangente 1 ist die Gerade, die die Ellipsein diesem Punkt beruhrt. Sie ist diejenige Gerade, die dem Verlauf der Kurvein der Nahe des Punktes am nachsten kommt.

1tangere (lat.): beruhren

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Nach diesem Reflexionsprinzip wurde auch ein Lichtstrahl an einem kreisrun-den Spiegel reflektiert. Ob wir nun einen solchen Versuch in der Optik oder indiesem Problem der Mechanik mit Billardkugeln betrachten: Wir nehmen dafurdas gleiche mathematische Modell. Die eingezeichneten Strecken stehen fur denWeg, auf denen die Billiardkugel rollt bzw. entlang dessen die Lichtstrahlen ver-laufen. Und die Bande des Billardtisches kann ebenso gut einen kreisformigenSpiegel beschreiben.

In unserer Idealisierung kummern wir uns nicht um Fragen der Reibung; ja imGrunde ist uns selbst die Geschwindigkeit gleichgultig, mit welcher die Kugelihren Weg zurucklegt. Dies mag angesichts des Themas der Dynamik zunachstverwundern. Wir gehen davon aus, dass die Kugel mit konstanter Geschwindig-keit immer weiter rollt, und interessieren uns fur den Weg, den sie zurucklegt.Unser dynamisches System wird durch die Folge der Punkte beschrieben, andenen die Kugel auf die Bande trifft. Zwischen zwei Punkten auf der Bande istdie Bewegung gleichformig und geradlinig; an einem Bandenpunkt wechselt dieRichtung.

Periodische Bahnen

Als erstes Beispiel betrachten wir eine Billardkugel, die in einem Winkel von45o auf die Bande trifft. Auf einer Kreislinie von einem gewissen Radius – derEinfachheit halber nehmen wir den Radius 1 – mochten wir diese Dynamikbeschreiben, wenn die Kugel zum ersten Mal mit einem 45o-Winkel vom Sudenkommend im ostlichsten Punkt mit den Koordinaten (1, 0) auftrifft. Dort wirdsie mit demselben Winkel reflektiert und bewegt sich geradlinig auf den Nordpolzu, wird wieder mit 45o reflektiert und lauft zumWestpol, dann zum Sudpol unddann schließt sich der Kreis im wahrsten Sinne des Wortes. Die Kugel durchlauftimmer wieder dieselben Strecken; man nennt so eine Bahn der Kugel periodisch.

A: ErstesAuftreffen

B: Zwei-tes Auf-treffen

C: DrittesAuftreffen

D: ViertesAuftreffen

E: Funf-tes Auf-treffen

Abbildung 2: Dynamik beim Auftreffen von 45o

Wenn wir nur die Bahn der Bandenpunkte betrachten, kommt man von einemAuftreffpunkt zum nachsten durch eine Rotation R90o um 90o. Fuhrt man dieseviermal hintereinander aus, so kommt man an den Ausgangspunkt zuruck. DieseVierteldrehung, die Rotation um 1

4 ·360o, also 90o, ist ein Beispiel fur Rotationen,die periodische Bahnen liefern. Gleichgultig, mit welchem Punkt man startet,er liegt wieder auf dem Ausgangspunkt, wenn man viermal mit 90o rotiert.

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Allgemeiner hat jede Rotation zu einem Winkel mit einem rationalen Vielfachenvon 360o, also solche, die man durch Multiplikation von 360o mit einer Bruchzahlerhalt, periodische Bahnen. Denn ist z

n die Bruchzahl mit Zahler z und Nennern, so bringt eine Rotation zum Winkel α = z

n · 360o, wenn man sie n-malhintereinander ausfuhrt, jeden Punkt wieder zu seinem Ausgangspunkt zuruck.

P1

P5

P2

P6P3

P7

P4

Abbildung 3: Eine periodische Bahn mit n = 7 und z = 2

Das Rotationsmodell fur die Bandenpunkte einer Bahn ist in der Tat nur einanderes Modell fur dieselbe Sache bei der Billardkugelbahn. Schon bei demBeispiel eingangs, bei dem die Kugel mit einem Winkel von 45o auf die Bandetrifft, wurde diese Tatsache verschwiegen, weil sie dort so offensichtlich ist: Wenneine Billardkugel mit einem Winkel von 45o auf den Ostpol trifft, wird sie genauso reflektiert, dass sie auch auf alle weiteren Bandenpunkte mit diesem Winkelauftrifft.

Das Reflexionsgesetz beim kreisformigen Billard

Dies ist nun kein Spezialfall bei diesem Winkel, wie ein wenig Kreisgeometriezeigt: Wir wollen zeigen, dass nach einem Beruhrpunkt P1, auf den die Kugelmit irgendeinemWinkel α trifft, der nachste Beruhrpunkt P2 unter dem gleichenWinkel α angesteuert wird.

Dazu ziehen wir vomMittelpunkt zwei Strecken zu den Punkten P1 bzw. P2. Aufdiesen Strecken stehen die Tangenten an den Kreis in P1 und in P2 senkrecht.Der Winkel zwischen den Strecken MP1 und P1P2 besitzt deshalb die Große90o −α. Da das Dreieck mit den Eckpunkten M , P1 und P2 gleichschenklig ist,handelt es sich bei dem Auftreffwinkel in P2 um einen derselben Große. Wegen

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M

P1

P290o − α

α

90o − α

α

der Orthogonalitat der Strecke MP2 zur Tangente in P2 sieht man, dass derReflexionswinkel im Punkt P2 die Große 900 − (90o − α) = α besitzt.

Nicht-periodische Bahnen

Ein vollig anderes Bild erhalt man, wenn als Winkel nicht nur rationale Vielfa-che von 360o erlaubt sind, sondern auch irrationale. Machen wir uns zunachstklar, dass es dann keine periodischen Bahnen gibt. In der Beschreibung mitRotationen bedeutet eine periodische Bahn, dass ein Punkt nach endlich vielenDrehungen um denselben Winkel α wieder zum Ausgangspunkt zuruckkehrt.Mit anderen Worten: Es gibt eine naturliche Zahl n – namlich die Anzahl derBandenberuhrungen, bis der Ball wieder zum Ausgangspunkt zuruckkehrt, –so dass das n-fache des Winkels α ein Vielfaches von 360o ist: Fur eine anderenaturliche Zahl z mit 2 · z < n ist

n · α = z · 360o.

Also konnen wir die Beobachtung festhalten, dass eine Bahn genau in dem Fallperiodisch ist, dass α ein rationales Vielfaches von 360o ist. Denn wenn wir dieGleichung durch n dividieren, erhalten wir

α =z

n· 360o

mit der rationalen Zahl zn mit Zahler z und Nenner n.

Dichte Bahnen

Nun wollen wir untersuchen, was bei einem Winkel α geschieht, der irrationa-les Vielfaches von 360o ist, z. B. α = 1√

17· 360o. Wir wissen schon, dass fur

solche Winkel eine Billardkugel nie mehr an ihren Ausgangspunkt zuruckkom-men kann, selbst wenn sie unendlich oft an der Bande reflektiert wird. Jeder

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Punkt auf der Band wird also hochstens einmal getroffen, wenn der Rotations-winkel ein irrationales Vielfaches von 360o ist. Wir werden nun sehen, dass beieinem solchen Winkel eine Billardkugel jedem Punkt auf der Bande beliebig oftbeliebig nahe kommt.Wir haben also einen Startpunkt P1 und schießen die Billardkugel in einemirrationalen Winkel auf den Punkt P2 und erhalten so nach und nach eine Folgevon Beruhrpunkten P1, P2, P3, . . . , Pn, . . . auf der Kreislinie. Um zu zeigen, dassdie Kugel einem Punkt Q auf der Kreislinie beliebig oft beliebig nahe kommt,mussen wir folgendes zeigen: Wenn wir um Q ein noch so kleines Kreissegmentwahlen (gegeben beispielsweise durch einen Winkel um den Mittelpunkt, so dassdie Winkelhalbierende durch Q verlauft), wird irgendwann die Kugel innerhalbdieses Kreissegments einen Punkt der Bande beruhren.

Abbildung 4: Gleichlange Schubfacher-Einteilung des Kreisrandes

Wir konnen ein kleineres Kreissegmentwahlen, das durch ein rationales Viel-faches 1

n · 360o gegeben ist, so dass in das vorgegebene Kreissegment dieseszweimal2 hineinpasst und der Punkt Q in der Mitte zwischen den beiden Seg-mente liegt. Denn wenn wir das Segment kleiner machen, erschweren wir uns dieAufgabe ja eher noch. Die Kreislinie wird in n Segmente dieser Große zerteilt.Wenn wir nun mindestens n+1 Bandenberuhrungen warten, konnen wir sichersein, dass in irgendeinem der n Segmente zwei Bandenberuhrungen stattfin-den. Man kann nicht n+1 Punkte auf n Segmente verteilen, so dass in keinemSegment mehr als ein Punkt liegt. Dies ist das ein Prinzip, das der Mathema-tiker Dirichlet3 fur seine Studierenden ”Schubfachprinzip“ genannt hat: Wennman n + k Dinge in n Schubfacher legen mochte, liegen in einem Schubfachmindestens zwei Dinge.Da der Kreis nun aber vollig symmetrisch ist, konnen wir die Situation soherumdrehen, dass unser kleines Segment nach endlichen Schritten die Kugelbekommt. Denn wir haben nun in einem der Kreissegmente der Große 1

n · 360o

einen Punkt Pk und einen weiteren Punkt Pk+l. Da Rotationen aber nun einmalvollig symmetrische Operationen sind, weiss man uber den ursprunglich gewahl-ten Punkt P1 = Q, dass in dem doppelten Kreissegment der Große 2

n ·360o auchder Punkt P1+l liegt. Da wir bei unserer Argumentation nicht genau wissenkonnten, wie die Punkte P1 und P1+l angeordnet sind, haben wir zu dem Trickgegriffen, eine noch feinere Zerlegung des Kreissegments zu wahlen, so dass

2Dass es zweimal hineinpassen soll, ist lediglich ein kleiner Trick, der unten erlautert wird,aber getrost uberlesen werden kann.

3∗ 1805 (Duren), † 1859 (Gottingen)

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wir sicher sein konnen, dass beide Punkte im ursprunglich gewahlten Segmentenhalten sind.Wir haben also zwei verschiedene Klassen von Bahnen kennengelernt: Die peri-odischen durchlaufen immer wieder einen Zyklus von endlich vielen Banden-beruhrungen. Die nicht-periodischen beruhren keinen Bandenpunkt zweimalund kommen jedem Bandenpunkt beliebig oft beliebig nah. Eine Menge, diejedem Punkt der umgebenden Menge beliebig oft beliebig nahe kommt, nenntman dicht in der umgebenden Menge. Die Beruhrpunkte auf der Bande imnicht-periodischen Fall liegt dicht in der Menge aller Bandenpunkte. Es bedarf– dies sei am Rande bemerkt – einiger Vorbereitungen und Definitionen, um zuverstehen, dass es sehr viele Punkte entlang der Bande gibt, die nicht getroffenwerden.4

Bahnen auf einem ellipsenformigen Billardtisch

Abbildung 5: Ein ellipsenformiger Billardtisch

Ein Kreis in der Ebene oder eine Kugel im Raum gelten seit jeher als perfek-te geometrische Formen. Eine – unvollkommenere – Verallgemeinerung einesKreises stellt eine Ellipse dar. Der griechische Ursprung des Wortes Ellipse be-zeichnet einen ”Mangel“, namlich die Abweichung vom perfekten Kreis. Ameinfachsten zu beschreiben ist sie als sogenannte Gartnerellipse.

F1 F2

l1 l2

Abbildung 6: Gartnerellipse

So kann ein Gartner sein weidendes Schaf unter Kontrolle halten: Zwei Pflockewerden in den Boden geschlagen und die Enden eines Seiles an dem einen und

4Wer den Begriffe der Abzahlbarkeit kennt sieht ein, dass die Menge der Beruhrpunkteabzahlbar und die Menge der Bandenpunkte uberabzahlbar ist.

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an dem anderen befestigt und durch das Halsband des Schafes gefadelt. EineEllipse ist nun der Rand der Flache, auf der das Schaf grasen kann.

Die beiden Stellen, an denen die Pflocke in dem Boden stecken, werden Brenn-punkte genannt; denn ein ellipsenformiger Spiegel hat die Eigenschaft, dass jederLichtstrahl, der von dem einen Brennpunkt ausgesandt und an dem Spiegel re-flektiert wird, geht auch durch den anderen Brennpunkt.

F1 F2

Abbildung 7: Lichtstrahlen, die von einem der Brennpunkte F1 bzw. F2 ausge-hen

Abhorsichere Ferngesprache im Mittelalter

In der Kathedrale La Chaise du Dieu hat der salle des echos, in dem die Beichteabgenommen wurde, die Form einer Ellipse. Allerdings findet man dort keineBeichtstuhle; zwei Platze sind markiert: An den beiden Brennpunkten der Ellip-se etliche Meter voneinander. An dem einen Brennpunkt nahm ein Geistlicherdie Beichte ab – die beichtende Person stand entfernt auf dem anderen Brenn-punkt. Wenn man normal spricht, ist dies in einer Kathedrale schon wenigeMeter entfernt nicht mehr zu verstehen. Die Schallwellen werden an den Mau-ern reflektiert und verlieren sich in der Weite des Raumes.Die Brennpunkteigenschaft bewirkt nun allerdings etwas Besonderes, wenn Schall-wellen von einem Brennpunkt ausgehen: Diese Wellen durchqueren auf ihrenunterschiedlichen Wegen alle den anderen Brennpunkt, und zwar zur gleichenZeit. Das liegt an der Gartnerkonstruktion: Alle Wege, die von einem Brenn-punkt zum anderen zuruckgelegt werden, stimmen in ihrer Lange uberein.Die Worte des Beichtenden und des Beichtvaters sind also fur Personen in derKirche, die sich nicht in der Nahe der Brennpunkte aufhalten, kaum vernehm-bar; in der Tat kommt das, was an einem Brennpunkt normal gesprochen wird,an dem anderen gut verstandlich an.Fur das elliptische Billardspiel bedeutet dies: Schießt man eine Kugel von einemBrennpunkt aus an den Rand, dann wird sie dort so reflektiert, dass sie durchden anderen Brennpunkt lauft. Gehen wir wieder davon aus, dass diese Bahnniemals stoppt, so wird die Kugel zwischen zwei Randberuhrungen abwechselnd

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durch einen der beiden Brennpunkte laufen. Etwas mathematischer ausgedrucktsind die Punkte auf der Ellipse durch die Eigenschaft definiert, dass die Summeder Abstande zu den beiden Brennpunkten F1 und F2 konstant ist – namlichentsprechend der Lange des Seiles.Nach dem Billiardspiel und der optischen Anwendung auf ellipsenformige Spie-gel ist unser Modell auch auf akustische Wellen in einem ellipsenformigen Raumanwendbar. Die ellipsenformige Geometrie des umgebenden Raumes, das Refle-xionsgesetz und die geradlinigen Verbindungsstrecken fuhren in allen drei Fallenauf dasselbe Modell.

Die Bahnen einer Kugel beim elliptischen Billard

Wir nahern uns einer Beschreibung der dynamischen Phanomene bei der Ellip-se mit der ersten qualitativen Aussage fur einen allgemeineren Fall als den vonBahnen durch die Brennpunkte. Wir werden zunachst folgendes zeigen: Wenndie Strecke zwischen zwei Randpunkten der Bahn und die Strecke zwischen denbeiden Brennpunkten sich nicht schneiden, schneidet auch die nachste Streckezu dem folgenden Randpunkt die Verbindungsstrecke zwischen den Brennpunk-ten nicht. Da man aufgrund des vollig symmetrischen Reflexionsgesetzes jedeBahn umkehren kann, laßt sich unsere Beobachtung auch so formulieren: Wenneine Strecke der Bahn die Strecke zwischen den Brennpunkten schneidet, dannschneidet jede Strecke zwischen zwei Randpunkten der Bahn die Brennpunkt-strecke.

���� ��

����

����

����

P1

P2

P3

F1 F2

Abbildung 8: Skizze zu Bahnen, die nicht zwischen den Brennpunkten verlaufen

Betrachten wir also drei aufeinanderfolgende Randpunkte der Bahn, nennenwir sie P1, P2, P3 und nehmen wir an, die Strecke P1P2 schneide die Brenn-punktstrecke F1F2 nicht. Da die Brennpunktstrecke nicht getroffen wird unddas Reflexionsgesetz sowohl fur die Strecken P1P2 und P2P3 als auch fur dieStrecken F1P2 und P2F1 gilt, ist der Winkel zwischen der Tangente und derStrecke P1P2 kleiner als zwischen der Tangente und F1P2.Aus der Reflexionseigenschaft folgt damit, dass der Winkel, den die StreckenF1P2 und P2F1 einschließen, ganz in dem Winkel zwischen P1P2 und P2P3

enthalten ist.Insbesondere kann die Strecke P2P3 die Brennpunktstrecke F1F2 nicht schnei-den. Also schneidet entweder jede Teilstrecke der Bahn die Brennpunktstreckeoder keine.

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Im Fall eines Billards mit kreisformiger Bande haben wir gezeigt, dass die Dy-namik durch immer wieder angewandte Rotationen stets mit dem gleichen Win-kel beschrieben werden kann. Nun kann diese Beschreibung nicht mit Hilfe vonWinkeln auf Ellipsen ubertragen werden. Man kann die Situation auf dem Kreisauf eine andere Weise beschreiben, die dann eine Verallgemeinerung auf die Si-tuation auf der Ellipse erlaubt.

Konfokale Ellipsen

Da bei dem Kreis-Billard die Winkel, mit denen die Kugeln an einem Banden-punkt reflektiert werden, stets gleiche Große haben, gibt es einen konzentri-schen5 Kreis, so dass jede der Sekanten, entlang derer die Billardkugel rollte,tangential an diesen Kreis ist. Wir haben diese Situation hier fur einen Winkelvon 45o skizziert.

Abbildung 9: Konzentrischer Kreis, an den alle Bahn-Sekanten tangential sind

Wir mochten nun – lediglich Eigenschaften von Winkeln und Kongruenzsatzevon Dreiecken werden dafur benotigt – beweisen, dass wie beim kreisformigenBillard im Fall der Ellipse alle Bahnensegmente tangential an Ellipsen sind, diedieselben Brennpunkte wie die ursprungliche Ellipse, aber kleiner sind, m. a.W.: die einbeschriebene Ellipse unterscheidet sich von der Billardtisch-Ellipsenur durch die Lange des Seiles. Dazu betrachten wir eine Kugel, die vom PunktA0 am Rand der Ellipse aus in Bewegung gesetzt wird, und verfolgen ihrenWeg, bis sie danach zum zweiten Mal die elliptische Bande beruhrt. Zum erstenMal beruhrt sie die Ellipse im Punkt A1, zum zweiten Mal in A2. Das Zielbesteht nun darin zu zeigen, dass es moglich ist, eine Ellipse mit denselbenBrennpunkten F1 und F2 zu finden, die die Strecken zwischen A0 und A1 sowiezwischen A1 und A2 beruhrt.

Als erstes stellen wir fest, dass der Winkel zwischen der Strecke von A0 nachA1 und der Strecke von F1 nach A1 und der Winkel zwischen der Strecke vonA2 nach A1 und der Strecke zwischen F2 und A1 gleich sind. Der Grund dafurliegt darin, dass sowohl der Winkel zwischen der Tangente und der Strecke vonA0 nach A1 und der Winkel zwischen der Tangente und der Strecke von A1 undA2 ubereinstimmen als auch die Winkel zwischen der Tangente und der Strecke

5ein konzentrischer Kreis mit kleinerem Radius ist einer mit demselben Mittelpunkt wieder ursprungliche Kreis

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F1 F2

A0

A1

A2

von F1 bis A1 sowie von F2 bis A1 maßgleich sind. Da es sich bei dem Verlaufvon A0 uber A1 nach A2 und von F1 uber A1 nach F2 um mogliche Bahneneiner Billardkugel handelt, ruhren die Ubereinstimmungen der o. g. Winkel vomReflexionsprinzip her, dass Einfallswinkel und Ausfallswinkel gleich sind.

F1 F2

A0

A1

A2

Nun finden wir uns eine konfokale Ellipse, also eine mit denselben BrennpunktenF1 und F2, die die Strecke von dem Punkt A0 zum Punkt A1 beruhrt. Wennman namlich die Seillange einer Gartnerellipse verandert, deformiert sich dieGestalt der Ellipse stetig. Ist die Seillange klein, so schneiden sich die Streckevon A0 zu A1 und die Ellipse nicht. Es gibt eine minimale Seillange, bei deres zum ersten Mal einen Beruhrpunkt B gibt. Die ist nun die Ellipse, zu derdie Strecke von A0 nach A1 tangential liegt. Die Form der Ellipse laßt ubrigensnicht zu, dass bei dieser Ellipse mehrere Beruhrpunkte gibt. Eine Flache miteiner Ellipse als Rand ist konvex: Mit zwei Punkten auf der Flache liegt auchdie verbindende Strecke zwischen diesen Punkten auf der Strecke. Wurde eineStrecke nun genau zwei Beruhrpunkte haben und sonst außerhalb liegen, dannkonnte man die Ellipse auf einer (schnurgeraden) Strecke erst verlassen unddann wieder zuruckkommen.In derselbenWeise findet man eine konfokale Ellipse, die die Strecke von A1 nachA2 in genau einem Punkt C beruhrt. Wir haben nun zu zeigen, dass diese beidenEllipsen ubereinstimmen. M. a. W.: Wir mussen beweisen, dass die jeweiligen

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F1 F2

A1

A2

A0

F ′1

F ′2

B

C

Seillangen, zum einen die Summe aus den Langen der Strecken von F1 nach Bsowie von B nach F2 und zum anderen die Summe aus den Langen der Streckenvon F1 nach C sowie von C nach F2 gleich sind: |F1B|+ |BF2| = |F1C|+ |CF2|.Dazu spiegeln wir den Punkt F1 an der Strecke von A0 nach A1 und erhaltenden Punkt F ′

1:

F1 F2

A0

A1

A2

F ′1

F ′2

Nun werden wir zeigen, dass die Strecke von F2 nach F ′1 die Strecke von A0

nach A1 im Punkt B schneidet, in dem die Ellipse diese Strecke beruhrt. Wirnennen den Schnittpunkt von der Geraden von F2 nach F ′

1 mit der Geradendurch A0 und A1 zunachst S, denn wir haben diesen Punkt anders als B enthal-ten, und suchen nach eine Begrundung, warum S mit B ubereinstimmt. Wegendes Spiegelns sind die Strecken von F1 nach S und von F ′

1 nach S gleich lang.Deshalb ist das Dreieck mit dem Eckpunkten S, F1 und F ′

1 gleichschenklig, unddie Winkel zwischen den Strecken von F1 nach S und von A0 nach S, sowie zwi-schen den Strecken von F ′

1 nach S und von A0 nach S stimmen uberein. Da dieWinkel zwischen den Strecken von F ′

1 nach S und von S nach A0 sowie zwischenF2 und S sowie zwischen S und A1 als Scheitelwinkel ubereinstimmen, erfulltS also genau die Reflexionseigenschaft einer Ellipse mit dem Brennpunkten F1

und F2 und der Geraden durch A0 und A1 als Tangente. Der Schnittpunkt Sist B.

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F1 F2

A0

A1

A2

F ′1

F ′2

B C

Der Rest ist nun einfach. Auf Grund unserer Voruntersuchungen konnen wirjetzt zeigen, dass die beiden Dreiecke ∆(F1A1F

′2) und ∆(F ′

1A1F2) kongruentsind, weil nach den Spiegelungseigenschaften die Strecken F ′

1B und F1B die glei-che Lange besitzen – ebenso wie die Strecken F2A1 und A1F ′

2. Unsere Betrach-tungen der Winkel zeigen, dass die beiden Dreiecke ∆(F1A1F

′2) und ∆(F ′

1A1F2)in A1 kongruente Winkel besitzen und deshalb nach einem Kongruenzsatz, derauch gern mit ”WSW “abgekurzt wird, kongruente Dreiecke sind.Insbesondere sind die Strecken F1F ′

2 und F ′1F2 kongruent, und es folgt

|F1B|+ |BF2| = |F1F ′2| = |F ′

1F2| = |F1C|+ |CF2|.Und dies war zu zeigen.

Abbildung 10: Schon nach einigen Bandenberuhrungen laßt sich die konfokaleEllipse erahnen, die alle Bahnen tangential beruhren.

Entweder sind alle Bahnen periodisch oder keine

Mit Lichtstrahlen in Ellipsen hatten sich schon Euler und Lagrange im 18.Jahrhundert beschaftigt. Das personliche Schicksal eines Kriegsgefangen brach-te Bewegung in diese Fragen. Der Franzose Jean Poncelet war mit Napoleon

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im Rußlandfeldzug als Soldat in Gefangenschaft geraten, als sich Napoleon inRichtung Waterloo aus dem Staub machte. In den Jahren von 1811 bis 1814saß Poncelet in der russischen Stadt Rubikov in Kriegsgefangenschaft und hatteZeit zum Nachdenken.Poncelet betrachtete eine Ellipse, in deren Innerem eine andere Ellipse enthaltenist. Ausgehend von einem Strahl zwischen zwei Endpunkten der großen Ellipsebetrachtete er nun Bahnen, die immer die einbeschriebene Ellipse beruhren.Offenbar betrifft dies allgemeinere Bahnen als diejenigen, die aus Spiegelungenhervorgehen.Zu zwei derartigen Ellipsen bewies Poncelet dann nun folgenden Satz: Wennes eine periodische Bahn gibt (also eine, die an ihren Ausgangspunkt zuruck-kommt), dann ist jede Bahn eine periodische Bahn. Er konnte sogar zeigen, dassjede Bahn nach der gleichen Anzahl an Bandenberuhrungen zuruckkommt. Furunsere Situation bedeutet dies, dass wie beim eingangs diskutierten Kreis entwe-der jede Bahn, deren Streckenabschnitte die einbeschriebene Ellipse tangentialberuhren, periodisch durchlaufen wird oder keine.

Dichte, nicht-periodische Bahnen

Wenn es also eine periodische Bahn gibt, weiss man gleich sehr viel uber dieQualitat jeder Bahn. Im Fall keiner periodischen Bahn hilft uns ein klassischerSatz von Denjoy weiter: Denjoy zeigt, dass man in diesem Fall die Ellipse sozu einem Kreisrand verformen kann, dass die entsprechende Abbildung vonKreisrandpunkt zu Kreisrandpunkt einer Drehung um einen irrationalen, d. h.nicht zu 2π kommensurablen, Winkel entspricht.Insbesondere greift unsere Beschreibung zu Beginn uber die Punkte einer irra-tionalen Drehung, die jedem Bahnpunkt beliebig oft beliebig nah kommt. DiePunkte auf der Bahn liegen dicht auf dem Einheitskreis. Dies kann man auchso ausdrucken, dass es auf der Kreislinie keinen zusammenhangenden Abschnittmit mehr als einem Punkt gibt, die von keiner Bahn getroffen wird.

Ein Wort zu konfokalen Hyperbeln

Abbildung 11: Bahnen durch die Brennpunktstrecke sind alle tangential an einekonfokale Hyperbel

Was geschieht nun, wenn wir die Billardkugel so schießen, dass sie zwischenden beiden Brennpunkten hindurch geht? Wir wissen schon, dass dann alleStreckenabschnitte der Bahn auch durch die Brennpunktstrecke hindurchgehen.

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Dann kann es keine konfokalen Ellipsen tangential an jeden Bahnabschnitt mehrgeben. Denn jede Bahn verliefe quer durch eine konfokale Ellipse hindurch.Dennoch verlaufen die Bahnen geordnet weiter: Es sind nun nicht mehr Ellipsen,sondern Hyperbeln mit denselben Brennpunkten F1 und F2 der ursprunglichenEllipse, an die die Bahnabschnitte tangential sind. Eine Hyperbel zwischen zweiBrennpunkten ist die Menge aller Punkte, so dass die Differenz der Abstande zuden beiden Brennpunkten konstant ist – nach Definition einer Ellipse ist dortdie Summe dieser Abstande konstant. Wer sich fur diesen Fall interessiert kannden Fall der Hyperbeln mit denselben Mitteln wie in unserem Fall der Ellipsenbehandeln.

Konstanten der Bewegung

Auch in dem Fall, dass es keine periodischen Bahnen zu einer Ellipse und ihremkonfokalen Zwilling gibt und jede Bahn jedem Punkt auf dem Rand beliebigoft beliebig nah kommt, ist die Geometrie der Bahn in der Ebene also allesandere als willkurlich chaotisch. Es gibt eine Konstante der Bewegung: JederStreckenabschnitt ist tangential an eine konfokale Ellipse bzw. Hyperbel.Man macht sich diese Tatsache beispielsweise bei der Datenubertragung imGlasfaserkabel zunutze: Ist ein solches Kabel von elliptischem – also vertikal zurAusbreitungsrichtung des Laserstrahls –, so weiß man von den Laserstrahlen,die man z. B. auf der einen Seite des Atlantik losgesendet hat, besser, wie mansie auf der anderen Seite wieder entlang der konfokalen Ellipse einfangen kann.

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