Mehr Wert! Was allen zugutekommt (Diakonie Themen 01/2014)

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Interview Michaela Neumayr Seite 10 Themen Diakonische Information Nr. 173-3/14 Wordrap mit Christoph & Lollo Seite 14 D W P O R A R Richard David Precht Die Osterinsel Seite 22 Arbeitsvermittlung Glöcklturm in Lienz Seite 20 Mehr Wert! Was allen zugutekommt.

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Ausgabe zum Thema Gemeinnützigkeit. Die Zeitschrift "Diakonie Themen" erscheint zweimal jährlich und behandelt jeweils ein Schwerpunkt-Thema der Diakonie. Sie bietet ausführliche Erklärungen, Hintergrundinformationen, Interviews und Hinweise zu weiterführender Literatur.

Transcript of Mehr Wert! Was allen zugutekommt (Diakonie Themen 01/2014)

InterviewMichaela Neumayr Seite 10

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173-

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Wordrap mit Christoph & LolloSeite 14

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Richard David PrechtDie OsterinselSeite 22

ArbeitsvermittlungGlöcklturm in Lienz Seite 20

Mehr Wert! Was allen zugutekommt.

2 Themen

EDITORIAL

„Als gemeinnützig wird eine Tätigkeit bezeichnet, die darauf abzielt, das Gemeinwohl zu fördern.“ So steht’s im Lexikon. Will man es noch genauer sagen, dann kann man es auch juristisch formu-lieren: „Gemeinnützig ist es, die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Ge-biet selbstlos zu fördern.“ So steht’s im deut-schen Gemeinnützigkeitsrecht.

Im Petrusbrief ist dasselbe gemeint, es klingt aber frommer und schöner und ist auch präziser begründet. „Dient einander, ein jeder mit der Gabe, die er empfangen hat“, heißt es dort. Stellt das, was ihr geschenkt bekommen habt,

eure Begabungen, in den Dienst der Gemeinschaft, in den Dienst der Gesell-schaft.

Der Satz geht davon aus, dass jede und jeder von uns etwas geschenkt bekommen hat, was zu teilen sich lohnt, und des-

halb auch etwas beitragen kann zum großen Ganzen.

Wir sollen das tun „als die Haushalter der mancherlei Gnade Gottes“.

Das klingt paradox. Warum soll die Gnade Gottes denn Haushalter brauchen? Ist die Gna-de nicht unendlich und unbegrenzt, ganz so wie die Liebe oder die Barmherzigkeit?

Sehen wir uns aber die Gnadengaben an, die jeder und jede Einzelne (oft mit der Geburt) ge-schenkt bekommen hat, dann sind sie durchaus ungleich verteilt – oder besser: gesellschaftlich ungleich bewertet.

Dem einen ist der Wohlstand schon in die Wiege gelegt und der anderen der Weg zum Doktorat vorgezeichnet, während ein dritter viel-leicht mit einer wunderbaren musischen Gabe

gesegnet ist, ihm aber die Gabe, diese Gnade zu Geld zu machen, durchaus abgeht.

Da braucht es Haushalter, die darauf schauen, dass es zu einem Ausgleich kommt und alle ein-ander dienen können mit den ganz unterschied-lichen Gaben, die sie geschenkt bekommen ha-ben, auf dass alle davon profitieren.

Aber erfüllen wir damit auch die Voraussetzun-gen der juristischen Definition, die Allgemeinheit selbstlos zu fördern? Aus steuerrechtlicher Sicht wohl schon, wenn niemand einen finanziel len Gewinn aus dem Einander-Dienen zieht.

Doch wir alle wissen: Einander zu dienen ist nie völlig selbstlos. Denn natürlich profitieren wir davon, wenn wir unsere Gnadengaben teilen, dann haben alle mehr davon.

Die Gnade, die Liebe, die Freude, das Glück und die Hoffnung, sie alle haben eines gemein-sam: Sie gehören zu den wenigen Dingen im Leben, die, wenn sie geteilt werden, nicht weni-ger werden, sondern mehr.

Genauso verhält es sich mit den Gaben, die wir uns nicht selbst erarbeitet haben, sondern die wir empfangen haben. Die Ökonomie des Gemeinwohls ist keine der knappen Ressourcen. Einander mit den Gaben, die wir geschenkt be-kommen haben, zu dienen macht die Gesell-schaft reicher, vielfältiger und bunter.

Es ist also nicht selbstlos, das Gemeinwohl zu fördern, sondern kann ganz selbstbewusst von-statten gehen. Sind wir doch nichts weniger „als die Haushalter der mancherlei Gnade Gottes“.

Von den Dingen im Leben, die, wenn sie geteilt werden, nicht weniger werden, sondern mehr.

Christian Göltl, Hannelore Kleiss, Gernot Mischitz, Claudia Pekatschek, Belinda Schneider, Theresa Schlage

Pfarrer Mag. Michael Chalupka, Direktor Diakonie Österreich

„Und dient einander, ein jeder mit der Gabe, die er empfangen

hat, als die Haushalter der mancherlei Gnade Gottes“

1. Petrus 4,10

Wir sind Haushalter Gottes

AN DIESEM HEFT MITGEARBEITET HABEN

Themen 3

INHALT

4Wo es ohne meinen Beitrag nicht geht ...

Menschen erzählen über ihre Arbeit, die sie neben ihrem Beruf zum Wohl der Allgemeinheit leisten.

6Unsere Gesellschaft, wie wir sie kennen

Warum es wichtig ist, sich nicht für Gewinn auszusprechen.

9Initiative Gemeinnützigkeit

Fragen und Antworten zum Schwerpunktthema.

10Aus Gesellschaft wird Gemeinschaft

Betreuen gemeinnützige Anbieter Kinder besser? Interview mit Michaela Neumayr.

13Projekte

Freiwilligen-Netzwerke in Salzburg, Studie zu betreutem Wohnen, Hilfe Südosteuropa.

14Gemeinschaft macht froh

Wordrap mit Christoph & Lollo.

15„Wir tragen Verantwortung“

Junge Freiwillige in der Diakonie erzählen über ihre Arbeit.

Inhalt

Spendenkonto Diakonie: IBAN AT492011128711966399

BIC GIBAATWWXXX

16Ist Konkurrenz besser als Zusammenarbeit?

Stimmt’s? Mythen, Märchen und Pauschalansichten.

17Neues Wohnen für Generationen!

Das Diakoniewerk Salzburg entwickelt und begleitet innovative Wohnkonzepte.

18Die Welt in Zahlen

Soziale Dienstleistungen, Beruf und Familie.

19Bücher, Europa

20Maria wagt den Sprung

Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderung in Lienz.

21Kurz gemeldet

NARA, 40 Jahre Johanniter-Unfall-Hilfe, Café Sospeso.

22Grüße von der Osterinsel

Niedergang einer Kultur. Von Richard David Precht.

IMPRESSUM: Medieninhaber, Herausgeber und Redaktion: Diakonie Österreich, ZVR-Zahl: 023242603. Redaktion: Dr.in Roberta Rastl-Kircher (Leitung), Mag.a Katharina Meiche nitsch, Mag. Martin Schenk, Mag.a Magdalena Schwarz. Alle: 1090 Wien, Albert Schweitzer Haus, Schwarzspanierstraße 13. Tel.: (0)1 409 80 01, Fax: (01) 409 80 01-20, E-Mail: [email protected], Internet: www.diakonie.at. Verlagsort: Wien. Geschäftsführer Diakonie Österreich: Pfr. Mag. Michael Chalupka, Mag. Martin Schenk. Grafik-Design: Info-Media Verlag für Informationsmedien GmbH/Evelyn Felber, Volksgartenstraße 5, 1010 Wien. Druckerei: AV + Astoria Druckzentrum GmbH, Faradaygasse 6, 1030 Wien. Fotos: Cover: SOB, Diakonie de La Tour, Jens Komossa; S. 2: Nadja Meister, Diakonie; S. 3: Armutskonferenz, Diakonie; S. 4–5: alle Fotos privat; S. 6: Armutskonferenz, http://de.wikipedia.org; S. 7: Glöcklturm/Diakonie de La Tour, http://de.wikipedia.org/Sue Gardner; S. 8: Diakoniewerk Salzburg; S. 9: Regina Hügli/Diakonie Bildung; S.10–12: Daniela Klemencic; S. 13: (vlo) Diakoniewerk Salzburg; Diakonie Burgenland; Joanna Kinberger/Diakonie Katastrophenhilfe; S. 14: Ingo Pertramer; S.15: alle Fotos privat; S.16: istockphoto.de/bonnie jacobs; S.17: Gebäudefoto: DI Christof Reich; Personenfoto: Diakoniewerk Salzburg; S.18: Regina Hügli/Diakonie Bildung, Creativ Collection/Butterfly, fotolia.com; S. 19: Diakonie Österreich; S. 20: Katharina Meichenitsch/Diakonie Österreich; S. 21: Regina Hügli/Diakonie Flüchtlingsdienst; Johanniter-Unfall-Hilfe; Helmuth Weichselbraun/Kleine Zeitung; S. 22–23: istockphoto.de/Hanis, istockphoto.de/thomaslusth, Jens Komossa. Die Diakonische Information bringt Sachinformationen und Nachrichten zur Diakonie der Evangelischen Kirchen. Die gendersensible Schreibweise ist uns ein wichtiges Anliegen. Der Bezug ist kostenlos. DVR: 041 8056 (201). Gedruckt nach der Richtlinie „Schadstoffarme Druckerzeugnisse des Österreichischen Umweltzeichens“. Umweltzeichen (UWZ 734)

4 Themen

PORTRÄTS

GERTRUDE STEINBEISSGertrude Steinbeiß, 49 Jahre, arbeitet im Diako-nie Zentrum Spattstraße in Linz.

„Seit über zwölf Jahren ar-beite ich als Reinigungs-kraft hier. Die Reinigung ist eine Tätigkeit, die nur dann auffällt, wenn sie nicht geschieht. Putzen, bügeln, waschen, Bestel-

lungen für Haushaltsartikel sowie für Brot und Milch aufge-ben, Bewirtungen vorbereiten – das sind meine Tätigkeiten. Ich mache diese Arbeit gerne. Es ist für mich selbstver-ständlich, dass ich einspringe, wo es nötig ist. Zum Sitzen komme ich nur in den Pausen. Es tut gut, wenn sich jemand über die frisch geputzten Fenster freut. Schön ist auch, wenn manche Kinder schon von Weitem erfreut ,Gertrude‘ rufen. Für mich und meine Kolleginnen wäre ein-mal ein Kilometerzähler interessant, denn wir sind täglich wirklich viel unterwegs.“

Menschen erzählen über ihre Arbeit, die sie neben ihrem Beruf zum Wohl der Allgemeinheit leisten.

Wo es ohne meinen Beitrag

nicht geht ... ERIC LEBRETON

Eric Lebreton kommt aus Paris. Seit 1993 arbeitet der Behinder-ten-Fachbetreuer im Diakoniewerk. Nach Österreich kam er der Liebe wegen. Seit vie-len Jahren engagiert sich der Wahlmühl-viertler in seiner Frei-zeit ehrenamtlich für die Organi sation der Mühlviertler Jänner-rallye.

„Ich habe keinen Führerschein, aber ich bin ein großer Mo-torsportfan. Meine Arbeit für die Jännerrallye beginnt im Juni mit den ersten Planungen und Vorbereitungen. Wäh-rend der Veranstaltung bin ich für das Regrouping der Au-tos und für das gesamte Rahmenprogramm verantwortlich. Die Motorsportszene ist für mich eine große Familie.“

ERNST HASZONITS UND CHRISTIAN KISSErnst Haszonits unterrichtet im Sozialpädagogischen Zentrum in Frauen-kirchen und tritt immer wieder auf mit Gesang, Ziehharmonika, Mundhar-monika und Trompete. Christian Kiss unterrichtet in der Volksschule Gols und unterhält gerne mit Gesang, Gitarre und Trompete.

Ernst Haszonits und Christian Kiss sind musikalische Allroundkünstler und treue Freunde des Diakonie Zentrums Gols. Sei es bei den Faschingsfesten oder Schlagernachmittagen, die beiden Lehrer schaffen es immer wieder, die Bewohnerinnen und Bewohner des Altenpflegeheims zu begeistern oder zum Mitsingen und Tanzen zu bewegen. Es ist sehr berührend, zu sehen, wie die alten Menschen für einen Nachmittag wieder jung werden.

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PORTRÄTS

LEO SKOPEKLeo Skopek ist im Ruhe-stand und unterstützt die Johanniter-Unfall-Hilfe bei verschiedenen Projekten. Als gelernter Druckkauf-mann war er viele Jahre in der Bankenbranche mit Bank-Vordrucken betraut und später dann für alle österreichischen Banko-mat- und Kreditkarten ver-antwortlich, wie die Johan-niter-MasterCard.

„Seit meiner Pensionierung unterstütze ich die Johanniter ehrenamtlich. Das ist eine wirklich sinnvolle und bereichern-de Aufgabe für mich. Ich helfe dem Team des Akutpflege-dienstes bei der digitalen Dokumentation der Pflegeein-sätze. Beim Jugendprojekt ,superhands‘ prüfe ich jeden Monat alle Links auf den Webseiten, ob sie noch aktuell sind. Das ist wichtig, damit alle ,superhands‘-BesucherIn-nen zu den Infos kommen, die sie suchen. Schön, dass ich auf diese Weise einen sozialen Beitrag leisten kann.“

JAZMIN JERUSALEMJazmin Jerusalem, genannt „Minet“, ist die Leiterin der Partnerorganisation der Diakonie Katastrophenhilfe auf den Philippinen. Sie ist maßgeblich an allen Hilfsaktio-nen beteiligt, die die Diakonie seit November 2013 für die Taifunopfer in Leyte und Samar ermöglicht.

„Helping others is the best present we can give to ourselves, for the heart beats happiest, when we help those who are in need“, ist Minet überzeugt. Sie lebt diese Worte im „Leyte Center for Development“ seit 27 Jahren. Ihre Organisation unterstützt Fischer- und Bauernfamilien in abgelegenen Orten der beiden philippinischen Inseln, die im November 2013 vom Taifun zerstört wurden. Sie unterstützt die Fami-lien bei der Reparatur ihrer Fischerboote. Damit können die Familien wieder ein Einkommen erwirtschaften.

URSULA CALDWELLUrsula Caldwell ist seit Kurzem Mitarbeiterin im Evangelischen Kranken-haus Wien. Vorher ver-brachte sie fast 20 Jahre in den USA. Die kreative Wienerin, zu deren Hob-bys seit einigen Jahren Perlen fädeln zählt, ge-staltet sogenannte „Can-cer Awareness Ribbons“. Der Erlös aus dem Ver-kauf dieser Bändchen

kommt der Krebsforschung der Medizini schen Universi-tät Wien zugute.

„Vor über sechs Jahren erhielt ich nach einer Routineunter-suchung die Diagnose Krebs. Nach monatelanger Chemo- und Strahlentherapie konnte ich als geheilt entlassen wer-den. Während dieser Zeit erlebte ich alle Höhen und Tiefen, auch Todesängste. Das Gefühl, ,es‘ gut überstanden zu haben, sowie die Erfahrungen während dieser Zeit weck-ten in mir den Wunsch, die Krebsforschung zu unterstüt-zen. Mein Interesse gilt dabei nicht nur der Unterstützung der Krebshilfe, sondern auch der Forschung. Mit FreundIn-nen habe ich begonnen, Bändchen mit Perlen zu fädeln und den Verkaufserlös der Krebsforschung zur Verfügung zu stellen.“

ANNA RUDELSTORFERAnna Rudelstorfer ist seit einem Jahr in Pen-sion. Die Mutter von vier Kindern war als Jugend-leiterin tätig und wohnt in Gallneukirchen. Seit rund vier Jahren besucht sie betagte Bewohnerin-nen im Haus Elisabeth des Diakoniewerks in Gallneukirchen.

„Ich besuche jede Woche eine alte Dame im Haus

Elisabeth. Wir plaudern, spielen, ich lese ihr etwas vor. Sie ist sehr daran interessiert, was sich in der Welt tut. Sie freut sich, wenn ich über ein Konzert, einen Theater-besuch oder eine Reise berichte. Manchmal fahre ich sie in ihrem Rollstuhl spazieren. Das Kopfweh und den Schwindel, die sie häufig plagen, vergisst sie an der fri-schen Luft. Auch für mich sind die Begegnungen berei-chernd. Es ist immer interessant, wenn sie aus ihrem Leben erzählt.“

6 Themen

SCHWERPUNKT

Soziale Ungleichheiten, Armut, Diskrimi-nierung, Arbeitslosigkeit oder verges-sene Jugend – sind das die Herausfor-

derungen des 21. Jahrhunderts? Ja und nein: Denn diese Probleme sind nicht neu, sondern schlichtweg nach wie vor ungelöst.

Bereits in den 1870er-Jahren setzte sich Grä-fin Elvine de La Tour für sozial Schwächere ein – sie wendete ihr Privatvermögen, darunter auch ihren gesamten Schmuck, für Kinder in Not, Alte und Kranke auf. Sie ließ Häuser errichten, in de-nen Waisen und ungewollte Kinder leben konn-ten, ebenso wie hochbetagte Menschen oder Menschen mit Behinderungen. Aber auch der Sucht widmete sie sich und gründete die Blau-kreuzvereinigung gegen den Alkoholismus.

Ein sehr umfassender Ansatz, würde man in heutiger Sprache sagen, ein großes Netz an ver-schiedenen Einrichtungen mit damals 15 bis 20 Beschäftigten, das noch heute unter dem Na-men Diakonie bekannt ist.

Etwa zur gleichen Zeit setzte sich Friedrich Wilhelm Raiffeisen dafür ein, dass Genossen-schaften kleineren Bauern langfristige Darlehen

zur Verfügung stellten. So war gewährleistet, dass Dürrezeiten besser überwunden oder In-vestitionen getätigt werden konnten. Hilfe zur Selbsthilfe – das war das einfache Motto.

Heute ist Raiffeisen ein Konglomerat aus mehr als 330.000 Unternehmen, unüberschaubar und politisch mächtig, doch noch immer greifen Banken auf genossenschaftliche Systeme zu-rück, um Zugang zu Kapital gemeinschaftlich zu organisieren.

Im Netzwerk für das GemeinwohlWas beide Personen eint, ist, dass sie gemein-sam mit ihren Netzwerken das sichtbare Elend zum Anlass nahmen, um sich sozial zu engagie-ren. Dabei war das Streben nach Gemeinwohl, also der Verbesserung der Lebensqualität für alle, eine der treibenden Kräfte.

Was hat sich seit damals geändert? Der mo-derne Wohlfahrtsstaat hat Einzug gehalten, Ins-titutionen und Organisationen sind geschaffen worden, die sich um Menschen in Not kümmern. Der Wohlfahrtsstaat hat die Initiative von Einzel-personen weitgehend abgelöst, wenngleich vie-

Elvine de La Tour setzte sich vor 150 Jahren für die

Schwachen ein.

Ihr Zeitgenosse Friedrich Wilhelm Raiffeisen

„erfand“ die Genossen-schaften für Bauern.

Unsere Gesellschaft,

wie wir sie kennenÜber das Mehr, wenn man sich nicht für Gewinn ausspricht.

Und das Mehr, das über das eigentliche Tun hinausreicht.

VON KATHARINA MEICHENITSCH

Themen 7

SCHWERPUNKT

lerorts weiterhin philantropisch motivierte Per-sonen tätig sind.

Die Versorgung im Fall von Krankheit, Armut und Behinderung wurde ausgebaut, verbessert und öffentlich finanziert. Versicherungen wurden geschaffen, Geld- und Sachleistungen einge-führt, um soziale Nachteile zu kompensieren. Der Staat hat die Funktion des sozialen Aus-gleichs übernommen.

Pikettys These: 100 Jahre UngleichheitDoch glaubt man dem Ökonomen Thomas Piket ty, der derzeit sowohl die Medien als auch die Fachwelt mit seinem neuen, knapp 700 Sei-ten starken Werk „Capital in the Twenty-First Century“ in Atem hält, hat sich die Verteilung von Vermögen im 21. Jahrhundert, also über 100 Jahre hinweg, nicht verändert.

Der Forscher hat viele Daten zusammengetra-gen und festgestellt, dass sich Vermögen immer schneller vermehrt haben als die Erträge aus der Wirtschaftsleistung. Also sind Erträge aus Akti-en, Anleihen oder Immobilien im Durchschnitt mehrfach höher als das Bruttoinlandsprodukt. Das bedeutet, dass die Einkommen aus Vermö-gen schneller wachsen als die Einkommen aus Arbeit. So wird fortgeführt, was als Art Naturge-setz des Kapitalismus bezeichnet wird – die Konzentration von Vermögen in den Händen weniger.

Betrachtet man die Kurve, die Piketty zeich-net, so fällt auf, dass nach den beiden Weltkrie-gen (und der damit verbundenen Besteuerung von Wohlhabenden) die Ungleichheiten weniger werden, jedoch mit Beginn der 1970er-Jahre

wieder auf das Vorkriegsniveau zusteuern. Die Lösung wäre einfach – verbesserte Umvertei-lung finanziert durch globale Vermögenssteuern.

Das Thema der Verteilung – und damit die we-sentliche Diskussion über soziale Fragen – hat mittlerweile auch große Institutionen wie den Internationalen Währungsfonds, die Weltbank, die Europäische Union oder die OECD erreicht. Sie alle plädieren dafür, dass Ungleichheiten verringert werden müssen, um Wohlstand für alle zu schaffen.

Ins Soziale investierenIn diesem Sinn hat die Europäische Union das sogenannte „Social Investment Package“ aus-gerufen. Mittels Investitionen in soziale Dienst-leistungen wie Kindergärten oder Pflegedienste soll die Wirtschafts- und Finanzkrise überwun-den werden. Denn hier können mehrere Fliegen mit einer Klappe geschlagen werden – nicht nur hilfsbedürftige Personen werden gut versorgt, sondern es werden auch Jobs geschaffen, vor-rangig für Frauen, und das auch in wirtschaftlich schwachen Regionen, denn schließlich wandert ein Pflegeheim nicht ab.

Aber nicht nur harte Fakten können abgelesen werden. Was ebenso entsteht, ist der soziale Zusammenhalt durch den Wohlfahrtsstaat, der unsere Gesellschaft zu dem macht, was sie heu-te ist.

Die nationalen Regierungen wurden seit Be-ginn der Krise von der Europäischen Kommissi-on dazu aufgerufen, stärker in das Soziale zu investieren, um mehr von diesen Vorteilen zu erreichen. Der Europäische Wirtschafts- und u

MitarbeiterInnen des Glöcklturms pflegen den Friedhof in Lienz

Thomas Piketty sagt, dass sich Vermögen schneller vermehren als die Erträge aus der Wirtschaftsleistung.

8 Themen

Sozialausschuss, ein beratendes EU-Gremium, in dem für Österreich die Sozialpartner sitzen, geht sogar noch weiter und wird konkret: 2 % des BIP sollen investiert werden, finanziert aus einer Vermögenssteuer. Für Österreich würde dies einen Investitionsschub von 6,2 Milliarden Euro bedeuten – also nicht nur ein sanftes An-stoßen, sondern einen richtigen Ruck für unsere Wirtschaft.

Dem Gemeinsamen nützlich seinGleichzeitig hat die Europäische Kommission zur Stärkung von Sozialorganisationen aufgeru-fen. Denn nur mit Unterstützung der Sozialorgani-sationen ist es möglich, dieses Wachstum zu erreichen. Mit der „Social Business Initiative“

soll es Organisationen erleich-tert werden, sich für soziale Themen starkzumachen.

Doch die Kommission unter-scheidet nicht genau – wäh-rend die Diakonie sich im Rah-men ihrer Gemeinnützigkeit für Menschen engagiert, werden

von der EU-Initiative zum Teil auch profit-orientierte Unternehmen im Sozialbereich ange-sprochen. Das wiederum erschwert die Arbeit im Sozialbereich, weil profitorientierte Unter-nehmen mehr auf Gewinn und weniger auf Qua-lität ausgerichtet sind, wie Michaela Neumayr von der Wirtschaftsuniversität Wien im Interview ausführt (siehe S. 10).

Dem Gemeinsamen nützlich sein, dem Ge-samten dienen – das sind die Leitsprüche der beiden eingangs vorgestellten Persönlichkeiten, die mit Unterstützung aus ihrer Umgebung und

Hunderten MitarbeiterInnen wirkten. Heute trägt die Gemeinnützigkeit ein vielfältiges Gesicht – angefangen bei Sportvereinen über Umwelt- und Tierschutzorganisationen bis hin zu Sozial-organisationen.

Nicht vergessen werden sollte der gemeinnüt-zige Wohnbau, ebenso sind Arbeitsmarktver-mittlungen oder Kulturinitiativen meist gemein-nützig organisiert.

Sie alle erbringen Leistungen für die Gesell-schaft und einen Mehrwert, der über das eigent-liche Tun hinausreicht.

Dieses „Mehr“ ist nicht einfach zu fassen und in unserer zahlenbasierten Welt schwer zu zäh-len. Das „Mehr“ liegt im Engagement, sich nicht für Gewinn auszusprechen, ebenso wie in der Bereitschaft, sich lautstark Gehör zu verschaf-fen und für Arme und Menschen in Not einzutre-ten. Das „Mehr“ begründet sich auch dort, wo viele Menschen miteinander arbeiten, leben und zusammenfinden.

Gemeinnützige sind LückenfüllerDoch auch die Medien und eine kritische Öffent-lichkeit machen immer wieder gegen Gemein-nützige mobil. Viel zu viel Geld gehe in die Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit von Sozial organisationen, zu professionalisiert und Teil einer Sozialindustrie seien sie geworden, so lauten die Vorwürfe.

Doch sehr leicht kann man entgegnen, dass hochqualifizierte ArbeitnehmerInnen wie Päda-gogInnen, PsychologInnen, TherapeutInnen etc. für soziale Aufgaben benötigt werden. Dass eine starke Stimme in der Öffentlichkeit für hö-here Lebensqualität für alle sorgt. Und dass das Prinzip des nachhaltigen Wirtschaftens ebenso für gemeinnützige Organisationen gilt.

Knapp 10 % der Beschäftigten in Österreich sind im Sozial- und Gesundheitsbereich tätig (weniger als im EU-27-Durchschnitt!), und euro-paweit trägt dieser Sektor etwa 5  % zum ge-samten ökonomischen Output bei.

Gemeinnützige Sozialorganisationen haben sich zum Ziel gesetzt, Menschen zu helfen und ihnen beizustehen. Solange die sozialen Fragen der Armut, Arbeitslosigkeit, Diskriminierung und der fehlenden Teilhabe unbeantwortet bleiben, so lange werden auch Gemeinnützige tätig sein und versuchen, diese Lücken zu füllen.

Wie schon zu Beginn der Diakonie Elvine de La Tour oder der Raiffeisenverband vor vielen Jahrzehnten müssen Menschen ermächtigt wer-den, etwas selbst zu tun. Die Politik hingegen muss das Ihre tun, um auf die Schieflage in der Verteilung Antworten zu finden.

SCHWERPUNKT

Das „Mehr“ liegt im Engagement, sich nicht für

Gewinn auszusprechen

u

NachbarInnen-Ausflüge: Im Stadtteilzentrum Salzburg haben sie sich kennengelernt

Themen 9

WISSEN

Die neue Gemeinnützigkeits-Initiative will konkrete Verbesserungen erreichen

g Wer verbirgt sich hinter der Initiative Gemeinnützigkeit?Erstmals haben sich NGOs aus den Bereichen Soziales, Umwelt und Menschenrechte zusammengeschlossen, um sich gemeinsam für das Thema der Gemeinnützigkeit starkzumachen. Die Organisationen reichen von Diakonie, Caritas und Rotem Kreuz über Greenpeace, Global 2000 und den Alpenverein bis hin zu Amnesty International. Diese Nicht-Regierungs-Organisationen repräsentieren einen Querschnitt der gemeinnützigen Organisationen in Österreich, der auch die Vielfalt der Vereine abbildet.

g Warum gibt es den Zusammenschluss?Gemeinnützige Organisationen, Stiftungen und Vereine erbringen vielfältige Leistungen für die Bevölkerung in Österreich. Dabei gibt es viele Kooperationen zwischen den Organisationen – doch eine große Klammer hat bis-lang nicht existiert. Nun gibt es den formlosen Zusam-menschluss im Rahmen der Gemeinnützigkeits-Initiative, damit gemeinnützige Organisationen eine starke Stimme haben. Der Zusammenschluss ist wichtig, um die diver-sen Organisationen abzubilden. Denn sie verbindet eines: die Förderung des Gemeinwohls.

g Was wird gefordert?Es gibt sehr konkrete Forderungen, auf die sich die unter-schiedlichen Organisationen geeinigt haben. Sie reichen von der besseren Einbindung von BürgerInnen und Gemeinnützigen in Entscheidungsprozesse über mehr Demokratie und Zivilcourage-Bildung an Schulen. Auch die klare Unterscheidung von gemeinnützigen und profit-orientierten Organisationen soll gefördert werden. Außer-dem geht es darum, Rahmenbedingungen für Gemein-nützige zu verbessern, wie eine Umsatzsteuer-Refundierung oder Planungssicherheit im Bereich sozialer Dienstleis-tungen. Weitere Forderungen sind die Stärkung des Freiwilligen Ökologisch-Sozialen Jahres für die Arbeit mit Jugendlichen und eine bessere Absicherung der Ent wick-lungszusammenarbeit.

g Wie stehen die Chancen auf Umsetzung?Eines haben alle Forderungen gemeinsam: Sie sind sehr konkret, und sie können mit politischem Willen relativ rasch umgesetzt werden.

g Warum setzen sich Gemeinnützige gerade für diese Themen ein?Die Aufgabe von Gemeinnützigen ist es, dem Gemein-wohl zu dienen. Das heißt, Kindergärten zur Verfügung zu stellen, Umweltstandards einzufordern, die Natur zu schützen, Beratung für Flüchtlinge zu gewährleisten oder Rettungsdienste anzubieten. Um diese Aufgaben gut erledigen zu können, braucht es Rahmenbedingungen, die das Arbeiten für das Gemeinwohl erleichtern. Dazu zählen steuerliche Rahmenbedingungen, aber auch Mit-spracherechte oder Demokratie-Wissen von jungen Men-schen.

g Wurde schon etwas umgesetzt?Jein – denn es gibt bislang nur Bekenntnisse der Bundes-regierung zu allen Punkten. Das heißt, in Verhandlungsrun-den bestätigte die Regierungsspitze, sich für alle Forde-rungen einzusetzen. Einige der Punkte finden sich auch im neuen Regierungsprogramm wieder. Bei anderen Punkten war jedoch das Bekenntnis nicht stark genug. So wurde mit dem Budget 2014 kräftig in der Entwicklungs-zusammenarbeit gespart und diese nicht – wie angekün-digt – finanziell besser ausgestattet.

g Wie geht es weiter?Die Zusammenarbeit der NGOs ist wichtig und notwen-dig. Die große Klammer, die über Soziales, Umwelt und Menschenrechte geschlagen worden ist, muss weiter ver-stärkt werden. Die Diakonie wird sich dafür einsetzen, dass die Gemeinnützigkeits-Initiative bei bestimmten The-men zusammenarbeiten wird und dass die inhaltlichen Forderungen an die Politik herangetragen werden.

www.freiewohlfahrt.at

WISSEN

10 Themen

Sind gemeinnützige Anbieter – wie die Diakonie – besser geeignet, Altenheime und Kindergärten zu betreiben? – Im Gespräch mit Michaela Neumayr

von der Wirtschaftsuniversität Wien.

Aus Gesellschaft wird Gemeinschaft

INTERVIEW: KATHARINA MEICHENITSCH | FOTOS: DANIELA KLEMENCIC

INTERVIEW

Themen 11

INTERVIEW

DiakonieThemen: Gewinnorientiert oder gemein-nützig – was ist besser?Michaela Neumayr: Das hängt davon ab, worum es geht. Beides hat Vorteile, beides hat Nachteile – und vor allem: besser für wen? Das muss man sich genauer anschauen. Außerdem ist auch der Staat Anbieter sozialer Dienstleistungen, und als vierten

„Anbieter“ darf man die Haushalte nicht vergessen, die noch immer 80  % der Betreuung alter Menschen übernehmen. Der kritische Punkt bei der Auswahl des Anbieters ist aber die Qualität. In der ökonomi-schen Theorie geht man davon aus, dass ein gewinn-orientierter Anbieter versucht, seinen Gewinn mit allen Mitteln zu maximieren.

? Wirkt sich Gewinnmaximierung zulasten der Qualität aus?Gerade bei sozialen Dienstleistungen tritt das Prob-lem der „asymmetrischen Information“ auf. Das heißt, dass die Personen, die die Leistung in Anspruch neh-men, weniger wissen als die, die sie anbieten. Das leuchtet ein, wenn wir etwa über Kinderbetreuung reden. Ich kann kleine Kinder schwer fragen, wie denn die Betreuung tagsüber war. Ich bringe sie zwar hin und hole sie ab, aber was dort wirklich passiert, das weiß ich als Elternteil kaum. Letztendlich müssen Eltern darauf vertrauen, dass die Betreuung gut ist. Darum spricht man auch von „Vertrauensgütern“. Dabei wird gemeinnützigen Anbietern eher vertraut als gewinnorientierten, weil man davon ausgeht, dass bei den Gemeinnützigen der Gewinn nicht an erster Stelle steht.

? Bedeutet das, dass die Gemeinnützigen für diese Dienste besser geeignet sind?Das heißt nicht, dass sie besser sind, nein. Es heißt aber, dass das Risiko größer ist, bei Gewinnorientier-ten eine schlechtere Leistung zu bekommen. Weil ich das schwer kontrollieren kann, verlasse ich mich eher auf gemeinnützige oder kirchliche Anbieter. Ein ande-res Vertrauensgut wäre eine medizinische Dienstleis-tung. Wenn ich heute zur Ärztin gehe, dann werde ich manchmal erst nach zehn oder 15 Jahren wissen, ob die Behandlung richtig war oder nicht.

? Warum wird den Gemeinnützigen mehr Ver-trauen entgegengebracht?Der wesentliche Grund ist, dass Non-Profit-Organi-sationen, also „Gemeinnützige“, Gewinne nicht aus-schütten dürfen. Sie dürfen sehr wohl Gewinne ma-chen, das wird oft falsch verstanden, aber sie dürfen sie nicht an die Eigentümer ausschütten. Der Anreiz, einen möglichst hohen Profit zu machen, ist also

nicht gegeben. Ein anderer Vorteil von Gemeinnützi-gen ist, dass sie, im Gegensatz zu öffentlichen Anbie-tern, besser Nischen füllen können. Wenn es etwa in abgelegenen Regionen keinen Kindergarten gibt, können Elterninitiativen oder kirchliche Anbieter die-se Lücke gut schließen. Das gilt auch für mehrspra-chige Angebote. Die Forschung sagt, je verschiede-

ner eine Gesellschaft, desto stärker ist der Non-Profit-Sektor ausgeprägt, weil es dann eben viele unterschied-liche Bedürfnisse gibt.

? Welche Aufgaben erfül-len Non-Profit-Organisatio-nen sonst noch?

Die bekannteste Aufgabe, von der wir gerade ge-sprochen haben, ist das Angebot von Dienstleistun-gen. Eine weitere Aufgabe ist die Advocacy-Funktion. Diese ist für mich fast die wichtigste. Sie bedeutet, dass NPOs die Interessen von bestimmten Gruppen vertreten. So wie Amnesty International versucht, Aufmerksamkeit zu bekommen und politisch Druck zu machen. Die dritte Funktion wird auch unter-schätzt: das Community Building. Am Beispiel der Feuerwehr ist das gut zu illustrieren: Es geht um Ge-meinschaftsbildung, Leute kommen zusammen und bauen in ihrem Verein untereinander Vertrauen und gemeinsame Regeln auf. So wird aus Gesellschaft Gemeinschaft.

? Wie genau funktioniert das?Wenn sich Menschen treffen, gemeinsam an einem Projekt arbeiten und ein gemeinsames Ziel haben, halten sie unsere Gesellschaft zusammen. Menschen

„Gemeinnützige dürfen Gewinne machen, sie aber

nicht ausschütten. Der Anreiz, Profit zu machen, ist nicht

gegeben“

DR.IN MICHAELA NEUMAYR ist Habilitationsstipendiatin und wissenschaftliche Mit arbeiterin am Institut für Nonprofit Management an der Wirtschaftsuniversität Wien. Sie arbeitet zum Thema Spenden in Öster - reich, zur Finanzierung von Non-Profit-Organisationen und zu den gesellschaft-lichen Funktionen des Non-Profit-Sektors bzw. der Sozialwirtschaft.

u

„Bei Kinderbetreuung wird Gemeinnützigen eher vertraut als Privaten“

12 Themen

INTERVIEW

„Im Sozial- und Gesundheitssektor arbeiten mehr Menschen als im Baubereich oder im Tourismus“

bauen Kontakte auf, pflegen Netzwerke, auf die sie zurückgreifen können. Wenn ich etwas brauche, dann rufe ich eine Freundin an, die wieder jemand anderen kennt, der mir helfen kann. Das sind wesent-liche Ressourcen, nicht nur für die Einzelnen, son-dern auch für die Gesellschaft als Ganzes. Das klingt sehr einfach, aber wenn man überlegt, wie es wäre, wenn wir das nicht hätten – was wäre das für eine Gesellschaft?

? Die NPOs erfüllen alle drei Funktionen?Meist in unterschiedlichen Ausprägungen, ja. Alle drei Funktionen zu vereinen ist das Allein stel lungs-merk mal gemeinnütziger Organisationen. Den gewinn- orientierten Anbietern fehlt vor allem die Advo cacy, weil bei ihnen das Interesse eher darin besteht, eine Dienstleistung so lange wie möglich gewinnbringend anzubieten. Sie bekämpfen nicht un be dingt die Ursa-chen von sozialen Bedürfnissen wie etwa Pflege-bedürftigkeit, denn damit würden sie ihre eigene Geschäftsgrundlage verlieren. Das ist aus meiner Sicht aber nicht die passende Logik für den sozialen Sektor. Gemeinnützige sind deswegen so wichtig, weil sie Funktionen erfüllen, die andere nicht erfüllen.

? Wie können Gemeinnützige gestärkt werden?Für die organisierte Zivilgesellschaft gibt es einen klaren Befund, und der ist auch nicht neu: Der Sektor muss stärker und geschlossener auftreten – und auch selbstbewusster. Das ist nicht einfach, weil der

Sektor aus sehr vielen verschiedenen sozialen Ein-richtungen besteht: Das beginnt bei der Kultur und geht bis hin zu Tierschutzorganisationen. Da ist es schwierig, dass sich alle zusammentun, schließlich gibt es da auch ideologische Grenzen.

? NPOs sollen also selbstbewusster auftreten?Wir leben in einer Zeit, wo sich die Ökonomisierung in allen Lebensbereichen durchsetzt. Das Ökonomi-sche ist der sogenannte „dominante Code“, und nur über diesen wird man wahr- und ernst genommen. Wenn man an ökonomischen Fakten misst, was NPOs leisten, zum Beispiel über das BIP oder die Be-schäftigten, dann kann es sich der Sektor leisten, wesentlich stärker aufzutreten.

? Wie groß ist dieser Sektor?Fast 10  % der Bevölkerung arbeiten im Sozial- und Gesundheitssektor. Das ist mehr als im Baubereich oder im Tourismus. Die Industriellenvereinigung ver-gleichsweise tritt viel selbstbewusster auf. Das könn-te der NPO-Sektor auch! Aber da gibt es noch viel zu tun. Zusätzlich müssen sich natürlich auch die Rah-menbedingungen verbessern.

? Was könnte man verbessern?Wenn eine soziale Dienstleistung ausgeschrieben wird, darf der Preis nicht das einzige Kriterium für den Zuschlag sein. Letztlich muss es um die Qualität ge-hen, weil es um Leistungen für Menschen geht.

„Wird eine soziale Dienstleistung ausgeschrieben, darf der Preis

nicht das einzige Kriterium für den Zuschlag sein“

Themen 13

D ass im urbanen Bereich immer mehr ältere Menschen alleine leben und vereinsamen, ist traurige Realität.

Vor allem in anonymen Wohnsiedlungen ist es nicht so leicht, Kontakte zu knüpfen, obwohl sich viele gerade dort Gesellschaft und Hilfe wünschen. Neue Bekannte treffen, mit ihnen zu plaudern, zu spielen oder spazieren zu gehen, gemeinsam einzukaufen oder von ihnen zum Arzt oder zu Behörden begleitet zu werden – das sind Möglichkeiten, die die Freiwilligen-Netzwerke in Salzburg anbieten.

Vor allem der „Ehrenamtliche Besuchsdienst für zu Hau-se“ wird seit Jahren gerne von vielen älteren Menschen angenommen. Mit Mai 2014 haben die Freiwilligen-Netz-werke ihre Arbeit auf das Wohnquartier „Rosa Zukunft“ in Taxham ausgeweitet.

PROJEKTE

J eder Euro, der im Bereich des betreuten Wohnens für SeniorInnen investiert wird, bringt der Gesellschaft

mehr als das Doppelte an monetärem Gegenwert. Der größte Teil des Profits kommt dabei den BewohnerInnen zugute, die nicht nur finanziell, sondern auch durch erhöh-te Lebensqualität von den Investitionen profitieren.

Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Wirtschafts-universität Wien, die den sogenannten „Social Return on Investment“ (SROI) des betreuten Wohnens für SeniorIn-nen der Diakonie Miteinander Leben GmbH in der Steier-mark untersucht hat.

Im Rahmen der Studie wurden die Wirkungen sozialer Investitionen auf die BewohnerInnen, ihre Angehörigen, den Bund, das Land sowie die Bauträger erfasst und an-schließend monetär bewertet.

Nach dem Hochwasser von Mitte Mai ist die Lage in den überfluteten Regionen in Serbien, Bosnien-Herze-

gowina und Kroatien noch immer angespannt. MitarbeiterInnen der Diakonie Katastrophenhilfe haben

die Katastrophenregion in Serbien besucht. Sie berichten, dass das Wasser in manchen Orten auch Wochen nach der Katastrophe noch in den Häusern und auf den Feldern steht. „Das Wasser ist innerhalb von 15 Minuten um fast einen Meter angestiegen. Ich habe meine Mutter auf den Rücken und meinen Sohn auf den Arm genommen, um den Fluten zu entkommen“, erzählt ein Familienvater.

Gemeinsam mit ihren Partnern unterstützt die Diakonie Katastrophenhilfe betroffene Haushalte in entlegenen Re-gionen. Unter anderem werden Hilfspakete mit Hygiene-artikeln sowie Desinfektions- und Reinigungsmaterialien ver teilt, um der Ausbreitung von Seuchen in der Region ent gegen zuwirken.

Freiwilligen-Netzwerke„Besuchsdienst für zu Hause“ in Salzburg.

GegenwertBetreutes Wohnen rentiert sich mehrfach.

HochwasserSüdosteuropa: Helfen nach der Katastrophe.

www.diakoniewerk-salzburg.at

www.diakonie-katastrophenhilfe.at

www.miteinander-leben.at

Es ist schön, zu Hause besucht zu werden

Die Diakonie Katastrophenhilfe verteilt Hilfspakete in Serbien und Bosnien

Studie belegt: Betreuung ist „mehr wert“

14 Themen

WORDRAP

CHRISTOPH & LOLLO sind die Erfinder und

bislang einzigen Vertreter der Musikgattung

„Schispringerlieder“. In diesem Genre sind sie seit fast 20 Jahren tätig, haben aber mittlerweile auch anderes im Reper-

toire, wie Lieder über politische Parteien. Bei

Konzerten spielen die Musiker nicht nur ihr

Programm, sondern scherzen und diskutieren

auch ausgiebig. Ihr Konzertprogramm kommt

fast ausschließlich spontan zustande.

LUXUS? Für mich unbrauchbar.

GEMEINSCHAFT?Macht froh.

GEMEINNÜTZIG?Das ist was anderes als Charity.

GEMEINHEIT?Findet man von der Sandkiste bis zur

Vorstandsetage viel zu häufig.

NACHBARSCHAFTMuss man können, dann macht sie froh.

STADT/LANDDass jetzt sogar schon die Bienen

in die Stadt flüchten, sollte den Leuten auf dem Land zu denken geben.

LIEBLINGSPLATZ?Auf dem Land.

DIAKONIE?Ist wahrscheinlich gut.

VISION?Für uns ein lateinisches Fremdwort.

LUXUS?Macht nicht froh.

TYPISCH ÖSTERREICH?Alle Österreicher fällen immer Pauschalurteile.

ENTBEHRLICH?Hundegacki.

ERSTREBENSWERT?Ständiges Frohsein wär super.

TRADITION?Niemand hat keine.

MOTTO?Alles dauert länger, als man annimmt.

DEN MUSIKERN CHRISTOPH & LOLLO

DWP

ORA

R

Gemeinschaft macht froh

Themen 15

„Jeden Tag, wenn ich ins Haus Herrnhilf komme, decke ich als Erstes den Tisch. Für 12 bis 15 Menschen nimmt das schon ein bisschen Zeit in Anspruch. Was ich danach mache, ist abhängig davon, wann die Kiddies von der Schule ins Heim kommen. Dann ruft als Nächstes die Wäsche! Bei zehn Kindern gibt’s da definitiv jeden Tag was zu tun. Nach eini-gen Monaten weiß ich so langsam, welche Hose wem gehört. Falls ein Kind schon aus der Schule gekommen ist, heißt das für mich: Hilfe bei den Hausübungen. Jedes Kind braucht spezielle Unterstützung. Der eine ist in Mathematik gut und

tut sich in der Recht-schreibung schwer, die andere schreibt wie ein Profi, versteht aber einfache Rech-nungen nicht. Das ist normal, nur man muss sich eben dran gewöhnen.“

Vivien arbeitet in einer Wohngruppe für Kinder und Jugendliche im „Haus Herrnhilf“ der Diakonie de La Tour

„Ich bin froh über meine Entscheidung. Inzwischen kenne ich beim BACH alle TeilnehmerInnen persönlich, mit Namen, Vor-zügen, Macken und Marotten ;-). Ich genieße es, mit ,Seavas Chefin‘ begrüßt zu werden. Die ,Natur und Technik‘-Prüfung und die Geschichte-Prüfung haben alle erfolgreich hinter sich, es gibt viele Einser und Zweier, wenn auch manche Wiederholungen. Zu solchen Anlässen beschränkt sich die ,Gesunde Jause‘, die ich täglich vorbereite, streng gesehen

nicht auf Gesundes, da gibt’s auch Kraftfutter wie Müslirie-gel und Schokobananen. Egal was man für die TeilnehmerIn-nen hinstellt – in höchstens zwei Minuten ist alles weg.“ Johanna arbeitet beim BACH

(Bildungszentrum für junge Menschen mit Migrations-

und Fluchthintergrund des Diakonie Flüchtlingsdienstes)

„In meinem Freiwilligen Sozialjahr arbeite ich mit Menschen mit Behinderung oder, wie sie bei uns genannt werden: Klienten. Mein Tag fängt immer gleich an, nämlich mit dem Mittagessen. Danach findet für die KlientInnen eine ,aktive

Pause‘ statt, in der sie sich selbst beschäftigen. Manche schlafen, andere spielen oder plaudern miteinander, und wir jungen Freiwilligen sollen mit ihnen etwas unternehmen. So gegen zwei Uhr geht dann der Arbeitsalltag weiter, und die KlientInnen arbeiten in den verschiedenen Werkstätten (Töpferei, Korbflechterei, Holzwerkstatt, textiles Arbeiten). Ich unterstütze sie bei ihren Tätigkeiten in der Töpferei. Dort helfe ich ihnen, ihre Meisterwerke aus Ton fertigzustellen.“

Max arbeitet in der Meierei der Diakonie de La Tour

Max ist als helfende Hand in Küche und Werkstatt sehr beliebt

„Wäsche waschen, Tisch decken, Hausübungen: Bei zehn Kindern gibt es jeden Tag genug zu tun“

Johanna„Seavas Chefin“

Vivien

Unterstützung für jedes Kind

DIAKONIE WÖRTLICH

Wir tragen Verantwortung

Max

Meisterwerke aus Ton

Junge Freiwillige engagieren sich ein Jahr lang in der Diakonie. Drei von ihnen erzählen von den alltäglichen Herausforderungen, die ihnen bei der Arbeit mit KlientInnen begegnen.

Johanna (l.) betreut junge Flüchtlinge auf dem Weg zum Schulabschluss

16 Themen

MYTHEN & MÄRCHEN

Fünfzig Luftballons befinden sich in ei-nem Raum. Auf jedem Ballon steht ein Name. Die Namen gehören zu 50 Teil-

nehmerInnen eines Seminars. Die Tür zum Zimmer geht auf. Alle 50 Personen

sollen den Luftballon mit ihrem Namen finden. Alle stürzen sich auf die Ballons, lesen, suchen, lassen die Ballons wieder aus – ein riesiges Durcheinander entsteht, Ballons gehen kaputt, fast niemand hat seinen Namen gefunden. Doch der Versuch hat einen zweiten Durchgang.

Die Tür geht wieder auf. Jede und jeder soll nun den jeweils am nächsten gelegenen Luftbal-lon in die Hand nehmen, den Namen darauf lesen und die dazugehörige Person suchen. Innerhalb einer Minute stehen alle mit ihren

„richtigen“ Ballons im Raum.Kooperation wirkt. Zahlreiche Ergebnisse aus

Wissenschaft und Forschung zeigen uns, dass Vertrauen eine starke Währung ist und Zusam-menarbeit massive Kräfte entwickelt.

Unser Wort Puzzle kommt von der englischen Bezeichnung „jigsaw puzzle“. Das Jigsaw-Expe-

riment suchte sich ein konfliktreiches Feld: Feindschaften in der Schule zwischen Kindern verschiedenster Herkunft. Das Experiment ging so: SchülerInnen wurden in verschiedene Lern-gruppen geschickt, bestehend aus jeweils sechs Personen. Was es zu lernen galt, wurde in sechs Abschnitte unterteilt, von denen jede Person ei-nen übernahm. Von einer Geschichte oder einer Chemieaufgabe gab es nun sechs Teile, die ver-mittelt gehörten. Jedes Kind lernte nun seinen Teil und versuchte ihn den anderen beizubringen. Wie ein Puzzle mussten die Teile zusammenge-fügt werden, damit ein Gesamtbild entsteht.

In dem von Konkurrenz geprägten Klassen-zimmer geht es allein darum, dem Lehrer zu zei-gen, wie klug man ist. Man braucht den Mit-schülern nicht viel Aufmerksamkeit schenken.

In der Jigsaw-Klasse müssen die SchülerInnen einander zuhören, um zu lernen. Peter muss auf Maria und auch auf Gülten achten, um die für ihn wichtigen Informationen zu bekommen. Wenn Haki im traditionellen Unterricht aus Angst und Unbehagen Schwierig keiten hat, etwas vor-zutragen, können ihn die anderen SchülerInnen leicht ignorieren – sogar demütigen, beschä-men. Hat Haki jedoch in der Jigsaw-Klasse die-se Probleme, liegt es im Interesse der Mitschü-lerInnen, geduldig zu sein, ihn zu ermutigen und ihm zu helfen, damit er sein Wissen preisgibt.

Die Ergebnisse waren beeindruckend: Vergli-chen mit Schülern und Schülerinnen in traditio-nellen Klassen war bei den Kindern der Jigsaw-Gruppe eine Abnahme von Ablehnung und eine Zunahme von Sympathie für die Mitglieder ihrer Arbeitsgruppe festzustellen – unabhängig von deren ethnischer Herkunft. SchülerInnen der Jigsaw-Gruppe schnitten auch bei den Prüfun-gen besser ab und ihr Selbstwert war höher.

Mythos: „Nur Konkurrenz und Wettbewerb

bringen uns weiter“Wahr ist: Kooperation bringt gute Lösungen, Zusammenarbeit wirkt.

VON MARTIN SCHENK

STIMMT´S?

MYTHEN & MÄRCHEN

In der Jigsaw-Klasse müssen Kinder einander zuhören, um zu lernen

Themen 17

INHALT

Das Diakoniewerk Salzburg entwickelt und begleitet innovative Wohnkonzepte.

Die demografische Entwicklung bringt mit sich, dass sich Generationenbe-ziehungen verändern. Auf der einen

Seite leben aufgrund der gestiegenen Lebenser-wartung in Familien manchmal bis zu vier Gene-rationen, auf der anderen Seite nimmt die Zahl jener Familien zu, in denen die Kinder ohne Be-ziehung zu den Großeltern aufwachsen.

Auf diesen Veränderungen bauen alternative Wohnkonzepte auf, die den Bedürfnissen junger wie älterer Menschen entsprechen können.

Wohnprojekt „Rosa Zukunft“Das Diakoniewerk Salzburg entwickelt innova-tive Konzepte, die eine Vielfalt von neuen Wohn- und Betreuungsangeboten für Menschen im Alter, aber auch fachlich begleitetes Generatio-nenwohnen beinhalten. Mit der Übergabe der

„Rosa Zukunft“ in Salzburg-Taxham wurde im Dezember 2013 das erste derartige Wohnpro-jekt realisiert.

SozialkapitalAlternative Wohnkonzepte bauen auf bestehen-den Werten auf – auf gesellschaftlich veranker-tem „Sozialkapital“, das gezielt gefördert wird. Gelebte Nachbarschaft, Solidarität, sozialer Zu-sammenhalt und das (Er)Leben von Generatio-nenbeziehungen beugen sozialer Isolation vor, ermöglichen neue Erfahrungen, geben Sicher-heit und vermitteln Geborgenheit.

Die Einbindung in die Gemeinschaft kann sich auch nur auf gegenseitige Rücksichtnahme be-ziehen, wie das Bemerken und Reagieren darauf,

wenn die Rollläden der Nachbarin, anders als gewohnt, vormittags noch nicht aufgezogen sind.

Aufgabe der Wohnkoordination ist es, Prozes-se zwischen den BewohnerInnen anzuregen, zu fördern und zu unterstützen. Dazu gehört die Bildung eines BewohnerInnenbeirats, einer we-sentlichen Basis für Eigeninitiative und nachbar-schaftliches Engagement. Indem die Wohnkoor-dination Informationen zu den Frei zeitinteressen oder zum Bedarf an Hilfe sammelt, vernetzt sie die Generationen miteinander.

Blumen und VorlesenDie alleinerziehende Mutter wird durch eine

„Leih-Oma“ ebenso unterstützt wie die alleinste-hende ältere Dame, deren Lebensmittel einkauf durch ebendiese Mutter erledigt wird. Die Blu-men der im Krankenhaus befindlichen Frau wer-den durch Nachbarn ebenso mitversorgt wie der Hamster der Jungfamilie während ihres Urlaubs. Eine „Vorlesestunde“ bei dem sehbeeinträchtig-ten älteren Herrn ist zugleich Spaß und Übung für das Volksschulkind, während die Jungen beim gemeinsamen Garteln von der Erfahrung der Älteren profitieren. Das Wort „Wahlver-wandtschaften“ wird mit Leben gefüllt!

Dabei sieht sich die Wohnkoordination als unterstützende „Kraft im Hintergrund“, um die größtmögliche Selbstständigkeit und Eigeninitia-tive der BewohnerInnen zu fördern und die bestehenden Kompetenzen zu erhalten.

MMag. Michael König,Geschäftsführer Diakonie-werk Salzburg

FACHKOMMENTAR

www.rosazukunft.atwww.diakoniewerk-salzburg.at

Wohnprojekt „Rosa Zukunft“ in Salzburg-Taxham

Neues Wohnen für Generationen!

18 Themen

Warum sind soziale Dienstleistungen wichtig?Sie helfen Menschen mit Pflege- und Unterstützungsbedarf.

Sie schaffen Arbeitsplätze.

Vereinbarkeit von Beruf und Familie wird möglich.

Betreuung und Pflege sind in Stadt und Land gefragt.

18 Themen

ZAHLEN

Österreich liegt mit den Beschäftigten im Sozial- und Gesundheitssektor

unter dem EU-Durchschnitt.Anteil der Beschäftigten im Sozial-

und Gesundheitssektor an den Beschäftigten insgesamt:

Vereinbarkeit von Beruf und Familie

Quelle: Eurostat

Quelle: Europäische Kommission, Report Barcelona-Ziele

57 % der nicht oder nur teilzeitbeschäftig-ten Mütter in Österreich sagen, dass es keine passende Kinderbetreuung gibt.

Fast nirgends ist Kinderbetreuung so wenig verfügbar wie in Österreich.

22 % der nicht oder teilzeitbeschäftigten Mütter in Österreich sagen, dass die Kinderbetreuung zu teuer ist.

Nirgends ist Kinderbetreuung so einfach leistbar wie in Österreich.

In Österreich sind Kindergärten und Krippen nicht ausreichend verfügbar. Hat man das Glück, einen Platz zu bekommen, ist dieser jedoch günstig oder sogar gratis.

0 5 10 15 20 25

9,5% Österreich

12,4% Deutschland

18,6% Dänemark

21,0% Norwegen

Durchschnitt der EU 27: 10,6 %

Durchschnitt der EU 15: 11,8 %

Weniger haben nur Estland, Tschechien, Ungarn und Italien

0 10 20 30 40 50 60 70 80

10 % UK

25 % EU 27

62 % Belgien

57 % Österreich

0 10 20 30 40 50 60 70 80

53 % EU 27

32 % Belgien

22 % Österreich

73 % UK

Non-Profit-Organisationen in Österreich5,2 % der gesamten Erwerbstätigen in Österreich sind im NPO-Sektor tätig.

4,7 Mrd. Euro ist der Wert der Freiwilligenarbeit in Österreich (gemessen am mittleren Brutto stunden-verdienst) – das sind 1,8 % des BIP.

5,9 Mrd. Euro erwirtschaften NPOs an Bruttowert-schöpfung.

„Social Return on Investment“ 2,26 Euro ist der Gegenwert der Wirkung, die jeder investierte Euro erzielt. Das hat „Miteinander leben“, die Organisation für betreutes Wohnen der Diakonie in der Steiermark, errechnet.

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g

So werden sozialer Ausgleich und gutes Leben für alle möglich.

Die Welt in Zahlen

Themen 19

BÜCHER | EUROPA

Handbuch Armut in Österreich Nikolaus Dimmel, Martin Schenk, Christi-ne Stelzer-Orthofer (Hg.); Studien-Verlag, 2. erweiterte Auflage 2014g Auf 1000 Seiten finden sich 57 Bei träge von 62 ExpertInnen. Die soziale Verunsi-cherung und Armutsbedrohung haben sich

durch die Finanz- und Wirtschaftskrise bis weit in die Mittelschicht hinein verschärft. Die Beiträge geben einen Überblick über den aktuellen Stand der Armutsforschung in Österreich. Sie präsentieren neueste Erkenntnisse zu den Ursachen und Faktoren von Armut, individuellen Bewältigungsstrategien sowie öffentlichen und privaten Instrumenten zur Bekämpfung von Armut.

Was man für Geld nicht kaufen kann. Die moralischen Grenzen des MarktesMichael J. Sandel; Ullstein 2012g Fast alles scheint heute käuflich zu sein. Wollen wir das so? Die Regeln des Marktes haben auch Lebensbereiche infiltriert, die

jenseits von Konsum und Mehrwert liegen sollten: Medizin, Erziehung, Politik, Recht und Gesetz, Kunst, Sport, sogar Familie und Partnerschaft. Mit Verve und anhand prägnan-ter Beispiele wirft Harvard-Professor Michael Sandel eine der wichtigsten ethischen Fragen unserer Zeit auf: Wie können wir den Markt daran hindern, Felder zu beherr-schen, in denen er nichts zu suchen hat?

Handbuch der Nonprofit-Organisation: Strukturen und Management Ruth Simsa, Michael Meyer, Christoph Badelt; Schäffer-Poeschel 2013g Früher war es bei NPOs noch wichtig, auf Ökonomie und Betriebswirtschaft

aufmerksam zu machen. Heute agieren NPOs äußerst professionell. Zu professionell? „Managerialismus“ und „Verbetriebswirtschaftlichung“ sind zwei aktuelle Entwick-lungen. Das heißt: NPOs müssen sich eher wieder auf ihren Unternehmenszweck, ihre „Mission“ zurückbesin-nen. Doch kann es gelingen, ökonomisch zu denken und dennoch soziale Ziele anzustreben und zu erreichen?

Was allen gehört. Commons.Die Armutskonferenz; ÖGB-Verlag 2013g Die Bedeutung der gemeinschaftli-chen Organisation von Gemein- und Allmendegütern: Gebrauchen, Zusammen-arbeiten, Teilen und Beitragen sind vier zentrale Prinzipien von Commons. Im

Mittelpunkt steht, gemeinsam Ressourcen zu nutzen und zu pflegen, Regeln auszuhandeln und sich die Welt anzueignen, ohne sie in Besitz zu nehmen.

Buchempfehlung Best of EUrope

Der Zusammenschluss von NGOs aus den Bereichen Um-welt, Soziales und Entwicklungszusammenarbeit hat eine positive Vision für ein gemeinsames Europa. Menschen und der Planet Erde sollen dabei an erster Stelle stehen.

Knapp 125 Millionen Menschen in der EU leben an der Armutsgrenze – und ihre Zahl steigt. Der Sparkurs, den die EU gewählt hat, um den Folgen der Wirtschafts- und Finanzkrise beizukommen, scheint nicht zu wirken, denn er bekämpft nicht die sozialen Folgen der Krise. Der aus-schließliche Fokus auf die ökonomische Entwicklung der EU und die fehlenden sozialen Maßnahmen werden daher von der „Spring Alliance“ massiv kritisiert.

Positive Vision für ein gemeinsames EuropaDie Spring Alliance hat AkteurInnen der Zivilgesellschaft aus Umwelt-, Sozial- und Entwicklungsorganisationen und Gewerkschaften im Rahmen des EU-Wahlkampfs vereint. Mitglieder sind europäische Dachverbände, wie etwa die

„Social Platform“, wo auch die Diakonie vertreten ist, oder der Europäische Gewerkschaftsverbund. Ziel ist es, eine positive Vision für ein gemeinsames Europa zu verwirkli-chen.

Um Armut, Umweltbelastungen und soziale Ungleichhei-ten zu reduzieren, hat die Spring Alliance umfassende Ge-setzesvorschläge in einem Manifest erarbeitet. Dieses Ma-nifest soll nun, nach den Europa-Wahlen, von der nächsten EU-Kommission bzw. dem Europäischen Parlament um-gesetzt werden. Es bezieht sich auf sechs Themen: Trans-parenz und Stärkung der Demokratie, Reduzierung von Armut und Verbesserung der Sozialsysteme, Schaffung qualitativer Arbeitsplätze, Stärkung der Solidarität und globaler Gerechtigkeit, Vorantreiben von politischen Verän-derungen sowie Reduktion der Umweltbelastung durch Maßnahmen in den Bereichen Klima, Energieeffizienz und erneuerbare Energien.

Die Spring Alliance denkt in ihren Lösungsansätzen breit und vernetzt. Sie vereint soziale, politische und ökologi-sche Sichtweisen, um Problemen auf allen Ebenen zu be-gegnen.

Spring Alliance

NGOs mit einer politischen Vision für Europa

www.springalliance.eu

20 Themen

DIAKONIE HAUTNAH

I nterspar ist einer der größeren Arbeitgeber in der Region Osttirol. Wir wollen hier Maria treffen. Sie arbeitet seit ein paar Wochen in

der Filiale in Lienz. Seit ihren ersten Tagen beim Glöcklturm war es ihr erklärter Wunsch, genau bei diesem Unternehmen tätig zu sein.

Das „Sprungbrett Glöcklturm“ konnte helfen, denn dieses Projekt der Diakonie verhilft Men-schen mit intellektueller Behinderung mittels ver schie dener Formen der Unterstützung zu Ar-beitsplätzen. Assistenz und Begleitung – je nach Bedarf den ganzen Tag lang, stundenweise oder auch nur einmal die Woche – ermöglichen die Beschäftigung bei einem „normalen“ Arbeitgeber.

Wir finden Maria im Lager. Sie sortiert gerade Leergut-Flaschen in Kisten ein. Sie trägt eine Uniform der Firma, wie alle anderen hier auch. Sie freut sich, dass Besuch gekommen ist, und erzählt, welche Tätigkeiten sie hier jeden Tag verrichtet. Vom Sortieren der Flaschen über das Hin- und Herschieben von Einkaufswagen – die KundInnen möchten das Wagerl zwar am Ein-gang nehmen, aber lieber am Parkplatz zurück-geben – bis hin zum Lenken der sogenannten Ameise, eines elektrischen Hubwagens, mit dem Maria ihre Kurven dreht.

Selbstständig arbeitenIm Hintergrund steht die Betreuerin, die nur mehr in bestimmten Situationen hilft, etwa beim Einteilen der Zeit für die ver schie denen Tätigkei-ten. Vieles macht Maria aber selbstständig.

Sie erzählt, dass sie die Pausen gemeinsam mit den KollegInnen verbringt und dass sie jeden Vormittag hier arbeitet. Nach dem Mittag-essen fährt sie zum Glöcklturm, wo sie sich mit anderen austauscht und von ihrem Tag erzählt.

Zehn KlientInnen zwischen 20 und 30 Jahren werden derzeit vom Sprungbrett Glöcklturm be-gleitet. Sie alle möchten gerne einer „normalen“ Arbeit nachgehen – ein großer Traum für Men-

schen mit einer Lernbehinderung. Wird dieser Traum wahr, gibt ihnen das Kraft und Selbstbe-wusstsein.

Warum Austausch wichtig istKathrin Zabernig, die Leiterin des Sprungbretts, erzählt, wie wichtig die eigene Arbeit, die glei-che Kleidung, die gemeinsamen Pausen mit KollegInnen, das ernst gemeinte Lob vom Chef und der Austausch mit anderen sind. „Das alles stärkt nicht nur die eigenen Fähigkeiten, son-dern vor allem das Vertrauen in die eigene Leis-tung und das Selbst“, betont Kathrin.

Das wiederum bestärkt auch die MitarbeiterIn-nen im Sprungbrett, die gemeinsam mit den KlientInnen vor Kurzem den ersten Geburtstag gefeiert haben. Und obwohl es jetzt „auch mal ein bissl ruhiger sein könnte“, werden schon die nächsten Pläne gewälzt. Von vielen verschie-denen Projekten ist die Rede, man spürt förm-lich die Motivation und den Tatendrang des jun-gen Teams.

Arbeitgeber gesucht!Gleichzeitig zeigen die langen Wartelisten des Sprungbretts, wie wichtig solche Arbeitsmarkt-projekte für Menschen mit Behinderung sind.

Viele junge Menschen möchten den Sprung ins Berufsleben wagen, doch nicht alle können dabei entsprechend begleitet werden. Viel Über-zeugungsarbeit muss noch geleistet werden, um Vorurteile abzubauen.

Daher antwortet Kathrin Zabernig auf die Fra-ge, was sie sich für den Glöcklturm in Zukunft wünscht, rasch und bestimmt: „Viele weitere Arbeitgeber, die für Menschen wie Maria offen sind!“

Wie das „Sprungbrett Glöcklturm“ in Lienz Menschen mit Behinderung zu einem Arbeitsplatz verhilft.

Maria wagt den Sprung

Es war Marias erklärter Wunsch, in diesem Unternehmen zu arbeiten

VON KATHARINA MEICHENITSCH

Maria schiebt die Einkaufs-wagen zurück, lenkt aber

auch die „Ameise“.

Themen 21

KURZ GEMELDET

Viele ehemalige AsylwerberInnen, deren Verfahren in Öster-reich negativ beschieden wurden, können aus faktischen oder rechtlichen Gründen Österreich nicht verlassen, etwa weil sie keine gültigen Papiere haben oder weil ihnen ihr Heimatland keine Heimreisezertifikate ausstellt.

Diesen Menschen, die kein Aufenthaltsrecht haben, aber auch nicht abgeschoben werden können, hilft NARA, die Be-ratung für niederlassungs- und aufenthaltsrechtliche Ange-legenheiten. Ziel ist es, den Aufenthaltsstatus der KlientIn-nen zu legalisieren und ihnen dadurch den Zugang zum Arbeitsmarkt und zur Selbstversorgung zu ermöglichen.

NARA ist auch eine Anlaufstelle für Menschen, die sich während der langen Dauer ihres Asylverfahrens ein schüt-zenswertes Familienleben in Österreich aufgebaut haben. NARA versucht, diesen Menschen zu ihrem Recht auf Privat- und Familienleben nach Art. 8 der Europäischen Menschen-

rechtskonvention zu verhelfen. Seit Jänner 2014 haben ca. 60 Personen dieses Angebot in Anspruch genommen.

Anlaufstelle NARARechtsberatung für Flüchtlinge in Innsbruck.

www.sospeso-bohnuskaffee.atwww.johanniter.at

http://fluechtlingsdienst.diakonie.at

1974 wurde die Johanniter-Unfall-Hilfe als klassische Ret-tungsorganisation gegründet. Damals starteten die Johan-niter in Wien mit einem Krankentransportwagen – einem Einstandsgeschenk der deutschen Johanniter – und einer Handvoll engagierter Ehrenamtlicher.

Die vergangenen 40 Jahre sind für die Johanniter eine Erfolgsgeschichte: Sie zeigt, wie aus einer kleinen Idee eine große professionelle Hilfsgemeinschaft wurde.

Die 40-jährige Geschichte der Johanniter basiert auf dem Zusammenhalt, dem Engagement und der Hilfsbereit-schaft jeder einzelnen Mitarbeiterin, jedes einzelnen Mitar-beiters. Der Dank gebührt diesen Menschen für ihren uner-müdlichen, vielfach ehrenamtlichen Einsatz sowie den mehr als 40.000 Förderinnen und Förderern, die Unterstüt-zung leisten.

Ein Wagen zum Einstand 40 Jahre Johanniter-Unfall-Hilfe. „Es ist ganz einfach. Ich zahle zwei Kaffees, einen für mich

und einen für jemanden, der es sich nicht leisten kann“, beschreiben Vera Hinterdorfer und Martin Schenk die Ak-tion Sospeso Bo(h)nuskaffee, die, ausgehend von Neapel, jetzt auch in Österreich stärker Fuß fasst.

Man zahlt im Voraus in einem Lokal für Essen oder Trin-ken für jemanden, der sich’s nicht leisten kann. SpenderIn und EmpfängerIn bleiben einander unbekannt, damit für die einen der Stolz gewahrt bleibt und die Großzügigkeit der anderen nicht beschämend wirkt. Mittlerweile nehmen Kaffeehäuser in Wien, St. Pölten, Villach, Purkersdorf und Vöcklabruck an der Aktion teil.

„Jedes Café, das mitmachen will, ist willkommen, denn ein Café ist mehr als eine ,Auftankstation‘: Es ist Treffpunkt, Arbeitsplatz und Ort der Freizeitgestaltung zugleich. Es ist ein kommunikativer Raum, in dem alle ihren Platz haben“, so die InitiatorInnen von Sospeso Bo(h)nuskaffee.

Teilen und genießenDer Café Sospeso in Österreich.

NARA hilft Menschen, die keine gültigen Papiere haben

Jedes Café, das mitmachen will, ist willkommen!

Starthilfe aus Deutschland: der erste Johanniter-Wagen

22 Themen

AUF DEN PUNKT GEBRACHT

Die Osterinsel im Südpazifik ist be-rühmt für ihre bis zu neun Meter gro-ßen Steinstatuen, die Moai. Mehr als

hundert dieser eindrucksvollen Gebilde stehen auf der kargen Insel. Einem heutigen Besucher erscheinen sie so seltsam und fremd in die Landschaft gesetzt, dass der Schweizer Phan-tast Erich von Däniken nur eine Antwort auf die Frage fand, wie sie dort hingekommen waren: Außerirdische Besucher aus dem Weltall muss-ten sie geschaffen haben.

Den Polynesiern der Insel jedenfalls traute Däniken eine solche Leistung nicht zu. Auch der norwegische Entdecker Thor Heyerdahl hielt sie für das Werk von Fremden, vermutlich einer südamerikanischen Hochkultur.

Die Statuen erregen Erstaunen, und sie stim-men nachdenklich. Schon als der niederländi-sche Seefahrer Jacob Roggeveen am Oster-sonntag 1722 nach 17-tägiger Fahrt von der chilenischen Küste durch den Pazifik seinen Fuß

auf die einsam gelegene Insel setzte, stand er vor einem Rätsel.

Um Skulpturen wie die Moai zu bauen, brauchte man Baumstämme für Schlitten, Ka-nuleitern und Hebel. Aber die Insel war unbe-waldet, der größte Baum, den Roggeveen fand, war nicht einmal drei Meter hoch. Und die Poly-nesier auf der Insel präsentierten sich als ein völlig unkultiviertes Volk mit kleinen lecken Ka-nus. Irgend etwas war hier schiefgelaufen, und zwar verdammt schief!

Tatsächlich war die Osterinsel ursprünglich bewaldet gewesen. Mit der Ankunft der Polyne-sier um 900 vor Christus begannen sie den Wald als Ressource zu nutzen. Richtigen Raubbau aber betrieben sie erst, als die rivalisierenden Häuptlinge der Insel versuchten, sich mit ihren Statuen zu übertrumpfen.

Und je schwieriger die ökonomische Lage durch den massiven Holzeinschlag wurde, umso kostbarer und gigantischer wurden die Statuen.

RICHARD DAVID PRECHT ist Philosoph. Dieser Text ist dem Buch „Die Kunst,

kein Egoist zu sein“ entnommen.

Was mag derjenige gedacht haben, der auf der Osterinsel den letzten Baum gefällt und damit den Untergang einer Kultur besiegelt hat?

VON RICHARD DAVID PRECHT

Grüße vonder Osterinsel

Themen 23

AUF DEN PUNKT GEBRACHT

Richard David Precht: Die Kunst, kein Egoist zu sein. Warum wir gerne gut sein wollen und was uns davon abhält. Goldmann 2010

Sie waren der religiöse Fetisch der herrschen-den Klasse geworden und das Statussymbol, das alle Mittel rechtfertigte.

Als die botanischen Ressourcen immer knap-per wurden, entwickelten sich die Osterinsula-ner zu Fleischessern. Sie rotteten erst die Delfi-ne vor der Küste aus, als Nächstes die Landvögel und dann die Seevögel. Am Ende ernährten sie sich fast nur noch von Ratten.

Es kam zur Hungersnot, die Kultur brach zu-sammen, die Bevölkerung schwand, zuletzt auch durch den Kannibalismus.

Erst als der letzte Baum gerodet, das letzte wilde Tier gejagt, der letzte Fisch gefangen war, so ließe sich frei nach der ominösen „Weissa-gung der Cree“ sagen, stellten die Osterinsula-ner fest, dass sie ihre Statuen nicht essen konn-ten. Voll Ingrimm stürzten sie ihre Skulpturen um, wie die Bevölkerung Bagdads das Denkmal von Saddam Hussein.

Aber es war zu spät. Neunzig Prozent der Ein-wohner waren gestorben, die Überlebenden fris-

teten ein karges Los. Wie hatte es dazu kom-men können? Und warum verhinderte niemand den sich anbahnenden Selbstmord einer gan-zen Zivilisation? Warum erkannte keiner auf der Osterinsel, dass mit dem Holzfällen ganz schnell Schluss sein musste? Und wenn er es erkannte, warum wurde er nicht gehört? „Was mag“, fragt der Evolutionsbiologe Jared

Diamond von der University of California in Los Angeles, „derjenige gedacht haben, der auf der Osterinsel den letzten Baum gefällt und damit den unaufhaltsamen Untergang einer 700 Jahre lang erfolgreichen Kultur besiegelt hat?“

Die Antwort auf diese Frage, die Diamond sich selbst gibt, ist so schlicht wie realistisch:

„Wahrscheinlich, dass Bäume schon immer ge-fällt wurden und dass es völlig normal sei, wenn auch der letzte fällt.“

Die Osterinsulaner rotteten erst die Flora aus, dann die Tiere

Der Raubbau begann, als die Häuptlinge sich mit ihren Statuen gegenseitig übertrumpfen wollten

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