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Exklusiver Auszug Für die Tonne! 04 Aug./Sept. 20 14 WEITERE THEMEN: Deutschland 7,50 BeNeLux 8,20 Schweiz sfr 14,80 Österreich 8,50 Kind & Karriere: Wie auch Vätern der Spagat gelingt Ernährung: Müssen Hunde auf Fleisch verzichten? Entwicklungshilfe: Die unheimliche Macht des Bill Gates ========================= SPECIAL: ========================= Mobilität: Autonome Fahrzeuge MISCH DICH EIN Wer sich engagiert, bringt nicht nur die Gesellschaft voran. Sondern auch sich selbst ========================= Wirtschaft. Gemeinsam. Denken. 03 Juni/Juli 2014 www.enorm-magazin.de enorm Naturkosmetik: Was steckt wirklich drin? Aufstand: Warum Spaniens Rentner Ministerien besetzen Die Lüge vom kompostierbaren Plastik ========================= ========================= WEITERE THEMEN: SPECIAL: ====================== 8 Seiten: Outdoormode – fair und grün? www.enorm-magazin.de enorm 04 Aug./Sept. 2014 Deutschland 7,50 BeNeLux 8,20 Schweiz sfr 14,80 Österreich 8,50 4 191828 907506 04 Wirtschaft. Gemeinsam. Denken. FÜR DIE TONNE! Wir lieben das Essen – und vernichten es doch tonnenweise. Warum dieser Wahnsinn kein Ende nimmt

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Kind & Karriere: Wie auch Vätern der Spagat gelingt

Ernährung: Müssen Hunde auf Fleisch verzichten?

Entwicklungshilfe: Die unheimliche Macht des Bill Gates

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SPECIAL:=========================

Mobilität:Autonome Fahrzeuge

MISCH DICH EINWer sich engagiert, bringt nicht nur die

Gesellschaft voran. Sondern auch sich selbst

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Wirtschaft. Gemeinsam. Denken.

03Juni/Juli

2014

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Naturkosmetik: Was steckt wirklich drin?

Aufstand: Warum Spaniens Rentner Ministerien besetzen

Die Lüge vomkompostierbaren Plastik

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WEITERE THEMEN:

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8 Seiten:Outdoormode – fair und grün?

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Aug./Sept. 2014

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Wirtschaft. Gemeinsam. Denken.

FÜR DIE

TONNE!

Wir lieben das Essen – und vernichten es doch tonnenweise. Warum dieser

Wahnsinn kein Ende nimmt

Jedes Jahr werden Millionen Tonnen Nahrung weggeworfen. Eine Suche nach den Gründen auf Äckern, in Supermärkten, bei den Produzenten – und privat zu Hause

TEXT Dorit Kowitz FOTOS Manuel Krug

FÜR DIE

TONNE !

Seite 16Titelgeschichte

Samstag, Wochenendhaus, Brandenburg. Im Müll landen: zwei Packungen Hot-Dog-Bröt-chen, Fehlkauf, 500 Gramm. Ein Kilogramm Kartoffeln, Drillinge, die keimen. Ein halber Liter fettarme Milch, offen seit drei Wochen,

genau wie der halbe Liter Bio-Apfelsaft. Etwa 600 Gramm Gulaschsuppe, Überbleibsel einer Party, zum Glück im Kühlschrank. Zwei Äpfel, faul, 280 Gramm. Eine Bio- Zitrone, Schimmel, 80 Gramm. Circa 90 Gramm alte But-ter. Ein halber Camembert, 75 Gramm.

Das fängt ja gut an.

Und es ist leider nicht überraschend. Zwei Erwach-sene, zwei Kinder, zwei Haushalte. Und immer was zu essen im Haus. Nein, ehrlich sein: immer reich-lich zu essen im Haus. Wir, als Familie eine der klei-nen Zellen der Gesellschaft, leben, was Lebensmittel angeht, auf großem Fuß. Wir kaufen viel ein und wer-fen viel weg. Damit sind wir leider keine Ausnahme, sondern typisch und Teil eines mächtigen Main-streams, der in die falsche Richtung fließt.

Im Schnitt wirft jeder Deut-sche pro Jahr 82 Kilogramm Essen weg. In Europa sind es geschätzte 89 Millionen Ton-nen. Und auf der ganzen Welt angeblich ein Drittel der pro-duzierten Nahrung, satte 1,3 Milliarden Tonnen.

Superlative haben schnell etwas Abstraktes. Wird man mit ihnen zugeschüttet, be-rühren sie so wenig wie die Vorworte vieler Studien zum Thema Lebensmittelmüll. Während der Westen ver-schwendet, mahnen darin die Wissenschaftler stets streng, hungert der Rest der Welt. Das ist ein Zu-sammenhang, der schon im Kindergarten nicht gezogen hat: Iss auf, denk’ an die armen Kin-der in Afrika! Heute sa-gen Aktivisten: Allein von einem Viertel aller

in den Indus-triestaaten weggeworfenen Nah-rungsmittel könnte man eine Milliarde Hungernde ernähren. Das ist sicher nicht falsch. Es erfüllt nur offensichtlich nicht seinen Zweck – der Westen verschwendet einfach weiter.

In Großbritannien hantieren sie geschickter mit den Zahlen. Das britische Umweltinstitut Wrap er-

klärte 2011: Mit den immerhin 1,1 Millionen Ton-nen Lebensmittelmüll, die man dank groß angelegter Kampagnen zwischen 2007 und 2011 vermieden habe, könnte man „das Londoner Wembleystadion füllen bis zum Rand“. Das ist beeindruckend.

Vielleicht hilft es beim Einstieg in den Ausstieg aus der Wegwerfkultur, ein paar Tage lang den Biss ins eigene Gewissen zu dokumentieren. Warum nicht einmal messen, was in einer Woche zusammen kommt, zu Hause, und in einem Restaurant?

Man bittet die Chefköchin seiner Stammkneipe, ei-nes großen Leipziger Cafés, eine Woche lang die Es-sensreste zu wiegen, die bei der Zubereitung, vor al-lem aber von den Tellern der Gäste in die Tonne wandern. Sie sagt, sie bestelle schon lange vorsichtig und in den Kühlschränken bleibe selten etwas übrig. Mit dem Abwiegen beginnt sie an einem Sonntag. Da gibt es von 9 bis 15 Uhr ein Buffet. Und weil bei Buf-fets die Augen stets größer sind als der Mund, bleibt auch besonders viel Abfall zurück: 76,6 Kilogramm.

Die Europäer haben sich Großes vorgenommen. Die EU-Kommission will ihre Mitgliedstaaten über eine Änderung der Abfallrahmenrichtlinie unter an-derem dazu verpflichten, ihren Lebensmittelmüll bis zum Jahr 2025 um mindestens 30 Prozent zu redu-zieren. Stimmen die Regierungen und das Europäi-sche Parlament zu, wäre das die erste rechtliche Ver-pflichtung dieser Art. Ein grundlegendes Problem ist allerdings, dass die Staaten noch nicht einmal genau wissen, wie hoch ihre Müllberge eigentlich sind und wer in der Kette der Ver-schwender

– von

SCHÖNHEIT & VERFALLFür seine Arbeit an dieser Geschichte hat sich der Fotograf Manuel Krug an Harmen Steen-wijcks (ca. 1612-56) Gemälde „Stillleben mit Steinkrug und Hase“ orientiert. Wie viele Maler des 17. Jahrhunderts setzte sich der Niederländer kritisch mit dem Leben und der Vergänglichkeit auseinander, kombinierte Motive der Schönheit und des Verfalls. Die von Manuel Krug inszenier-ten Lebensmittel stammen alle von der Berliner Tafel – sie wären sonst im Müll gelandet.

Seite 18Titelgeschichte

politiker – jeder kann die Zahlen hernehmen und mit dem Finger auf die Gruppe zeigen, die man als Ver-schwender ausmachen will. Ausgerechnet das Land-wirtschaftsministerium hat in seiner Studie von 2012 die Verluste der Landwirtschaft einfach weggelassen. Mengenangaben, fürchtete man anscheinend, hätten als Schuldzuweisung an die Bauern interpretiert wer-den können.

FRÜCHTE MÜSSEN MAKELLOS SEIN Dabei gibt es Zahlen dazu. Für Europa hat die Welt-

ernährungsorganisation FAO errechnet, dass 3,8 Pro-zent des Fleisches, 4 Prozent der Milch, 6 Prozent des Getreides, 9,9 Prozent der Fische und Meeres-früchte, 11 Prozent der Ölsaaten und Hülsenfrüchte, 25 Prozent der Früchte und Gemüse und sogar 29 Prozent der Wurzeln und Knollen direkt bei den Bau-ern und Fischern verloren gehen.

Die Frage ist nun, ob das vermeidbar wäre. Also auf zu den Knollen.Ein Feld bei Seevetal, vor den Toren Hamburgs. Es

riecht nach Kohl. Die Abendsonne brennt 25 Rumä-nen auf die Rücken. Sie stehen hinter und auf einer zwölf Meter breiten Ernteanlage der Behr AG, einem der größten deutschen Gemüseproduzenten und Lie-feranten des Lebensmitteleinzelhandels. Hinter der Maschine ziehen Männer Kohlrabis aus der Erde, ha-cken ihnen die Wurzeln und einen Teil der Blätter ab. Ein Förderband transportiert das Gemüse dann eine Ebene höher, wo Frauen grüne Plastikstiegen vollpacken, die gleich dahinter in einen LKW-Anhän-ger gestapelt werden, den ein Traktor langsam vor-wärts zieht.

5500 Stiegen passen in einen Laster. In jede davon kommen 20 Kohlrabis. Es haut immer hin. Denn un-ten ziehen die Männer nur etwa gleich große, makel-lose Früchte aus der Erde, mindestens neun Zenti-meter Durchmesser, glatte pastellgrüne Außenhaut, tiefgrünes Laub.

Es dauert ein paar Augenblicke, ehe man begreift, dass man auf dem abgeernteten Teil des Feldes steht. Denn auch hier liegt noch alles voller Kohlrabis. Im Schnitt fünf oder sechs, einmal sogar elf Stück sind es pro Quadratmeter. Alles Ausschuss.

Für Heiner Sievers, Betriebsleiter bei der Behr AG, ist das kein beunruhigender Anblick, sondern ein all-täglicher. Mindestens 70 Prozent der Früchte, eher aber 80 würden hier vom Feld geholt, schätzt er. Eine gute Quote. Die Erträge aus dem Verkauf werden für einen Gewinn reichen. Was auf dem Feld bleibe, sagt Sievers, sei für den Verkauf deutlich zu klein, habe Risse, Hagelschäden, Verwachsungen oder einen Ma-kel in der Außenhaut, verursacht vom Rapsglanzkä-

fer zu Beginn des Reifeprozesses. Er zeigt so eine Stelle, und man erinnert sich dunkel, dass das vor Jahrzehnten ein üblicher Anblick war.

Heute ist jede Schrunde Kassengift. „Das würde die Kundin im Supermarkt liegen lassen“, sagt Sievers emotionslos. Außerdem: Was nicht gut genug ist, re-klamiert der Handel sowieso. Weil er weder „die Kun-din“ noch die Händler verärgern will, lässt er die Früchte mit Makel darum auf dem Feld. Hier, quasi an der Wurzel, sind sie am billigsten zu entsorgen.

Würden die Mitarbeiter der Behr AG die zweitklas-sigen Kohlrabis doch ernten, müssten sie die Früchte gleich auf dem Feld in eine extra Charge packen und etikettieren, sie anders verladen, sie – Wochen im Voraus – mit möglichst konkreten Mengenangaben zu niedrigeren Preisen an den Einzelhandel vermark-ten. Doch selbst wenn es Interesse an solcher Ware gäbe (sie sind sich hier sicher, das dem nicht so ist), warnt Rudolf Behr, Sievers’ Chef: „Es rechnet sich einfach nicht, da wir so sorgfältig arbeiten, dass nur eine geringe Menge an B-Ware anfällt.“

Behr ist Herr über 4000 Hektar Gemüseäcker in Niedersachsen, Mecklenburg und Spanien. 300 Fest-angestellte hat er, 1200 Arbeitskräfte aus Osteuropa ernten in der Saison für den Deutschen. Die zusätz-liche Logistik und Arbeitskraft für mangelhafte Ware, so erklärt der 63-Jährige, würde die knappen Margen, die im Handel mit Gemüse und Obst wie Börsenwerte steigen und fallen, auffressen. „Wir rechnen hier mit Stellen hinterm Komma, es geht um halbe Cents pro Kilogramm.“

Darum wird, was liegenbleibt, ein paar Tage an der Sonne trocknen, dann auf dem Feld zerkleinert und unter-gepflügt. Nach ein paar Wochen Re-generation kommt die Saat einer an-deren Art in den Boden.

Rudolf Behrs Gemüse geht an die Supermärkte und Discounter im gan-zen Land, in 50 LKW täglich. Er kann unter anderem Möhren und Zucchini, Broccoli und als erster Deutscher auch Mini-Pak-Choi anbieten. Bekannt aber ist Behr für seinen Salat. Er baut so ziemlich alle Sorten an, Bio und Nicht-Bio. Als Marktführer produziert er also jenes Gewächs, das die Verbrau-cher neben Kartoffeln am häufigsten in die Tonne kloppen – denn da lan-det jeder zweite gekaufte Salat.

Dagegen sind die Verluste, die gleich auf dem Feld entstehen, mit 20 Pro-

25 %Großbäckereien stampfen täglich bis zu einem Viertel ihrer Ware ein

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WIE VERMEIDET MAN MÜLL?

Dass so viel Essen im Abfall landet, liegt auch an unserem Lebensstil. Die Zahl der Singles steigt, und die gehen gerne mal spontan essen, anstatt ihren Kühlschrank leerzukochen. In Familien ist oft nicht mehr einer alleine fürs Einkaufen und Kochen zuständig, was dazu führt, dass der Überblick fehlt. Ein paar Grundregeln können helfen:

• Regelmäßig nachsehen: Was ist da und was muss verwertet werden?

• Keine allzu großen Vorräte anlegen. XXL-Packungen meiden. Nach Re-zept kochen, dann stimmt die Menge.

• Lebensmittel richtig lagern. Zuviel Gekochtes einfrieren oder Mitesser suchen. Reste kreativ verwerten.

Mehr Informationen unter: www.zugutfuerdietonne.de

Seite 21Titelgeschichte

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Mehr dazu imneuen Heft 4 / 2014

11 MIO. TONNENSo viele Lebensmittel werfen allein die

Deutschen jedes Jahr in den Müll

nti-Aging-Straffungskur. Fal-tenfüller. Mousse Make-up. Men Active Aftershave Lo-tion. Sunless Bronze Selbst-bräunungslotion. Body Con-

touring Anti-Cellulite Gel. All die schicken Namen lassen an die Hightechprodukte großer Kosmetikkonzerne denken. Aber die Tiegelchen und Tübchen stehen in ei-nem Drogerieregal mit der Aufschrift „Na-tur-Shop“. Calendula-Creme und Oliven-ölseife, das war gestern. Grüne Kosmetik

bietet heute sehr vieles von dem, was die konventionelle Konkurrenz auch herstellt.

Grüne Kosmetik ist angesagt. Sie ist „der Motor des gesamten Kosmetikmarktes“, so Elfriede Dambacher, die vierteljährlich den Naturkosmetik Branchenmonitor heraus-gibt. 920 Millionen Euro Umsatz erzielte der Wirtschaftszweig hierzulande im ver-gangenen Jahr und wuchs damit um sieben Prozent. „Vor allem die Aspekte Natürlich-keit, Nachhaltigkeit und Gesundheit spie-len bei den Kunden eine wichtige Rolle“, so

Grüne Kosmetik boomt. Doch wo Natur draufsteht, muss noch lange keine drinstecken. Was ist verboten, was erlaubt? Welche Siegel gibt es, wer steht hinter ihnen? Und: Wirkt das Ganze

überhaupt? Antworten auf die wichtigsten Fragen

TEXT Heike Littger ILLUSTRATION Nina Eggemann

Natur in kleinen Dosen

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Seite 82Verbraucher

bei Algen, die in Symbiose mit Steinkoral-len leben, zu Virusinfektionen. In der Folge bleichen die Korallen aus und sterben ab.

In einigen Touristengebieten, zum Beispiel in Mexiko, sind herkömmliche Sonnenlo-tionen bereits verboten. Umweltrelevant ist auch der Einsatz von Palmöl. Nicht alle Hersteller von Naturkosmetik beziehen es aus einer Ökoanpflanzung.

GIBT ES AUCH NACHTEILE?

Wasserfeste oder langhaftende Wimpern-tusche ist im Naturkosmetiksortiment ge-nauso wenig zu finden wie knallige Lip-penstifte oder Sonnencremes mit einem

Lichtschutzfaktor jenseits der 20. Darü-ber hinaus schäumen die grünen Sham-poos und Duschgele kaum, Haarsprays lassen sich – weil sie ohne Treibgas aus-kommen – nicht so fein verteilen. Auch Puder ohne Silikone halten schlechter als die herkömmlichen. Bei den Haarfärbe-mitteln ist das Farbspektrum überschau-bar, heller färben ist nicht möglich. Auch graue Haare verschwinden nicht gänzlich.

WIE IST DIE WIRKUNG?

Gerade wenn es um Anti-Aging geht, he-gen Verbraucher oft Zweifel, ob die kon-ventionelle Kosmetik mit ihren hochpreisi-gen Hightechseren nicht doch die besseren Faltenkiller hat. Werner Voss winkt ab. In seinem Labor Dermatest in Münster un-tersucht der Dermatologe jedes Jahr an

die 3000 Produkte. Sein Fazit: „Der Alte-rungsprozess lässt sich mit keinem Mit-telchen, das man von außen auf die Haut aufträgt, aufhalten.“

Wie knitterig jemand aussieht, hängt zu 90 Prozent von seinen Genen ab, zu 10 Pro-zent von der Ernährung, davon, ob man raucht, Alkohol trinkt, sich in die Sonne knallt. Es ist eigentlich nur möglich, der Haut Feuchtigkeit zuzuführen, dann sieht

sie praller aus. Doch das kann laut Voss jedes solide Gemisch aus Fett und Was-ser – die Grundlage einer jeden Creme. Es scheint also egal zu sein, ob man zur herkömmlichen Creme mit Silikonöl als Fettkomponente greift oder der natürli-chen mit Pflanzenöl.

WIE STEHT ES UM TIERVERSUCHE?

Alle Richtlinien zur Zertifizierung von Natur- und Biokosmetik verbieten Tierver-suche. Doch Hersteller, die nach China ex-portieren, müssen damit rechnen, dass ihre Produkte vor Ort an Tieren getestet wer-den. Die meisten von ihnen meiden des-wegen diesen Markt von jeher – oder ha-ben sich zurückgezogen, nachdem Medien darüber berichteten. Wer als Verbraucher ganz sicher gehen will: Die Peta-Home-page Kosmetik-ohne-Tierversuche.de lis-tet alle Unternehmen auf, die dem Tier-

schutzverein schriftlich versichert haben, weltweit keine Versuche durchzuführen oder in Auftrag zu geben. /

BDIH

Gegründet 2001 vom Verband Deutscher Indus-trie- und Handelsunternehmen für Arzneimittel und kosmetische Mittel (BDIH). Zertifiziert rund 8200 Produkte. 15 ausgewählte Pflan-zen, etwa Olive, müssen bei jedem Produkt aus kontrolliert biologischem Anbau stammen. Einmal im Jahr Prozess- und Produktkontrolle bei den Herstellern. Die europäische Version, Cosmos, ist in einigem strenger, in anderem laxer. Ein Fortschritt: Cosmos schließt sich den Kriterien des Konzepts der Green Chemistry an und verbietet toxische Lösungsmittel in der Herstellung. www.ionc.de

NATRUE

Gegründet 2007 vom gleichnamigen Non-Profit-Verband. Zertifiziert fast 3900 Produkte. Unterscheidet zwischen Naturkosmetik, Na-turkosmetik mit Bioanteil und Bio-Kosmetik. Früher wurde die Zertifizierungsstufe mit einem, zwei und drei Sternchen auf der Packung ange-geben, heute ist sie nur noch per Handy über einen QR-Code zu erfahren. Vorgeschrieben ist eine 75%-Regel: Um das Siegel für ein Produkt zu erhalten, müssen mindestens drei Viertel der Produktlinie dem Standard genügen. Alle zwei Jahre Prozess- und Produktkontrolle bei den Herstellern. Verboten: Nano-Eisenpuder, petrochemische Rohstoffe. www.natrue.org

In der Naturkosmetik gibt es eine Fülle von Siegeln. Und jedes beantwortet die Frage „Was darf rein und was nicht?“ un-terschiedlich. Die größten Siegel sind BDIH und NATRUE. Der Verband BDIH hat ge-rade ein europäisches Siegel erarbeitet. Die Umstellungsphase läuft bis 2017

Frischbesiegelt

Seite 84Verbraucher

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Mehr dazu imneuen Heft 4 / 2014

Dambacher. Die meisten Produkte werden dabei nicht in Bioläden, sondern Droge-riemärkten gekauft. Bei Müller etwa prä-sentieren, gleich neben den Fläschchen von Dior und Yves St. Laurent, rund 40 verschiedene grüne Hersteller ihr Sorti-ment. Unter ihnen sind längst nicht mehr nur Pioniere der Naturkosmetik wie Dr. Hauschka oder Weleda, sondern auch neue, trendige Marken. Doch die Vielfalt macht den Durchblick nicht leichter.

IST NATUR GLEICH NATUR?

Studiert man die INCI-Listen (Internati-onal Nomenclature Cosmetic Ingredients) merkt man schnell, dass zwischen der Ro-sencreme von Dr. Hauschka und der Anti-Aging Cream von Korres, einer der Trend-marken, Welten liegen. Die erste besteht hauptsächlich aus biologischem Aprikosen-kernöl, die zweite aus einem chemischen Feuchthaltemittel. Beide dürfen trotzdem unter dem Begriff „Natur“ verkauft werden. Das liegt zum einen daran, dass der Begriff Naturkosmetik weder klar definiert noch gesetzlich geregelt ist. Zum anderen trägt dazu bei, dass die Branche unterteilt wird in Naturkosmetik und naturnahe Kosme-tik. Unter dem Begriff naturnah versam-meln sich Marken, von denen ein Teil recht nah dran ist an echter Naturkosmetik, der andere Teil jedoch hat fast mehr mit kon-ventioneller Kosmetik gemein.

WORAN ERKENNT MAN ECHTE NATURKOSMETIK?

„Am einfachsten am Siegel“, sagt Rita Stiens, Autorin des Buches „Die Wahr-heit über Kosmetik“. Doch Siegel gibt es leider nicht nur eines. Bei allen zertifi-zierten Produkten kann man aber davon ausgehen, dass die verwendeten Substan-zen ursprünglich aus der Natur kommen.

Das heißt: Öle, Fette und Wachse sowie Duft- und Farbstoffe dürfen mit wenigen Ausnahmen nur aus pflanzlichen, minera-lischen und – mit Einschränkung – tieri-schen Rohstoffen hergestellt werden. Pa-raffine oder Silikone sowie synthetische Duft- und Farbstoffe sind tabu. Ebenso ra-dioaktive Bestrahlung und Tierversuche.

Doch danach hört es schnell auf mit den Gemeinsamkeiten. Wie viel Prozent der In-haltsstoffe müssen aus kontrolliert biolo-gischem Anbau stammen? Darf Wasser in die Bio-Kalkulation mit einbezogen wer-den? Und auch: Wieviel chemisch verän-derte Natur darf eingesetzt werden? Etwa bei den Esterölen: Dafür werden Naturöle chemisch in einzelne Fettsäuren gespalten und beispielsweise mit Fettalkoholen ver-bunden. Untergemischt entstehen so weiche Texturen, die schnell in die Haut einziehen und bei den Verbrauchern angeblich bes-ser ankommen. Bei dem Siegel Natrue ist der Einsatz von naturnahen Stoffen wie Es-

terölen begrenzt, bei anderen Labeln jedoch nicht. Hinzu kommt: Standards legen nur Mindestkriterien fest. Ob ein Kosme-tikhersteller sie ge-rade so erfüllt oder weit darüber hin-ausgeht, ist für den Verbraucher nicht leicht ersichtlich.

IST NATURKOS-METIK GESÜN-

DER?

Die herkömm-liche Kosmetikin-dustrie setzt unter anderem hormonell wirksame Stoffe ein, die mit allerlei Nebenwirkun-

gen, ja sogar Krankheiten in Verbindung gebracht werden. Sie sollen zum Beispiel an der Zunahme von Brust- und Hoden-krebs Schuld sein. Oder an der Tatsache, dass Mädchen immer früher in die Pu-bertät rutschen und Jungs nicht mehr so viele Spermien produzieren. Eigentlich

sind diese hormonell wirksamen Stoffe in der zugelassenen Dosierung unbedenk-lich. Doch Kritiker weisen darauf hin, dass Verbraucher ja nicht nur ein Produkt ver-wenden, sondern viele. „Und das summiert sich“, sagt Ann-Katrin

Sporkmann vom BUND. Hinzu kommen hochreaktive Stoffe wie Azo-Farbstoffe, Formaldehydabspalter oder die Antioxidan-tien BHT und BHA. Wie reagieren sol-che Substanzen in der Gesichtscreme mit

denen in anderen Kosmetik-

p r o -

Seite 83Verbraucher

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AUFSTAND DER ALTEN

Zur Zeit der Franco-Diktatur in Spanien gingen sie in den Untergrund. Heute sind die Kämpfer von

einst im Rentenalter. Und rebellieren erneut – für eine bessere Zukunft ihrer Kinder und Enkel

TEXT Jana Gioia Baurmann FOTO Mariano Herrera

lfonso Romero Clavel kön nte es sich jetzt gemütlich ma-chen. Er könnte sich auf sein blaues Sofa mit Schonbezug setzen, unter die gerahmten

Familienfotos, und den ganzen Tag fern-sehen und Kreuzworträtsel lösen. Oder er könnte stundenlang mit den beiden En-keln durch den Zoo von Barcelona spazie-ren. „Die Politiker hätten gerne, dass wir Boule spielen und Kaffee trinken“, sagt der 63-jährige Rentner, graue Haare, grauer Bart. „Aber darauf haben wir keine Lust.“ Wir, damit meint er die Iaioflautas, denen er sich vor zwei Jahren angeschlossen hat. Eine Gruppe Spanier, alle über 60, die dage-gen aufbegehrt, dass ihre Kinder und Kin-deskinder im eigenen Land keine Zukunft haben. Auf dem blauen Sofa unter den Fa-milienfotos plant Romero Clavel zusam-men mit den anderen den Protest.

Es ist Nachmittag, Romero Clavel war-tet auf einen Mitstreiter. Im Fernsehen berichtet ein Nachrichtensprecher von Demonstrationen am Abend zuvor, von brennenden Autos und eingeschlagenen Fensterscheiben.

Spaniens Wirtschaft zählte bis vor kur-zem zu den bedeutendsten der Welt, der Staatshaushalt erzielte Überschüsse, die Arbeitslosenquote lag bei 8,2 Prozent. Kre-dite wurden großzügig vergeben, jährlich

rund 700 000 Häuser gebaut. Das änderte sich, als die Immobilienblase platzte. Im vergangenen Jahr erreichte die Arbeitslo-senquote ihre vorläufige Spitze: Mehr als jeder vierte Spanier war ohne Job.

Die Medien berichteten von einer Frau, die aus dem Fenster gesprungen war, weil sie ihre Schulden nicht mehr bezahlen konnte. Ein 57-Jähriger zündete sich aus Verzweiflung selbst an; er hatte nicht ge-nug Geld, um Lebensmittel zu kaufen.

Es gibt Fälle, in denen Großeltern aus den Altenheimen zurück nach Hause ge-holt werden – weil ihre Rente das einzige Einkommen der Familie ist.

In Spanien galt wie in allen Industrie-ländern bis zum Ausbruch der Finanzkrise: Jeder Generation geht es besser als der vor-herigen. Inzwischen ist das zur Ausnahme geworden. Nach Angaben des Nationalen Statistikinstituts hatten im zweiten Quar-tal dieses Jahres mehr als 53 Prozent der Spanier unter 25 keine Arbeit. Zum Ver-gleich: In Deutschland waren es 7,9 Pro-zent. Die Krise hat eine ganze Generation zu Verlorenen gemacht. Generation ni-ni wird sie genannt, Generation Weder-Noch

– weder Ausbildung, noch Job. Romero Clavels Tochter hatte Glück, sie

hat eine Arbeit im Krankenhaus, sogar in Barcelona. Die Enkel sieht der Großvater regelmäßig, er ist froh darüber. Aber die

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Seite 70Politik & Gesellschaft

Geglückter Coup: Romero Clavel hält vor dem Rathaus Barcelonas eine Rede

„Gerechtigkeit! Yes, we can!“ schreit sie ins Megafon.

Währenddessen, aber das weiß bis auf ein paar Eingeweihte keiner, sind Romero Clavel und Celestino Sánchez schon fast im Rathaus. Die Gebäude, die besetzt werden sollen, sind immer streng geheim. Namen werden ausschließlich mündlich geteilt, niemals per E-Mail oder über WhatsApp. Das Treffen auf der Plaza de la Catedral ist nur eine Ablenkung für die Polizei. Die Ia-ioflautas sind nicht mehr schnell und stark, der Erfolg einer Aktion steht und fällt mit der Planung. Wen sie früher überrannten, den müssen sie heute überlisten.

Um 10:57 Uhr twittert Romero Clavel: „Wir sind drin.“ Zusätzlich schickt er drei verwackelte Fotos aus der Vorhalle des Rat-hauses hinterher.

Die neongelben Warnwesten setzen sich in Bewegung. Ein Fernsehteam begleitet die Truppe, ein Radiojournalist hält sein

Mikro in das Gewirr aus Trillerpfeifen, Schlachtrufen und Gesängen. Der Zug bewegt sich an der Kathedrale vorbei und durch enge Gassen.

Darunter auch ein kleiner Mann, der alle drei Sekunden hustet. Dass er jetzt hier ist, findet seine Frau nicht gut. „Sie hat kei-nen Biss“, knurrt er, und: „Wer kämpft, kann verlieren, aber wer nicht kämpft, hat schon verloren.“ Um den Hals trägt er ein Schild. Auf Englisch steht darauf, wer die Iaioflautas sind und wofür sie kämp-fen. „Die Touristen glauben oft, wir seien eine Reisegruppe oder hier, um den Müll wegzuräumen“, sagt er, schüttelt den Kopf, dann muss er wieder husten.

Ein Rentnerpaar aus Washington fragt, was diese Leute mit den neongelben Wes-ten hier machen. In brüchigem Englisch erklären es ein paar Iaioflautas und bekom-men als Antwort: „Den jungen Leuten bei uns geht es auch schlecht.“

Gesundheit? Es gibt Wichtigeres. Der Arzt hat Cabañero das Demonstrieren eigentlich verboten

Einfache Mittel: mit Warnwesten und Tröten gegen den Kapitalismus

Vor dem Eingang des Rathauses haben sich zwei Polizisten postiert. Als immer mehr alte Menschen in Warnwesten bei ihnen stehen bleiben und ihre Stimme er-heben, ziehen sie ein Absperrband. Bann-meile, ungefähr drei Meter.

Drei grauhaarige Demonstrantinnen steigen trotzdem darüber, weil dahinter mehr Platz ist und sie die Aktion für Twit-ter fotografieren wollen. Ein Polizist, der ihr Enkel sein könnte, kommt zu ihnen. Er lächelt nervös, sagt freundlich, dass sie hier nicht stehen dürften. Unschuldig hal-ten die alten Damen ihre Kameras hoch – sie wollen doch nur Fotos machen! Dem Mann steht die Hilflosigkeit ins Gesicht ge-schrieben; jüngere Demonstranten hätte er wahrscheinlich angeschrien.

Dann kommen Romero Clavel, Sánchez und ein paar andere plötzlich aus dem In-neren des Rathauses. Die Alten jenseits des Absperrbandes schreien noch lauter, Ro-mero Clavel übernimmt das Megafon und verliest ein Manifest: Der öffentliche Nah-verkehr sei zu teuer geworden. Zu teuer für diejenigen, die eh schon wenig haben.

„Bravo!“, rufen die in der ersten Reihe. Wei-ter hinten verstehen ihn einige trotz Mega-fon nicht. „Lauter, lauter“, rufen sie.

Schließlich laufen sie gemeinsam weiter, Ziel ist die Plaza Catalunya, wo ein Hoch-haus der Banco de España in den Himmel ragt. Ein Prestigebau und ein Symbol des Kapitalismus. Davor schreit Romero Cla-vel wieder ins Megafon: „Gleichheit für alle!“, zusammen singen die Iaioflautas ein Arbeiterlied.

Nach eineinhalb Stunden ist alles vorbei. Romero Clavel packt wie die anderen seine Warnweste und die Kappe in den Turnbeu-tel. Was bleibt: eine beige Rentnerjacke. Er sieht aus, als käme er gerade vom Boule-spiel. Ein Mann im Ruhestand. /

NO ZUM ABBAU VON ARBEITSSTELLEN

Seite 74Politik & Gesellschaft

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Mehr dazu imneuen Heft 4 / 2014

Bedingungen, unter denen seine Tochter arbeiten muss, machen ihn wütend. „Sie arbeitet mehr für weniger Geld“, sagt er,

„das kann doch nicht sein.“ Die Tochter kann nur davon träumen,

wie sicher und konstant der Vater sein be-rufliches Leben verbrachte: Mit 14 begann Romero Clavel eine Ausbildung in einer Bank und arbeitete anschließend 20 Jahre lang als Bankangestellter. Dann verlegte er fast drei Jahrzehnte Heizungsrohre, instal-lierte Klimaanlagen und baute Schwimm-bäder. 2011 traf die Wucht der Krise auch Romero Clavel und machte ihn zum Vor-ruheständler.

Auf den Straßen versammelten sich da-mals die Indignados, die Empörten. 15-M nannte man ihre Bewegung, weil sie am 15. Mai 2011 die Puerta del Sol in Madrid besetzten. Es waren vor allem junge Spa-nier, und sie protestierten friedlich. Trotz-dem schimpfte die Präsidentin der Region Madrid, Esperanza Aguirre: „Perroflautas!“,

die mit Hunden und Flöten, also Penner. Es dauerte nicht lange, und die Eltern und Großeltern der Jungen demonst-rierten mit. Ein paar Monate später drohte der Protest einzuschlafen. Doch das wollten die Älteren nicht einfach so hinnehmen.

Ende 2011 trafen sich acht Rentner in Barcelona im Chi-narestaurant „La Muralla“. Bei Schweinefleisch süß-sauer be-schlossen sie, den Protest als Ia-ioflautas weiterzuführen. Iaio ist Katalanisch für Großvater. Die „Großväter mit Flöte“ se-hen sich als die Kinder von 15-M, auch wenn sie viel älter sind.

Seit dem Abend beim Chinesen haben sich der Bewegung landes-weit inzwischen weit über tausend Alte angeschlossen, unter anderem in Sevilla, Madrid, Valencia und auf Mallorca. Sie haben Banken besetzt und

Früher Flugblätter, heute Twitter: Romero Clavel und Rosario Cunillera kämpften schon gegen die Franco-Diktatur

Seite 72Politik & Gesellschaft

Grün ist bei Plastiktüten nur die Farbe

Falsches steht da nicht direkt. Es ist der Kreislauf der Elemente, den der Verbund kompostierba-rer Produkte e.V. auf seiner Inter-netseite zeigt. Es geht um Erde,

Humus, Wasser, Luft. Grüne Ranken und Biotonnen sind zu sehen, und Nährstoffe beschrieben, die der Dung an die Natur zu-rückgibt. Einzig überraschend ist, wer da-hinter steht: Die Verbundsmitglieder sind alle aus der Plastikbranche. Chemieunter-nehmen wie BASF, die Granulat herstellen, Folienfabrikanten, die daraus Tüten gießen oder Gefrierbeutel machen. Das Bild, das sie und zunehmend andere Unternehmen zeichnen, ist verlockend: Plastik könne grün sein. Nutzbar ohne schlechtes Gewissen, weil es verrottet wie altes Laub.

Plastik ist nicht wegzudenken aus unse-rem Alltag. Wenn das Leben immer schnel-ler wird und Wegwerfen praktischer als Wiederverwerten, gehören Einkaufstüten, Partybesteck und To-go-Verpackungen meist dazu. Ohne Einwegprodukte müss-ten wir die Geschwindigkeit drosseln und eingespieltes Verhalten ändern, ohne Foli-enverpackung den gesamten Konsum um-stellen. Plastik kann auch Ressourcen spa-ren: Es ist ein robustes, leichtes Material, das lange lebt und sich spritsparend trans-portieren lässt. Doch es ist verpönt, spätes-tens seit Greenpeace es kilogrammweise aus den Mägen toter Meerestiere holt und Forscher an den Stränden der Erde kaum noch Sand finden, in dem keine Partikel davon sind – eben weil es so lange hält.

Bio-Plastik ist da wie eine Verheißung. Bio klingt nach Natur und das beschert

den Herstellern Erfolg. Rund 604 000 Ton-nen bioabbaubaren Kunststoff produzierte die Branche weltweit nach eigenen Anga-ben im Jahr 2012. Für Tüten, für Joghurt-becher, Kaffeekapseln, Computertasta-turen, Turnschuhe oder Plastikflaschen. Fußballvereine wie Bayern München oder der VfL Wolfsburg schenken als CSR-Maß-

nahme in ihren Stadien Getränke hinein. Aldi und Rewe ließen ihre Kunden die Einkäufe darin einpacken. „100 Prozent kompostier-bar“ oder „Zeig der Umwelt ein Lächeln“ schrieben sie auf die Tüten und verlang-ten 39 Cent dafür. Viel erhofft sich die Branche auch von den Folienbeuteln für Bioabfälle, einem ganz neuen Absatzmarkt.

Passend dazu schreibt der Verbund kompostierba-rer Produkte auf seiner Inter-

netseite: „Alles wie immer – nur besser.“ Niemand muss etwas ändern, sogar Pro-duktionsmaschinen und -abläufe können gleich bleiben, es entstehen einfach nur keine unangenehmen Folgen. Zu erken-nen für den Verbraucher sind die Produkte an einem aufgedruckten grünen Keim-ling, dem in Deutschland am weitesten verbreiteten Siegel für Kompostierbarkeit. Für die nächsten fünf Jahre erwartet die Branche ein Wachstum von 60 Prozent.

Der Haken: In der Realität wird hierzu-lande aus Plastik kein Kompost. Oder, wie

Hans Demanowski, Professor

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Das Kompost-Komplott

Die Industrie feiert biologisch abbaubare Kunststoffe als Mittel gegen Plastikmüll.

Die Realität ist eine ganz andere

TEXT Katrin Zeug

„Woher soll ein Joghurt-becher wissen, ob er im Supermarkt oder auf dem Kompost liegt und ab wann er zerfallen

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cker das Material, desto länger dauert der Prozess. Übrig bleiben am Ende, abgese-hen von den Mikroben: CO2

und Wasser. So viel zur Theorie.

„Das ist total praxisfern“, sagt Thomas Fi-scher von der Deutschen Umwelthilfe. Vor zwei Jahren fragte er mit seinen Kollegen stichprobenartig bei Betreibern von Kom-postieranlagen nach, wie diese mit den als kompostierbar beworbenen Einkaufstüten von Aldi und Rewe umgehen. Nahezu alle von denen, die antworteten, gaben an, dass sie die Tüten aussortierten und zur Müll-verbrennung brächten. Die Gründe: Die durchschnittliche Rottezeit in den Anla-gen ist kürzer als für die Tüten nötig. Au-ßerdem sei bioabbaubarer Kunststoff nicht von herkömmlichem zu unterscheiden.

Auch der Verband der Humus- und Er-denwirtschaft, in dem Dutzende Anlagen-betreiber organisiert sind, spricht sich da-gegen aus, Plastik zu kompostieren. Dabei war Michael Schneider, der Geschäftsfüh-

rer, am Anfang zumindest von den dünnen Beuteln für den Biomüll ganz begeistert. Als er sie zu Hause einführte, trennte seine Fa-milie plötzlich viel lieber matschiges Obst oder feuchte Kartoffelschalen. „Nichts da-von landete mehr in der Restmülltonne, ge-nau das, was sich meine Kollegen von der Müllverwertung immer wünschen“, sagt er. Doch noch bevor seine erste Testrolle verbraucht war, hatten ihn die Anlagenbe-treiber aufgeklärt: „Es gibt unzählige Kom-

postierverfahren in Deutschland, teilweise unter Luftabschluss, um Biogas zu gewin-nen. Dafür sind die Beutel weder getestet noch geeignet“, sagt Schneider, „von Jo-ghurtbechern, Plastikgabeln oder gar Tas-taturen ganz zu schweigen.“ Auch gebe es schon jetzt, wo der Markt noch über-schaubar sei, oft keine Klarheit über die Herkunft und Zusammensetzung der ver-wendeten Folien. In den Anlagen aber be-stehe im Alltagsgeschäft keine Chance, zu erkennen, woraus die einzelnen Kunststoffe wirklich sind. „Meine Kollegen verzichten lieber auf das Mehr an Bioabfällen, als dass sie in Kauf nehmen, Plastikreste im End-produkt zu haben.“

Auch Bertram Kehres sieht das so. Er ist Geschäftsführer der Bundesgütegemein-schaft Kompost und zuständig dafür, die Qualität des Produktes zu sichern, das am Ende bei den Kompostieranlagen heraus-kommt – denn es landet häufig als Dünger auf dem Feld. Selbst wenn das Kompostie-ren des Plastiks funktionieren würde, sagt er, ergebe es keinen wertvollen Humus, son-dern im besten Falle nichts. Keine Nähr-stoffe, keine Spurenelemente gebe das Ma-terial frei, nur Energie, die ungenutzt bleibt. In einem Positionspapier empfiehlt Kehres die energetische Verwertung: Wenn man Plastik mit dem Restmüll verbrennt, wird dabei zumindest noch ein bisschen Ener-gie gewonnen.

Eine Studie des Umweltbundesamtes von 2012 ergab, dass in der gesamtökologischen Betrachtung biologisch abbaubare Kunst-stoffe aus nachwachsenden Rohstoffen ge-genüber denen aus fossilem Rohöl keinen Vorteil für die Umwelt haben. Ein Grund: Für herkömmliche Stoffe gibt es Verwer-tungskreisläufe. Aus recycelten PET-Fla-schen können zum Beispiel Fleece-Jacken oder Kugelschreiber werden. Bioabbauba-res Plastik aber will auch bei den Kunst-stoffrecyclern keiner. Die Sorge ist die selbe wie beim Kompost: Es könne das Endpro-dukt verunreinigen.

Bleibt die Frage, warum auf Artikeln, die nicht kompostiert werden, „kompostierbar“ draufstehen darf. Warum, wenn das, was in die Biotonne darf, schon in Deutsch-

land in jeder Kommune anderen Regeln folgt, es ein Siegel geben kann, das nicht nur hierzulande, sondern europaweit auf Verpackungen prangt.

Die Antwort zeigt, wie geschickt ver-schiedene Wirtschaftsorgane ineinander-greifen und so Glaubwürdigkeit erzeugen. Erst einmal aber ist sie ganz einfach: Je-der Hersteller darf alles auf seine Verpa-ckung schreiben, solange es keine falsche Tatsachenbehauptung ist. Und theoretisch sind die Stoffe ja kompostierbar.

Die Kriterien des Siegels besagen, dass Bioplastik unter industriellen Bedingungen nach drei Monaten zu 90 Prozent verrottet sein muss. Die Rottezeiten der Kompostier-anlagen dagegen liegen meist zwischen vier

KOMPOSTIERBAR Das bekannteste Siegel stellt einen

Keimling dar und prangt in ganz Europa auf Plastikverpackungen. Tatsächlich werden diese jedoch nicht kompostiert====================

und acht Wochen – je nachdem, welche Qualität der Kompost am Ende haben soll. Jeder Tag kostet extra. Das lohnt sich bei Küchenabfällen oder Laub meist nicht.

Das Siegel mit dem Keimling ist eine Marke von European Bioplastics. Wer es auf sein Produkt drucken möchte, sucht und bezahlt ein Labor, das testet, ob die nötigen Vorgaben erfüllt sind. Zertifizie-rungsunternehmen überprüfen die Ergeb-nisse schließlich und vergeben das Siegel.

„Herstellerunabhängig“ heißt dieses Ver-fahren. Das ist rechtlich völlig in Ordnung, auch wenn alle Beteiligten daran verdie-nen. Auf die Frage, warum die Kriterien bei der Zertifizierung nicht an die Gege-benheiten in den Kompostieranlagen ange-

passt werden, heißt es bei Bioplastics: Das Keimlingssiegel beziehe sich auf die EU-Norm für Kompostierbarkeit und sei abge-sehen davon bereits etabliert. Eine Ände-rung würde den Verbraucher verunsichern.

EU-Norm klingt schön offiziell. Auch andere Kompostsiegel für Bioplastik bezie-hen sich darauf, „OK Compost“ etwa oder

„DIN geprüft industriell kompostierbar“. Genauer ist es die Norm DIN EN 13432

– erdacht zu einem großen Teil von Ver-tretern der Plastikbranche. Wie alle Nor-men ist sie privatwirtschaftlich initiiert und verwaltet vom Verein Deutsche DIN. Wer genau die 38 Personen waren, die in den 90er-Jahren die Kriterien zur Kom-postierbarkeit in Europa festlegten, ist auf Wunsch der Beteiligten geheim. Bekannt ist lediglich, dass das Gremium weitestge-hend aus Mitarbeitern von Bioplastikpro-duzenten, Zulieferern und Forschungsein-richtungen bestand.

Anfangs war auch ein Kollege von Bert-ram Kehres von der Bundesgütegemein-schaft Kompost mit dabei. „Wir dachten, es geht nur um die dünnen Plastikbeutel für den Biomüll und wollten sicherstellen, dass die Prüfverfahren vernünftig sind“, sagt Kehres. „Aber der Wunsch der Indus-trie war es, Kriterien zu schaffen, die für sämtliche andere Verpackungen bis hin zu Kinderspielzeug und Turnschuhen ausrei-chen. So eine Vielfalt an Stoffen, die nichts mit Kompost zu tun haben, das war der to-tale Graus für uns.“ 2010 trat die Gütege-meinschaft aus dem Gremium aus.

Im Frühjahr 2012 dann veröffentlichte die Deutsche Umwelthilfe zwei Pressemit-teilungen, die darüber informierten, dass die Aldi- und Rewe-Tüten in Deutschland nicht kompostiert würden. Die Discounter nahmen die Tüten daraufhin aus dem Sor-timent. Der Hersteller verklagte die Um-welthilfe in Millionenhöhe – und verlor.

Auch vereinzelte Fabrikanten von Plas-tiksäcken für Küchenabfälle reagierten, allerdings fragwürdig. Zum Kompostsie-gel drucken sie jetzt den Hinweis, dass die Beutel in einigen Kommunen nicht in die Biotonne geworfen werden dürfen. In die-sem Fall solle der Verbraucher auf Papier-tüten zurückgreifen – oder die Folienbeu-tel im Hauskompost entsorgen. Wie lange sie dort liegenbleiben, steht nicht dabei. /

Plastik ist ein langlebiges Material: eigent-lich völlig ungeeignet für Einwegprodukte

Nach Veröffentlichungen der Deutschen Umwelthilfe nahmen Rewe und Aldi die kompostierbaren Tüten aus dem Sortiment

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Mehr dazu imneuen Heft 4 / 2014

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AUFTAKT

AnschauungsmaterialSchönfärberei: Die Dürre in Kalifornien sorgt für ein

Greenwashing der besonderen Art

UNTERNEHMEN

Sauber im AbgangFeuerbestattungen belasten die Umwelt. Erste Krematorien

werben deshalb mit grüner Technik

POLITIK & GESELLSCHAFT

GroßstadtrevierWildschweine am Alexanderplatz: Ein Förster erklärt,

wie Mensch und Natur in Berlin zusammen leben

VERBRAUCHER

Special: OutdoorFunktionskleidung kommt ohne Chemie nicht aus.

Verbraucher können aber einiges beachten

Weitere Highlights der Ausgabe 4 / 2014

Naturkosmetik: Was steckt wirklich drin?

Aufstand: Warum Spaniens Rentner Ministerien besetzen

Die Lüge vomkompostierbaren Plastik

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WEITERE THEMEN:

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8 Seiten:Outdoormode – fair und grün?

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Wirtschaft. Gemeinsam. Denken.

FÜR DIE

TONNE!

Wir lieben das Essen – und vernichten es doch tonnenweise. Warum dieser

Wahnsinn kein Ende nimmt

Selbst Dürren haben ihre Vorteile, zumindest Shawn Sahbari sieht das so. Wenn der Regen nämlich ausbleibt und die Rasenflächen sich braun färben, gehen bei ihm die Aufträge ein. Der Kalifornier hat die Firma Green Canary

gegründet – und sein Geschäftsmodell lässt sich so zu-sammenfassen: Er greift zur Sprühpistole und malt tote Gärten grün an. So wie hier im Almaden Valley Athle-tic Club in seiner Heimatstadt San José.

Das Make-up, das für Hausbesitzer rund 175 US-Dollar kostet, hat mehrere Vorteile, sagt Sahbari. Es trockne bin-nen weniger Stunden, halte sechs Monate, sei für Kinder und Haustiere ungefährlich und auch sonst ökologisch: Bewässert werden muss der Rasen fortan nicht mehr.

In Kalifornien ist das momentan ein wichtiges Argu-ment. So wenige Niederschläge wie in den letzten drei Jahren gab es in dem US-Staat zuletzt 1895. Die Bauern leiden und mit ihnen ganz Amerika – fast die Hälfte al-ler in den USA angebauten Früchte, Gemüsesorten und Nüsse stammt aus Kalifornien. Wer Wasser verschwen-det, muss eine Strafe von 500 Dollar am Tag zahlen, und nicht nur Lady Gaga rief dazu auf, mit Wasser sparsam umzugehen. Auch Gouverneur Jerry Brown ordnete an, den repräsentativen Rasen vor seinem Amtssitz sich selbst zu überlassen. Aber vielleicht hat der Politiker Shawn Sahbaris Telefonnummer einfach noch nicht. / MW

Schönfärberei

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FOTO Justin Sullivan/Getty Images

Seite 10Anschauungsmaterial

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GroßstadtrevierGanz Berlin ist eine Wildnis. Fuchs, Wildschwein und Waschbär erobern die City, die Pflanzenvielfalt ist größer als auf dem Land. Förster Elmar

Lakenberg über die neuen Bewohner und die Bedeutung der Stadtwälder

TEXT Katrin Zeug FOTOS Pablo Castagnola, Florian Möllers

Herr Lakenberg, wie sieht Berlin durch die Augen eines Försters aus? Grün! Mehr als 40 Prozent der Stadtfläche bestehen aus Wald, Parks und Gewässern. Und das Grün des Waldes bleibt nicht vor den Toren, sondern gelangt an den Ufern von Havel und Spree oder entlang der Bahn-gleise bis in die Innenstadt. Dorthin wan-dern auch Tiere: Waschbären kommen am Alexanderplatz an, Wildschweine am Ku’damm, Füchse in Kreuzberg.

Das klingt ja fast nach Wildnis. Müssen wir unsere Vorstellung von der lebensfeindlichen Großstadt ändern?Auf jeden Fall ist die Vielfalt der Lebens-räume in der Stadt größer als auf dem Land. Es gibt begrünte Altbauten, Brach-flächen, Komposthaufen, Ziergrün und viele Laubbäume – all das wechselt sich sehr kleinflächig ab. Das Land dagegen wird von großen Kiefernwäldern und Ag-rarflächen mit Monokulturen beherrscht. Wildkräuter werden weggespritzt. Das ist vor allem für die Bienen ein Problem: Sie finden keine Nahrung und können nicht für den Winter vorsorgen. In der Stadt ist das anders. Da blüht immer irgendwo et-was. Auch größere Tiere haben es in der Stadt einfacher: Es gibt mehr Fressen und besseren Schutz vor Kälte.

Ausgerechnet die Stadt erhält also die Biodiversität?Na ja – man muss sich die Vielfalt schon genau ansehen. In der Stadt gibt es vor al-

lem Allerweltsarten, die sich gut anpas-sen können. Aber es gibt auch Ausnahmen wie die blauflügelige Ödlandschrecke, die auf der Roten Liste der bedrohten Tierar-ten steht. Auf einem ehemaligen Muniti-onsdepot der Amerikaner haben wir Sand-dünen aufgeschüttet. Etwa so sah es dort nach der Eiszeit aus. Da haben sich magere Gräser und Kräuter angesiedelt, die es auf dem Land kaum noch gibt – und mit ih-nen kam diese Heuschreckenart.

Welche Tiere werden zu echten Städtern?Alle die, die schnell lernen können und es schaffen, die Scheu vor dem Menschen ab-zulegen. Wildschweine zum Beispiel sind hochintelligent. Die wissen, dass es Vorteile hat, in der Stadt zu leben. Füchse und Ka-ninchen gibt es hier inzwischen mehr als auf dem Land. Auch immer mehr Waschbä-ren kommen. Sie haben wenig Angst, fres-sen gerne Obst und sind soziale Wesen – die geben in ihrer Großfamilie gleich weiter, wo es sich bequem leben lässt.

Wie gut passen sich die Tiere ans Stadtleben an? Ich habe schon erlebt, dass ein Fuchs zwi-schen den Einkaufstüten der Passanten saß und wartete, dass die Ampel grün wurde. Ein anderer kannte wohl den Busfahrplan, denn er kam immer pünktlich zur Halte-stelle, weil ihm der Fahrer etwas zu essen mitbrachte. Es gibt Wildschweine, die mit dem Pausengong am Schulzaun stehen und auf Brote hoffen. Und sie bringen ihren Frischlingen bei, wie man über die Straße rennt, ohne einen Unfall zu verursachen.

Die Wildschweine vermehren sich so stark, dass es sogar Überlegungen gab, den Bachen die Pille zu verabreichen.

Ja, von Seiten der Wissenschaft, weil in Jah-ren mit lauen Wintern die Population re-gelrecht explodiert. Aber eine solche Ver-hütungsmaßnahme ist EU-rechtlich nicht möglich. Bei Wildtieren besteht auch die Gefahr, dass andere das Medikament schlu-cken oder ein Tier zu viel davon einnimmt.

Wie kontrollieren Sie dann den Tierbestand in Berlin? Die Stadt ist in 28 Forstreviere aufgeteilt, mit jeweils einem Förster oder einer Förs-terin. Dort werden die Populationen durch Jagd zusammen mit erfahrenen privaten Jägern reguliert. Insgesamt haben wir im vergangenen Jahr rund 1360 Wildtiere in Berlin erlegt.

Wird auch im Zentrum der Stadt geschossen?Nein, nicht zur Regulierung. Innenstadt und Parkanlagen sind kein Jagdrevier. Dort wird nur im Notfall geschossen: Wenn ein Tier schwer verletzt oder gefährlich ist, wenn Füchse in offene Wohnungen schleichen oder Wildschweine Passanten an die Einkäufe gehen.

Und wie oft kommt so etwas vor? Wir erhalten 40 bis 100 Anrufe pro Woche, im Jahr haben die Stadtjäger an die 3000 Einsätze. Diese ausgebildeten Jäger arbei-ten ehrenamtlich für uns. Im vergange-nen Jahr mussten sie rund 500 Wildtiere erschießen. Das Tragische ist: Die Tiere werden nur so zutraulich, weil Menschen sie zuvor gefüttert haben.

Musste schon mal am Alexander-platz geschossen werden?Ja, vor ein paar Jahren haben sich zwei Wildschweine dorthin verlaufen. Sie wur-den am frühen Morgen auf dem Gelände einer Kita gleich beim Alexanderplatz er-

ELMAR LAKENBERG, 59,

ist Leiter der Berliner Forsten. Er hat Forst­wissenschaft studiert, war Förster im Grunewald und Waldschadensbeauftragter der Stadt Berlin

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Elmar Lakenberg am Alex. Irgendwo hier leben Füchse und Waschbären

Seite 59Politik & Gesellschaft

dukte experimentiert, die Programme wur-den aber größtenteils wieder eingestellt und ausgelagert. Zu wenig Rücklauf, so der einhellige Tenor, die Langlebigkeit der Produkte trage daran mit Schuld. Außer-dem besteht zum Beispiel ein Rucksack aus bis zu 200 verschiedenen Teilen aus unter-schiedlichen Materialien, die häufig mit-einander verschweißt werden. „Nach dem heutigen Stand der Technik sind Rucksä-cke deshalb nicht recycelbar“, sagt Katrin Bauer von Deuter.

Ein anderer Ansatz: pflanzliches Polyes-tergarn aus Zuckermelasse. Dieses Abfall-produkt der Zuckerindustrie entspreche der „Cradle to Cradle“-Idee, sagt Arnaud Tandonnet, Sustainability Director des US-Herstellers Invista. Es lässt sich nach dem Gebrauch also komplett wiederverwenden.

Doch Kleidung und Ausrüstung aus Zu-ckermelasse gibt es noch nicht.

Biobaumwolle hingegen ist schon fast Standard. Auch Merinowolle wird für Un-terwäsche und Shirts häufig verwendet und ist eine Alternative zu Funktionsfasern. Ein Merinoshirt kann bis zu einem Drit-tel seines Eigengewichts an Feuchtigkeit aufnehmen, ohne dass es sich nass anfühlt, es trocknet schnell und ist geruchsneutral. Nachteil: Merinowolle ist viel teurer als Polyester. Und ganz ohne Chemie geht es auch hier nicht, sagt Markus Krüger vom schwäbischen Garnhersteller Schoeller Spinning Group. „Wolle wird zur Ausrüs-tung mit Chlor behandelt, das ist billig und funktioniert gut. Bei der Frage nach der Nachhaltigkeit ist das aber eine mitt-lere Katastrophe, weil giftige Rückstände

in der Wolle bleiben“, so Krüger. Schoeller produziert seit kurzem auch chlorfreie Me-rinowolle. Beim Konkurrenten Icebreaker aus Neuseeland sucht man ebenfalls nach Alternativen, betont aber, dass die verwen-dete Merinowolle umweltfreundlich und nach Oeko-Tex-Standard produziert wird.

Neben Merinowolle erlebt die Daune eine Renaissance. Vor zwei Jahren kam das tierische Dämmmaterial aber in die Schlagzeilen, als eine Tierschutzorganisa-tion herausfand, dass in Osteuropa Gänse

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Die Schweizer Firma Bluesign Technologies unter-sucht eingesetzte Chemikalien und Prozesse in der textilen Zulieferkette und vergibt das Siegel. Keine Aussage zur umweltschädlichen Fluorchemie (PFC), jedoch Verbot der besonders gefährli-chen Stoffe PFOA und PFOS. Glaubwürdig und empfehlenswert. www.bluesign.com

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Hauchdünne, porenlose Folie, die mit dem Ober-material verschweißt wird und Kleidung, Schuhe und Ausrüstung wasser- und winddicht sowie atmungsaktiv macht. Die Membran ist PFC-frei, aber: Wasserdicht werden die Produkte durch eine sogenannte chemische Durable Water Re-pellentausrüstung (DWR), die es bei Sympatex sowohl mit als auch ohne PFC gibt. Sympatex ist Bluesign-Partner und Gründungsmitglied des Standards Oeko-Tex-100. www.sympatex.com

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Hauchdünne Folie mit mikroskopisch feinen Poren, die mit dem Obermaterial verschweißt wird und Kleidung, Schuhe und Ausrüstung wasserdicht, winddicht und atmungsaktiv macht. Nachteil: weder recyclingfähig noch PFC-frei. www.gore-tex.de

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Kein Siegel, sondern eine Stiftung, die sich um menschenwürdige Arbeitsbedingungen bemüht. Unternehmen treten der Fair Wear Foundation bei mit der Verpflichtung, sich gemäß der International Labour Organization (ILO) zu verbessern. Die unabhängige gemeinsame Initiative von Einzelhan-delsverbänden, Lieferanten, Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen führt regelmäßig Kontrollen durch und veröffentlicht Studien auf ihrer Webseite, z.B. zu Mindestlöhnen. www.fairwear.org

OUTDOOR TEST====================

Das Onlinemagazin testet Outdoortechnik, Beklei-dung, Ausrüstung und Reisen auf die Versprechen der Hersteller zu Funktionalität und Nachhaltigkeit. Beim „Status-Check Nachhaltigkeit“ werden die wichtigsten Entwicklungen zusammengefasst. www.outdoor-test.de

WEGREEN

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Die Suchmaschine für grüne Produkte empfiehlt nicht nur zahlreiche Jacken, Hosen oder Schuhe der bevorzugten Marke: Mit einer Ampelwertung wird auch erklärt, wie nachhaltig die jeweiligen Produkte sind. www.wegreen.de

RANK A BRAND

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Die Webseite nimmt Marken unter die Lupe, prüft, wie transparent sie beim Thema Nachhaltigkeit sind, vergibt Noten und veröffentlicht die Ergebnisse. Nutzer können auch Marken vorschlagen, die getestet werden sollen. www.rankabrand.de

GREENROOM VOICE

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Auf ihrer Plattform untersucht die Schweizer Jour-nalistin Cira Riedel Snow-, Skate- und Surfboard-marken sowie Outdoorfirmen auf Nachhaltigkeit. Ihr „Ecorating und Transparency-Tool“ hat sie mit der Universität Chur entwickelt. www.greenroomvoice.com

SIEGEL & ZERTIFIKATE

BLOGS & PORTALE

für die Daunenherstellung zwangsgefüttert und lebendig gerupft wurden. Das Unter-nehmen North Face aus den USA, einer der großen Daunenabnehmer, hat darauf-hin seine Lieferketten von der Gänsefarm bis zum fertigen Produkt überprüft. Das Ergebnis: Es sei alles korrekt abgelaufen.

Trotzdem haben die Kalifornier ein neues Siegel entwickelt, den „Responsible Down Standard“; ab Herbst 2015 sollen die ersten Produkte mit diesem Label auf den Markt kommen. Seine Verwendung stehe auch anderen offen, heißt es bei North Face. Ein Konkurrent war allerdings schneller: Patagonia bringt im Herbst seine erste Kollektion mit dem eigenen „Patagonia Standard für Daune“ heraus, der einen Herkunftsnachweis für artgerechte Tier-haltung enthält.

Rolf Schmid, Präsident des Verbands European Outdoor Group, hält die Allein-gänge für falsch. „Wir brauchen gemein-same Standards, Gütesiegel und Partner wie Bluesign und die Fairwear Founda-tion“, sagt er. Wenn jede Firma eigene Sie-gel entwickle, dann überfordere man die Kunden. Andererseits: „Wenn wir nach-haltige Themen vernachlässigen, werden wir vom Kunden abgestraft.“

In seinem Unternehmen Mammut, das er als Vorstandschef führt, setzt er deshalb auf Langlebigkeit und Qualität. Eine „gute Outdoorjacke“, so Schmid, soll man „10 bis 15 Jahre lang tragen“ können. Mammut-Kunden können dann ihre Kleidung, aber auch Kletterausrüstung, Gurte, Schuhe, Seile, Schlaf- oder Rucksäcke zurückge-ben. Dafür erhalten sie Einkaufsgutscheine.

Druck von den Kunden, sich zu ändern, spüren die Unternehmen aber kaum. Fabian Nendza, CSR-Leiter des Händlers Globe-trotter, sagt, dass nur wenige Käufer nach Biobaumwolle oder fluorfreier Ausrüstung fragen. Selbst nach kritischen Medienbe-richten „verschwindet das Thema leider wieder schnell aus dem Blickfeld“.

Das Bewusstsein für die Probleme ist also längst noch nicht ausreichend geschärft. Vielleicht, weil Funktionskleidung häufig nicht beim Klettern oder Biken getragen wird. Sondern in der Fußgängerzone. /

Eine Outdoorjacke soll man „10 bis 15 Jahre lang tragen“ können, sagt Mammut-Chef Schmid

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Die Internationale Gemeinschaft für Forschung und Prüfung auf dem Gebiet Textilökologie vergibt drei Siegel: Mit dem Oeko-Tex-100-Standard ausge-zeichnete Produkte enthalten nur geringe Mengen an Schadstoffen; das Siegel STeP (Sustainable Textile Production) verlangt eine nachhaltige Pro-duktion; bei Oeko-Tex-100 plus muss beides erfüllt sein. Oeko-Tex 100 ist das am weitesten verbreitete Textilsiegel – mit den geringsten Anforderungen www.oeko-tex.com

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Sauber im AbgangWer grün lebt, kann auch grün sterben: Ein Verbund von Krematorien

wirbt mit Umweltschutz um Kunden und setzt auf modernste Technik. Das ist auch nötig – am Ende des Lebens ist der Körper voller Schadstoffe

TEXT Patrick Witte FOTOS Andreas Labes

Im Kontrollraum: Hier wird die Verbrennung des Sargs überwacht

Es wirkte wie ein morbides Klas­sentreffen mit Sekt und Lachs­häppchen neben Särgen und Lei­chenwagen. Viel Lachen, noch mehr Umarmungen – Wieder­

sehensfreude auf der weltweit größten Be­stattermesse BEFA. Alle fünf Jahre trifft sich hier die Branche, vergangenen Mai in Düsseldorf war es wieder soweit. 250 Aus­steller erwarteten knapp 12 000 Besucher. Fachbesucher wohlgemerkt. Denn die neu­esten Trends der Bestatterbranche sind für die Öffentlichkeit nicht bestimmt. Aus Pi­etätsgründen.

Traditionell gilt das Bestattergewerbe als konservativ. Doch auch diese Branche unterliegt dem Wandel. Neben Skurrilitä­ten wie sich selbstbewässernden Graban­lagen oder Diamanten, die aus der Asche Verstorbener gepresst werden, dominierte

dieses Jahr vor allem ein Thema: der Um­weltschutz. Vom Totenhemd aus Bio­Baum­wolle über verbrauchsarme Leichenwagen bis hin zu handgeflochtenen, Fairtrade­zer­tifizierten Särgen und Urnen aus Bambus, Seegras oder Bananenblättern – der Tod soll künftig grün tragen.

Besonders engagiert präsentierten sich 15 der deutschlandweit 160 Krematorien: Organisiert im Verbund „Die Feuerbe­stattungen“, haben sie auf ihrem Messe­stand dem Namen noch ein schwungvol­les „goes green“ verpasst. Neben „Respekt und Würde“ gegenüber den Verstorbenen sollen vor allem „Ökologie und Nachhal­tigkeit“ im Vordergrund stehen. So sagt es zumindest Svend­Jörk Sobolewski aus Stade, 52 und Gründer von „Die Feuerbe­stattungen“. 2001 rief er den Verbund mit vier weiteren privaten Krematorien ins Le­

ben. „Wir sehen uns als Trendsetter der Branche. Eine freiwillige Arbeits­gemeinschaft mit gleichen Qualitäts­ und Umweltstandards“, so Sobolew­ski. Zweimal jährlich diskutieren sie über Photovoltaik, Plattenwärmetau­scher und Abgasfilter, die helfen sol­len, weniger Energie zu verbrauchen und die Umwelt zu schonen. Ihre Ideen entwickeln sie gemeinsam. Die Anschaffungen jedoch finanziert je­des Krematorium allein.

Knapp jeder zweite der jährlich 850 000 Toten in Deutschland wird eingeäschert. Und mindestens 60 000 von ihnen gehen, nach Auskunft von Sobolewski, grün in die Ewigkeit. Ein gutes Geschäft: Durchschnittlich 300 Euro kostet eine Verbrennung in ei­nem privaten Krematorium, inklusive

Aschekapsel und Leichenschau. Das ist nicht teurer als in den kommunal betriebe­nen. „Aber die Haltung“, sagt Sobolewski,

„ist eine andere.“ Er spricht von „Anliegen“ und „Gutes tun“, was zunächst nach Wer­bephrasen klingt. Doch Sobolewski erzählt auch von seinem Kampf gegen das AKW Brokdorf, damals in den 70er­Jahren, von den Geschwüren der Fische, die er aus der Elbe holte. Wenn Sobolewski also seine Stimme hebt und fragt: „Wenn wir nicht

anfangen, wer dann?“, nimmt man ihm seinen Enthusiasmus ab. Die alten, kom­munal betriebenen Krematorien? „Dreck­schleudern“, so fasst Sobolewski deren Um­weltfreundlichkeit zusammen. „Außerdem rein funktional. Särge auf Gabelstaplern, Arbeiter in Blaumännern. Die Würde der

Feuerbestattungen Hennigsdorf ist ein Familienbetrieb: Thomas Schröder mit seinen Eltern Angelika und Heinz

Nur die Schornsteine deuten auf ein Krematorium hin

Beliebtes Motiv im Ausstellungsraum: Urne mit den Dürer-Händen

„In einem kommunalen Krematorium kommt die Würde des Verstorbenen genauso zu kurz wie die ökologische Konzeption“

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Die Bilder der Werbung sind immer die gleichen. Sie zei-gen steile Klippen, reißende Flüsse oder saftige Wiesen. Und mittendrin: Bergsteiger,

Wildwasserrafter und Mountainbiker, die ihre Grenzen testen, die Spaß haben. Mil-lionen Deutsche wollen das auch, Men-schen, die aus dem Alltag ausbrechen, am Wochenende oder im Urlaub. Und wenn man den Verheißungen der Hersteller von Windjacken, Wanderstiefeln und Zelten glaubt, ist es auch nicht schwer, im Ein-klang mit der Natur zu leben und zugleich Wind und Wetter zu trotzen.

So vorbildlich wie in der Werbung sugge-riert können die Unternehmen allerdings nicht sein. Denn damit Kleidung und Aus-rüstung tatsächlich wasserdicht, windfest und schmutzabweisend werden, müssen die Hersteller ihre Produkte mit Chemie be-handeln. Und die ist nicht immer umwelt-freundlich. „Für die Outdoorbranche ist das eine Gratwanderung zwischen Funktion, Umweltschutz und Kundenwünschen“, sagt

Katrin Bauer, CSR-Managerin von Deuter. Deutschlands Marktführer für Ruck- und Schlafsäcke will bis zum nächsten Jahr Eu-ropas nachhaltigste Outdoormarke werden

– muss bis dahin aber wie die Konkurrenz noch eine Alternative zur verwendeten Flu-orchemie, abgekürzt PFC, finden, die Produkte was-serdicht macht.

PFC ist in die Kritik ge-raten, der Verzicht darauf fällt aber schwer. Einer-seits, weil er kaum durch natürliche Alternativen ersetzt werden kann. An-dererseits, weil PFC-freie Materialien im Einkauf teurer sind und der Preis vieler Produkte deshalb steigen würde. Das wie-derum seien die Kunden aber noch nicht bereit zu bezahlen, so Bauer. Nach einer Lösung dieses Dilemmas suchen alle Out-doorfirmen.

Und das in einer Zeit, in der der Konkur-renzkampf zunimmt. Zwar wuchs die Bran-che im vergangenen Jahr europaweit um

drei Prozent auf mehr als zehn Milliarden Euro Umsatz; Deutschland ist mit einem Anteil von 25 Prozent der größte Markt in Europa. Im Jahr 2012 aber stagnierte der Absatz. Der Boom der letzten Jahre, der die Unternehmen mit zweistelligen Umsatz-

zuwächsen verwöhnte, ist vorbei. Die Hersteller feilen deshalb jetzt stär-ker an ihrem Image, um sich von den Wettbewer-bern abzusetzen. Grüne Argumente werden noch deutlicher in den Vorder-grund gerückt, wie man

Anfang Juli auf der Outdoor in Friedrichs-hafen, der größten Messe der Branche in Europa, sehen konnte.

Die Kollektionen tragen Namen wie „Greenshape“ (Vaude), „Greentec“ (Odlo) oder schlicht „e“ wie eco (Patagonia), die Materialien sind wiederverwendetes Po-lyester und Polyamid, recycelte PET-Fla-schen und Daunen. Einige Firmen haben auch mit der Rücknahme gebrauchter Pro-

Spuren in der WildnisSuperwarme Schlafsäcke, wasserdichte Jacken, federleichte

Rucksäcke – Ausrüstung für Outdoor-Sport ist so funktional wie nie. Viel Chemie macht’s möglich, oder auch Daunen von gequälten Gänsen.

Die Hersteller kennen die Probleme und suchen Alternativen

TEXT Ellen Köhrer FOTOS Kurt Moses

Wer ist der Grünste im ganzen Land?

Die Outdoorfirmen schärfen ihr Profil

Seite 86

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