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1 Panke Postille Nachrichten des Weddinger Heimatvereins e.V. Verein für die Geschichte der Ortsteile Wedding und Gesundbrunnen Heſt 64/2020 Preis 2,00 St-Sebasan-Kirche auf dem Gartenplatz, siehe Seite 4

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Panke Postille

Nachrichten des Weddinger Heimatvereins e.V.

Verein für die Geschichte der Ortsteile Wedding und Gesundbrunnen

Heft 64/2020

Preis € 2,00

St-Sebastian-Kirche auf dem Gartenplatz, siehe Seite 4

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Impressum

Die Panke-Postille wird in unregelmäßigen Abständen mindestens zweimal jährlich herausgegeben vom

Weddinger Heimatverein e.V. - Verein für die Geschichte der Orts- teile Wedding und Gesundbrunnen -

Postanschrift: Weddinger Heimatverein,

c/o Bernd Schimmler, Kattegatstr. 18, 13359 Berlin

Die Broschüre mit Beiträgen aus dem Vereinsleben, über die Ortsteile und zu sonstigen Themen, wird kostenlos an die Mitglieder des Heimat- vereins abgegeben; weitere Exemplare können zum Kostenbeitrag von 2 €/Exemplar erfolgen. Gewerblicher Verkauf und/oder Verteilung durch Parteien sind ausgeschlossen.

Herausgeber und Redaktion: Bernd Schimmler für den Weddinger Heimat-verein.

Beiträge zur Panke-Postille aus den Mitgliederreihen oder von weiteren Interessierten sind sehr willkommen, wir bitten um Zusendung an die Postanschrift oder per E-Mail an [email protected] Dank!

Achtung! Zeitweilig neue E-Mail-Anschrift.

Für die monatlichen Beitragszahlungen oder Spenden an den Verein -

gemeinnützig, Spenden als abzugsfähig vom Finanzamt anerkannt -

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Vorstand

Vorsitzender : Bernd Schimmler (Tel. 493 34 30)

Stell. Vorsitzender : Peter Gierich (Tel. 49360 63)

Schatzmeisterin: Marion Kiske (Tel. 45 60 65 10)

Geschäftsführer : N.N.

Schriftführer: Peter Cucharski

Beisitzer: Hans Berg, Bodo Körtge,

Peter Lüdtke, Johann Ganz, Michael Zernick, Bernd Wickmann (komm.)

Anmeldung Veranstaltungen: Peter Cucharski (Tel. 432 85 37)

www.weddinger-heimatverein.de

Link zum Heimatmuseum Wedding: www.mittemuseum.de

Datenschutzhinweis:

Der Verein speichert entsprechend der Datenschutz-Grundverordnung nur die Namen und Anschriften der Mitglieder zum Zwecke der Einladung und dem Versand der Panke-Postille. Daten werden nicht an Dritte weitergege-ben. Bei Austritt oder Widerruf werden die Daten gelöscht. Daten von Ein-

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Inhaltsverzeichnis Seite

Besuch der St. Sebastiankirche 4

Namenspatrone unserer Straßen: Wilhelm-Kuhr-Straße 6

Die Posadowsky – Häuser 7

Vor 100 Jahren formte Adolf Wermuth das heutige Berlin 9

Plakatkunst zum Berliner Nachtleben vor dem Ersten Weltkrieg. 11

65 – Chiffre für den Wedding, Von Joachim Faust 12

Neue Sporthalle am Gesundbrunnen. 13

Winter in Berlin – Historisch betrachtet. 13

Kreative Energie im Bewag – Haus 14

Die Mauertoten an der Grenze zum Wedding 15

Buchbesprechungen:

- Mutter Krausens Fahrt ins Glück. 16

- ZEITGeschichte, Der Rausch der 20er Jahre. 18

- Hans-Rainer Sandvoß, Mehr als eine Provinz! Widerstand aus der Arbeiterbewe-gung 1933-1945 in der preußischen Provinz Brandenburg, 19

Straßennamen—ein Interview 20

Der "Betende Knabe" vom Leopoldplatz. Von Wolfgang W. Timmler 21

Fundstücke 25

Nachruf auf Wolfgang Sorgatz 26

Fundstück II 26

Buchhinweis zur Rundfunkgeschichte. 27

Aus dem Vorstand 28

Hinweis: Sparkassen 29

Maria Regina Martyrium –Besichtigung 30

Der Alte Dessauer und der Leopoldplatz 33

Das Erzählcafé und die Unterschiedlichkeit der Erinnerungen. 34

Die frühen Berliner Stadtsiegel. 37

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Besuch der St. Sebas-

tiankirche

Am 22.10.2019 besuchten die Mitglieder und Freunde des Heimatvereins Wedding die St. Sebastian-Kirche auf dem Garten-platz. Die katholische Kirche wird ge-meinsam von der Gemeinde St. Sebasti-an und der kroatischsprachigen Gemein-de Berlins genutzt. Die Kirche steht unter Denkmalschutz. Gegen 15 Uhr begrüßte uns der Gemeindereferent, Herr Borken-hagen, und begann gleich mit der Ge-schichte der Kirche und ihrer Gemeinde (Siehe auch Panke-Postille, Heft 61/2019, S. 38).

Sebastian war ein römischer Soldat und wird seit dem 4. Jh. als Märtyrer und Heiliger in der katholischen Kirche und den orthodoxen Kirchen verehrt. Auch die evangelische Kirche in Deutschland erinnert an ihn. Er bekannte sich zum Christentum und hatte notleidenden Christen geholfen, worauf man ihn zum

Tode verurteilte und von Bogenschützen erschießen ließ. Im Glauben, er sei tot, ließ man ihn liegen. Sebastian überlebte und wurde gesund gepflegt. Nach seiner Genesung bekannte er sich erneut zum Christentum und wurde daraufhin er-schlagen. Im ersten Schlesischen Krieg 1740/42 wurden in Preußen viele Soldaten zu Invaliden, die versorgt werden mussten. Aus diesem Grunde wurde in der Scharn-horststraße in Bln.-Mitte am Schönhau-ser Graben in der Zeit von 1747-48 ein Invalidenhaus gebaut. Das Invalidenhaus bestand aus einem 175 m langen Mittel-bau mit zwei Seitenflügeln, wobei am Mittelbau im Süden eine evangelische und im Norden die katholische Kirche sich anschlossen. Sie wurde nach dem Schutzpatron der Soldaten, St. Georg, geweiht. Die beiden Kirchen dienten ur-sprünglich nur den Bewohnern des Invali-denhauses. Aber im Laufe der Zeit wuchs die katholische Gemeinde stark an und man war gezwungen, neben der Berliner St. Hedwig Gemeinde eine zweite zivile Gemeinde zu gründen. Die katholische Kirche des Invalidenhauses wurde aus diesem Grunde dem heiligen Sebastian geweiht. Die steigende Anzahl katholi-scher Gläubiger konnte diese Kirche im Invalidenhaus nicht mehr fassen. Somit wurde ein neues Gotteshaus auf dem Gartenplatz uff’n Wedding errichtet, das ebenfalls dem heiligen Sebastian 1893 geweiht wurde. Der heutige Gartenplatz sah am 2. März 1837 Berlins letzte Hinrichtung. Hier wur-de die 42jährige Witwe Henriette Meyer, geb. Heidenreich, wegen vorsätzlicher Ermordung ihres schlafenden Ehemannes mit dem Rade „von unten herauf“ zu Tode gefoltert. Der Leichnam blieb noch über zwei Monate liegen, täglich ström-ten Neugierige herbei. 1842 wurde das Hochgericht abgerissen (Siehe auch Pan-ke-Postille Nr.50/2015, S. 33 ff.). Die im neugotischen Stil erbaute St. Se-bastiankirche wurde mit Sandstein ver-

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kleidet. Das Hauptschiff ist 21 bis 23 Me-ter hoch, in beiden Seitenschiffen befin-den sich je drei Seitenkapellen. Der 87

Meter hohe Turm ist mit einem Spitz-helm abgeschlossen. Am Turm brachte man ein aus Stein gehauenes Bildnis eines Krebses an. Ein frommer Mann, der Krebs hieß, hat mit einer Spende geholfen, damit die Kirche endlich fertig werden sollte. Als Fassadenschmuck dient eine Rosette am Quergiebel und

über dem Haupt-portal ein Reli-ef des heiligen Sebasti-an. (Foto lrechts)

1929 wurde der Hochaltar errichtet. In der Nacht vom 22.11.-23.11.1943 brannte die Kirche durch einen Flieger-angriff. Etwa 20 Brandbomben und ein Phosphorkanister trafen das Dach der Kirche. Der Gartenplatz war ein Flam-menmeer. Die Feuerwehr, die zweimal ersucht wurde zu löschen, kam nicht.

Die Fliegerangriffe wiederholten sich. Die Kirche brannte 3 Tage und 3 Nächte lang. Mit allen Kräften ver-

suchte man von der Kir-che zu retten, was noch zu retten war. Nach En-de des Krieges, im Sep-tember 1946, begann bereits der Wieder-aufbau der Kirche. Am 29.10.1950 wurde der erste feierliche Gottes-dienst in der wiederauf-gebauten St. Sebastian-Kirche gehalten werden. Nach der Liturgiereform wurde das Kircheninnere 1973/74 vereinfacht. In die Vierung kam eine Altarin-sel, an die Stelle des Hoch-

altars trat der Tabernakel, ein kunstvoll gestalteter Schrein, worin die geweihten Hostien aufbewahrt werden. Die Kirche ist übrigens das größte katholische Gotteshaus im Norden Berlins. Auch ranken sich um die St. Sebastia-nkirche zwei Sagen, die erwähnenswert sind: Wer zwischen 12 und 1 Uhr in der Nacht über den Gartenplatz geht, kann oft ein leises Klingen hören. Das kommt von den Glocken, die von selbst zu läuten anfangen, ohne dass jemand die Seile zieht. Wer um Mitternacht am Gartenplatz vorüberkommt, sieht wohl im Innern der Kirche ein flackerndes Licht, das bald an dem einen, bald an dem anderen Fens-ter erscheint. Das kommt von der Later-ne, die die „alte Meyern“ in der Hand trägt. Die Unglückliche kann nämlich im

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Grabe keine Ruhe finden und steigt dann und wann aus der Gruft. Seit aber die Kirche erbaut ist, sieht dort alles anders als früher aus. Darum kann die alte Frau die Grabstätte nicht wiederfin-den. Dann wandelt sie mit der Laterne auf und ab und sucht und sucht.

Im November 2019 war ich anlässlich einer Reise auf Tenerifa. Bei einem Spa-ziergang durch die UNESCO-Welterbe-Stadt „La Laguna“ entdeckte ich die Kir-che „Sankt Sebastian“. Ende des 19. Jh. neu aufgebaut, hat das Gotteshaus sei-nen Ursprung in der ehemalige Heilan-stalt gleichen Namens, die an dieser im 16 Jh. errichtet wurde. Im Verlauf seiner Geschichte stand der Komplex unter der Leitung unterschiedlicher religiöser Or-den. Heute beherbergt er ein Senioren-heim. Eine Nonne ermöglichte mir die Besichtigung der Sankt Sebastian-Kirche. Wir bedanken uns für die inhaltsreichen und epochalen Ausführungen der Füh-rung beim Gemeindereferenten, Herrn Borkenhagen. Wir waren beeindruckt und haben eine Menge dazugelernt. Nochmals herzlichen Dank.

Dank gilt auch Herrn Thomas Wolff und Herrn Peter Cucharski für die Literatur über die St. Sebastian-Kirche. Bodo Körtge Fotos: B. Körtge Literaturnachweis: - Die St. Sebastiankirche, der heilige Sebasti-an, Wikipedia v. 1.11.2019 - Die Invalidenhaussiedlung in Berlin-Frohnau, Wolfram Sternbeck, Sutton Verlag GmbH Erfurt, 2007 - 700 Jahre Wedding, Bruno Stephan, Süssen-guth-Verlagsgesellschaft Berlin - 125 Jahre St. Sebastian, Berlin-Wedding 1860-1985, Maria Grundlach, Katholische Kirchengemeinde St. Sebastian St. Sebastian (Berlin), Wikipedia v. 6.12.2019 #####################################

Namenspatrone unserer Straßen:

Wilhelm-Kuhr-Straße

Der größte Teil der Wilhelm-Kuhr-Straße befindet sich in Pankow, der kleinere Teil im Gesundbrunnen führt von der S-Bahn bis zur Gottschalkstraße und dem Panke-Grünzug („Walter-Nicklitz-Prome-nade“). Aber auch dieser Teil war bis 1938 Teil des Be-zirkes Pan-kow. Früher hieß die Straße Span-dauer Stra-ße, bevor sie 1915 nach Wil-

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helm Kuhr benannt wurde. Der am 9. August 1865 in Ostpreußen geborene Kuhr war von 1906 bis 1914, als er im Ersten Weltkrieg an der Front fiel, der Pankower Bürgermeister. Zuvor war der Verwaltungsjurist schon zweiter, später erster Bürgermeister in Burg (bei Magde-burg). Dann übernahm er das Bürger-meisteramt in der Landgemeinde Pan-kow, die damals noch zum Landkreis Niederbarnim gehörte.

In dieser Pankower Zeit erreichte er, dass das riesige Grundstück des Barons Kilisch von Horn als Komplex erhalten blieb, nicht mit Mietskasernen bebaut wurde und den Bürgern als ihren Park vollständig zur Nutzung frei gegeben wurde: der Bürgerpark. Aber auch ein Wasserwerk, Straßen, Schulen wurden in seiner Amtszeit errichtet.

Der promovierte Jurist Baron Kilisch von

Horn (geb. 1821 in Bromberg, verst. 1886 in Berlin) war von einem unbe-mittelten Adligen von Horn adoptiert worden, durfte aber in Preußen zu sei-nem Leidwesen sich nur Kilisch-Horn nennen, was er oftmals umging. Er war Gründer und Betreiber der Berliner Bör-sen Zeitung. 1856 hatte er das Grund-stück in Pankow erworben und einen Landschaftsgarten anlegen lassen. Das Eingangstor und einzelne Gebäude sind noch erhalten. bs

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Die Posadowsky – Häuser

Die Posadowsky – Häuser in der Wollanksraße 75 – 80 (Gesundbrunnen) wurden im Zuge der christlichen Arbei-terbewegung von Carl und Walter Köp-pen 1905/06 und 1910/11 für den

„Vaterländischen Bauverein“ erbaut, der auch für die Versöhnungs-Privatstraße an der Hussitenstraße verantwortlich zeichnete. Förderer dieses Baues war der Graf von Posadowsky – Wehner.

Das gesamte Viertel entlang der westli-chen Wollankstraße gehörte einst zu Pankow. 1938 schlugen die Nationalsozi-alisten das Nordbahnviertel im Zuge der Grenzbegradigung dem Wedding zu. Der Zipfel ging früher bis zum Elisabethfried-hof.

Der erste Bauabschnitt der Posadowsky – Häuser ist eine symmetrische Anlage um 3 Höfe, von denen der mittlere als „Ehrenhof“ zur Wollankstraße offen ist. Der zweite Bauabschnitt schließt sich als Randzeile dem ersten nördlich an. Der Ehrenhof ist gärtnerisch gestaltet und zur Straße durch ein hohes geschmiede-tes Gitter mit 2 Portalen geschlossen.

Die Häuser sind Beispiele des neuen luftigeren Wohnungsbaus nach dem Motto „Mehr Luft und Licht“ mit Balko-nen und verbesserter Ausstattung der Wohnungen wie Gas und fließend Was-

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ser. Für damalige Verhältnisse war die Anlage einer gemeinsamen Badeanstalt mit drei Zellen bemerkenswert.

Das Haus Wollankstraße 96 ist gleichfalls

von Carl und Walter Köppen 1907 errich-tet, ist aber ein typisches Berliner Miets-haus, doch ohne Quergebäude in zeitent-sprechend schon gewandelter Form.

Arthur Adolf Graf von Posadowsky – Wehner, Freiherr von Postelwitz (1845 – 1932) war ein deutscher Politiker und entstammte schlesischem Uradel. Er stu-

dierte der väterlichen Tradition folgend Rechts- und Staatswissenschaften und

promovierte 1867 zum Dr. jur. 1871 be-gann sein politischer Aufstieg in Posen als Mitglied der Freikonservativen Partei. Von 1882 – 1885 saß er im Preußischen Abgeordnetenhaus und wurde zum Lan-deshauptmann Posens ernannt. Kaiser Wilhelm II. berief ihn 1893 zum Staats-sekretär des Reichsschatzamtes. 1897 stieg Posadowsky – Wehner zum Staats-sekretär des Reichsamtes des Innern, Vizekanzler und zum preußischen Staats-minister ohne Geschäftsbereich auf. Auf-grund von Meinungsverschiedenheiten in der Kolonialpolitik wurde ihm die politi-sche Arbeitsgrundlage entzogen. Er trat am 24. Juni 1907 zurück.

Posadowsky – Wehner genoss aufgrund seines sozialpolitischen Versöhnungskur-ses auch Anerkennung unter den Arbei-tern und blieb jedoch der Politik erhal-ten.

Die Niederlage im Ersten Weltkrieg (1914 – 18) bedauerte er zutiefst. Bis 1920 war er Fraktionsvorsitzender der DNVP (Deutschnationale Volkspartei). Nach dem Kapp–Putsch verließ er die Partei Ende 1920, weil sie ihm zu radikal gewor-den ist. Er saß dann noch ab 1928 im preußischen Landtag als Alterspräsident. Er starb im Oktober 1932 in Naumburg (Saale).

Er veröffentlichte u.a.: - Über die Altersversorgung der Arbeiter (1883) - Die Wohnungsfrage als Kulturproblem (1910)

Bodo Körtge Fotos: B. Körtge

Literaturnachweis:

- Kunstführer Berlin, Reclam 1991, S. 221, Günther Kuhne - Plötzlich Proletarier, Der Tagesspiegel v. 9.10.2019, Christian Hönicke - Posadowsky – Häuser, Google v. 14.10.2019

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- Arthur von Posadowsky – Wehner. Wikipe-dia v. 10.10.2019 - Landesdenkmalamt, Denkmalliste, Po-sadowsky-Häuser, Obj.Dok.-Nr.0903448 -Simone Herzig Die "Ära Posadowsky". Po-sadowskys Beitrag zur staatlichen Sozialpoli-tik im Deutschen Kaiserreich. 2012: ++++++++++++++++++++++++++++++++++++

Vor 100 Jahren formte Adolf Wermuth das heutige Berlin Am 1. Oktober 2020 wird Berlin den hun-dertsten Geburtstag groß feiern. Es war der 1. Oktober 1920, als Berlin über Nacht zur drittgrößten Stadt der Erde wurde. Damals verschmolz Berlin mit umliegenden Gemeinden und Städten, formte sich zur Metropole, wie wir sie heute kennen. Adolf Wermuth (geb. 23.3.1855 in Han-

nover, gest. 11.10.1927 in Berlin) war ein Jurist, Verwaltungsbeamter, parteiloser

Politiker und wurde am 12. Mai 1912 von der Stadtverordnetenversammlung mit sozialdemokratischer Mehrheit zum Oberbürgermeister gewählt. Dieses Amt hatte er vom 1.9.1912 bis zum 25.11.1920 inne. Lassen Sie uns aber einen Blick zurück in die Geschichte Berlins werfen. Um die Zeit von 1170 – 1184 erfolgte die Grün-dung von Berlin und Cölln. Am 20. März 1307 vereinten sich Berlin und Cölln. Jede Stadt sollte aus den ihr zufließen-den Einnahmen für die Förderung der Wohlfahrt ihrer eigenen Bürgerschaft und die Bestreitung der nötigen Unkos-ten sorgen, namentlich für die Befesti-gung und Sicherung der Mauern und Tore, jedoch Berlin der Stadt Cölln und diese der Stadt Berlin hierbei frei und nachbarlich helfen. Aus den gemeinsa-men Mitteln sollten die erforderlichen Abgaben an den Landesherrn und die sonstigen Untertanenpflichten geleistet werden. Zwei Brücken verbanden beide Städte, die Lange Brücke und dahinter der Mühlendamm. Über Jahrhunderte ist dann Berlin ge-wachsen, indem Vororte sich entlang der Stadtmauer bildeten und sich günstig entwickelten, weil sie von Zöllen ausge-nommen waren. Obwohl der Grenzwall immer weiter hinausgeschoben wurde, blieb die Unterscheidung von drinnen und außen wichtigster Wachstumsim-puls. Erst 1709 vereinigte König Friedrich I. unter erheblichen grundrechtlichen Neuordnungen Alt-Berlin, Cölln und wei-tere Stadtteile unter Einschluss der Vor-städte zur Residenzstadt „Berlin“. 1858 wurde James Hobrecht bestellt, um die grassierenden hygienischen Probleme der expandierenden preußischen Haupt-stadt in den Griff zu bekommen. Ideen zur Stadterweiterung gab es schon im-mer. 1861 wurden Moabit, Gesundbrun-nen und Wedding, Teile von Tempelhof und Schöneberg eingemeindet. Später folgten Tiergarten, der Zoo, Schlossbe-zirk Bellevue, Teile von Lichtenberg und

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die Jungfernheide. 1870 sollte Berlin mit Charlottenburg, Köpenick und anderen

Gemeinden vereinigt werden. 2 Anläufe scheiterten, auch der im Jahre 1896. Es vergin-gen aber Jahre bis sich Stadt-planer zu Wort mel-deten. 1905 wurde ein initiierter

„Wettbewerb Groß-Berlin“ gebil-

det, weil Berlin und seine umliegenden Gemeinden bei den damals größten Problemen der Wohnungsnot und des Pendlerverkehrs nicht vorankamen. Kei-ne der prämierten Entwürfe wurde reali-siert. Am 1. 4. 1912 kam es dann zur Gründung des „Zweckverbandes Groß-Berlin“. Der preußische Staat versuchte, Herr über die größten infrastrukturellen Probleme der Metropole zu werden. 1882 wurde bereits Adolf Wermuth ins Reichsamt nach Berlin berufen. Er ver-

antwortete die Repräsentanz des Deut-schen Reiches bei den Weltausstellun-gen in Melbourne und Chicago und wur-de später im Reichsschatzamt Staatssek-retär. 1912 fragte man ihn, ob er Nach-folger des amtsmüden Oberbürgermeis-ters Martin Kirchner werden wolle. Wer-muth willigte ein. Kirchner war Berlins zehnter „Regierender“ (1898-1912). Er hätte die rasant wachsende Millionen-stadt ins 20. Jh. führen können. Am 12. Mai 1912 wurde Wermuth mit sozialde-mokratischer Mehrheit zum neuen Oberbürgermeister gewählt. In den 2 Wochen, bevor er sein Amt an-trat, machte er sich ein Bild von der

Stadt, die er regieren sollte. Wohnungs-not und Hunger herrschten, Unruhe und Krankheiten waren Alltag. Wermuth machte die Versorgung der Bevölke-rung zu seiner Hauptaufgabe: Die Ein-führung von Lebensmittelmarken. Die Not schweißte Berlin mit dem Umland zusammen. Auch verkehrstechnisch wollte er Berlin vernetzen. Nach Ende des ersten Weltkrieges 1918 scheiterte eine Zwangseingemeindung des Umlan-des per Notverordnung. Ab März 1919 erfolgte eine Beratung im Roten Rathaus über die genaue Form der zukünftigen Stadt. In einigen Parlamenten gab es daraufhin Tumulte und Prügeleien. Vor

Berlin, vor dem Groß-Berlin-Gesetz 1920(dunkelrot) und das heutige Berlin

James Hobrecht

Hobrecht-Plan

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allem Charlottenburg, die reichste Stadt Preußens kämpfte erbittert. Noch heu-te steht das Charlottenburger Tor als Abgrenzung zum einstigen Berlin. Schließlich wurde eine unabhängige Verwaltung mit eigenem Parlament und Regierung mit den Namen „Bezirksversammlung“ und „Bezirks-amt“ gebildet. Mit nur 16 Stimmen Mehrheit trat das „Gesetz über die Einheitsgemeinde Berlin“ am 1. Okto-ber1920 in Kraft. Dem alten Berlin wur-den 7 Nachbarstädte, 59 Landgemein-den und 27 Gutsbezirke einverleibt. Groß-Berlin war geboren, gegliedert in 20 Verwaltungsbezirke. Wermuth wurde 1920 noch einmal zum Oberbürgermeister gewählt, doch die Ausgestaltung des modernen Berlins übernahm sein Nachfolger Gustav Böß. Wermuth starb 1927 im Alter von 73 Jahren. Seine Grabstelle finden wir auf dem Friedhof der Schlosskirche Buch. Zwei Anträge auf ein Ehrengrab wurden bisher abgelehnt. Viele prominente Plätze und Straßen Berlins tragen die Namen ehemaliger Bürgermeister. Nach Adolf Wermuth ist nur der Wer-muthweg benannt, eine knapp 500 m lange Betonschleife im Rücken der Hochhäuser der Gropiusstadt. Dabei führte Wermuth Berlin durch eine der schwierigsten Phasen seiner Geschich-te. Er vereinigte das alte Berlin mit dem Umland und schuf eine Megametropole mit fast 4 Millionen Einwohnern. Er war die treibende Kraft zum Zusammen-schluss. Bodo Körtge Literaturnachweis: 1. Berlins vergessener Vater, Christian Höni-cke und Lars Spannagel, Der Tagesspiegel v. 12.1. 2019 2. Adolf Wermuth, Wikipedia v. 12.1.2020 3. Berlin, Geschichten & Anekdoten, Fried-helm Reis, Verlag Berliner Flair, Berlin

4. Berlin, Brockhaus, Enzyklopädie, Band 3, 1987 5. Kunstführer Berlin, Philipp Reclam jun., Stuttgart, 1991 6. Plan B, Kai Müller, Der Tagesspiegel v. 23.12.2017 7. Plötzlich Metropole, Ulrich Zawatka-Gerlach, Der Tagesspiegel v. 12.1.2020 8. Berlin Kalender 1998, Haude & Spener/Edition Luisenstadt *********************************

Plakatkunst zum Berliner Nacht-leben vor dem Ersten Welt-krieg. Vor dem Ersten Weltkrieg schien für viele Menschen die Welt in Ordnung zu sein. Wer es sich leisten konnte, reiste mit einfachem Pass zumeist visalos durch Europa, die Löhne stiegen dank kraftvoller Gewerkschaften und das vielfältige Nachtleben in Berlin und seinen noch nicht eingemeindeten Nachbarn, wie Charlottenburg florierte. Die Plakatkunst hatte in Zeiten ohne Fernsehen und Internet eine hohe Be-deutung, wie an den zahlreichen Litfaß-Säulen sichtbar wurde. Einige Plakate hat das damalige in Ost-Berlin befindli-che Museum für Deutsche Geschichte als Postkarten in den achtziger Jahren herausgebracht. Wir dokumentieren einige:

Lucian Bernhard 1911

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Jo Steiner 1912. Der Künstler ist durch zahlreiche Kabarettplakate hervorgetre-ten, so auch für Veranstaltungen mit Claire Waldorff. Das damals bekannteste Varieté-Theater war um 1900 der Win-tergarten mit einem beleuchtetem Ster-nenhimmel und der ersten Drehbühne in Deutschland. Dort konnte man sich prächtig amüsierten, wie auch das Pla-kat von Fritz Wolff zeigt, das etwa um 1914 entstand.

Mit dem Vergnügen war dann im großen

Weltkrieg Schluss.

Bernd Schimmler

65 – Chiffre für den Wed-ding Von Joachim Faust (Redakteur des Weddingweiser)

Wer im Wedding unterwegs ist, kommt um die Zahl „65“ nicht herum. Doch was hat es damit auf sich? Warum identifi-zieren sich Weddinger ausgerechnet mit dieser Zahl? Und das schon seit fast 160 Jahren?

Mehr als nur eine Postleitzahl

Schon seit 1861 gehörte das Gebiet des späteren Bezirks Berlin-Wedding zur Stadt Berlin. Diese wurde ab dem 15. Mai 1862 in nummerierte Postzustellbe-zirke eingeteilt. Ähnlich wie heute noch in London bestand die Bezeichnung der Zustellbezirke nicht nur aus einer Zahl, sondern auch aus einem Buchstaben, der für eine Himmelsrichtung stand. Es gab ein C für Central (also das Zentrum), NO (Nordost), O (Ost), SO (Südost) , S (Süden), SW (Südwest), W (Westen), NW (Nordwesten) und N (Norden). Dahinter folgte die Nummer. In den beiden Kreuz-berger Kiezen SO 36 und SO 61 hat sich diese Bezeichnung aus dem 19. Jahrhun-dert bis heute erhalten. Das Gebiet des späteren Bezirks Wedding lag hingegen vollständig im Norden, bekam also Post-zustellbezirke mit einem „N“. Jetzt kommt die Zahl 65 in Spiel – das ent-sprechende Postamt „N 65“ befand sich in der Schulstraße 7, später in der Ge-richtstraße. Es gab aber auch die Zustell-bezirke N 39 in der Reinickendorfer Stra-ße, N 90 in der Brunnenstraße, N 91 Ackerstraße, N 19 in Pankow und N 31 Usedomer Straße, die für Teile des spä-teren Bezirks Wedding zuständig waren. Das 1928 in der Gerichtstraße gebaute Postamt im Stil der Neuen Sachlichkeit war nach seiner Fertigstellung das Post-amt N 65.

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Der ganze Wedding wird „65“

Das ehemalige Postamt N 65 in der Ge-richtstraße

Kurz nach dem Mauerbau 1961 wurde in der Bundesrepublik und auch in West-Berlin ein neues vierstelliges Postleit-zahlen-System eingeführt. Dabei behielt man 1962 auf Weddinger Gebiet nur die hundert Jahre früher gewählte Nummer des Alt-Berliner Zustellbezirks Berlin N 65 ohne die Abkürzungsbuchstaben bei. Da ganz West-Berlin die Postleitzahl „1000“ hatte (die anfangs auch mit „1“ abgekürzt werden durfte), musste die Nummer des Zustellbezirks hinten ange-stellt werden. Für den ganzen Bezirk Wedding galt nun die Bezeichnung „1000 Berlin 65“.

Aus „65“ werden viele Zahlen

1993 wurde das vierstellige Postleitzah-len-System zugunsten eines fünfstelli-gen Systems für ganz Deutschland abge-schafft. Dabei verlor der Wedding seine charakteristische Zahl „65“. Denn plötz-lich gab es viel kleinteiligere Zustellbe-zirke – von 13347 am Leo über 13405 an der Julius-Leber-Kaserne bis zu 13407 im Übergangsbereich von der Markstraße nach Reinickendorf geht das Spektrum heute – man erkennt nicht unbedingt mehr zweifelsfrei, in welchem Bezirk sich eine Adresse befindet. Immerhin sind es wie bei der 65 ausschließlich ungerade Zahlen. 2001 wurde dann auch noch dem Bezirk Wedding der Gar-aus gemacht – seither gehört das Gebiet

mit seinen zwei Ortsteilen Wedding und Gesundbrunnen zum neuen Bezirk Ber-lin-Mitte.

Was bleibt

Immerhin 131 Jahre gab es eine Verbin-dung zwischen der Zahl 65 und dem Wedding. Es ist also kein Wunder, dass die Chiffre „65“ die Zeiten und die Ab-schaffung des Bezirks Berlin-Wedding überdauert hat – sei es als Aufdruck auf einem Hoodie, als Graffiti an der Wand oder als Erkennungszeichen, mit dem die Weddinger etwas verbinden: das Bekenntnis zu ihrem Kiez in Berlin.

[Der Artikel erschien zuerst im Wed-dingweiser am 20.1.2020]

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Neue Sporthalle am Gesund-

brunnen.

Ab Sommer 2020 wird an dem Schulge-lände der Vineta-Schule an der Ecke Lortzingstraße und Putbusser Straße eine neue zweistöckige Sporthalle ge-baut. Bauzeit etwa ein Jahr. Die Sport-halle soll auch eine Tribüne für ca. 50 Zuschauer beherbergen.

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Winter in Berlin –

Historisch betrachtet.

Mit dem schneereichen Winter in Berlin ist es nicht so einfach. Die Berliner Mor-genpost hat dies einmal versucht am Beispiel der Weihnachtsfeiertage einzu-ordnen.

Danach gab es mindestens einmal Schnee in den Jahren 1949, 1956, 1960, 1964, 1966, 1968, 1976, 1978, 1995, 2000, 2002, 2005, 2009 und 2012.

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Richtig durchgehend lag eine Schneede-cke in den Jahren 1961, 1963, 1969, 1970, 1981, 1986, 2001 und 2010.

Dies bedeutet, dass es seit 2012 keine Schneedecke gab, es waren auch die Jahre in denen es durchschnittlich im-mer wärmer wurde. Zum Glück kann sich wenigstens in diesem Winter die Pflanzenwelt über mehr Regen freuen.

(Quelle: Berliner Morgenpost vom 22.12.2019, S.21) bs

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Kreative Energie im Be-wag – Haus

In dem markanten goti-schen Turmbau an der Osloer Straße/Ecke Prinzenallee ist schon lange wieder Leben eingezogen. Das ehe-malige Abspannwerk bzw. Umspannwerk Christiania, das aus einem turmartigen Eck-bau und einem westlich anschließendem 4ge-schossigen Büro- und Wohngebäude besteht, wurde 1928 – 29 nach den Plänen von Hans Heinrich Müller in An-lehnung an Schinkels Backsteinbauten im Auftrag der Bewag er-richtet, um die Stromverteilung in der Großstadt zu verbessern.

Das Umspannwerk Christiania ist ein eigenwilliges Gebäude. Der Eckturm besteht aus gotisierenden Bündelpfei-lern, die ohne Sockel über den Boden aufwachsen und mit schmalen hohen Fensterbahnen versehen sind. Von 1929 – 1977 standen in dem 6geschossigen Turm Transformatoren, die den Strom

aus den Kraftwerken von max. 110 000 Volt auf bis zu 6000 Volt transformier-ten. Das Umspannwerk sorgte somit der Versorgung der Endverbraucher mit Strom. Das Gebäude wurde 1977 zu einem Bürohaus umgebaut und stand ab 1997 leer. Die Bewag suchte einen Käu-fer für die Denkmalimmobilie.

Im Auftrag des „Quartiermanagements Soldiner Straße“ wurde ein Konzept ent-wickelt. Das Haus sollte zum „Kultur-wissenschaftlichen Innovationszentrum Christiania“ mutieren. Mehr als 20 Krea-tive hatten Interesse. Das Prime Time Theater spielte im Erdgeschoss des Turmbaus seine Döner-Sitcoms. Das Kunstspektakel mit Behinderten „Heller Wahnsinn“ zog ebenfalls hunderte Besu-

cher an. Nur einige genannt. Heute tum-meln sich hier Fotografen und Designer, Musiker und Journalisten, Bildende Künstler und Architekten in dem Bau-denkmal.

Über der Tür findet sich noch ein altes Firmenzeichen der Bewag, das auf die ehemalige Funktion als Umspannwerk hinweist. Die Osloer Straße wurde übri-gens erstmals 1892 benannt nach Chris-

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tiania, der Hauptstadt Norwegens, und wurde 1938 mit der Namensänderung der Stadt in Osloer Straße umgetauft. Daher stammt auch der Name: „Abspannwerk Christiania“.

Bodo Körtge Fotos: B. Körtge

Literaturnachweis:

- Der Nordberliner v. 27.10.2004, Kreative Energie, DJ - Landesdenkmalamt Berlin, Umspannwerk Christiania, Google v. 10.10.2019 - Ehemaliges Umspannwerk Christiania, Google v. 10.10.2019 - Zeitzeugen aus Stein, www.schoene-kiezmomente.de v.14.10.2019 - Berliner Straßen, Beispiel: Wedding, Heidrun Joop, <Edition Hentrich Berlin 1987, S. 115 #################################

Erinnerung

Die Mauertoten an der

Grenze zum Wedding

In der Bundeszentrale für politische Bil-dung ist jetzt ein Handbuch erschienen, dass sich den Todesopfern an der Berli-ner Mauer 1961 bis 1989 widmet:

Hertle/Nooke, Die Todesopfer der Berliner Mauer 1961 – 1989, Bonn 2020, 560 Seiten, zu beziehen über die Bundes-zentrale: www.bpb.de zum Preis von 7,00 €.

Wir dokumentieren hier die Opfer an der Weddinger Grenze:

Ida Siekmann, tödlich verunglückt am 22.8.1961 beim Sprung aus ihrer Woh-nung in der Bernauer Str. 48.

Rolf Urban, abgestürzt am 19.8.1961 bei der Flucht aus seiner Wohnung in der

Bernauer Str. 1. Verstorben an den fol-gen am 1. September 1961.

Olga Segler, am 25.9.1961 bei der Flucht aus ihrer Wohnung in der Bernauer Str. 34 verletzt und daran am 26.9. 1961 verstorben.

Bernd Lünser, (Foto) am 4.10.1961 beim Sprung vom Dach des Hauses Bernauer Str. 44 tödlich verunglückt.

Hans-Dieter Wesa, er-schossen am 23.8.1962 am S-Bahnhof Bornholmer Straße kurz vor erreichen des Weddin-ger Gebietes.

Ernst Mundt, am 4. 9.1962 auf dem Sophienfriedhof gegenüber dem Weddinger Lazarus-Krankenhaus erschossen.

Otfried Reck, erschossen am 27.11.1962 im Grenzbereich an der Gartenstraße Ecke Invalidenstraße.

Dietmar Schulz, tödlich verunglückt auf der Flucht am 25.11.1963 auf den S-Bahngleisen nördlich des Bornholmer Bahnhofs.

Hildegard Trabant, am 18.8.1964 er-schossen an der stillgeleg-ten S-Bahn-strecke zwi-schen den Bahnhöfen Schönhauser Allee und Ge-sundbrunnen.

Klaus Kratzel, tödlich verun-glückt am 8.8.1965 in einem S-

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Bahntunnel nördlich des Bahnhofes Bornholmer Straße.

Heinz Cyrus, unter Beschuss am 10.11.1965 beim Fluchtversuch aus dem Haus Gartenstraße 85 verletzt und hie-ran am 11.11.1965 verstorben.

Dieter Brandes, am 9. 6 1965 auf dem Gelände des Nordbahnhofes in Höhe der Weddinger Feldstraße angeschossen und hieran am 11.1.1966 verstorben.

Klaus-Jürgen Kluge, am 13.9.1969 nahe der Helmut-Just-Brücke (Behmstraßen-brücke) erschossen.

Leo Lis, am 20.9.1969 erschossen in der Nähe des Nordbahnhofes nach Überwin-dung der Panzersperren.

Volker Frommann, verletzte sich am 1.3.1973 beim Sprung aus der S-Bahn nahe dem S-Bahnhof Pankow in einem grenznahen Bereich und verstarb hieran am 5.3.1973.

Thomas Taub-mann, verun-glückt am 12.12.1981 tödlich beim Versuch von einem Güterzug aus die Mauer unterhalb der Bösebrücke zu erreichen. (Foto links)

Michael Schmidt, er-schossen am 1.12.1984 an

der Schulzestraße unmittelbar hinter dem S-Bahnhof Wollankstraße.

Ingolf Diederichs, verunglück tödlich am 13. 1.1989 beim Sprung von der S-Bahn in Höhe der Bösebrücke, bleibt er hän-gen und wird tödlich mitgeschleift.

Die Aufzählung zeigt, dass es vielmehr Tote als Folge der Mauer an den Wed-

dinger Grenzen gab, als auf dem Gedenk-stein an der Swinemünder Straße ver-merkt wurden.

Bernd Schimmler

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Buchbesprechungen:

1. Mutter Krausens Fahrt ins Glück. Piel Jutzis revoluti-onärer Spielfilm von 1929. Geschichte, Analyse und Kritik. Das Buch zum Film. Herausgeber Walter Frey. Band 5 der Reihe „Weddinger Bücher“, Ber-lin 2019, 232 Seiten, € 15,00.

Bodo Körtge hat in der Panke-Postille Nr. 51-2015 ab Seite 9 einen längeren Artikel über diesen in der Weimarer Republik in der Tat revolutionären Film geschrieben. Jetzt hat der Verlag von Walter Frey mit dem 5. Band seiner „Wedding-Bücher“ die Geschichte des Films, seiner Entwick-lung und der Kritiken daran, sowohl der zeitgenössischen der Weimarer Repub-lik, wie aus der Zeit nach dem 2. Welt-krieg nachgezeichnet.

Am 30. Dezember 1929 wurde im Berli-ner Alhambra-Kino am Kurfürstendamm der Spielfilm "Mutter Krausens Fahrt ins Glück" uraufgeführt - einer der bedeu-

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tendsten deutschen Filme der späten

Weimarer Republik. Produziert von der linken Prometheus-Filmgesellschaft war er ein großer Publikumserfolg, nicht zu-letzt aufgrund seiner schonungslosen Darstellung der Lebensverhältnisse: Wohnungsnot, Armut, Arbeitslosigkeit. Dem Regisseur Piel Jutzi gelang auch die populäre Vermittlung einer politischen Perspektive, die einen Ausweg aus dem Elend aufzeigen will; deshalb wird sein Werk oft als "proletarisch-revolutio-närer" Film bezeichnet.

Ideengeber für den Film war Heinrich Zille, der viele seiner Motive im Berliner Arbeiterbezirk Wedding fand. Ein Groß-teil der Filmaufnahmen wurde dort ge-dreht, und auch die Handlung spielt dort. Der damals als "Wedding-Maler" bekann-te Künstler Otto Nagel trug entscheidend zur filmischen Umsetzung bei. In einer zeitgenössischen Kritik heißt es, der Titel

des Films könnte auch "Wedding" lauten: "Denn der Hauptdarsteller dieses Films ist nicht eine einzelne Person, sondern - Wedding."

Die in dem Buch veröffentlichten Beiträ-ge zur (film-)politischen Debatte, filmäs-thetischen Analyse und zum zeitge-schichtlichen Kontext rufen den Kino-Klassiker "Mutter Krausens Fahrt ins Glück" wieder in Erinnerung.

Der Band enthält zur Darstellung des Lokalkolorits auch zahlreiche Beiträge über den Wedding, so die kluge Darstel-lung von Fritz Rück auch dem Jahre 1931. Auch eine Nachkriegsdarstellung von Margot Michaelis aus dem Jahre 1978 (im Hanser Verlag erschienen) schildert das Umfeld des Filmes:

„Deutlich lassen sich Bezüge zu "Mutter Krausens Fahrt ins Glück" herstellen. Die im Film dargestellten Lebensbedingun-gen entsprechen offensichtlich denen der Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung in den 20er Jahren. Ebenso ergeben sich die im Film angegebenen Auswege und die dazugehörigen ideologischen Positio-

nen aus diesem Milieu. An einigen Bei-spielen thematisiert der Film die Tatsa-che, dass es noch eine Vielzahl arbeiten-der Menschen gibt, die nicht die Notwen-digkeit oder die Möglichkeit sehen, für ihre eigenen Interessen einzutreten. Er

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stellt als Alternative die organisierte Ar-beiterklasse dar und damit die Notwen-digkeit des solidarischen Kampfes aller Arbeitenden für die eigenen Interessen (hier beispielhaft bezogen auf die Ver-besserung der Lebensbedingungen). An-gesichts der beschriebenen historischen Situation ist außerdem anzunehmen,

dass die Autoren, die ja der organisierten Arbeiterschaft nahestanden oder ange-hörten, den Film vor allem als eine Aufforderung an die im Film gezeigten "Unentschlossenen" verstanden, die Veränderung der gezeigten Verhältnisse selbst in die Hand zu nehmen.“ (S.55)

Hoch interessant in dem Buch sind auch die Skripte der einzelnen Filmsequenzen – wer hat schon die Gelegenheit ein Drehbuch zu lesen! Lesenswert sind auch

die Erinnerungen einer der Hauptdarstel-lerinnen, der damals 23jährigen Ilse Trautschold. (siehe Szenenfoto Seite 17) Die 1991 verstorbene Schauspielerin ist Nachkriegs-Berlinern noch als Mitglied im RIAS Kabarettprogramm „Die Insula-ner“ bekannt.

Insgesamt bietet das Buch so viele As-pekte – gerade auch zum Wedding, dass es ein Muss für Wedding-Interessierte ein sollte.

2. ZEITGeschichte, Der Rausch der 20er Jahre. Glanz und Tragik der Wei-marer Republik, Heft 1/2020, 130 Seiten, € 7,50.

Direkt anschließend an den zuvor be-sprochenen Band bietet dieses Heft der Reihe ZEIT-Geschichte einen reich bebil-derten Überblick über die Krisen der Weimarer Republik und dem gleichzeiti-gen Aufbruch in der Kultur. Der Span-nungsbogen reicht von der neuen Sachlichkeit in Kunst und Architektur, über die drastischen Großstadt-darstellungen eines Otto Dix, dem flir-renden Nachtleben bis zum Aufleben einer Fußball-kultur. Thema-

Filmplakat von Käthe Kollwitz

Die Tänzerin Anita Berber zeigte damals fast alles, gegen den Protest aus rechten Kreisen

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tisiert werden auch die Wandlungen im Geschlechterverhältnis – androgyne Ty-pen erobern auch die Modewelt-, die Entwicklung des modernen Theaters – ohne die Bevormundungen und Verbote der Kaiserzeit. Die Faszination der Auto-mobile, der Siegeszug von Rundfunk und Kino, die Explosion der Presseauflagen, all dies prägte die Erste Republik ebenso, wie wuchernder Antisemitismus, begin-nender Kulturkrieg gegen Bücher und Filme („Im Westen nichts Neues“) und dem sich ständig steigernden Hass auf die Republik, die Linke und alles was nicht konservativ, reaktionär oder irgendwie fremd war. Der Band endet dann auch mit einem Artikel des renommierten His-toriker Andreas Wirsching mit einer Ein-ordnung der Weimarer Erfahrungen in die heutige Zeit: „ Die Hasspropaganda ist zurück“. Schon deshalb ist dieser Band sehr lesenswert.

3. Hans-Rainer Sandvoß, Mehr als eine Provinz! Wi-derstand aus der Arbeiterbe-wegung 1933-1945 in der preußischen Provinz Bran-denburg, Lukas Verlag, Ber-lin 1919, Seiten 624, € 29,80

Dr. Hans Rainer Sandvoß ist den Mitglie-dern unseres Vereins nicht nur als Mit-glied, sondern auch als Autor wegweisen-der Bücher über den Widerstand in der NS-Zeit bekannt. Als Mitarbeiter und spä-terer stellvertretender Leiter der Gedenk-stätte Deutscher Widerstand in der Ge-denkstätte in der Stauffenberg Straße hat er den Bezirken – beginnend mit seinem politischen Heimatbezirk Wedding die Geschichte des Widerstandes in allen Berliner Bezirken aufgearbeitet. Das um-fangreiche Material mit zahlreichen per-sönlichen Interviews, sind heute ein her-ausragender Schatz der Lokalgeschichte sind, den er gesichert hat, der gerade in den Zeiten, wo von rechts wieder alles

infrage gestellt wird, enorm wichtig ist. Seine Erkenntnisse hat Rainer Sandvoß in seiner Dissertation über die „andere Reichshauptstadt“ und den Berliner Wi-derstand gegen das NS-Regime 2007 ein-drucksvoll zusammengefasst. Seine um-fassenden Kenntnisse führten ihn dann

auch auf ein Nebengleis der Berliner NS-Geschichte. Er hatte soviel Material in den Berliner Ortsteilen auch über die Kirchengemeinden und ihre oppositionel-len Pfarrer gesammelt, dass er 2014 das Buch über diese Entwicklung veröffent-lichte: „Es wird gebeten, die Gottesdiens-te zu überwachen . Religionsgemein-schaften in Berlin zwischen Anpassung, Selbstbehauptung und Widerstand von 1933 bis 1945“, 564 Seiten, 159 Abb.. Dr. Sandvoß hat dabei viel Material gesam-melt, denn in diesen Zeiten der Unterdrü-ckung trafen sich z.B. Weddinger Sozial-demokraten am Bahnhof Gesundbrunnen und fuhren in die Mark, um sich unge-stört von der Gestapo zu treffen und Er-

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fahrungen auszutauschen. Diese Bezie-hungen, aber auch die eigenen Entwick-lungen in Brandenburg hat Sandvoß jetzt in dem eingangs beschriebenen Buch ausführlich dargestellt. Dabei be-ginnt er mit den Jahren vor dem Ende der Weimarer Republik und dem vergeb-lichen Kampf des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold. Der Schock der Verfolgung und der zahlreichen Misshandlungen der dem Machterwerb der Nazis folgte, wird ausführlich ebenso dargestellt, die lei-der vergeblichen Bemühungen unabhän-giger Gruppen, wie die Gruppe von Wolf-gang Abendroth, der in den sechziger Jahren zum Vordenker einer jungen Poli-tologengeneration wurde. Sehr ausführ-lich wird der Widerstand gerade in länd-lichen Bereich der der KPD-Gruppen dargestellt, der aber gerade in ihren Verbindungen zu den Berliner Industrie-betrieben ihre Stärke erlebte, aber we-gen dieser engen Verbindungen auch leichter von der Gestapo aufgespürt wer-den konnte.

Wer sich einmal ausführlich—Stadt für Stadt, Landkreis für Landkreis sich um die NS-Widerstandsgeschichte in Bran-denburg, heute keine Provinz mehr, son-dern ein wichtiges Bundesland, kann dieses Buch von Dr. Hans-Rainer Sand-voß nicht umgehen und auch die Ge-schichts-, Heimatvereine oder Touristen-vereine können für ihre Führungen sehr viel lernen.

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Straßennamen Im Februar fragte Andrei Schnell, der auch schon Artikel in der Panke-Postille veröffentlichte bei unserem Vorsitzen-den Bernd Schimmler wegern eines In-terviews für die neue Weddinger Allge-meine Zeitung (WAZ), die seit November 2019 in zahlreichen Geschäften ausliegt zum Thema einiger Straßennamen im Wedding nach.

Wir dokumentieren das Interview:

„Bernd Schimmler ist Vorsitzender des Weddinger Heimatvereins. Der Geschichtsverein gibt die mehrmals jährlich erschei-nende Panke-Postille mit The-

men zur Geschichte der Ortsteile Wed-ding und Gesund-

brunnen heraus. Im Interview erklärt der ehemalige Stadtrat Bernd Schimmler, was es mit bestimmten Straßennamen auf sich hat.

Herr Schimmler, es heißt, der Wedding ist bunt. Das ist wahrscheinlich nicht der Grund, dass es eine Türkenstraße gibt. Warum aber dann?

Bernd Schimmler: Der Name Türkenstra-ße steht in Zusammenhang mit dem so genannten Großen Türkenkrieg. Das war ein Krieg zwischen dem Heiligen Römi-schen Reich, mit Kaiser Leopold I an der Spitze, und dem osmanischen Reich. Bekannt aus dem Geschichtsunterreicht ist vielleicht die Belagerung von Wien durch die Osmanen. Der Kaiser ging nach der abgewehrten Belagerung daran, 1686 von den Tür-ken die Stadt Buda zurückzuerobern. Budapest ist ja ein Zusammenschluss aus den Städten Buda und Pest. Und der deutsche Name für Buda ist Ofen. Deshalb gibt es in direkter Nachbarschaft zur Türkenstraße eine Ofenerstraße, die nichts mit einer Heizung zu tun hat. Die Barfus- und die Schöningstraße gehen

Andrei Schnell von der WAZ

Gen. Barfus

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auf Generäle zurück, die im Großen Tür-kenkrieg wichtig waren. Die Straßenna-men wurden 1892 und 1894 vergeben, die Türkenstraße bekam ihren Namen 1904.

Warum tummeln sich Armenische, Irani-sche und Syrische Straße so dicht beiei-nander?

Bernd Schimmler: Diese Namen wurden zwischen 1927 und 1929 vergeben. Eine gute Antwort gibt es für Ihre Frage nicht. Länder des vorderen Orients waren viel-leicht einfach dran. Es mussten ständig neue Straßennamen vergeben werden, weil im 19. Jahrhundert viele aus damali-ger Sicht künftige Straßen mit dem Hob-rechtsplan von 1862 lediglich numme-riert wurden. Die Indische Straße zum Beispiel hieß einfach 32b und die Arme-nische 35b. Die Iranische Straße hatte bereits einen Namen, sie hieß seit 1827 Exerzierstraße, sie führte von der Badstraße zu den damaligen Truppen-übungsplätzen der preussischen Armee. 1934 wurde sie in Persische Straße um-benannt. Bereits ein Jahr später 1935 folgte nach Ausrufung der Islamischen Republik die Umbenennung in Iranische Straße.

Am auffälligsten ist im Wedding das Afri-kanische Viertel mit über zwanzig Län-dernamen. Wie kam es zu dieser Häu-fung?

Bernd Schimm-ler: Das liegt an den Zoo- oder Zirkusdirektor Hagenbeck. Des-sen Tierpark gibt es noch heute in Hamburg. In

Berlin wollte er in den Rehbergen Men-schen und Tiere ausstellen. Man muss wissen, die Rehberge wurden erst 1929 als Park angelegt. Vorher gab es nur wüste Sandberge. 1906 wurde als erstes der Name Afrikanische Straße vergeben.

Doch es kam nie zu Hagenbecks Tier- und Menschenzoo als feste Einrichtung.

Als letzte Länderstraße wurde erst am 8. Oktober 1958 die Ghanastraße getauft. Zu diesem Anlass kam das Staatsober-haupt Kwame Nkrumah nach Berlin.

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Der "Betende Knabe" vom

Leopoldplatz

Von Wolfgang W. Timmler

Die Straße Unter den Linden in Berlin führt vom Brandenburger Tor zur Schlossbrücke. Nach der Thronbestei-gung ließ Friedrich der Zweite hier – am heutigen Bebelplatz - ein Forum aus Opernhaus, Kirche, Bibliothek und Stadt-palais nach antikem Vorbild erbauen. Zu all diesen Bauwerken hatte der König Skizzen angefertigt und die Standorte selbst bestimmt. Fünfundsechzig Jahre

nach seinem Tod wurde unweit des Plat-zes ein Reiterstandbild eingeweiht, wel-ches Friedrich den Zweiten in Uniform und mit umgehängtem Krönungsmantel, gleichsam in sein Forum einziehend, dar-stellt.

Reiterdenkmal Friedrichs II. im Bezirk Mitte mit dreistufigem Postament und Figuren-schmuck

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An dem dreizehneinhalb Meter hohen Denkmal arbeitete der Bildhauer Christi-an Daniel Rauch über zehn Jahre. Es gilt als das bedeutendste Werk des Künst-lers. Acht Bildtafeln mit Szenen aus dem Leben des Königs schmücken den obe-ren Teil des Postaments. Eine davon zeigt Friedrich den Zweiten im Schloss Sanssouci, als er 1747 den sogenannten

"Betenden Knaben" in Empfang nimmt. Ein Gelehrter erläutert dem König das kostbare antike Bildwerk und dessen wechselvolle Geschichte. Anfang des 16. Jahrhunderts entdeckte man die ein Me-ter dreißig hohe Bronzefigur bei Fes-tungsbauarbeiten auf Rhodos, der Insel

des Gottes Helios, der im Sonnenwagen

von Meer zu Meer fährt und der Welt den Tag gibt. Rhodos gehörte damals dem Johanniterorden. 1503 brachte man die Figur nach Venedig, wo das antike Kunstwerk Gelehrte und Künstler gleich-ermaßen anzog.

Die Figur war stark beschädigt; ihr fehl-ten beide Arme und ein Teil eines Fußes, der als erstes ergänzt wurde. 1576 wur-de die Figur nach Verona verkauft, 1604 nach Mantua, 1631 nach London, 1649 nach Paris, wo der Besitzer die fehlen-den Arme ergänzen ließ. 1717 wurde die Figur nach Wien und 1747 nach Potsdam weiterverkauft, wo Friedrich der Zweite

die aus der Zeit Alexanders des Großen stammende Figur auf der Terrasse von Schloss Sanssouci aufstellen ließ. So hatte er sie stets im Blick, wenn er im Bibliotheks-zimmer sei-ner Sommerresidenz am Schreibtisch saß.

Bronzerelief auf der Nordwestseite des Denk-mals.

Wanderschaft des "Betenden Knaben" quer durch Europa.

Karyatidenpaare am Mittelbau der kö-niglichen Sommerresidenz in Potsdam.

Der König in seinem Arbeits-zimmer daselbst.

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Im 19. Jahrhundert angefertigte Kopie des "Betenden Knaben" im östlichen Gitterpavil-lon von Schloss Sanssouci.

Die Bronzefigur war das wichtigste anti-ke Bildwerk, welches der preußische König für seine Sammlung erwarb. Nach

seinem Tod ersetzte man die Figur in Potsdam durch eine Kopie. Das Original kam ins Berliner Stadtschloss. Heute befin-det sich die Figur im Al-ten Museum in Berlin.

Mit dem Übergang in

eine öffentli-che Sammlung wandelte sich auch die Deu-

tung der Figur, wie diese Kopie von 1914 zeigt, die früher als Grabschmuck diente und heute hinter einem Wartehäuschen ein Dasein im Verborgenen führt.

Bis Ende der fünfziger Jahre schmückte die Kopie des "Betenden Knaben" die Grabstelle von Heinrich Bernhard Arnold Köttgen (1871-1914) auf dem Urnen-

friedhof in der Gericht-straße im Bezirk Wed-ding. Kött-gen hatte als hoher Beamter im preußischen Justizminis-terium ge-dient.

Familiengrabstätte in Gestalt eines antiken Rundtempels (Monopterus) auf dem Urnen-friedhof Gerichtstraße im Bezirk Wedding.

Die Grabfigur war von der Bronzegieße-rei Gladenbeck in Berlin-Friedrichshagen angefertigt worden, wie aus dem Gie-ßerstempel auf der hinteren Schmalsei-te der Plinthe hervorgeht ("AKTIEN-GESELLSCHAFT GLADENBECK /BERLIN FRIEDRICHSHAGEN"). 1963 schenkten die Nachkommen von Arnold Köttgen die Antikenkopie dem Bezirk Wedding. Als der Ausbau der U-Bahn-Linien 6 und 9 eine Umgestaltung des Leopoldplatzes erforderlich machte, stellte das Garten-bauamt Wedding die restaurierte Figur mitsamt geschleiftem Grabsteinsockel im sogenannten Lindenrondell vor der Alten Nazarethkirche neu auf

Original des "Betenden Knaben" im Nordsaal des Alten Museums im Bezirk Mitte.

1914 abgefertigte Kopie des „Betenden Knaben“ vor der alten Nazarethkirche

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Im 17. und 18. Jahrhundert galt die Bronzefigur als antike Darstellung eines

Lustknaben, eine Deutung, welche das prüde 19. Jahrhundert ablehnte. Statt-dessen sahen die Zeitgenossen von Christian Daniel Rauch in der Figur einen betenden Knaben, das heißt, die Darstel-lung eines religiösen Ritus', welche der

Bildspra-che der christli-chen Kunst nicht fremd war.

Auf dem Dorothe-

enstädti-schen Friedhof ist

die Berliner Grabmalkunst des 19. Jahr-hunderts vielfältig vertreten. Antike Mo-tive wie das tempelförmige Mausoleum oder der Krug mit Standfuß bilden den Schmuck vieler Grabstellen. Typisch für den Kunststil um 1850 ist die Stele mit Portraitmedaillon, wie hier beim Grab-mal von Christian Daniel Rauch, der 1857 starb.

Eine allegorische Figur bekrönt die letzte Ruhestätte des Bildhauers, der das Rei-

terstandbild Friedrichs des Zweiten schuf. Die Allegorie ist nach dem Vorbild der antiken Bronzefigur modelliert und drückt schwärmerische Frömmigkeit aus. In der Linken hält die Figur die Blüte ei-nes Granatapfels, das antike Symbol für Frucht-barkeit, das hier für die Auferste-hung in Christus steht.

Auch im 1851 vollende-ten Rei-terdenk-mal erscheint die antike Figur als religiös überhöhte Gestalt, die Fürbitte für ihren König einlegt.

Fotos und Bildzusammenstellung: Wolfgang W. Timmler Literatur:

Betender Knabe - Adorant <https://bildhauerei-inberlin.de/bildwerk/betender-knabe/>

[Familiengrabstätte in Gestalt eines antiken Antentempels auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof im Bezirk Mitte. Allegorie der Hoffnung auf dem

Grab von C. D. Rauch im Bezirk Mitte.

Detail des "Betenden Knaben" vor der Alten Nazarethkirche im Bezirk Wedding.

Grabstätte des Bildhauers C. D. Rauch auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof im Bezirk Mitte.

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Bloch, P., Einholz, S. und J. v. Simson (Hrsg.): Ethos und Pathos. Die Berliner Bildhauer-schule 1786-1914. Katalog der Ausstellung der Skulpturengalerie der Staatlichen Muse-en Preußischer Kulturbesitz vom 19.5. bis 29.7.1990 im Hamburger Bahnhof. Berlin 1990.

Zimmer, G. und H. Hackländer: Der Betende Knabe. Original und Experiment. Begleitheft zur Ausstellung der Antikensammlung der Staatlichen Museen zu Berlin Preußischer Kulturbesitz. Berlin 1997.

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Fundstücke

Manchmal muss man nur aufräumen und in den eigenen Unterlagen Ordnung schaffen und schon findet man Interes-santes, so wie dieses Bild (leider ohne Herkunftsbezeichnung— wahrscheinlich eine Postkarte):

Es zeigt „Blindekuh“ spielende Kinder und Erwachsene auf der großen Wiese im Schillerpark ca. 1914.

Ein anderes Fundstück ist aus der Litera-tur—auch des Weddinger Heimatvereins bekannt. Es ist der provisorische Aus-weis für den ersten Nachkriegsbürger-meister 1945:

Wie der damalige Leiter des Weddinger Heimatarchivs Bruno Stephan damals der Presse mitteilte, hatte der Schwie-gersohn des bereits verstorbenen Wed-dinger Finanzstadtrates Willy Nathan im Nachlass diesen Ausweis gefunden. Da-rin bestätigte am 1. Mai 1945 ein Carl Schröder als Bürgermeister des Bezirkes Wedding, dass Nathan Leiter der Finanz-verwaltung des Bezirkes sei. Soweit entzifferbar, wurde diese Bescheinigung

auf Russisch bestätigt. Bruno Stephan hatte seinerzeit (etwa 1969) in der Bezirksverwal-tung nachgefragt. Der Leiter des Standesamtes wollte sich erinnern, dass Schröder von der Straße weg zum Bür-germeister ernannt wurde, aber schon am 8.Mai 1945 wieder ab-gesetzt wurde. Ihn er-setzte der Kommunist Hans Scigalla, der bis zur Neuwahl 1946 am-tierte. Nachfragen noch in den neunziger Jahren

brachten keine neuen Erkenntnisse. Auch der Hinweis bei Wikipedia auf Karl Schröder, den 1950 verstorbenen kom-munistischen Schriftsteller und Leiter der Volkshochschule Neukölln dürfte fehlgehen, da dessen Lebenslauf die Weddinger Episode sicherlich nicht aus-gelassen hätte. BS

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[Quellen: Schimmler, Der Wedding, Berlin 1985, S.115. Berliner Morgen-post vom 11.5.1969.]

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Fundstück II.

Unser Leser Herr Steinert aus Wiesba-den gibt uns immer wieder Hinweise aus seiner eigenen Berlin-Literatur. Erst kürzlich erinnerte er uns an Kurt Pom-plun, den 1977 im Alter von nur 67 Jah-ren verstorbenen Heimatforscher, der mit zahlreichen Berlin-Büchern und seiner Radiosendung im RIAS—Berlin :

„Kutte kennt sich aus“, den Berlinern ihre Geschichte nahebrachte. Es war Anlass selbst wieder in „Kuttes“ Bücher zu schauen. Dabei fand ich etwas Neu-es, dass ich bisher überlesen hatte. Kurt Pomblun schrieb in seinem Buch „Von Häusern und Menschen“ auch über den Meyers Hof. Dabei erwähnte er auch die Klosettgebäude auf dem ersten, dritten und fünften Hof. Dies war nichts Neues. Der französische Historiker Pier-re Paul Sagave hatte diese 50 Wasser-klosetts als „etwas Hochmodernes“ für seine Zeit beschrieben. Was aber viele wohl übersehnen hatten, hat Pomplun

Nachruf

Wolfgang Sorgatz

19. Dezember 1931 - 28. Februar 2020

Kurz vor Redaktionsschluss erhielten wir die Mitteilung, dass der frühere Vorste-her der Weddinger BVV und spätere Sozialstadtrat Wolfgang Sorgatz nach kurzem Krankenhausaufenthalt plötzlich verstorben ist. Wolfgang Sorgatz war zwar nicht Mitglied unseres Heimatvereines, aber immer ein gern gesehener Gast und regel-mäßiger Spender. Wir danken ihm für seine Zuwendungen. Frühzeitig war Wol-fang Sorgatz Mitglied der SPD geworden, der er 66 Jahre angehörte und in Ost-Berlin in jungen Jahren auch als Kreisgeschäftsführer tätig. So hatte er frühzeitig „engen“ Kontakt zum SED-Regime, wenn er die west-berliner SPD-Zeitung „Berliner Stimme“ per Fahrrad für die Mitglieder nach Ost-Berlin transportierte oder wenn ihm Sanktionen angedroht wurden und er zur Stasi vorgeladen wurde – in ein Zimmer ohne Türklinke- wie er oft betonte, weil er ein Bild von Ernst Reu-ter in der Geschäftsstelle in Fenster stellte. Später arbeitete er in West-Berlin, wo seine Eltern ein Lokal im Brunnenviertel betrieben, in dem die Sozialdemokraten sich trafen. Beruflich war er beim Innensenator beschäftigt und aufgrund seiner Erfahrungen mit der DDR-Bürokratie wurde er in der ersten Passierscheinstelle für dringende Familienangelegenheiten der west-berliner Leiter. Später war er der Referent des Innensenators Neubauer, dann Grundsatzreferent beim Umwelt-Senator Pätzold. Seit 1967 war er Mitglied der Weddinger Bezirksverordnetenver-sammlung deren Vorsteher er 1975 wurde. Danach wurde als Stadtrat für Soziales in das Bezirksamt Wedding gewählt, musste aber 1986 aus gesundheitlichen Gründen ausscheiden. Nachdem er lange im Wedding wohnte, zog er zuletzt nach Tegel. Wolfgang Sorgatz hat sich sehr engagiert, um Brücken zwischen den ver-schiedenen Fraktionen zu bauen. Er wird für den Heimatverein, aber auch für die Kommunalpolitik immer ein Beispiel sein.

Bernd Schimmler Peter Gierich Peter Cucharski

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damals aufgeschrieben: Die Klosettge-bäude—sie wurden zögerlich ab 1897 durch Innentoiletten ersetzt— „konn-ten kurioserweise nur gemeinsam ge-spült werden, was der Verwalter zwei—bis dreimal am Tag veranlasste“!!

Man muss sich vorstellen, dass bei bis zu 2000 Bewohnern und Nutzern der Klosetts der Gestank zwischen den Spül-vorgängen nicht unerheblich gewesen sein muss. Es war daher auch nicht überraschend, wenn eine Untersuchung der Ortskrankenkasse ab 1901 feststell-te, „dass die Klosettverhältnisse eine Quelle der bedenklichsten Ansteckungs-gefahr bilden“. BS

(Quellen: Pomplun, Von Häusern und Men-schen, Berlin 1977, S. 87ff; Schimmler, Der Wedding Berlin 1985, S.67-70.)

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Buchhinweis zur Rundfunk-geschichte. In früheren Ausgaben haben wir über den Besuch in Königs Wusterhausen und dem dortigen Funkerberg und über die Großfunkstelle in Nauen berichtet (u.a. PP 54.S. 16). Jetzt ist hierzu ein Buch von Rainer Suckow, des Vorsit-zender des Fördervereins »Sender Kö-nigs Wusterhausen« e. V. erschienen:

Eine Prise Funkgeschichte. Fünfzig Ge-schichten aus hundert Jahren Rundfunk 160 Seiten, Paperback, be.bra-Verlag, Februar 2020, € 16,00.

Die drahtlose Übertragung von Musik und Informationen ist heute allgegen-wärtig. Doch der Siegeszug dieser Tech-nologie begann erst vor 100 Jahren mit der ersten Übertragung eines Weih-nachtskonzerts vom legendären Fun-kerberg in Königs Wusterhausen bei Berlin. Rainer Suckow erzählt in 50 un-terhaltsamen Geschichten von prägen-den Menschen, Ereignissen und Orten

der Hörfunkgeschichte. Er lässt seine Leser den rasanten Fortschritt miterle-

ben, der nicht nur von neuen techni-schen Möglichkeiten getrieben wurde, sondern vor allem vom stetig wachsen-den Bedürfnis der Menschen nach Un-terhaltung und aktuellen Informatio-nen. So wird ein spannendes Kapitel der Technikgeschichte anschaulich und kurzweilig nachvollziehbar gemacht. So schildert Suckow auch die Entwicklung der Funktechnik, z.B. bei Rettungsein-setzen, die Entwicklung des deutsch-landweiten Rundfunks ebenso wie die Geschichte des Haus des Rundfunks in der Masurenallee. Interessant ist auch die Darstellung welche europaweiten Regelungen es für den Rundfunk gibt. Das Buch ist eine gute Ergänzung zu unseren Artikeln in der Panke-Postille. BS

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Aus dem Vorstand

1. Der Freundeskreis der Chronik Pan-kow e.V. hat in seinem Mitteilungs-blatt 1-2019 über die Geschichte der

Wittler Brotfabrik geschrieben, und dabei auch die Architekten der Ge-

bäude gewürdigt, die für Wittler per-sönlich und für die Brotfabrik errich-tet wurden. Im Anschluss wurde auch der Artikel von Bodo Körtge über Wittler aus der Panke-Postille Nr.60/2018 angedruckt. Wir freuen uns, dass unser Mitteilungsblatt auch über den Alt-Bezirk Wedding solches Interesse findet.

2. Die Weihnachtsfeier im Vereinsheim des BSC Rehberge war wieder für die 30 Teilnehmer ein Erfolg. Auch unser jährliches Quiz mit Fragen aus den letzten Ausgaben der Panke-Postille war doch nicht so leicht wie vom Vor-sitzenden vermutet. Nur zwei Teilneh-mer hatten alles richtig. Die zehn Buchpreise wurden unter den zehn besten Antworten verteilt. Gast der Weihnachtsfeier war auch Vera Mor-genstern, die Vorsitzende des bezirkli-chen Kulturausschusses, die auch gleich einen Aufnahmeantrag an den Heimatverein mitgebracht hatte.

3. Ebenso erfolgreich war auch die im November stattgefundene Weinpro-be, bei uns Peter Gierich diesmal

verschiedene Sekte kredenzte. Er-neut – wie schon bei einer früheren

Anzeige

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Weinverkostung machte er darauf aufmerksam, dass gerade bei den billigen Sektmarken durch seinerzeit von Kaiser Wilhelm II. eingeführte Sektsteuer, ein Großteil des Preises davon abgeht, wenn man dann noch die Kosten für Flaschen, Verkorkung, Transport und die Kosten der Händler abzieht, kann man ermessen, dass es sich bei den Grundweinen ver-schiedenste zusammen vergorene billige Weine handeln muss. Auch machte Peter Gierich auf den bei eini-gen Sekten hohen Zuckergehalt auf-merksam. So kann ein trockener Sekt bis zu 6 Stück Würfelzucker enthal-ten, halbtrockener Sekt bis zu 10 Stück. Dagegen darf Extra brut nur weniger als 1 Stück Würfelzucker oder 2,3 g pro Flasche enthalten. Pe-ter Gierich erläuterte auch die ver-schiedenen Gärmethoden wie die traditionelle Flaschengärung und die heute weit verbreitete Tankgärung. Wir hatten wieder neue Erkenntnisse rechtzeitig vor dem Einkauf zum Weihnachtsfest und dem Jahres-wechsel gewonnen und geschmeckt hat´s auch!

4. In unseren Vorstandssitzungen hat Johann Ganz berichtet, dass jetzt die Bescheide auf die Widersprüche ge-gen die Straßenumbenennungen ergangen sind. Jetzt wird es Klagen gegen Umbenennungen geben. Dies wird deshalb interessant, weil sich seinerzeit auch das bezirkliche Rechtsamt z.B. gegen die Umbenen-nung der Petersallee gewandt hatte. Wir werden weiter berichten.

5. Unser Schaukasten am alten Weddin-ger Rathaus wurde durch Johann Ganz auch wieder auf den neuesten Stand gebracht. Bisher hatte sich Pe-ter Lüdtke um unser Aushängeschild gekümmert, nach dem Umzug zu seiner stark pflegebedürftigen Ehe-frau in den Berliner Süden, konnte er

diese Arbeit mit den langen Anfahrts-wegen nicht mehr erledigen. Wir dan-ken Peter Lüdtke auch an dieser Stel-le für seine langjährige Arbeit für den Weddinger Heimatverein und auch die zahlreiche Organisation von Aus-

flügen und schließlich war er es, der zuverlässig bei unseren Veranstaltun-gen immer einen Fotoapparat dabei-hatte und unsere Arbeit dokumen-tierte. Daran müssen wir noch arbei-ten. Lieber Peter wir danken dir!! BS

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Hinweis: Sparkassen In der Panke-Postille 61-2019 haben wir auf Seite 4 über die Besichtigung des historischen Archivs der Sparkasse be-richtet. Zu einem Teilaspekt ist jetzt ein interessantes Buch erschienen: Salden, Der Deutsche Sparkassen– und Girover-band zur Zeit des Nationalsozialismus. Franz Steiner Verlag Stuttgart 2019, 384 Seiten, € 64.

Peter Lüdtke bei einer Klausurtagung

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Maria Regina Martyrium

Am 4. März 2020 besuchte der Weddin-ger Heimatverein die Kirche Maria Regi-na Martyrium in Charlottenburg Nord am Heckerdamm. Die Kirche wurde 1960 bis 1963 als „Gedächtniskirche der deutschen Katholiken zu Ehren der Blut-zeugen für Glaubens- und Gewissens-freiheit in den Jahren 1933–1945“ ge-baut und liegt unweit der Gedenkstätte Plötzensee. Das Gelände der Kirche um-fasst diese, einen Glockenturm und ei-nen Feierhof mit Außenaltar. Die Errich-tung der Gedenkkirche ging auf eine Anregung des Berliner Bischofs Wes-kamm auf dem Katholikentag 1952 zu-

rück. Die Grundsteinlegung erfolgte 1960, die Fertigstellung und Weihe der Kirche 1963.

Neben der Kirche befindet sich ein Klos-ter der Karmeliterinnen, deren Ordens-teil nahe dem KZ Dachau gegründet wurde und die seit 1984 auch die Ge-denkkirche als ihre Klosterkirche nutzen. Am Eingang zum Feierhof und der Kirche sind Zitate von Erzbischof Kardinal Döpf-ner und des Papstes Pius XII im Mauer-werk angebracht, die die Intention die-ser Gedenkkirche nahe der Hinrich-tungsstätte in Plötzensee deutlich ma-chen.

Den Feierhof umgibt eine dunkle Basalt-mauer, die an einen Gefängnishof erin-nern sollte. An der Mauer ist in einer

sehr abstrakten Darstellung der Kreuz-weg Jesu in Bronzeskulpturen von Otto Herbert Hayek dargestellt, wobei die 15 Kreuzwegstationen zu Gruppen zusam-men gefasst wurden, was das Erkennen erschwert und einer Erläuterung bedarf,

die wir dankenswerterweise von einer Karmeliterin erhielten, die uns durch das Gelände und die Kirche führte. Der Frei-altar wurde ebenfalls von Hayek er-schaffen und wird von einer Bronzeum-randung umfasst, die einer Dornenkrone nachempfunden wurde.

Die Kirche selbst wurde vom Dombau-meister Hans Schädel aus Würzburg errichtet. An der Außen-wand befindet sich eine Plas-tik von Fritz König an der mit Marmor-kieselplatten verkleideten Fassade, deren Kiesel anders als beim ehe-maligen Wed-dinger Rat-hausneubau nur selten her-abfielen, wie uns versichert wurde.

Als erstes betraten wir die Unterkirche mit einer Pieta ebenfalls von Fritz König. Im Eingangsbereich sind in Glaswänden handschriftliche Zitate von Opfern des

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NS-Regimes eingraviert. In der Krypta sind unter der Bodenplatte drei Sarko-phage beigesetzt, einer enthält die

sterblichen Überreste von Dr. Erich Klau-sener (Foto). Er war ein führender Ver-

treter des politi-schen Katholi-zismus in der Wei-marer Republik und bis 1933 Lei-ter der Polizeiab-teilung im Preußi-schen Innenmi-nisterium und be-

kannt für seine Gegnerschaft zum Natio-nalsozialismus. Auf Weisung des Leiters der Gestapo Reinhard Heydrich wurde er 1934 im Zuge der Röhm-Affäre ermor-det. Ein weiterer Sarkophag war für den auf dem Weg zum KZ Dachau verstorbe-nen Berliner Domprobst Lichtenberg vorgesehen, der aber zunächst auf dem Friedhof in der Liesenstraße und dann in der Hedwigs-Kathedrale beigesetzt wur-de, weil die DDR eine Überführung in die Gedenkkirche nicht erlaubte. Zurzeit ist sein Grab aber in der Oberkirche beige-setzt – jedenfalls bis die Hedwigskirche umgebaut wird. Bernhard Lichtenberg

war schon vor der NS-Machtergreifung von den Nazis angegriffen worden. Nach den Judenprogromen von 1938 hielt er Fürbittgottesdienste: „Lasset uns beten für die verfolgten nicht-arischen Christen und für die Juden“. Diese Fürbitten wie-derholte er immer wieder. Als er dann von der Predigt des Münsteraner Bi-schofs Graf von Galen 1941 hörte, der sich gegen die Euthanasie wandte, be-zeichnete er diese in einem Schreiben an den Reichsärzteführer Dr. Conti als

Mord. Nach seiner Inhaftierung wurde er vom Sondergericht I beim Landgericht Berlin zu einer Gefängnisstrafe von zwei Jahren verurteilt. Nach der Verbüßung wollte ihn die Gestapo nach Dachau ins KZ bringen. Auf dem Weg dahin starb er in Hof.

In einem dritten mittleren Sarg ist eine Urkunde enthalten die auf die zahlrei-chen Opfer des NS-Regimes, die unbe-kannt blieben. Der Mittelteil der Boden-platte enthält daher die Inschrift: „Allen Blutzeugen, denen das Grab verweigert wurde – allen Blutzeugen, deren Gräber unbekannt sind“. Auf einer weiteren Platte sind die Daten von Domprobst Bernhard Lichtenberg, sowie des jungen Jesuitenpfarrers Alfred Delp und des mit ihm befreundeten Widerständler und Protestanten Helmuth James Graf von Moltke eingraviert. Moltke und Delp

Domprobst Bernhard Lichtenberg

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korrespondierten in der Haft mit kleins-

ten Kassibern, die von Schwestern, aber auch vom Gefängnispfarrer Harald Poel-schau weitergeleitet wurden, wie dieser in seinen Erinnerungen 1947 schrieb:

„Ich habe die meisten dieser Manuskrip-te aus seiner Zelle herausschmuggeln können. Er hatte eine so kleine und unle-serliche Handschrift, dass es nur einen Menschen gab, der sie entziffern konnte – seine Münchener Sekretärin.“

Anschließend besichtigten wir die Ober-kirche, ein rechteckiger nach Osten aus-gerichteter Raum – in Richtung auf die

Hinrichtungsstätte in Plötzensee. Die fensterlosen Seitenwände sind aus Sicht-beton. Einzelne Leuchtkörper erhellen das Altarbild und eine Madonna aus Südfrankreich um 1320. Das Altarbild von Georg Meistermann ist eine abstra-hierte Darstellung der Offenbarung des Johannes. Rückwärtig ist noch eine Beichtkapelle mit einer Skulptur aus dem 16. Jahrhundert und darüber die

Empore für die Orgel und die Sänger.

Abschließend bedankten wir uns für die eindrucksvolle Führung durch diese mehr als bemerkenswerte Kirche.

Bernd Schimmler

Fotos: Schimmler, Wolfgang Roßow, Wikipedia.

Literatur:

1) Kath. Gedenkkirche Maria Regina Mar-tyrum Berlin. 2. Aufl. Schnell & Steiner, Regensburg 1995, S. 2 (Schnell, Kunstführer Nr. 1703)

2) Benedikta Maria Kempner, Priester vor Hitlers Tribunalen, Leipzig 1967, S.61 ff (Delp); S. 227 ff. (Lichtenberg)

3) Harald Poelschau, Die letzten Stunden. Erinnerungen eines Gefängnispfarrers, Berlin1949, S.127.

4) Schimmler, Recht ohne Gerechtigkeit, Zur Tätigkeit der Berliner Sondergerich-te im Nationalsozialismus, Berlin1984, S.32 (Lichtenberg).

Pfarrer Alfred Delp vor dem Volksgerichts-hof

Altarbild von Georg Meistermann

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Der Alte Dessauer und der

Leopoldplatz

Viele Weddinger nennen den Leopold-platz kurz und liebevoll einfach ihren „Leo“. Doch wenige wissen, an wen da-mit erinnert wird. An den „Alten Dessau-er“, an Leopold I., Fürst von Anhalt-Dessau. Es ist eine Ironie der Geschichte, dass gerade im einstigen Arbeiterbezirk dem „Roten Wedding“, der zentrale Platz und etliche Straßenzüge nach dem Be-gründer des preußischen Militarismus und seinen Feldzügen benannt sind.

Schon Hobrecht hatte in seinem Bebau-ungsplan den Platz unter der Bezeich-nung „J“ geführt. Erst am 2.4.1891 er-hielt der Platz seinen heutigen Namen.

Als der Berliner Baumeister Karl Friedrich

Schinkel die „Alte Nazarethkirche“ im Auftrag Friedrich Wilhelms III. 1835 in den märkischen Sandkasten baute, also lange vor Bildung Groß-Berlins, waren die Flächen des heutigen Platzes ödes Gelände oder dienten als Kartoffelacker. Die Kirche ist der kunsthistorische wert-vollste Bau des Weddings und eine der vier Vorstadtkirchen im Berliner Norden.

Die Alte Nazarethkirche war aufgrund des raschen Wachstums der Gemeinde bald zu klein geworden. Zunächst gab es Überlegungen, die alte Kirche durch Um-bau zu vergrößern. Doch dann fiel 1893 die Entscheidung zu Gunsten des Baus

einer neuen Kirche mit einem 78 Meter hohen Turm, keine 200 Meter von der alten entfernt.

Die Alte Nazarethkirche wurde daraufhin 1905 zu einem Gemeindehaus umge-baut. Während des Zweiten Weltkrieges (1943/44) wurde die Kirche erheblich beschädigt. Nach dem Wiederaufbau wurde die Kirche am 21.3.1954 von Bi-schof Otto Dibelius wieder eingeweiht. Sie steht unter Denkmalschutz.

Die Neue Nazarethkirche wurde 1945 ebenfalls beschädigt. Es kam infol-gedessen 1960 zur Um-gestaltung des Innen-raumes. Zu-nehmend zeigte sich die Kirche als zu groß. Nach der Entwid-mung der Kirche 1989 zog für einige Jahre eine freikirchliche Gemeinschaft der USA ein, heute hat eine religiöse Gruppe aus Bra-silien hier ihre Deutschlandzentrale. Die besitzt hierzulande zwar nur Vereinssta-tus, doch in ihrer Heimat gehört die Kir-che zu den größten des Landes.

Der Leopoldplatz ist mehrmals umgestal-tet worden. Er ist heute nicht mehr ganz

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so schmuddelig. Freitags und dienstags belebt ein kleiner Wochenmarkt den Platz ein wenig.

Wer war der „Alte Dessauer“? Leopold I. (3.7.1676 - 7.4.1747) wurde in Dessau

geboren. Dessau wurde 1213 erstmalig erwähnt und war bis zum 1.7.2007 eine kreisfreie Stadt. Heute ist Dessau ein Stadtteil von Dessau-Roßlau in Sachsen-Anhalt. Leopold I. war ein deutscher Fürst und Landesherr von Anhalt-Dessau. Er diente unter drei preußischen Königen mit rühmlicher Auszeichnung, zum Schluss Friedrich dem Großen. Schon in seiner Jugend verachtete er jeder Art wissenschaftlicher Bildung, welche sich nicht auf Soldaten und den Krieg bezog. Es war jede Bemühung der Erziehung vergebens, ihm auch nur die gewöhnlichsten Schulkenntnisse beizu-bringen, sodass er mit neun Jahren we-der lesen oder noch schreiben konnte. Aber er zeichnete sich schon von Jugend an durch Tapferkeit, Ausdauer und sol-datische Unerschrockenheit aus. Bereits 1688 wurde er zum Obersten und Inha-ber eines Regiments gemacht. Er brachte

es bis zum Generalfeldmarschall und galt auch als eifriger Modernisierer der preu-ßischen Armee. Er führte bei den Hand-feuerwaffen einen eisernen Ladestock und das vernichtende Schnellfeuer ein. Er forderte strenge Disziplin und unnach-giebigen Drill bei den Soldaten. Aus dem von ihm eingeführten Gleichschritt ent-wickelte sich der Stechschritt. Er wirkte auch auf die Militärmusik: Der „Dessauer Marsch“ geht auf seine Idee zurück.

Leopold I. war schon lange tot, da er-reichte den Berliner Bildhauer Johann Gottfried Schadow ein ehrenvoller Auftrag für die Anfertigung eines Mar-mordenkmals. Es wurde auf dem ehema-ligen Wilhelmplatz aufgestellt.

Das Marmordenkmal wurde jedoch auf-grund von Witterungseinflüssen durch einen Bronzenachguss Mitte des 19. Jh. ausge-tauscht. Schadows Marmorfi-gur kam 1904 in das Kaiser-Friedrich-Museum, das heutige Bodemuse-um, wo sie mit weite-ren Generä-len des 18. Jh. in der Kleinen Kuppelhalle steht. Wäh-rend der DDR-Zeit stand das Bronze-Denkmal zeitweilig im Lustgarten. Seit Juni 2005 steht das Denkmal des „Alten Dessauer“ wieder auf dem heutigen Zietenplatz (Foto)

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Leopold I. legte sein raues und derbes Wesen nie ab. Er war berühmt für seine groben Späße. Sie überschritten jede Grenze des Anstandes: „In einer Damen-gesellschaft, wo er mehrere seiner ge-schworenen Feindinnen anwesend wusste, behauptete er eines Abends, er habe einen Grenadier, welcher die Kunst verstehe, sich unsichtbar zu machen. Die Damen, welche über den Gespenster-glauben längst aufgeklärt waren, ver-lachten den Fürsten und behaupteten, dass der Grenadier mit Ober- und Unter-gewehr sich schwerlich in ihrer Gegen-wart würde unsichtbar machen können. Der Grenadier ist vor der Tür, rief Leo-pold. Sie dürfen nun kommandieren: Marsch! und er tritt ein. Die Damen rie-fen, wie der Fürst es ihnen gesagt, die Tür tat sich auf und ein Grenadier mit Degen, Patronentasche und Gewehr, trat außer Hut, Schuhe und Gamaschen, ohne ein Stück Bekleidung, herein. Die Damen schrien auf, verbargen ihr Ge-sicht in ihre Hände und der Grenadier marschierte an ihnen vorüber zur ande-ren Tür hinaus. Sämtliche anwesenden Damen beteuerten, dass der Grenadier in der Tat die geheime Kunst verstehe, sich unsichtbar zu machen.“

Bodo Körtge

Fotos und Bilder: B. Körtge u. Archiv

Literaturnachweis: 1. ecke Müllerstraße Nr. 1-Februar 2012, S. 10, Eberhard Elfert 2. Stadtplätze im Wedding, Jürgen Handrich, Gerd Kittelmann, Brigitte Prévot, Bezirksamt Wedding Von Berlin, 1991, S. 42 ff. 3. Einer der schönsten Bauten der Schinkel-zeit, Dr. Hans-Joachim Beeskow, Der Nord-berliner vom 16.12.2010 4. Mehr als klassisches Kirchenprogramm, Lokales Seite 6, Der Nordberliner v. 7.3.2013

5. BVG Plus, Nr. 2/Febr. 2020, S. 16/17, Leo-poldplatz, Jan Ahrenberg 6. Dessau, Google v. 14.2.2020 7. Der Alte Dessauer, Google v. 14.2.2020 8. Fürst Leopold kehrt frisch frisiert an die Wilhelmstraße zurück, Helmut Caspar, Der Tagesspiegel v. 1.6.2005 9. Berlin, Geschichten & Anekdoten, Fried-helm Reis, S. 146/147, Verlag Berliner Flair 2017

Rückblick Das Erzählcafé und die Un-terschiedlichkeit der Erinne-rungen. In den neunziger Jahren schrieb Horst Löwe (Foto) in seinen hektografierten Erinnerungen an das Jahr 1953 folgen-des: „Das musste auch der Kreissekretär [der SPD] von Weißensee, Her-bert Mießner, erfahren. Er wurde wegen Ver-breitung von Hetzmate-rial verhaftet. Zunächst wusste niemand, wo er abgeblieben ist. Der Präsident des Berliner Abgeordnetenhauses Dr. Otto Suhr pro-testierte in der Sitzung am 21. Mai [1953] gegen diesen Willkürakt und ge-gen die Verhaftung des Vorsitzenden des Arbeiterradiobundes Otto Voigt aus Kaulsdorf. Herbert Mießner wurde am 25. August unter Rechtsbeugung wegen friedensgefährdender faschistischer Propaganda zu drei Jahren Freiheitsstra-fe verurteilt.“ Nach seiner Freilassung ging Herbert Mießner in den Wedding, wo er sich führend in der SPD und in der Arbeiter-wohlfahrt erheblich engagierte. Nach seinem Tod fiel der Witwe Gisela Mieß-

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ner eine Einladung zum Erzählcafé im

Bürgersaal in der Malplaquetstraße in die Hände. Darin hieß es: „Im 102. Erzähl-Café [1992….] tauchen wir ein in ein langes Leben [ein ….] das dieses Jahrhun-dert gleichsam in seinen entscheidens-ten Auseinandersetzungen widerspie-gelt. Wir erleben einen Mann, Götz Berger, einen Juristen, der den aufrech-ten Gang mit der allergrößten Selbstver-ständlichkeit und ohne jede Eitelkeit beherrscht. „Ein Jurist mit aufrechtem Gang“ Götz Berger erzählt.“ Zu seiner Person wurde in der Einladung mitge-teilt, dass der Sohn aus bürgerlichem Elternhaus Jura studierte, als Anwalt für die kommunistische Rote Hilfe arbeitete, 1933 Berufsverbot erhielt, im Spanischen Bürgerkrieg teilnahm, 1946 nach Deutschland zurückkehrte und als er Robert Havemann verteidigte auch in der DDR ein Berufsverbot erhielt. Was nicht in der Einladung stand, waren seine zwischenzeitlichen Tätigkeiten. An die erinnert Gisela Mießner (zu ihrer Person siehe den Nachruf in der Panke-Postille Nr. 28-2007) in einem Brief: „Völlig unerwähnt lassen sie in der Schil-derung seines Lebenslaufes, dass es sich bei Dr. Berger um einen Juristen handelt, der […] von 1950 bis Mitte der fünfziger

Jahre als ´Oberrichter des Stadtgerichts Berlin` viele unhaltbare Terrorurteile fällte.“ Zum Nachweis zitiert sie dann den Beschluss des Landgerichts Berlin – 6. Strafkammer – Kassationsgerecht, mit dem das Urteil aufgehoben wurde. In dem Beschluss heißt es: „Das Urteil des Stadtgerichts Berlin beruht auf einer schwerwiegen-den Verletzung des Gesetzes, § 311 Abs.2 Nr. 1 StPO der DDR und ist daher aufzuheben.“ Weiterhin stellt das Kassations-gericht u.a. fest: „Das Ver-teilen von sozi-aldemokrati-schen Zeitun-gen und Flug-blättern, die zur Teilnahme an einer DGB-Kundgebung aufriefen, waren indes weder friedensgefährdend, noch diente dieses Tun in irgendeiner Form national-sozialistischer oder militaristischer Pro-paganda“, was nach der Kontrollratsdi-rektive Nr. 38, Abschnitt II Art. III A III verboten war. Diesen Paragraphen des Alliiertenrechts hatte das Stadtgericht unter Dr. Berger rechtswidrig ange-wandt. Dr. Berger hatte seinerzeit ausge-führt: „Der Angeklagte Mießner hat (…) friedensgefährdende faschistische Pro-paganda getrieben“ durch Verteilung sozialdemokratischer Schriften!!! Dabei stellte das Gericht unter der Führung von Dr. Berger fest, dass Herbert Mießner vor der NS-Herrschaft sozialdemokra-tisch organisiert war und ab 1945 sofort wieder. Aber genau das war das Verbre-chen aus der Sicht der SED-Führung, denn er hatte - wie das Gericht schrieb: „die Vereinigung der beiden Arbeiterpar-teien ab[gelehnt]“ – wohl auch direkt gegenüber Erich Mielke, dem Chef der Staatssicherheit.

Herbert Mießner (lks) wird von SPD-Mitgliedern nach seiner Haftentlassung 1956 begrüßt.

Gisela Mießner

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Herbert Mießner faschistische Propagan-da vorzuwerfen, ist schon deshalb proble-matisch, war er doch mit Gisela Mießner verheiratet, die mit ihrer Mutter zu den Protestierenden gehörten, die 1943 mit Erfolg die Freilassung ihrer jüdischen Vä-ter und Ehegatten in der Rosenstraße erreichten! Darauf ging das Gericht nicht ein. Dr. Berger war linientreu, was auch seine Vita zeigt. Der 1929 zum Dr. jur promovierte Jurist war schon 1925 Mit-glied des Kommunistischen Studenten-verband, trat 1927 der KPD bei und wur-de 1931 Mitglied der Anwaltskanzlei von Hilde Benjamin im Wedding (vgl. Panke-Postille Nr. 60 und Nr. 61). Er nahm als Dolmetscher am Spanischen Bürgerkrieg teil, wurde festgenommen, trat der briti-schen Armee bei und entschloss sich nach Russland zu gehen, wo er am Kriegsende mit Unterstützung von Wilhelm Pieck nach Berlin zurückkehrte. Im ZK der SED war er schließlich Abteilungsleiter für Justiz, anschließend Oberrichter beim Stadtgericht Berlin (1951-1957). 1950 wurde der westdeutsche Kommunist und Landtagsabgeordneter Kurt Müller nach dessen Aussagen von Berger nach Ost-Berlin gelockt, verhaftet und zu 25 Jahren Haft verurteilt. 1959 war er im Sekretari-at von Walter Ulbricht tätig, ab 1958 ar-beitete er als Rechtsanwalt. In den späten sechziger Jahren war er Verteidiger von Robert Havemann und seinen Söhnen und als er wie viele aus dem Havemann-Umfeld gegen die Ausbürgerung Bier-manns protestierte, wurde ihm 1976 die Zulassung als Rechtsanwalt entzogen. Leider hat Dr. Berger dieses bewegte Le-ben nicht genutzt, um Frieden mit seinen früheren Opfern zu schließen. Nach der Aufhebung seiner Urteile hat er auf ein Schreiben von Gisela Mießner auf sein hohes Alter und fehlende Erinnerungen verwiesen. Wie dankbar wären die Opfer für ein klärendes Gespräch gewesen. Im-merhin hatte er kurz vor dieser Absage noch ein weiteres Buch veröffentlicht, das nach dem Cover „seiner Zeit den

Spiegel vorhält“: „Mit dem linken Auge“. Opfer wie Herbert Mießner waren wohl nicht links genug. Bernd Schimmler (Quellen: wikipedia: Dr. Götz Berger; Im Ar-chiv Schimmler: Schreiben von Gisela Mießner vom 3.4.1992; hektografiertes Manuskript von Horst Löwe vom Sommer 1993; Abschrift des Urteils des Stadtgerichts Berlin vom 25.8.1953 ( 1 C 91.53) und des Beschlusses des Landge-richts Berlin vom 19.8 1991 ( 506 Kass 202/91) Fotos: Panke-Postille; August-Bebel-Institut:http://www.linke-lebensläufe.de/lebenslauf/miessner.html ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~

Die frühen Berliner Stadtsie-

gel.

In den frühen Jahren der Städtegründun-gen wurden Verträge oder die Verleihung von Rechten mit Urkunden ausgetauscht, die am unteren Rand—zumeist an Bän-dern - mit Siegeln versehen wurden, die häufig in Wachs eingedrückt wurden. Bald erhielten auch Städte ihre Siegel. Ausgegeben wurden diese Siegel in der Regel vom Landesherrn. Oftmals wurden Urkunden und Siegel auch gefälscht, wes-halb sie meist nur mit landesherrlicher Unterstützung anerkannt wurden. So war das erste bekannte Berliner Siegel eine Abwandlung des askani-schen Siegels des Landes-herrn mit der Aufschrift „Siggillum de Berlin burgen-sis“ (Grafik 1). Erstmals zwei Bären enthielt das Wappen von 1280 auf einem Gilde-brief der städtischen Kürschner, aber es

Siegel von 1253

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war im-mer noch ein mark-gräfliches Wappen. Die Bären fanden sich zur Abgren-zung aber nicht in den Wap-pen der Nachbar-

stadt Cölln.

1338 dominiert schon ein laufender Bär, während das landesherrschaftliche Wap-pen an seinem Halsband hängt. Nach-dem im 15. Jahrhundert die Berliner ge-gen Eingriffe in ihre Stadtrechte protes-tierten und die Hohenzollern dieses

Aufbegehren niederschlugen, wurde dies auch im Wappen von 1448 deutlich. Der landesherrschaftliche Adler thronte auf dem Bären, der zudem ein Halsband trug (siehe Grafik oben rechts). Von diesem Halsband befreite sich die Stadt erst im Wappen von 1875, aber wie auch bei den vorangegangenen Wappen thronte

über allen die Königs-krone. Erst ab 1883 wurde das Stadtwap-pen ein Bär im Schild mit einer Mauerkro-ne. Dieses gab es in mehreren Variationen (z. B. mal mit schwarzen Krallen -1935 -, mal mit roten – seit

1954). BS

(Quellen: Berliner Morgenpost vom 15.12.2019, S.21; siehe auch Karl Kroeschell, Deutsche Rechtsgeschichte (1250 –1650), Reinbek 1973, S. 35 ff.)

Siegel von 1283

Siegel 1338

Siegel von1448

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An den

Weddinger Heimatverein e.V.

c/o Bernd Schimmler

Kattegatstr. 18

13359 Berlin

Ich Interessiere mich für den Weddinger Heimatverein. ○ Bitte senden Sie mir Informationsmaterial über den Heimatverein zu, einschließlich Satzung und Aufnahme- Formular. ○ Ich möchte gern das Veranstaltungsprogramm des Weddinger Heimatvereins erhalten. ○ Bitte rufen Sie mich unter der Tel.Nr.________________ an, ich habe Fragen zur Geschichte des Gesundbrunnens und des Wedding. ○ Ich beantrage die Mitgliedschaft im Weddinger Heimatverein (aktueller Mindestbeitrag pro Jahr 36 €). Sie erreichen mich unter folgender Anschrift (bitte in Druckbuchstaben): —————————————————————————————————-

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Weddinger

Wappen seit 1955

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Mitte (seit 2001)