Peinliche Behörden im Saarland

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Unabhängige Nachrichten, Berichte & Meinungen Aktueller Online-Flyer vom 06. Mai 2009 Inland Die Unfallkasse Saar, das Landesamt für Versorgung und das Sozialgericht Ehrenamtliche – geehrt oder im Stich gelassen? Von Peter Kleinert Auch für das Jahr 2009 sucht die Saarbrücker Zeitung "Saarlands Beste". Am 30.April versprach sie „Menschen und Vereine(n), die Besonderes leisten...tolle Preise, für den Verein des Jahres sogar 10.000 Euro“. Gesucht werden „Ehrenamtler oder Gruppen, die etwas Tolles geleistet haben“. Was “Ehrenamtlern“ im Saarland auch widerfahren kann, erfahren LeserInnen in dem folgenden Interview mit der Gründerin und ehemaligen Vorsitzenden des Internationalen Vereins für Umwelterkrankte (IVU e.V.), Gisela Segieth, vom 30. April 2009. Gisela Segieth – einige Monate vor der IVU-Veranstaltung in Mettlach, Foto: privat Peter Kleinert: Man sagt von Ihnen, dass Sie immer schon eine begeisterte “Ehrenamtlerin“ waren und vor vielen Jahren selbst einen Verein gründeten, dessen Vorsitzende Sie jahrelang waren. Gisela Segieth: Es stimmt, ich war tatsächlich über Jahrzehnte überzeugte “Ehrenamtlerin“, aber ich bin es nicht mehr. Nachdem ich mich ehrenamtlich von klein auf sehr engagiert hatte, gründete ich im April 1999 den Internationalen Verein für Umwelterkrankte (IVU e.V.) und war bis März 2007 dessen Vorsitzende. Doch durch das was in mir seit 2004 infolge dieses Ehrenamtes passiert, hat diese Überzeugung sehr gelitten.

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Die Unfallkasse Saar, das Landesamt für Versorgung und das Sozialgericht Ehrenamtliche – geehrt oder im Stich gelassen? Von Peter Kleinert

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Unabhängige Nachrichten, Berichte & Meinungen

Aktueller Online-Flyer vom 06. Mai 2009 Inland Die Unfallkasse Saar, das Landesamt für Versorgung und das Sozialgericht Ehrenamtliche – geehrt oder im Stich gelassen? Von Peter Kleinert Auch für das Jahr 2009 sucht die Saarbrücker Zeitung "Saarlands Beste". Am 30.April versprach sie „Menschen und Vereine(n), die Besonderes leisten...tolle Preise, für den Verein des Jahres sogar 10.000 Euro“. Gesucht werden „Ehrenamtler oder Gruppen, die etwas Tolles geleistet haben“. Was “Ehrenamtlern“ im Saarland auch widerfahren kann, erfahren LeserInnen in dem folgenden Interview mit der Gründerin und ehemaligen Vorsitzenden des Internationalen Vereins für Umwelterkrankte (IVU e.V.), Gisela Segieth, vom 30. April 2009.

Gisela Segieth – einige Monate vor der IVU-Veranstaltung in Mettlach, Foto: privat Peter Kleinert: Man sagt von Ihnen, dass Sie immer schon eine begeisterte “Ehrenamtlerin“

waren und vor vielen Jahren selbst einen Verein gründeten, dessen Vorsitzende Sie jahrelang

waren. Gisela Segieth: Es stimmt, ich war tatsächlich über Jahrzehnte überzeugte “Ehrenamtlerin“, aber ich bin es nicht mehr. Nachdem ich mich ehrenamtlich von klein auf sehr engagiert hatte, gründete ich im April 1999 den Internationalen Verein für Umwelterkrankte (IVU e.V.) und war bis März 2007 dessen Vorsitzende. Doch durch das was in mir seit 2004 infolge dieses Ehrenamtes passiert, hat diese Überzeugung sehr gelitten.

Erzählen Sie uns doch mal etwas über die Gründe. Während meiner Vorstandstätigkeit stand ich von 1999 an Jahre lang im Licht der Öffentlichkeit, führte viele Veranstaltungen durch, darunter auch zehn internationale umweltmedizinische Kongresse. Gleichzeitig bildete ich erfolgreich mehrere gesundheitlich benachteiligte Menschen zum Kaufmann für Bürokommunikation aus. All das tat ich gern, obwohl es sehr viel Zeit, Geld und ein hohes Engagement forderte. Warum engagierten Sie sich in dieser Richtung? Und woher kam das Geld für diese Arbeit? Gegründet wurde dieser Selbsthilfeverein von mir, weil ich selbst durch schädliche Umweltfaktoren an der Arbeitsstelle so sehr erkrankte, dass man mich schon mit Mitte dreißig als schwer behinderte Erwerbsunfähige in Rente schickte. Ich kannte also die Not der Umwelterkrankten und wollte deshalb anderen Betroffenen beistehen. Finanziert hat sich der Verein zu meiner Vorstandszeit vor allem durch zahlreiche Veranstaltungen, durch Mitgliedsbeiträge und Fördermittel der Krankenkassen, während es kaum Gelder der öffentlichen Hand dafür gab. Deshalb waren wir stets in der Öffentlichkeit und in den Medien präsent, meist mit Spendendose und Glücksrad, um zu informieren und so die Arbeit des Vereins zu sichern.

Beim IVU-Vortrag am Glücksrad auf dem Bockbierfest 2004 | Foto: IVU Sie haben es also von Anfang an fertig gebracht die Medien zu überzeugen. Wo war denn die

Zentrale des Vereins?

Die ersten fünf Jahre war sie in meiner damaligen Wohnung in Nalbach. Erst im Jahr 2004 war das finanzielle Fundament so tragfähig, dass Büroräume angemietet werden konnten. Mit der Ausbildung gesundheitlich benachteiligter Menschen begann ich allerdings schon im Herbst 2002 in meiner Wohnung.

Wie ließ sich das denn mit Ihrem Privatleben vereinbaren? Von meinem Privatleben blieb schon kurze Zeit nach Vereinsgründung nichts mehr übrig. Denn unentwegt läutete das Telefon, surrte das Fax, erreichten mich Mails und klingelten Betroffene an meiner Haustür, oft sogar spät am Abend oder mitten in der Nacht. Das war wohl sehr anstrengend. Was waren die Ziele Ihrer Vereinsarbeit?

Es ging mir darum die Öffentlichkeit für die Not der Umwelterkrankten zu sensibilisieren und diesen Menschen als Wegweiser durch den Dschungel des Gesundheitswesens wie der übrigen, erforderlichen Instanzen zur Seite zu stehen. Darüber hinaus hielt ich es für wichtig, gesundheitlich benachteiligten Menschen den Weg ins Berufsleben zu ebnen. Gab es denn nicht genug Angebote in dieser Richtung?

Meiner Erfahrung nach nicht! Bei näherem Hinsehen bemerkte ich immer wieder, dass die Erkrankten ziemlich allein gelassen wurden in ihrer Not. Zusammenschlüsse von Betroffenen mit Experten fand ich gar keine, doch genau diese hielt ich für wichtig. Sie halfen also soweit es in Ihrer Macht stand, ohne dafür bezahlt zu werden. Ja, ich tat was ich konnte - ausschließlich ehrenamtlich und unentgeltlich. Aktuell wird wieder mal öffentlich über die Würdigung des Ehrenamts gesprochen. Haben auch

Sie so etwas erlebt?

Nein, niemals! Dennoch habe ich damals diese Arbeit gemacht, weil ich das für meine Pflicht hielt. Und 2004 ist Ihnen in diesem Zusammenhang was passiert. Was geschah damals? Ich wurde im November 2004 bei einer Veranstaltung, bei der ich im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit für diesen Verein im Einsatz war, so schwer verletzt, dass ich mich bis heute nicht davon erholte. Dennoch sind Sie als Vorsitzende des Vereins erst 2007 zurückgetreten. Warum? Was hätte ich machen sollen? Ich brach zwar täglich vor Schmerzen aufs Neue zusammen, doch ich sah damals keine andere Möglichkeit als all das bis zur nächsten Vorstandswahl auszuhalten. Zum einen beschäftigte ich zu der Zeit fünf gesundheitlich benachteiligte Menschen, zum anderen aber sah ich mich in der Pflicht, zuerst jemanden zu finden, der meine Arbeit fortführt. Deshalb brachte ich die Ausbildung der mir anvertrauten Menschen zu einem guten Abschluss und hielt mit letzter Kraft die Geschicke des Vereins bis zur nächsten Vorstandswahl in meinen Händen. Was genau passierte im November 2004? Ich war an diesem Abend, im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit des Vereins, mit zwei Helfern beim Bockbierfest der Mettlacher Abtei Brauerei, um über unsere Arbeit zu informieren und gleichzeitig Kinder mit einem Glücksrad zu unterhalten. Irgendwann musste ich zur Toilette, weshalb ich mich bei meinen Mitstreitern abmeldete. Danach fehlen mir auch heute noch viele Stunden, die ich nicht mehr im Bewusstsein habe. Als ich wieder zu mir kam, sah ich schrecklich aus.

Wie sollen wir uns das vorstellen? Ich hatte fast überall am Körper fürchterliche Schmerzen die heute noch anhalten. Eine ca. sieben Zentimeter offene Kopfwunde klaffte an der rechten Seite meines Kopfes, die gesamte Kopfhaut war – so schien es mir – über Monate viel zu eng. Alle Zähne wackelten im Ober- wie Unterkiefer, der gesamte Rücken und der größte Teil meines Gesichtes waren grün und blau, und den rechten Arm konnte ich einschließlich der rechten Hand fast gar nicht mehr bewegen. Gleichzeitig litt ich danach sehr lange Zeit unter einer immensen Geräuschempfindlichkeit sowie unter Übelkeit und Erbrechen. Eine Schwindelattacke jagte die nächste, und noch heute reicht eine Aufregung, um Schwindel entstehen zu lassen und mich zu Fall zu bringen. Was waren die Folgen? Ich erlitt wegen der Schwindelsymptomatik bereits mehrere Unfälle, bei denen ich mir unter anderem auch die Hände brach, so dass ich relativ hilflos wurde. Und zu allem Überfluss setzte sich auf das Ganze anschließend auch noch Rheuma, das ich laut Auskunft meines Arztes nie wieder verlieren werde. Wie haben Sie dieses Unglück vom November 2004 denn seelisch verkraftet? Ich erlitt außer den sichtbaren Verletzungen ein Trauma, das heute noch anhält. Dadurch ist mir seither eine Teilhabe am öffentlichen Leben nicht mehr möglich, und die ganze Sache verfolgt mich immer noch im Schlaf. Fast jede Nacht wache ich auf mit den Worten „Ich wollte doch nur helfen…“ – ohne jedoch zu wissen, wer oder was mich damals so schwer verletzt hat. Tag und Nacht quälen mich wahnsinnige Schmerzen, und ich sehe seither fast nur Ärzte und muss immer wieder in die Klinik, doch auf die Beine komme ich nicht wieder. Dennoch ist nach wie vor relativ unklar, was mir damals wirklich passierte. Haben Sie denn überhaupt keine Erinnerung? Mir selbst gibt meine eigene Erinnerung ein, dass ich beim Versuch "Erste Hilfe" zu leisten brutal zusammengeschlagen wurde. Aber da bin ich eben nicht sicher. Was ist denn Ihnen und Ihren beiden Helfern von diesem Abend bekannt? Es ist bekannt, dass es an diesem Abend im Bereich der Toilettenanlage der Brauerei zu einer Schlägerei kam, wo mich dann einer der Eigentümer nach seiner eigenen Aussage später auch liegen sah. Doch was meinen Zusammenbruch betrifft, wurden bis heute weder der Täter noch direkte Tatzeugen von der Polizei ermittelt. Und das obwohl nach Angaben der Eigentümer der Brauerei an diesem Abend ca. 1.500 Gäste vor Ort gewesen sein sollen. Also handelte es sich offenbar um eine Gewalttat. Wer ist denn bei Ihnen im Saarland für die

gesundheitlichen Folgen zuständig, wenn Täter nicht zu ermitteln sind? Zuständig wären sowohl die Unfallkasse Saar wie auch die im Landesamt für Versorgung angesiedelte Stelle für Opferentschädigung.

Gisela Segieth im Westpfalz-Klinikum, Februar 2009 | Foto: Bernd Neurohr

Dann dürfte eine Entschädigung und Versorgung in Ihrem Fall doch eigentlich ziemlich klar

sein. Leider nein! Zwar läuft diese Sache jetzt schon seit 2004, doch sie ist bis heute noch nicht endgültig entschieden. Allerdings teilte das Landesamt vor wenigen Tagen schriftlich mit, man habe die Akte geschlossen, da der Täter nicht zu ermitteln sei und es auch an Tatzeugen mangele. Und was sagt die Unfallkasse Saar? Ich musste einen Prozess gegen die Unfallkasse anstrengen, und in diesem Prozess entschied das Sozialgericht bereits 2008, dass eine Gewalttat auszuschließen sei, da der Täter nicht zu ermitteln sei und auch keine direkten Tatzeugen gefunden wurden. Im Urteil steht, dass lediglich bewiesen sei, dass es an diesem Abend zu Verletzungen an mir gekommen ist. Wenn das Gericht eine Gewalttat ausschließt, würde es sich doch um einen Arbeitsunfall

handeln, womit dann die Berufsgenossenschaft (BG) für Gesundheit in der Pflicht wäre. Oder

nicht? So wäre es auch nach meinem Rechtsverständnis. Denn im Sozialgesetzbuch VII § 2 – Absatz 1 – Satz 9 steht: „Kraft Gesetzes sind versichert: Personen, die selbständig oder unentgeltlich, insbesondere ehrenamtlich im Gesundheitswesen oder in der Wohlfahrtspflege tätig sind.“(1) Und genau das war an diesem Abend der Fall! Und die zuständige BG selbst teilte in einem ersten Schreiben im Jahr 2005 mit, dass es sich bei dem, was mir da passierte, um einen Arbeitsunfall handelt, für den sie sich verantwortlich zeige. Später jedoch widerrief sie diese Aussage. Deshalb strebte mein Rechtsvertreter auch einen Prozess gegen diese Berufsgenossenschaft an. Dann nimmt, wenn auch spät, doch alles seinen geregelten Lauf. Oder? Nein, danach sieht es überhaupt nicht aus. Denn noch vor Prozessbeginn forderte mich das Sozialgericht des Saarlandes mit Schreiben vom 30. März 2009, unter Androhung eines Bußgeldes - wegen meiner “Mutwilligkeit“ diesen Prozess überhaupt anzustrengen - schriftlich dazu auf, die Klage fallen zu lassen.

Brief des Sozialgerichts für das Saarland an Gisela Segieths DGB-Rechtsschutzstelle

Quelle: Sozialgericht

Mutwilligkeit? Sie wurden vermutlich mutwillig verletzt, doch wie kann man Ihnen Mutwillen

unterstellen, weil Sie Ihr Recht suchen? Wie haben Sie reagiert? Haben Sie die Klage etwa

zurückgezogen? Nein, natürlich nicht. Denn das hätte doch bedeutet zu erklären, dass mir an diesem Abend in Mettlach kein Schaden zugefügt worden wäre. Und das käme einer Lüge gleich, die niemand von mir erwarten kann. Der mich vertretende Anwalt teilte das, in meinem Auftrag, dem Sozialgericht am 17. April 2009 auch schriftlich mit. Also bleibt abzuwarten, wie das Sozialgericht entscheidet. Nein, denn bereits am 20. April 2009 schrieb man beim Sozialgericht einen Brief an meinen Anwalt, der mich heute, am 30.April,erreichte. Darin steht: In dem Rechtsstreit… ist beabsichtigt, gemäß § 105 SGG ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden. Außerdem ist darin zu lesen: „Nach dem gegenwärtigen Stand des Verfahrens hat die Klage allerdings keine Aussicht auf Erfolg. Das Gericht empfiehlt daher ihre Rücknahme. Im Falle der Fortsetzung des Rechtsstreits beabsichtigt die Kammer die Erhebung von Verschuldenskosten gemäß § 192 SGG, da die Klage in Hinsicht auf das abgeschlossene Verfahren – gegen die Unfallkasse Saar – offensichtlich keinen Erfolg haben kann und ihre Fortsetzung mutwillig erscheint. Das ist doch kaum zu glauben. Das dürfte Sie ziemlich umgehauen haben? Mir geht es gesundheitlich sehr schlecht, fühle mich wie verprügelt und im Stich gelassen. Ich habe immer noch unerträgliche Schmerzen rund um die Uhr, denn bisher hatte keine einzige Therapie anhaltenden Erfolg. Gleichzeitig läuft der Schuldige nach wie vor frei herum. Und selbst die Absicherung als Ehrenamtliche, als die ich an diesem Abend ausschließlich tätig war, ist laut Sozialgericht angeblich nicht gegeben. Denn wie man in dieser Sache zu entscheiden gedenkt, das wurde in dem oben genannten Schreiben ja mitgeteilt. Ich brauche also für die nächste Instanz dringend Zeugen, die darstellen könnten, was damals in Mettlach passiert ist. Ich brauche sie aber nicht nur als Hilfe im Prozess, sondern auch für mich selbst, um endlich aus dieser Ungewissheit herauszukommen, was mir damals passiert ist. Zeugen mögen sich bitte unter der Adresse [email protected] melden. (PK) (1) http://www.buzer.de/gesetz/3986/a55417.htm Online-Flyer Nr. 196 vom 06.05.2009

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