perspektive21 - Heft 30

84
ZWISCHEN ZENTRUM UND PERIPHERIE: GÜNTER BAASKE : Politik muss sagen, was ist MATTHIAS PLATZECK : Soziale Gerechtigkeit für das 21. Jahrhundert HUGH WILLIAMSON : Reformschrittmacher Ostdeutschland HEIDEROSE KILPER | HANS JOACHIM KUJATH : Zwischen Metropole und Peripherie MARTIN T. W. ROSENFELD : Perspektiven von Berlin-Brandenburg THOMAS MIROW : Wer still steht, fällt zurück CHRISTIANE DIENEL : Zwischen Familien- und Karriereplanung RAINER MÜLLER : Perspektiven für die Lausitz UDO FOLGART : Stadt und Land gehören zusammen ROY WALLENTA : Zwischen Hoffen und Bangen JENS TESSMANN : Zusammenarbeit von Landkreisen Chancen für Regionen BRANDENBURGISCHE HEFTE FÜR WISSENSCHAFT UND POLITIK HEFT 30 MAI 2006 www.perspektive21.de

description

Chancen für Regionen

Transcript of perspektive21 - Heft 30

Page 1: perspektive21 - Heft 30

ZWISCHEN ZENTRUM UND PERIPHERIE:

GÜNTER BAASKE : Politik muss sagen, was ist

MATTHIAS PLATZECK : Soziale Gerechtigkeit für das 21. Jahrhundert

HUGH WILLIAMSON : Reformschrittmacher Ostdeutschland

HEIDEROSE KILPER | HANS JOACHIM KUJATH : Zwischen Metropole und Peripherie

MARTIN T. W. ROSENFELD : Perspektiven von Berlin-Brandenburg

THOMAS MIROW : Wer still steht, fällt zurück

CHRISTIANE DIENEL : Zwischen Familien- und Karriereplanung

RAINER MÜLLER : Perspektiven für die Lausitz

UDO FOLGART : Stadt und Land gehören zusammen

ROY WALLENTA : Zwischen Hoffen und Bangen

JENS TESSMANN : Zusammenarbeit von Landkreisen

Chancen fürRegionen

BRANDENBURGISCHE HEFTE FÜR WISSENSCHAFT UND POLITIK

HEFT 30 MAI 2006 www.perspektive21.de

Seit 1997 erscheint„perspektive 21 – Brandenburgische Hefte für Wissenschaft & Politik“.

Wenn Sie Interesse an bisher erschienenen Ausgaben haben, können Sie ältere Exemplare auf unserer Homepage www.perspektive21.de alspdf-Datei herunterladen.

Einzelne Exemplare von bisher erschienenen Ausgaben schicken wir Ihnengerne auch auf Wunsch kostenlos zu. Senden sie uns bitte eine E-Mail an [email protected].

Zur Zeit sind folgende Titel lieferbar:Heft 14 Brandenburgische IdentitätenHeft 15 Der Islam und der WestenHeft 16 Bilanz – Vier Jahre sozialdemokratisch-bündnisgrünes ReformprojektHeft 17 Ende der Nachwendezeit. PDS am Ende?Heft 18 Der Osten und die Berliner RepublikHeft 19 Trampolin oder Hängematte? Die Modernisierung des Sozialstaates.Heft 20 Der Letzte macht das Licht aus?!Heft 21/22 Entscheidung im Osten: Innovation oder Niedriglohn?Heft 23 Kinder? Kinder!Heft 24 Von Finnland lernen?!Heft 25 Erneuerung aus eigener KraftHeft 26 Ohne Moos nix los?Heft 27 Was nun, Deutschland?Heft 28 Die neue SPDHeft 29 Zukunft: Wissen. H

EFT

30M

AI2

006

Cha

ncen

für

Reg

ione

n

SPD-Landesverband Brandenburg, Alleestraße 9, 14469 PotsdamPVST, DPAG, Entgelt bezahlt, A47550

Page 2: perspektive21 - Heft 30

Das Debattenmagazin

www.b-republik.de

Die Berliner Republik erscheint alle zwei Monate. Sie ist zum Preis von 5,– EUR inkl. MwSt. zzgl. Versandkosten als Einzelheft erhältlich oder im Abonnement zu beziehen: Jahresabo 30,– EUR; Studentenjahresabo 25,– EUR

Jetzt Probeheft bestellen: Telefon 0 30/2 55 94-130, Telefax 0 30/2 55 94-199, E-Mail [email protected]

Bezug der bereits erschienenen Hefte möglich

Wieviel Einspruch verträgt der Mainstream? Heute regieren die 68er – aber was kommt,

wenn sie fertig haben? Die Berliner Republik ist der Ort für eine neue politische Generation:

undogmatisch, pragmatisch, progressiv. Weil jede Zeit ihre eigenen Antworten braucht.

Page 3: perspektive21 - Heft 30

Chancen für RegionenD er rassistische Überfall am Osterwochenende in Potsdam hat uns alle

schockiert. Auf einmal war auch das Bild vom rechtsextremistischen Ostenzurück in den Köpfen. Der Überfall hat aber auch gezeigt, dass die Mitte derGesellschaft nach wie vor intakt ist. Über 4.000 Menschen haben in Potsdamgegen Rassismus, Gewalt und Fremdenfeindlichkeit demonstriert, viele habengespendet und ihre Anteilnahme gezeigt. Innerhalb weniger Tage haben 4.500Menschen aus allen Teilen unseres Landes den Aufruf „Wir sind Brandenburg“unterzeichnet – und stehen damit als die wahren Patrioten für ihr Land. Den-noch hat es in den Diskussionen nach dem Überfall auch diesmal den Versuchgegeben, den Rechtsradikalismus klein zu reden. Das ist der falsche Weg. Kurz,knapp und sehr eindringlich schildert Günter Baaske den „Fall Potsdam“. Bran-denburg ist nicht braun, das nicht. Wer aber den Rechtsextremismus bekämpfenwill, muss Probleme zuerst einmal offen aussprechen und nicht verharmlosen.

Am Morgen des 10. April gefror vielen Sozialdemokraten das Blut in denAdern. Der Rücktritt von Matthias Platzeck als SPD-Vorsitzender hat viele Men-schen – in und außerhalb der Partei – bewegt. Weit über die viel zu kurze Amts-zeit hinaus werden seine Vorschläge und Ideen für ein neues Grundsatzprogrammder SPD wirken. Neue Kraft haben die Sozialdemokraten immer dann geschöpft,wenn sie auf der Höhe der Zeit waren. Deshalb lohnt es sich, Platzecks Leitsätzefür das Grundsatzprogramm nachzulesen. Mit dem „vorsorgenden Sozialstaat“entwickeln die Sozialdemokraten eine spannende Idee, wie die Welt des 21. Jahr-hunderts gestaltet werden kann.

Viel wird derzeit über das Verhältnis von Berlin und Brandenburg, von Zen-tren und Peripherie geredet. Die beiden Landesregierungen entwickeln derzeit einLeitbild für eine gemeinsame Metropolenregion. Wie Zentren und periphereRäume zusammen passen, wie sie sich ergänzen und welche Defizite es gibt, stehtim Mittelpunkt dieses Heftes. Eine Erkenntnis zieht sich durch alle Beiträge: Nurwer sich auf seine Stärken besinnt, wird erfolgreich sein.

THOMAS KRALINSKI

[ vorwort ]

1perspektive21

Page 4: perspektive21 - Heft 30

2 heft 30 | mai 2006

[ impressum ]

HERAUSGEBER

J SPD-Landesverband Brandenburg

J Wissenschaftsforum der Sozialdemokratie

in Berlin, Brandenburg und Mecklen-

burg-Vorpommern e.V.

REDAKTION

Thomas Kralinski (Chefredakteur), Lars

Krumrey (V.i.S.d.P.), Ingo Decker, Dr. To-

bias Dürr, Klaus Faber, Tina Fischer, Klara

Geywitz, Christian Maaß, Till Meyer, Mich-

ael Miebach, Manja Orlowski

ANSCHRIFT

Alleestraße 9

14469 Potsdam

Telefon: 0331/73 09 80 00

Telefax: 0331/73 09 80 60

E-MAIL : [email protected]

INTERNET : http://www.perspektive21.de

GESAMTHERSTELLUNG UND VERTRIEB

weberpress. Daniela Weber

Pappelallee 2, 14469 Potsdam

[email protected]

BEZUG

Bestellen Sie Ihr kostenloses Abonnement

direkt beim Herausgeber. Senden Sie uns

eine Mail.

Page 5: perspektive21 - Heft 30

Chancen für RegionenZWISCHEN ZENTRUM UND PERIPHERIE

MAGAZIN—GÜNTER BAASKE : Politik muss sagen, was istSieben Wahrheiten über den Fall Potsdam . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5

MATTHIAS PLATZECK : Soziale Gerechtigkeit im 21. JahrhundertLeitsätze für ein neues SPD-Grundsatzprogramm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

HUGH WILLIAMSON : Reformschrittmacher OstdeutschlandÜber Mentalitätswandel und Aufbruch in den neuen Ländern . . . . . . . . . . . . 13

THEMA—HEIDEROSE KILPER | HANS JOACHIM KUJATH : Zwischen Metropole und Peripherie Brandenburg im Sog metropolitaner Entwicklungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19

MARTIN T. W. ROSENFELD : Perspektiven von Berlin-Brandenburg Die Metropolregion und ihre wirtschaftlichen Chancen . . . . . . . . . . . . . . . . . 27

THOMAS MIROW : Wer still steht, fällt zurück Über Hamburg und die Chancen einer Metropolregion Berlin-Brandenburg . . . 33

CHRISTIANE DIENEL : Zwischen Familien- und Karriereplanung Abwanderung von Frauen aus Ostdeutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41

RAINER MÜLLER : Perspektiven für die Lausitz Wie die international Bauausstellung neue Chancen für eine Region eröffnet . . . 51

UDO FOLGART : Stadt und Land gehören zusammenBeide gewinnen – und die Landwirtschaft gehört dazu . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59

ROY WALLENTA : Zwischen Hoffen und Bangen Über den Umbruch in der Stadt Premnitz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67

JENS TESSMANN : Zusammenarbeit von Landkreisen Möglichkeiten und Grenzen kooperativer Aufgabenwahrnehmung . . . . . . . . . 73

[ inhalt ]

3perspektive21

Page 6: perspektive21 - Heft 30
Page 7: perspektive21 - Heft 30

5perspektive21

SIEBEN WAHRHEITEN ZUM FALL POTSDAMVON GÜNTER BAASKE

Politik muss sagen,was ist

D arf man eher halbtot geschlagen werden, wenn man betrunken ist? Mussman rassistische Drohungen und Beschimpfungen immer still über sich

ergehen lassen? Beschädigt es das Ansehen Brandenburgs, wenn ein offensichtlichfremdenfeindlich motivierter Überfall schnell aufgeklärt wird?

In den Tagen nach der Attacke war sich die Öffentlichkeit noch einig im Ent-setzen über die brutale Tat von Potsdam. Einige Politiker äußerten sich dann rela-tivierend, gleichzeitig sickerten Details vom mutmaßlichen Tathergang durch. ImErgebnis entstand der Eindruck, die Empörung sei vielleicht doch etwas übertrie-ben gewesen. Es ist deshalb wichtig, noch einmal einige Selbstverständlichkeitenfestzuhalten.

Erstens gehört unsere volle Anteilnahme dem 37-jährigen Ingenieur und Fami-lienvater, der im Potsdamer Ernst-von-Bergmann-Klinikum auch zwei Wochennach dem Überfall noch mit dem Tode ringt.

Zweitens ist durch nichts zu rechtfertigen, dass Ermyas M. brutal zusammenge-schlagen wurde. Wenn er am Samstagabend Alkohol getrunken hatte, dannunterscheidet ihn das nicht von Millionen anderer Deutschen. Wenn er sichgegen die Pöbeleien der Angreifer verbal zur Wehr setzte, ist das nur verständlich.

Drittens belegt der Mitschnitt des Anrufbeantworters eindeutig, dass der An-griff rassistisch motiviert war („dreckiger Nigger“). Wenn der Bundesinnenminis-ter diese Tatsache mit dem Hinweis zu relativieren versucht, auch „blonde,blauäugige“ Deutsche würden überfallen, ist das zwar inhaltlich korrekt, führtaber völlig in die Irre. Ich kenne keinen Fall, in denen ein Deutscher halb totge-schlagen wurde, weil er blond oder blauäugig ist. In den USA werden rassistischeÜberfälle als hate crime besonders hart bestraft, Wolfgang Schäuble hingegen ver-harmlost auf unerträgliche Weise. Man stelle sich nur vor, nach einem Mordan-schlag der RAF in den siebziger Jahren hätte der Bundesinnenminister gesagt,man solle das nicht überbewerten, es gebe ja auch viele andere Tötungsdelikte inDeutschland.

Page 8: perspektive21 - Heft 30

6 heft 30 | mai 2006

[ günter baaske ]

Viertens ist es zweitranging, ob die Täter den Mitgliedsausweis irgendeinerrechtsextremistischen Organisation in der Tasche hatten oder nicht. Alle Expertenwissen, dass sich der rechte Rand seit etwa zehn Jahren bevorzugt in Neonazi-„Kameradschaften“ zusammenfindet. Diese gründeten sich nach den Organisati-onsverboten Mitte der neunziger Jahre gezielt als lose Gruppen, um schwerer fürdie Polizei greifbar zu sein.

Fünftens geht die Aussage am Kern vorbei, Potsdam sei „ein Einzelfall“. Krimi-nologisch gesehen mag das zwar stimmen, aber soziologisch und politisch keines-wegs. Jedes Wochenende werden Menschen von Rechtsextremisten zusammenge-schlagen, weil sie die „falsche“ Hautfarbe haben, weil sie obdachlos oder homose-xuell sind oder einfach nur eine andere Meinung vertreten.

Sechstens ist es juristisch einwandfrei, inhaltlich richtig und politisch wichtig,dass Generalbundesanwalt Kay Nehm die Ermittlungen an sich gezogen hat. Sowird deutlich: Der Staat tritt fremdenfeindlicher Gewalt mit allen Mitteln entge-gen. Auch wenn die Brandenburgische Polizei und Staatsanwaltschaft mit allenverfügbaren Mitteln, Rechtsextremisten entgegentreten, ist es richtig, dass der Ge-neralbundesanwalt ein Zeichen gesetzt hat. Eine 25-köpfige Sonderkommissionwie im Fall Potsdam ist bei rechtsextremistischen Gewalttaten jedenfalls die Aus-nahme, nicht die Regel.

Siebtens ist Brandenburg natürlich nicht braun. Aber wir haben ein schlimmes,braunes Problem. Das Ansehen unseres Landes beschädigt, wenn das Problemverschwiegen oder verharmlost wird. Denn Politik fängt damit an, dass man sagt,was ist! L

GÜNTER BAASKE

ist Fraktionsvorsitzender der SPD im Brandenburger Landtag.

Page 9: perspektive21 - Heft 30

7perspektive21

LEITSÄTZE FÜR EIN NEUES SPD-GRUNDSATZPROGRAMMVON MATTHIAS PLATZECK

Soziale Gerechtigkeitfür das 21. Jahrhundert

D ie Vorgänge an der Berliner Rütli-Schule haben die Menschen in Deutsch-land aufgeschreckt. Plötzlich herrschen Entsetzen und Besorgnis über die

neuen sozialen Spaltungen, die sich keineswegs nur in Berlin-Neukölln, sondernüberall in unserer Gesellschaft auftun. Bei einigen konservativen Politikern habendie Ereignisse sogleich die üblichen gedankenlosen Reflexe ausgelöst. Vom „Weg-schließen“, „Rausschmeißen“ und „Abschieben“ ist die Rede, ja sogar von derEinweisung Jugendlicher in den „Schnupperknast“.

Das alles hilft uns in Deutschland heute kein Stück weiter. Die richtige Ant-wort auf die Herausforderungen unserer Zeit werden wir nie und nimmer darinfinden, die Spaltung unserer Gesellschaft in Gewinner und Verlierer, in Insiderund Outsider nur noch mehr zu vertiefen. Die negativen Folgen von Ausschlussund Ausgrenzung, wie sie uns der Fall der Rütli-Schule beispielhaft vor Augenführt, beseitigen wir gerade nicht durch noch mehr Ausgrenzung der ohnehinAusgegrenzten. Was unser Land heute zuallerletzt braucht, sind Rezepte, die sichlängst als Teil des Problems erwiesen haben.

Solidarische Erneuerung unserer Gesellschaft

Wahr ist allerdings, dass uns die Berliner Vorgänge eindringlich zum Umsteuernauffordern. Deutschland ist ein Einwanderungsland, doch die Integrationsfähig-keit unserer Gesellschaft und die Integrationsbereitschaft mancher, die nachDeutschland gekommen sind, weisen deutliche Defizite auf. Ausschluss undSelbstausschluss auf ethnischer Grundlage fördern das Auseinanderdriften derGesellschaft in parallele Kulturen, die voneinander nur noch wenig wissen.

Kein Zweifel also, wir brauchen neue Antworten auf die Fragen der sozialenGerechtigkeit im 21. Jahrhundert – und wir Sozialdemokraten werden sie geben.Gerade deshalb wird sich unsere Diskussion über den Zusammenhalt der Gesell-schaft nicht verengt auf die Integrationspolitik und ihre Mängeln beziehen. Die

Page 10: perspektive21 - Heft 30

8 heft 30 | mai 2006

[ matthias platzeck ]

große Debatte, die wir führen müssen, handelt von der solidarischen Erneuerungunserer Gesellschaft insgesamt. Der dynamische Wandel der Wirtschaft ver-ändert unsere Arbeitswelt und unsere Alltag, der demografische Umbruch verän-dert unsere Gesellschaft, Europa wächst zusammen. Das alles schafft neue Chan-cen und neue Risiken. Das alles erfordert neue Verständigung und neue Gestal-tung, neue Orientierung und neue Sicherheiten.

Verfestigt sich die Spaltung unserer Gesellschaft in Gewinner und Verlierer dauer-haft, dann wird dies uns allen gemeinsam schaden – und schließlich selbst die ver-meintlichen Gewinner in Verlierer verwandeln. Den fundamental veränderten Be-dingungen unserer Zeit wird unser Land deshalb nur durch eine große gemeinschaftli-che Anstrengung der Erneuerung gerecht. Deshalb brauchen wir in Deutschland eineneue Übereinkunft darüber, in welcher Gesellschaft wir im 21. Jahrhunderts gemein-sam leben wollen. Und wir brauchen die Übereinkunft darüber, unter welchen Bedin-gungen uns das gelingen kann. Genau an diesem neuen „Gesellschaftsvertrag“ überZiele und Mittel für unsere Gesellschaft fehlt es bis heute in Deutschland.

Neue soziale Übereinkunft für unser Land

Uns Sozialdemokraten geht es um die Verständigung über die veränderten Grundla-gen unserer Gesellschaft; um die Verständigung über das zeitgemäße Wechselver-hältnis von Rechten und Pflichten, von Leistungen und Gegenleistungen, von Ge-ben und Nehmen in unserem Land. Diese neue soziale Übereinkunft muss denStaat, die Bürgerinnen und Bürger, aber auch alle Gemeinschaften, Wirtschaft undGewerkschaften, Vereine und Verbände einbeziehen. Notwendig ist ein auf gemein-samen Zugewinn durch Zusammenarbeit ausgerichtetes Selbstverständnis unsererGesellschaft und aller ihrer Akteure. Über die Inhalte dieser neuen sozialen Über-einkunft für unser Land suchen wir Sozialdemokraten die Debatte mit allen Bürge-rinnen und Bürgern. Diese Verständigung wird ein wesentlicher Teil der Diskussionüber das neue Grundsatzprogramm der SPD sein.

Der Sozialstaat, wie wir ihn bislang kennen, wurde für die Wirklichkeit dernational begrenzten Industriegesellschaft geschaffen, in der die Männer das Fami-lieneinkommen erwirtschaften. Dieser Sozialstaat ist in erster Linie auf Transfer-leistungen ausgerichtet und verfolgt zu sehr nachsorgende Ziele. Er kümmert sichzu wenig darum, Krankheiten und Arbeitslosigkeit, Bildungsmangel, Ausschlussund Armut von vornherein zu verhindern. Er investiert zu wenig in die sozialeInfrastruktur und leistet keinen hinreichenden Beitrag, um die aktive Teilhabe derMenschen am Leben der Gesellschaft zu unterstützen. Er fördert die Menschen

Page 11: perspektive21 - Heft 30

9perspektive21

[ soziale gerechtigkeit für das 21. jahrhundert ]

zu wenig und setzt Fehlanreize. Er ist gemessen an seinen Ergebnissen zu teuer,seine Finanzierungsbasis ist brüchig und ungerecht geworden.

Die neuen sozialen Fragen, vor allem die Bekämpfung von Armut und Aus-schluss, lassen sich mit dem Sozialstaat alter Prägung nicht bewältigen. Wir wol-len keinen abgemagerten Sozialstaat, sondern einen besseren. Das zentrale Ele-ment einer neuen Übereinkunft für Deutschland muss deshalb ein erneuertes undpositives Leitbild der sozialen Gerechtigkeit für das 21. Jahrhundert sein. UnserLeitmotiv ist der vorsorgende Sozialstaat, der weitaus stärker als das bisherigeSozialstaatsmodell in die Menschen und ihre Potenziale investiert.

Nichts kommt von selbst

Willy Brandt wusste: „Nichts kommt von selbst.“ Die erfolgreiche Erneuerungunseres Landes hat Voraussetzungen. Soziale Gerechtigkeit und größere Lebens-chancen für mehr Menschen erreichen wir unter fundamental veränderten Bedin-gungen nicht mehr mit den alten Instrumenten. Aus meiner Sicht muss die neueÜbereinkunft für Deutschland besonders auf der Einsicht in zehn zentrale Zu-sammenhänge gründen:J Wenn den Menschen im 21. Jahrhundert mehr Flexibilität abverlangt wird,

weil eine dynamische und wettbewerbsfähige Wirtschaft anders nicht möglichist, dann müssen sie sich im Gegenzug auf erneuerte Formen von sozialerSicherheit, auf zeitgemäße Bildung und Aktivierung verlassen können.

J Wenn wir in Zukunft in unserem Land einen hohen Wohlstand erhalten wol-len, dann brauchen wir deutlich mehr öffentliche Investitionen in sozialeDienstleistungen, in Bildung und Wissen, in Innovation und Infrastruktur.

J Wenn wir in Deutschland im 21. Jahrhundert wirtschaftlich erfolgreich sein wol-len, dann müssen wir auf hervorragende Produkte und Dienstleistungen setzenstatt auf billige Löhne, auf langfristiges Wachstum statt auf kurzfristigen Profit.

J Wenn wir uns im Prozess der Globalisierung behaupten wollen, dann müssenwir Europa als gemeinsame positive Antwort auf die neuen Herausforderungenbegreifen und entsprechend organisieren.

J Wenn wir wollen, dass die Globalisierung den Wohlstand nachhaltig vergrö-ßert und mehr Beschäftigung ermöglicht, dann muss sie im Interesse der Men-schen mit fairen Regeln ausgestaltet werden.

J Wenn wir die Gleichberechtigung der Geschlechter anstreben, dann muss fürFrauen und Männer die volle Vereinbarkeit von Beruf und Familie sicherge-stellt werden.

Page 12: perspektive21 - Heft 30

10 heft 30 | mai 2006

[ matthias platzeck ]

J Wenn wir uns den demografischen Umbrüchen der kommenden Jahrzehntegewachsen erweisen wollen, dann müssen wir die Bedingungen dafür schaffen,dass in Deutschland wieder mehr Kinder geboren werden und kein geborenesKind vernachlässigt wird.

J Wenn der Staat unter veränderten Bedingungen seine Leistungsfähigkeit undLegitimität bewahren soll, dann muss er für alle Bürger jederzeit als Partner anihrer Seite erfahrbar sein.

J Wenn wir im 21. Jahrhundert auf die Steigerung des Wachstums setzen, dannmuss klar sein, dass dies nur auf der Basis der nachhaltigen Verwendung vonRessourcen zu verantworten sein wird.

J Wenn wir wollen, dass Deutschland im 21. Jahrhundert als offene, lebendigeund kulturell vielfältige Gesellschaft erfolgreich sein soll, dann müssen alleGruppen das Grundgesetz und die ihm zugrunde liegenden Prinzipien akzep-tieren.

In unserem Land stecken weit größere produktive Potenziale, als viele glauben.Deshalb müssen wir die Soziale Marktwirtschaft erneuern, statt mit ihr zu bre-chen. Es ist der Irrtum der Konservativen und Marktradikalen, dass die Men-schen in Deutschland den Sozialstaat ablehnen. Das Gegenteil ist richtig. Abervöllig zu Recht erwarten sie einen besseren, einen handlungsfähigen und zupa-ckenden Sozialstaat, der sich an der neuen Wirklichkeit unserer Zeit orientiert,die sie in Beruf und Alltag erleben. Darum müssen wir unseren Sozialstaat erneu-ern, bevor er von denen einseitig aufgekündigt wird, die meinen, sie könntenganz auf ihn verzichten.

Investitionen in den Menschen

Der vorsorgende Sozialstaat für das 21. Jahrhundert investiert in die Menschenund ihre Fähigkeiten. Er fördert Beschäftigung, setzt auf Gesundheitspräventionund verhindert Armut. Er gestaltet den demografischen Wandel mit den Betroffe-nen und er erkennt die existentielle Bedeutung von Bildung für die einzelnenMenschen wie auch für die Zukunft unserer Gesellschaft an. Er ist Partner, nichtVerwalter der Menschen. Er macht Angebote, um ihre Stärken zu entwickeln. Eraktiviert die Menschen, damit sie ihr Leben in eigener Verantwortung gestaltenkönnen. Der vorsorgende Sozialstaat ist nicht Wachstumshindernis, sondern wirt-schaftliche Produktivkraft. Er muss dafür anders, weniger als bislang durch Sozial-versicherungsbeiträge, finanziert werden.

Page 13: perspektive21 - Heft 30

11perspektive21

[ soziale gerechtigkeit für das 21. jahrhundert ]

So weit sind wir in Deutschland noch nicht, die aktuellen Vorfälle in derRütli-Schule haben das drastisch belegt. Dass es besser geht, machen uns vorallem die nordischen Länder vor. Dem Fatalismus und der Politik der Angst inDeutschland setzen wir Sozialdemokraten deshalb eine wertbegründete Politik derZuversicht entgegen. Der Weg zu einer neuen Übereinkunft für unsere Gesell-schaft ist kartiert – wir müssen ihn nur gehen. So werden wir zugleich die großenGrundwerte der SPD – Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität – für das 21. Jahr-hundert mit neuem Leben erfüllen und die Sozialdemokratie zur aktiven Kraftder Erneuerung in Deutschland machen. L

MATTHIAS PLATZECK

ist Ministerpräsident des Landes Brandenburg und SPD-Landesvorsitzender.

Diese Leitsätze für das neue Grundsatzprogramm der SPD veröffentlichte er kurz vor seinem Rücktritt als SPD-Bundesvorsitzender.

Page 14: perspektive21 - Heft 30
Page 15: perspektive21 - Heft 30

13perspektive21

WIE DER KORRESPONDENT DER LONDONER „FINANCIAL TIMES“ MENTA-LITÄTSWANDEL UND AUFBRUCH IN DEN NEUEN LÄNDERN BESCHREIBTVON HUGH WILLIAMSON

ReformschrittmacherOstdeutschland

E s tut sich etwas in Ostdeutschland. Lange wurde die Region als Belastung fürEuropas größte Volkswirtschaft betrachtet. Doch nun wird sie bei der Ent-

wicklung von Strategien im Umgang mit der Globalisierung zum Vorreiter. Zuneh-mend gewinnt eine Gruppe von Politikern, Geschäftsleuten, Ökonomen und sons-tigen Experten an Einfluss, die den Osten als beispielhaften Ort der Flexibilität inZeiten turbulenter Veränderungen ansieht – und immer mehr zugleich auch alsQuelle von Ideen zur Bewältigung des Wandels. In einem Land, das immer nochdamit beschäftigt ist, die Folgen des Erdbebens der Wiedervereinigung vor 15 Jah-ren zu verarbeiten, ist die Herausforderung solch einer Umorientierung nicht zuunterschätzen. Denn dass der Westen über den Osten „gesiegt“ hat, als 1989 dieBerliner Mauer fiel, ist immer noch Teil der nationalen Geschichtsbetrachtung.

Ostdeutsche sind offen für Veränderungen

Doch die neue Sichtweise gewinnt an Boden. Sie wurde in den vergangenen Mo-naten noch durch den Umstand verstärkt, dass zum ersten Mal in der Nachkriegs-geschichte des Landes zwei Ostdeutsche an seiner Spitze standen. Seit ihrem Amts-antritt im letzten November bemüht sich Kanzlerin Angela Merkel, als politischeFührungskraft einer geeinten Nation wahrgenommen zu werden. Dasselbe Zielverfolgte auch Matthias Platzeck während seiner fünfmonatigen Amtszeit als Vor-sitzender der Sozialdemokraten. Zugleich haben sich beide nicht gescheut, ihreostdeutsche Herkunft positiv hervorzuheben. Sie beziehen sich oft auf ihre „Offen-heit für Veränderungen“ und verweisen auf ihre besonderen Erfahrungen im Hin-blick auf den Zusammenbruch des Kommunismus und die Integration Ost-deutschlands in das System der Bundesrepublik.

In ihrer Antrittsrede als Kanzlerin im vergangenen Jahr sagte Angela Merkel, dieEinheit sei die größte Überraschung ihres Lebens gewesen. Seitdem sei sie überzeugt,

Page 16: perspektive21 - Heft 30

14 heft 30 | mai 2006

[ hugh wil l iamson ]

dass Vieles möglich ist. Gegenüber Journalisten erklärte sie zudem, es sei ein gutes Zei-chen für ganz Deutschland, dass die Ostdeutschen bereit gewesen seien und immernoch bereit seien, solche Veränderungen zu akzeptieren. Schließlich müsse sich dasganze Land verändern. Die Botschaft, dass wirtschaftliche und soziale Reformen inDeutschland unausweichlich sind, ist für sich genommen nicht radikal neu. Auch Ger-hard Schröder hatte sich dies auf die Fahnen geschrieben. Anlass zu Kontroversen gibtjedoch der Gedanke, Deutschland könne ausgerechnet vom Osten lernen.

In der deutschen Debatte über die Erfolge und Misserfolge der Wiedervereini-gung macht man gewöhnlich die enormen Finanztransfers in den Osten für dieschleppende Erholung der deutschen Wirtschaft verantwortlich. So werden die Ost-deutschen in das Klischee gezwängt, undankbar zu sein. Oberflächlich betrachteterscheint es tatsächlich unwahrscheinlich, dass der Osten das Tempo für die Refor-men vorgeben könnte. Die sechs ostdeutschen Bundesländer bleiben zusammenge-nommen die schwächste Region Deutschlands. Die Löhne dort liegen im Durch-schnitt bei 71 Prozent des Westniveaus, die Arbeitslosigkeit ist mit 19,5 Prozent dop-pelt so hoch wie im Durchschnitt der alten Bundesländer und große Investoren sindim Osten rar.

Falsche Hoffnungen auf blühende Landschaften

Nach wie vor wandern viele Menschen ab: Seit 1989 haben etwa zwei Millionendie Region verlassen, und immer noch suchen jährlich 60.000 in anderen Landes-teilen nach Arbeit. Um dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten, hat sich die Bun-desregierung verpflichtet, bis 2019 jährlich etwa 80 Milliarden Euro in die neuenLänder zu transferieren, um dort Sozialleistungen zu finanzieren und den Wieder-aufbau zu ermöglichen. Tatsächlich hat sich die Region auf den ersten Blick nichtals Vorbild wirtschaftlichen Wandels hervorgetan. Altbundeskanzler HelmutKohls Versprechen der „blühenden Landschaften“ weckte im Osten falsche Hoff-nungen. Dass man zudem Infrastrukturmittel nach dem Gießkannenprinzip ver-teilte, hat die wirtschaftliche Entwicklung zusätzlich erschwert.

Auch eine kohärente politische Kultur ist nur langsam entstanden. Geprägtwurde die Identität Ostdeutschlands nach der Wiedervereinigung vielmehr durchbegrenzte, aber lautstarke Proteste gegen Reformen, durch unberechenbares Wäh-lerverhalten und das Anwachsen rechtsextremer Parteien. Engelbert Lütke Dal-drup, für den Aufbau Ost zuständiger Staatssekretär in Angela Merkels Regie-rung, räumt ein, dass es bezüglich der Entwicklung des Ostens sehr positive, aberauch sehr problematische Aspekte, also sowohl Licht als auch Schatten gibt.

Page 17: perspektive21 - Heft 30

15perspektive21

[ reformschrittmacher ostdeutschland ]

Auf welcher Grundlage könnte Ostdeutschland also als nationaler Hoffnungsträ-ger bezeichnet werden? Der frühere Bundesminister Klaus von Dohnanyi, ein schar-fer Kritiker der Wiederaufbaubemühungen, ist überzeugt, dass der Westen selbst voneinem offensichtlich leistungsschwachen Osten viel lernen könne. Schließlich hättensich die meisten Ostdeutschen seit 1990 ein neues Leben aufbauen müssen. WieAngela Merkel unterstreicht Dohnanyi die gewachsene Offenheit für Veränderungals Nebenprodukt der Wiedervereinigung. Es sei die Mentalität der Ostdeutschen,von der die Menschen im Westen etwas lernen könnten, die Erkenntnis nämlich,dass man sich vor Veränderungen nicht fürchten müsse.

Große ökonomische Anpssungsfähigkeit

Michael Behr, Industriesoziologe an der Universität Jena, führt an, dass viele Ost-deutsche seit 1989 gleich mehrfach den Beruf und den Arbeitsplatz wechseln muss-ten. So auch Angela Merkel und Matthias Platzeck – beide Wissenschaftler, die indie Politik gegangen seien. Der ostdeutsche Verleger Christoph Links erinnert sichan ein Klassentreffen in jüngster Vergangenheit, bei dem sich herausstellte, dass alleseine alten Schulkameraden heute etwas völlig anderes machten als vor 1989. Diebeiden ehemaligen Stasioffiziere etwa seien inzwischen Immobilienmakler undLadeninhaber. Dies steht im Gegensatz zur Starre vieler Berufslaufbahnen in West-deutschland. Hier bleibt die Lockerung des unflexiblen Arbeitsmarktes eine vor-dringliche, aber in hohem Maße unerledigte politische Aufgabe. Im Osten hingegensind die Arbeitnehmer aufgrund fehlender Arbeitsplätze eher bereit umzuziehenoder für weniger Lohn, bei weniger Urlaub und geringerer Absicherung gegenLohnkürzungen länger zu arbeiten. Genau dies allerdings erhöht die Attraktivitätder Region für Investoren.

Die Botschaft, dass es im Osten trotz der ungleichen wirtschaftlichen Lage Dingezu feiern gibt, kommt inzwischen auch bei den deutschen Gewerkschaften an. Noch2003 streikte die IG Metall erfolglos für eine Absenkung der Arbeitszeit im Ostenauf westdeutsches Niveau. Inzwischen, sagt Christian Hossbach von der IG MetallBerlin, habe sie ihren Kurs geändert. Er verweist darauf, dass 100.000 Industrie-arbeitsplätze seit 1997 geschaffen wurden und räumt ein, dass es dazu möglicher-weise nicht gekommen wäre, hätten die Gewerkschaften ihr traditionelles Ziel glei-cher Löhne durchgesetzt. Die Lage im Osten sei bei weitem nicht perfekt, jedochhabe man jetzt den Eindruck, das Glas sei halb voll und nicht halb leer.

Aber nicht nur die ökonomische Anpassungsfähigkeit Ostdeutschlands beein-druckt die Meinungsführer zunehmend. Auch in politischer Hinsicht biete der

Page 18: perspektive21 - Heft 30

16 heft 30 | mai 2006

[ hugh wil l iamson ]

schnelle Umstrukturierungsprozess, den Ostdeutschland durchlaufe, viele Finger-zeige für den Westen, meinen Wirtschaftsexperten und Politiker. Dass Ostdeutsch-land zur Ideenschmiede geworden ist, hängt damit zusammen, dass es sich mitTrends auseinandersetzen muss, die innerhalb einer Generation das ganze Landbetreffen werden.

Demografische Veränderungen erzwingen harte Entscheidungen

Joachim Ragnitz vom Institut für Wirtschaftsforschung in Halle erläutert, dassdie Bevölkerung Ostdeutschlands durch niedrige Geburtenraten und Abwande-rung bis 2020 um 10 bis 12 Prozent zurückgehen wird. Dieser Trend werde in 20Jahren auch die alten Bundesländer erreichen. Daher könne der Westen aus denostdeutschen Erfahrungen auf den Gebieten der Stadtplanung, der Verkehrs-,Schul- und Bildungspolitik wichtige Lehren ziehen. Ragnitz unterstreicht jedoch,dass sich zuerst die Politiker dieses Themas annehmen müssten.

Genau dies tue sein Bundesland bereits, erklärt dazu Brandenburgs SPD-Frak-tionsvorsitzender Günter Baaske, ein enger politischer Verbündeter von Minister-präsident Matthias Platzeck. Baaske verweist auf eine kontroverse Entscheidungaus dem vergangenen Jahr, staatliche Fördermittel gezielt einer kleinen Zahl vonBevölkerungszentren und Wachstumsindustrien zukommen zu lassen.

Eine Lehre, die die westdeutschen Bundesländer aus den Erfahrungen des Os-tens ziehen können, ist die Notwendigkeit, einen Handlungskonsens zu erzielen.Mittels einer Informationskampagne gelang es im vorigen Jahr, Unterstützung fürdie Verringerung der Zahl der Schulen im Land Brandenburg zu finden. GünterBaaske berichtet, dass es im Jahr 2004 Demonstrationen und sogar Hungerstreiksgegeben habe, als aufgrund zu geringer Neuanmeldungen 100 Schulen geschlossenwerden mussten. Im vergangenen Sommer seien wieder 100 Schulen geschlossenworden, diesmal jedoch unter weniger Protest. Inzwischen werde man in Branden-burg aus den alten Bundesländern zu der Frage um Rat gebeten, wie man mitdemografischen Problemen umgegangen werden könne.

Engelbert Lütke Daldrup bezeichnet den Stadtumbau als eines der Gebiete,auf denen der Westen vom Osten lernen könne. Der Westdeutsche war von 1995bis 2005 für den Stadtumbau in Leipzig verantwortlich und hat sich seit 2000häufig öffentlich zu diesem Thema geäußert. Der „Stadtumbau Ost“, in dessenRahmen leer stehende Wohnblocks abgerissen und Ressourcen für die Sanierungvon Stadtzentren gebündelt wurden, habe sich als so erfolgreich erwiesen, dass2004 in westdeutschen Städten ein an diesem Konzept orientiertes Programm

Page 19: perspektive21 - Heft 30

17perspektive21

[ reformschrittmacher ostdeutschland ]

„Stadtumbau West“ im Umfang von 40 Millionen Euro gestartet worden sei.Lütke Daldrup führt an, dass noch in den Jahren 2000 und 2001 viele Westdeut-sche der Idee skeptisch gegenüberstanden, überhaupt von ostdeutschen Erfahrun-gen zu lernen. Inzwischen sei das anders. Die mentale Barriere im Westen seietwas niedriger geworden.

Bestimmte Aspekte des Gesundheitswesens, der Kinderbetreuung und desSchulwesens zur Zeit der DDR hätten aufgrund ihres kommunistischen Ur-sprungs im Westen in den ersten zehn Jahren nach der Wiedervereinigung alsTabu gegolten. Inzwischen würden sie jedoch als nützliche Hinweise für politi-sche Maßnahmen anerkannt. So seien zum Beispiel 2004 im Rahmen der Ge-sundheitsreform dezentrale Gesundheitszentren eingeführt worden, die den Be-darf an Krankenhausaufenthalten reduzieren – Vorbild waren ähnliche Kliniken,die es in der DDR gegeben hatte. Lütke Daldrup fügt hinzu, dass es übertriebenwäre, Ostdeutschland bereits als das Reformlabor für ganz Deutschland zu be-zeichnen. In bestimmten Bereichen jedoch würden die ostdeutschen Erfahrungeneindeutig im Westen übernommen – und dies mit positiven Ergebnissen. DieserTransferprozess könne für ganz Deutschland von Nutzen sein.

Anhänger dieses „Transferprozesses“ geben jedoch zu bedenken, dass die Ost-West-Debatte zunächst einmal weniger emotional geführt werden müsse. Zwarsprechen nur noch wenige Menschen in Deutschland von „Ossis“ und „Wessis“,aber das heißt nicht, dass es keine Unterschiede mehr zwischen beiden Seitengäbe. Eine im Januar von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung durchgeführteUmfrage zeigte, dass die Beziehungen zwischen Ost- und Westdeutschen immernoch oft von „Missverständnissen und Vorurteilen“ gekennzeichnet sind. VieleOstdeutsche halten die Westdeutschen für arrogant und habgierig, während dieWestdeutschen den Ostdeutschen übertriebenen Pessimismus vorwerfen.

Gestiegenes Selbstbewusstsein

Es liegen jedoch Veränderungen in der Luft, zumindest bei den Ostdeutschen.Der Umfrage der FAZ zufolge wurde der Amtsantritt von Kanzlerin Angela Mer-kel und SPD-Chef Matthias Platzeck von den Ostdeutschen als Bestätigung dafürgesehen, dass sie eine gleichwertige Rolle im öffentlichen Leben spielen können.In diesem Jahr ist der Anteil der Ostdeutschen, die sich in erster Linie als Deut-sche sehen, zum ersten Mal seit 1990 höher als der Anteil derjenigen, die ihreHerkunft aus dem Osten Deutschlands in den Vordergrund stellen. Thomas Krü-ger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, stellt fest, dass es bei den

Page 20: perspektive21 - Heft 30

18 heft 30 | mai 2006

[ hugh wil l iamson ]

Seminaren der Bundeszentrale kaum noch Unterschiede zwischen jungen Ost-deutschen, die die DDR nie als Erwachsene kennen gelernt hätten, und ihrenwestdeutschen Altersgenossen gibt. Indessen erklärt der frühere Bundestagspräsi-dent Wolfgang Thierse, ein Elder Statesman unter den ostdeutschen Politikern,dass das Minderwertigkeitsgefühl der Ostdeutschen noch immer eine Barrieredarstelle. Nach seinen Aussagen fühlen sich viele von ihnen immer noch als Bür-ger zweiter Klasse, deren Erfahrungen weniger geschätzt würden als die ihrerLandsleute im Westen.

Während die Ostdeutschen mit den Schatten ihrer Vergangenheit klarkommenmüssen, müssen die Westdeutschen, ihre lebenslange Gewohnheit überwinden, dasLand durch die alte Brille der Ost-West-Teilung zu betrachten. Angela Merkel zu-folge ist es eine der zentralen Fragen, ob die Westdeutschen akzeptieren könnten,dass die Überwindung der Unterschiede zwischen Ost und West eine Aufgabe fürganz Deutschland sei. Tatsächlich verläuft der politische Diskurs oft polarisiert. Erstim März dieses Jahres verwahrten sich die ostdeutschen Ministerpräsidenten gegen„falsche Anschuldigungen“ ihrer westlichen Kollegen, ein Teil der Finanztransferswerde „verschwendet“. Letztlich jedoch müssen die Deutschen, meint WolfgangThierse, die Wiedervereinigung im breiten Kontext der Geschichte sehen. Westdeut-sche Bundesländer wie Bayern, Deutschlands reichste Region, hätten nach demZweiten Weltkrieg 30 oder mehr Jahre gebraucht, um ihr derzeitiges Wohlstandsni-veau zu erreichen. Daher solle man sich 16 Jahre nach der Wiedervereinigung nichtzu übertriebener Frustration hinreißen lassen. Was das bedeutet, ist klar: Nur wennDeutschland bereit ist, das Beste aus dem Osten und dem Westen zu vereinen, wirdes seine Identität als geeinte Nation wirklich finden. L

HUGH WILLIAMSON

ist Deutschland-Korrespondent der Londoner Financial Times.

Der Artikel erschien dort am 9. März 2006. Die hier abgedruckte Übersetzungwurde redaktionell geringfügig aktualisiert.

Page 21: perspektive21 - Heft 30

19perspektive21

BRANDENBURG IM SOG METROPOLITANER ENTWICKLUNGENVON HEIDEROSE KILPER UND HANS JOACHIM KUJATH

Zwischen Metropoleund Peripherie

W as sind überhaupt Metropolre-gionen? Die Ministerkonferenz

für Raumordnung (MKRO) definiertsie als Gebiete, „deren herausragendeFunktionen im internationalen Maßstabüber die nationalen Grenzen hinwegausstrahlen.“ Als Motoren der gesell-schaftlichen, wirtschaftlichen, sozialenund kulturellen Entwicklung sollen sie„die Leistungsfähigkeit Deutschlandsund Europas erhalten“ und „dazu bei-tragen, den europäischen Integrations-prozess zu beschleunigen“. Zumeistbestehen sie aus einer Kernstadt undZentren in dessen Umland. In Deutsch-land gelten als Metropolregionen Ham-burg, Rhein-Ruhr, Frankfurt/Rhein-Main, Stuttgart und München/Ober-bayern. Dazu kommen zwei ostdeutscheGebiete mit mehr oder weniger entwi-ckelten Merkmalen einer Metropolre-gion, nämlich Berlin-Brandenburg unddas „Sachsendreieck“ Leipzig-Dresden-Chemnitz. Neuerdings definieren sichauch die Regionen Nürnberg-Fürth,Hannover-Braunschweig-Göttingen,Bremen-Oldenburg sowie der Rhein-Neckarraum als Metropolregionen.

All diese Regionen zeichnen sichdurch eine sehr hoch entwickelte,räumliche Arbeitsteilung aus, durcheine funktionale räumliche Spezialisie-rung, die es vormals nicht gab. Früherwaren Metropolregionen im wesentli-chen Orte mit nationaler Verwaltungs-und Kontrollfunktion wie Hauptstäd-te, kulturelle und politische Zentrenim internationalen Beziehungsgeflechtoder Industriemetropolen wie der Ber-liner Raum.

Metropolenregionen sindWissensregionen

Heutzutage sind sie allesamt Standorteeiner neuen Wissensökonomie, die ihrGeld verdient mit der Produktion,Beschaffung, Zusammenführung,Speicherung, Überwachung, Analyseund Verteilung von Informationen.Dazu gehören beispielsweise Dienstlei-stungen wie die Logistik, die Verwal-tung von Informationssystemen, For-schung und Entwicklung im Techno-logiebereich oder Blaupausen für tech-nische Artikel sowie Medien- und

Page 22: perspektive21 - Heft 30

20 heft 30 | mai 2006

[ heiderose ki lper | hans joachim kujath ]

Finanzprodukte. Dieser Wirtschafts-komplex ist auf die Erzeugung undKommerzialisierung von Wissen spe-zialisiert und trägt entscheidend zurVerbreitung von neuem Wissen undvon Innovationen in den globalenarbeitsteilig organisierten Firmennetz-werken bei.

Während sich die materielle indus-trielle Produktion zunehmend global

verteilt, konzentriert sich die Wissens-ökonomie an wenigen Orten, nämlichin den Metropolregionen. Dort hängenWohlstand und wirtschaftliches Wachs-tum nicht mehr direkt von der indus-triellen Produktion ab, sondern vonden wissensbasierten Produkten undDienstleistungen für eine global verteil-te Industrie. Metropolregionen sindKnoten für den Austausch von Infor-

Quelle: IRS

Einzugsbereiche: MKRO-Metropolregionen 100 kmNachgeordnete Metropolregionen 75 kmWeitere Stadtregionen 50 km

Metropolenregionen in Deutschland

Page 23: perspektive21 - Heft 30

21perspektive21

[ zwischen metropole und peripherie ]

mationen und Wissen und zugleichneue Produktionsorte für Wissens- undInformationsgüter. Auch Berlin und diegrößeren Städte Brandenburgs hat derTrend der Deindustrialisierung und desstarken Wachstums von Arbeitsplätzenin der Wissensökonomie erfasst.

Was macht eine Metropolen-region aus?

Allerdings: Metropolregionen, die derallgemeinen Definition vollauf ent-sprechen, findet man in Deutschlandnicht. Vielmehr haben sich in den ver-gleichsweise kleinen deutschen Stadt-regionen in einem Prozess des Wettbe-

werbs und des Austauschs unterschied-liche Teilbereiche der Wissensökono-mie durchgesetzt. Vereinfacht lassensich drei Funktionen nennen, welcheMetropolregionen haben können:J High-Tech-Produktionsstandort in

Verbindung mit Dienstleistungenim Bereich Forschung und Ent-wicklung

J Knoten unternehmensbezogenerDienstleistungen

J Standort der Medien- und Informa-tionsindustrie.

Berlin und Brandenburg profilierensich vor allem in der Informations-und Medienindustrie, in diversen

Unternehmens- Informations- und Hightech-Produktionbezogene Dienst- Medienindustrie FuE-Dienstleistungen

Stadregion leistungen

Frankfurt/Rhein-Main ••• •• ••

Müchen/Oberbayern •• ••• •••

Stuttgart/Main-Neckar • • •••

Rhein-Ruhr •• ••• •••

Hamburg ••• •• •

Berlin/Brandenburg • ••• ••

Sachsendreieck (•) • (•)

Funktionsprofile ausgewählter deutscher Metropolenregionen

Funktion: ••• stark, •• mittel, • schwach, (•) im EntstehenQuelle: Eigene Erhebungen

Page 24: perspektive21 - Heft 30

22 heft 30 | mai 2006

[ heiderose ki lper | hans joachim kujath ]

Hightech-Bereichen wie der Biotech-nologie, der Verkehrstechnologie oderder Luftfahrtindustrie sowie im Be-reich wissensintensiver Dienstleistun-gen, zum Beispiel der Gesundheits-wirtschaft.

Marktplatz von Information und Wissen

Was prädestiniert Metropolregionendafür, zu Orten der Wissensökono-mie aufzusteigen? Zum einen die gro-ße Akteursdichte und die Vielfalt, ausdenen sich regionale Wissensnetzwerkeund regionale Kontexte des Lernensentwickeln. Zum anderen tragen die

Ressourcen eines differenziertenArbeitsmarktes mit spezialisierten Wis-sensarbeitern zu der Entwicklung bei,aber auch die Kommunikations- undPersonentransportinfrastrukturen:Flughäfen, Bahnanschlüsse, Telekom-munikationsnetze sowie eine breitePalette von Angeboten wie Messen.Dies alles macht Metropolregionen zugroßen Informationsmarktplätzen, zuKreuzungen des Informations- undWissensaustausches.

Die Entwicklung der westdeutschenMetropolregionen zeigt, dass diegroßen Zentren Bestandteile vonGroßregionen sind, mit arbeitsteiligenVerflechtungen über die traditionellen

Dienstleistungswirtschaft gewinnt an Bedeutung:Entwicklung der Erwerbstätigenzahlen 1995-2004

50 %

40 %

30 %

20 %

10 %

0 %

-10 %

Quelle: Erwerbstätigenrechnung des Bundes und der Länder, Statistische Landesämter Berlin, Brandenburg, eigene Berechnung

insgesamt Dienstleistungssektor Finanzierung, Vermietung,UnternehmensdienstleisterDeutschland Brandenburg Berlin

Page 25: perspektive21 - Heft 30

23perspektive21

[ zwischen metropole und peripherie ]

Grenzen zwischen Stadt und Landhinweg. Pendler- und Wirtschaftsver-flechtungen sowie politische Netze rei-chen von den Zentren bis etwa 100Kilometer in die ländlichen Räumehinein.

Cluster auch in äußeren Regionen

In den kleineren Stadtregionen betra-gen die Radien der Einflusssphärenoch 50 bis 75 Kilometer. Auf dieseWeise sind mittlere Städte als eigen-ständige Standorte der Wissensökono-mie in die metropolitanen Wirt-schaftszusammenhänge durchaus mit

einbezogen. Sie sind wirtschaftlicheWachstumsträger für die gesamteMetropolregion.

Unsere wirtschaftsräumlichen Un-tersuchungen in Berlin und Branden-burg zeigen: Nicht nur im engerenBerliner Umland, sondern auch in dengroßen Städten des äußeren Entwick-lungsraumes entstehen ansatzweiseCluster neuer wissensintensiver Indu-strien und Dienstleister. Allein die Fir-men der Wissensökonomie tragen hierzu mehr Beschäftigung bei. Allerdingsgenügt dieses Beschäftigungswachstumbei weitem nicht, um den industriel-len Niedergang zu kompensieren. DieFirmen sind noch viel zu sehr auf die

Defizite des Standorts Berlin

70 %

60 %

50 %

40 %

30 %

20 %

10 %

0 %

Quelle: IRS

Image des Standorts Verfügbarkeit qualifizierter Arbeitsweise vonArbeitskräfte in der Region Politik und Verwaltung

unzufrieden wichtig/sehr wichtig

15 %

56 % 58 %

67 %

13 %

64 %

Page 26: perspektive21 - Heft 30

24 heft 30 | mai 2006

[ heiderose ki lper | hans joachim kujath ]

lokalen Märkte orientiert und viel zuschwach in die großen metropolitanenMärkte eingebunden, als dass sie einengroßen Beitrag zum wirtschaftlichenWachstum und Wohlstand der Regionerbringen können. Im Gegenteil: Deräußere Entwicklungsraum und derengere Verflechtungsraum driften wirt-schaftlich immer weiter auseinander.

Neuen Denk- undLebensweisen anpassen

Diese Entwicklung zeigt, wo die Poli-tik ansetzen muss: Die regionaleStrukturpolitik sollte ihr Augenmerkmehr als bisher auf die Unternehmen

der Wissensökonomie auch in denwirtschaftlich schwachen Städten desäußeren Brandenburger Entwicklungs-raumes lenken. Vor allem die Tele-kommunikations- und Personentrans-portinfrastruktur müssen auf die Be-dürfnisse dieses neuen Wirtschaftsbe-reichs ausgerichtet werden, aber auchdie Arbeitsweise von Politik und Ver-waltung (institutionelle Infrastruktur).Bürokratische Kontinuität kannschnell zum Hindernis für einen Wirt-schaftsbereich werden, der auf rascheInnovationsfähigkeit basiert.

Auch das Image eines Standortesspielt eine wichtige Rolle. In vielenBrandenburger Städten löst sich die

Defizite der Standorte in den Stadtregionen des Städtekranzes

70 %

60 %

50 %

40 %

30 %

20 %

10 %

0 %

Quelle: IRS

Image des Standorts Verfügbarkeit qualifizierter Arbeitsweise vonArbeitskräfte in der Region Politik und Verwaltung

unzufrieden wichtig/sehr wichtig

23 %

55 %

68 %

60 %

24 %

70 %

Page 27: perspektive21 - Heft 30

25perspektive21

[ zwischen metropole und peripherie ]

Lokalpolitik mental erst allmählich ausder großindustriellen Vergangenheit.

Anziehungskraft entwickeln

Die Wissensökonomie jedoch erwartetein Umfeld, das ihrer Denk- und Le-bensweise entspricht. Dabei sind wei-che Standortfaktoren wichtig: DieStädte müssen anspruchsvolle kultu-relle Angebote haben, um die Akteureder wissensbasierten Wirtschaft anzu-ziehen. Darüber hinaus mangelt esdem äußeren Entwicklungsraum anqualifizierten Arbeitskräften – trotzhoher Arbeitslosigkeit. Brandenburghat es bisher nur ungenügend ge-

schafft, das Ausbildungs- und For-schungssystem mit der lokalen undregionalen Wirtschaft zu verknüpfen.

Künftig sollten in Brandenburg lo-kale Kompetenzzentren um die füh-renden Ausbildungsstätten und Ein-richtungen der Forschung und Ent-wicklung entstehen – als Nuklein fürUnternehmen der Wissensökonomie.In diesen Kompetenzzentren müssenWissensressourcen gebündelt und Ver-bünde zwischen Ausbildung, For-schung und Wirtschaft geschaffenwerden. Zudem gilt es, bildungs-, wis-senschafts- und wirtschaftspolitischenMaßnahmen im äußeren Entwick-lungsraum eng mit der Metropole zuverknüpfen. L

PROF. DR. HEIDEROSE KILPER

ist Leiterin des Leibniz-Instituts für Regionalentwicklung und Strukturplanung in Erkner.

PROF. DR. HANS JOACHIM KUJATH

ist Abteilungsleiter für „Regionalisierung und Wirtschaftsräume” und stellvertretender Direktor des Instituts für

Regionalentwicklung und Strukturplanung in Erkner.

Page 28: perspektive21 - Heft 30
Page 29: perspektive21 - Heft 30

27perspektive21

DIE METROPOLREGION UND IHRE WIRTSCHAFTLICHEN CHANCEN VON MARTIN T. W. ROSENFELD

Perspektiven vonBerlin-Brandenburg

In den vergangenen Monaten hat eseine breite öffentliche Diskussion

über die Übernahme der Berliner Tra-ditionsfirma Schering durch Merckbzw. Bayer stattgefunden. Diese Dis-kussion hat auch weite Kreise der Öf-fentlichkeit hinsichtlich eines wesentli-chen Defizits der Berlin-Brandenburgi-schen Wirtschaft sensibilisiert. Diedeutsche Hauptstadt verfügt nämlichnur über eine sehr geringe Anzahl angrößeren Unternehmenszentralen mitihren so genannten Headquarterfunk-tionen, d.h. hochwertige Management-aufgaben einschließlich der BereicheForschung und Entwicklung sowieMarketing. Das Vorhandensein einersolchen Funktion spielt auch für dasImage einer Region eine wichtige Rolle.

Stärken und Schwächen derHauptstadtregion

Die Hauptstadtregion liegt bei der An-zahl von Unternehmenssitzen (bezo-gen auf die 500 umsatzstärksten deut-schen Unternehmen) in etwa auf demNiveau der Region Hannover-Braun-

schweig-Göttingen – und weit hinterden meisten anderen westdeutschenMetropolregionen. Aber andererseitsist festzuhalten: im Osten Deutsch-lands dominiert eindeutig die Haupt-stadtregion.

Zwischen Ost-, Nord- und Westeuropa

Die räumliche In-Between-Lage derHauptstadtregion zwischen anderenMetropolregionen in Ost-, Nord- undWesteuropa hat zwei positive Effekte:Berlin bietet sich als Sitz für Regional-zentren von größeren Firmen an, vondenen aus ein großer Teil von Ost-deutschland bedient werden kann.Weiterhin kann versucht werden, andie Potenziale der benachbarten Me-tropolregionen anzuknüpfen und ent-weder Faktoren aus diesen Regionenabzusaugen oder für Synergien zwi-schen Faktoren in den benachbartenRegionen und in der Hauptstadtre-gion zu sorgen.

Es muss nicht besonders betontwerden, dass die Hauptstadtregion

Page 30: perspektive21 - Heft 30

28 heft 30 | mai 2006

[ mart in t . w. rosenfeld ]

hinsichtlich der Sitze von Bundesbe-hörden und von Körperschaften mitüberregionaler Bedeutung sowie vonWirtschaftsverbänden überaus günstigdasteht. Durch die politischen Ent-scheidungszentren können die Defizitebei den privaten Unternehmen zueinem gewissen Teil kompensiert wer-den.

Attraktive Wissenschafts-landschaft

Die Konzentration von ausländischenVertretungen in der Hauptstadt unddie vielen ausländischen Journalistenhaben – ähnlich wie eine hohe Anzahlvon Filialen ausländischer Firmen –unter anderem positive Effekte auf dieInternationalität der schulischen undkulturellen Angebote. Dies wirkt wie-der zurück auf potenzielle (ausländi-sche) Investoren, die eben diese Fakto-ren suchen. Hinzu kommt der allge-meine Image-Effekt durch die häufigeErwähnung der Stadt Berlin in denMassenmedien.

Hinsichtlich der Innovationstätig-keit ist festzustellen, dass die For-schung und Entwicklung im Bereichder öffentlichen Wissenschaftseinrich-tungen in der Hauptstadtregionhöchst positiv zu bewerten ist. Aller-dings ist dies zum Beispiel in Bezugauf die Einwerbung von Drittmittelnan den Hochschulen etwas zu relati-vieren. Dieser Sachverhalt deutet auch

auf fehlende Netzwerkbeziehungenzwischen Hochschulen und privatenFirmen in der Region hin.

Die für ganz Ostdeutschland typi-sche kleinbetriebliche Wirtschaftsstruk-tur in Berlin-Brandenburg senkt dieAbsorptionsfähigkeit für die von denöffentlichen Wissenschaftseinrichtun-gen ausgehenden Spill-over-Effekte. Im-merhin hat speziell der Westteil Berlinsden Vorteil, dass die dort bereits vorder Wende vorhandenen Netzwerk-strukturen – anders als in den anderenTeilen Ostdeutschlands – nicht imZuge der Transformation entwertetwurden. Nicht zu unterschätzen sindauch die Imageeffekte und Anziehungs-kraft der öffentlichen Wissenschafts-einrichtungen und ihre Rekrutierungs-funktion auf Studierenden und Wissen-schaftlern aus anderen Regionen.

Zentrum für dieRegion

Die Stadt Berlin und ihr unmittelbaresUmland sind zweifellos die Zentrender wirtschaftlichen Aktivitäten in derHauptstadtregion. Deren grundsätz-lich monozentrische Struktur ist einVorteil, wenn man zum Beispiel einenVergleich mit der MetropolregionSachsendreieck zieht. Dort gibt es mitLeipzig, Halle, Dresden und Chem-nitz mehrere in etwa gleichgewichtigeStädte und damit auch kein „natürli-ches“ Zentrum.

Page 31: perspektive21 - Heft 30

29perspektive21

[ perspektiven von berlin-brandenburg ]

Eine Stärke der Region Berlin-Brandenburg liegt in ihrer Ausstattungmit Kultur- und Freizeitangeboten.Allerdings kann sie gleichzeitig auchals eine Schwäche interpretiert wer-den. Man denke nur an die zwei Zoo-logischen Gärten der Stadt Berlin.Nicht nur in diesem Bereich liegenenorme Synergie- und auch Einspa-rungsmöglichkeiten.

Perspektiven und Entwicklungs-möglichkeiten

Eine wesentliche Stärke von Berlin-Brandenburg ist die Ausstattung derRegion mit Bundesbehörden, Körper-schaften mit überregionaler Bedeutungsowie Wirtschaftsverbänden. Es istvöllig konsequent, dass sich die Re-gion aufgrund dieser hohen Konzen-tration wichtiger Entscheidungszentra-len den Namen „Hauptstadtregion“gegeben hat. Auch in der Zukunftwird die Hauptstadtfunktion für dieRegion Berlin-Brandenburg als wirt-schaftlicher Anker dienen.

Risiken für die weitereEntwicklung der Hauptstadtregionliegen vor allem darin, dass sowohldie Regierungsfunktionen als auch dieöffentliche Forschungstätigkeit vomöffentlichen Sektor, speziell vom Bun-desetat, abhängig sind. Auch wenn dieaktuelle Föderalismusreform den Zen-tralstaat in seinem Bestand kaum be-schränken wird, kann längerfristig

sowohl mit einer „Hochzonung“ vonFunktionen auf die EU-Ebene alsauch mit einer Tendenz zur Privatisie-rung gerechnet werden. Der demogra-fische Wandel wird sich auch in ei-nem Rückbau der Bundesverwaltungniederschlagen. Mittelfristig dürftensich die wirtschaftlichen Aktivitätendes Zentralstaats aber zunächst kaumvermindern.

Der Umzug weiterer Bundesbehör-den nach Berlin könnte die Hauptstadt-funktionen stärken. Allerdings könntenlängerfristig die zuvor erwähnten Ten-denzen (Funktionszuwachs der EU, Pri-vatisierungen, demografischer Wandel)auch dazu führen, dass diese Funktio-nen der Region teilweise wieder verlo-ren gehen. Deshalb ist grundsätzlicheine auf die Stärkung des privaten Sek-tors der Wirtschaft ausgerichteteEntwicklungspolitik vorzuziehen.

Chancen für dieRaumentwicklungspolitik

Speziell für die Stadt Berlin kann nochstärker als bisher versucht werden,durch eine Zusammenführung vonkulturellen Einrichtungen Synergienzu schaffen und finanzielle Ressourcenzu mobilisieren. Diese sollten danngezielt in Zukunftsbereiche investiertwerden wie zum Beispiel in die schuli-sche Ausbildung. Langfristig wäre diemehrsprachliche Ausbildung der Schü-ler ein großer Vorteil, da sich so Trans-

Page 32: perspektive21 - Heft 30

1 Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Ministerium für Infrastruktur und Raumordnung und Gemeinsame Landesplanungsabtei-lung Berlin-Brandenburg (Hg.), Hauptstadtregion Berlin-Brandenburg. Eckpunkte für ein Leitbild der europäischen Metropolre-gion, Arbeitsentwurf vom 15. Februar 2006, www.metropolregion-berlin-brandenburg.de

30 heft 30 | mai 2006

[ mart in t . w. rosenfeld ]

aktionskosten grenzüberschreitenderAktivitäten verbessern lassen.

Hinsichtlich der Ansiedlung einerhöheren Zahl von Unternehmenszen-tralen bieten sich vor diesem Hinter-grund drei Strategien an: J Anwerbung von ausländischen Fir-

men unter Verweis auf die Interna-tionalität der schulischen und kul-turellen Angebote,

J Anwerbung speziell von Firmenzen-tralen aus Mittel- und Osteuropaunter Verweis auf die „Brücken-funktion“ von Berlin zwischen Ostund West,

J Förderung des Wachstums des vor-handenen Besatzes an kleineren Fir-men.

Türen nach Polenöffnen

Die zuletzt genannte Strategie ist na-türlich auch generell von großer Be-deutung. Hier bietet es sich an, auf dieBest Practices aus anderen Regionen zuschauen. Dies gilt auch in Bezug aufdie Förderung der Gründungsaktivitä-ten, z.B. durch die Schaffung vonOne-Stop-Agencies für Firmengründer,wie sie das so genannte Bremer Modellvorgemacht hat.

Hinsichtlich der Neuansiedlungvon Firmen spielt die Vergabe von

Investitionszuschüssen weiterhin einewichtige, aber untergeordnete Rolle.Es kommt darauf an, Firmen anzusie-deln, die sich in die vorhandene Bran-chenstruktur und in die allgemeinenRahmenstrukturen der Wirtschaft ein-passen können.

Der verstärkte Abbau von sprachli-chen und institutionellen Barrierengegenüber dem polnischen Nachbarnwäre wichtig, um die Brückenfunktionvon Berlin-Brandenburg in Zukunftzu stärken. Für die unmittelbareGrenzregion wird dies bereits seit lan-gem propagiert und teilweise auchumgesetzt. Aber auch für die StadtBerlin und das brandenburgische Hin-terland kann eine stärkere Zuwendungnach Polen positive Effekte haben:Polen kann so besser als Absatzmarktfür die hiesigen Erzeugnisse erschlos-sen werden. Umgekehrt ist es für pol-nische Firmen ohnehin bereits naheliegend, ihre Zentralen für Deutsch-land in Berlin zu etablieren.

Europaweit eine einmalige Region

Im Eckpunktepapier der beiden Lan-desregierungen für ein „Leitbild derMetropolregion“1 wird hervorgehoben,dass die in der Hauptstadtregion gege-bene unmittelbare Nachbarschaft von

Page 33: perspektive21 - Heft 30

31perspektive21

[ perspektiven von berlin-brandenburg ]

„höchster Urbanität und dünn besie-delten Landschaften“ „europaweit ein-malig“ wäre. Auf jeden Fall ist dieseRaumstruktur eine Besonderheit, diemöglicherweise noch ausgebaut wer-den könnte – auch durch einen geord-neten und sozial verträglichen Rück-bau der Besiedlung in landschaftlichbesonders attraktiven Teilräumen.Hinzu könnte eine Erschließung fürden Tourismus kommen.

Für die größeren, berlinfernen Zen-tren innerhalb der Hauptstadtregionbietet sich eine Spezialisierung auf je-weils einzelne Funktionen an. Vondiesen könnte dann Berlin und seinunmittelbares Umland entlastet wer-den. Eine solche Spezialisierung istnicht zuletzt für die öffentlichen Wis-senschaftseinrichtungen zu empfehlen,um auf diese Weise wissenschaftlicheExzellenz zu erreichen. L

PROFESSOR DR. MARTIN T. W. ROSENFELD

ist Leiter der Forschungsabteilung für Stadtökonomik im Institut für Wirtschaftsfor-schung Halle (IWH).

Page 34: perspektive21 - Heft 30
Page 35: perspektive21 - Heft 30

33perspektive21

ÜBER HAMBURG UND DIE CHANCEN EINER METROPOLREGION BERLIN-BRANDENBURG SPRACHEN THOMAS KRALINSKI UND MICHAEL MIEBACHMIT THOMAS MIROW

Wer still steht, fällt zurück

Hamburg boomt „Metropole Hamburg -Wachsende Stadt“ – so lautet das offizi-elle Leitbild der Hansestadt. Unter an-derem baut die Stadt derzeit eine neueKonzerthalle, mit der Hafencity entstehtein neuer Stadtteil im Herzen der Stadt.Was ist das Erfolgsrezept?

„Boomt“ ist vielleicht etwas hochgegriffen. Richtig ist, die Stadt hat seitlangem ein leicht überdurchschnittli-ches Wachstum. Das liegt vor allemam hochexpansiven Welthandel undder starken außenwirtschaftlichen Ori-entierung der deutschen Wirtschaft.Beides schlägt sich auch in den wach-senden Dienstleistungsbranchen Logi-stik und Transport nieder. Außerdemhat Hamburg sein natürliches Hinter-land wieder gewonnen, von dem es biszum Jahr 1990 abgeschnitten war: Dasnördliche Mittel- und Osteuropa. Undschließlich haben wir in Hamburgeinige erfolgreiche langfristige Projekteangestoßen, die sich jetzt bezahltmachen. Aber, der Ehrlichkeit halber:Hamburg hat auch davon profitiert,dass Berlin nach dem Krieg nicht

mehr unangefochtene Nummer Einsunter den westdeutschen Städten war.

Alte und neue Branchenverbinden

Welche langfristigen Erfolgsprojekte mei-nen Sie?

Wir haben rechtzeitig in Hafentrans-port und Logistik investiert – zu einerZeit, als viele diese Branchen für veral-tet gehalten haben. Dann haben wirglücklicherweise auf die Luftfahrtindu-strie gesetzt und damit eine der ganzwenigen wachsenden Industriezweige inDeutschland an Hamburg gebunden.Außerdem haben wir die Bereiche Me-dien und Kommunikation gefördert.Hamburg gehört zu den führendenMedienzentren in Deutschland. Darü-ber hinaus haben wir Mitte der neunzi-ger Jahre mit der Hafencity ein sehrgroßes Stadtentwicklungsprojekt ange-stoßen. Die Nutzung ehemaliger Ha-fengebiete als Wohn- und Geschäfts-bereiche hat ganz neue Dimensionen inder Stadtentwicklung eröffnet.

Page 36: perspektive21 - Heft 30

34 heft 30 | mai 2006

[ thomas mirow ]

Das hört sich nach einem abgestimmtenMasterplan an. Gab es einen bestimm-ten Zeitpunkt, zu dem Hamburg sicheinen Ruck gegeben hat?

Nach dem Niedergang der traditio-nellen Grundstoff- und maritimenIndustrien in den siebziger Jahren warklar, dass Hamburg sich gewaltig ver-ändern musste. Da hat die Stadt rich-tig erkannt: Wer still steht, fällt zu-rück. Hamburg hatte dann nach derWende 1989 urplötzlich die einmaligeChance, Drehscheibe für das neueMitteleuropa zu werden. Die habenwir beim Schopfe ergriffen. Die mei-sten Dinge, die Hamburg zurzeit nachvorne bringen, gehen auf die sozialde-mokratischen Senate zurück: die Er-weiterung des Airbus-Areals für dieProduktion des A 380, der Ausbau derMesse, die Elbvertiefung oder der Baueines der modernsten Containertermi-nals der Welt. Solche strukturpoli-tischen Weichenstellungen brauchen10 bis 15 Jahre, bis sie richtig wirken.

Stärken ausbauen,Schwächen ausgleichen

Hat die Hamburger SPD seinerzeit eineDebatte geführt über ein neues Leitbild,über eine Vision, über ein neues Selbst-bewusstsein für die Stadt?

Es hat solche Debatten gegeben.Allerdings haben wir keinen eingängi-gen Slogan gehabt, wie ihn der nach-folgende Senat mit der Wachsenden

Stadt gefunden hat. Wir haben unssehr intensiv mit zwei zentralen Fragenbeschäftigt: Wo liegen die Stärken undSchwächen der Region? Und wie kannman die Schwächen ausgleichen unddie Stärken ausbauen?

Gesunde Wirtschaft und verwurzeltes Bürgertum

Wo liegen die Stärken Hamburgs?Da ist die sehr lebendige Tradition

im Außenhandel – im Zeitalter derGlobalisierung ein großer Vorteil.Hinzu kommt die gesunde Wirt-schaftsstruktur der Stadt: Die Ham-burger Wirtschaft wird von mehrerenSäulen – d.h. unterschiedlichen Sekto-ren – getragen und mittelständischeUnternehmen überwiegen. Eine dritteStärke Hamburgs liegt in der Attrakti-vität der Stadt als Wohnort mit einemgut verwurzelten Bürgertum. Das hatkulturelle Vorteile – und ganz prakti-sche, zum Beispiel beim bürgerschaft-lichen Engagement.

Und die Schwächen? Die Zukunftsbereiche Wissenschaft

und Forschung sind unterentwickelt.In allen Rankings rangieren die Ham-burger Hochschulen nicht sonderlichweit oben. Das hat aber ironischer-weise auch mit dem Erfolg der Stadtzu tun. Bis zum Zweiten Weltkriegsagte eben der Kaufmann zu seinemSohn: Wenn Du was taugst, dann

Page 37: perspektive21 - Heft 30

35perspektive21

[ wer still steht, fällt zurück ]

gehst Du in meine Firma, wenn nicht,dann gehst Du studieren. Eine zweiteSchwäche ist die relative Isolation derStadt. Die nächsten wichtigen ökono-mischen Zentren – Berlin, Hannoverund Bremen – sind relativ weit weg.

Die Hamburger SPD stellt der „Wach-senden Stadt“ mit seinen Leuchtturm-projekten das Konzept einer „Menschli-chen Metropole“ entgegen. Da geht es inerster Linie um Bildung, Kinder, Ju-gend, Familie, Soziales, dann erst gefolgtvon den Themen Wirtschaft und Stadt-entwicklung. Ist diese Reihenfolge Erfolgversprechend?

Wir müssen auf die Balance achten.Jede Region braucht Leuchttürme –weil sie Identität stiften, weil sie Lustauf einen Besuch machen, weil mannur so international wahrgenommenwird. Andererseits können wir es unsnicht leisten, wenn die Innenstädtespiegelblank sind, vor Luxusboutiquenüberquillen, während drum herum dieGesellschaft zunehmend verarmt. Da-für gibt es leider auch in HamburgBesorgnis erregende Anzeichen.

Rückstand lässt sich aufholen

Auch bei uns hier in Berlin und Bran-denburg gibt es Diskussionen über dieChancen und das künftige Leitbild derRegion. Was könnten wir von Hamburglernen?

Man kann nichts eins zu eins über-tragen. Die Region sollte sich intensivdarüber auseinandersetzen, wo ihrespezifischen Stärken und ihre Schwä-chen liegen. Wo gibt es Wachstumspo-tenziale in der ersten Hälfte des 21.Jahrhunderts? Welche Gefahren undRisiken muss man eindämmen?

Deutschland hat fünf Metropolregionen:München, Stuttgart, Hamburg, dasRhein-Main-Gebiet und Berlin. Dieschwächste dieser Regionen ist Berlin.Kommen wir zu spät?

Nein, man kommt nicht zu spät.Wenn man sich auf die eigenen Stär-ken besinnt, dann kann man auseinem jahrzehntelangen Rückstandeinen Vorsprung erzielen – siehe Bay-ern.

Mit Wissenschaft wuchern

Wo sehen Sie die Stärken der RegionBerlin-Brandenburg?

Die größte Stärke Berlins ist diegroße Wissenschafts- und Forschungs-dichte und die Anziehungskraft derStadt vor allem für junge Menschenaus der ganzen Welt, auch aufgrunddes geringen Kostenniveaus. Damitkann man in einer Zeit der globalenWissensindustrie wuchern, wenn dieRegion beide Aspekte noch besser mit-einander verbindet. Wissen ist künftigdie ergiebigste Produktivitätsressource.

Page 38: perspektive21 - Heft 30

36 heft 30 | mai 2006

[ thomas mirow ]

Heutzutage liegen jene Regionen vorn,die attraktiv sind für Forscher, Ingeni-eure, Juristen, Künstler und Kreative.Dafür braucht es Offenheit, Kreativi-tät und Vielfalt – Unternehmen undBildungseinrichtungen allein reichennicht. Leider bietet Berlin jungenMenschen derzeit nach dem Studiumkeine guten Perspektiven. Aber woviele junge Leute sind, wird es immerwieder auch Unternehmensgründun-gen, Selbständige, Netzwerke geben.Daraus kann sich, wenn man nicht zuungeduldig ist, eine Menge ergeben.

Flughafen der verpassten Chancen

Sollten die beiden Länder aber trotzdemGeld für Leuchtturmprojekte Geld aus-geben?

Ich glaube, man tritt Berlin undBrandenburg nicht zu Nahe, wennman sagt, dass die Region mit derunendlichen Flughafengeschichte einerichtig große Chance verpasst hat.Eine Million Fluggäste schaffen rund1.000 Arbeitsplätze. Spätestens imJahre 1994 hätte ein zukunftsträchti-ger Flughafen bei Berlin eröffnet wer-den müssen. Dann wäre nämlich Ber-lin und nicht München das zweitedeutsche Luftkreuz in Deutschlandgeworden. Es gab also gelegentlichDinge, die nicht zielgerichtet genugvorangetrieben worden sind. Ham-burg hat übrigens vor 20 Jahren eine

ähnliche Chance verpasst. Da ging esdarum, vor den Toren Hamburgseinen neuen Großflughafen zu bauen.

Harte und weiche Politiken gibt es nicht

Sollten sich Berlin und Brandenburg imSpannungsfeld zwischen harten undweichen Politikfeldern stärker auf dieSeite von Wirtschaftsprojekten schlagen?

Darin liegt nicht die eigentlicheAlternative. Der eigentliche Span-nungsbogen liegt darin, sich zu überle-gen, was einen wirklich voranbringtund in welchen Bereichen viel Geld zuwenig Ergebnissen führt. Versagt ha-ben wir in Deutschland bei Zuwande-rung und Integration. Wir haben esversäumt, allen Zuwanderern dieChancen zu eröffnen, in unserer Ge-sellschaft mitzuwirken. Ist das nun einhartes oder ein weiches Thema? Ver-sagt haben wir auch in der Bildungs-politik, haben unsere Mittel falsch ein-gesetzt. Das Ergebnis: Wir liegen iminternationalen Vergleich bei der früh-kindlichen Entwicklung krass zurück.Ist das weich oder hart? Wir brauchengerade als Sozialdemokraten einenschärferen Blick auf die Realitäten inder Welt und auf absehbare Zukunfts-entwicklungen. Gerade wenn wir fürsoziale Gerechtigkeit und sozialen Auf-stieg streiten wollen, müssen wir pro-duktive Ressourcen in unserer Gesell-schaft entwickeln – und zwar so, dass

Page 39: perspektive21 - Heft 30

37perspektive21

[ wer still steht, fällt zurück ]

eine nächste Generation in Wohlstandund Freiheit leben kann.

Die beiden Regierungschefs von Ham-burg und Schleswig-Holstein sprechensich mehr oder weniger offen für eineFusion ihrer Länder aus. Ist das reali-stisch?

Wir haben eine solche Debatteschon mal geführt. Sie geriet aber ineine Sackgasse, als klar war, dass dieKieler das nicht wollten. Danachhaben wir uns mehr auf die konkreteZusammenarbeit – und nicht auf dieFusion – konzentriert. Ich glaubeallerdings, dass wir in Europa noch zukleinteilig organisiert sind. Dazugehört auch, dass wir in Deutschlandmit 16 Ländern nicht glücklich seinwerden. Hier könnte man viele über-flüssige Verwaltungs- und Regierungs-strukturen beseitigen.

Strukturplanung ist gemeinsam einfacher

Sind das wirklich so viele? Der Senatvon Hamburg würde doch weiter beste-hen.

Sicher, es würde weiter eine Füh-rung der Stadt Hamburg geben. Aberdie würde sich beispielsweise nichtmehr um europäische Umweltpolitikkümmern müssen. Man könnte regio-nale Strukturplanung leichter durch-führen, wenn es nicht immer wiederLandesgrenzen gibt, die schwer zu

überspringen sind. Und man könntebestimmte große Projekte leichter ver-folgen – wie zum Beispiel die nötigeElbvertiefung. Wenn das von drei Län-dern gemacht werden muss, plus demBund mit der Kompetenz für die Bun-deswasserstraße, ist das ein unglaub-lich komplexer Vorgang.

Fördern ist mehr alsGeld verteilen

Wir in Brandenburg haben die Erfah-rung gemacht, dass die Fusion ein Kopf-thema ist, dass nie wirklich bei denMenschen angekommen ist. Die Bran-denburger befürchten zudem von Berlinüberrollt zu werden. Wäre das in Schles-wig-Holstein und Hamburg anders?

Vermutlich nicht. Prinzipiell ist esso: Je weiter die Menschen von derMetropole entfernt leben, umso grö-ßer ist die Sorge, dass die Metropoleder dominante Faktor in einem ver-bundenen Bundesland sein könnte.

In Brandenburg wurde gerade die Stra-tegie der Wirtschaftsförderung umgestellt.Fördergelder werden künftig nicht mehrmit der Gießkanne verteilt, sondern aufWachstumskerne und Zukunftsbranchenkonzentriert. Kann staatliche Förderungwirklich beim Aufbau von Wirtschafts-strukturen helfen?

Eine Förderstrategie ist mehr als dieEntscheidung, wo Geld hin fließt. Siesetzt erstmal eine Analyse voraus: Was

Page 40: perspektive21 - Heft 30

38 heft 30 | mai 2006

[ thomas mirow ]

haben wir? Wohin wollen wir? Mitwelchen Instrumenten können wir dasZiel erreichen? Können wir dazu auchfinanzielle Mittel einsetzen? Das halteich für sehr wichtig. Wer selber nichtweiß, was er will und über welcheMöglichkeiten er verfügt, der kannnicht erwarten, dass alles über denMarkt geregelt wird. Insofern halte icheine räumliche und sektorale Konzen-tration für richtig. Von regionalenWachstumskernen gehen schließlichAusstrahlungseffekte aus, von denenandere Orte profitieren. Das mussman den Menschen klar machen.

Auch kleine Städte können boomen

Hamburg oder München profitierendavon, dass strukturschwache Gebieteausbluten. Denn viele gut ausgebildeteLeute ziehen aus der Peripherie in dieWachstumsgebiete. Kann man etwasdagegen tun?

Das ist ganz schwer zu verhindern.Auch in anderen Bundesstaaten gibt esimmer wieder Wanderungsbewegungen.Nicht umsonst sind Kalifornien, Floridaoder Massachusetts Regionen, die Men-schen aus ganz Amerika anziehen.Wichtig scheint mir, umgekehrte Bewe-gungen zu unterstützen. Das nützlichsteMittel dazu sind gute Hochschulen, diejunge Menschen anziehen und derenAbsolventen möglicherweise Unterneh-men in der Region gründen.

Das ist ein Argument für große Städte. Nicht unbedingt. Es gibt auch

kleinstädtische Regionen im Auf-schwung. Manchmal geschah dies einbisschen zufällig – wie im Falle vonWalldorf und SAP. Aber sicher habenstädtische Ballungsregionen in Bezugauf die Wertschöpfungsketten derZukunft künftig größere Chancen alsRegionen, in denen wenige Menschenleben…

… was den Menschen dort nur schwerzu vermitteln ist.

In der Tat. Das war früher aber nieanders.

Berlin nennt sich selbst gern in einemAtemzug mit Paris oder London. Bestehtdie Chance, dass die deutsche Haupt-stadtregion irgendwann tatsächlich zuden großen europäischen Ballungszen-tren aufschließt?

Ich hoffe gar nicht, dass es dazukommt. London und Paris sind si-cherlich unglaublich attraktive Städte,aber für ihre Länder ungünstig. Siebewirken, dass weite Teile des jeweilsübrigen Landes wirtschaftlich unter-entwickelt bleiben. Wenn alle Wege ineine Stadt führen, kann das Land vonwenigen Wirtschaftsstrukturen abhän-gig werden. In England befürchtenviele, dass die gesamte Volkswirtschaftins Straucheln gerät, wenn es mal zuRückschlägen auf den Kapitalmärktenkommt. Die Vorteile einer dezentralen

Page 41: perspektive21 - Heft 30

39perspektive21

[ wer still steht, fällt zurück ]

staatlichen Struktur wie in Deutsch-land überwiegen bei weitem die Nach-teile. Die Region Berlin-Brandenburg

sollte sich also nicht beirren lassen vonden Megastädten, sondern realistischeZiele entwickeln. L

DR. THOMAS MIROW

ist seit 2005 Staatssekretär im Bundesfinanzministerium. Von 1991 bis 2001 war er Stadtentwicklungs- und Wirtschaftssenator in Hamburg.

Page 42: perspektive21 - Heft 30
Page 43: perspektive21 - Heft 30

41perspektive21

ABWANDERUNG VON FRAUEN AUS OSTDEUTSCHLANDVON CHRISTIANE DIENEL

Zwischen Familien-und Karriereplanung

A bwanderung ist für ganz Ost-deutschland ein Thema geworden

– nicht erst seit den aufrüttelndenDarstellungen des Berlin-Instituts fürBevölkerung und Entwicklung. Es istmittlerweile offensichtlich, dass diedadurch entstehenden Bevölkerungs-ungleichgewichte kein theoretischesProblem sind, sondern deutlich spür-bare Auswirkungen auf die wirtschaftli-che Dynamik der betroffenen Regio-nen haben. Dabei ist Abwanderungkein ostdeutsches Phänomen. Überallgilt: In wirtschaftlich problematischenZeiten gehen vor allem drei Bevölke-rungsgruppen auf Wanderschaft. JungeMenschen, qualifizierte Menschen undFrauen – häufig sogar in dieser Kombi-nation.1 Als problematisch zeigt sichinsbesondere die Geschlechterselekti-vität von Wanderungsbewegungen: Vorallem junge Frauen verlassen das Land.

Eine zentrale Grundlage für denvorliegenden Beitrag ist die abgeschlos-sene Untersuchung zu Zukunftschancenfür junge Menschen und Familien in

Sachsen-Anhalt (Zukunftschancen2004). Die Studie hatte die Aufgabe,die quantitativen Daten zu Geburten-rückgang, Abwanderung und Bevölke-rungsentwicklung durch qualitativeVerfahren tiefer gehend zu analysieren,um von dort aus zu neuen politischenHandlungsansätzen zu kommen. Ge-wählt wurde ein interdisziplinärer An-satz zum besseren Verständnis inner-deutscher Wanderbewegungen und derGründe für niedrige Geburtenraten amBeispiel von Sachsen-Anhalt.

Frauenspezifische Gründefür Abwanderung

In weiteren Forschungsvorhaben wurdediese Fragestellung inzwischen auf ganzOstdeutschland ausgeweitet, unter an-derem im Forschungsprojekt Rückwan-derung als dynamischer Faktor für ost-deutsche Städte und BevölkerungsmagnetHochschule (www.menschen-fuer-ostdeutschland.de). Die zwei Schwer-punkt-Themen der Migrationsent-

1 Reiner Klingholz, Deutschland 2020. Die demografische Entwicklung der Nation (Vortragsskript), Berlin 2004, Seite 4

Page 44: perspektive21 - Heft 30

42 heft 30 | mai 2006

[ christ iane dienel ]

scheidungen von Frauen – beruflicheund biografische Motive – werden indiesem Beitrag genauer analysiert. Da-bei geht es insgesamt nicht darum,einen Beitrag zur oftmals überzeichne-ten Berichterstattung („Frauenmangelin Ostdeutschland“) zu leisten. Viel-mehr haben Frauen durchaus frauen-spezifische Gründe zur Abwanderungund damit auch das Recht auf eine Po-litik, die ihnen frauenspezifisch Wegezum Bleiben oder zur Rückkehr öffnet.

Die Geschlechtsspezifik sowohl derAußen- wie der Binnenmigration hatsich in den letzten hundert Jahrenstark verändert. Der typische Auswan-derer des 19. Jahrhunderts (und der

typische Asylbewerber auch noch des21. Jahrhunderts) war jung, männlich,stammte vom Lande und hatte nurgeringe Schul- und Berufsqualifikatio-nen.

Heute wandern mehr Frauen als Männer

Die erfolgreichen europäischen Bin-nenmigranten sind heute überdurch-schnittlich gut qualifiziert, stammenebenso häufig aus der Stadt wie vomLand und sind überdurchschnittlichhäufig Frauen. Nach wie vor mischtsich der traditionelle Migrationstypusdes manuell arbeitenden Mannes mit

Wanderungsverluste je 1.000 Männer/Frauen aus Ostdeutschland nach Westdeutschland in der Summe der Jahre 1991 bis 2002

Sachsen-Anhalt

Männer

Sachsen

Mecklenburg-Vorpommern

Brandenburg

Thüringen

Quelle: Statistisches Bundesamt; BiB, J. Roloff

-56,3-70,1

-60,9-84,1

-45,1-66,9

-66,5-87,2

-40,7-68,5

Frauen

Page 45: perspektive21 - Heft 30

43perspektive21

[ zwischen familien- und karriereplanung ]

dem moderneren der gut qualifizierten,urbanen Migrantin. Die innerdeut-schen Wanderungen seit dem ZweitenWeltkrieg spiegeln diese Spannbreite.

Die innerdeutschen Wanderungsströ-me gingen schon vor dem Mauerbauvor allem nach Westdeutschland, ob-wohl immerhin ca. 600.000 Menschenzwischen den fünfziger und sechzigerJahren von West nach Ost zogen. Ihnenstanden jedoch 3.100.000 Ost-West-Migranten gegenüber.2 Dieser negativeostdeutsche Wanderungssaldo wurdedurch den Mauerbau unterbrochen undsetzte sich nach 1989 mit großer Dyna-mik fort. Im Zeitraum von 1991 bis2002 sind netto rund 243.700 Männerund 447.600 Frauen aus Ostdeutsch-land abgewandert sind.3 Zwar stieg derFrauenanteil bei den Rückwanderernmit den Jahren kontinuierlich an; dasdurch Abwanderung verursachte Frau-endefizit konnte jedoch nur zu 60,8Prozent ausgeglichen werden, hingegenbei Männern bis zu 79,9 Prozent. Somitverlor Ostdeutschland im Schnitt mehrFrauen als Männer.4

Ziel der Binnenmigranten sind vor-rangig städtische Räume. In Ost-deutschland profitieren davon auch

einige städtische Zentren. Insbeson-dere die Städte Berlin, Leipzig, Dres-den, Erfurt und Jena verzeichnen nurgeringe Wanderungsverluste beigleichzeitig hohem Wanderungssaldo.5

Wanderungsmotiv Ausbildungund Erwerbstätigkeit

In den Ergebnissen der Sachsen-An-halt-Studie (Zukunftschancen 2004)zeigte sich, dass Abwanderung nichtausschließlich durch den Arbeitsmarktbestimmt wird. Junge Frauen verlassennicht nur aus beruflichen, sondernauch aus privaten Gründen das Land,weil in ihrer Lebensplanung familiäreund berufliche Gründe eine gleichwer-tige Rolle spielen. Für Sachsen-Anhaltwird deutlich, dass berufliche Gründefür den Fortzug zwar für Männerdominieren, bei den Frauen jedoch zu30 Prozent nicht-berufliche Gründeausschlaggebend sind.6

Doch ist nicht das bloße Arbeits-platzangebot ausschlaggebend, sondernin erster Linie die Qualität der Arbeits-plätze und vor allem die Möglichkeiteiner beruflichen Weiterentwicklungbei Wanderungsentscheidungen. Be-

2 Grit Beck, Wandern gegen den Strom. West-Ost-Migration in Deutschland, in: Frank Swiaczny/Sonja Haug (Hg.), Bevölke-rungsgeographische Forschung zur Migration und Integration. Materialien zur Bevölkerungswissenschaft, Heft 112, 2004, Seite99

3 Ralf Mai, Altersselektivität und regionalpolitische Konsequenzen der Abwanderung aus Ostdeutschland. http://www.schrumpfende-stadt.de (03.05.2004), Seite 4

4 Grit Beck (Fußnote 2), Seite 1035 ebd., Seite 1016 Antje Gerloff, Abwanderung und Heimatbindung junger Menschen aus Sachsen-Anhalt – Ergebnisse einer empirischen Unter-

suchung, in: Christiane Dienel (Hg.), Abwanderung, Geburtenrückgang und regionale Entwicklung. Ursachen und Folgen desBevölkerungsrückgangs in Ostdeutschland, Wiesbaden 2005, Seite 111.

Page 46: perspektive21 - Heft 30

44 heft 30 | mai 2006

[ christ iane dienel ]

merkenswert ist bei der Untersuchungvon Abwanderungsgründen vor allem,dass Frauen vor allem zu Ausbildungs-und Studiumszwecken migrieren undMänner zu einem hohen Anteil (31Prozent) in Sachsen-Anhalt berufstätigwaren, bevor sie in eine andere Regionabwanderten.

Suche nach Ausbildung macht mobil

Speziell die Abwanderung von jünge-ren Erwerbstätigen gilt als ein Indika-tor für wirtschaftliche Problemlagen.Frauen haben meist eine höhere Bil-dung, sind aber vor allem im Ostenam Arbeitsmarkt nach wie vor benach-teiligt.7 Bereits auf der Suche nachgeeigneten Bildungsangeboten werdenjunge Menschen häufig mobil. Mitdem ausbildungsfähigen Alter (18-21Jahre) ziehen sie von Ost nach Westfür einen Ausbildungs- oder Studien-platz, wobei eher Frauen (41 Prozent)als Männer (30 Prozent) bereit sind,überregional eine Ausbildungsstelle zusuchen.8

Entsprechend der unterschiedlichenthematischen Schwerpunkte sindFrauen im dualen System stark unter-und in den schulischen Ausbildungenstark überrepräsentiert. Sowohl auf-

grund des insgesamt geringeren Ange-bots als auch aufgrund der teilweisespezifischen und daher nicht überallverfügbaren Ausbildungsgänge liegt esauf der Hand, dass die Interessentin-nen für schulische Berufsausbildungenin stärkerem Maße mobil sein müssen.

Dies erklärt sicherlich die höhereMobilität von jungen Frauen. So wa-ren die Teilnehmer und Teilnehmerin-nen der schulischen Ausbildung in denim Jugendpanel „ostmobil“ untersuch-ten Geburtsjahrgängen 1980-85 deut-lich mobiler als die Auszubildendendes dualen Systems9.

Traditionelle Berufe in der Heimat

Vor allem die als zukunftsträchtig gel-tenden Elektro- und IT-Berufe sowieDienstleistungsberufe (Organisation,Verwaltung, Büro) sind in erster Liniein den alten Ländern sowie in struk-turstarken ostdeutschen Städten zu fin-den. Die „traditionellen“ Berufe konn-ten Jugendliche hingegen vergleichs-weise leicht auch in ihrer Heimatre-gion finden. „Daher erklärt allein dasAngebot an Ausbildungsgelegenheitendie konstatierte regionale Mobilität gutvorgebildeter Jugendlicher, besondersjedoch der Frauen“.10

7 Reiner Klingholz (Fußnote 1), Seite 4f.8 Bundesministerium für Bildung und Forschung, Berufsbildungsbericht 2001, http://www.bmbf.de/pub/bbb2001.pdf,

28.11.20059 Christine Steiner, Bleibst Du noch oder gehst Du schon?, in: Berliner Debatte Initial 15 (2004) 4, Seite 4710 ebd., Seite 48

Page 47: perspektive21 - Heft 30

45perspektive21

[ zwischen familien- und karriereplanung ]

Weitaus schwieriger als der Einstieg indie Ausbildung gestaltet sich der Einstiegostdeutscher Jugendlicher ins Erwerbs-leben. Auch hier unterscheiden sich Ab-solventen der betrieblichen Ausbildung(duales System) deutlich von denen derschulischen Ausbildung: Während – be-zogen auf die untersuchten Geburtsjahr-gänge von Haupt- und Realschülern –erstere immerhin zu knapp 80 Prozenteine Beschäftigung aufgenommen hat-ten, gelang dies nur 34 Prozent der Ab-solventen schulischer Ausbildungen. Be-gründet liegt dies vor allem in der späte-ren Übernahme durch den Ausbildungs-betrieb, die bei den Schulen nicht mög-

lich ist. In ländlichen Regionen fällt dieÜbernahmequote noch geringer aus. DerTrend zur Migration in die alten Bun-desländer scheint sich somit an der zwei-ten Schwelle noch zu verstärken. Immer-hin führten 55 Prozent aller Umzüge indie alten Länder.11 „Je Dreiviertel der Bil-dungsmigranten und -pendler wurdenan der Schwelle zur Erwerbstätigkeiterneut mobil. Der Hauptgrund scheintin erster Linie im Ausbildungsberuf zuliegen. Vor allem die überwiegend weib-lichen Jugendlichen, die einen kauf-männischen oder einen Büroberuf er-lernt hatten, fanden nur schwer einenJob“.12

Fortzugstypen bei Frauen und Männern

11 ebd., Seite 5112 ebd., Seite 52

30 %

25 %

20 %

15 %

10 %

5 %

0 %

15 %

Quelle: Sachsen-Anhalt-Studie, Telefonbefragung 2003

9 %

16 %

12 %

2 %4 %

12 % 12 %15 %

31 % 30 %

13 %13 %16 %

Ausbildung Studium Pendler Arbeits- Berufs- Absol- keinelose tätige venten beruflichen

Gründe

Frauen Männer

Page 48: perspektive21 - Heft 30

46 heft 30 | mai 2006

[ christ iane dienel ]

In der Sachsen-Anhalt-Studie wur-den die Fortzugsgründe klassifiziertund Typen gebildet: J Menschen, die wegen einer Ausbil-

dung weggegangen sind J Menschen, die wegen eines Studi-

ums das Land verlassen haben J ehemalige Pendler J ehemalige Arbeitslose J berufstätige Fortzügler J Menschen, welche eine Ausbildung

oder ein Studium hier im Landabsolviert haben und ihren erstenArbeitsplatz außerhalb des Landesbegonnen haben und

J diejenigen, für die keine beruflichenGründe für den Fortzug ausschlag-gebend waren.

Allgemein wird angenommen, dassdie auf den Arbeitsmarkt bezogenenGründe dominant sind. Dies kann fürdie befragten Männer bestätigt werden.Mehr als doppelt so viele Männer alsFrauen gaben als primären Grund fürihren Wegzug die Berufstätigkeit an.Dieser Fortzugsgrund rangiert bei denMännern auf Platz 1, bei den Frauendagegen auf Platz 7 von 9 Möglichkei-ten. Frauen nahmen häufiger als Män-ner ein Studium außerhalb Sachsen-Anhalts auf. Rund 14 Prozent derbefragten Frauen und etwa 10 Prozentder befragten Männer gaben diesenprimären Fortzugsgrund an. Für

Frauen ist der Studienbeginn oftmalsein Anlass und eine Möglichkeit, sichvom Elternhaus abzunabeln, währendMänner viel öfter zu Hause wohnenbleiben. Die angegebene größere At-traktivität von Studienorten außerhalbSachsen-Anhalts kann sich also teil-weise auch durch den Wunsch nachAblösung vom Elternhaus begründen.

Junge Frauen ziehen eher zu Hause aus

Hiermit bestätigen sich die geschlechts-spezifischen Unterschiede beim Prozessder Individuierung Jugendlicher undjunger Erwachsener. Ergebnisse der Se-kundärdatenanalyse „Daten zu Lebens-führung und Chancengleichheit“ vomDJI aus dem Jahre 2002 ergaben, dassinsbesondere in den neuen Bundeslän-dern junge Frauen häufiger von zuHause auszogen als junge Männer. ImWesten wohnen noch 74 Prozent dermännlichen, aber nur noch 67 Prozentder weiblichen Befragten im elterlichenHaushalt. Im Osten sind dies 72 Pro-zent der jungen Männer, aber 63 Pro-zent der 14- bis 27-Jährigen Frauen.13

Etwa 17 Prozent der befragtenMänner und ca. 13 Prozent der be-fragten Frauen hatten in Sachsen-Anhalt eine Ausbildung bzw. ein Stu-dium absolviert und haben außerhalbSachsen-Anhalts einen Arbeitsplatz auf

13 Waltraud Cornelißen u.a., Junge Frauen – junge Männer, Opladen 2002, Seite 94

Page 49: perspektive21 - Heft 30

47perspektive21

[ zwischen familien- und karriereplanung ]

dem ersten Arbeitsmarkt gefunden.Dass weniger weibliche Absolventendas Land verlassen haben, hängt u.a.damit zusammen, dass mehr Frauenals Männer schon wegen einer Ausbil-dung oder eines Studiums fortgezogensind. Sie haben ihre Entscheidung zurAbwanderung hinsichtlich ihrer Er-werbsbiografie früher getroffen.

Fehlende Ausbildungsplätze für Frauen

Ein Mangel an qualifizierten Arbeitsstel-len kann nicht als alleinige Ursache fürdie Abwanderung der Berufsanfängergesehen werden. Rund 45 Prozent derAbsolventen und ausgelernten Auszubil-denden haben erst gar nicht versucht,eine Arbeit im Land zu finden. Dabeizeigen sich geringe geschlechtsspezifi-sche Unterschiede.

Mit Blick auf die genannten zu-kunftsträchtigen Berufsfelder und mitder Absicht, junge Frauen in der Re-gion zu halten, fehlt es vor allem angeeigneten Ausbildungsgängen. Sowundert es nicht, dass bei dem derzeiti-gen Angebot, das sich sehr stark auftechnische Berufe beschränkt, jungeFrauen auf der Suche nach einem pas-senden Ausbildungsplatz die Regionverlassen. Zumal sie – wenn sie einentechnischen Beruf ergreifen – bei der

Arbeitsplatzsuche gegenüber den jun-gen Männern benachteiligt werden.14

Mit Blick auf die hohe Mobilitäts- undWanderungsbereitschaft, insbesonderewenn es um die Verfolgung von Ausbil-dungs- oder Studienabsichten geht,sollte ein Schwerpunkt regionaler(Wirtschafts-) Entwicklung daraufgelegt werden, Aus-, Fort- und Weiter-bildungsangebote speziell für jungeFrauen auszubauen. Hier könnten sicheinzelne Standorte mit geeigneten Bil-dungsangeboten profilieren sowie mitHilfe von bewusstseinsbildenden Maß-nahmen in Unternehmen und Betrie-ben zur gleichberechtigten Behandlungvon Frauen und Männern bei der Aus-wahl von Arbeitskräften zur Stärkungdes Standorts beitragen. So lässt sichgezielt dem schon jetzt absehbarenFachkräftemangel entgegen wirken.

Wanderungsmotiv Partnerschaftund Familie

Bei Betrachtung der Gründe undMotive für Migration zeigt sich, dassin der öffentlichen Diskussion und inder Forschung das berufliche Motivam stärksten hervorgehoben wird. Dasmag zum einen daran liegen, dass dasWanderungsmotiv Arbeitsmigrationohne Zweifel stark ist und weit in dieGeschichte zurück reicht. Doch gerade

14 Christiane Dienel, Abwanderung aus Ostdeutschland – vom Wendephänomen zum langfristigen Trend?, in: Tituts Simon /Rainer Hufnagel (Hg.), Problemfall deutsche Einheit. Interdisziplinäre Betrachtungen zu gesamtdeutschen Fragestellungen,Stuttgart 2004, Seite 93 - 110

Page 50: perspektive21 - Heft 30

48 heft 30 | mai 2006

[ christ iane dienel ]

beim Blick auf die Wanderungsmotivevon Frauen zeigt sich, dass der bishe-rige Betrachtungsfokus zu kurz greift.

Der Berufsbildungsbericht desBMBF zeigt, dass geschlechter- undraumübergreifend bei der Altersgruppeder 18-21-Jährigen das Motiv, demLebenspartner bzw. der Lebenspartne-rin nahe zu sein, an erster Stelle derWanderungsgründe. Erst dann folgendie Berufschancen in der Region undanschließend die Nähe zu Freundenund Bekannten.15

Berufliche und familiäre Gründegleich wichtig

Daran zeigt sich deutlich, dass nichtallein Ausbildungs- und Arbeitsmarktdie Wanderungsentscheidung bestim-men, sondern auch emotionale Fakto-ren wie Familie und Freunde. Währenddies für die Jüngeren geschlechtsüber-greifend gilt, bestehen bei den 25-30-Jährigen anders ausgeprägte geschlechts-spezifische Gründe für die Wande-rung.16 Während Männer überwiegendaus beruflichen Gründen migrieren,wandern Frauen vordergründig aus fa-miliären Motiven (z.B. Nachzug zumLebensgefährten). Auch beurteilenMänner dieser Altersgruppe die Chan-ce, in der Region einen Arbeitsplatz ent-

sprechend ihrer Qualifikation zu erhal-ten zumeist negativ.17

Diese Ergebnisse zeigen, dass fürFrauen in der Altersphase zwischen 20und 30 Jahren berufliche und familiäreGründe für die Abwanderung minde-stens gleichberechtigt nebeneinanderstehen. Die jungen Frauen sehen sich –anders als junge Männer – einer zwei-fachen Lebensaufgabe gegenüber: J ihren beruflichen Weg zu gehen

und eine sichere Position zu erlan-gen und

J den richtigen Partner zu finden unddie Weichen für eine gelingendeFamiliengründung zu stellen.

Diese Gleichrangigkeit privater undberuflicher Abwanderungsgründe beiFrauen zeigte sich deutlich in derSachsen-Anhalt-Studie: Im Unter-schied zu den Männern dominierenbei den Frauen die nicht-beruflichenGründe für ihren Fortzug. Von allenbefragten Frauen haben dies 30 Pro-zent angegeben. Damit nimmt dieseEinordnung bei ihnen den ersten Platzein, deutlich vor den verschiedenenberuflichen Motivationen. Hinter-grund hierfür ist insbesondere derNachzug zum Ehe- bzw. Lebenspart-ner und zur Familie. Dagegen nennennur 13 Prozent der Männer keine be-

15 Bundesministerium für Bildung und Forschung (siehe Fußnote 8)16 Grit Beck (Fußnote 2), Seite 10417 Paul Gans / Franz-Josef Kemper, Ost-West-Wanderungen in Deutschland. Verlust von Humankapital für die neuen Länder?, in:

Geographische Rundschau 55 (2003) 6 , Seite 17

Page 51: perspektive21 - Heft 30

49perspektive21

[ zwischen familien- und karriereplanung ]

ruflichen Gründe für die Abwande-rung aus Sachsen-Anhalt.

Über die Hälfte der Befragten so-wohl bei den Frauen (60 Prozent) wieauch bei den Männern (63 Prozent)lebten zum Zeitpunkt der Befragungin keinem partnerschaftlichen Verhält-nis. Sie waren ledig bzw. Single. DiesesErgebnis korreliert mit der Altersvertei-lung bei den Interviewten und legt dieSchlussfolgerung nahe, dass Migra-tionsentscheidungen in einer stabilenPartnerschaft schwerer zu treffen undumzusetzen sind. Je stärker Menschenin soziale Netzwerke und hierbei insbe-sondere in persönliche Beziehungs-strukturen am Heimatort verwachsensind, umso unwahrscheinlicher wirdein Fortzug. Am zweithäufigsten warendie Befragten verheiratet, auch hier las-sen sich nur geringfügige geschlechts-spezifische Unterschiede erkennen.

Kinder halten Frauen am Ort

Die überwiegende Mehrheit (Frauen:67 Prozent, Männer: 76 Prozent) derAbwandernden hat keine Kinder je-doch mit großen Unterschieden zwi-schen Frauen und Männern. So sind33 Prozent der Frauen Mütter, dage-gen nur 10 Prozent der Männer Väter.

Anhand der Kinderfrage wird wie-der deutlich, dass eine feste Veranke-rung in sozialen Beziehungen am Hei-matort sich migrationshemmend aus-

wirkt. Der eigene Nachwuchs hat einestarke räumlich verankernde Wirkungund selbst wirtschaftliche Vorteile inder Ferne sind dann zweitrangig.

Lebensqualität für Familien verbessern

Für Frauen sind neben ökonomischenUrsachen soziale Kontakte am Zielortbei der Abwanderung besonders wich-tig. Die Mehrheit der Befragten kanntejemanden am neuen Wohnort. 51 Pro-zent aller Befragten kannten am ZielortPersonen aus dem familiären, freund-schaftlichen und/oder beruflichen Um-feld. 54 Prozent der befragten Frauenverfügten über solche Kontakte amneuen Wohnort. Bei den Männern wardies für nur 48 Prozent der Fall. Dassmehr als die Hälfte der Frauen bereitsjemanden am Zielort kennt, illustriertdie hohe Bedeutung nicht-beruflicherZiele bei der Entscheidung zur Ab-wanderung und besonders bei derEntscheidung für einen bestimmtenZuzugsort.

Wenn es also darum gehen soll, dieBevölkerungsentwicklung in eine posi-tive Richtung zu lenken und ostdeut-sche Regionen auch attraktiv für dasBleiben oder Zurückkehren von Frau-en zu machen, sind dringend Angeboteerforderlich, die der Doppelorientie-rung von Frauen auf Beruf und Fami-lie gerecht werden. Dazu gehören auchbedarfsgerechte Angebote für „Berufs-

Page 52: perspektive21 - Heft 30

50 heft 30 | mai 2006

[ christ iane dienel ]

rückkehrerinnen“, die Müttern denWunsch nach Familie und nach beruf-licher Verwirklichung ermöglichen.18

Deshalb sollte es Ziel von Städten undRegionen sein, nicht nur das Arbeits-platzangebot zu erweitern, sondernauch die Wohn- und Lebensqualitätspeziell für Kinder und Familien zuverbessern. Dies kann zwar nicht un-mittelbar zum Anstieg der Geburten-häufigkeit führen, trägt aber zur Ver-besserung der Rahmenbedingungen beiund vermittelt ein Gefühl der Sicher-heit und des Willkommenseins vonKindern. Das Image und die Rahmen-bedingungen einer „kinderfreundlichenRegion“ eignen sich als Halte- oderRückkehrfaktoren. Die Kriterien, diees hier zu beachten gilt, reichen vonWohnung, Wohnumfeld und Verkehrüber Spielen/Freizeit, Erziehung/Bil-dung/Betreuung/Begegnungsstättenund Kultur bis zu wirtschaftlichenRahmenbedingungen.19

Neben der Schaffung familienfreund-licher Rahmenbedingungen ist die ge-zielte „Ansiedlung“ von Studierendeneine weitere wirksame Handlungsoption.Bisher kaum betrachtet, jedoch unerläss-lich ist in diesem Zusammenhang diegezielte Entwicklung von attraktivenAngeboten für Frauen und insbesonderefür Mütter. Dies umfasst sowohl geeig-nete Ausbildungs- und Studienangeboteals auch den diskriminierungsfreien Um-gang der Unternehmen bei der Einstel-lung neuer Arbeitskräfte und bei derEntwicklung von Teilzeitmodellen fürFrauen wie für Männer. Findet hier keinUmdenken statt, so wird sich die Ten-denz fortsetzen, dass vor allem jungeFrauen, ihren Neigungen und Qualifika-tionen folgend und auf der Suche nachgeeigneten Partnern und gelingendemFamilienleben, in den Westen abwan-dern, aber auch weniger Frauen – wiedies bereits der Fall ist – nach Ost-deutschland zuwandern. L

PROF. DR. CHRISTIANE DIENEL

ist Professorin für Europäische Politik und Gesellschaft an der Fachhochschule Magdeburg-Stendal. Ihre Arbeitsschwerpunkte

sind Sozialgeschichte sowie Familie und Familienpolitik. Seit April 2006 ist sieStaatssekretärin im Sozialministerium Sachsen-Anhalt.

18 Bundesministerium für Bildung und Forschung (siehe Fußnote 8)19 ebd.

Page 53: perspektive21 - Heft 30

51perspektive21

WIE DIE INTERNATIONALE BAUAUSSTELLUNG NEUE CHANCEN FÜR EINE REGION ERÖFFNET VON RAINER MÜLLER

Perspektiven für die Lausitz

D ie Medien zeichnen ein düsteresBild: Weite Teile Deutschlands

hätten keine Zukunft. Insbesondere alt-industrialisierte Regionen würden un-weigerlich dem Niedergang entgegenblicken. Der Arbeitsmarkt liegt am Bo-den, die Geburtenrate geht zurück, dieBevölkerung wandert massenhaft ab,Städte veröden. Der demografische Wan-del und die Veränderungen auf dem Ar-beitsmarkt sind eines der meist behan-delten Themen in den Medien. Die On-line-Ausgabe des Nachrichten-MagazinsDer Spiegel titelt in einer Serie „Verlasse-nens Land, verlorenes Land“ und be-schwor mit der typischen Lust an derProvokation den „Raum ohne Volk“. Re-gionen wie das Ruhrge-biet oder weiteTeile Ostdeutschlands werden hier abge-schrieben. Die Lausitz gilt gar als Syno-nym für Perspektivlosigkeit. Berichtetwird über Wölfe, die die entvölkertenLandstriche erobern und Braunkohlegru-ben, die aus Mangel an Alternativen ge-flutet würden.

Und die jüngst überall nachzulesen-den Zahlen der Bertelsmann-Stiftung

oder des Berlin-Instituts für Bevölke-rung und Entwicklung sind ja auchrichtig. Aber stimmen auch die düste-ren Schlussfolgerungen? Tatsache ist:Waren im einstigen DDR-„Energiebe-zirk“ Cottbus über 30 Kohlegrubenaktiv, sind es heute noch vier. Rund90 Prozent der über 100.000 Arbeits-plätze in der DDR-Braunkohleindu-strie gingen seit 1990 verloren. Ähn-lich sieht es auch in den anderen In-dustriezweigen der Region aus, imSchwermaschinenbau, in der Chemie,in der Baustoff- und Textilindustrie.

Demografischer Wandel geht weiter

Städte wie Cottbus, Senftenberg undHoyerswerda haben seit 1990 rund einViertel ihrer Bevölkerung verloren undwerden in den nächsten 20 Jahren wei-tere 20 Prozent verlieren. Von heutenoch 100.000 Einwohnern soll Cott-bus bis 2050 auf 60.000 Einwohnerschrumpfen. Das klingt dramatisch.Allerdings hatte Cottbus vor der Hin-

Page 54: perspektive21 - Heft 30

52 heft 30 | mai 2006

[ rainer müller ]

wendung der DDR zur energiepoliti-schen Autarkie in den fünfziger Jahrengenau diese Zahl von Einwohnern:60.000. Aufgrund der politischen Ent-scheidungen wurden kurzfristig zehn-tausende Energie- und Industriearbei-ter benötigten. Dazu wuchsen die bei-den Dörfer Sachsendorf und Madlowam Südrand von Cottbus zur größtenPlattenbausiedlung Brandenburgs mit35.000 Einwohnern. Heute wohnenhier weniger als die Hälfte der ur-sprünglichen Menschen. Cottbus ver-sucht der Entwicklung städte-baulichRechnung zu tragen – und schrumpftvom Rand zum historischen Zentrumhin. Die Stadt nähert sich so wiederihrer ursprünglichen Größe und Forman. Noch extremer ist der Fall Hoyers-werda: Früher war das ein Ackerbür-gerstädtchen mit 7.000 Einwohnern.Für das Großkraftwerk Schwarze Pum-pe wurden zehntausende Arbeitskräftezusammen gezogen und Hoyerswerdaschwoll in kürzester Zeit auf 71.000Einwohner an. Noch zu DDR-Zeitenging diese Zahl erheblich zurück. Heu-te wohnen noch rund 45.000 Men-schen dort.

Von der Klein- zur Großstadtund wieder zurück

Gerade die altindustriellen Zentren inDeutschland unterliegen in ihrer Ent-wicklung immer einer Dynamik, dieunmittelbar an die Entwicklung der

Industrie gekoppelt ist, teilweise verdan-ken sie der Industire überhaupt erst ihreExistenz. So wie auch im RuhrgebietDörfer zu Städten wuchsen (jedenfallsder Einwohnerzahl nach) und Klein-städte zu Großstädten, so schrumpfensie nun im postindustriellen Zeitalter.Beides schafft städtebauliche und (kom-munal)politische Herausforderungen.All das macht den Strukturwandel aus –und ist aber trotzdem kein Anlass zuSchwarzmalerei.

I. Auf die Herausforderungen desStrukturwandels hat Brandeburg

reagiert. Unter anderem hat die Lan-desregierung unter MinisterpäsidentManfred Stolpe und dem damaligenUmweltminister Matthias Platzeck1998 beschlossen, eine InternationaleBauausstellung als ein auf zehn Jahre(2000 – 2010) angelegtes Instrumentdes Strukturwandels einzurichten.Zwei Jahre später nahm die IBA Fürst-Pückler-Land in Großräschen ihreArbeit auf und präsentierte 2005 ineiner Werkschau und der Ausstellung„Bewegtes Land“ ihre Halbzeitbilanz.

„Bewegtes Land“: Gemeint ist dieLausitz, ein Landstrich, der vom Men-schen verändert wurde wie kaum einzweiter in Deutschland. Die Land-schaft wurde bewegt, abgebaggert, auf-geschüttet und umgeschichtet. Seit150 Jahren prägt der Braunkohleab-bau die Lausitz, ihre Landschaft, ihreSiedlungs- und Infrastruktur, ihre Kul-

Page 55: perspektive21 - Heft 30

53perspektive21

[ perspektiven für die lausitz ]

tur und ihre Menschen. Der Bergbaugab vielen Menschen Arbeit und Hei-mat. Anderen hat er die Heimat ge-nommen: 80 Dörfer und Ortschaftenwurden abgebaggert, ihre Bewohnerumgesiedelt. Tausende Menschen zo-gen wegen der Arbeit in die boomendeLausitz. Heute verlassen TausendeMenschen die Lausitz, um andernortsArbeit zu suchen.

Nun wird die Lausitz erneut umge-baut. Für zehn Jahre, von 2000 bis2010, ist die Lausitz die größte Land-schaftsbaustelle Europas. Das Braun-kohlerevier wird umgestaltet zumFürst-Pückler-Land. Nicht von unge-fähr ist Herrmann Fürst von Pückler-Muskau Namensgeber dieser IBA: Ergestaltete sich in seinen Parkanlagen inBad Muskau und Branitz seine eige-nen „Neuen Landschaften“.

IBA als Antwortauf Strukturwandel

Erstmals in der langen Tradition Inter-nationaler Bauausstellungen inDeutschland steht „Landschaft“ imMittelpunkt. Dabei geht es nicht ein-fach um „Heilung“ der durch denBergbau verwundeten Landschaft odergar um die Wiederherstellung einerLausitz-typischen Landschaft – wastechnisch und finanziell ohnehin nichtmöglich wäre. Vielmehr soll im Rah-men dieser IBA das Element „NeueLandschaft“ als Entwicklungschance

für die Lausitz eingesetzt werden. DieLandschaft der Lausitz wurde seit derIndustrialisierung so schwer verwundet,dass die Selbstheilungskräfte der Naturüberfordert sind.

Der Mensch muss derNatur helfen

Der Mensch muss also eingreifen undsanieren. Er muss kontrolliert Wasseraus der Spree, Neiße und Elster in diestillgelegten Tagebauen einleiten – undumgekehrt den Flüssen Wasser zufüh-ren, bevor diese einen Mindestwasser-stand unterschreiten. Weiterhin müssendie Gruben-Randbereiche verdichtetund Steilbereiche abgeflacht werden.Aber welchen Grund gibt es, bei derNeugestaltung die industrielle Vergan-genheit der Lausitz zu verleugnen? Sindnicht einige herausragende architekto-nische und landschaftliche Zeugnisseder Industriegeschichte erhaltenswert?Machen nicht gerade diese Zeugnissedie Region aus? Beraubt man die Men-schen durch Abriss und herkömmlicheSanierung nicht auch ihrer Identität,ihrer Geschichte und Geschichten?

Deshalb setzt sich die Internationa-le Bauausstellung Fürst-Pückler-Landdafür ein, besonders eindrucksvolleBeispiele der Lausitzer Industriekulturund Geschichte vor dem Abriss unddem Vergessen zu retten. BekanntestesBeispiel ist das Besucherbergwerk F60in Lichterfeld: Ursprünglich sollte die

Page 56: perspektive21 - Heft 30

54 heft 30 | mai 2006

[ rainer müller ]

gigantische Abraumförderbrücke ge-sprengt werden. Schließlich gelang es2002, dieses über 500 Meter langeIndustriemonument zu schützen undzum Besucherbergwerk umzugestalten.Seither zog der Stahlkoloss rund300.000 Besucher an. Die F60 erweistsich damit als weit über die Grenzender Lausitz hinaus bekannter Besu-chermagnet. Eine Attraktion, die sichnicht nur finanziell selbst trägt undArbeitsplätze schuf. Gleichzeit warf sieso viel Gewinn ab, dass Lichterfeldmit Eigenmitteln seine alte Dorfstraßesanieren konnte.

Bewusstsein für die eigenen Wurzeln

Die F60 und der angrenzende, geradeentstehende Bergheider See (benanntnach dem überbaggerten, ehemaligenOrt Bergheide) sind ein Sinnbild fürdas IBA-Programm: Altes wird mitNeuem verbunden, regionale Identitätwird erhalten und gefördert, um soImpulse für eine nachhaltige Regional-entwicklung auszulösen. Das gleichePrinzip wird bei vielen anderen IBA-Projekten angewandt: dem ehemaligenKraftwerk in Plessa, den Bio-Türmenin Lauchhammer, der SlawenburgRaddusch oder der nach ihrer Sanie-rung wieder gefragten WerksiedlungMarga in Brieske.

Mit Hilfe der IBA werden heutenicht nur (Abraum-)Berge versetzt,

neue Seen geschaffen oder ausrangierteBergbautechnik umgenutzt. Es wirdauch Bewusstsein geschaffen für denWert der eigenen Wurzeln. Damit einsolches Vorhaben gelingt, muss es vonmöglichst vielen getragen werden.Deshalb ist die IBA Knoten einesNetzwerks, das die Akteure vor Ortuntereinander und mit nationalen undinternationalen Fachleuten verknüpft.Dies geschieht über Hochschulen undUniversitäten, über Wettbewerbe,Konferenzen, Workshops, über Exkur-sionen und Erfahrungsaustausche.

II. Die IBA arbeitet gleichzeitigan 24 verschiedenen Einzel-

projekten. In vielen Einzelprojektengibt es oft ähnliche Probleme undZiele, daher wird das Vorgehen abge-stimmt. Für jedes Projekt müssen zwarzunächst mal Ideen und Lösungengefunden werden. Entscheidend istaber: Wie sind die Ideen umzusetzen?Mit welchen Mitteln und mit welchenPartnern?

Kooperation ist das Zauberwort.Denn die IBA ist auf die Zusammen-arbeit mit Dritten angewiesen. Sie istkeine Behörde oder Gebietskörper-schaft sondern eine zeitlich befristeteGmbH. Als intermediäre Organisationsteht sie außerhalb der Planungshierar-chie – sie erstellt keine Bebauungsplä-ne, hat keinen Planungsvorbehalt undkeine Befugnisse. Sie hat nur die Mit-tel der Kommunikation. Sie kann Pro-

Page 57: perspektive21 - Heft 30

55perspektive21

[ perspektiven für die lausitz ]

jekte vorschlagen, initiieren und diegeeignten Entscheidungsträger zusam-men bringen. Die IBA versucht, denohnenhin anstehenden Strukturwan-del zu qualifizieren und mit gestalteri-schen Ansprüchen zu versehen. DieIBA macht keine Projekte – sondernfördert Projektträger, wo sie bestehenund gründet neue, wo diese für unge-wöhnliche Ideen gesucht werden. DieIBA versteht sich somit gleichzeitig alsInitiator von Netzwerken, als Forum,Ideenfinder, Motor und Katalysatordes Wandels und Anwalt des industri-ellen Erbes. Sie schafft nationale undinternationale Aufmerksamkeit für dieRegion, schafft regionale Wirtschafts-kreisläufe und neue Arbeitsplätze.

III . Seit 2003 bietet die IBA dieverschiedensten Touren und

touristischen Angebote. Damit werdenzwei Ideen verfolgt: Zum einen solldie Arbeit der IBA und die Idee vomStrukturwandel anschaulich werden.Zum anderen ist es erklärtes Ziel derIBA, wirtschaftliche Impulse für dieLausitz zu geben. Der Tourismus er-möglicht beides gleichzeitig.

Viele bislang abgeriegelte und ge-heimnisvoll wirkende Tagebaue undIndustrieareale mit ihrer eigentümli-chen Schönheit werden nun für dieÖffentlichkeit zugänglich. GeführteTouren durch die Tagebaue lassen Ein-heimische und Gäste „auf einer „Reisezum Mars“ (so der Titel einer der Tou-

ren) die Landschaft mit anderen Au-gen entdecken und ermöglichen soneue Sichtweisen auf die Lausitz imWandel. Einige der Attraktionen gibtes in wenigen Jahren nicht mehr –wenn die Tagebaue geflutet und zurgrößten künstlichen Seenlandschaftwerden. Solange lassen sich die Verän-derungen in Flora und Fauna und derlandschaftlichen Wandel unmittelbarmiterleben.

Anstöße für denTourismus

Laufend wird das Angebot ergänzt –teilweise durch die IBA selbst, teilwei-se durch Partnerunternehmen. DieIBA schuf und schafft in der Lausitzvöllig neuartige touristische Produkte.Dafür schult sie auch touristische Gäs-teführer und sorgt dafür, dass Projekte,wie das Besucherbergwerk F60, mög-lichst rasch auf eigenen Füßen stehen.

So will die IBA Impulse geben undEntwicklungen anstoßen. Ziel ist es,regionale Akteure, endogene Potenzialeund Ressourcen der Region nachhaltigzum Handeln zu aktivieren. Nach Artder Akkupunktur werden gezielt Reiz-punkte gesetzt, die dann auf die Um-gebung ausstrahlen sollen. Rund umIBA-Projekte wie der F60 entstehtSchritt für Schritt ergänzende touristi-sche Infrastrukktur. Hoteliers und Gas-tronomen nehmen ihren Betrieb eben-so auf wie Bootsverleiher, Fahrradwerk-

Page 58: perspektive21 - Heft 30

56 heft 30 | mai 2006

[ rainer müller ]

stätten und viele andere. In einemWirtschafts- und Nutzungskonzept,das die Wirtschaftsministerien vonBrandenburg und Sachsen gemeinsamin Auftrag gegeben hatten, wurde er-mittelt, dass durch den Tourismus imentstehenden Lausitzer Seenland mit-telfristig mindestens 870 Arbeitsplätzegeschaffen werden können.

IV. Ein Blick auf das IBA-Pro-jektgebiet genügt: Die IBA

Fürst-Pückler-Land heißt nicht nurInternationale Bauausstellung, sie istauch international. Zwei der neun sogenannten „Landschaftsinseln“, in de-nen die Einzelprojekte zusammengefasstsind, arbeiten grenzübergreifend, teils inDeutschland, teils in Polen: Die „Euro-painsel Guben-Gubin“ und die Insel„Fürst-Pückler-Kulturlandschaft“ umBad Muskau. Auch an anderer Stellebaut die IBA Brücken über Länder- undVerwaltungsgrenzen hinweg - so koordi-niert sie mehrere Projekte der EU:J REKULA. In diesem Projekt zur

Restrukturierung von Kulturland-schaften (REKULA) entwickelt dieIBA mit ihren Partnern in Polen(Oberschlesien) und Italien (Vene-tien) Strategien zum Umgang mitindustriell geprägten Kulturland-schaften bis hin zur Neustrukturie-rung gestörter Landschaften. In derREKULA-AbschlusskonferenzAnfang April 2006 in Cottbus wur-den konkrete Vorhaben vorgestellt.

Unter anderem ging es um wirt-schaftliche Chancen bei der Nut-zung von regenerativen Energien inder Fläche („Energielandschaften“).Ziel ist es, die Kompetenz der Ener-gieregion Lausitz zu nutzen unddabei die Energieträger zu di-versifizeren. Beispielsweise werdenin Kooperation mit Partnern wieder Technischen Universität Cott-bus geeignete Standorte für die Pro-duktion und verschiedene Anbau-formen nachwachsender Rohstoffeuntersucht. Unter dem Schlagwortvom „Landwirt zum Energiewirt“werden neue wirtschaftliche Pers-pektiven für die regionale Land-wirtschaft aufgezeigt. Im IBA-Pro-jekt „Industriepark & GartenstadtMarga“ entsteht derzeit Deutsch-lands größte Biogasanlage, die aufBasis nachwachsender Rohstoffebetrieben wird. Sie ist ein Beispielfür die Zukunftsfähigkeit des Ener-giesektors in der Region.

J IdeQua. Identität und Qualität(IdeQua) stehen im Mittelpunktdieses EU-Projektes zur Tourismus-Förderung. Die IBA arbeitet hiermit 17 internationalen Partnern aussechs ost- und südosteuropäischenLändern zusammen. Schwerpunkteder Arbeit liegen in der Stärkungder regionalen Identität durch eineAufwertung und Vermarktung vor-handener touristischer Potenzialeund die Schaffung von Qualitäts-

Page 59: perspektive21 - Heft 30

57perspektive21

[ perspektiven für die lausitz ]

standards. Profitieren sollen vondem Projekt insbesondere mittel-ständische Touristikbetriebe.

J VIKTOUR. Ein weiteres EU-Pro-jekt ist VIKTOUR (Virtueller In-dustrie-Kultur-Tourismus). Es sollGästen in wenigen Jahren einenanspruchsvollen touristischen Leit-faden durch die Industrie- und Kul-turlandschaft der Lausitz bieten. ImRahmen von VIKTOUR schult dieIBA auch Einheimische als Gäste-führer.

Gemeinsam ist diesen Projekten derinternationale Erfahrungsaustauschund die Bildung von Netzwerken. Vondiesem Austausch profitieren auch an-dere Akteure der Region. So konntenetwa die Technische Universität Cott-bus und die Fachhochschule Lausitzihre Arbeit weiter internationalisieren.Nicht zu vergessen: Durch ihre fachli-che Unterstützung hilft die IBA beider Erschließung von EU-Fördermit-teln und macht die regionalen Ent-scheidungsträger „fit für Europa“.

V. Bis 2010 bleiben der IBA nocheinige Jahre, um die größte

künstlich geschaffene Seenlandschaftmitzugestalten. In dieser Zeit bleibtder Aufwand an Finanzen und Arbeitnicht nur weiterhin sehr hoch – ersteigt sogar noch.

In den ersten fünf Jahren der IBAging es vor allem darum, Soforthilfe

zu leisten, um das durch drohendenAbriss oder Verfall akut gefährdete in-dustrielle Erbe zu retten und damit dieIdentität der Region wahren. Nachdem Prinzip „Zukunft braucht Her-kunft“ sollte damit auch die Chanceauf eine eigenständige Regionalent-wicklung gewahrt werden. In derersten Hälfte der IBA wurde für dieseEntwicklung das Fundament gelegt.

Ein neues Gesichtbis 2010

In der zweiten Hälfte wird auf diesemFundament weiter gebaut. So enstehtNeues, das in der Region, in ihrerGeschichte und Kultur wurzelt und indie Zukunft weist. Die IBA ist weitmehr als eine Bauausstellung: Sie istein auf Dauer angelegter Prozess, eineVision. Vor allem aber ist sie bereitsWirklichkeit, die Tag für Tag, Projektfür Projekt sichtbarer wird und mehrBedeutung für die Lausitz bekommt.

Nicht alle Projekte werden spekta-kulär sein – aber alle schaffen etwasEinzigartiges: Es wird die größte vonMenschenhand geschaffene Seenland-schaft geben, untereinander mit Ka-nälen verbunden und schiffbar. Eswird schwimmende Häuser geben,eine begehbare Landschaftsgroßformim aktiven Tagebau und vieles mehr.Manches davon wird bis zum Endeder IBA im Jahr 2010 eingeweiht wer-den können, anderes erst danach.

Page 60: perspektive21 - Heft 30

58 heft 30 | mai 2006

[ rainer müller ]

Visionen brauchen eben einen langenAtem. Und sie benötigen Menschen,die sie teilen und mittragen.

Die IBA wird ihre Ziele in derzweiten Halbzeit stärker nach Außentragen, um so den Menschen die Ver-änderungen näher zu bringen. Wurdenin den ersten fünf Jahren spektakuläreEinzelprojekte wie die F60 bekanntgemacht, soll nun der Zusammen-hang zwischen den 24 Projekten nochklarer werden. So ist der (Struktur-)Wandel seit 2005 mit der Eröffnungdes Fürst-Pückler-Wegs für jedermansinnlich „erfahrbar“. Mit ihm sindseither fast alle Projektstandorte mit-einander verbunden. Betont wird dasübergeordnete Ziel des Strukturwan-dels auch durch Schwerpunktthemen.Seit 2006 widmet sich die IBAjährlich einem solchen Thema:

J 2006: Neues Europa – Europa inder Lausitz

J 2007: Neue EnergieJ 2008: Neues WasserJ 2009: Neues Land

Entsprechende Ausstellungen aufden IBA-Terrassen verdeutlichen dieseSchwerpunktsetzung.

2010 schließlich wird die IBA Bilanzziehen und sich verabschieden. Ihre Pro-jekte aber werden bleiben und von denLausitzern und ihren Gästen genutztwerden. 2010 soll die Lausitz ihr neuesGesicht zeigen: Ein Region mit neuenLandschaften, neuen tou-ristischen undwirtschaftlichen Impulsen – kurzum eineRegion mit neuer Energie.

Weitere Informationen: www.iba-see.de L

RAINER MÜLLER

ist Referent für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit bei der Internationalen Bauausstellung „Fürst Pückler Land“.

Page 61: perspektive21 - Heft 30

59perspektive21

BEIDE GEWINNEN – UND DIE LANDWIRTSCHAFT GEHÖRT DAZU VON UDO FOLGART

Stadt und Landgehören zusammen

B erlin-Brandenburg – jedem, derdiese zwei Wörter hört, drängen

sich bestimmte Assoziationen auf. Siereichen einerseits von einem vielfälti-gen kulturellen und gesellschaftlichenLeben über Sitz der Regierung bis zuhohem Verkehrsaufkommen, großerBevölkerungsdichte und daraus resul-tierenden Umweltbelastungen, ander-seits von abwechslungsreiche Natur-und Kulturlandschaft, Naturerlebnisund Dorfidylle bis zu von Abwande-rung bedrohte Regionen, Überalte-rung und Arbeitslosigkeit.

Diese auf den ersten Blick gegensätz-lichen Assoziationen blenden jedochaus, dass vielfältige Verflechtungen zwi-schen Berlin und Brandenburg, derMetropole und dem Umland existieren.Diese Verflechtung besteht, seitdem esein attraktives Zentrums inmitten einerüberwiegend agrarisch geprägten Re-gion gibt. Die Anziehungskraft der Me-tropole auf die Menschen war und isthoch und führte zu erheblichen Dispro-portionen in der Bevölkerungsvertei-lung zwischen Berlin und seinem Um-land (4,3 Millionen Einwohner) und

den äußeren Brandenburger Regionen(1,7 Mio. Einwohner) sowie der Wirt-schaftskraft der beiden Regionen. So-lange die peripheren Gebiete mit einerarbeitsintensiven Landwirtschaft unddem Gewerbe vor Ort Einkommens-möglichkeiten boten, führte dies zu kei-nen größeren Problemen. Dies hat sichinzwischen gewandelt.

Wasser, Luft und Erholung

Durch Abwanderung, fehlende Ein-kommensmöglichkeiten und die allge-meine demografische Entwicklung sindzumindest die peripheren Ge-biete, wiesie sich derzeit darstellen, in ihrerStruktur gefährdet. Dabei darf jedochnicht übersehen werden, dass dasUmland Berlins und somit Branden-burg von der Anziehungskraft derMetropole nach wie vor profitieren.Der Boden wird für den Siedlungsbauund den Ausbau der Infrastrukturgenutzt, Rohstoffe und Baumaterialenwurden und werden aus dem Umlandgeliefert, sowie die Nahrungsmittelver-

Page 62: perspektive21 - Heft 30

60 heft 30 | mai 2006

[ udo folgart ]

sorgung gesichert. Die Versorgungs-funktion berührt jedoch auch Bereichewie die Bereitstellung von Grundwas-ser, sauberer Luft und Möglichkeitenzur Erholung. Gleichzeitig steht dasUmland auch für Entsorgungsfunktio-nen zur Verfügung. Es muss künftiggelingen, die Beziehungen zwischenländlichem Raum und Metropolenre-gion wieder zu vertiefen und neue Ein-kommensmöglichkeiten zu schaffen.Die Versorgungsfunktionen des Um-landes bieten hier Ansatzpunkte. Siemüssen entsprechend honoriert werdenund in Arbeitsplätze und Wertschöp-fung im ländlichen Raum münden.

Landwirtschaft ist Versorger der Metropolenregion

Eine im Umland fest verwurzelte zu-kunftsfähige Branche ist die Landwirt-schaft, die nach wie vor das Grundbe-dürfnis „Sicherung der Ernährung“bedient. So werden in Brandenburgjährlich ca. 1,7 Millionen TonnenBrotgetreide produziert und über 1,3Millionen Tonnen Milch erzeugt. DerProduktionswert des landwirtschaftli-chen Bereiches (ohne Lebensmittel-industrie) liegt im Durchschnitt derJahre bei ca. 2 Millionen Euro. Einnicht unerheblicher Teil davon bleibtin der Region und stabilisiert somitden ländlichen Raum.

Gleichzeitig trägt die Agrarbranchemit knapp 40.000 Beschäftigten we-

sentlich zur Stabilisierung des ländli-chen Raumes bei und ist auf demLande oft der einzige nennenswerteArbeitgeber. Wenn es gelingt, weitereWertschöpfungspotenziale zu generie-ren, ist die Branche in der Lage, neueArbeitsplätze direkt in der Landwirt-schaft oder in landwirtschaftsnahenBereichen zu schaffen. Davon würdenin der Folge auch vor- und nachgela-gerte Bereiche profitieren.

Eine Abwanderung der Landwirt-schaft in die Ballungsregionen ist an-gesichts der Nutzung des Bodens alsProduktionsfaktor nicht möglich,anders als bei zahlreichen anderenBranchen. Somit ist die Landwirt-schaft einer der verlässlichsten Wirt-schaftszweige im ländlichen Raum,vorausgesetzt, die ökonomischen undpolitischen Rahmenbedingungen las-sen dies dauerhaft zu.

Enorme Neustrukturierung

Durch die Wiedervereinigung sowiewiederholte EU-Agrarreformen wur-den enorme Umstrukturierungs- undNeuorientierungsprozesse in Ganggesetzt. Besonders die kapital- undarbeitsintensive Veredlungswirtschaftwar von Umbrüchen gekennzeichnet.So wurden die Tierbestände nach derWende um bis zu 70 Prozent reduziert,wobei auch die BSE-Krise und die sichändernden Ernährungsgewohnheiten

Page 63: perspektive21 - Heft 30

61perspektive21

[ stadt und land gehören zusammen ]

ihren Tribut forderten. Die Agrarbran-che hat sich aber inzwischen stabili-siert, auch wenn weitere Anstrengun-gen notwendig sind, um insbesonderedie Veredlungswirtschaft (Tierhaltung)in Brandenburg zu fördern.

Direktvermarktung alsEinkommensalternative

Die Bedeutung der Nahrungsmittel-produktion „vor Ort“ hat sich ange-sichts der Konzentration der Lebens-mittelherstellung und Verarbeitungsowie der logistischen Möglichkeitenund des Wandels der Verzehrsgewohn-heiten in den vergangenen Jahren er-heblich geändert. Allerdings beginntsich in jüngster Zeit bei einigen Ver-brauchern ein Sinneswandel durchzu-setzen und regionale Stoffkreisläufegewinnen wieder eine größere Bedeu-tung.

Werden die Produkte vor Ort pro-duziert, wird dies inzwischen häufigvon den Konsumenten honoriert. Dieseröffnet Chancen in den ländlichenRegionen, weitere Arbeitsplätze in derLand- und Ernährungswirtschaft zusichern. Brandenburger Erzeuger ha-ben dies erkannt und setzen verstärktauf Regionalität, Direktvermarktungund Hofläden. Dem sind allerdingsauch Grenzen gesetzt, denn für homo-gene leicht austauschbare Produktewie Getreide oder Milch, die nochdazu zentral verarbeitet werden, ist

eine Identifizierung des Verbrauchersmit dem Produkt und der Region nurschwer zu erreichen.

Bei so genannten Frischeprodukten,wie Gemüse, ist die Etablierung eines„Regionalmarketings“ wesentlicherfolgversprechender. Ich denke hieran den umfangreichen Gemüseanbauim Oderbruch, das Beelitzer Sparge-lanbaugebiet oder die Gurkenerzeu-gung im Spreewald. Auch Obst ausWerder hat traditionell bei den Berli-nern eine hohe Wertschätzung. Hiersind die Bemühungen, ein verkaufsför-derndes Image zu schaffen, bereitsrecht weit fortgeschritten. In der ber-linnahen Region hat sich die Etablie-rung von Hofläden und die Direktver-marktung durchgesetzt, um damit zu-sätzliches Wertschöpfungspotenzial zunutzen. Das Kundenpotenzial ist imkaufstarken Berliner Umland rechthoch und unterstützt dabei diese Ent-wicklung. Inzwischen wird die Mög-lichkeit, beim Bauern Eier oder Kar-toffeln einzukaufen, von zahlreichenGroßstädtern genutzt.

Regionalität wirdbesonders geschätzt

Die Verknüpfung von Produktion undDirektvermarktung ist im Bereich derökologischen Landwirtschaft traditio-nell besonders ausgeprägt, unter ande-rem da die Kundschaft häufig besonde-ren Wert auf Regionalität und direkten

Page 64: perspektive21 - Heft 30

62 heft 30 | mai 2006

[ udo folgart ]

Produzenten-Kundenkontakt legt. Vorallem in Berlin und dem näheren Um-land ist dieses Klientel vorhanden, wasdie Etablierung des ökologischen Land-baues in Brandenburg förderte. Hinzukommen die natürlichen Standortbe-dingungen mit den ertragsschwachenBöden, die eine extensive Landbewirt-schaftung nahe legen und die finanzi-elle Förderung des ökologischen Land-baues durch das Land.

Spitzenposition beiÖko-Bauern

Der Anteil der ökologischen Anbau-fläche an der Gesamtanbaufläche desLandes Brandenburg stieg auf ca. 10Prozent. Brandenburg nimmt im Bun-desdurchschnitt die Spitzenpositionein. Allerdings: In den berlinfernen Re-gionen sind die Direktvermarktung derProdukte und die Etablierung vonHofläden ungleich schwieriger zu be-werkstelligen, da das kaufkräftige Kun-denpotenzial dort wesentlich kleiner ist.

Mittel- bis langfristig kommt einweiters Problem hinzu – die demogra-fische Entwicklung. Diese wird in dendünn besiedelten Regionen die Direkt-vermarktung zusätzlich erschweren.Weniger Kunden – noch dazu häufigeingeschränkt mobil – sind Ausgangs-bedingungen, die neue Lösungsansätzeerfordern. Die Möglichkeit, Verkaufs-stellen in Berlin direkt zu beliefern,wäre eine Alternative.

Die Direktvermarktung kann,gleichgültig ob die Ware zum Kundenkommt oder der Kunde zur Ware, einWeg sein, die Wertschöpfung im länd-lichen Raum zu erhöhen und die Ver-flechtungen zwischen der Metropolen-region und dem Umland zu festigen.Der Entwicklung der Hofläden undder Direktvermarktung sind allerdingssowohl finanzielle als auch logistischeGrenzen gesetzt. Die Discounter, dieimmerhin 40 Prozent des Lebensmit-telumsatzes in Deutschland auf sichvereinigen, werden somit weiterhineiner der Absatzwege für Lebensmittelsein. Umso wichtiger ist es, bestehen-de Ernährungs- und Verarbeitungs-betriebe fest in der Region zu etablie-ren und vorhandene Schwerpunkteauszubauen. Diese sind dann auch inder Lage, mit entsprechenden Kapazi-täten den Anforderungen großer Kun-den zu genügen.

Mehr Wertschöpfung durch Bioenergie

Neben der Direktvermarktung eröff-neten sich in den vergangenen Jahrenweitere Möglichkeiten für die Bran-denburger Landwirte, die Wertschöp-fung der landwirtschaftlichen Primär-produktion zu erhöhen. Vor allem dieProduktion von nachwachsendenRohstoffen und die Erzeugung vonregenerativen Energien hat sich als einviel versprechender Weg erwiesen.

Page 65: perspektive21 - Heft 30

63perspektive21

[ stadt und land gehören zusammen ]

Ausschlaggebend dafür waren die sichändernden politischen Rahmenbedin-gungen auf EU-, Bundes- und Landes-ebene. Hinzu kommt, dass sich vielelandwirtschaftliche Unternehmen aufGrund des Preisdrucks auf dem Nah-rungsmittelsektor anderen Einkom-mensquellen zuwenden und Innova-tionen aufgeschlossen gegenüber ste-hen. Fest etabliert hat sich der Non-Food-Rapsanbau, sowohl für die indu-strielle Verwertung als auch für dieBiodieselproduktion. Dieser Einsatzbe-reich hat inzwischen ein deutlichhöheres Marktpotenzial als der Einsatzvon Rapsöl als Nahrungsmittel.

In Brandenburg, nicht zuletzt dankder Energiestrategie 2010 und derAgrarwirtschaftsinitiative, sind Pro-duktionskapazitäten für die Erzeugungvon über 400.000 Tonnen Biodieselaufgebaut worden. Damit nimmtBrandenburg unter allen Bundeslän-dern eine führende Position ein. DieseEntwicklung kommt vor allem demländlichen Raum zu Gute, da dort dieProduktion des Rohstoffes und seineVerarbeitung stattfinden sowie zusätz-liche Arbeitsplätze entstehen.

Vergleichsweise am Anfang stehtderzeit die Bioethanolproduktion ausRoggen. Die in Schwedt in Betriebgenommene Anlage ist in der Lage,180.000 Tonnen Bioethanol aus600.000 Tonnen Roggen herzustellen.Dies ist ein enormes Markt- undNachfragepotenzial.

Ein weiterer Effekt ist, dass sichdurch den verstärkten Einsatz vonBioenergie auch die Abhängigkeit vonfossilen Energieträgern vermindernlässt und somit der ländliche Raumeinen Beitrag zu einer sichereren Ener-gieversorgung beitragen kann. Entste-hende Biogasanlagen und Biomasse-heizkraftwerke helfen gleichfalls dieAbhängigkeit von Energieimporten zuverringern und ermöglichen es, dieWertschöpfung im ländlichen Raumzu erhöhen.

Landbewirtschaftung wirdgewährleistet

Noch steckt der Bereich „Grüne Ener-gie“ trotz der erzielten Erfolge in denAnfängen und bedarf deswegen inten-siver Unterstützung. Daher muss dieAgrarwirtschaftsinitiative, mit demTeilziel, „Förderung der nachwachsen-den Rohstoffe und der Bioenergie“weiter forciert werden. Denn nebender Erwirtschaftung zusätzlicher Ein-kommensmöglichkeiten im ländli-chen Raum und der Erhöhung derWertschöpfung sowie der Verminde-rung des Ausstoßes von klimaschädi-genden Gasen sichert der Anbau vonnachwachsenden Rohstoffen undEnergiepflanzen auch eine flächende-ckende Landbewirtschaftung. Alleindurch die Nahrungsmittelproduktionwäre diese dank der Effizienzsteige-rung in der Landwirtschaft und des

Page 66: perspektive21 - Heft 30

64 heft 30 | mai 2006

[ udo folgart ]

Wettbewerbes auf Dauer nicht ge-währleistet.

Landwirtschaft und Tourismus

Von der flächendeckenden Landbewirt-schaftung profitieren nicht nur die Be-wohner des ländlichen Raumes (Siche-rung von Einkommen) sondern aucherholungssuchende Bewohner der Me-tropolenregion. Flächendeckende Land-bewirtschaftung gewährleistet den Schutzder über Jahrhunderte hinweg entstandenKulturlandschaft und trägt damit wesent-lich zur Attraktivität der ländlichenRäume bei. Sie sichert damit auch dieErholungsfunktion des Umlandes.

Landwirtschaftsbetriebe könnenvon dieser Entwicklung auch direktprofitieren. Zum einen, indem sie ihreErzeugnisse und Produkte direkt ver-markten und sich ein neues Kunden-potenzial erschließen, zum anderen,indem sie durch die Bereitstellung ent-sprechender Übernachtungskapazitä-ten oder Freizeitangebote zusätzlichesEinkommen erwirtschaften.

Wie wichtig die Erholungsfunktionist und welchen Wert sie genießt, lässtsich an den Besucherzahlen und denUmsätzen ablesen. Der Tourismus inBrandenburg hat sich mit einem Brutto-umsatz von ca. 2,5 Milliarden Euro undüber 50.000 Beschäftigten (2004) als einbeachtlicher Wirtschaftszweig etabliert,der ebenso wie die Landwirtschaft noch

Wachstumspotenzial aufweist. Zu dieserEntwicklung haben auch die attraktivenFreizeitangebote beigetragen, seien diesBäderlandschaften, der Ausbau des Rad-wegenetzes, Angebote zur Umweltbil-dung, Naturführungen oder der Aufbauvon Informationszentren. Vor allem fürdie Bewohner in attraktiven ländlichenRäumen bieten sich somit zahlreicheEinkommensalternativen, sei es durchdas Beherbergungsgewerbe, durch Gas-tronomie oder die Bereitstellung vonFreizeitangeboten.

Ländlichen Raumlebendig machen

Wichtig für den ländlichen Raum,und dies betrifft exemplarisch auch diegenannten Bereiche Landwirtschaft/Direktvermarktung, Bioenergie undTourismus, ist die Etablierung regio-naler Netzwerke, in denen Kompeten-zen gebündelt und Synergieeffektegenutzt werden.

Oberstes Ziel, auch im Interesse derMetropolenregionen, sollte es sein, dieländlichen Räume lebendig zu haltenund dort zusätzliche Einkommensmög-lichkeiten zu erschließen. Nur dann läßtsich die Abwanderung aus dem ländli-chen Raum dauerhaft stoppen, die er-hebliche Probleme nach sich zieht. DieWirtschaftskraft Berlins muss auch fürden ländlichen Raum genutzt und regio-nale Wirtschaftskreisläufe dadurch ge-stärkt werden. Dann sehe ich, zusammen

Page 67: perspektive21 - Heft 30

65perspektive21

[ stadt und land gehören zusammen ]

mit der Agrarwirtschaftsinitiative, guteChancen, die Attraktivität des ländlichenRaumes mit Hilfe der Landwirtschaft zu

erhöhen. Dann kann es auch gelingen,den Trend der Abwanderung aus denperipheren Gebieten zu stoppen. L

UDO FOLGART

ist Präsident des Landesbauernverbandes und Mitglied der SPD-Landtagsfraktion Brandenburg.

Page 68: perspektive21 - Heft 30
Page 69: perspektive21 - Heft 30

67perspektive21

ÜBER DEN UMBRUCH IN DER STADT PREMNITZ SPRACH CHRISTIAN MAAß MIT BÜRGERMEISTER ROY WALLENTA

Zwischen Hoffenund Bangen

Im Chemiesfaserwerk Premnitz warenbis zum Jahr 1990 mehr als 6.000Menschen beschäftigt. Was ist vom ein-stigen Industriestandort geblieben?

Noch Anfang der neunziger Jahrewar die Stadt geprägt von dem allesbeherrschenden Unternehmen Märki-sche Faser AG. Es war nach der Wendegegründet worden, um das ehemaligeChemiefaserwerk „Friedrich Engels“fortzuführen. Mit der Privatisierungund den danach folgenden Profilverän-derungen sind viele Arbeitsplätze weg-gefallen. Eine zweite Welle der Um-strukturierung gab es Mitte der neunzi-ger Jahre. Die Viskoseproduktion über-gab man an Investoren, viele Dienstleis-tungsbereiche von der Instandhaltungbis zur Feuerwehr wurden aus dem Be-trieb herausgelöst und an Dritte veräu-ßert. Auch in dieser Zeit gingen vieleArbeitsplätze verloren. Außerdem hatdie Märkische Faser AG überflüssigeFlächen an die Landesentwicklungsge-sellschaft abgegeben. Hier entstandenvermarktungsfähige Grundstücke. AmEnde dieses Prozesses im Jahr 2001 ar-beiteten im heutigen Industriepark

Premnitz noch knapp 820 Mitarbeiterin 35 Unternehmen. Heute sind esrund 1.000 Mitarbeiter in 49 Unter-nehmen.

Innovative Energieversogung

Welche Möglichkeiten hat die Kommu-ne, auf die Entwicklung Einfluss zunehmen? Mit welchen Maßnahmenträgt die Stadt dazu bei, den Wirt-schaftsstandort zu entwickeln?

Einen fast 150 Hektar umfassendenIndustriepark mit einer außergewöhnli-chen Infrastruktur zu entwickeln istwohl auch in Zukunft nicht ohne dieUnterstützung des Landes, des Bundesund der EU möglich. Die Landesent-wicklungsgesellschaft war für kleine undgroße Projekte immer ein guter Partnerund wird dies auch bleiben. In den ver-gangenen zwei Jahren ist es uns immerwieder gut gelungen, einzelne Flächenmit besonderen Vermarktungschancenaus der Insolvenzmasse der MärkischenFaser AG zu erwerben und weiter zuentwickeln. Dies werden wir auch inZukunft tun.

Page 70: perspektive21 - Heft 30

68 heft 30 | mai 2006

[ roy wallenta ]

Was können Sie Investoren bieten?Es gibt eine klare Orientierung des

Standortes auf die Bereiche des Recyc-lings von Kunststoffen, der Herstel-lung von Kraftstoffen aus nachwach-senden Rohstoffen und der Energieer-zeugung. Letztere wird in Zukunft einentscheidender Vorteil sein. Überall inEuropa werden sich die Preise fürElektroenergie und Wärme deutlicherhöhen. Wir in Premnitz jedocharbeiten an einem zukunftsweisendenProjekt: Bei uns werden hochkalori-sche Bestandteile aus dem Müllauf-kommen in Energie umgewandelt.Wer Wärme für seine Produktionspro-zesse braucht, wird in Premnitz einnahezu konkurrenzloses Angebot be-kommen.

Internationale Partner

Probleme bereiten nicht nur die altenBetriebe. In das neue Teppich-Recycling-werk Polyamid 2000 wurde viel Geldgesteckt, trotzdem kam es zur Insolvenz.Gehört die Anlage zu den gescheitertenBrandenburger Projekten?

Alle Teile der Firmenanlage wurdenan Partner veräußert, die sich mit Spe-zialprodukten auf ihrem Markt durch-gesetzt haben. Diese vier Unterneh-men beschäftigen hier wieder 115Mitarbeiter. Unternehmen wie dieDOMO Premnitz GmbH investierenhier. Die Firma gehört zu einem euro-paweit gut aufgestellten Konzern. Das

zeigt: Die Potenziale des Industriepar-kes Premnitz werden erkannt.

Wie gehen Sie mit den Rückschlägenum, die die Stadt immer wieder erlei-det? In einer alten Pressemitteilung desWirtschaftsministeriums finden sichnoch Namen von Investoren wie LaSeda de Barcelona und der Tolaram-Gruppe. Beide stehen für Misserfolge inPremnitz. Auch der ehemalige Kunstsei-debetrieb kam mit einem Investor in dieSchlagzeilen, der nicht durchhielt.

Diese Namen stehen tatsächlichnicht für nachhaltigen Erfolg in Prem-nitz. Die Treuhandgesellschaft undspäter dann die Eigentümer der jewei-ligen Anlagen haben mit dem Verkaufan Dritte einfach nicht besondersglücklich agiert. Die Stadt Premnitzhatte kein Mitspracherecht bei denVerkaufsverhandlungen. Die Stadt istbei einem Betriebsübergang nicht indie Entscheidungsfindung eingebun-den und musste die Entwicklungenakzeptieren. Das ist auch gut so. Dassind unternehmerische Entscheidun-gen, für die die handelnden Partnergerade stehen. An einer solchen Stellestädtische Interessen einzubringen, istnicht immer hilfreich.

Mit der Adsor Tech GmbH ist ein weite-rer neuer Betrieb in Premnitz gebunden.Sogar Kanzler Schröder gab sich zur Ein-weihung die Ehre. Handelt es sich hierbeium einen nachhaltigen Erfolg?

Page 71: perspektive21 - Heft 30

69perspektive21

[ zwischen hoffen und bangen ]

Ein solches Aushängeschild wie dieAdsor Tech GmbH am Standort zu ha-ben ist gewiss ein strategischer Vorteil –nicht nur wegen der wirtschaftlichenLeistungsfähigkeit, sondern auch wegender Nähe zu den handelnden Partnern,die wiederum über ein Netz von Infor-mationen und Beziehungen verfügen.Bekanntlich ist die Wirtschaft geprägtvon Psychologie, von Hoffen und Ban-gen, aber auch von Risikobereitschaftund dem Drang nach Kalkulierbarkeitdes wirtschaftlichen Engagements. Wennerfolgreiche Unternehmen für einenStandort werben, wird das in der Fach-welt durchaus zur Kenntnis genommen.Das versprechen wir uns in Zukunft vonvielen unserer Unternehmen, die sich inder Unternehmergemeinschaft zusam-mengeschlossen haben.

Schwerpunkte benennen

Regine Hildebrandt und Manfred Stolpehaben sich in den letzten Jahren für denStandort Premnitz engagiert. ErhaltenSie Unterstützung von der aktuellenLandesregierung?

Ohne die Förderung des LandesBrandenburg wäre die Entwicklungdes Industrieparks nicht möglich ge-wesen. Die Landesregierung hat einwahrnehmbares Interesse an der Ent-wicklung des Standortes. Wir stehenallerdings vor neuen Herausforderun-gen, die mit der Vermarktung derFlächen verbunden sind.

Brandenburg arbeitet an einer neuenFörderstrategie. Zukünftig sollen dieStärken gestärkt werden. Was erwartenSie von diesem Ansatz?

Ich glaube, dass die Stärken unseresStandortes durchaus erkannt werdenund die ersten Entwürfe für die För-derstrategie haben wir bekanntlichunterstützt. Wachstumskerne undbesondere Branchenschwerpunktemuss man nicht als Einschränkungbegreifen, sondern als Chance. Wennallerdings die mit den Kommunenverabredeten Schwerpunkte von derBürokratie in einem Ministeriumohne Ankündigung verändert werden,führt das zu großem Unmut bei denBetroffenen. Aber nochmals: Man darfden Kopf nicht in den Sand stecken.Dann sieht man nämlich nicht, wassich bewegt. Dass wir uns bewegen,wird an den wichtigen Schaltstellender Wirtschaftsförderung erkannt. Lei-der ist es noch nicht soweit, dass auchwir Entwicklungskern wären.

Wie beurteilen Sie ihre Entwicklungs-chancen im Vergleich zu den ausgewiese-nen Wachstumskernen?

Die Furcht der Städte und Regionen,die nicht Wachstumskerne gewordensind, bezieht sich weniger auf die För-derkulisse für die Ansiedlung von Un-ternehmen. Es geht uns darum, dassInfrastrukturmaßnahmen wie die An-bindung der Region Rathenow/Prem-nitz an das Bundesautobahnnetz nun

Page 72: perspektive21 - Heft 30

70 heft 30 | mai 2006

[ roy wallenta ]

nicht mehr prioritär behandelt werden.Das Modell der Wachstumskerne ist vordem Hintergrund der geringer werden-den Mittel für solche Großprojekte ent-worfen worden.

Schulter an Schulter

Welche Forderungen und Erwartungenhaben Sie in diesem Zusammenhang andie Landesregierung?

Die Region Rathenow/Premnitz/Brandenburg ist eine der am dichtestenbesiedelten Regionen des Landes Bran-denburg. Jede dieser Städte ist in denFörderkonzeptionen des Wirtschafts-ministeriums als Branchenschwerpunkt-ort berücksichtigt worden, wenn auchmit unterschiedlichen Kompetenzen.Die Stadt Brandenburg ist darüber hin-aus als Wachstumskern ausgewiesen. Ausmeiner Sicht macht es Sinn, wie in ande-ren Regionen auch, diesen Wachstums-kern über die gesamte Region zu ziehen,um die unterschiedlichen Potenziale zubündeln. Der Eindruck entsteht, eskönnte eine strukturelle Blockade für dieRegion Rathenow/ Premnitz entstehen.Die muss dringend aufgelöst werden.

Gibt es Kooperationsbeziehungen in derRegion? Arbeiten Sie mit Rathenow oderBrandenburg an der Havel zusammen?

In einer Region, die so dicht besie-delt ist und die mit sehr ähnlichenschwierigen Rahmenbedingungen wieder demografischen Entwicklung zu

kämpfen hat, gibt es natürlich vielfältigeKontakte. Wir brauchen einen gewissenSchulterschluss für regionale und über-regionale Themen. Nur so können wirunseren Forderungen und AbsichtenGewicht verleihen. Aber auch mit Blickauf die soziale Infrastruktur müssen dieKommunen eng zusammenarbeiten –um bestehende Einrichtungen sinnvollzu nutzen und Überkapazitäten auszu-schließen, zum Beispiel im Bereich derKindesbetreuung, der Bildung oder derAltenbetreuung.

Schule wird praxisnah

Wie hat sich die Bevölkerungsstrukturin Ihrer Region in den vergangenen Jah-ren geändert?

Seit Jahren verlieren wir fast 200Einwohner jährlich. Besonders starkwar das in den Jahren, in denen großeBetriebe schlossen und viele Bürgerfortzogen. Seit zwei Jahren ändert sichvor allem die Struktur der Bevölke-rung: Wir werden immer älter.

Mit dem Bevölkerungsschwund geratenzunehmend öffentliche Einrichtungen inGefahr. Ist es weiter möglich, in Prem-nitz das Abitur abzulegen?

Dies sind Themen, denen sich dieKommunen in fast allen Regionen desLandes annehmen müssen. Die Ange-bote für die Altenversorgung dürftendurch kommerzielle oder gemeinnüt-zige Anbieter gesichert werden. Bei der

Page 73: perspektive21 - Heft 30

71perspektive21

[ zwischen hoffen und bangen ]

Kinderbetreuung und der Bildunghaben die Kommunen mehr zu regeln.Das Gymnasium wird in den nächstenJahren auslaufen, weil im Einzugsge-biet nicht mehr genügend Schüler vor-handen sind. Aber wir haben einenwichtigen Schritt nach vorn gemacht,indem wir das Modell der Oberschuleauch in der Ganztagsvariante anbietenkönnen. Diese Schule hat sich dempraxisnahen Lernen verschrieben.

Welche städtischen Einrichtungen bietenSie noch an, um für die Bürgerinnenund Bürger attraktiv zu bleiben?

Wir haben eine außergewöhnlichgute Vereinslandschaft in Premnitz.Unser Ziel ist es, die Vereine durchvorteilhafte Verträge über die Nutzungvon städtischen Anlagen zu unterstüt-zen. Die eine oder andere Veranstal-tung organisieren wir natürlich auchselbst. Und wir bemühen uns, Ein-richtungen wie das Sport- und Frei-

zeitzentrum Fit-Point zu erhalten.Aber auch eine Gemeinde muss sichder Nachfrage nach seinen Einrichtun-gen immer wieder neu stellen und ent-sprechende Entscheidungen treffen.

Worin lag die größte Enttäuschung derletzten Zeit und worin der größte Erfolg?

Enttäuscht bin ich darüber, dass dieVerantwortlichen im Land die drin-gend notwendige Verbesserung derAutobahnanbindung unserer Regionnicht entschieden genug voranbringen.Dadurch würden nach meiner festenÜberzeugung unsere Entwicklungs-chancen entscheidend verbessert. Ichfreue mich, dass unser Industriegebietdennoch deutlich wächst sowohl hin-sichtlich der Unternehmenszahlen alsauch der Beschäftigtenzahlen. Ganzbesonders stolz bin ich auf die Ent-wicklung unseres Stadtbildes. DieStadt wurde mit Mitteln des Stadtum-baus ganz entscheidend aufgewertet. L

ROY WALLENTA

ist seit 2000 parteiloser Bürgermeister der Stadt Premnitz.

Page 74: perspektive21 - Heft 30
Page 75: perspektive21 - Heft 30

73perspektive21

MÖGLICHKEITEN UND GRENZEN KOOPERATIVER AUFGABENWAHRNEHMUNG IN DER REGION VON JENS TESSMANN

Zusammenarbeitvon Landkreisen

D ie Organisation der Erfüllungöffentlicher Aufgaben ist in

Deutschland in den letzten Jahrenwieder verstärkt unter Modernisie-rungsdruck geraten, vor allem durchzunehmendem internationalen Wett-bewerb zwischen den Wirtschaftsregio-nen, die Europäisierung, allgemeinsinkende öffentliche Einnahmen undden Bevölkerungswandel. Auch diekommunale Selbstverwaltung - diesesFundament der staatlichen Ordnung,dieser konkrete Wirkungsbereich poli-tisch-administrativen Handelns - stehtim Zentrum von Reformüberlegun-gen.

Zunehmend wird die Neujustierungdes öffentlichen Zuständigkeitsgefügesin den Ländern sowie die äußere Ge-stalt der kommunalen Gebietskörper-schaften diskutiert. Deshalb stellt sichfolgende Frage: Inwieweit kann dieüberörtliche Aufgabenwahrnehmungdurch Optimierung der Zusammenar-beit von Kreisen gestärkt werden, undwelche Rahmenbedingungen müssendabei beachtet werden?

Die heutigen öffentlich-rechtlichenHandlungsformen der interkommuna-len Kooperation stammen überwie-gend aus dem 19. Jahrhundert. Alssich das KommunalwissenschaftlicheInstitut diesem Untersuchungsgegen-stand im Jahre 2004 zuwandte, gab esnur wenige empirische Studien undPublikationen zu diesem Thema.

Modernisierung istweiterhin nötig

Zwischenzeitlich hat die Debatte zu die-sem Untersuchungsgegenstand in derFachöffentlichkeit zugenommen, vorallem aus Gründen des europäischenWettbewerbsrechtes, aber auch wegendes zunehmenden Handlungsdruckes.Unstrittig ist insoweit, dass auf diesemFeld Modernisierungsbedarf besteht,einig ist man sich beispielsweise darü-ber, dass gemeinsame Kommunalunter-nehmen als Anstalten des öffentlichenRechtes eingeführt werden müssen.

Angesichts anhaltender Finanz-schwäche und nachhaltiger Struktur-

Page 76: perspektive21 - Heft 30

74 heft 30 | mai 2006

[ jens tessmann ]

schwächen ist die Handlungsfähigkeitdes Kreises als historisch bewährteräumliche und fachliche Bündelungs-instanz in vielen Regionen Deutsch-lands immer stärker eingeschränkt.Gerade mit Blick auf bestehende Un-terschiede zwischen Verwaltungs- undVerflechtungsraum in der Region gel-ten der Zusammenschluss und dieZusammenarbeit von Kreisen in derwissenschaftlichen und verwaltungs-praktischen Debatte als alternativeLösungen. Im Zentrum der Untersu-chung stand deshalb, welche Steige-rungen des Leistungspotenzials durchKooperationen möglich sind. Dazuwurden Chancen, Risiken und Er-folgsfaktoren von Kreiskooperationenin Theorie und Praxis analysiert.

Studie zur Kooperationvon Landkreisen

Zur Untersuchung der Kooperations-beziehungen in der Verwaltungspraxiswurde für eine Studie des Kommunal-wissenschaftlichen Instituts eineschriftliche Befragung bei 44 Land-kreisen durchgeführt. Die Befragunghatte einen zweistufigen Aufbau.Durch Analyse der Leitungsebene(Controlling und Zentrale Steuerungs-unterstützung) wurden Daten überbestehende kooperative Beziehungenin allen Aufgabenfeldern der Kreisegesammelt und aus der Überblicksper-spektive bewertet. In einem zweiten

Schritt wurden vertiefende Daten aussechs ausgewählten Fachbereichenerhoben, von denen vier verwertetwurden.

Aus der Perspektive des Leitungsbe-reiches dominiert eindeutig die Aufga-benerledigung des Kreises in Eigenre-gie. Kooperiert wird in der Tendenzüberwiegend nur bei wenigen Aufga-ben und für begrenzte Zeit.

Die flächenbezogenen Infrastruk-turaufgaben sowie die Leistungs- undPlanungsverwaltung weisen die höch-ste Kooperationsintensität auf. ImBereich der Eingriffsverwaltung (Ord-nungsaufgaben) wird am wenigstenzusammengearbeitet. Die höchsteKooperationsintensität wurde bei derWirtschaftsförderung, beim Rettungs-dienst und bei der Abfallwirtschaftgemessen. Dieses Befragungsergebnisbestätigt die bestehenden Erkenntnisseüber den Einfluss der Mindestnach-frage und den Größenklasseneffektenfür die Leistungsverwaltung sowie dieAuswirkungen von Strukturproblemenauf die Infrastruktur- und Planungs-aufgaben.

Öffentliches Recht dominiertbei Zusammenarbeit

Bei der organisationsrechtlichen Ge-staltung der Kreiskooperationen be-steht eine deutliche Dominanz derFormen des öffentlichen Rechtes, undzwar in abnehmender Reihenfolge von

Page 77: perspektive21 - Heft 30

75perspektive21

[ zusammenarbeit von landkreisen ]

der kommunalen über die öffentlich-rechtliche Arbeitsgemeinschaft bis hinzum Zweckverband. Entscheidend fürden Formalisierungsbedarf sind dasBindungsbedürfnis und der Verselbst-ständigungsgrad in Verbindung mitder Aufgabenkomplexität. Verwen-dung finden deshalb Rechtsformenwie der Zweckverband, die GmbHund der Verein und zwar vor allem beiAufgabenkooperationen mit hohemFormalisierungsbedarf wie Lebensmit-telüberwachung, Veterinärwesen, Ret-tungsdienst, Wirtschaftsförderung,Abfallwirtschaft und Beschulung.

Kooperation im Rettungsdienstmit guter Note

Die bestehenden Kooperationen wur-den sehr unterschiedlich bewertet. Ins-gesamt konnten die Kooperationeneine Note von 2,68 (befriedigend bisgut) erzielen. Tendenziell konnte fest-gestellt werden, dass Aufgaben mitgeringer Kooperationsintensität undminimalem Formalisierungsgrad diebesten Wertungen bekommen haben,zum Beispiel die Eingriffsverwaltung.Umkehrt haben Aufgaben mit hoherKooperationskomplexität und somithohem Koordinierungsaufwand eherschlechte Wertungen erzielt. Nur derRettungsdienst als Aufgabe mit hoherKooperationsintensität folgt diesemnegativen Trend nicht und erzielt hoheWertungen. 58 Prozent der an der

Untersuchung teilnehmenden Kreiseerwarten von einer Kooperation eine„hohe bis mittlere“ Potenzialsteigerungund 50 Prozent befürworten eine Aus-weitung der partnerschaftlichen Bezie-hungen.

Erstaunlich und bedauernswert istallerdings, dass fast 40 Prozent derKreise ihre Kooperationen noch nichtauf Effektivität überprüft haben. UmFehlsteuerungen zu vermeiden, wärenentsprechende wissenschaftliche Ana-lysen dringend notwendig. Bei bishervorgenommen Messungen wurden vorallem positive Effekte bei der Wirt-schaftlichkeit, der Koordination undder Ergebnisqualität nachgewiesen.Kaum jedoch hat sich die Bearbei-tungszeit verkürzt oder das Angebotverbessert.

Soziale Faktoren sind fürErfolg entscheidend

Für den Erfolg der Zusammenarbeitsind vor allem soziale Faktoren aus-schlaggebend gewesen sowie dieRaumstruktur (mit Ausnahme derSiedlungsstruktur). Die Ausdehnungdes Kreises mit entsprechenden Ent-fernungsdefiziten hat dagegen negativeAuswirkungen auf die Kooperationsef-fektivität gehabt.

Die Erkenntnisse aus der Leitungs-ebene bestätigen zum Teil auch Befra-gungsergebnisse aus den ausgewähltenFachbereichen Schulverwaltung, Ab-

Page 78: perspektive21 - Heft 30

76 heft 30 | mai 2006

[ jens tessmann ]

fallwirtschaft, Rettungsdienst und Kreis-straßenreinigung. So dominiert bei die-sen Aufgabenfeldern, ebenso wie beiden Kreisen insgesamt, die Aufgabener-ledigung in Eigenregie. Die höchsteKooperationsintensität zeigt sich wiederbei der Leistungs- und Planungsverwal-tung sowie den Infrastrukturleistungen.Gering ausgeprägt ist die Kooperationdagegen bei den ordnungsrechtlichenAufgaben (Hoheitsverwaltung).

Entscheidend für die zusätzliche Ein-bindung von nichtöffentlichen Partnernsind vor allem die Ressourcenausstat-tung und die Kompetenz. Der Kreisbindet private und gemeinnützige Part-ner gerne zur Entlastung, Ergebnisver-besserung und Interessenintegration inden Leistungsprozess ein.

Selbst erbringen oder nicht?

Dies geschieht konkret bei Schüler-angelegenheiten (Beförderung, Ver-kehrserziehung, Förderung, Betreuungund Schulveranstaltungen), bei derAbfallbeseitigung, beim Rettungs-dienst sowie bei der Qualifizierung fürden Rettungsdienst und den Katastro-phenschutz. Auch im Bereich derKreisstraßenreinigung wird für verein-zelte Straßenabschnitte die Zusam-menarbeit mit den Privaten gesucht(zum Beispiel beim Winterdienst).

Die Kooperation zwischen Kreisenvollzieht sich überwiegend in öffentlich-

rechtlichen Arbeitsgemeinschaften undZweckverbänden. GmbH und privat-rechtliche Leistungsverträge finden nurgeringe Verwendung. Die Kooperationmit nichtöffentlichen Partnern findetjedoch in Form von Leistungsverträgen,Vereinen oder in GmbHs statt. Aktien-gesellschaften und sonstige privatrechtli-che Rechtsformen spielen bei den be-fragten Kreisen keine Rolle.

Abläufe vereinfachen undflexibilisieren

Die Kreise stehen vor der Frage, obdie bestehende Eigenfertigung überallwirtschaftlich und sinnvoll ist oder obnicht vielleicht in Zusammenarbeitmit anderen öffentlichen und nichtöf-fentlichen Partnern bestimmte Teilauf-gaben besser bewältigt werden könn-ten. Manche Aufgaben, zum Beispieldie verschiedenen Serviceleistungen,könnten mit Sicherheit sogar ganz pri-vatisiert und eingekauft werden, sofernnicht zwingende strategische Gründedagegen sprechen. Bei den Koopera-tionen in den Fachbereichen stehenalso überwiegend Gemeinwohlziele imVordergrund. Wirtschaftliche und an-dere Aspekte sind eher nachrangig.

Dieses Ergebnis wird auch durch dieverwendeten Kriterien für die Gestal-tung der Zusammenarbeit bestätigt.Gleich nach den rechtlichen Vorgaben(zum Beispiel durch das Gesetz über diekommunale Gemeinschaftsarbeit)

Page 79: perspektive21 - Heft 30

77perspektive21

[ zusammenarbeit von landkreisen ]

nannten die Fachbereiche den Ressour-cen- und Kompetenzvorteil durch dieEinbindung des Partners sowie denFlexibilitätsgewinn und dieVereinfachung von Arbeitsabläufen alswesentlich. Andere Kriterien waren eherunwichtig. Positive Wirkungen der Zu-sammenarbeit wurden bei derWirtschaftlichkeit (Effizienzgewinn), beider Ergebnisqualität (mit Ausnahme dernegativen Bilanz der Kreisstraßenreini-gung) und beim Leistungsangebotgemessen. Verbesserungen bei der Ver-kürzung der Bearbeitungszeit oder beider Steuerung (Koordination) konnteneher nicht nachgewiesen werden.

Zusammenfassend zeigt sich also,dass die Befragung der repräsentativenKreise die bisherigen Erkenntnisse ei-nerseits bestätigt und andererseits weiterkonkretisiert. So stehen aus Sicht derLeitungsebene – also der Controllingab-teilungen – eher wirtschaftliche Interes-sen und Abstimmungsinteressen alsAuslöser für Kooperationen im Vorder-grund.

Meiste Aufgaben werden selbst erledigt

Für die Fachbereiche sind die Gemein-wohlgründe ausschlaggebend, also dieGewährleistung einer qualitativ hoch-wertigen Fachaufgabenerfüllung. DiesesErgebnis überrascht nicht, sehen sichdoch traditionell die Fachbereiche alsKompetenzeinheit für die inhaltliche

Aufgabenerledigung und die Quer-schnittsbereiche als Steuerungszentrumfür den Ressourceneinsatz.

Scheinbar hat sich auch nach Ein-führung des Neuen Steuerungsmodells– mit dem erklärten Ziel der Zusam-menführung von Fach- und Ressour-cenverantwortung – an dieser Aufga-benwahrnehmung in der Verwaltungs-praxis der Kreise nichts geändert. Derüberwiegende Teil der Aufgaben wirdimmer noch autonom durch den Kreisselbst erledigt. Das betrifft natürlichbesonders die Eingriffsverwaltung,aber auch weite Teile der Leistungsver-waltung sowie der Infrastrukturaufga-ben. Bei kooperativen Beziehungenwird zunächst ein Partner aus demöffentlichen Bereich bevorzugt.

Aufgabenkritik ist weiter nötig

Ein privater oder gemeinnütziger Part-ner wird in die Leistungserstellung erstnachrangig einbezogen, wenn einnichtöffentlicher Partner mit klarenOptimierungspotenzialen für die Auf-gabenerledigung sowie zur Integrationvon zivilgesellschaftlichen Interessenund Engagement existiert. Dieses Vor-gehen bei der Organisation der Aufga-benerledigung setzt sich fort bei derRechtsformwahl für Kooperationen.

So dominieren ganz eindeutig dieOrganisationsformen des öffentlichenRechtes und davon die mit geringer

Page 80: perspektive21 - Heft 30

78 heft 30 | mai 2006

[ jens tessmann ]

Bindungsintensität sowie einfachemSteuerungsaufwand wie die Arbeitsge-meinschaften. Werden für verselbstän-digte komplexe Leistungsprozesse feste-re und institutionalisiertere Formenbenötigt wie bei der Abfallwirtschaft,so findet der Zweckverband immernoch vorzugsweise Verwendung.

Privatrechtliche Leistungsvereinba-rungen oder die Vereinsform bestimmendagegen die Zusammenarbeit mit priva-ten Partnern in wenigen ausgewähltenAufgabenbereichen, wo das Engagementder Ehrenamtlichen beziehungsweiseFreiwilligen oder deren Ressourcen- undKompetenzvorteil für die Aufgabenerle-digung unverzichtbar ist. Die große Zahlvon Kreisen, die bisher keine Effektivi-tätsprüfung ihrer Kooperationen durch-geführt haben, in Verbindung mit demrelativ hohen vermuteten Leistungsstei-gerungspotenzial durch Ausbau der Zu-sammenarbeit, lässt vermuten, dass esnoch Optimierungsmöglichkeiten beider Gestaltung der öffentlichen Aufgabe-nerledigung gibt.

Nach Entlastungsmöglichkeitensuchen

Gerade mit Blick auf die kommunalenFinanzen und den weit reichendenStrukturproblemen in vielen Regionenmüssen der Aufgabenbestand der Krei-se, die Form der Aufgabenerledigungund deren Finanzierung unbedingtkritisch überprüft werden.

Noch bestehende Entlastungsmöglich-keiten durch Einbindung privater undgemeinnütziger Akteure könnten injedem Fall intensiv erforscht und ge-nutzt werden. Doch gerade für diedünn besiedelten ländlichen Räume istaufgrund nicht vorhandener nichtöf-fentlicher Leistungsanbieter das Ausla-gerungspotenzial – auch bei gutemWillen aller Beteiligten – weiterhinrelativ gering. Aber auch unter diesenschlechten Rahmenbedingungen fürkooperative Arrangements stellt sichdie Frage, inwieweit die Handlungs-möglichkeiten optimiert werden kön-nen durch die Ausweitung von inter-kommunaler und interkreiskommuna-ler Kooperation.

Keine Besitzstandswahrungzulassen

Die Chancen zur Schaffung eines lei-stungsfähigen kommunalen Verwal-tungsverbundes sollten nicht an Be-sitzstandswahrungsdenken, unzweck-mäßigen bürokratischen Überlegungenoder schlichtweg an nicht vorhande-nen Informationen scheitern. Die bis-herigen kommunalwissenschaftlichenPublikationen und Studien zeigen,dass die bestehenden Kooperationenüberwiegend positive Wirkungen aufdie Wirtschaftlichkeit der Aufgabener-füllung, auf die Ergebnisqualität, dasLeistungsangebot und auf Flexibilitätsowie Prozessvereinfachung hatten.

Page 81: perspektive21 - Heft 30

79perspektive21

[ zusammenarbeit von landkreisen ]

Negative Folgen für den Steuerungs-aufwand der Beziehungen oder andereFaktoren konnten nur vereinzelt nach-gewiesen werden. Das Aufwand-Ertrags-Verhältnis der Kreiskoopera-tionen ist also eindeutig positiv. Die

Zusammenarbeit zwischen Kreisen,aber auch mit anderen öffentlichenund nichtöffentlichen Partnern, hatsich bisher gelohnt. Die Bedarfs-deckung und die Leistungserbringunghaben sich eindeutig verbessert. L

JENS TESSMANN

ist Verwaltungswissenschaftler und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Kommunalwissenschaftlichen Institut der Universität Potsdam.

Page 82: perspektive21 - Heft 30
Page 83: perspektive21 - Heft 30

Das Debattenmagazin

www.b-republik.de

Die Berliner Republik erscheint alle zwei Monate. Sie ist zum Preis von 5,– EUR inkl. MwSt. zzgl. Versandkosten als Einzelheft erhältlich oder im Abonnement zu beziehen: Jahresabo 30,– EUR; Studentenjahresabo 25,– EUR

Jetzt Probeheft bestellen: Telefon 0 30/2 55 94-130, Telefax 0 30/2 55 94-199, E-Mail [email protected]

Bezug der bereits erschienenen Hefte möglich

Wieviel Einspruch verträgt der Mainstream? Heute regieren die 68er – aber was kommt,

wenn sie fertig haben? Die Berliner Republik ist der Ort für eine neue politische Generation:

undogmatisch, pragmatisch, progressiv. Weil jede Zeit ihre eigenen Antworten braucht.

Page 84: perspektive21 - Heft 30

ZWISCHEN ZENTRUM UND PERIPHERIE:

GÜNTER BAASKE : Politik muss sagen, was ist

MATTHIAS PLATZECK : Soziale Gerechtigkeit für das 21. Jahrhundert

HUGH WILLIAMSON : Reformschrittmacher Ostdeutschland

HEIDEROSE KILPER | HANS JOACHIM KUJATH : Zwischen Metropole und Peripherie

MARTIN T. W. ROSENFELD : Perspektiven von Berlin-Brandenburg

THOMAS MIROW : Wer still steht, fällt zurück

CHRISTIANE DIENEL : Zwischen Familien- und Karriereplanung

RAINER MÜLLER : Perspektiven für die Lausitz

UDO FOLGART : Stadt und Land gehören zusammen

ROY WALLENTA : Zwischen Hoffen und Bangen

JENS TESSMANN : Zusammenarbeit von Landkreisen

Chancen fürRegionen

BRANDENBURGISCHE HEFTE FÜR WISSENSCHAFT UND POLITIK

HEFT 30 MAI 2006 www.perspektive21.de

Seit 1997 erscheint„perspektive 21 – Brandenburgische Hefte für Wissenschaft & Politik“.

Wenn Sie Interesse an bisher erschienenen Ausgaben haben, können Sie ältere Exemplare auf unserer Homepage www.perspektive21.de alspdf-Datei herunterladen.

Einzelne Exemplare von bisher erschienenen Ausgaben schicken wir Ihnengerne auch auf Wunsch kostenlos zu. Senden sie uns bitte eine E-Mail an [email protected].

Zur Zeit sind folgende Titel lieferbar:Heft 14 Brandenburgische IdentitätenHeft 15 Der Islam und der WestenHeft 16 Bilanz – Vier Jahre sozialdemokratisch-bündnisgrünes ReformprojektHeft 17 Ende der Nachwendezeit. PDS am Ende?Heft 18 Der Osten und die Berliner RepublikHeft 19 Trampolin oder Hängematte? Die Modernisierung des Sozialstaates.Heft 20 Der Letzte macht das Licht aus?!Heft 21/22 Entscheidung im Osten: Innovation oder Niedriglohn?Heft 23 Kinder? Kinder!Heft 24 Von Finnland lernen?!Heft 25 Erneuerung aus eigener KraftHeft 26 Ohne Moos nix los?Heft 27 Was nun, Deutschland?Heft 28 Die neue SPDHeft 29 Zukunft: Wissen. H

EFT

30M

AI2

006

Cha

ncen

für

Reg

ione

n

SPD-Landesverband Brandenburg, Alleestraße 9, 14469 PotsdamPVST, DPAG, Entgelt bezahlt, A47550