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Prof. Dr. Karl-H. GöttertGeschichte der Rhetorik

WS 2008/09

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Ausgewählte Literatur

Karl-Heinz Göttert: Einführung in die Rhetorik. Grundbegriffe – Geschichte – Rezeption. 3. Aufl., München 1998

Karl-Heinz Göttert und Oliver Jungen: Einführung in die Stilistik. München 2004

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A. Grundbegriffe der Rhetorik

1. Die drei Redegattungen (genera orationis)2. Die vier Frageweisen hinsichtlich der Anlage der Rede (status orationis)3. Die drei Aufgaben des Redners (officia oratoris)4. Die fünf Bearbeitungsphasen der Rede (partes artis)

4.1 Erfindung der Gedanken (inventio)4.2 Gliederung der Gedanken (dispositio)4.3 Sprachliche Darstellung der Gedanken (elocutio)

Tugenden sprachlicher DarstellungStilgattungen

4.4 Memorieren der Rede (memoria)4.5 Vortrag der Rede (pronuntiatio oder actio)

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1. Die drei Redegattungen (genera orationis)

1.1Gerichtsrede (genus iudiciale)Urteil fällen: vor GerichtVergangenheit

1.2 Beratungsrede (genus deliberativum)Urteil fällen: in der politischen VersammlungZukunft

1.3 Lobrede (genus demonstrativum)genießenGegenwart

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2. Die vier Frageweisen hinsichtlich der Anlage der Rede (status orationis)

2.1 Vermutungsfrage (status coniecturae)ja/nein?

2.2 Definitionsfrage (status finitionis)was?

2.3 Rechtsfrage (status qualitatis)zu Recht?

2.4 Verfahrensfrage (status translationis)ob überhaupt?

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3. Die drei Aufgaben des Redners (officia oratoris)

3.1 intellektuellEinsichtLogikbelehren (docere), beweisen (probare)

3.2 affektivBesänftigungEthosgewinnen (conciliare), erfreuen (delectare)

3.3 affektivErregungPathosbewegen (movere), aufstacheln (concitare)

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4. Die fünf Bearbeitungsphasen der Rede (partes artis)4.1 Erfindung der Gedanken (inventio)

Einleitung (exordium)aufmerksam machen (prooemium: genus humile)lernbereit machen (prooemium: genus obscurum)geneigt stimmen (prooemium: genus dubium) [captatio benevolentiae]schmeicheln (insinuatio: genus turpe, genus admirabile)

Schilderung des Sachverhalts (narratio)Kürze (narratio brevis)Klarheit (narratio aperta)

wer, was, warum, wo, wann, Art und Weise, FähigkeitGlaubwürdigkeit (narratio probabilis)

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Begründung (argumentatio)Induktionsbeweisdeduktiver Beweis (verkürzter Syllogismus)Topik (loci)

von der Person (Abstammung, Nationalität, Geschlecht usf.)aus der Sache (Ursache, Ort, Zeit, Art und Weise usf.)

AmplifikationGemeinplätze (loci communes)

Schluss (peroratio)EntrüstungWehklage

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4.2 Gliederung der Gedanken (dispositio)

natürliche Ordnungmedias in res

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4.3 Sprachliche Einkleidung der ‚Gedanken‘ (elocutio)

4.3.1 Tugenden sprachlicher Darstellung (virtutes elocutionis) Sprachrichtigkeit (latinitas)

GesetzmäßigkeitAlterAutoritätGebrauch

Klarheit (perspicuitas) Schmuck (ornatus)

[s.u.]Angemessenheit (aptum)

äußeres aptuminneres aptum

4.3.2 Stilgattungen (genera dicendi)[s.u.]

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Schmuck (Überblick)

in EinzelwörternTropen (Ersetzung: Metapher usf.)

in WortverbindungenWortfiguren

Hinzufügung (Anapher usf.)Auslassung (Ellipse usf.)Umstellung (Antithese usf.)

Sinnfiguren (rhetorische Frage usf.)Wortfügung (Rhythmus, Klauseln)

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Tropen

Metapher: Ähnlichkeitsbeziehung (Beseeltes für Unbeseeltes usf.)Metonymie: Reale Beziehung (qualitativ: Autor für Werk)Synekdoche: Reale Beziehung (quantitativ: Teil für Ganzes)Emphase: Hervorhebung durch AndeutungHyperbel: ÜbertreibungAntonomasie: Umschreibung eines NamensIronie: Bezeichnung durch das GegenteilLitotes: Untertreibung (kein schlechtes Buch)Periphrase: Umschreibung (z.B. für Anstößiges)

   

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FigurenFiguren der HinzufügungWiederholung

Geminatio: Wiederholung des gleichen WortesReduplicatio: Wiederaufnahme des letzten Wortes eines

Satzes als erstes Wort im nächsten SatzRedditio: Wiederholung des ersten Wortes als letztes (Klammer)Anapher: Wiederholung eines Wortes am jeweiligen SatzanfangEpipher: Wiederholung eines Wortes am jeweiligen SatzendeComplexio: Kombination von Anapher und EpipherParonomasie/Wortspiel: Wiederholung eines Wortes mit geringfügiger

lautlicher VeränderungPolyptoton: Wiederholung mit grammatischer Änderung (Kasus usf.)Synonym: Wiederholung der Bedeutung mit anderem WortTraductio: gleicher Klang, anderer InhaltDistinctio: zuerst normale Bedeutung, dann emphatische BedeutungReflexio: distinctio in DialogformEnumeratio: Aufzählung hintereinanderDistributio: Aufzählung auf Abstand (mit jeweiligem Satzbeginn)Epitheton: Zusatz eines Adjektivs, einer Apposition usf.Polysyndeton: Häufung von Epitheta (mit und/oder verbunden)

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AuslassungEllipse: Auslassung (z.B. des Prädikats)Zeugma: Auslassung (z.B. des Prädikats beim durch und angeschlossenen Satz)Asyndeton: Häufung von Epitheta (ohne und/oder verbunden)

UmstellungAnastrophe: Umstellung der normalen Abfolge zweier WörterHyperbaton: Trennung zweier zusammengehöriger Wörter durch

Zwischenschaltung eines SatzgliedesIsocolon: koodinierte Nebeneinanderstellung mehrerer Teilsätze

(antithetisch oder in Überkreuzstellung als Chiasmus. Bei gleichtönendem Ausklang: Homoeoteleuton, bei Abschluss mit gleicher Kasusform: Homoeoptoton, bei Kombination von Homoeoteleuton und Homoeoptoton: Paromoeosis)

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SinnfigurenObsecratio: mit ‚um... willen’ eingeleitete flehentliche BitteLizenz: freimütiger brüskierender Vorwurf ans PublikumApostrophe: Wendung an ein nicht anwesendes PublikumRhetorische Frage: Frage ohne Erwartung einer AntwortSubiectio: in die Rede hineingenommener fingierter DialogDubitatio: Bitte um Rat hinsichtlich der Fortführung der RedeCommunicatio: Bitte um Rat hinsichtlich der HandlungsweiseFinitio: BegriffsbestimmungConciliatio: Verwendung eines Arguments der GegenparteiCorrectio: Verbesserung der eigenen ÄußerungAntitheton/Antithese: sachliche Gegenüberstellung zweier Aussageinhalte (bei sich

widersprechenden Begriffen: Oxymeron)Exclamatio: AusrufEvidenz: Schilderung eines Gegenstands durch Aufzählung von EinzelheitenSermocinatio: Charakterisierung von Personen durch deren Aussprüche usf.)Fictio personae: Einführung nichtpersonhafter Dinge als sprechende PersonenExpolitio: Ausmalung eines Gedankens (sprachlich oder gedanklich)Similitudo: Parallele (von Mensch und Natur usf.)Aversio: Abwendung von der behandelten SacheConciliatio: Ausnutzung eines gegnerischen Arguments für die eigene SachePraeparatio: Vorwegnahme eines GedankengangsConcessio: Eingeständnis eines gegnerischen ArgumentsPermissio: Anheimstellung eines Handelns (auch gegen andersartigen Rat)

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Wieland: Geschichte der Abderiten (Beispielsatz)

die Abnahme der Einfaltdas Verschwinden von Sinnesart

DienstbeflissenheitIch muss Geneigtheitbeklagen aus Liebe und F.

aus getreuem H.um des F. willen

den Verfall der Sitten

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Wortfügung (compositio)

cursus planus´xx/x´xx (vincla perfregit)

cursus velox´xxx/xx´xx (vinculum fregeramus)

cursus tardus´xx/x´xxx (vincla perfregerat)

Stilgattungen (genera dicendi)

Hoher StilMittlerer StilNiedriger Stil

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4.4 Memorieren der Rede

Gedächtniskunst seit den SophistenDer Simonides-Mythos (nach den drei lateinischen Quellen)Prinzip: Bilder und Stellen (Beispiel: cicer in horto für Cicero und Hortensius)Geschichte der Gedächtniskunst in Mittelalter und Renaissance

4.5 Vortrag der Rede (pronuntiatio oder actio)

Asianismus und AttizismusMimik und GebärdenDie Rolle der Stimme („Brustton der Überzeugung“)

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B. Geschichte der Rhetorik

Geschichtliche Voraussetzungen:vor 510 Tyrannis (Peisistratos)510 Reformen des Kleisthenes in Athen (Beginn der Demokratie)490 Schlacht bei Marathonseit 486 Große Dionysien mit tragischen Tetralogien480/479 Salamis/Platää (Ende der Perserkriege)467 Sturz der Tyrannis in Syrakus462 Entmachtung des Areopags (Durchsetzung der Demokratie)427 Gorgias kommt nach Athen

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Platon und die Sophisten

Gorgias (ca. 480-380)Helena-Rede:

Helena ist Frau des Menelaos, wird von Paris nach Troja entführt.Sie ging nach Troja entweder mit Gewalt, aus Liebe oder aufgrund von Überredung. Dabei lag Entscheidung der Götter zugrunde, also ohne Schande.Der Schwächere unterliegt dem Stärkeren.Sie war fern vom Vaterland, ohne ihre Freunde (verdient Mitleid).Überredung ist eine machtvolle Kraft.

Protagoras (ca. 480-410)Der schwächere Teil kann stärker sein.Doppelgesichtigkeit der Dinge.

Platon (427-347)Gorgias (zw. 393 und 388)

Problem der GerechtigkeitPhaidros (zw. 365 und 350)

Rolle der Seelenlenkung

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Plato Gorgias

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Aristoteles (384-322) Rhetorik (vor 347, 3. Buch nach 335) Topik (vor 347)

Rhetorik I 1-3 Rhetorik und Dialektik (Topik)

4-8 Spezielle Überzeugungsmittel für die politische Rede9 Spezielle Überzeugungsmittel für die Lobrede10-15 Spezielle Überzeugungsmittel für die Gerichtsrede

II 1 Abhängigkeit der Redewirkung vom Ethos des Redners2-11 Notwendigkeit des Wissens um die Affekte der Zuhörer12-17 Lehre von den Charakteren18-26 Allgemeine Überzeugungsmittel jeder Rede

III 1-4 Zur Vollkommenheit des sprachlichen Ausdrucks5-7 Stilistische Tugenden8-12 Steigerung des sprachlichen Ausdrucks13-19 Die Redeteile

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Aristoteles

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Wissen

unveränderliches Wissen (episteme)auf theoretisches Wissen bezogene Erkenntnis

Kategorien, Lehre vom SatzAnalytik (Lehre vom Schluss, vom Beweis)

Veränderliches Wissen (doxa)auf praktisches Wissen bezogene Erkenntnis

EthikPolitik

auf Herstellen bezogene TechnikDialektik (Topik)Rhetorik

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1. Buch

Die Frage nach dem Glaubwürdigen. Abgrenzung zur Dialektik.3 Arten der Beredsamkeit (Gattungen)

politische Rede: Nutzen/SchadenLobrede: Ehrenhaftes/UnehrenhaftesGerichtsrede: Gerechtes/Ungerechtes

Dafür spezielle ÜberzeugungsmittelBeratung: Haushalt, Glückseligkeit, Nützlichkeit, Krieg und Frieden usf.Lob: Tugend, Amplifikation usf.Gericht: Motive des Unrechttuns, außerrhetorische Beweismittel usf.

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2. Buch

Ethos des RednersDie zehn Affekte: Zorn, Sanftmut, Freundschaft/Liebe, Furcht, Scham, Freundlichkeit,

Mitleid, gerechter Unwille, Neid, EifersuchtCharakterologie (Lebensalter)Allgemeine Überzeugungsmittel

AmplifikationBeispielEnthymeme

aus dem Gegensätzlichenaus dem Mehr oder Wenigerscheinbare Enthymeme

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3. Buch

Sprachliche Einkleidung (Stilistik)Stimme (mimetische Kraft der Worte)Schmuck (Metapher und Sehen)fehlerhafter Stil

SprachrichtigkeitAngemessenheitRhythmus (Gedächtnis)StilebenenDisposition

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Der Streit zwischen Rhetorik und Philosophie

Rhetorik an Alexander (4./3. Jh. v.Chr.)Topoi für Stegreifreden.Für und Wider (rein inhaltlich bestimmt).Vorwände (z.B. für Beginn eines Krieges)

Platons Akademiezuerst rhetorikfeindlich, dann Zuwendung zur Rhetorik

StoikerKürze als 5. sprachliche TugendGegen Wirkung (Leidenschaften bekämpfen)Sprachreflexion (Stimme)Kritik von Seneca

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Schulrhetorik ICicero (106-43 v.Chr.): Von der Erfindungskunst (De inventione), zw. 91 und 88

I 1-9 Vorbemerkungen und GrundbegriffeDie kulturstiftende Macht der Rede.

10-18 Statuslehre 19-96 Inventio und dispositioII 1-10 Vorbemerkungen 11-178 Gerichtsrede, politische Rede, Lobrede

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Schulrhetorik IIRhetorik an Herennius (Rhetorica ad Herennium), zw. 86/82

I 1-4 Vorbemerkungen 5-11 Einleitung (zur Gerichtsrede) 12-16 Erzählung 17 Ankündigung des Beweisziels 18-27 Beweis und WiderlegungII 1-26 Statuslehre 27-46 Formale Bestandteile des Beweises 47-50 Schluss (der Gerichtsrede)III 1-9 Politische Rede 10-15 Lobrede 16-18 Gliederung der Gedanken 19-27 Vortrag der Rede 28-40 Memorieren der RedeIV 1-10 Vorbemerkungen 11-16 Stilgattungen 17 Eleganz (Sprachrichtigkeit und Klarheit) 18 Wortfügung 19-46 Wortfiguren (einschl. Troßpen) 47-69 Sinnfiguren

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Cicero (106-43 v.Chr.)

Kurzbiografie

Ritter. Staatsmann, Redner und PhilosophAb 81 erste Anwaltstätigkeit (Verteidigung von Roscius)70 Anklage gegen Verres63 Konsulat. Aufdeckung der Catilinarischen Verschwörung58-55 Exil (nach Widerstand gegen Consul Cäsar)55 De oratore49 im Bürgerkrieg auf Seiten des Pompejus (nach Cäsars Sieg Begnadigung)46 Orator und Brutus44 Ermordung Cäsars (De officiis)seit Dez. 44 Philippische Reden gegen Antonius43 Ermordung auf Befehl von Antonius

58 erhaltende Reden (Rolle der Literarisierung)

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Cicero: Vom Redner (De oratore), 55 v.Chr.

I 1-29 Prolog und Szenerie30-34 Crassus‘ Preis der Beredsamkeit35-44 Scaevolas Einwände45-79 Crassus‘ Widerlegung der Einwände80-112 Antwort des Antonius und Zwischengespräch113-159 Crassus über Begabung, Theorie, Übung160-203 Antonius‘ Gegenvortrag

II 1-28 Prolog und Szenerie28-113 Antonius‘ Preis der Beredsamkeit und Vorschläge für die Praxis114-216 Antonius über Erfindung und die Aufgaben des Redners216-290 Caesar über den Witz307-349 Antonius über die Gliederung der Gedanken350-367 Antonius über das Memorieren der Rede

III 1-18 Prolog und Szenerie19-53 Crassus über den Stil (Sprachrichtigkeit und Klarheit)54-95 Exkurs über die Einheit von Geist und Ausdruck96-103 Crassus über Schmuck (Stilarten)104-147 Exkurs über Stoffbeherrschung und Bildung148-209 Crassus über Schmuck (Tropen und Figuren)210-212 Crassus über Angemessenheit213-230 Crassus über den Vortrag der Rede

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EntstehungKrise der Republik (55 v.Chr.). Vergleich mit Krise von 91 (Beginn des Bürgerkriegs).Rhetorik als Rettung der Republik (rednerische Macht, idealer Redner).

1.BuchCrassus‘ Preis der Beredsamkeit: in Bann schlagen, Zerstreute sammeln.Scaevolas Einwände (Beispiel der Gracchen)Crassus‘ Antwort: nicht Wortklauberei, sondern Sachkennntis. Wohlgegliedert, wirkungsvoll, wortreich, abwechslungsreich.Antonius‘ Antwort: Utopie, Abwege.Crassus über Begabung, Theorie, Übung.Fazit: Machtvolles Wissen.Antonius‘ Preis der Beredsamkeit (zum Wahrscheinlichen). Spezielle Fragen als größte Herausforderung. Gegen System (jede Epoche mit eigenem Stil).

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2. BuchAntonius über inventio: hinreißende GedankenDie drei Aufgaben des Redners (Rolle der Topik: wie Jäger das Wild suchen).Erregen und besänftigen.Sympathiegewinnung durch Witz und Humor (Cäsar).Antonius über gliederung und Memorieren.

3. BuchCrassus über elocutio: glänzende Darstellung.Korrekt, klar. Verstehen.Schmuck.Gemeinplätze.Fülle des Stoffs, Fülle des Ausdrucks.Einzelne Schmuckmittel (Metapher usf.)RhythmusStil und AngemessenheitVortragFazit: sprachliche Hervorbringung der Wahrheit. Kusnt und Rechtschaffenheit.Redner als Stifter der Wahrheit.

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Cicero: Der Redner (Orator), 46 v.Chr.

1-32 Über das Ideal der Beredsamkeit33-42 Redegattungen43-61 Bearbeitungsphasen der Rede62-68 Weitere Redegattungen69-74 Aufgaben des Redners (belehren, besänftigen, bewegen)75-112 Stilgattungen113-127 Notwendige Kenntnisse (einschl. der Gemeinplätze)128-148 Ethos, Pathos und Schmuck149-167 Wohlklang der Wörter und Parallelismus der Satzteile168-236 Rhythmisierung der Rede

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Attizismus und Asianismus (Sprachbrillanz und Schwulst)Aufgaben des Redners und StillehreThese: alle Stilqualitäten (wechseln!)Kap. 100: das Gewöhnliche einfach, das Erhabene großartig, das in der Mittel Liegende in

rechter Mischung (materiale Stillehre).Selbst entflammt sein.Am wichtigsten: KlangästhetikWohlklang von Wörtern und SatzrhythmusRhythmus in der Periode (Ohren!)KlauseltechnikFechterparabel

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Ciceros Rede für Sextus Roscius (81 v.Chr.)Einleitung:Es geht um einen riesigen Vermögensraub in der schweren Zeit nach der Beendigung des Bürgerkriegs unter Sulla durch ein Verbrechertrio. Nach der Ermordung des Roscius (Vater) durch zwei Verwandte (ebenfalls Roscier) und Chrysogonus (einen Vertrauten Sullas) steht jetzt das Leben des Sohnes der Absicherung des Raubes entgegen. Der Spruch der Richter soll krönen, was die Gewalt allein nicht geschafft hat. Von möglichen Verteidigern bin nur ich mit meinem geringen Können und meiner angeborenen Schüchternheit übrig geblieben. Hört mir also aufmerksam und mit Nachsicht zu!Beschreibung:Sextus Roscius (Vater) war mit zwei Verwandten (Rosciern) verfeindet. Sie haben ihn ermordet und ihn dann (sogar nach der Zeit der Ächtungen im Bürgerkrieg) auf die Liste der Geächteten gesetzt. Damit konnte man seine Güter zum Spottpreis verkaufen. Käufer war Chrysogonus, der die Roscier anschließend reich belohnte. Jetzt klagt man den Sohn an, den Mord begangen zu haben (S. 120). Argumentation:Die Mordklage stützt sich auf angeblichen Haß des Vaters auf seinen angeblich charakterlosen Sohn, den er aufs Land verbanant haben soll. In Wirklichkeit hat der Sohn sich auf dem Land um die Güter des Vaters gekümmert, was höchster Ehren wert ist (S. 125f.). Die Bedeutung der Bewirtschaftung des Landes (S. 128ff.).

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Exkurs: Der Vorwurf der Landarbeit ist grotesk, aber die Ankläger haben nicht mit einer Verteidigung gerechnet. Jetzt bekommen sie es sichtlich mit der Angst zu tun.Wie wahrscheinlich ist Vatermord? Die Ankläger können kein Motiv geltend machen. Wo gibt es Spuren? Beispiele in Geschichte und Dichtung zeigen, daß Verwandtenmord das ungeheuerlichste aller Verbrechen ist. Hier können nur die stärksten Beweise überzeugen (S. 136f.). Aber die Ankläger nennen keinerlei Motiv, sie nennen keinerlei Indizien, außer daß die Zeiten schlecht waren.Während der Sohn Roscius also kein Motiv hatte, läßt sich ein umso stärkeres bei dem Mörder Roscius vorweisen. Er ist aus der Mittellosigkeit zu größtem Wohlstand gekommen (S. 144f.). Der Mörder war nachweislich am Ort des Mordes, in Rom. Der Schutzbefohlene des Mörders hat als erster die Nachricht nach Ameria zu den Mitwissern und Mitnutznießern gebracht. Roscius hat schon früher viele Morde begangen. Der mitwissende zweite Verwandte hat sich auch noch als Treuhänder des väterlichen Vermögens an dem Sohn vergangen (S. 155f.). Es handelt sich dabei aufgrund der Treulosigkeit um ganz besondere Heimtücke, Bosheit, Habsucht (S. 158f.).Der dritte im Trio, Chrysogonus, war der Profiteur des Ganzen durch den Aufkauf. Der Kauf war nicht einmal nach damaligen Gesetzen legal, sondern ist zu spät und an den Rechnungsbüchern vorbei getätigt worden. Der Preis für die Güter war lächerlich gering. Jetzt ist ein Verschwender größten Stils der Nutznießer (S. 165f.). Gegen solche verkommene Adlige wird der wahre Adel verteidigt, der auch in der Zeit des Bürgerkriegs den römischen Tugenden treu geblieben ist (S. 167f.).

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Schluß:Der Beklagte bittet um nichts als sein Leben, will selbst seinen Besitz nicht zurückhaben (S. 170f.). Wenn die Richter ihm nicht glauben, bittet er lediglich um Gnade. Der Staat ist aufs äußerste bedroht, wenn er in dieser eklatanten Weise nicht für Recht sorgt (173f.). Wenn ein Unschuldiger verurteilt wird, wird jedes Empfinden für Menschlichkeit mit auf der Strecke bleiben (175).

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Pseudo-Longinos: Über das Erhabene, 1. Jh. n.Chr.

Dichtung ist originäres Sein wie die Natur.Nur im logos stellt sich das Erhabene dar.Das Erhabene ist letzter Maßstab und Ziel (Problem des Schwulstes)Ursprung des Erhabenen: hohe Gesinnung und Technik.Die Technik fasst das Natürliche in Regeln (Rolle des Scheins).Nur Außerordentliches wirkt.

Zitat„Das Übergewaltige nämlich führt die Hörer nicht zur Überzeugung, sondern zur Ekstase; überall wirkt, was uns erstaunt und erschüttert, jederzeit stärker als das Überredende und Gefällige, denn ob wir uns überzeugen lassen, hängt meist von uns selber ab, jenes aber übt eine unwidersteh-liche Macht und Gewalt auf jeden Zuhörer aus und beherrscht ihn vollkommen…“ (1,4)

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Quintilian: Ausbildung des Redners (Institutionis oratoriae libri XII), vor 96 I Grundlagen und VorstudienII 1-12 Beginn und Inhalt des Rhetorikunterrichts

13-21 Grundlagen und Grenzen rhetorischer TheorieIII Fachschriftsteller und Einteilung der Rhetorik (Gattungen)IV 1 Einleitung

2 Erzählung3 Exkurs4 Ankündigung des Beweisziels5 Gliederung und Beweisführung

V BeweisführungVI 1 Schluss

2-5 Pathos, Ethos, WitzVII Gliederung der Gedanken (mit Statuslehre)

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Quintillian

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VIII 1 Sprachrichtigkeit2 Klarheit3 Schmuck4 Amplifikation5 Sentenz6 Tropen

IX 1-3 Figuren4 Wortfügung

X Nachahmung und Übung (Lektüre)XI 1 Angemessenheit

2 Memorieren der Rede3 Vortrag der Rede

XII 1-9 Über den Redner (sittliche Grundlagen der Redekunst)10 Stilgattungen11 Schlussbetrachtung

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Tacitus (ca. 55-116): Dialog über die Redner (Dialogus de oratoribus), nach 102

1-4 Prolog und Vorgespräch5-10 Apers Lob der Beredsamkeit (vs. Dichtung)11-13 Maternus‘ Lob der Dichtung (vs. Beredsamkeit)14-16 Messallas Verteidigung der alten Beredsamkeit (Cicero)17-23 Apers Verteidigung der neuen Beredsamkeit (Anmut vs. Trockenheit)24-35 Messallas Verteidigung der alten Beredsamkeit (vs. Schulen der Unverschämtheit)

Lücke36-41 Maternus über historische Bedingtheit der Beredsamkeit (Rolle von Beifall und

Theater. Recht, die Mächtigen anzugreifen.

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Christliche Rhetorik

„Als ich zu euch kam, Brüder, kam ich nicht, um glänzende Reden oder gelehrte Weisheit vorzutragen, sondern um euch das Zeugnis Gottes zu verkünden… Meine Botschaft war nicht Überredung durch gewandte und kluge Worte, sondern war mit dem Erweis von Geist und Kraft verbunden, damit sich euer Glaube nicht auf Menschenweisheit stütze, sondern auf die Kraft Gottes.“ (Paulus, 1 Kor 2,1 und 4)

Ambrosius von Mailand (339-397)Hieronymus (ca. 345-420)Augustinus (354-430)

Bekenntnisse (ca. 400)Über die christliche Lehre (397; 4. Buch 426)Über den Gottesstaat (413-426/27)

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Augustinus: Über die christliche Lehre (De doctrina christiana)

PrologI 1-40 Über (Glaubens)sachen und (sprachliche) ZeichenII 1-17 Deutung der Zeichen (d.h. der biblischen Worte)

18-43 Wissenschaftliche HilfsmittelIII 1-9 Eigentlicher und bildlicher Sinn

10-37 Hilfsmittel zur Deutung des bildlichen Ausdrucks (rhetorische Figuren)IV 1-3 Rhetorik im Dienst der Verkündigung

4-11 Klarheit und Anmut der Rede12-27 Lehre von den drei Stilen28-31 Streben nach Wahrheit (vs. schöne Worte)

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PrologRegeln vs. Intuition (des Antonius)Kontrolle der Lehre (Dogmatik). Leselehre

1. BuchErfindung der Gedanken als Aufzeigung der wahren Glaubensinhalte.

2. BuchDeutung der Worte.Funktion der Dunkelheit (Rolle der zweiten Sprache, d.h. Allegorie)Über Tiere, Steine, Pflanzen, Zahlen.Stellung der Christen zu den heidnischen Wissenschaften.

3. BuchZweideutige Zeichen (Figürlichkeit erklären).Allegorie als umgekehrte Rhetorik (Hermeneutik)

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4. BuchVerteidiger der Wahrheit brauchen Waffen.Mit Cicero für die Verbindung von Weisheit und Beredsamkeit.Leitziel christlicher Beredsamkeit: Klarheit.Verkündigung auf allen Stilebenen (Belehrung, Ergötzung, Rührung)Dreistillehre (aber: in der Bibel ist alles bedeutend)Beispiele aus der BibelAbwechslungFazit: Schriftkunst. Gehorsamsgemeinschaft. Entdeckung des Problems der Vermittlung von

Sinn (als Kunst)

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Dichtungslehren des lateinischen Mittelalters (nach Paul Klopsch)

Problem: christliche Dichtung (christliche Wahrheit vs. heidnische Lügenhaftigkeit).Inspiration (Eindringen des göttlichen Geistes).Kirchenväter. Umdeutung antiker Stoffe.

Aristoteles‘ Poetik, seit 13. Jh.Horaz‘ Ars poetica als Poetria vetus, seit 8. Jh.Quintilian, Auffindung 1416 in St. GallenDominanz von Rhetorik ad Herrenium und De inventione (1. und 2. Rhetorik)Rolle der Grammatik und Logik.Ausnahme: Alcuins Rhetorik

Accessus ad auctores (persona, causa, modus, locus, tempus, materia, res))Konrad von Hirsau: Dialogus super auctores

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Die neuen Poetiken

Neues Selbstgefühl seit 11. Jh. (Chartres, Paris)Schönheit des Gedichts als Ausdruck des Göttlichen im Menschen.Quellen: Cicero, Horaz, ma. Kommentierungen dazu.

Matthäus von Vendôme: Ars versificatoria, vor 1175Beginn eines Gedichts.Zeugma und Hypozeuxis, SprichwörterFehler, die zu vermeiden sind.DescriptioAmplifikationElocutio (Figuren, Tropen, Colores)DispositioMaterialbehandlung (Variation)Korrektur. Rolle des Lehrers

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Galfried von Vinsauf: Poetria nova, um 1210Alle 5 partes, am wichtigsten elocutio.Innerer Kern und sprachliche Formung (platonisch)Dispositio (Beginn mit Sentenz)Elocutio: amplificatio und interpretatioTropen und Figuren

Johannes de Garlandia: Parisiana poetria, Mitte 13. Jh.Alle Partes, noch ausführlicher als Galfrid.Inventio nach ubi, quid, quale (materia honesta), ad quid (intentio), qualiter

(colores)

[nach Murphey]Ars dictaminis (Briefkunst)Ars praedicandi (Predigtkunst)

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Humanistenrhetorik

Die studia humaniora.Petrarca (1304-1374) sucht und findet Cicero-Briefe. Poggio Braccolini findet 1416 in St. Gallen Quintilian, 1421 in Lodi Ciceros De oratore, Orator und Brutus.Lorenzo Valla (1407-1457)

Über die Lust (1431). Dialektische Disputationen (1439).Leistungsfähigkeit und Würde des Menschen in der Sprache fundiert.

Erasmus von Rotterdam (1467-1536)Lob der Torheit (1509)Über die doppelte Fülle der Worte und Sachen (1514)Colloquia familiaria (1518)Anleitung zum Briefschreiben (1522)Der Ciceronianer (1528)

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Konfessionelle Schulrhetorik

Martin Luther (1483-1546)Ignatius von Loyola (1491-1556)Rudolf Agricola (1494-1566)Philipp Melanchthon (1497-1560)

Drei Bücher über Rhetorik (1519)Elemente der Rhetorik (1542)Dialektische Fragen (1547)

Johannes Sturm (1507-1589)Petrus Ramus (1515-1572)Cyprian Soarez (1524-1593)

Drei Bücher über Redekunst (1560)Gerhard Johannes Vossius (1577-1649)

Sechs Bücher rhetorische oder oratorische Kommentare (1606)Kurzgefasste Rhetorik (1621)

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Melanchthon

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Barockrhetorik IMartin Opitz (1597-1639)

Buch von der Deutschen Poeterey (1624)

1. Kap.: Vorrede2. Kap.: Worzue die Poeterey / vnd wann sie erfunden worden3. Kap.: Von etlichen sachen die den Poeten vorgeworffen werden; vnd derselben

entschuldigung.4. Kap.: Von der Deutschen Poeterey.5. Kap.: Von der zuegehör der Deutschen Poesie / vnd erstlich von der invention oder erfindung /

vnd Disposition oder abtheilung der dinge von denen wir schreiben wollen.6. Kap.: Von der zuebereitung vnd ziehr der worte.7. Kap.: Von den reimen / jhren wörtern vnd arten der getichte.8. Kap.: Beschluß dieses buches.

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Barockrhetorik IIChristian Weise (1642-1708)

Politischer Redner (1677)Neu-erleuterter Politischer Redner (1684)Curiöse Gedancken von teutschen Briefen (1691)Gelehrter Redner (1692)Freimüthiger und höfflicher Redner (1693)Oratorisches System (1607)

KurzbiografieGeb. 1642 in Zittau. Schon vor der Schule Unterricht beim Vater (lat. Chrien).Komödienproduktion als Student in Leipzig. Disputationen.Magister der Philosophie, Vorlesungen.Sekretärstelle beim Grafen von Leiningen in Halle. Hofmeister in Halle.Professor der Politik, Rhetorik und Poesie am Weißenfelser Gymnasium (Ritterakademie).

Dort entsteht der Politische Redner.Seit 1678 Rektor am Zittauer Gymnasius. Dort Schultheater (großer Erfolg).

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Christian Weise

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Die politische Bewegung

Polemik gegen Schulrhetorik (Vossius), Rhetorik für das „Leben selbst“.Politisches Schrifttum: Tacitismus/Machiavellismus (ratio status, Staatsräson).Verbot des Machiavellismus auf dem Tridentinischen Konzil 1545-64.Übertragung auf Privatpolitik bei Baltasar Gracián im Oráculo manual (1647).

Hauptproblem: Missgunst der anderen, Durchsetzung des Glücks.Anthropologische Fundierung in der Selbstliebe (Kompliment).

[nach V. Sinemus]Angemessenheit bei Harsdörffer (Abbildung der Rangordnung der Welt)

und Weise (Instrumentalisierung des Angemessenen).Entwicklung des Geschmacksbegriffs.Vom ständischen zum politischen decorum bei Weise.Nützlichkeit der Rhetorik für das gemeine Leben.Gemüt und Naturell als stilbildende Kräfte.Historisierung des decorum (Legitimierung nicht mehr in der göttlichen Weltordnung).

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Weise: Neu-erleuterter Politischer Redner (1684)

Teil I1. Kap.: Vom Periodo2. Kap.: Wie ein Periodus mit dem andern soll verbunden werden (Von der Connexion)3. Kap.: Von der Chria4. Kap.: Wie ein Periodus mit dem andern durch Thesin und Hypothesin verbunden wird 5. Kap.: Wie sich die Periodi durch Antecedens und Consequens verbinden laßen

Teil II1. Kap.: Von der vollkommenen Oration2. Kap.: Von den Reden, die sich durch artige Connexionen und also durch ein stetiges

Antecedens und Consequens ordnen laßen3. Kap.: Von den Reden, welche sich durch Thesin und Hypothesin dirigieren laßen4. Kap.: Von der vollkommenen und weitleufftigen Oration5. Kap.: Von der Eloquenz, derer man sich in gelehrten Discursen gebrauchet

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Abmahnung von der Saufferey (Neu-erl. Polit. Redner)

Nach dem es leider dahin kommen ist, daß er sich durch lose und ungesunder Gesellschafft zu allerhand üüppigem Wesen schändlich verleiten lassen;So bin ich nicht unbillig von Hertzen betrübet, daßUnd gleichwie er selbst allbereit an sich befinden wird…Also kann er sich leicht die Rechnung machen, wie…In maßen ich um seiner eigenen Wohlfarth willen bitte…Im übrigen mag es lauffen, wie es will, so verhoffe ich mein Gewissen in dieser treuen Erinnerung verwahret zu haben.

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August Bohse [Talander]Neu-erleuterter Briefsteller (1697)

1.Teil3. Kap.: Von den Periodis und Connexionen4. Kap.: Teile eines Briefs7. Kap.: Stil

leichtverständlich und deutlichwohlfließend und zierlich

8. Kap.: Orthographie11. Kap.: Visit-Schreiben10. Kap.: Gattungen [im Folgenden zu Gratulation, Kondolenz, Anwerbung, Danbk, Anerbietung, Einladung, Abschied, Benachrichtigung usf.]2.TeilGeschäftsschreiben (Bitten an große Herren, Mahnbriefe, Entschuldigungen usf.)Anhang: Titular-Buch

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Christian Friedrich Hunold [Menantes]Die allerneuste Art höflich und galant zu schreiben (1702)

[Komplimentiertechnik]

Die Manier höflich und wohl zu reden und leben (1702)Vorr.: Kurze und gute KomplimenteAnwerbungs-KomplimenteVisit-Komplimenteusf.

Benjamin Neukirch: Anweisung zu Teutschen Briefen (1709)

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Aufgeklärte Rhetorik IRené Descartes (1596-1650)

Regeln zur Ausrichtung der Erkenntniskraft (1628)Die Leidenschaften der Seele (1649)

Antoine Arnauld (1612-1694) Die Logik oder die Kunst des Denkens (1662, 1685)

Géraud de Cordemoy (ca. 1620-1684)Physikalische Abhandlung über die Sprache (1668)

Bernard Lamy (1640-1715)Kunst zu reden (1675)

Rolle des Jansenismus im Kloster Port Royal.Jansenius‘ Buch über Augustinus. Beherrschendes Thema der Selbstliebe (Blaise Pascal)Verbindung von Cartesianismus und Augustinismus

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Antoine Arnauld: Die Logik oder die Kunst des Denkens

Dritter Teil, Kap. XVII: Von den Loci argumentorum Der Geist und der gesunde Menschenverstand liefern immer genug Inhalte.Die Natur liefert ein allgemeines Wissen über den Schluss. Gegen Cicero und Quintilian.Nur allgemeine, alltägliche, abgelegene (also unnütze) Gedanken.

Dritter Teil, Kap.: XX: Über die schlechten Schlüsse im privaten Leben und in den täglichen RedenÜber Sophismen aus Eigenliebe, Interesse und Leidenschaft.Sophismen als Illusionen des Herzens.Bequemes Prinzip, Recht zu haben.Beispiele.Den anderen so wenig wie möglich reizen.Über disputierwütige Wortklauberei.Rolle der Lobreden.

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Bernard Lamy: Kunst zu reden

1. Buch: Grammatik1. Hst.: Wörter, Sachen, Gedanken2. Hst.: Wortarten und Bezeichnungsweisen3. Hst.: Ausdrückbarkeit4. Hst.: Gebrauch und Zierlichkeit

2. Buch: Tropen und Figuren1. Hst.: Notwendigkeit der Tropen2. Hst.: Gebrauch der Tropen3. Hst.: Notwendigkeit der Figuren4. Hst.: Anzahl der Figuren

3. Buch: Klanglehre (Prosodie)1. Hst.: Töne und Aussprache2. Hst.: Voraussetzungen der annehmlichkeit3. Hst.: Gestaltung des Satzes4. Hst.: Verslehre

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4. Buch: Stilistik1.Hst.: Stil und Einbildungskraft2. Hst.: Drei-Stil-Lehre3. Hst.: Stil der Redner, Historiker, Dichter4. Hst.: Angemessenheit des (künstlichen) Schmucks

Abhandlung von der Kunst zu überreden1.Hst.: Bearbeitungsphasen der Rede2. Hst.: Psychologische Mittel3. Hst.: Über Leidenschaftserregung4. Hst.: Erfindung und Gliederung der Gedanken

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Aufgeklärte Rhetorik IINicolas Boileau-Despréaux (1636-1711)

Poetik (1674)Christian Wolff (1679-1754)Johann Andreas Fabricius (1696-1769)

Philosophische Oratorie (1724)Johann Christoph Gottsched (1700-1766)

Grundriß zu einer vernunfftmässigen Redekunst (1729)

Versuch einer Critischen Dichtkunst (1730, 1751)

Ausführliche Redekunst (1736)

Von der nobilitas literaria zum „größten Haufen“ (Breitinger)

Literarischer Markt (vom Mäzen zum Publikum)

Aufgeklärte Philosophie (natürliche Gleichheit aller)

Notwendigkeit der sinnlichen Vermittlung moralischer Wahrheiten.

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Johann Christoph Gottsched Christian Wolff

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Die Gottschedin

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Johann Christoph Gottsched:Vernunftmäßige RedekunstAllgemeiner Theil

Historische Einleitung1. Hst.: Was die Redekunst sey

2. Hst.: Von dem Character eines Redners3. Hst.: Von der Eintheilung der Redekunst4. Hst.: Von der Erfindung der Eingänge5. Hst.: Von den Erklärungen in einer Rede6. Hst.: Von den Beweisgründen7. Hst.: Von der Widerlegung der Einwürfe8. Hst.: Von den Erläuterungen in einer Rede9. Hst.: Von der Erregung und Dämpfung der Gemüthsbewegungen und dem Beschlusse10. Hst. Von der Anordnung oder Einrichtung einer Rede11. Hst.: Von den Chrien12. Hst.: Von der Ausarbeitung einer Rede13. Hst.: Von den Wörtern und Redensarten14. Hst.: Von den Perioden und den Figuren15. Hst.: Von der Schreibart16. Hst.: Von der guten Schreibart17. Hst.: Vom guten Vortrage18. Hst.: Von den guten Stellungen und Bewegungen

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Besonderer Teil1. Hst.: Von den Uebersetzungen2. Hst.: Von der Nachahmung3. Hst.: Von den grossen Lobreden4. Hst.: Von Trauerreden5. Hst.: Von geistlichen Lehrreden oder Predigten6. Hst.: Von den öffentlichen Reden auf Schulen7. Hst.: Wider die homiletischen Methodenkünstler8. Hst.: Von den Reden der Studierenden9. Hst.: Von den Hof- und Staatsreden10. Hst: Von Standreden und Personalien11. Hst.: Von Verlobungs-, Trauungs- und Strohkranzreden

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Johann Christoph Gottsched: Versuch einer kritischen Dichtkunst

Übers. von Horaz‘ Poetik (vorangestellt) Erster Teil I. Hst.: Ursprung und Wachstum der Poesie

Natur lehrt uns, Gemütsbewegungen ausdrücken (dadurch rühren)II. Hst.: Vom Charakter eines Poeten

Geschickter Nachahmer aller natürlichen Dinge.Witz: Ähnlichkeiten der Dinge wahrnehmen.Nachahmung von Handlungen

III. Hst.: Vom guten Geschmack eines PoetenGeschmack: nicht deutlich (verderbte Zunge!)Wahrer Grund: in der unveränderlichen Ordnung der Dinge.Nachahmung der Natur (dem Verstand gefällig)Schwer ist nur die Begründung des Urteils (nicht nach dem großen Haufen)

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IV. Hst.: FabelV. Hst.: Das WunderbareVI. Hst.: WahrscheinlichkeitVII. Hst.: Poetische WorteVIII. Hst: Verblümte RedensartenIX. Hst.: PeriodenX. Hst.: FigurenXI. Hst.: Poetische SchreibartXII. Hst.: Silben und Reime

Zweiter Teil: Einzelne Gattungen

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Von Gottsched zu Kant

Gottscheds Rechtfertigung der Wahrscheinlichkeit: starke Speise nichts für ‚alle‘.Wildes Pferd regieren: Tücke kennen.„Wahrheit und Nachdruck“.Strategie der Wahrheitsfindung.Stil: Ausdruck „aufputzen“.Warum „unklare“ Anschauungen statt klarer Erkenntnis? Wirksamkeit.Wolff: „anschauende Erkenntnis“.Breitinger: „unschuldige List“, mit der die Poesie „Dolmetscherin der Wahrheit“ wird.Dubos: sechster Sinn, Beifall der „Vielen“.Baumgarten: eigenes Recht der Sinnlichkeit (sinnliche Darstellung der Wahrheit).

Kant: Kritik der Urteilskraft, § 53.

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Friedrich Schiller (1759-1805)Über Anmut und Würde (1793)

Schönheit und Anmut (Anmut als Schönheit in der Bewegung).Ausdruck moralischer Empfindungen.Schönheit gefällt der Vernunft (erlangt Bürgerrecht in der Vernunftwelt)Das Willkürliche muss unwillkürlich geschehen (nicht Kunst).Im Sinnlichen zeigt sich Moral (Gunst, die das Sittliche dem Sinnlichen erweist).Vernunft und Sinnlichkeit (Pflicht und Neigung) vereint.Vernunft mit Freude gehorchen (schöne Seele)Anmut: Ausdruck einer schönen SeeleWürde: Ausdruck einer erhabenen Gesinnung

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Friedrich Schiller

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Friedrich Schiller: Briefe über die ästhetische Erziehung (1795)

10. BriefGegen gefälligen Effekt in der Erscheinung, gegen Politur des Betragens.Schönheit als notwendige Bedingung des Menschseins.Der transzendentale Weg (Erfahrung nicht der Richterstuhl).

23. BriefWie kann man den sinnlichen Menschen vernünftig machen? Ihn ästhetisch machen!In der ästhetischen Stimmung Selbsttätigkeit der Vernunft auf dem Felde der Sinnlichkeit eröffnet.Ästhetisch gestimmter Mensch urteilt allgemeingültig (von Schönheit zur Wahrheit).Der Form unterwerfen (statt Naturgesetz)Kreig gegen die Materie in ihre eigene Grenze spielen

25. BriefMit Schönheit in die Welt der Ideen.Vereinbarkeit von Materie und Form erleben

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Heinrich von KleistÜber das Marionettentheater (1810)

Unnachahmliche Leichtigkeit der Marionetten (Unmöglichkeit der Ziererei).Rolle der Schwerkraft („antigrav“).Mensch unterliegt nicht nur Trägheit, sondern Bewusstsein.Band zwischen Vernunft und Natur ist zerrissen.Bär ist unschlagbarer Fechter, graziös.Jüngling versagt bei Versuch der Wiederholung.Erreichen von Anmut als unendliche Aufgabe der Wiedererlangung.Wieder vom Baum der Erkenntnis essen, um zur Unschuld zurückzukehren.

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Heinrich von Kleist