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42 ARZT & WIRTSCHAFT 08/2018 RECHT E in Patient kommt in die Praxis und möchte ein rückwirkendes Attest. Er sei bereits seit gestern krank, ha- be aber wegen starken Durchfalls nicht in die Sprechstunde kommen können. Darf der Arzt eine Arbeitsunfähigkeitsbeschei- nigung ausstellen? Der Fall scheint simpel, birgt aber Tücken. Es sind Fragen wie die- se, die das Arzt-Patienten-Verhältnis be- lasten können. Wie entscheiden? Was eine Arbeitsunfähigkeit ist und wie sie festgestellt wird, ergibt sich für den Kassenarzt aus der sogenannten Richtli- nie über die Beurteilung von Arbeitsunfä- higkeit und zur stufenweisen Wiederein- gliederung (Arbeitsunfähigkeits-Richtlini- en). Danach liegt Arbeitsunfähigkeit dann vor, wenn Patienten aufgrund einer Krankheit ihre zuletzt ausgeübte Tätigkeit nicht mehr oder nur unter der Gefahr der Verschlimmerung ihres Gesundheitszu- standes ausführen können. Arbeitsunfä- 1. Teil CME-Fortbildung „Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung“ Arbeitsunfähigkeit richtig attestieren In der Praxis treten bei Krankschreibungen immer wieder Konstellationen auf, die den Arzt in´s Grübeln bringen. Manchmal sind fast juristische Kenntnisse nötig, um richtig zu entscheiden. Was bei der AU grundsätzlich zu beachten ist, damit Patienten gut versorgt sind und welche Fallstricke lauern. Bild: ©Picture-Factory - stock.adobe.com hig kann ein Patient auch dann sein, wenn der bestehende Krankheitszustand für sich allein noch keine Arbeitsunfähigkeit auslöst, aber absehbar ist, dass es für die Gesundheit oder die Genesung nachteilig ist und unmittelbar zur Arbeitsunfähig- keit führt, wenn der Patient arbeitet (§ 2 Abs. 1 Arbeitsunfähigkeits-Richtli- nie). Für privat versicherte Patienten exis- tiert eine solche Regelung nicht. Die Grundsätze der Arbeitsunfähigkeits- Richtlinie lassen sich jedoch heranziehen. Ärzte müssen für die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit also zweierlei feststel- len: Zum einen, dass der Patient krank ist, zum anderen, dass er aufgrund der Krank- heit seine derzeitige berufliche Tätigkeit nicht mehr ausüben kann. Da zwischen der Krankheit und der dadurch bedingten Arbeitsunfähigkeit ein kausaler Zusam- menhang bestehen muss, müssen Ärzte ih- ren Patienten darüber befragen, welche A&W CME-SERVICE CME-Fortbildung online ARZT & WIRTSCHAFT bietet für Sie gemeinsam mit MedLearning kosten- freie Fortbildungen, die wichtige The- men rund um die Praxisführung ab- decken. Die Fortbildung „Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung“ ist mit zwei CME-Punkten zertifiziert. Und so funktioniert’s: Im September folgt in A&W Teil 2 der Fortbildung „Ausgewählte Fragestellungen aus der Praxis“. Sie können die ganze Fortbildung schon jetzt im Internet unter cme.medlearning.de/aw.htm einsehen und sie dort online absolvieren. Ist die Patientin wirk- lich krank? Und kann sie dadurch nicht arbeiten? Ärztinnen und Ärzte müssen eine Krankschreibung sorgfältig prüfen.

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42 Arzt & WirtschAft 08/2018

Recht

Ein Patient kommt in die Praxis und möchte ein rückwirkendes Attest. Er sei bereits seit gestern krank, ha-

be aber wegen starken Durchfalls nicht in die Sprechstunde kommen können. Darf der Arzt eine Arbeitsunfähigkeitsbeschei-nigung ausstellen? Der Fall scheint simpel, birgt aber Tücken. Es sind Fragen wie die-se, die das Arzt-Patienten-Verhältnis be-lasten können. Wie entscheiden?

Was eine Arbeitsunfähigkeit ist und wie sie festgestellt wird, ergibt sich für den Kassenarzt aus der sogenannten Richtli-nie über die Beurteilung von Arbeitsunfä-higkeit und zur stufenweisen Wiederein-gliederung (Arbeitsunfähigkeits-Richtlini-en). Danach liegt Arbeitsunfähigkeit dann vor, wenn Patienten aufgrund einer Krankheit ihre zuletzt ausgeübte Tätigkeit nicht mehr oder nur unter der Gefahr der Verschlimmerung ihres Gesundheitszu-standes ausführen können. Arbeitsunfä-

1. Teil CME-Fortbildung „Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung“

Arbeitsunfähigkeit richtig attestierenIn der Praxis treten bei Krankschreibungen immer wieder Konstellationen auf, die den Arzt in´s Grübeln bringen. Manchmal sind fast juristische Kenntnisse nötig, um richtig zu entscheiden. Was bei der AU grundsätzlich zu beachten ist, damit Patienten gut versorgt sind und welche Fallstricke lauern.

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mhig kann ein Patient auch dann sein, wenn der bestehende Krankheitszustand für sich allein noch keine Arbeitsunfähigkeit auslöst, aber absehbar ist, dass es für die Gesundheit oder die Genesung nachteilig ist und unmittelbar zur Arbeitsunfähig-keit führt, wenn der Patient arbeitet (§ 2 Abs. 1 Arbeitsunfähigkeits-Richtli-nie). Für privat versicherte Patienten exis-tiert eine solche Regelung nicht. Die Grundsätze der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie lassen sich jedoch heranziehen.

Ärzte müssen für die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit also zweierlei feststel-len: Zum einen, dass der Patient krank ist, zum anderen, dass er aufgrund der Krank-heit seine derzeitige berufliche Tätigkeit nicht mehr ausüben kann. Da zwischen der Krankheit und der dadurch bedingten Arbeitsunfähigkeit ein kausaler Zusam-menhang bestehen muss, müssen Ärzte ih-ren Patienten darüber befragen, welche

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cMe-Fortbildung onlineArzt & WirtschAft bietet für sie gemeinsam mit MedLearning kosten-freie fortbildungen, die wichtige the-men rund um die Praxisführung ab-decken. Die fortbildung „Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung“ ist mit zwei cME-Punkten zertifiziert.

Und so funktioniert’s:

•im september folgt in A&W teil 2 der fortbildung „Ausgewählte fragestellungen aus der Praxis“.

•sie können die ganze fortbildung schon jetzt im internet unter cme.medlearning.de/aw.htm einsehen und sie dort online absolvieren.

ist die Patientin wirk-lich krank? Und kann sie dadurch nicht arbeiten? Ärztinnen und Ärzte müssen eine Krankschreibung sorgfältig prüfen.

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A&W-KoMpAKtWas kranke patienten dürfenViele Patienten fragen: Was darf ich tun? Während einer Krankschreibung dürfen sie nichts unternehmen, was die Genesung gefährdet oder verzö-gert. Was der Patient allerdings im Einzelfall tun darf, hängt stark von der Art der Erkrankung ab.so sollte ein Patient mit einem gebro-chenen fuß nicht fußball spielen. Und mit einer Bronchitis hat ein Pati-ent nichts beim shoppen zu suchen. Ein spaziergang an der frischen Luft kann dagegen bei einer Erkältung oder einem rückenleiden helfen. Ver-ordnet der Arzt keine Bettruhe, darf der Patient auch im supermarkt ein-kaufen. Der gesunde Menschenver-stand ist hier ein guter Gradmesser dafür, was noch erlaubt oder schon verboten ist. Psychische Erkrankun-gen nehmen dabei eine gewisse son-derstellung ein. Vieles, was bei kör-perlichen Beschwerden gar nicht geht, kann hier sogar wünschenswert sein, etwa sport, spazierengehen, Joggen oder tanzen.

Anforderungen und Belastungen er am Arbeitsplatz ausgesetzt ist und die Anga-ben bei der Beurteilung von Grund und Dauer der Arbeitsunfähigkeit für eine op-timale Genesung berücksichtigen.

Leidet der Patient an einer Erkrankung, die immer zu einer Arbeitsunfähigkeit führt wie etwa einer Grippe, ist die Ent-scheidung für den Arzt klar. Ebenso bei Erkrankungen, die so leicht sind, dass sie grundsätzlich nie zu einer Arbeitsunfähig-keit führen. Dazwischen gibt es aber un-zählig viele Abstufungen und Fälle: Ist ei-ne Patientin mit einer Paronychie am rechten großen Zeh arbeitsunfähig? Darf ein Patient mit einer Salmonellen-Infekti-on nach Abklingen der Symptome nach sieben Tagen wieder arbeiten? Ist eine Pa-tientin mit einer Laryngitis einsatzfähig?

Anderer patient – andere Umstände

Die meisten Fälle lassen sich nicht pau-schal beantworten. Es kommt eben dar-auf an, welchen konkreten Anforderun-gen der Patient an seinem Arbeitsplatz ausgesetzt ist. Daher ist der Arzt verpflich-tet, sich diese schildern zu lassen und ent-sprechend zu entscheiden. Doch wie weit gehen seine Erkundigungspflichten? Der behandelnde Arzt muss fragen, welchen Beruf der Patient ausübt und was er dabei konkret zu tun hat. Er muss sich dazu aber nicht den Arbeitsvertrag des Patien-ten vorlegen lassen, er darf dessen Schilde-rungen vertrauen. So kann eine Patientin mit Paronychie am Zeh arbeitsfähig sein, wenn sie Informatikerin ist und program-miert. Eine Flugbegleiterin wird mit dieser Erkrankung unter Umständen nicht ar-beitsfähig sein, wenn sie die zu ihrer Be-rufskleidung vorgeschriebenen Schuhe aufgrund von Schwellung und Schmerzen nicht tragen kann und ihr ein stundenlan-ges Stehen auf einem Langstreckenflug nicht zumutbar ist. Ein Patient mit Salmo-nellen-Infektion ist dagegen nach Abklin-gen der Symptome wieder arbeitsfähig – sogar dann, wenn er in einer Großküche arbeitet. Ärzte dürfen daher in diesem Fall keine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausstellen. Aufpassen müssen sie trotz-dem! Denn der Patient darf dennoch nicht in seinem Beruf arbeiten. Der Arzt muss in diesem Fall ein Beschäftigungsverbot aus-sprechen. Und die Patientin mit Laryngi-tis? Sie kann je nach Schwere arbeitsfähig

sein, wenn sie als Steuerberaterin arbeitet oder arbeitsunfähig, wenn sie Lehrerin ist.

Ist der Patient arbeitsunfähig, stellt der Arzt eine sogenannte Arbeitsunfähig-keitsbescheinigung aus, also eine ärztli-che Bescheinigung über das Bestehen ei-ner Arbeitsunfähigkeit sowie deren vor-aussichtliche Dauer. Für den Patienten steckt folgendes dahinter: Nach dem Ent-geltfortzahlungsgesetz (EFZG) muss der Arbeitnehmer seinem Chef eine solche Bescheinigung vorlegen, wenn die Ar-beitsunfähigkeit länger als drei Kalender-tage dauert (§ 5 Abs. 1 EFZG). Die AU-Bescheinigung ist dabei spätestens an dem Arbeitstag vorzulegen, der auf die ersten drei Kalendertage der Arbeitsunfä-higkeit folgt. Der Arbeitgeber kann aller-dings die Vorlage der Bescheinigung schon früher als gesetzlich vorgeschrie-ben verlangen (§ 5 Abs. 1 Satz 3 EFZG). Bereits eine Vorlagepflicht am ersten Tag der Krankheit wurde vom Bundesarbeits-gericht als zulässig erachtet. Die Beschei-nigung erfolgt auf dem Vordruck 1 der KBV-Formulare. Das Muster 1d verbleibt beim ausstellenden Vertragsarzt und soll nach den Erläuterungen zur Vordruck-vereinbarung mindestens zwölf Monate aufbewahrt werden.

privatärzte und privatpatienten

Wichtig für Privatärzte: Für einen gesetz-lich versicherten Patienten ist für den Be-zug der Entgeltfortzahlung im Krank-heitsfall auch die Vorlage eines privatärzt-lichen Attest ausreichend, das er dann freilich selbst bezahlen muss, ebenso wie die Behandlung. Die Arbeitsunfähigkeit muss also nicht zwingend auf dem Vor-druck 1 der KBV-Formulare erfolgen. Diese darf der Privatarzt auch nicht ver-wenden. Nach dem klaren Wortlaut des § 5 EFZG ist jede ärztliche Bescheinigung mit dem Mindestinhalt des § 5 EFZG aus-reichend. Sie muss also die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit sowie deren vor-aussichtliche Dauer beinhalten. Das glei-che gilt für die Feststellung der Arbeitsun-fähigkeit für den Bezug von Krankengeld (§§ 44 ff. SGB V). Auch hier verlangt das Gesetz keine vertragsärztliche Bescheini-gung. Das haben bereits mehrere Sozial-gerichte bestätigt. Allerdings sollten Pri-vatärzte ihre Patienten aufgrund ihrer Fürsorgepflicht als Nebenpflicht aus dem

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44 Arzt & WirtschAft 08/2018

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Behandlungsvertrag darauf hinweisen, dass bei einer privatärztlichen Arbeitsun-fähigkeitsbescheinigung eine höhere Wahrscheinlichkeit für eine Überprüfung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) bestehen kann.

Eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, die Kassenärzte ihren Privatpatienten aus-stellen, muss wegen der Entgeltfortzah-lung im Krankheitsfall ebenfalls die nach dem EFZG notwendigen Angaben enthal-ten. Das Muster 1 darf dafür aber nicht verwendet werden, da vertragsärztliche Formulare nur zur Verwendung für die vertragsärztliche Versorgung vorgesehen sind. Die Arbeitsunfähigkeit kann bei Pri-vatpatienten formlos attestiert werden.

Für die vertragsärztliche Versorgung gilt: Das Kästchen „Erstbescheinigung“ muss der Arzt ankreuzen, der die Arbeits-unfähigkeit erstmalig festgestellt hat. Bei einer Weiterbehandlung oder Mitbehand-lung muss er das Kästchen „Folgebeschei-nigung“ ankreuzen.

Unsicherheit wirft immer wieder die Frage auf, wie mit Patienten zu verfahren ist, die in die Praxis kommen und um eine rückwirkende Arbeitsunfähigkeitsbe-scheinigung bitten. Diese Konstellation kann sich ergeben, wenn Patienten bei ih-rem Arbeitgeber erst ab dem dritten Tag eine Krankschreibung vorlegen müssen und sie zunächst glauben, schnell wieder gesund zu werden. Auch manche Erkran-kung wie etwa eine Diarrhö können den Patienten davon abhalten, zeitnah einen Arzt aufzusuchen.

Grundsätzlich darf der Arzt erst ab dem Tag der Behandlung bescheinigen, dass

der Patient arbeitsunfähig ist, also dann, wenn dieser erstmals in seine Praxis kommt. Das sieht § 5 Absatz 3 der Ar-beitsunfähigkeits-Richtlinie vor. In Aus-nahmefällen und nur nach gewissenhafter Prüfung durch den Arzt ist eine rückwir-kende Krankschreibung erlaubt. Es muss für den Arzt aber nachvollziehbar sein, dass der Patient vorher bereits arbeitsun-fähig erkrankt war. Die Rückdatierung ist allerdings nur bis zu drei Tage möglich. Diese Regelung gilt erst seit dem 4. März 2016. Zuvor waren laut Arbeitsunfähig-keits-Richtlinie zwei Tage vorgesehen. Um zu gewährleisten, dass eine Arbeitsun-fähigkeit auch für den Zeitraum einer Notfallversorgung rückwirkend beschei-nigt werden kann – etwa für das Wochen-ende – wurde die Richtlinie angepasst.

Ärger mit der Folgebescheinigung

Immer wieder fragen Patienten auch, wann sie bei einer längeren Krankheit für eine Folgebescheinigung in der Arztpra-xis erscheinen müssen: am letzten Tag der aktuellen Arbeitsunfähigkeitsbescheini-gung oder erst am Folgetag? Eine Folge-

bescheinigung muss spätestens an dem Werktag ausgestellt werden, der auf den letzten Tag der zunächst prognostizierten Arbeitsunfähigkeit folgt. Dann gilt die Er-krankung als lückenlos. Gilt die AU-Be-scheinigung beispielsweise bis Dienstag, genügt es, wenn der Patient am Mittwoch wieder in der Praxis erscheint. Das gilt mittlerweile auch für den Bezug von Krankengeld (§ 5 Abs. 3 Satz 5 Arbeitsun-fähigkeits-Richtlinie). Nach Ablauf des Sechs-Wochen-Zeitraums für die Entgelt-fortzahlung müssen Ärzte die Arbeitsun-fähigkeit dann ebenfalls auf dem „gelben Schein“ attestieren. Voraussetzung für die Lückenlosigkeit ist auch hier, dass der Arzt die weitere Arbeitsunfähigkeit we-gen derselben Krankheit spätestens am nächsten Werktag nach dem zuletzt be-scheinigten Ende der Arbeitsunfähigkeit feststellt. Samstage gelten hier nicht als Werktage.

Bis Mitte 2015 war diese Regelung üb-rigens noch deutlich strenger: Erschien der Versicherte nicht am letzten beschei-nigten Krankheitstag erneut beim Arzt, konnte er keine lückenlose Krankschrei-bung nachweisen. Eine böse Falle für den Patienten. Endete die Krankschreibung an einem Freitag, genügte es nicht, erst am Montag den Arzt aufzusuchen. Nach jetzt geltendem Recht reicht dies dagegen aus. Folgebescheinigungen dürfen übrigens bereits vor Ablauf der aktuellen Arbeits-unfähigkeitsbescheinigung ausgestellt werden. Da für den Anspruch auf Kran-kengeld ein lückenloser Nachweis der Krankheit nötig ist, ist eine rückwirkende Feststellung aber nicht möglich. n

Ina Reinsch

Länger krank? Eine Folgebescheinigung muss sich nicht mehr mit der Erstbe-scheinigung überlappen .

Salmonellen? Ein Koch kann arbeitsfähig sein, der Arzt muss aber ein Beschäfti-gungsverbot aussprechen.

Arbeitsunfähig? Das hängt von der Tätig-keit ab. Wer viel reden muss, kann mit La-ryngitis nicht arbeiten.

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Im VorausEine AU soll nicht

für mehr als zwei Wo-chen im Voraus beschei-

nigt werden. in Ausnahme-fällen ist eine Dauer von

bis zu einem Monat möglich. Mehr geht

nicht.

titelGeSchichte

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58 Arzt & WirtschAft 09/2018

Recht

Ein Allgemeinmediziner vereinbart mit einem Patienten einen Termin für die Öffnung eines Abszesses in

drei Tagen. Der Patient bittet um ein Attest, da bereits bei Terminvereinbarung abseh-bar ist, dass er nach dem Eingriff für einen Tag nicht arbeiten kann. Doch darf der Arzt die Krankschreibung bereits jetzt aus-stellen, nur weil der Patient drängt?

Einige knifflige Konstellationen rund um die Arbeitsunfähigkeit (AU) bringen Ärzte immer mal wieder ins Trudeln. So dürfen Ärzte beispielsweise für planbare Arztbesuche zu diagnostischen und thera-peutischen Zwecken keine AU-Bescheini-gung ausstellen, wenn die Behandlung selbst nicht zur Arbeitsunfähigkeit führt – auch wenn der Patient darum bittet. Auch bei rein kosmetischen Eingriffen oder Be-handlungen ohne krankheitsbedingten Hintergrund darf der Arzt nach der Ar-beitsunfähigkeits-Richtlinie keine Arbeits-unfähigkeit attestieren. Der Patient muss für solche Behandlungen Urlaub nehmen.

Patienten die Rechtslage erklären

Und schließlich dürfen Arbeitsunfähig-keitsbescheinigungen für geplante ambu-lante Eingriffe nicht bereits im Voraus ausgestellt werden. Denn laut Arbeitsun-fähigkeits-Richtlinie muss der Arzt sich vom Krankheitszustand des Patienten überzeugen, um die Dauer der Arbeitsun-fähigkeit festlegen zu können. Zudem wä-re es möglich, dass der ambulante Eingriff verschoben wird und der Patient an die-sem Tag somit arbeitsfähig wäre.

Für Patienten, deren Kind krank ist, dürfen Ärzte ebenfalls keine AU-Beschei-nigung ausstellen – bei allem Verständnis für die Eltern. Denn krank ist nicht der Patient. Diese Infos können dem Patien-ten helfen: Ist das Kind jünger als zwölf Jahre, haben gesetzlich versicherte Patien-ten einen Anspruch auf Kinderkranken-geld für maximal zehn Tage im Jahr (Mus-ter 21). Der Anspruch besteht jeweils für

2. Teil CME-Fortbildung „Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung“

So gehen Ärzte den richtigen WegKrankschreibungen gehören zum täglichen Brot – und können doch so kompliziert sein. Wir geben Antworten auf ausgewählte Fragestellungen und erklären, was Sie für Ihre Patienten beachten müssen.

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beide Elternteile. Eltern von zwei kleinen Kindern kommen so auf jeweils 20 Tage pro Jahr. Bei mehr als zwei Kindern ist der Anspruch auf maximal 25 Tage im Jahr pro Elternteil begrenzt. Alleinerziehenden stehen längstens 20 Tage pro Kind zu, bei mehr als zwei Kindern liegt die Obergren-ze bei insgesamt 50 Tagen.

Nicht selten kommen Patienten nach einer Krankschreibung auch mit dem Wunsch in die Praxis, eine „Gesundmel-dung“ zu erhalten, etwa weil der Arbeit-geber sichergehen möchte, dass der Mit-arbeiter nach einer Krankheit wieder ein-satzfähig ist oder der Patient vor Ablauf der Krankschreibung an seinen Arbeits-platz zurückkehren möchte. Rechtlich ge-sehen gibt es eine Gesundschreibung je-doch nicht. Sie ist auch nicht notwendig, da eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zwar eine Dauer angibt, diese aber nur ei-ne Prognose darstellt. Das sollten Ärzte für ihre Patienten wissen. Wenn ein un-einsichtiger Chef oder ein überbesorgter Patient sie dennoch verlangt, muss der Patient sie selbst bezahlen, da sie keine Kassenleistung darstellt.

Gerade Gynäkologen, Urologen und Psy-chiater werden immer wieder mit dem Wunsch konfrontiert, eine Arbeitsunfä-higkeitsbescheinigung ohne Praxisstem-pel zu erhalten. Das ist aus Patientensicht nachvollziehbar – verrät doch der Stem-pel dem Arbeitgeber etwas über die zu-grundeliegende Erkrankung. Das möchte nicht jeder. Das Entgeltfortzahlungsge-setz fordert als Mindestinhalt einer Ar-beitsunfähigkeitsbescheinigung nur die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit sowie deren voraussichtliche Dauer, nicht je-doch die Diagnose oder die Fachrichtung des Arztes.

Wenn kein Stempel auf die AU soll

Ein Stempel, der Rückschlüsse auf das Fachgebiet und damit auf die Krankheit zulässt, ist datenschutzrechtlich bedenk-lich. Eine zufriedenstellende Lösung exis-tiert für das Problem jedoch bislang nicht. Zu einem Vertragsarztstempel gehört die Gebietsbezeichnung und die Vordrucke sehen den Arztstempel vor. Daher ist es nicht korrekt, auf den Stempel zu verzich-

im Labyrinth der rechtlichen Vorschriften können sich Ärzte leicht verirren. Wer den Über-blick behält, kann in punkto AU auch unter zeitdruck die richtigen Entscheidungen treffen.

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Arzt & WirtschAft 09/2018 59

Recht

Atteste für Schülerschüler sind gesetzlich verpflichtet, regelmäßig am Unterricht sowie an sonstigen schulveranstal-tungen teilzunehmen. ist ein Kind krank, genügt in der regel die Mitteilung des sorgeberechtigten an die schule. hat die schul-leitung begründete zwei-fel daran, dass der schü-lers aus gesundheitlichen Gründen nicht am Unterricht teilnimmt, kann sie die Vorlage einer ärztlichen Beschei-nigung verlangen. Bei einer solchen Be-scheinigung handelt es sich aber nicht um eine AU-Bescheinigung für Versi-cherte. Das Attest kann somit formlos erfolgen. Es liegt im Verantwortungs-

bereich der Eltern, dass es den formalen Vorga-ben der schule ent-spricht. sie tragen im Üb-rigen auch die Kosten für die Bescheinigung, die vom Arzt persönlich un-terschrieben werden muss. Da auch ein form-loses Attest ein Gesund-heitszeugnis im sinne

des strafgesetzbuchs darstellt, dürfen Ärzte auch für schüler keine Gefällig-keitsatteste etwa kurz vor den ferien oder an religiösen feiertagen ausstel-len, wenn der Patient nicht wirklich er-krankt ist. Das müssen sie ihren Patien-ten klar sagen. Dies wäre nach § 278 des strafgesetzbuchs strafbar.

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cMe-Fortbildung onlineArzt & WirtschAft bietet für sie gemeinsam mit MedLearning kostenfreie fortbildungen, die wichti-ge themen rund um die Praxisfüh-rung abdecken. Die fortbildung „Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung“ (hier der zweite und letzte teil) ist mit zwei cME-Punkten zertifiziert.Und so funktioniert’s:• Teil 1 der Fortbildung „Grundlagen der AU“ finden sie in der Arzt & WirtschAft Ausgabe August.• Sie können die komplette Fortbil-dung aber auch im internet unter cme.medlearning.de/aw.htm einse-hen und sie dort online absolvieren. Die cME-Punkte werden nach erfolg-reicher teilnahme direkt an die Bun-desärztekammer gemeldet.

ten und die Daten handschriftlich zu do-kumentieren. Bleibt nur die Idee, den Pati-enten zum Hausarzt zu schicken, um sich eine zweite AU zu beschaffen. Das verur-sacht aber zusätzliche Kosten.

Hat der Arbeitgeber oder die Kranken-kasse Zweifel an der Richtigkeit der Ar-beitsunfähigkeitsbescheinigung, wird nicht selten der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) eingeschal-tet. Wie kann der Arzt seinen Patienten in einem solchen Fall unterstützen? Hält der MDK den Patienten für arbeitsfähig, muss der Arzt genau abwägen, ob er den Patien-ten weiterhin krankschreibt. Er sollte dies mit seinem Patienten besprechen. Denn der Patient, der schon länger erkrankt ist, steht dann möglicherweise ohne Einnah-men da, weil er seinen Anspruch auf Krankengeld verliert. Darüber kann der Patient nach Einlegung des Widerspruchs zwar streiten – der Ausgang ist aber offen. Um seinem Patienten zu helfen, kann der Arzt aber in jedem Fall unter Darlegung seiner Gründe bei der Krankenkasse ein Zweitgutachten beantragen.

Viele Ärzte werden angesichts der kom-plexen rechtlichen Regelungen rund um die AU den Kopf schütteln. Schließlich sind sie keine Juristen. Warum sind die rechtlichen Anforderungen so hoch? Ei-ner AU-Bescheinigung kommt nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsge-

richts ein hoher Beweiswert zu. Der Rich-ter kann den Beweis einer Erkrankung grundsätzlich als erbracht ansehen, wenn der Arbeitnehmer im Rechtsstreit eine sol-che Bescheinigung vorlegt.

Misstrauen ist auch keine Lösung

Will der Arbeitgeber den Beweis entkräf-ten, muss er objektive Tatsachen vortragen, die zu ernsthaften Zweifeln an der Richtig-keit Anlass geben. Dazu zählt etwa, wenn der Mitarbeiter trotz Krankschreibung ei-ner anderen Arbeit nachgeht oder sich häu-fig vor oder nach dem Wochenende oder dem Urlaub krankschreiben lässt.

Nach der Präambel der Arbeitsunfähig-keits-Richtlinie soll der Arzt bei Ausstel-lung der Arbeitsunfähigkeitsbescheini-gung wegen der arbeits- und sozialversi-cherungsrechtlichen sowie wirtschaftli-chen Bedeutung besondere Sorgfalt wal-ten lassen. Muss er seinem Patienten also grundsätzlich misstrauen? Für den Arzt lässt sich kaum überprüfen, ob sein Pati-ent die Wahrheit sagt. Wenn der Patient glaubhaft von Symptomen einer Erkran-kung berichtet, muss und sollte der Arzt ihm grundsätzlich Glauben schenken. Das Arzt-Patienten-Verhältnis sollte nicht von grundsätzlichem Misstrauen geprägt sein.

Weil Ärzte mit einer Arbeitsunfähig-keitsbescheinigung eine große Verantwor-

tung übernehmen, sollten sie sich aber auch davor hüten, falsche Atteste auszu-stellen. Denn sie machen sich strafbar. Pa-ragraf 278 des Strafgesetzbuchs bestraft das Ausstellen formell echter, aber inhalt-lich unrichtiger Gesundheitszeugnisse. Dabei genügt es, wenn irgendeine wesent-liche Feststellung nicht im Einklang mit den Tatsachen oder anerkannten Lehren der medizinischen Wissenschaft steht, oder wenn das Attest ohne ordnungsge-mäße vorherige Untersuchung ausgestellt wurde. Zu den Gesundheitszeugnissen zählen auch AU-Bescheinigungen. Der Strafrahmen für solche Gefälligkeitsattes-te liegt bei bis zu zwei Jahren Freiheits-strafe oder Geldstrafe.

So wurde ein Arzt vom Amtsgericht Hof zu einer Geldstrafe von 13.200 Euro verurteilt, weil er in zwei Fällen Arbeits-unfähigkeitsbescheinigungen ausgestellt hatte, obwohl die Patienten nach Ansicht des Gerichts nicht krank waren. Der Arzt kann sich sogar wegen Beihilfe zum Be-trug strafbar machen, wenn der Patient sich mithilfe des Attests Leistungen er-schleicht. Hinzu kommt ein berufsrechtli-ches Verfahren vor der Ärztekammer, das im schlimmsten Fall zum Approbations-entzug führen kann sowie zum Entzug der Kassenzulassung im Rahmen eines Diszi-plinarverfahrens. n

Ina Reinsch

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