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Globale Gerechtigkeit ökologisch gestalten Schieflage mit System: Das Streitschlichtungsverfahren der Welthandelsorganisation (WTO) Stolperstein auf dem Weg zu einer nachhaltigen Entwicklung

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Globale Gerechtigkeit ökologisch gestalten

Schieflage mit System:Das Streitschlichtungsverfahren der

Welthandelsorganisation (WTO)

Stolperstein auf dem Weg zu einer nachhaltigen Entwicklung

Kontakt: Forum Umwelt & Entwicklung Am Michaelshof 8-10 · 53177 Bonn Tel.: 02 28 - 35 97 04 · Fax: o2 28 - 92 39 93 56E-Mail: [email protected] · www.forumue.de

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Schieflage mit System:Das Streitschlichtungs-

verfahren derWelthandelsorganisation

(WTO)

Stolperstein auf dem Weg zueiner nachhaltigen Entwicklung

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Impressum

Autorin:Elke Schmitz

Redaktion:Jürgen Knirsch, Mattias Schürbrock und Stefanie Pfahl

Herausgeber:Evangelischer Entwicklungsdienst e.V. (EED), Bonnwww.eed.deForum Umwelt & Entwicklung, Bonnwww.forumue.deGreenpeace e.V., Hamburgwww.greenpeace.de

Verantwortlich:Jürgen Maier

Layout:Monika Brinkmöller / Christine Ladenburger

Herstellung:Knotenpunkt GmbH, Buch

Bonn, 2005

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Inhalt

Abkürzungsverzeichnis ........................................................................................... 4

Vorwort .................................................................................................................. 5

0 Einführung ............................................................................................................. 8

1 Das Streitschlichtungsverfahren der WTO und seine Reform .............................. 121.1 Eine Reform ohne Aussicht auf Ende und Erfolg .................................................. 12

1.1.1 Die Geister der Vergangenheit – ein Blick auf den Entstehungs-zusammenhang des DSU .................................................................................... 12

1.1.2 Eine unendliche Geschichte: Der DSU-Reformprozess ............................................. 161.2 Das Verfahren im Überblick .................................................................................... 17

1.2.1 Das Konsultations- und Panelverfahren ................................................................. 171.2.2 Das Berufungsverfahren ..................................................................................... 191.2.3 Das Implementierungsverfahren .......................................................................... 20

1.3 Die Reformdebatte im Dispute Settlement Body:Die wesentlichen Reformvorschläge ........................................................................ 211.3.1 Transparenz ...................................................................................................... 211.3.2 Partizipation ....................................................................................................... 211.3.3 Verkürzung der Dauer des Panel- und Berufungsverfahrens ................................... 221.3.4 Einführung eines Zurückverweisungsrechts im Berufungsverfahren .......................... 221.3.5 Überprüfung der Umsetzung: Die Einführung einer „compliance stage“ im

Implementierungsverfahren ................................................................................ 221.3.6 Einführung eines „ständigen Streitschlichtungsgremiums 1. Instanz“ ......................... 23

2 Das Streitschlichtungsverfahren der WTO aus der Perspektive derEntwicklungsländer ............................................................................................. 25

2.1 Partizipation: Rechte ohne Zukunft – Zukunft ohne Rechte ................................. 262.1.1 Gründe für die Nichtteilnahme am Streitschlichtungssystem .................................... 262.1.2 Konsequenzen der Nichtteilnahme ....................................................................... 28

2.2 Das Rechtsmittelsystem: Die Kluft zwischen Rechten und Rechtsmitteln .............. 302.2.1 Strukturelle Gründe für die Schieflage: Das Rechtsmittelsystem im

internationalen Vergleich..................................................................................... 312.2.2 Die besonderen Implikationen des Rechtsmittelsystems für Entwicklungsländer .......... 33

3 Reformaspekte mit Umweltrelevanz ................................................................... 383.1 Begrenzung der Reichweite der Rechtsprechungskompetenz des DSB ............... 383.2 Gewährleistung von Umweltexpertise im prozessualen Verfahren .......................... 403.3 „Amicus briefs“: Chancen und Risiken einer Partizipationsmöglichkeit ................ 42

4 Grenzen einer Reform des DSU .......................................................................... 46

5 Siegt das Recht über die Macht oder die Macht über das Recht? ...................... 51

6 Zusammenfassung .............................................................................................. 55

Anhang: Statistik mit Schieflage (Jürgen Knirsch) .............................................. 57

Literaturverzeichnis ............................................................................................ 63

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AB Appellate Body

CITES Convention on International Trade in Endangered Species of Wild Faunaand Flora

COP Conference of the Parties

CTE Commitee on Trade and Environment

DMD Doha Ministerial Declaration

DSB Dispute Settlement Body

DSU Dispute Settlement Understanding

ECOSOC UN Economic and Social Council

GATT General Agreement on Tariffs and Trade

GATS General Agreement on Trade in Services

GSP Generalised System of Preferences

ICJ International Court of Justice

ILC International Law Commission

ITO International Trade Organization

LDC(s) Least Developed Country (Countries)

MEA(s) Multilateral Environmental Agreement(s)

MS WTO Member State(s)

NAMA Non-Agricultural Market Access

NGO(s) Non-Governmental Organization(s)

OECD Organisation of Economic Co-Operation and Development

PPMs Process and Production Methods

RPT Reasonable Period of Time

SDT Special and Differential Treatment

SPS Agreement on the Application of Sanitary an Phytosanitary Measures

STO(s) Specific Trade Obligation(s)

TBR Trade Barriers Regulation

TBT Agreement on Technical Barriers to Trade

TRIPS Agreement on Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights

UNCLOS UN Convention on the Law of the Sea

UNCTAD UN Conference on Trade and Development

UNEP UN Environment Programme

WTO-Ü Übereinkommen zur Errichtung der Welthandelsorganisation

Abkürzungsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

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Vorwort

Zehn Jahre Streitschlichtungs-verfahren der WTO: Ein Juweloder billiger Klunker?

In einem Punkt sind sich die Welt-handelsorganisation (WTO), ihre Befür-worter und Kritiker einig: das Streitschlich-tungsverfahren der WTO ist etwas beson-deres. Für die WTO ist es „ein zentralesElement zur Schaffung von Sicherheit undVorhersehbarkeit im multilateralen Han-delssystem“. Die Befürworter bezeichnenes als „Herzstück“, „Rückgrat“, „zentraleSäule“ oder „Eckpfeiler der WTO“. Sieloben es als den „charakteristischsten Bei-trag der WTO zur Stabilität der globalenWirtschaft“ und als „Juwel“ der Uruguay-Runde, der letzten Handelsrunde des All-gemeinen Zoll- und Handelssystems(GATT), an deren Ende die Gründung derWTO stand. Für die „friends of the WTO“ist es eine Errungenschaft des Multi-lateralismus, dass eine neutrale InstanzStaaten in ihre Schranken verweisen kann.

Gerade dieses „In-die-Schranken-Ver-weisen“ ist aus Sicht der Kritiker mehr alsbedenklich. Sie sehen in diesem gerichts-ähnlichen Verfahren vor allem die Mög-lichkeit, Ländern soziale, gesundheitlicheoder umweltpolitische Maßnahmen zuuntersagen, wenn diese den freien Han-del von Waren und Dienstleistungen be-einträchtigen oder den grenzüberschrei-tenden Schutz geistigen Eigentums verlet-zen: WTO-Recht bricht nationale Geset-ze, auch wenn diese von den jeweiligenLändern zum Schutz der Gesundheit, derUmwelt oder der Verbraucher erlassenwurden. Das Streitschlichtungsverfahrenist das Brecheisen dazu.

Vertreter von Entwicklungsländern undNichtregierungsorganisationen des Sü-dens fügen einen weiteren Kritikpunkt hin-

zu: Da das Verfahren ganz auf die Inter-essen der Industrienationen und ihrerKonzerne zugeschnitten ist, ist es gegendie Interessen der Entwicklungsländer ge-richtet.1

Der „Schraubstock derRationalität“

Für den Völkerrechtler Frank Schorkopfist das System der WTO-Streitschlichtung„eine Besonderheit im internationalenWirtschaftsvölkerrecht“: Einerseits bedientes sich völkerrechtlicher Instrumente derStreitbeilegung (wie Konsultation, GuteDienste2 , Vergleich und Vermittlung), ande-rerseits können Handelssanktionen erst dannergriffen werden, wenn ein förmliches Ver-fahren durchlaufen ist und die Sanktionendurch die WTO gebilligt sind. „Das WTO-Regime verrechtlicht so handelspolitischeMacht und zwingt die Mitglieder in den‚Schraubstock der Rationalität‘“. Doch nichtnur das: „Die Spruchtätigkeit [der WTO-Schiedsrichter] lässt allmählich auch einenBesitzstand an wirtschaftsvölkerrechtlichenRegeln wachsen.“3

1 Vgl. Felber & Knirsch (2003), dort sind auchdie Quellen für die vorgenannten Zitate auf-geführt.

2 „‚Gute Dienste‘ ist eines der Verfahren imRahmen der friedlichen Streitbeilegung. Von‚Guten Diensten‘ spricht man, wenn sich einDritter (ein Staat, ein internationales Organoder eine unabhängige Persönlichkeit) be-müht, die Parteien einer konkreten Streitigkeitoder eines Konflikts zur Aufnahme von Ver-handlungen zu bewegen. ‚Gute Dienste‘ kön-nen beispielsweise in der Übermittlung vonBotschaften, im Zurverfügungstellen einesneutralen Treffpunktes oder in formellen Ver-fahrensvorschlägen bestehen“. Quelle: GuteDienste, Presse- und Informationsamt derBundesregierung, Referat Außen- und Sicher-heitspolitik, zu finden unter: http://sicherheitspolitik.bundeswehr.de/6/25/59.php.

3 Schorkopf (2004).

Vorwort

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Doch das Bild des Schraubstocks wirftFragen auf: Wer dreht an ihm, wann, mitwelcher Stärke und in welcher Richtung?Festzuhalten ist:

1. „Wo kein Kläger, da kein [Schieds-] Rich-ter!“ Selten ist ein Sprichwort so ange-messen, wie das vorgenannte für dasWTO-Streitschlichtungsverfahren. Dennes ist eine sehr interessante Frage: Beiwelchen Handelskonflikten wird dasWTO-Streitschlichtungsverfahren einge-leitet? Wer tut dies? Und wann ge-schieht es? Klagen können nur WTO-Mitglieder gegen Maßnahmen ande-rer WTO-Mitglieder. Die WTO selbst,das heißt ihre Gremien und ihr Sekre-tariat, haben zwar durch das Instrumentdes „Trade Policy Review“, das die Han-delspolitik ihrer Mitglieder überprüft,die Möglichkeit, Verstöße einzelner Mit-glieder gegen WTO-Abkommen festzu-stellen. Diese Feststellung führt jedochnicht zu einem WTO-Streitfall.

2. Die WTO-Schiedsrichter können nichtüber den Schatten der WTO-Regelnspringen. Die „Vereinbarung über Re-geln und Verfahren zur Beilegung vonStreitigkeit der WTO“ verdeutlicht in ih-rem Artikel 3, dass die Empfehlungenund Entscheidungen des Streitbeile-gungsgremiums (DSB) die in den WTO-Übereinkommen „enthaltenen Rechteund Pflichten weder ergänzen noch ein-schränken“ können. Das DSB kann undsoll also WTO-Recht nur interpretieren,nicht jedoch korrigieren. Oder andersausgedrückt: unzulängliche - weil Um-weltaspekte missachtende oder Ent-wicklungsländer benachteiligende -WTO-Abkommen können auch durchdie Streitschlichtung nicht verbessertwerden. Es sind die Abkommen selbst,die verbessert werden müssen.

3. Nicht jeder begonnene Streitfall führtauch zu einer Streitschlichtungsent-scheidung der WTO. Die „Vereinba-rung über Regeln und Verfahren zurBeilegung von Streitigkeit der WTO“lässt durchaus die Möglichkeit zu, dassjederzeit im Verfahren eine von denStreitparteien gemeinsam akzeptierteLösung gefunden wird. Auch zeigt dieStreitfallstatistik, dass es zahlreicheFälle gibt, die ohne eine Entscheidungdes WTO-Streitgerichts auf eine ande-re Art beigelegt oder nicht weiter ver-folgt wurden.4

In den zehn Jahren des Bestehens derWTO ist das Streitschlichtungsverfahrenmehr als 300 mal initiiert worden, dage-gen gab es zwischen 1948 und 1994 un-ter dem WTO-Vorläufer GATT lediglich200 Verfahren.5 In Anbetracht einiger ak-tueller spektakulärer umwelt- wie ent-wicklungspolitischer Streitfälle und dersehr unterschiedlichen Bewertungen desVerfahrens überrascht es, dass die Litera-tur recht überschaubar ist. Insbesonderemangelt es an Studien, die das Verfah-ren sowohl aus entwicklungs- wie auchaus umweltpolitischer Sicht beleuchten.Auch verwundert es, dass der seit 1997stattfindende Reformprozess weder vonder allgemeinen noch der Fachöffent-lichkeit wahrgenommen wird. Auch dieNichtregierungsorganisationen schenkendiesem Prozess relativ wenig Aufmerk-samkeit. Nach zehn Jahren Existenz derWTO und ihres „Juwels“, dem Streitschlich-tungsverfahren, stellen sich uns einige Fra-gen:

Ist das Streitschlichtungsverfahren auchaus der Sicht der Entwicklungsländer einInstrument, welches geeignet ist, das be-stehende wirtschaftliche und damit macht-politische Gefälle zwischen Nord und Südauszugleichen? Oder dient es gar der Ze-mentierung des vorhandenen Ungleich-gewichts, indem es vorwiegend von den-reichen Industrienationen zur Durchset-zung ihrer Interessen in Anspruch genom-men wird? Wie wirkt sich das Vorhanden-sein dieses weltweit mächtigsten Streit-

Vorwort

4 Siehe die als „other settled or inactivedisputes“ bezeichneten Fälle in den von derWTO regelmäßig erstellten Streitfallübersichten(„Updates of WTO Dispute Settlement Cases“)sowie Tabelle 5 im Anhang.

5 Ohlhoff (2003), S. 684.

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schlichtungsmechanismus auf die Archi-tektur der Global Governance und derLeitidee der nachhaltigen Entwicklungaus? Welche Entwicklungschancen habendie internationalen Umweltübereinkom-men (MEAs) angesichts der durch denStreitschlichtungsmechanismus wesentlichherbeigeführtenn Dominanz des Welthan-delsregimes? Ist also das Streitschlich-tungsverfahren tatsächlich ein Juwel oderentpuppt es sich nicht vielmehr als einStolperstein auf dem Weg zu einer nach-haltigen Entwicklung? Und wenn es tat-sächlich ein Edelstein ist, sind die Kratzeran ihm dann nicht so tief, dass auch wei-teres Schleifen und Polieren (sprich eineReform) mehr helfen kann?

Auf diese Fragen gibt die vorliegendeStudie Antworten.6 Sie betrachtet dasStreitschlichtungsverfahren und dessen

Reform sowohl aus der Sicht der Entwick-lungsländer als auch unter umweltpoliti-schem Blickwinkel. Ihr durch einen statis-tischen Anhang unterstütztes Fazit fälltdeutlich aus: Die bestehende Schieflage,die des WTO-Regimes im Allgemeinenund die des Streitschlichtungsverfahrensim Besonderen, sorgt jedenfalls dafür,dass die Rechte der Schwachen schwachbleiben und die Rechte der Starken ge-stärkt werden. Die Schwachen sind in derRegel die Entwicklungsländer.7

Das Fazit dieser Studie schließt nichtaus, dass in einigen Fällen durchaus einUrteil zugunsten von Umwelt und Entwick-lung gefällt wurde oder noch gefällt wer-den kann. Dennoch wird es umfangrei-cher Anstrengungen bedürfen, ein Han-delssystem zu schaffen, dass diese Aus-nahmen zur Regel macht.

AG Handel im Forum Umwelt & Entwicklung

6 Mit der Herausgabe dieser Studie will die AGHandel einen Diskussionsbeitrag zu dem The-ma „Streitschlichtung“ leisten. Die Herausga-be impliziert nicht, dass die Ergebnisse dieserStudie von allen Mitgliedern der AG geteiltwerden.

7 Nun ist der Begriff „Entwicklungsländer“ gene-rell, gerade aber auch in Hinblick auf „die“Entwicklungsländer in der WTO problema-tisch. Mehr als zwei Drittel der Mitglieder derWTO sind nach Selbsteinstufung „Entwick-lungsländer“, knapp zwei Drittel der WTO-Mitglieder haben noch nie zu dem Instrumentder WTO-Streitschlichtung gegriffen. Zwischendiesen beiden Gruppen herrscht eine weitge-hende Übereinstimmung. Seit dem Scheiternder WTO-Ministerkonferenz im September2003 in Cancún drängen vor allem die EUund die USA (vgl. GAO 2004, S. 42ff) dar-auf, stärker zwischen den Entwicklungslän-dern zu differenzieren, um die Ablehnungs-front gegen ihre Handelspositionen aufzubre-chen. Um diese Entwicklung nicht zu fördern,ist in dieser Studie weiterhin von „den“ Ent-wicklungsländern die Rede.

Vorwort

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D ie Welthandelsorganisation be-findet sich in dem Dilemma, dasssie mit Hilfe des bestehenden Re-

gelwerks nur unzureichend auf die beste-henden globalen wirtschaftspolitischenProbleme, vor allem das bestehende Un-gleichgewicht zwischen Nord und Süd, zureagieren vermag. Das Scheitern derWTO-Ministerkonferenzen Ende 1999 inSeattle und im September 2003 in Can-cún sind nur allzu deutlicher Ausdruck die-ser tief greifenden Krise. Schon auf derSeattle-Konferenz 1999 fanden sich wichti-ge Anliegen der Entwicklungsländer nichtauf der politischen Agenda wieder. Die zweiJahre später auf der WTO-Ministerkonfe-renz in Doha (Katar) beschlossene neueVerhandlungsrunde wurde dann unter derZielsetzung und Bezeichnung einer „Ent-wicklungsrunde“ (Doha DevelopmentAgenda) gestartet. Das Scheitern der Mi-nisterkonferenz in Cancún zeigt jedoch,dass trotz aller „Entwicklungs“-Rhetorikdie Interessensgegensätze unvermindertfortbestehen und auf die Interessen derEntwicklungsländer faktisch nicht einge-gangen worden ist. Das Ausmaß der offe-nen politischen Fragestellungen wird eben-so deutlich wie mangelnder politischerReformwille.

Während die für viele Millionen Men-schen überlebenswichtige Notwendigkeitstetig zunimmt, im Rahmen politischer Ver-handlungen zu Lösungen zu gelangen, diedem Anspruch einer „Entwicklungsrunde“gerecht werden, bleiben die Ergebnisseder stattfindenden Verhandlungen, insbe-sondere im Agrarbereich, weit hinter die-sem Anspruch zurück. Gleichzeitig kanndie Tendenz beobachtet werden, dass zu-nehmend politische Konflikte zum Gegen-stand eines Streitschlichtungsverfahrens8

vor der WTO werden. Dies gilt sowohl fürtransatlantische Konflikte zwischen denUSA und der EU (Streitfall um Steuerver-günstigungen für die Auslandsgeschäftevon Unternehmen, Gentechnik-Streitfall,Boing/Airbus-Konflikt um Subventionenfür den Flugzeugbau, Wiederaufnahmedes Hormonstreitfalls) als auch für Kon-flikte zwischen Entwicklungsländern undIndustrienationen (Streitfall gegen die EUum deren Allgemeines Präferenzsystem,Baumwoll-Streitfall zwischen Brasilien undder USA, Zucker-Streitfall gegen die EU).Insoweit lässt sich beobachten, dass im-mer mehr Streitschlichtungsverfahren nichtnur handelsrechtliche Fragen zum Gegen-stand haben, sondern Fragen von grund-sätzlicher wirtschafts- und vor allem ent-wicklungspolitischer Bedeutung zu beur-teilen sind. Des weiteren werden auchumwelt- und gesundheitspolitisch höchstbedeutsame Fragestellungen (Gentech-nik- bzw. Hormonstreitfall) den Streit-schlichtungsorganen der WTO zur Ent-scheidung vorgelegt. Hieraus ergibt sichdie weitere Beobachtung, dass die vor derWTO zu verhandelnden Fälle in ihrerquantitativen und qualitativen Komplexi-tät zunehmen. Diese Entwicklung hat wie-derum zur Folge, dass mit der Streit-schlichtung beauftragte Handelsexperten(Panelisten) in der zeitlichen und inhalt-

Einführung

Einführung

8 Hier wird der Begriff des Streitschlichtungs-verfahrens und nicht der in der juristischen Li-teratur überwiegend verwendete Begriff desStreitbeilegungsverfahrens verwendet, weil diesnach hier vertretener Auffassung am ehestendessen „Zwitterstellung“ zwischen einer Institu-tion der Internationalen Schiedsgerichtsbarkeitund der einer internationalen Gerichtsbarkeitwiderspiegelt. Das klassische Völkerrecht un-terscheidet bei den zur Verfügung stehendenMitteln der Rechtsdurchsetzung des Weiterendas diplomatische Verfahren sowie Selbsthilfe-maßnahmen. Vgl. Emmerich-Fritsche (2002),S. 139ff.

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lichen Bearbeitung der Streitfälle überfor-dert sind, was sich beispielsweise in einerkontinuierlichen Überschreitung des füreine Klärung eines Streitfalls vorgesehe-nen Zeitrahmens zeigt.

Mit großer Dringlichkeit stellt sich da-her die Frage, ob und wenn ja, unter wel-chen Voraussetzungen die Streitschlich-tungsorgane der WTO auf der Grundla-ge der bestehenden rechtlichen Normenüber umwelt- und entwicklungspolitischhöchst bedeutsame Fragestellungen ent-scheiden können und sollen.

Diese Fragestellung muss dabei vordem Hintergrund betrachtet werden, dassder in der „Vereinbarung über Regeln undVerfahren zur Beilegung von Streitigkei-ten“ (Dispute Settlement Understanding -DSU) verankerte Streitschlichtungsmecha-nismus völkerrechtlich einzigartig ist, weiler über eine die Streitparteien de factobindende Rechtsprechungsbefugnis (com-pulsory jurisdiction) verfügt und mit einemeinmaligen Sanktionsinstrumentariumausgestattet ist. Diese Ausgestaltung desStreitschlichtungsverfahrens trägt maß-geblich zur Dominanz des Welthandels-regimes gegenüber anderen internatio-nalen völkerrechtlichen Übereinkommenbei. Die faktische Rechtsprechungskom-petenz eines WTO-Streitschlichtungsgre-miums kann sich sowohl auf die zukünfti-ge Entwicklung des Verhältnisses der in-ternationalen Rechtsregime zueinandererstrecken, als auch auf das zukünftige Ver-hältnis der Welthandelsregeln zu demGestaltungsspielraum nationalstaatlicherUmwelt-, Gesundheits- und Sozialpolitik(policy space). Hinzu kommt, dass dieseKompetenz hinsichtlich ihrer Reichweiteeinem quasi-automatischen Mechanis-mus unterworfen ist: Wenn und solangeumwelt- und entwicklungspolitisch zu-kunftsbedeutsame Fragen nicht im Rah-men demokratisch legitimierter Entschei-dungsfindungsprozesse gelöst werden(können), findet eine de facto Delegationeben dieser Fragen an das Streitschlich-tungsorgan der WTO statt. Dies führt zueiner Diskrepanz zwischen der „origi-

nären“ Entscheidungskompetenz desStreitschlichtungsorgans der WTO undder durch die faktische Reichweite beding-ten „juristischen Tiefenwirkung“ einzelnerStreitschlichtungsentscheidungen. DieseDiskrepanz verschärft sich angesichts deraufgrund des vorhandenen Sank-tionsmechanismus möglichen wirtschaft-lichen Konsequenzen einzelner Streit-schlichtungsentscheidungen und des da-mit einhergehenden „Drohpotentials“, wel-ches potentiell schon im Vorfeld politischerEntscheidungen wirksam wird (chillingeffect). Das Verhältnis zwischen der Ent-scheidungskompetenz der Organe undder potentiellen Eingriffsintensität einzel-ner Entscheidungen in den Gestaltungs-spielraum nationalstaatlicher Umwelt,-Gesundheits- und Sozialpolitik ist durchein Demokratiedefizit gekennzeichnet9 –eine aus politischer und juristischer Per-spektive äußerst problematische Konstel-lation.

Die für diese Studie entscheidende Aus-gangsfrage lautet daher, ob aus der Sichtder Entwicklungsländer sowie aus der Per-spektive einer am Leitbild der Nachhal-tigkeit orientierten Umweltschutzpolitik ei-ne verstärkte Institutionalisierung des Ver-fahrens erstrebenswert ist, oder ob im Ge-genteil eine solche Entwicklung abzuleh-nen ist, weil das DSU bereits in seiner jet-zigen Verfahrensstruktur und Funktions-weise einer gleichrangigen Verankerungvon Umwelt- und Entwicklungsinteressengegenüber den Prinzipien des Freihandelsentgegensteht. Vor dem Hintergrund die-ser Fragestellungen ergibt sich folgendeVorgehensweise:

Einführung

9 Mit der Zustimmung zum WTO-Recht stellt diezu einem bestimmten Zeitpunkt bestehendeparlamentarische Mehrheit ihre Entscheidungweitgehend außerhalb der Reichweite jeglicherneuen späteren Mehrheit. Die demokratische,auf das nationale Parlament zurückgehende„Legitimationskette“ ist geschwächt. Dies ist imFall des WTO-Rechts besonders einschnei-dend, weil „korrigierende“ nationale Maß-nahmen im Sinne selektiver Nichtbeachtungaufgrund der obligatorischen WTO-Streit-beilegung unter hohem Risiko stehen. SieheBogdandy (2001), S. 271.

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Im ersten Abschnitt erfolgt zunächst einÜberblick über den Ablauf eines Streit-schlichtungsverfahrens. Sodann erfolgt einAbriss über die scheinbar unendlicheGeschichte des DSU-Reformprozesses. ImAnschluss wird die Reformdebatte unterden Aspekten der zentralen Reformvor-schläge kurz dargestellt. Die als konsens-fähig zur Diskussion stehenden Reform-vorschläge beziehen sich mehrheitlich aufdie Verbesserung der bestehendenVerfahrensstrukturen.

Im darauf folgenden Abschnitt (2) wirddas DSU aus der Perspektive der Entwick-lungsländer analysiert. Die aus ihrer Sichtbestehenden Defizite können unter zweiThemenkomplexe subsumiert werden:Partizipation und gerechte Effizienz desRechtsmittelsystems. Zunächst werdendaher die Gründe für die nicht stattfinden-de Inanspruchnahme des Streitschlich-tungsverfahrens durch die Mehrzahl derEntwicklungsländer sowie die daraus re-sultierenden langfristigen Konsequenzendargestellt (2.1). Die diesbezüglich imRahmen des DSU-Reformprozesses ein-

gebrachten Vorschläge werden kontextualeinbezogen. Sodann soll in diesem Teildeutlich gemacht werden, dass die ausder Sicht der Entwicklungsländer vorhan-denen Defizite des DSU tief greifendeStrukturreformen vor allem im Bereich derzur Verfügung gestellten Rechtsmittel erfor-dern würden (2.2). Dabei geht es zum ei-nen um die Frage, ob und wie durch eineUmgestaltung des Rechtsmittelsystemsselbst eine möglichst schnelle Umsetzungder Streitschlichtungsentscheidungen ge-währleistet werden kann. Zum anderengeht es jedoch um Reformansätze, diegeeignet sind, eine Inanspruchnahme desDSU für die wirtschaftlich besonders schwa-chen Länder (Least Developed Countries –LDCs) überhaupt erst effizient zu gestal-ten. Die aufgezeigten Defizite sind – ausder Perspektive der Entwicklungsländer –geeignet, die Grundlagen des multilate-ralen Handelssystems selbst, nämlich dieAusgewogenheit der bestehenden Rech-te und Pflichten, zu gefährden. Die beste-hende Situation hat für diese Länder ei-nen faktischen Rechtsentzug (disfranchise-ment) zur Folge.10 In deren Reformvor-schlägen werden die strukturellen Schwä-chen des DSU bzw. dessen Konsequenzenin der Anwendung deutlich kritisiert undzum Teil radikale Änderungsvorschlägeunterbreitet. So wird die Einführung vonkollektiven Elementen im Implementie-rungsverfahren ebenso gefordert wie finan-zielle Kompensationsmöglichkeiten für ge-genüber Industrieländern obsiegendenEntwicklungsländern (v.a. LDCs, AfricanGroup, Indien, Ecuador).11 Auch wenn die-se Reformansätze numerisch gesehen nurin relativ wenigen der insgesamt 42 imRahmen der DSU-Reform12 eingebrach-ten Vorschlägen artikuliert werden, ver-leiht ihnen die Tatsache, dass die LDCGroup13 und die African Group14 zusam-men nahezu die Hälfte der WTO-Mitglied-schaft stellen, umso stärkeres Gewicht.

Im dritten Teil (3) wird das DSU einerAnalyse aus spezifisch umweltpolitischerPerspektive unterzogen. Welches sind dieumweltrelevanten Reformaspekte inner-halb des DSU? Und welchen Beitrag kann

Einführung

10 TN/DS/W/17, S. 3 (LDC Group).11 Diese Reformvorschläge können fast schon als

historisch bezeichnet werden: Schon 1965machten Uruguay und Brasilien einen Vor-schlag zur Verbesserung des Artikel XXIIIGATT, der u.a. finanzielle Kompensation unddie Möglichkeit zu kollektiven Implementie-rungsmaßnahmen beinhaltete. Siehe BISD14S/139 und South Centre (1999), S. 3.

12 Siehe die in den 13 formellen Sondersitzun-gen des Streitschlichtungsgremiums (SpecialSessions of the Dispute Settlement Body –DSB) diskutierten 42 Vorschläge, die im Zeit-raum März 2002 bis Juni 2003 eingereichtworden sind. Auf diese Vorschläge wird unter1.1.2 näher eingegangen.

13 Gegenwärtig werden 50 Länder von der UNals ein Least Developed Country eingestuft,davon sind (Stand November 2004) 32 Mit-glied in der WTO. Siehe http://www.wto.org/english/thewto_e/whatis_e/tif_e/org7_e.htm.

14 Die African Group besteht aus denjenigen 52Mitgliedern der Afrikanischen Union, diegleichzeitig Mitglieder der WTO sind: derzeitgibt es 41 afrikanische Mitglieder in der WTO,vgl. http://www.africa-union.org/Member.

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eine Reform des DSU leisten, um sicherzu-stellen, dass Umweltinteressen gegenüberden ökonomischen Interessen in eine recht-lich und politisch zumindest gleichrangigePosition gelangen?

Im Zusammenhang mit dem Reform-vorschlag, die Rechtsprechungskompe-tenz des DSB zu begrenzen (3.1), wird indie damit inhaltlich verbundene mate-riellrechtliche Problematik des immernoch ungeklärten Verhältnisses zwischeninternationalen Umweltübereinkommen(Multilateral Environmental Agreements– MEAs) und WTO-Recht eingeführt. An-hand dieser Darstellung sollen die wech-selseitigen Implikationen zwischen Re-formbestrebungen auf der materiellrecht-lichen und prozessualen Ebene deutlichgemacht und die Komplexität dieses Re-formvorschlags veranschaulicht werden.Im Anschluss hieran werden Möglichkei-ten der Berücksichtigung von Umweltex-pertise im prozessualen Verfahren vorge-stellt (3.2). Abschließend wird die vor al-lem zwischen Nord und Süd umstritteneThematik der Behandlung von Eingabenvon außerhalb der WTO stehenden Inter-essengruppen, der sog. amicus curiaebriefs15 , im prozessualen Verfahren be-handelt (3.3). Dabei geht es zum einendarum, Chancen und Risiken dieser –begrenzten – Partizipationsmöglichkeitunter Berücksichtigung der von der Mehr-heit der Entwicklungsländer dagegen vor-gebrachten Argumente darzustellen. Zumanderen soll jedoch die Zulassung undBehandlung der amicus briefs durch den

Einführung

Appellate Body (AB) als Beispiel für einvon vielen Entwicklungsländern artikulier-ten Problems dienen: dem der Verände-rung bestehender oder Schaffung neuerRechte und Pflichten durch Streitschlich-tungsentscheidungen der Panel und desAB und zwar, der Auffassung vieler Ent-wicklungsländer zufolge, zu ihrem Nach-teil. Insoweit wird differenziert zwischender Frage, welche Konsequenzen die Zu-lassung von amicus briefs innerhalb des(rechts)systemischen Gesamtzusammen-hangs hat, und dem der Zulassung selbst(Aufzeigen der Entwicklung in der Recht-sprechung des AB). Im Ergebnis soll die-se Darstellung zu einer differenzierterenBetrachtung der amicus briefs im WTO-Streitschlichtungsverfahren beitragen. Zu-gleich veranschaulicht die Problematikder amicus briefs jedoch auch das Span-nungsverhältnis zwischen den Interessender Entwicklungsländer und dem vor al-lem europäischen Bestreben, Umwelt-interessen in das WTO-Regime zu integrie-ren.

Schließlich wird im Rahmen des Fazitsanalog dem Aufbau der Arbeit zu der ge-stellten Ausgangsfrage abschließend Stel-lung genommen: Die aus der Sicht derEntwicklungsländer sowie die aus umwelt-politischer Perspektive bestehenden Re-formvorschläge werden im Hinblick aufihre Erfolgsaussichten innerhalb des WTO-Reformprozesses bewertet, wodurch das„Problemlösungspotential“ einer Reformdes Streitschlichtungsverfahrens konkreti-siert werden kann.

15 Diese dem amerikanischen Recht entlehntePartizipationsmöglichkeit der „Freunde desGerichts“ beinhaltet für förmlich nicht am Ver-fahren beteiligte Dritte die Möglichkeit, sich zueiner Streitigkeit durch schriftliche Stellung-nahmen zu äußern, vgl. Palmeter & Mavroidis(2004), S. 35ff.

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1.1 Eine Reform ohne Aussichtauf Ende und Erfolg

1.1.1 Die Geister der Vergan-genheit – ein Blick auf denEntstehungszusammenhang desDSU

Das Ziel der 1944 einberufenen Bret-ton-Woods-Konferenz zum Aufbau derNachkriegswirtschaft war es, die protek-tionistischen nationalen Interessen zugun-sten einer freiheitlichen, den Regeln desVölkerrechts unterliegenden Neuordnungder Weltwirtschaft zurückzudrängen.16 InBretton-Woods wurden Richtlinien für eininternationales Finanzsystem aufgestellt,das insgesamt aus drei Säulen bestehensollte: dem Internationalen Währungs-fonds, der Weltbank sowie der Internatio-nalen Handelsorganisation.

Vor diesem Hintergrund wurden 1946/1947 zur Vorbereitung auf eine vomWirtschafts- und Sozialrat der VereintenNationen (ECOSOC) einzuberufende

Konferenz („Havanna-Konferenz“) überHandel und Beschäftigung Entwürfe für einStatut einer internationalen Handelsord-nung (International Trade Organization,ITO) und ein Allgemeines Zoll- und Han-delsabkommen (General Agreement onTariffs and Trade, GATT), welches in dasITO-Statut integriert werden sollte, erar-beitet. Während das Inkrafttreten der aufder Konferenz in Havanna verabschiede-ten umfangreichen Charta zur Errichtungeiner Internationalen Handelsordnungscheiterte, obwohl sie von 53 Staaten un-terzeichnet wurde17 , trat das GATT (Teil IVder Havanna Charta) noch vor Abschlussder Konferenz am 1. Januar 1948 für zu-nächst acht Staaten auf der Grundlageeines Protokolls in Kraft.18 Obwohl GATTim Gegensatz zu IWF und Weltbank nieden Status einer UN-Sonderorganisationerhalten hat, bildete sich mit der Zeit einede facto-Organisation19 heraus, derenhauptsächliches Entwicklungsmerkmaldie mehrjährigen multilateralen Verhand-lungsrunden waren. Ziel dieser Verhand-lungen war bis zu Beginn der Uruguay-Runde (1986 bis 1994) der Abbau vonZöllen. Nachdem dieses Ziel weitgehenderreicht war – allein nach dem Inkrafttre-ten der Vereinbarungen der Tokio-Runde1973/79 sanken die Zölle von 40% auf4,7% im Jahr 1987 –, wurden währendder Uruguay-Runde zahlreiche Themenerstmals behandelt, wie etwa der Handelmit Dienstleistungen oder die handels-bezogenen Aspekte der Rechte des gei-stigen Eigentums.20

Man erkannte, dass die Einbeziehungsolcher neuer Bereiche in den Regelungs-zusammenhang des GATT weitreichende

1 Das Streitschlichtungsverfahrender WTO und seine Reform

Das Streitschlichtungsverfahren der WTO und seine Reform

16 Die westlichen Wirtschaftseliten waren nachdem zweiten Weltkrieg der Auffassung, dieFehler der Vergangenheit ließen sich nurdurch die Etablierung eines liberalen Han-delssystems vermeiden.

17 Viele ratifizierten die Charta nicht, da die USAdiese dem Kongress noch nicht einmal zurZustimmung vorgelegt hatte.

18 Krajewski (2001), S. 22f.19 Krajewski (2001), S. 23; zum Meinungsstand

vgl. Siebold (2003), S. 38f.20 Krajewski (2001), S. 23.

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Konsequenzen haben würde, die eineneue Organisationsform erforderlichmachten.21 Die Verhandlungen zur Grün-dung der WTO begannen so auch erst1990 im Laufe der Uruguay-Runde undführten schließlich zur Gründung dersel-ben im Jahr 1994. Das GATT bildet inso-weit bis heute den Kern des WTO-Vertrags-werks.

Das durch das GATT seit 1948 etablier-te Freihandelsparadigma wurde mit derGründung der WTO in einen festen insti-tutionellen Rahmen überführt, dessen we-sentliches Merkmal ein de facto rechts-verbindlicher Streitschlichtungsmechanis-mus ist.22 Seinen Ausgangspunkt findetdas heutige „Verfahren zur Regelung undBeilegung von Streitigkeiten“ (DisputeSettlement Understanding – DSU) in denArtikeln XXII und XXIII des GATT (1947)23 .Seine Bezeichnung als „Verfahren zur Re-gelung und Beilegung von Streitigkeiten“reflektiert den ursprünglichen Charakterals eine hauptsächlich auf diplomatischenVerhandlungen beruhende Konfliktlösungs-form. In der Anfangsphase begriff mandas Verfahren mehr als Instrument derStreitbeilegung (conciliation) denn alsStreitschlichtungsverfahren. Das Verhand-lungsgeschehen lag ganz in den (diplo-matischen) Händen der Parteien. In derfrühen Phase des GATT wurden die Streit-fälle an sog. Arbeitsgruppen (working par-ties) überwiesen, die aus der beschwerde-führenden Partei, der gegnerischen Par-tei und interessierten Dritten bestanden.Alsbald jedoch wurde das von den be-troffenen Parteien dominierte Verhand-lungsgeschehen durch die Etablierungeines drei bis fünf Mitglieder zählendenPanels abgelöst. Der Begriff des Panelsleitet sich von der ursprünglichen Bezeich-nung des „panel of experts“ ab. DieserBegriff war schon vor den Zeiten desGATT geprägt und beschrieb eine ad hocgebildete Gruppe von Regierungsexper-ten, die zusammen kam, um im Hinblickauf technische, objektiv beantwortbareFragen sachverständigen Rat zu erteilen.Der Begriff des Panels stand daher vonjeher mehr für eine objektive, auf der Ba-

sis von Erfahrungswissen getroffene Ent-scheidungsfindung und weniger für einepolitische Stellvertretung der eigenen Re-gierung. Dementsprechend waren die mei-sten der Panelisten und auch die rechtlichenVertreter der betroffenen Parteien in derRegel Diplomaten und keine Juristen. Esüberrascht daher nicht, dass die meistenEntscheidungen von einer schwer fass-baren diplomatischen Mehrdeutigkeit ge-prägt waren. Das Ziel des Verhandlungs-prozesses bestand mehr darin eine bei-derseitig einvernehmliche Lösung zu er-reichen als eine Rechtsentscheidung in ei-nem Streitfall zu treffen. Diese Zielbestim-mung wurde unverändert in das DSUübernommen: die positive, beiderseits ak-zeptable und einvernehmlich vereinbarteLösung einer Streitigkeit ist der Ergreifungvon Maßnahmen nach dem DSU eindeu-tig vorzuziehen, Artikel 3.7 DSU. Der Zweckdes Verfahrens ist daher auch heute nochpolitischer Natur; Ziel ist die Beilegungvon Streitigkeiten, ob mit oder ohne Ab-schlussberichte.24

Das GATT-Streitschlichtungsverfahrenwies nur eine überaus begrenzte Anzahlverfahrensrechtlicher Vorschriften auf;größtenteils deshalb, weil man davonausging, dass die Normen der Interna-tional Trade Organization (ITO) bald zurAnwendung gelangen würden. Die ITO-Charta enthielt demgegenüber detaillier-te Vorschriften zur Streitschlichtung undsah auch eine Verweisungsmöglichkeitvon Streitfragen an den InternationalenGerichtshof (International Court of Justice– ICJ) vor. Die einzigen im GATT enthal-tenen Vorschriften zur Streitschlichtung fin-

21 Krajewski (2001), S. 24.22 Darüber hinaus existiert ein Mechanismus zur

Beurteilung der Handelspolitik der Staaten(Trade Policy Review Mechanism, Annex 3 desMarrakesh Agreement).

23 Artikel XXII des GATT 1947 bestimmt lediglich,dass jede Vertragspartei (auf Antrag nach Ab-satz 2) zu jedem Zeitpunkt Konsultationenführen kann. Artikel XXIII GATT 1947 hinge-gen enthält die grobe Struktur für das heutigePanelverfahren.

24 Busch & Reinhardt (2000), S. 158.

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den sich in den bereits erwähnten ArtikelnXXII und XXIII GATT (1947). Der ArtikelXXIII:1 GATT (1947) bestimmt, dass jedeVertragspartei einen schriftlichen Vorschlagmachen konnte, wie eine ihrer Auffassungnach bestehende Vertragsverletzung beho-ben werden kann. Kam es innerhalb einerangemessenen Zeitspanne nicht zu einereinvernehmlichen Lösung, sollte die An-gelegenheit den Vertragsparteien vorge-legt werden, Artikel XXIII:2 GATT (1947).Waren diese der Auffassung, dass die Um-stände hinreichend schwer wogen, konn-ten sie eine Ermächtigung zur Aussetzungvon Zugeständnissen erteilen. Der von derAussetzung betroffenen Partei stand esnach Artikel XXIII GATT (1947) frei, vondem Abkommen zurückzutreten.

Dementsprechend gab es auch keinekonkreten Verfahrensvorschriften, die ein-gehalten werden mussten. Diese verfestig-ten sich im Laufe der Zeit in Anlehnungan die in Artikel XXIII beschriebene Rege-lung. Das GATT-Dispute Settlement Sy-

stem entwickelte sich demnach auf derBasis des sehr rudimentären Artikels XXIIIGATT (1947), den auf dieser Grundlagegeführten ca. 200 Streitschlichtungsver-fahren sowie einer periodischen Kodifizie-rung und Verbesserung der Verfahrenswei-sen durch die Vertragsstaaten. 25 Eine we-sentliche Grundlage für das heutige DSUwurde durch die Annahme der „Montre-al Rules“26 geschaffen. Die Vertragsstaa-ten einigten sich auf eine probeweise An-wendung dieser Regeln auf die auf derGrundlage von Artikel XXII GATT und Ar-tikel XXIII GATT vorgebrachten Beschwer-den für den Zeitraum vom 1. Mai 1989bis zum Ende der Uruguay-Runde. Nebender Einführung fester Zeitrahmen bestanddie wesentlichste Neuerung in der auto-matischen Einsetzung eines Panels aufAntrag der beschwerdeführenden Partei.Die Einsetzung erfolgt seither auf derübernächsten Sitzung nach Antragstellung,sofern nicht durch Konsens beschlossenwird, kein Panel einzusetzen (vgl. Artikel 6.1DSU).

Durch diese Regelung wurde erstmalsdie Umkehrung des positiven in ein ne-gatives Konsensverfahren etabliert: vonnun an musste konsensual entschieden wer-den, dass ein Panel nicht eingesetzt wer-den sollte. Mit der Gründung der WTOwurde diese für das System des Streit-schlichtungsverfahrens entscheidende Ver-änderung auch auf die Annahme der Ent-scheidungen der Panel- und des Appell-ate Body übernommen. Damit sollte vorallem der seit den 1980er Jahren vermehrtauftretenden Problematik Rechnung ge-tragen werden, dass die unterlegene Par-tei die Annahme einer gegen sie gerichte-ten Entscheidung verhindern konnte (block-ing). Eine von Hudec durchgeführte Un-tersuchung der von 1947 bis 1992 erfolg-ten Streitschlichtungsentscheidungen zeigtjedoch, dass in nahezu 90 Prozent derFälle die unterlegene Partei die jeweiligeEntscheidung akzeptiert hat.27 So wurdedas sog. blocking wohl eher deswegen zumProblem, weil die Regierungen – vor al-lem die der EU und USA – seit den 1980erJahren Streitfälle zur Entscheidung vor-

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25 Weitere Vorläufer des heutigen DSU warendas „Understanding Regarding Notification,Consultation, Dispute Setttlement and Surveil-lance“ (vom 28. November 1979, Tokyo-Run-de) und die 1989 verabschiedeten „Improve-ments to the GATT Dispute Settlement Rulesand Procedures“, (sog. „Montreal Rules“), vgl.Hughes (2002), S.105 und auch Petersmann(2002), S. 12.

26 Improvements to the GATT Dispute SettlementRules and Procedures, Decision of 12 April1989, BISD 36/61 (im folgenden: „MontrealRules“).

27 „The most significant datum is that of the 67rulings with known results, 60 rulings, or 90per cent, ended with a positiv outcome. Notall of these positive outcomes were total legalvictories, however. Breaking down the 60 po-sitive outcomes, we find three categories of re-sults. We find that 37 complaints, 55 of allthose ruled valid, did achieve the best result -full satisfaction of the legal claim as a directresponse to the GATT ruling. In another eightcomplaints, or 12 percent of all complaintsruled valid, the measure was also fully re-moved, but for reasons independent of theGATT legal ruling. And finally, in 15 othercomplaints, or 22 percent of all ruled valid,the complainant achieved partial satisfactionof the legal claim“. Aus: Hudec (1991), S.278-279.

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brachten, die immer häufiger weitreichen-de wirtschaftspolitische Regierungsmaß-nahmen zum Gegenstand hatten. Gera-de in diesen Streitfällen wurde die Umset-zung von Entscheidungen jahrelang hin-ausgezögert und zudem von politischenZugeständnissen in der laufenden Uru-guay-Runde abhängig gemacht.28

Trotzdem bestand noch im Dezember1988 Einigkeit darüber, nur die Einset-zung eines Panels durch die Aufhebungdes positiven Konsensverfahrens automa-tisch erfolgen zu lassen.29 Hinsichtlich derzentralen Fragen des Vetorechts bei derEntscheidungsannahme sowie bei der Ver-hängung von Sanktionen wollten die Re-gierungen das positive Konsensprinzip je-doch nicht antasten. Zu diesem Zeitpunktwar man noch der Ansicht, dass das Streit-schlichtungssystem als Ganzes besserfunktioniere, wenn die beklagten Regie-rungen freiwillig ihre Verpflichtungen er-füllten, und dass es nicht besonders pro-duktiv wäre sie zu einer nicht freiwillig ak-zeptierten Entscheidung zu zwingen.

Was veranlasste also die GATT-Mit-glieder innerhalb von nur zwei Jahren zueiner solch grundlegenden Veränderungdes Streitschlichtungsverfahrens? Ein Blickauf die Handelspolitik der USA im Jahr1988 ist dabei für die Entstehungs- eben-so wie für die – im Anschluss dargestellte– Reformgeschichte äußerst aufschluss-reich. Das 1988 vom US-amerikanischenKongress verabschiedete Handelsgesetzsah eine Verschärfung der ohnehin bereitsberüchtigten „Section 301“ vor. Auf des-sen Grundlage konnten die USA unilate-ral Handelssanktionen verhängen, wannimmer sie meinten, in bestehenden GATT-Rechten verletzt zu sein oder US-Handels-interessen auf sonstige Weise beeinträch-tigt sahen. Die „Section 301“ umfasste ei-ne Auflistung möglicher Beeinträchtigun-gen amerikanischer Handelsinteressen(„wrongful conduct“), denen nach demdort vorgesehenen Verfahren mit unilate-ral verhängten Handelssanktionen be-gegnet werden konnte. Das 1988 vomKongress verabschiedete Gesetz sah ei-

nen neuen „Super 301“, einen „Special301“ für geistige Eigentumsrechte undeinen weiteren „301“ für den Bereich derTelekommunikation vor, zudem wurde diebestehende Liste möglicher Beeinträchti-gungen amerikanischer Handelsinteres-sen nach „Section 301“ erweitert. Dieseneue Gesetzgebung wurde von den GATT-Mitgliedern als extrem bedrohlich einge-stuft, und man verlangte in einer eigenszu diesem Zweck einberufenen Sondersit-zung des Allgemeinen Rats eine Änderungder US-amerikanischen Politik.30 In Erwi-derung auf diese Forderung rechtfertig-ten die USA ihren Rückgriff auf unilatera-le Maßnahmen mit der Beschwerde, dasGATT-Streitschlichtungsverfahren sei zulangsam und zu schwach, um US-ameri-kanische Handelsinteressen angemessenzu schützen. In ihrer Argumentation wie-sen sie insbesondere auf das aus dem po-sitiven Konsensverfahren resultierende Ve-torecht hin.

Diese „Gegenattacke“ der USA ver-anlasste die anderen Regierungen dazu,folgenden Vorschlag zu machen: Im Ge-genzug für das Zugeständnis der USA,alle auf WTO-Recht gestützten Section301-Beschwerden unter dem WTO-Streit-schlichtungsverfahren beizulegen, würdendie anderen GATT-Mitglieder der Schaf-fung eines neuen, auf verbindlicheren Ver-fahrensvorschriften beruhenden Streit-schlichtungssystems zustimmen, welchesden Bedenken der USA voll Rechnung tra-gen würde. Die USA erklärten sich einver-standen.

So gesehen kann die Entstehung desneuen Streitschlichtungsverfahrens, der

28 So verweigerten die USA die Umsetzung derSection 337 Entscheidung so lange bis ihreForderungen im Bereich der geistigen Eigen-tumsrechte (TRIPS) erfüllt wurden, und selbstdanach setzten sie die Entscheidung nur teil-weise um. Ähnlich verhielten sich die EU, Ka-nada und Japan. Vgl. Hudec (2000), S. 371.

29 Vgl. hierzu und zu den folgenden Ausführun-gen der Verhandlungsgeschichte Hudec(2000), S. 373ff.

30 GATT Document C/1633 (16 March 1989).

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plötzliche Sinneswandel der GATT-Mit-gliedstaaten, auch als „choice betweentwo evils“31 gesehen werden: Eine Wahlzwischen dem mit Sicherheit entstande-nen Rechtskonflikt („legal conflict“), wenndie USA den neuen „Section 301“ ange-wendet hätten und dem ziemlich hohenRisiko von Gesetzesversagen („legal fai-lure“) in der etwas weiteren Zukunft. Dannnämlich, wenn ein Streitschlichtungsver-fahren etabliert würde, das von den Re-gierungen mehr verlangt, als sie zu ge-ben bereit wären.

Die Umkehrung des positiven in einnegatives Konsensprinzip stellt neben derEtablierung eines Ständigen Berufungs-gremiums (Appellate Body – AB) die we-sentlichste Änderung des Streitschlich-tungsverfahrens der WTO gegenüber demunter dem GATT bestehenden Verfahrendar.

1.1.2 Eine unendliche Geschich-te: Der DSU-Reformprozess

Noch vor der Gründung der WTOstimmten die Mitgliedstaaten in den Ab-schlussdokumenten der Uruguay-Rundedarin überein, die Regeln und Verfahrendes DSU bis Ende 1998 einer vollständi-gen Überprüfung zu unterziehen und aufdieser Grundlage darüber zu entschei-den, ob das Verfahren beizubehalten, zuverändern oder außer Kraft zu setzen sei(„to continue, modify or terminate“).32

Diese Überprüfung (Dispute Settle-ment Review) begann 1997 und sollte ur-sprünglich zum 1. Januar 1999 abge-

schlossen sein. Diese Deadline erwies sich1998 als unrealistisch und wurde zunächstauf den 31. Juli 1999, dann auf die 3.WTO-Ministerkonferenz Ende November/Anfang Dezember 1999 verschoben. Durchdas generelle Scheitern der 3. WTO-Mini-sterkonferenz in Seattle wurden keinerlei Be-schlüsse gefasst.

Nachdem somit zwei Deadlines für denAbschluss des Review-Prozesses ergebnis-los verstrichen waren, wurde 2001 auf derWTO-Ministerkonferenz in Doha dessenZielbestimmung verändert: nunmehr solltees lediglich um eine Verbesserung und Klä-rung („to improve and clarify“) des beste-henden DSU gehen (vgl. Absatz 30 derDoha Ministerial Declaration – DMD). DieMitgliedstaaten vereinbarten, die Verhand-lungen bis spätestens Mai 2003 abzuschlie-ßen. Des Weiteren wurde vereinbart, dassder DSU-Review nicht unter die Gesamtver-pflichtung („single undertaking“) der inDoha beschlossenen neuen Handelsrundefällt (vgl. Absatz 47 der DMD). Dies bedeu-tet, dass der Abschluss des DSU-Review kei-ne Bedingung für den Abschluss der gesam-ten Verhandlungsrunde ist.

Von März 2002 bis Mai 2003 wurden in13 formellen Verhandlungssitzungen („spe-cial sessions“) des Streitschlichtungsgre-miums unter Leitung des DSB-VorsitzendenPéter Balás, dem Botschafter Ungarns, dieVerhandlungen geführt. Bis dahin reichtendie Mitgliedstaaten 42 Reformvorschlägeein.

Ende Mai 2003 legte Péter Balás im Rah-men seines Berichts an das Trade Nego-tiations Committee einen revidierten Text inder Hoffnung vor, damit eine konsensfähigeGrundlage für die Fortsetzung der Verhand-lungen geschaffen zu haben.33 Doch diesesollte sich nicht erfüllen. Zwar zeigte sichdie Mehrheit der Mitgliedstaaten zu einerFortsetzung der Verhandlungen bereit,eine Einigung konnte jedoch weder hin-sichtlich eines neuen Verhandlungsplans,der Reichweite der Verhandlungen nochin der Frage, ob ein neues Mandat erfor-derlich sei, erzielt werden.

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31 Hudec (1991).32 Beschluss der Minister zur Anwendung und

Überführung der Vereinbarung über Regelnund Verfahrens zur Beilegung von Streitigkei-ten vom 15. Dezember 1993, ABl. 1994, Nr.L 336, S. 269.

33 Der Chairman-Text ist dem Bericht des Chair-man an das Trade Negotiations Committeeenthalten, vgl. WTO-Dokument, Juni 2003,TN/DS/9, S. 6.

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Nachdem also die dritte Deadline am31. Mai 2003 abermals nicht eingehal-ten werden konnte, beschloss der Allge-meine Rat der WTO am 24. Juli 2003, denVerhandlungszeitraum um ein Jahr bis zum31. Mai 2004 zu verlängern. Unmittelbarnach dem Scheitern der Cancún-Minister-konferenz wurden die Verhandlungen inden Special Sessions bereits Mitte Okto-ber 2003 in monatlichen Sitzungen fort-gesetzt. Im Rahmen einer Neubestim-mung sämtlicher Vorsitzender der WTO-Gremien und Verhandlungsgruppen tratim Februar 2004 der Australier DavidSpencer an die Stelle von Péter Balás.David Spencer erklärte anlässlich seinesersten Auftritts als neuer DSB-Vorsitzender,dass er es für besser halte, wenn die Mit-gliedstaaten direkt untereinander verhan-delten, als durch ihn als Vorsitzenden. Auchdieser „hands-off“-Ansatz schaffte es nicht,den Verhandlungsprozess erfolgreich wie-derzubeleben. Auch die vierte Deadlineam 31. Mai 2004 verstrich, aber diesmalbestand wenigstens ein Konsens: keineneue Deadline für den Abschluss der Ver-handlungen zu setzen.34

1.2 Das Verfahren im Über-blick

Das WTO-Streitschlichtungsverfahrengliedert sich in drei Verfahrensabschnitte:das Panelverfahren inklusive der ihm ob-ligatorisch vorgeschalteten Konsultations-phase, das Berufungsverfahren sowie dasVerfahren zur Umsetzung der getroffenenEntscheidung (Implementierungsverfah-ren).

1.2.1 Das Konsultations- undPanelverfahren

Nach Artikel 3.3 DSU soll die soforti-ge Klärung von Streitigkeiten über die Be-einträchtigung von Rechten und Pflichtendurch Handelsmaßnahmen wesentlich zumwirksamen Funktionieren der WTO und zurErhaltung eines ausgewogenen Verhält-nisses zwischen den Rechten und Pflich-

ten der Mitglieder beitragen. Das Ziel desStreitschlichtungsmechanismus ist die po-sitive Lösung einer Streitigkeit. Eine zwi-schen den Streitparteien einvernehmlichvereinbarte Lösung des Konflikts ist derInanspruchnahme des Streitschlichtungs-mechanismus eindeutig vorzuziehen.Kommt eine solche nicht zustande, dannbesteht das erste Ziel des Streitschlich-tungsmechanismus gewöhnlich darin, dieRücknahme der als für nicht mit demWTO-Recht vereinbar befundenen Han-delsmaßnahme sicherzustellen. Nur wenndie sofortige Rücknahme der Maßnahmeaus praktischen Gründen nicht möglich ist,kommt die grundsätzlich freiwillige Verein-barung einer Entschädigung als vorü-bergehende Maßnahme bis zur Rücknah-me der nicht WTO-konsistenten Maßnah-me in Betracht (Artikel 3.7 DSU).

Das Konsultationsverfahren ist der er-ste verbindliche Schritt, der von den Partei-en unternommen werden muss, um eineStreitigkeit beizulegen. Die Partei, gegendie der Antrag gerichtet ist, soll innerhalbvon 10 Tagen Stellung nehmen und inner-halb von nicht mehr als 30 Tagen die Kon-sultationen eröffnen. Eine beachtliche An-zahl von Streitigkeiten wird bereits in die-ser Phase beigelegt.35 Für diese Phase derKonfliktlösung bietet das DSU neben demherkömmlichen Konsultationsverfahren –weitgehend ungenutzte – alternative Ver-mittlungsverfahren wie Gute Dienste, Ver-gleich und Mediation (Artikel 5 DSU).

Wenn eine Streitigkeit nicht innerhalbvon sechzig Tagen durch Konsultationenbeigelegt wird, kann die beschwerdefüh-rende Partei die Einsetzung eines Panelsbeantragen (Artikel 4.7 DSU). In dem An-trag soll der strittige Sachverhalt mitge-teilt und die Rechtsgrundlage für die Be-

34 Vgl. WTO-Reporter, 25. Mai 2004.35 Compliance and Dispute Settlement in the

WTO and in Multilateral EnvironmentalAgreements. Note by the WTO and UNEPSecretariats, WTO-Dokument, 6. Juni 2001,WT/CTE/W/191, S. 6.

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schwerde genannt werden. Die Einsetzungeines Panels kann vom DSB nur durchKonsens abgelehnt werden (Artikel 6.1DSU). Die Panels bestehen normalerwei-se aus drei, maximal fünf hochqualifizier-ten Einzelpersonen, die auf dem Gebietdes internationalen Handelsrechts oder derHandelspolitik anerkannt und erfahren sind(Artikel 8.1 DSU).36 Das Sekretariat hatbezüglich der Nominierung der Panelistenein Vorschlagsrecht und wählt diese, diesog. ad hoc panelists, aus einer zu die-sem Zweck geführten Liste aus (Artikel 8.4und 8.5 DSU).37 Da in der kleinen Weltdes internationalen Wirtschaftsrechts dieeinschlägigen Positionen der als Panelistenin Frage kommenden Experten häufig mehroder weniger bekannt sind, verschafft die-se Zuständigkeit dem Sekretariat eine er-hebliche Einflussmöglichkeit auf die Ent-wicklung des Rechts. Es ist auch bekannt,dass die nach Artikel 27 DSU zulässigetechnische Unterstützung der Panel-Mit-glieder durch das WTO-Sekretariat nichtselten zur Folge hat, dass der Abschluss-bericht weitgehend durch das Sekretari-at geprägt ist.38

Obwohl die Parteien die ausgewähl-ten Panelisten nur aus zwingenden Grün-den zurückweisen dürfen (Artikel 8.7 DSU),ist dies wohl zum Regelfall geworden.39

In der Mehrzahl der Fälle wählt daher derGeneraldirektor nach Absprache mit demDSB-Vorsitzenden die Panelisten aus (Ar-tikel 8.6 DSU).

Das Panelverfahren beginnt mit derschriftlichen Einreichung der Eingabendurch die Parteien (Artikel 8.6 DSU).40 DasPanel entscheidet innerhalb des ihmdurch das DSU vorgegebenen Verhand-lungsmandats über den dargelegtenSachverhalt und dessen rechtliche Beurtei-lung (Artikel 7 DSU). Dabei folgt es demin Anhang 3 des DSU vorgegeben Ar-beitsverfahren, von dem es nach Abspra-che mit den Parteien auch abweichen darf(Artikel 12.1 DSU). Nachdem die erste An-hörung stattgefunden hat, können dieParteien abermals schriftlich Eingabenmachen. Nach der darauf folgendenzweiten mündlichen Anhörung fasst dasPanel einen Entwurf des Abschlussberichts(Zwischenprüfung – Interim Review Stage)ab, zu dem die Parteien schriftlich Stel-lung nehmen können (Artikel 15 DSU).41

Unter Einbeziehung dieser Stellungnah-men erstellt das Panel den Abschluss-bericht zur Vorlage an das DSB. DerAbschlussbericht des Panels soll innerhalbvon sechs Monaten, spätestens neun Mo-nate nach Zusammensetzung des Panelsden Parteien vorgelegt werden (Artikel 12.8und 12.9 DSU). Selbst dieser Zeitrahmenkann aufgrund der Komplexität der mei-sten Sachverhalte und des Umfangs derschriftlichen Eingaben nur selten eingehal-ten werden.42 Oftmals vereinbaren dasPanel und die Parteien einen spezifischenZeitplan, der zwar von den Zeitvorgabendes DSU abweicht, das gewünschte Ergeb-nis jedoch erreicht, da er die Verfahrens-interessen der Parteien zu schützen vermag.Die Annahme des Panelberichts erfolgt in-nerhalb von sechzig Tagen nach seiner Ver-teilung im DSB sofern keine der Parteienförmlich Berufung einlegt oder – waspraktisch ausgeschlossen ist – die Annah-me des Berichts einstimmig abgelehntwird (Artikel 16.4 DSU).

Das Panelverfahren ist ebenso wie dassich anschließende Berufungsverfahrennicht öffentlich, sämtliche schriftliche Ein-gaben sind vertraulich zu behandeln undwerden nur den beteiligten Parteien, wozuneben den Streitparteien auch sog. Dritt-beteiligte (Artikel 10 DSU) zählen, zu-

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36 Zu der Aufgabe des Panels vgl. Artikel 11DSU.

37 Panelisten müssen jedoch nicht von dieser Li-ste ausgewählt werden. Sie müssen lediglichdie hohen Qualifikationserfordernisse erfül-len.

38 Bodandy (2001), S. 267.39 Vgl. UNCTAD (2003).40 Zuvor legt das Panel in Absprache mit den

Parteien den Zeitrahmen für die Verhandlun-gen fest, der die in Artikel 20 festgeschriebe-nen Grenzen nicht überschreiten soll.

41 Siehe auch Anhang 3 DSU.42 Palmeter & Mavroidis (2004), S. 162.

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gänglich gemacht.43 Die Frage, inwieweitein Panel auch unaufgeforderte Eingaben(unsolicited submissions) im Rahmen sei-nes Rechts Informationen zur Klärung derStreitigkeiten einzuholen, annehmen darf,soll innerhalb des umweltrelevanten As-pekts der Behandlung von amicus (curiae)briefs näher erörtert werden.

1.2.2 Das Berufungsverfahren

Gegen den Panelbericht kann von denStreitparteien Berufung vor dem ständi-gen Berufungsgremium (Appellate Body– AB) eingelegt werden. Das Berufungs-gremium setzt sich aus sieben hochqua-lifizierten Personen zusammen, die für eineAmtszeit von vier Jahren vom DSB ernanntwerden (Artikel 19.1 - 19.3 DSU). Die Eta-blierung des AB stellt neben der Einfüh-rung des negativen Konsensverfahrens diewesentlichste Änderung gegenüber demGATT-Streitschlichtungsverfahren dar. DieBerufung beschränkt sich auf die in demPanelbericht behandelten Rechtsfragenund Rechtsauffassungen des Panels (Arti-kel 16.6 DSU). Die Entscheidungen desPanels unterliegen hierdurch der „Rechts-kontrolle“ einer übergeordneten Instanzund sollen der unterliegenden Partei dieMöglichkeit geben die Rechtsauffassungder Panelisten überprüfen zu lassen. DerAB kann die Entscheidungen des Panelsbestätigen, abändern oder auf-hebenund soll innerhalb eines Zeitraums vonsechzig Tagen nach Einlegung der Beru-fung einen Abschlussbericht an das DSBverteilen. Dieser wird vom DSB ange-nommen und von den Streitparteien be-dingungslos übernommen, sofern dasDSB nicht innerhalb von 30 Tagen nachVerteilung des Berichts an die Mitgliederdurch Konsens dessen Nichtannahme be-schließt (Artikel 17.13 und 17.14 DSU).

Das unter dem DSU neu etablierteständige Berufungsgremium soll dahervor allem eine einheitliche Anwendungund Auslegung des WTO-Rechts gewähr-leisten. Es trägt dadurch wesentlich zur„Schaffung von Sicherheit und Vorherseh-

barkeit im multilateralen Handelssystem“(Artikel 3.2 DSU) bei. Durch diese in Arti-kel 3.2 DSU konkretisierte Funktion desDSU wird der Aufbau eines entscheidungs-gestützten Rechtskorpus‘ legitimiert. Hier-aus ergebe sich auch, wie das Berufungs-gremium ausgeführt hat, die Verpflich-tung, vorausgegangene Berichte und In-terpretationen in die Betrachtung ein-zubeziehen. Auch wenn die Berichte alssolche keine bindende Kraft über dieStreitentscheidung hinaus hätten, schaff-ten sie doch berechtigte Erwartungen undmüssten deshalb bei künftigen Entschei-dungen berücksichtigt werden.44 DerRechtsprechungsmechanismus ist damitein rechtserzeugendes Verfahren. Derdurch die Gründung der WTO errichtetematerielle Rechtskorpus wird stetig und ei-genständig fortentwickelt.

Richterrecht ist aber angesichts derUnabhängigkeit der Richter unter demdemokratischen Prinzip problematisch,weswegen der Gesetzgeber in voll entwik-kelten Rechtssystemen jederzeit korrigie-rend eingreifen kann (Positivität desRechts).45 Einen solchen Gesetzgeber gibtes für das WTO-Recht jedoch nicht: Isteine völkerrechtliche Vereinbarung inKraft, so ist sie dem politischen Zugriffweitgehend entzogen – zwar nicht norma-tiv, aber in praktischer Hinsicht. Das WTO-Recht untergräbt aus dieser Perspektivegesehen die Positivität des Rechts, unddamit einen wichtigen Aspekt demokra-tischer Souveränität.46

43 Ein Mitglied, das ein wesentliches Interesse aneiner Angelegenheit hat und dieses Interesseangezeigt hat, kann vom Panel gehört werdenund schriftliche Eingaben machen.

44 Japan – Taxes on Alcoholic Beverages, WT/DS11/AB/R, S.15 und Bogdandy (2001), S.274

45 Im zeitgenössischen Verfassungsstaat bedeutetRecht positives Recht. Das wesentlichste Merk-mal dieser Positivität ist der Zugriff und dieVerantwortlichkeit der Legislative für diesesRecht. Die Positivität des Rechts ist ein wichti-ger Aspekt demokratischer Souveränität.

46 Bogdandy (2001), S. 270f und 274.

Das Streitschlichtungsverfahren der WTO und seine Reform

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1.2.3 Das Implementierungs-verfahren

Kommen das Panel oder der AB zudem Schluss, dass eine Maßnahme nichtmit dem WTO-Recht vereinbar ist, soll esdem betreffenden Mitglied empfehlen,diese in Einklang mit dem Übereinkom-men zu bringen. Trotz der Verwendung desBegriffs der Empfehlung resultiert aus Ar-tikel 19 DSU die Verpflichtung zur Her-beiführung einer WTO-rechtskonformenSituation. Zusätzlich kann das Panel oderder AB Möglichkeiten vorschlagen, wiedas betreffende Mitglied die Empfeh-lungen umsetzen könnte (Artikel 19.1DSU). Von dieser Möglichkeit machen je-doch weder die Panel noch der AB Ge-brauch.47

Die sofortige Umsetzung (prompt com-pliance) der ausgesprochenen Empfehlun-gen und Entscheidungen ist nach dem DSUwesentlich für die wirksame Beilegung vonStreitigkeiten zum Wohle aller Mitglieder(Artikel 21.1 DSU). Wenn es – wie im Re-gelfall – nicht möglich ist, die Empfeh-lungen sofort umzusetzen, wird dem be-troffenen Mitglied ein angemessener Zeit-raum (reasonable period of time – RPT)hierfür eingeräumt (Artikel 21.3 DSU). Die-ser soll nicht mehr als 15 Monate betragen(Artikel 21.4 DSU).

Wenn auch nach Ablauf dieses Zeit-raums keine WTO-konforme Situationherbeigeführt worden ist, kann die ob-siegende Partei das umsetzungsver-pflichtete Mitglied zu grundsätzlich frei-willigen Entschädigungsverhandlungen

auffordern. Entschädigungen sind je-doch nur als vorübergehende Maßnah-men bis zur Herbeiführung einer WTO-konformen Situation gestattet und müs-sen nach dem Grundsatz der Meistbe-günstigung auch allen anderen nichtdurch die Maßnahme betroffenen Mit-gliedstaaten gewährt werden (Artikel22.2 DSU).48 Wird innerhalb von zwan-zig Tagen nach Ablauf des angemesse-nen Zeitraums keine beiderseitig zufrie-den stellende Lösung erzielt, kann dieobsiegende Partei beim DSB die Ge-nehmigung beantragen Zugeständnis-se auszusetzen. Dem Antrag muss dasDSB innerhalb von dreißig Tagen nachAblauf des angemessenen Zeitraumsentsprechen, sofern er nicht konsensualabgelehnt wird. Erhebt das betreffendeMitglied Einspruch gegen den vorge-schlagenen Umfang der Aussetzungoder behauptet es die Verletzung von(förmlichen) Vorschriften des Ausset-zungsverfahrens, wird dies im Rahmeneines Schiedsverfahrens geklärt (Artikel22.6 DSU). Die Parteien nehmen die Ent-scheidungen des Schiedsrichters alsendgültig an. Das DSB erteilt die bean-tragte Genehmigung zur Aussetzung vonZugeständnissen oder sonstigen Pflich-ten.

Falls jedoch strittig ist, ob Maßnah-men zur Umsetzung ergriffen wordensind oder ob die ergriffenen Maßnahmenmit den unter die Vereinbarung fallen-den Übereinkommen vereinbar sind,muss hierüber in dem Verfahren nachArtikel 21.5. DSU entschieden werden.Nach überwiegender Auffassung derMitgliedstaaten muss dieses Verfahrensabgeschlossen sein, bevor Entschädi-gungsverhandlungen geführt oder dieAussetzung von Zugeständnissen bean-tragt werden kann.49

Bei einem Verfahren nach Artikel 21.5DSU kann es sich um ein gegenüber demursprünglichen Verfahren völlig neueshandeln, weil die ergriffenen Maßnah-men einen anderen Sachverhalt schaf-fen können, der unter anderen rechtli-

Das Streitschlichtungsverfahren der WTO und seine Reform

47 Shaffer (2003), S. 38, siehe dazu unter 2.2.2.48 Entschädigung kann nach dem WTO-Recht

nicht in geldwerten Zahlungen geleistet wer-den, sondern beispielsweise in Form von Zoll-nachlässen oder durch die Aufhebung ande-rer Einfuhrbeschränkungen. Siehe Palmeter &Mavroidis (2004), S. 265.

49 Vgl. Palmeter & Mavroidis (2004), S. 287;WTO-Dokument TN/DS/W/1, S. 25 (EC) undMavroidis (2002), S. 81 und S. 91.

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chen Gesichtspunkten zu beurteilen ist.Es soll möglichst das ursprüngliche Pa-nel wiedereingesetzt werden, was jedochwegen der bis dahin vergangenen Zeitpraktisch nicht möglich ist. Sofern dasPanel von dem vorgegebenen Zeitrah-men von 90 Tagen abweichen will, musses dem DSB hierfür schriftlich die Grün-de mitteilen.

1.3 Die Reformdebatte im Dis-pute Settlement Body: Die we-sentlichen Reformvorschläge

1.3.1 Transparenz

Sowohl die USA50 als auch die EU51

plädieren für eine transparentere Ge-staltung des Verfahrens. Während dieUSA alle Verfahrensstufen für die Öffent-lichkeit zugänglich machen wollen undauch schriftliche Eingaben durch dieÖffentlichkeit (amicus briefs)52 zulassenwollen, befürwortet die EU eine Öffnungdes Verfahrens grundsätzlich für alleMitgliedstaaten; eine Öffnung für dieÖffentlichkeit soll in das Ermessen derParteien gestellt werden. Partizipations-rechte, wie das Recht zur mündlichenStellungnahme während des Prozesses,werden abgelehnt. Beiden Vorschlägenzufolge sollen jedenfalls die Entschei-dungsorgane die Möglichkeit behalten,Betriebsgeheimnisse betroffener Wirt-schaftsakteure (confidential business in-formation) nicht öffentlich zu machen.Die Vorschläge können insgesamt alsnicht konsensfähig betrachtet werden.53

Dabei wird hauptsächlich auf eine Be-einträchtigung des zwischenstaatlichenCharakters des Verfahrens verwiesen.Insbesondere die Entwicklungsländerbefürchten, dass durch eine Öffnungdes Verfahrens vom Rechtsstreit betrof-fene große Konzerne und Wirtschafts-verbände (noch) ungebremst(er) auf dasProzessgeschehen Einfluss nehmen könn-ten. In Anbetracht der Tatsache, dassdiese schon jetzt maßgeblich auf die vonden Regierungen zu fertigenden Ein-

gaben informell Einfluss nehmen kön-nen, ist fraglich, ob eine solche Einfluss-nahme durch eine transparentere Ge-staltung des Verfahrens (nur) „forma-lisiert“ oder die Möglichkeit zur Einfluss-nahme faktisch vergrößert würde. VonIndien wird darüber hinaus die poten-tielle Beeinflussung des Verhandlungs-geschehens durch die Medien als Ge-fahr für eine unabhängige Prozessfüh-rung angesehen.54

1.3.2 Partizipation

Einigen Vorschlägen zufolge (CostaRica, Jamaika, EU) sollen Drittbeteiligtebesser über das Verhandlungsgescheheninformiert werden und aktiver an denVerhandlungen teilnehmen dürfen. Dar-über hinaus sollen sie auch während desfortgeschrittenen Prozesses noch alsDrittbeteiligte in das Verfahren eintretendürfen und auch während des Berufungs-verfahrens ein Anhörungs- und Eingabe-recht erhalten.55

Das Streitschlichtungsverfahren der WTO und seine Reform

50 WTO-Dokument, 11. Februar 2003, TN/DS/W/46, S. 1.

51 WTO-Dokument, 13. März 2002, TN/DS/W/1,S. 6.

52 Diese Thematik wird unter 3.3. behandelt.53 Obwohl der sog. Balás-Text (WTO-Dokument,

6. Juni 2003, TN/DS/W/9) kein eigentlichesKonsenspapier ist, weil er zahlreiche Vor-schläge außen vor lässt, soll er im folgendenals Richtschnur für die Konsensfähigkeit ein-zelner Vorschläge herangezogen werden. Esist das einzige Dokument, das einen Teil derim Laufe des Reformprozesses gemachtenVorschläge mit dem Ziel, eine Verhandlungs-grundlage zu schaffen, zusammenfasst. Vgl.auch WTO-Reporter, 21. Mai 2003: „U.S., EUPan WTO Chair Text on Dispute SettlementReform“.

54 WTO-Reporter, 11. September 2002: „U.S.Proposal on Dispute Transparency Gets CoolReception From WTO Members“.

55 WTO-Dokument, 24. Juli 2002, TN/DS/W/12,S. 3 (Costa Rica), WTO-Dokument, 11. Febru-ar 2003, TN/DS/W/47, S. 1 (Indien, Kuba,Dominikanische Republik, Ägypten, Hondu-ras, Jamaica, Malaysia), WTO-Dokument, 13.März 2002, TN/DS/W/1, S.10 (EU), WTO-Do-kument, 6. Juni 2003, TN/DS/9, S. 9 (hiersog. „Balás-Text“).

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1.3.3 Verkürzung der Dauer desPanel- und Berufungsverfahren

In Anbetracht der Tatsache, das die mei-sten der Verfahren den vorgesehenen Zeit-rahmen sowohl während des Panel- als auchdes Berufungsverfahrens überschreiten, wirdin den Reformvorschlägen einiger Mitglied-staaten (so z.B. der EU) eine Beschleunigungdes Verfahrens durch Verkürzung der Zeitrah-men einzelner Verfahrensabschnitte ange-strebt.56 Durch eine Verkürzung allein derZeitrahmen eine Beschleunigung des Ver-fahrens zu erreichen erscheint jedoch we-nig wahrscheinlich.57 Dem Problem derVerlängerung des Verfahrens durch dieEinführung zusätzlicher Verfahrensab-schnitte (Zurückverweisungsrecht im Beru-fungsverfahren, „compliance stage“ mitder Möglichkeit einer zusätzlichen Beru-fung während des Implementierungsver-fahrens) wird insgesamt nur unzureichendRechnung getragen. Hinzu kommt, dassdie Überschreitungen der Zeitrahmen imImplementierungsverfahren ein wesent-lich ernsteres Problem darstellen.58

Zahlreiche Entwicklungsländer plädie-ren für eine Verlängerung der Zeitrahmenfür die Konsultationsverhandlungen, dadiese Phase der Verhandlungen für dieVertretung ihrer Interessen besonderswichtig sei.59

1.3.4 Einführung eines Zurück-verweisungsrechts im Beru-fungsverfahren

Da der AB auf der Grundlage des vondem Panel erstellten Sachverhalts ledig-lich zu einer Überprüfung der rechtlichenBewertung des Streitfalls befugt ist, kanner in Fällen unzureichender Sachverhalts-ermittlungen durch das Panel, den Fallnicht abschließend beurteilen. Die Einfüh-rung eines Zurückverweisungsrechts imBerufungsverfahren soll sicherstellen, dasin einem solchen Fall das ursprünglichePanel erneut notwendige Tatsachen fest-stellt und dies nicht eigenmächtig durchden AB selbst erfolgt. Insoweit ist die Ein-führung dieses Verfahrensabschnitts sach-lich zwingende Folge der Etablierung desBerufungsverfahrens durch das DSU. Die-ser Vorschlag kann als konsensfähig be-trachtet werden.60

1.3.5 Überprüfung der Umset-zung: Die Einführung einer„compliance stage“ imImplementierungsverfahren

Wenn zwischen den Parteien Uneinig-keit darüber besteht, ob eine Maßnahmezur Umsetzung der Entscheidung getrof-fen wurde oder ob die ergriffenen Umse-tzungsmaßnahmen im Einklang mit demWTO-Recht stehen, soll hierüber im Rah-men eines (neuen) Panelverfahrens ent-schieden werden können.

Der Grund für die Einführung diesesVerfahrensabschnitts soll vor allem zu ei-ner Klärung des sog. „sequencing issue“(zeitliche Abfolge der einzelnen zulässi-gen Verfahrensschritte) führen, ein zentra-les Reformanliegen vieler Mitgliedstaa-ten.61 Vor allem im sog. Bananen-Fall62

wurde die Problematik relevant, ob eineInadäquanz der von der EU ergriffenenUmsetzungsmaßnahmen (bzw. die Nicht-umsetzung der Entscheidung) zunächst ineinem Verfahren nach Artikel 21.5 DSUfestgestellt werden musste, bevor die be-schwerdeführende Partei nach Artikel 22.2

Das Streitschlichtungsverfahren der WTO und seine Reform

56 WTO-Dokument, 13. März 2002, TN/DS/W/1, S. 9.

57 Davey (2002), S. 35f.58 Petersmann (2002), S. 14.59 WTO-Dokument, 9. Oktober 2002, TN/DS/

W/19, S. 2.60 WTO-Dokument, 6. Juni 2003, TN/DS/9, S. 7.61 Vgl. WTO-Dokument, 28. Oktober 2002, TN/

DS/W/22 (Japan); WTO-Dokument, 1. Novem-ber 2001, WT/MIN(01)/W/6 (Kanada, Kolum-bien Costa Rica, Ecuador, Neuseeland, Nor-wegen, Peru, Süd-Korea, Schweiz, Venezuela).

62 European Communities – Regime for the Im-portation, Sale and Distribution of Bananas(WTO-Dokument WT/DS27, WTO-DokumentWT/DS158, WTO-Dokument WT/DS165); vgl.zu den entwicklungspolitisch bedeutsamen Fra-gestellungen auch South Centre (1999), S. 9ff.

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DSU die Aussetzung von Handelsvorteilenbeim DSB beantragen konnte.63

Mit der Einführung einer „compliancestage“ soll eine Kodifizierung der jetzt be-reits bestehenden Praxis64 in einem Verfah-ren nach Artikel 21.5 DSU erfolgen. Der Vor-schlag kann als konsensfähig betrachtetwerden.65 Nach der jüngeren Rechtspre-chung ist eine Berufung gegen den Abschluss-bericht eines compliance panels zulässig. Beidem Verfahren nach Artikel 21.5 DSU kannder Vertragsgegenstand gegenüber dem ur-sprünglichen Verfahren völlig neu sein.66 In-soweit wird von der EU auch die Einführungeines Zurückverweisungsrechts im Rahmender in dem Verfahren nach Artikel 21.5. statt-findenden Berufung befürwortet.67

Um eine schnellere Umsetzung der ge-troffenen Entscheidungen zu bewirken, wirdvorgeschlagen, den Zeitpunkt der Bestim-mung des Umfangs der beeinträchtigtenHandelsvorteile zeitlich vorzuverlegen. Wäh-rend dies momentan erst im Rahmen derGenehmigungsentscheidung über die Aus-setzung von Handelsvorteilen erfolgt, solldem diesbezüglich weitestgehendem Vor-schlag zufolge schon eine Bestimmung imPanelverfahren möglich sein. So könntenden Parteien schon möglichst früh die durchdie strittige Maßnahme entstehenden wirt-schaftlichen Beeinträchtigungen vor Augengeführt werden. Wenn diese Umgestaltungdes Systems mit der Einführung alternati-ver Kompensationsmöglichkeiten verbun-den würde, könnte dieser Auffassung nachhierdurch ein hoher Anreiz zur schnellenUmsetzung der Entscheidung geschaffenwerden.68

1.3.6 Einführung eines „ständigenStreitschlichtungsgremiums1. Instanz“

Ein zentraler von der EU vorgebrach-ter Vorschlag mit weitreichenden Konse-quenzen für den Grad der Institutionali-sierung des DSU zielt auf die Einführungvon ständigen Panelisten (permanent pa-nelists) anstelle der momentan ad hoc ein-

berufenen Panelisten.69 Schon die Grün-dung des AB, des DSB und die schrittwei-se Verfeinerung des Systems verändertentief greifend das Verhältnis zwischen dis-pute settlement und dem politisch-diplo-matischen Prozess. Die Befürworter derGründung eines Welthandelsgerichtshofsbetrachten den Wechsel zu einem Stän-digen Streitschlichtungsgremium 1. In-stanz (Permanent Panel Body) als einenweiteren wesentlichen Schritt hin zu einemzwei Instanzen umfassenden Welthandels-gerichtshof.70 Nach dieser Auffassung ent-wickelt sich die WTO zusehends zum Kerneiner Weltwirtschaftsverfassung und dessenStreitschlichtungsverfahren zum Kern einerWeltwirtschaftgerichtsbarkeit;71 jedenfallsder Appellate Body erfülle faktisch die Merk-male eines Internationalen Gerichts.72

Das Streitschlichtungsverfahren der WTO und seine Reform

63 Die vom DSU hier vorgesehenen Zeitrahmenwidersprechen sich: Während Artikel 21.5.ein 90-tägiges Verfahren zur Klärung der In-konsistenz vorsieht, kann nach Artikel 22.2DSU bereits 20 Tage nach Ablauf des ange-messenen Umsetzungszeitraums ein Aus-setzungsantrag gestellt werden.

64 Siehe zu den sog ad hoc Lösungen der jewei-ligen Streitparteien Palmeter & Mavroidis(2004), S. 284ff.

65 Einigkeit besteht darin, dass das sog.„sequencing-issue“ durch eine Kodifizierunggeklärt werden soll, vgl. Mavroidis (2002),S. 90. Die Einführung einer „compliancestage“ impliziert die Lösung dieser Problematik.

66 Palmeter & Mavroidis (2004) S. 249f.67 WTO-Dokument, 13. März 2002, TN/DS/W/1

(EU), S. 13 und 16.68 WTO-Dokument, 4. November 2002, TN/DS/

W/23 (Mexiko), S. 3 , siehe dazu ausführlichunter Abschnitt 2.2.2.

69 WTO-Dokument, 13. März 2002, TN/DS/W/1(EU), S. 2f und 9f. In den auch außerhalb desDSU-Reformprozesses diskutierten Vorschlä-gen variiert die Anzahl der Voll- oder Halb-zeitpanelisten zwischen max. 50 und 15-24.Zur Debatte steht auch ein sog. „hybrid panelsystem“, bei dem die Möglichkeit der Parteien,die ad hoc Panelisten zu bestimmen, erhaltenbleiben soll und ein unilaterales Recht zurVerweisung an ein Permanent Panel bei Schei-tern der Bestimmung der Panelisten durch dieParteien eingeführt werden soll. Siehe hierzuPetersmann (2002), S. 14 sowie Cottier(2002), S. 40ff.

70 Cottier (2002), S. 41, 49. 71 Cottier (1997), S. 124. 72 Vgl. Emmerich-Fritsche (2002), S. 193.

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Nach der Auffassung der EU kann durchdie Einführung von permanent panelists Ex-pertise, Legitimität, Unabhängigkeit undKohärenz der WTO-Rechtsprechungsin-stanz erhöht werden. Gleichzeitig könn-ten hierdurch Vorabentscheidungen sowiedie Einführung eines Zurückverweisungs-rechts wegen mangelnder Sachverhalts-ermittlung des Appellate Body an das Pa-nel erleichtert werden.73

Der Vorschlag der EU ist nicht konsens-fähig, von vielen Mitgliedstaaten wird derWechsel von „ad hoc panelists“ zu „per-manent panelists“ nicht für notwendig, je-denfalls nicht als ein prioritäres Reforman-liegen erachtet.74

Eine Einführung der dargestellten Ver-fahrensabschnitte würde zu einer zusätzli-chen Institutionalisierung des Streitschlich-tungsverfahrens führen.

Während Vorschläge wie der bzgl. derEinführung eines Permanent Panel Bodyoder verbesserter Drittbeteiligungsrechte

Das Streitschlichtungsverfahren der WTO und seine Reform

gerade auf eine Stärkung des „judicialbranch“ durch einen zunehmend kodifi-zierten Prozessmechanismus gerichtetsind, zielen andere auf eine Stärkung derpolitischen Elemente bei der Streitschlich-tung (political branch)75 . So ist der Vor-schlag der USA und Chiles darauf gerich-tet diesen Trend zur Verrechtlichung (judi-cialisation) umzukehren: Sie fordern dieverstärkte Kontrolle der Mitglieder auf dasProzessgeschehen und plädieren für de-ren flexible Eingriffsmöglichkeiten in dasVerfahren.76 Die in diesem Vorschlag zu-tage tretende Auffassung der USA über diezukünftige Ausrichtung des Streitschlich-tungsverfahrens steht in bemerkenswertemWiderspruch zu der 1988 im Zusammen-hang mit der Section 301 vorgebrachtenKritik. Gerade die mangelnde Effizienz undStärke des Verfahrens wurde damals alsRechtfertigung für die Notwendigkeit uni-lateraler Maßnahmen zum Schutz ameri-kanischer Handelsinteressen genannt. Ob-wohl gerade die USA wesentlich die Ein-führung des negativen Konsensverfahrensbetrieben haben und damit initiativ für dieInstitutionalisierung des Streitschlichtungs-verfahrens waren, lehnen sie eine fort-schreitende gerichtsförmige Ausgestal-tung des DSU ab.

Auch viele Entwicklungsländer wollen,wenn auch aus anderen Gründen, die ver-bliebenen diplomatischen und auf Kon-sensbildung beruhenden Elemente desStreitschlichtungsverfahrens nicht aufge-ben. Gerade wegen des oftmals für sieineffektiven Ausgangs der Verfahren plä-dieren sie für eine Stärkung der Verhand-lungsmechanismen unter besonderer Be-rücksichtigung ihrer spezifischen Interes-sen vor allem in der Konsultationsphase.77

73 Sehr instruktiv ist der “Briefwechsel” zwischenIndien und der EU, in dem Indien zu den EU-Reformvorschlägen genau nachfragt. Siehe„India´s questions to the EC on their pro-posal relating to improvement on the DSU“,WTO-Dokument, 7. Mai 2002, TN/DS/W/5und „The European Communities’ Replies toIndia´s Questions“, WTO-Dokument, 30. Mai2002, TN/DS/W/7.

74 Siehe zu den umfassenden Einwänden hierformuliert von Indien „India´s questions to theEC on their proposal relating to improvementon the DSU“, TN/DS/W/5.

75 Hauser & Zimmermann (2003), S. 243. 76 Der Vorschlag umfasst bspw. das Recht der

Parteien zur (nur) teilweisen Annahme vonEntscheidungen oder das Verfahren bei bei-derseitiger Zustimmung der Parteien auszuset-zen, vgl. WTO-Dokument, 11. Februar 2003,TN/DS/W/46, S. 2.

77 Einige Vorschläge wurden in dem Bericht desletzten Vorsitzenden Balás aufgenommen, sie-he WTO-Dokument, 6. Juni 2003, TN/DS/9,S.4 (Artikel 6.1. DSU), S.5 (Artikel 8.10), undauch WTO-Dokument, 9. Oktober 2002, TN/DS/W/19, S.3, zu der Thematik vgl. auchEhlermann (2002), S. 142; Hauser & Zimmer-mann (2003), S. 243.

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Aus der Sicht zahlreicher Entwick-lungsländer hat sich die Hoffnungihre Rechte mit Hilfe des „neuen“

DSU gegenüber den Industrieländern bes-ser durchsetzen zu können nicht nur nichterfüllt. Mehr noch, die im Rahmen desDSU-Reformprozesses artikulierten Vor-schläge werfen die Frage auf, ob der be-stehende Streitschlichtungsmechanismusdie langfristige Durchsetzung entwicklungs-spezifischer Anliegen sogar erschwert undinsoweit geeignet ist das bestehende Un-gleichgewicht zu zementieren. Zwar enthältdas DSU eine Reihe von Vorschriften zum„Special and Differential Treatment“ (SDT),die eine Berücksichtigung der besonde-ren Bedürfnisse der Entwicklungsländer imStreitschlichtungsverfahren sicherstellensollen.78 Die meisten von ihnen haben je-doch einen äußerst begrenzten Anwen-dungsbereich und viele von ihnen sindrein deklaratorischer Natur und geradenicht zwingend anzuwenden („shall“ statt„should“). Deswegen sind diese Vorschrif-ten in den bisherigen Streitfällen kaum zurAnwendung gekommen und wenn sie an-gewendet worden sind, konnten sie im Er-gebnis wenig ausrichten.79 Nach der Auf-fassung vieler Entwicklungsländer erfassendie SDT-Vorschriften im DSU nicht umfas-send und durchgehend die für die meistender Entwicklungsländer bestehenden zen-tralen Schwierigkeiten bei der Inanspruch-nahme des DSU.80

Worin bestehen also die zentralenSchwierigkeiten der Entwicklungsländerbei der Inanspruchnahme des DSU unddamit ihre Kernanliegen hinsichtlich des-sen Reform?

Die nachfolgende Darstellung be-schränkt sich auf die für die Beantwortungdieser Frage entscheidenden Aspekte.Zum einen geht es dabei um die Partizi-pationsmöglichkeiten der Entwicklungs-länder am Streitschlichtungsverfahrenund damit um die Frage, ob und wie dieNutzbarmachung des Streitschlichtungs-verfahrens selbst für die Mehrzahl der Ent-wicklungsländer faktisch ermöglicht wer-den kann. Für deren Beantwortung ist einVerständnis der bestehenden Gründe fürdie Nichtteilnahme (2.1.1) sowie der hier-aus resultierenden Konsequenzen uner-lässlich (2.1.2).

Zum anderen geht es um die Frage derEffizienz oder Effektivität des Rechtsmittel-systems (2.2), wenn ein Entwicklungslandgegenüber einem Industrieland in einemStreitfallverfahren obsiegt. Eine Kohärenzdieser Aspekte wird in Reformvorschlägensichtbar, die durch eine Umgestaltung desRechtsmittelsystems die Partizipations-möglichkeiten der Entwicklungsländerverbessern wollen.

2 Das Streitschlichtungsverfahrender WTO aus der Perspektive

der Entwicklungsländer

Perspektive der Entwicklungsländer

78 Zum Beispiel die Artikel 3.12, 4.10, 8.10,12.10, 12.11, 21.2 und 24 DSU.

79 Shaffer (2003), S. 25.80 Vgl. WTO-Dokument, 25. September 2002,

TN/DS/W/15, S.2 und auch die von Indienund vielen anderen Entwicklungsländern zu-erst im Committee on Trade and Development(CTD) eingebrachten Vorschläge (WTO-Doku-ment, 14. Mai 2002, TN/CTD/W/2 undWTO-Dokument, 17. Juni 2002, TN/CTD/W/6) bzgl. der Artikel 12.10, 4.10 und 21.2DSU. Das Komitee hat diesen Vorschlag dannan den DSU-Review Prozess weitergereicht.

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2.1 Partizipation: Rechte ohneZukunft – Zukunft ohne Rechte

Das Streitschlichtungsverfahren wirdüberwiegend von den USA und der EU inAnspruch genommen. Ihre darüber hinaus-gehende Beteiligung als Drittpartei ver-stärkt ihre Dominanz bei der Inanspruch-nahme des Systems.81 Dagegen hat dierelative Beteiligung der Entwicklungsländerunter dem WTO-Streitschlichtungsver-fahren gegenüber dem GATT-Streitschlich-tungsverfahren abgenommen, währendsich wiederum die Anzahl der Verfahren,in denen ein Entwicklungsland die beklag-te Partei war, dramatisch erhöht hat.82 Un-ter dem GATT waren Entwicklungsländerin lediglich acht Prozent der gesamtenStreitfälle beklagte Partei, unter demWTO-Streitschlichtungsverfahren ist dieseZahl auf 37% angestiegen. Die Anzahl dervon den Entwicklungsländern gegen Indu-strieländer beantragten Verfahren hat sichum ein Drittel gegenüber dem (post-1989)GATT-Regime verringert, während die An-zahl der Verfahren gegen ein Entwicklungs-länder unter dem WTO-Streitschlich-tungsverfahren gegenüber dem GATT-

Streitschlichtungsverfahren von 19% auf33% angestiegen ist. Hieraus folgt, dassfür ein Entwicklungsland die Wahrschein-lichkeit unter dem Streitschlichtungsver-fahren der WTO in Anspruch genommenzu werden um fünfmal größer ist als unterdem GATT-Regime.83

Schließlich hat seit der Gründung derWTO die Anzahl der förmlichen Beschwer-den, die zum Gegenstand eines Panel-verfahrens werden, abgenommen. Rundzwei Drittel dieser förmlichen Beschwer-den, die sich vor dem Zeitpunkt einer Pa-nel-Entscheidung (vor oder nach Einset-zung eines Panels) erledigen, weisen vol-le oder teilweise Zugeständnisse der be-klagten Partei auf.84

Vor diesem Hintergrund ist daher die For-derung zahlreicher Entwicklungsländer zusehen, eine Kompensationsregelung auchfür solche Verluste einzuführen, die durchnoch während der Verhandlungen, bzw. voreiner abschließenden Entscheidung einesPanels zurückgenommene Maßnahmenentstanden sind. Auch wenn Maßnahmennur von kurzer Dauer seien, könnten siedoch die meist schwachen und überwie-gend exportorientierten Wirtschaften derEntwicklungsländer erheblich beeinträch-tigen.85 Darüber hinaus zeige vor allemdie Tatsache, dass eine große Anzahl vonStreitigkeiten vor der Einsetzung eines Pa-nels oder aber bevor eine Streitschlich-tungsentscheidung zur Annahme vorgelegtwird, beigelegt werden, dass die Entwick-lungsländer, v.a. die LDCs, eine Unterstüt-zung durch Rechtsexpertise am dringend-sten in dieser Phase des Verfahrens benö-tigten.86

2.1.1 Gründe für die Nichtteil-nahme am Streitschlichtungs-system

Für die meisten Entwicklungsländer,insbesondere die am wenigsten entwick-elten Länder (Least Developed Countries,LDCs), ist das Streitschlichtungsverfahrenein kompliziertes und überteuertes Sy-

81 Von 1948-2000 waren die USA in 52 Prozentder GATT/WTO-Panel als Kläger oder Beklag-te vertreten, die EU in 36 Prozent der Panel.Unter Einbeziehung einer Beteiligung alsDrittpartei steigt die Partizipationsrate der USAauf 88 Prozent, die der EU auf 67 Prozent,vgl. Busch & Reinhardt (2002), S. 462.

82 Busch & Reinhardt (2002), S. 466f. Die Auto-ren führen aus: “Developing Countries con-stituted some 31 percent of GATT complain-ants, yet only 29 percent of WTO complai-nants, despite their ballooning proportion ofthe overall membership.“

83 Busch & Reinhardt (2002), S. 466f, Hoeck-mann & Kostecki (2001), S. 394f.

84 Busch & Reinhard (2000), S. 162.85 WTO-Dokument, 25. September 2002, TN/

DS/W/15,S. 2, WTO-Dokument, 24. Januar2003, TN/DS/W/42, S.1, WTO-Dokument,11. Februar 2003, TN/DS/W/47, S. 2.

86 Busch & Reinhard (2000, S. 172) halten da-her auch weniger das fehlende Sanktionspo-tential für entscheidend, sondern die fehlendeRechtsexpertise und die daraus folgende feh-lende Verhandlungsmacht v.a. im Bereich des„bargaining in the shadow of law“.

Perspektive der Entwicklungsländer

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stem.87 Bisher hat mit Bangladesh erst einzu den LDCs zählendes WTO-Mitgliedversucht, eine Handelsstreitigkeit durchdie Beantragung von Konsultationen nachArt. 4 DSU beizulegen.88 Einerseits stehenden Entwicklungsländern häufig nicht dieerforderlichen wirtschaftlichen Ressourcen(Deviseneinnahmen) zur Verfügung, umsich die notwendige Rechtsexpertise zu ver-schaffen.

Andererseits verhindern die hohen An-waltsgebühren, die durchschnittlich zwi-schen 300.000 und 400.000 US-Dollarliegen, jegliche Kosteneffizienz des Ver-fahrens für die Mehrheit der Entwicklungs-länder.89 Die Anwaltskosten sind unab-hängig davon, ob es sich um ein Han-delsvolumen („trade at stake“) von 150Millionen US-Dollar oder 150.000 US-Dollar handelt, ungefähr gleich hoch. Derrelative Wert eines Verfahrens kann jedochfür ein Entwicklungsland bezogen auf seingesamtes Wirtschaftsvolumen gleich hochoder sogar höher sein als für die USAoder die EU. Da aber die Entwicklungs-länder in der Regel über ein wesentlichgeringeres Wirtschaftsvolumen verfügen,lohnt sich für sie die Einleitung eines Streit-schlichtungsverfahren schon wegen derhohen Kosten für die Rechtsexpertise nicht.Je höher diese sind, desto höher ist dieSchwelle ab derer es sich lohnt einen Pro-zess zu führen. Für Entwicklungsländerübersteigen die wirtschaftlichen Vorteileeiner Prozessführung diese Kosten hinge-gen nur selten, insbesondere in Anbe-tracht der ungewissen Effektivität der dann– im Falle eines „Sieges“ – zur Verfügungstehenden Rechtsmittel.90

Dies gilt also selbst dann, wenn dieAnwaltsgebühren niedrig sind, wie bei-spielsweise bei einer Inanspruchnahmedes neuen WTO Advisory Center.91 Dieafrikanische Gruppe macht in ihrem Vor-schlag klar: „The Advisory Centre on WTOLaw should not be considered as panaceafor all institutional and human capacityconstraints of developing countries. Itsterms of reference are equivocal in certaininstances, and it does not cover all deve-

loping countries.“92 Insoweit wird die Ein-richtung eines „Fund on Dispute Settle-ment“ gefordert.93 Darüber hinaus forderteine andere Gruppe von Entwicklungs-ländern, dass ihnen durch das Panel oderden AB ein Anspruch auf Zahlung der Pro-zessführungskosten durch ein unterlege-nes Industrieland zugestanden werdenkann.94 In abgeschwächter Form hat die-se Forderung auch Eingang in den Balás-Text gefunden.95

Die Diskrepanz zwischen der für die Ent-wicklungsländer faktisch bestehenden Mög-lichkeit zur Prozessführung und dem Um-fang der tatsächlichen Beeinträchtigungihrer Rechte ist wesentliches Merkmal und

87 Vgl. WTO-Dokument, 9. Oktober 2002, TN/DS/W/17, S. 1.

88 WTO-Dokument, 2. Februar 2004, WT/DS306/1.

89 Mit der zunehmenden Legalisierung des Ver-fahrens stieg auch der Umfang der rechtlichzu begutachtenden Entscheidungsgrundlagenund damit der notwendigen Rechtsexpertise,so dass Anwaltsgebühren in die Höhe ge-schnellt sind. Im Fall Japan – Photographicsberechneten die Anwälte von Kodak und Fuji10 Million US-Dollar. Entwicklungsländermüssen mit einem Stundenhonorar von 200-600 US-Dollar bei der Beauftragung einerKanzlei mit einem WTO-Fall rechnen. Vgl.Shaffer (2003), S. 16.

90 Shaffer (2003), S. 15f, 44f.91 „The Advisory Centre on WTO Law is a public

international organisation independent of theWTO that was established in 2001 to providelegal advice on WTO law, support in WTOdispute settlement proceedings and trainingin WTO law to developing countries and cus-toms territories, countries with economies intransition and least developed countries.“ Nä-heres siehe unter http://www.acwl.ch.

92 WTO-Dokument, 25. September 2002, TN/DS/W/15 (African Group), S. 2.

93 WTO-Dokument, 24. Januar 2003, TN/DS/W/42 (Kenia), S.5 ; WTO-Dokument, 25. Sep-tember 2002, TN/DS/W/15 (African Group),S. 2.

94 WTO-Dokument, 11. Februar 2003, TN/DS/W/47 (Indien, Kuba, Dominikanische Repu-blik, Ägypten, Honduras, Jamaika, Malay-sia), S. 2; WTO-Dokument, 9. Oktober 2002,TN/DS/W/19 (Kuba, Honduras, Indien, Indo-nesien, Malaysia, Pakistan, Sri Lanka, Tansa-nia, Zimbabwe), S. 2.

95 WTO-Dokument, 6. Juni 2003, TN/DS/9 (hiersog. „Balás-Text“), S. 17.

Perspektive der Entwicklungsländer

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Ausdruck der Ineffektivität des Streitschlich-tungssystems für die Mehrzahl der Entwick-lungsländer.

Aufgrund dieser Situation wird in denEntwicklungsländern wenig oder keine ei-gene Rechtsexpertise gebildet. Hierdurchwird vor allem langfristig gesehen die Fä-higkeit der Entwicklungsländer beein-trächtigt, bestehende Rechte zu erkennenund wahrzunehmen.

2.1.2 Konsequenzen der Nicht-teilnahme

Aus diesem Zusammenspiel folgt, dassauch die Fähigkeit der Entwicklungsländerkontinuierlich abnimmt, Mechanismen zurFeststellung von Rechtsgutsverletzungenund vor allem proaktive Strategien zur Wahr-nehmung von Rechten zu entwickeln. Hinzukommt, dass Rechtsexperten der Entwick-lungsländer den heimischen Institutionenkaum noch als Expertenressource zur Ver-fügung stehen, wenn sie ihre Heimatländereinmal verlassen haben um für große inter-nationale Kanzleien zu arbeiten.96 Vor die-sem Hintergrund erscheint der Reformvor-schlag Kenias sinnvoll, einen aus dem re-gulären WTO-Budget sowie freiwilligen Bei-trägen finanzierten „WTO Fund on DisputeSettlement“ zu gründen. Neben dem WTOAdvisory Center könnte ein solcher Fond dieEntwicklungsländer bei der Schaffung ei-gener Rechtsexpertise unterstützen unddazu beitragen, einer US/EU-zentrierten

Ausrichtung des internationalen Rechtsentgegenzuwirken.

Demgegenüber verstärken Industrie-länder ihre Ressourcen zur Prozessführungvor der WTO indem sie neben der Förde-rung der regulären Ausbildung von Rechts-experten auch die Entwicklung sog. „Pu-blic-Private-Partnerships“ begrüßen. Gros-se multinational agierende Firmen sindzumeist die unmittelbar von den detail-lierten und interpretativen Feinheiten derverabschiedeten Übereinkommen betrof-fenen Akteure, weswegen sie ein nahe lie-gendes Interesse an der Entwicklung undAusrichtung des internationalen Handels-rechts haben. Die Interessen dieser Unter-nehmen sind, wenn auch nicht identisch,so doch zumeist eng mit denen ihrer Hei-matländer verbunden. Mit zunehmenderKomplexität der WTO-Rechtsfindung hatder Einfluss der privaten Industrie auf dasStreitschlichtungssystem zugenommen;deren Sachverhaltsermittlungen und Her-leitung der rechtlichen Argumente sind fürdie Regierungen oft unverzichtbar bei derDurchführung eines Streitschlichtungs-verfahrens.97 Darüber hinaus stärkt dasnationale Recht einiger WTO-Mitgliedstaa-ten die eigenständige Entwicklung desWTO-Streitschlichtungssystems geradedurch die Einbeziehung privater Akteure –nämlich derjenigen der Privatwirtschaft. Diewichtigsten Bestimmungen in diesem Zu-sammenhang, die „Section 301“ des U.S.Trade Act von 1974 und die so genannteTrade Barriers Regulation (TBR) der EU98 von1994, stärken das WTO-Streitschlich-tungsverfahren, da der Mitgliedstaat nichtmehr frei bestimmen kann, ob ein Fall zurWTO gebracht wird oder nicht. Obwohlnach Artikel 10.2 DSU nur Staaten Parteieines Verfahrens sein können, geben dieseNormen der Privatwirtschaft gewichtige Ein-flussmöglichkeiten auf die Eröffnung undDurchführung eines Verfahrens.99

So können Firmen und Wirtschaftsver-bände der Europäischen Union die EU-Kommission auffordern, in ihrem SinneStreitfälle zu führen.100 Auch das US-ame-rikanische Handelsrecht eröffnet auf die-

Perspektive der Entwicklungsländer

96 Shaffer (2003), S. 17.97 Shaffer (2003), S. 18ff.98 Es handelt sich um die am 1. Januar 1995 in

Kraft getretene Handelshemmnisverordnung(Trade Barriers Regulation (TBR), VO (EG) Nr.3286/94 des Rates vom 22.12.1994, sieheauch die Ausführungen unter 3.3.

99 Bogdandy (2001), S. 268. 100 Die Handelshemmnisverordnung hat, so die

EU-Kommission, wichtige Änderungen im„Waffenarsenal“ der EU gegen unfaire Han-delspraktiken hervorgerufen. Nähere Informa-tion und eine Übersicht der Fälle finden sichunter http://europa.eu.int/comm/trade/policy/traderegul/index_en.htm.

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se Weise Akteuren der Privatwirtschaft dieMöglichkeit, gegen vermeintlich unfaireHandelspraktiken der Handelspartner derUSA vorzugehen. Ferner tauchte im Sep-tember 2002 im Rahmen der Debatte umdie Aufnahme des Themas Investitionenin der laufenden Verhandlungsrunde einVorschlag Taiwans zu einem etwaigen In-vestitionsschutzabkommen auf, wonachInvestoren auf der Grundlage des WTO-Streitschlichtungsverfahrens direkt gegenStaaten hätten vorgehen können (investor-to-state dispute settlement).101

Analog zu dieser Entwicklung muss diemassive Einflussnahme der transnationalagierenden Unternehmen bei der Ausge-staltung und Umsetzung der multilatera-len Umweltübereinkommen gesehen wer-den.102

Die Teilnahme am Streitschlichtungs-verfahren der WTO ist des Weiteren auf-grund folgender Überlegungen zukunfts-bedeutsamer für die Gestaltung der na-tionalen Rechtssysteme als an vergleich-baren internationalen Verfahren: Dieschwierigen Bedingungen das WTO-Rechtim Rahmen der politischen Verhandlun-gen zu gestalten, verstärken den Einflussund die Bedeutung der WTO-Rechtspre-chung. Das legislative System der WTOist schwach.103 Im Rahmen der laufendenVerhandlungsrunden führt das Konsens-prinzip zu einer Lähmung der politischenEntscheidungsprozesse.104 Zudem habendie oft sehr komplexen und von vielenInteressen geprägten Verhandlungen zurFolge, dass die Vorschriften als Teil einespolitischen Kompromisses bewusst weitformuliert sind. Insoweit haben die Mit-gliedstaaten dem Streitschlichtungssys-tem de facto eine beachtliche Macht be-züglich der Interpretation und letztlich derSchaffung von WTO-Recht überantwor-tet.105

Nach herkömmlichem Verständnis istdie Rechtsprechung unpolitisch. Danachbefindet sich auf der einen Seite der politi-sche Prozess, der nach seiner Logik vonMacht und Interessen in das rationalisie-

rende Gesetzgebungsverfahren mit sei-nen spezifischen Anforderungen demo-kratischer Legitimität mündet. Das aufdieser Grundlage geschaffene Recht wirdnach den technischen und deduktivenGrundsätzen der rechtlichen Sphäre aufden Einzelfall angewandt.106 Recht undPolitik sind – so eine Kernaussage zeitge-nössischen Verfassungsdenkens – unter-schiedliche und zu trennende soziale Phä-nomene, die jedoch in enger Wechselwir-kung stehen.107 Das DSU geht davon aus,dass es möglich ist, die rechtsprechendenOrgane auf die deduktiven und techni-schen Regeln rechtlicher Begründung zuverpflichten und die Entwicklung desRechts dem politischen Prozess zu über-lassen.108 Fraglich ist, ob dies in Anbe-tracht der gegebenen Bedingungen dau-erhaft gelingen kann.

Darüber hinaus haben die Entschei-dungen der Panel und des AB einen syste-mischen Einfluss (systemic effects) auf zu-künftige Streitfallverfahren. Obwohl dasWTO-Recht förmlich keinen gewohnheits-

Perspektive der Entwicklungsländer

101 WTO-Dokument, 16. September 2002, WT/WGTI/W/145.

102 Siehe hierzu die zahlreichen Beispielen in derStudie „Dirty Deals“ von Friends of the EarthInternational (2002).

103 Vergleiche zu der Problematik aus der verfas-sungsrechtlichen Perspektive Bogdandy(2001), S. 266ff.

104 Seit der Gründung der WTO 1995 wurdekein einziger Auslegungs- oder Änderungs-beschluss angenommen und auch in derGATT-Ära wurden insgesamt nur sechs sol-cher Beschlüsse bewerkstelligt, der letzte imJahr 1965. Dies obwohl Artikel X:1 WTOÜtechnisch gesehen eine Zweidrittel-Mehrheitfür eine Veränderung der meisten Vorschriftenfür ausreichend erklärt, wobei das Inkrafttre-ten bei einer solchen Entscheidung unter demVorbehalt erfolgt, dass die Rechte und Pflich-ten der Mitglieder nicht verändert würden (sie-he auch Artikel X:4 WTOÜ). Wenn dies nichtder Fall ist, muss jedes Mitglied die Ände-rung annehmen, bevor sie für das Mitgliedwirksam wird.

105 Shaffer (2003), S. 11, siehe dazu auch dieAusführungen unter Abschnitt 1.2.2 sowiegrundlegend Bogdandy (2001).

106 Bogdandy (2001), S. 269.107 Böckenförde (1991), S. 143ff.108 Bogdandy (2001), S. 269.

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rechtlichen Ansatz beinhaltet, lässt sich diePraxis der Panel und des AB im Rahmenihrer Rechtsfindung auf frühere Entschei-dungen zu verweisen und sich darauf zustützen, als eine gewohnheitsrechtliche An-näherung (Common law orientation) qua-lifizieren. Vor diesem Hintergrund müssendie Reformvorschläge einiger Mitglied-staaten gewertet werden, auch abwei-chende Meinungen der Panelisten in denAbschlußbericht aufzunehmen.109 Ebensowird die Möglichkeit zur Einführung einesVerfahrens diskutiert, bei dem die Erstel-lung der Abschlussberichte auf dem Er-gebnis einer Abstimmung zwischen Pa-nelisten und AB-Mitgliedern beruht.110 Die-se Vorschläge zielen darauf ab, bei derAuslegung und Anwendung des WTO-Rechts durch die Rechtsprechungsorganeein ausgewogenes Verhältnis der in Be-tracht kommenden Interessen zu gewähr-leisten und einer Veränderung der beste-henden Rechte und Pflichten durch die Ent-scheidungen der Panel und des AB vorzu-beugen. Insoweit wird auch gefordert, dieParteien mit dem Recht auszustatten, Fra-gen der Auslegung und der Anwendungbestehender Übereinkommen, insbeson-dere bei Unklarheiten bezüglich des Ver-hältnisses einzelner Übereinkommen zu-einander, an den Allgemeinen Rat weiter

zu verweisen. Nur dieser habe die hierfürnotwendige Kompetenz, wohingegen dieEntscheidungen und Empfehlungen desDSB nach Artikel 3.2 DSU gerade nichtzu einer Ergänzung oder Einschränkungder in den Übereinkommen enthaltenenRechte und Pflichten führen dürften.111

Im Ergebnis führt die wachsende Be-deutung der WTO-Rechtsprechung sowiedie mangelnde Flexibilität, dieser Entwick-lung im Rahmen des politischen Entschei-dungsfindungsprozesses Rechnung zu tra-gen, zu folgender Konsequenz: Jene Mit-gliedstaaten, die häufig am Streitschlich-tungsverfahren teilnehmen, haben auchdie beste Ausgangsposition Auslegung undAnwendung des Rechts langfristig zu ihremVorteil zu gestalten. Die Konstellation hatauch zur Folge, dass die politische Ver-handlungsmacht der wirtschaftlich schwa-chen Länder weiter abnimmt, währenddie der wirtschaftlich starken Länder zu-nimmt. Hierdurch und durch ihre größe-re „Glaubwürdigkeit“ bei der Androhungeines Rechtstreits erhöht sich ihre Machtauch bei den „im Schatten“ des bestehen-den Rechts stattfindenden Verhandlun-gen.112

2.2 Das Rechtsmittelsystem:Die Kluft zwischen Rechtenund Rechtsmitteln

Anders als das GATT-Streitschlich-tungsverfahren ist das Streitschlichtungs-verfahren der WTO mit einer de factorechtsverbindlichen Entscheidungsbefug-nis gegenüber den Mitgliedstaaten aus-gestattet. Hierdurch hat das schon unterdem GATT zur Verfügung gestellte Sank-tionspotential eine Verrechtlichung er-fahren.113 Da jedoch die Effizienz des vor-handenen Sanktionsinstrumentariums un-trennbar mit der wirtschaftlichen Machtdes sanktionsberechtigten Mitglieds ver-bunden ist, stellt sich die Frage, ob dasStreitschlichtungsverfahren der WTO fürwirtschaftlich schwache und am schwäch-sten entwickelte Staaten trotz des fortbe-

Perspektive der Entwicklungsländer

109 WTO-Dokument, 9. Oktober 2002, TN/DS/W/17; WTO-Dokument, 24. Januar 2003,TN/DS/W/42, S. 3.

110 WTO-Dokument, 25. September 2002, TN/DS/W/15, S. 6.

111 Vgl. WTO-Dokument, 25. September 2002,TN/DS/W/15, S. 5, nach dem Konflikte zwi-schen bestehenden Abkommen regelmäßigzum (potentiellen) Nachteil für Entwicklungs-aspekte „hinweg interpretiert“ worden seien;identisch die Eingabe Kenias (WTO-Doku-ment, 24. Januar 2003, TN/DS/W/42, S. 1);ausführlich und dieses Vorbringen bestätigendsiehe Raghavan (2000a, S. 6f) mit zahlreichenBeispielen aus der Rechtsprechung.

112 „Bargaining power in the shadow of law“, sie-he hierzu oben die Darstellung des Verhand-lungsverlaufs in Streitigkeiten, die vor der Ein-setzung eines Panel oder vor einem Ab-schlussbericht beigelegt werden, ferner Shaffer(2003), S. 12 und Busch & Reinhardt (2000).

113 Vgl. Emmerich-Fritsche (2002), S. 201.

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stehenden ökonomischen und politischenUngleichgewichts ein Instrument zur Durch-setzung ihrer langfristigen Interessen seinkann.114

Stellt das mit der Gründung der WTOimplementierte Streitschlichtungsverfah-ren einen wirksameren Schutz gegenüberder wirtschaftlichen Macht der Industrie-länder dar? Oder besteht nicht geradeaufgrund der neuen Konstellation – derde facto Rechtsverbindlichkeit unter Bei-behaltung des bestehenden Rechtsmit-telsystems – die Gefahr, dass die Verhand-lungsmacht der Entwicklungsländer zu-sätzlich beeinträchtigt wird?

Die schon als historisch zu bezeichnen-de Debatte um eine Reform des Rechts-mittelsystems offenbart mit besondererDeutlichkeit, dass die Gründe für die Stag-nation des seit 1997 andauernden Re-formprozesses mehr denn je mit der grund-sätzlichen Frage nach Ausrichtung undZiel des Streitschlichtungsverfahrens ver-bunden sind.115

Obwohl das Streitschlichtungsver-fahren zahlreiche Vorschriften enthält, diedarauf gerichtet sind die Möglichkeitender Entwicklungsländer von dem Streit-schlichtungssystem zu profitieren zu ver-bessern, scheint dessen grundlegendeStruktur dies im Hinblick auf die zur Ver-fügung gestellten Rechtsdurchsetzungs-mechanismen sehr zu erschweren.116

2.2.1 Strukturelle Gründe fürdie Schieflage: Das Rechts-mittelsystem im internationalenVergleich

Der Dreh- und Angelpunkt jedes pro-zessualen Verfahrens liegt in der Effizienzderjenigen Mittel und Mechanismen, diedie Umsetzung einer rechtsverbindlichenEntscheidung sicherstellen sollen. Dabeigeht es zum einen um eine Effizienz in zeit-licher Hinsicht, zum anderen um eine Ef-fizienz in qualitativer Hinsicht. Wie schnellkann der für rechtswidrig befundene Zu-

stand beendet werden? Welche Mittel ste-hen zur Verfügung um eine schnellstmög-liche Beendigung zu gewährleisten? Undwie können die aufgrund der rechtswidri-gen Maßnahme erlitten Nachteile kom-pensiert werden? Darüber hinaus geht esnatürlich darum, eine Fortsetzung oderWiederholung des rechtswidrigen Zustan-des bzw. Verhaltens auszuschließen.

Das internationale (Gewohnheits-) Rechtkann bei der Bewertung der Effizienz desDSU - Rechtsmittelsystems als Richtschnurherangezogen werden.117 Danach habenStaaten, die gegen internationales Rechtverstoßen die Pflicht, erstens den rechts-widrigen Zustand zu beenden und zwei-tens Wiedergutmachung für die dadurchentstandene Verletzung gegenüber dembetroffenen Staat zu gewähren.118 DieVerpflichtung zur Wiedergutmachung um-

Perspektive der Entwicklungsländer

114 Auf die Frage, ob der Erfolg des Streitschlich-tungsverfahren ausschließlich am Grad dererreichten Liberalisierung gemessen werdenkann und sollte und ob das daraus abgelei-tete Ziel des Streitschlichtungsverfahren – dieSicherstellung eines größt möglichen Gradesan Freihandel – per se gleichbedeutend mitden Interessen der Entwicklungsländer an ei-nem gerechten Welthandelssystem gesehenwerden kann, kann hier – abgesehen von derStellungnahme im Fazit – nicht näher einge-gangen werden.

115 Schon 1965 machten Uruguay und Brasilieneinen Vorschlag zur Verbesserung des ArtikelsXXIII GATT, der u.a. finanzielle Kompensationund die Möglichkeit zu kollektiven Implemen-tierungsmaßnahmen beinhaltete, BISD 14S/139. Vgl. auch South Centre (1999), S. 2f.

116 Horn & Mavroidis (1999), S. 2.117 Als Evaluationsbasis soll der „Draft on State

Responsibility for internationally wrongfulacts“ (2001) der International Law Commis-sion (ILC) dienen. Diese wurde mit der Kodifi-zierung des Internationalen Gewohnheits-rechts im Bereich der Verantwortlichkeit vonStaaten von der UN beauftragt. Die Unter-zeichnung der Vertragsentwürfe steht interes-sierten Staaten offen. Obwohl es sich bislanglediglich um ein Entwurfsstadium handelt,können doch wertvolle Anhaltspunkte für dieBeurteilung der Verantwortlichkeit von Staatenim Zusammenhang mit international rechtswi-drigem Verhalten daraus gewonnen werden.Siehe http://www.un.org/law/ilc/texts/State _responsibility/ responsibility_ articles(e).pdf.

118 Artikel 30 ILC Draft.

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fasst materielle sowie immaterielle Schä-den und kann in Form von Restitution,Kompensation, Interessenausgleich undSatisfaktion gewährt werden.119 Die Be-endigung des rechtswidrigen Zustandesund die umfassende Wiedergutmachungder durch das rechtwidrige Verhalten ent-standenen Verletzung können also alsKernelemente des internationalen Rechtsbezeichnet werden. Während auch imRechtsmittelsystem des WTO-Streit-schlichtungsverfahrens die Wiederherstel-lung des ursprünglichen Zustandes (in derRegel durch Aufhebung der WTO-inkon-sistenten Maßnahme) oberstes Ziel desStreitschlichtungsmechanismus ist (Artikel3.7 DSU), unterscheidet sich dessenRechtsmittelsystem hinsichtlich des zwei-ten Kernelements wesentlich von der in-ternationalen (Gewohnheits-)Rechtsord-nung: Es kennt keine Verpflichtung zur Wie-dergutmachung der durch die WTO-rechtswidrige Maßnahme verursachtenRechtsgutsverletzung. Stattdessen sind diezur Verfügung stehenden Rechtsmittel, Ent-schädigung (Kompensation) und Aufhe-

bung von Zugeständnissen oder sonstigenVerpflichtungen (suspension of conces-sions and other obligations), grundsätz-lich als vorübergehende Maßnahmen kon-zipiert.

Entschädigungen erfolgen darüber hi-naus freiwillig und können in Form vonZollnachlässen oder der Aufhebung an-derer Einfuhrbeschränkungen geleistetwerden; eine geldwerte Entschädigung istnach den Vorschriften des DSU nicht mög-lich. Entschädigungen müssen nach demGrundsatz der Meistbegünstigung auchallen anderen – nicht durch die Maßnah-me betroffenen – Mitgliedstaaten gewährtwerden. Von diesem Rechtsmittel wurdeund wird vor allem wegen seiner Ineffek-tivität für die von der WTO-inkonsistentenMaßnahme betroffenen privaten Wirt-schaftsakteure sowohl des beschwerde-führenden als auch des von der Beschwer-de betroffenen Mitgliedsstaates kaumGebrauch gemacht. Während eine Kom-pensation durch Handelsvorteile in ande-ren Bereichen nicht unmittelbar zur Aufhe-bung der strittigen Maßnahme beiträgt,wird der gegen WTO-Recht verstoßendeStaat wenig geneigt sein, einen anderenSektor freiwillig einem verstärkten Wett-bewerb auszusetzen.120 Das Rechtsmittelder Kompensation wird aus den genann-ten Gründen für (handels-)politisch wederwünschenswert noch durchsetzbar erach-tet.

Die Aussetzung von Zugeständnissenund anderen Verpflichtungen erfolgt typi-scherweise durch die Verhängung vonStrafzöllen und anderen Handelsbeschrän-kungen. Dieses Vorgehen gilt als „letztesMittel“ und ist – nach in der Regel nichtgeführten oder gescheiterten Entschä-digungsverhandlungen (Artikel 22.2 DSU)– nur auf der Grundlage einer entsprech-enden Genehmigung durch das DSBmöglich. Bevor eine solche Genehmigungbeantragt werden kann, muss darüberhinaus ggf. noch ein Verfahren nach Arti-kel 21.5 DSU geführt werden (s.o.).121 Diesgeschieht normalerweise nach Ablauf desangemessenen Zeitraums zur Umsetzung

119 Artikel 34, 35, 36 und 37 ILC Draft, hierbeigilt, dass zunächst die Wiederherstellung desvor der verletzenden Handlung bestehendenSchadens versucht werden soll, soweit diesunverhältnismäßig ist, ist Schadensersatz füralle geldwerten entstandenen Verluste sowiefür nachweisbare entgangene Gewinne zu lei-sten. Darüber hinaus ist für die damit nochnicht erfassten immateriellen Verletzungen Ge-nugtuung zu leisten (Satisfaktion) und zuletztist für jede damit noch nicht erfasste Verlet-zung ein Interessenausgleich durch Geldzah-lung zu gewähren.

120 Vgl. Shaffer (2003), S. 37; Palmeter &Mavroidis (2004), S. 266.

121 Dies findet statt, wenn zwischen den ParteienStreit darüber besteht, ob Maßnahmen zurUmsetzung ergriffen wurden oder ob sie mitden unter die Vereinbarung fallenden Über-einkommen vereinbar sind. Die potentielleVerlängerung der Dauer des Implementie-rungsverfahrens wird durch Einführung einer„compliance stage“, die auch die Möglichkeitder Berufung beinhaltet, im Vorschlag Koreasdenn auch als Grund genannt, (wenigstens)den Zeitpunkt der Bestimmung des angemes-senen Umsetzungszeitraums unmittelbar nachder Annahme des Abschlussberichts zuzulas-sen. Siehe WTO-Dokument, 11. Juli 2002,TN/DS/W/11, S. 2.

Perspektive der Entwicklungsländer

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der Maßnahme, der die Dauer von 15Monaten nach Annahme des Abschluss-berichts nicht überschreiten soll (Artikel21.3 c) DSU). Der von dem DSB geneh-migte Umfang einer Aussetzung von Zu-geständnissen oder sonstigen Pflichtenmuss dem Umfang der zunichte gemach-ten oder geschmälerten Vorteile entspre-chen (determination of the level of nulli-fication and impairment – Artikel 22.5DSU). Erreicht das Verfahren dieses Stadi-um ist ggf. erneut ein Streit beizulegen:Dann nämlich, wenn die beschwerdefüh-rende Partei nach Auffassung der von derAussetzung betroffenen Partei gegen dieVerfahrensvorschriften hinsichtlich der Ein-haltung der Aussetzungsregeln verstoßenhat (Artikel 22.3 DSU). Oder die betrof-fene Partei Einwendungen gegen denUmfang der genehmigten Aussetzung er-hebt. In diesem Fall ist in der Regel voneinem vom Generaldirektor ernanntenSchiedsrichter innerhalb von 60 Tagennach Ablauf des angemessenen Zeit-raums über die vorgebrachten Einwen-dungen zu entscheiden.122 Die Parteiennehmen die Entscheidung des Schieds-richters als endgültig an.123

Nach Artikel 21.4 DSU soll der Zeit-raum zwischen der Einsetzung des Panelsund der Bestimmung des angemessenenZeitraums zur Umsetzung nicht mehr als15 Monate, max. 18 Monate bei Verzöge-rung in vorgegangenen Phasen des Ver-fahrens, betragen. Der nach Artikel 21.3c) angemessene Zeitraum (ab Annahmedes Berichts) sollte 15 Monate nicht über-schreiten (Richtschnur für den Schiedsrich-ter!), kann jedoch je nach den besonde-ren Umständen kürzer oder länger sein.

Somit kann sich das gesamte Verfah-ren selbst in der Theorie über einen Zeit-raum von fast drei Jahren (2 Jahre, 9 Mo-nate) erstrecken. Die WTO-inkonsistenteMaßnahme kann ebenfalls über diesenZeitraum hinweg aufrechterhalten wer-den. Die einzige Verpflichtung des gegenWTO-Recht verstoßenden Mitgliedsstaa-tes besteht auch nach Ablauf des ange-messenen Umsetzungszeitraums in der

Aufhebung der WTO-inkonsistenten Maß-nahme. Für Mitgliedstaaten, die im Ver-hältnis zueinander wirtschaftlich gleichoder ähnlich stark sind, kann dieser Me-chanismus funktionell sein. Für die über-wiegende Mehrzahl der Entwicklungs-länder ist er schlicht ineffektiv, da der zurUmsetzung verpflichtete Mitgliedstaat ver-suchen wird, den für ihn günstigen Zu-stand so schonend wie möglich mit denAnforderungen des WTO-Rechts in Ein-klang zu bringen und die bestehendenGestaltungsspielräume so gut es ebengeht zu diesem Zweck zu nutzen. Im Zu-sammenspiel mit der Tatsache, dass dieAussetzung von Zugeständnissen der hei-mischen Exportindustrie eines Entwick-lungslandes in der Regel mehr schadetals dass es dieser nützt124 , kann diese Si-tuation zu einem faktischen Rechtsentzugfür den von der rechtswidrigen Maßnah-me betroffenen Mitgliedstaat führen.

2.2.2 Die besonderen Implika-tionen des Rechtsmittelsystemsfür Entwicklungsländer

Einer von Mexiko vorgelegten Studie125

zufolge ergibt sich Folgendes: Von 77Streitfällen, in denen ein Verstoß festgestelltwurde, betrug die durchschnittliche Dauerbis eine WTO-konforme Situation herbei-geführt werden konnte annähernd 300Tage. In mehr als einem Drittel der Fälleist der als angemessen festgelegte Zeit-raum zur Umsetzung überschritten worden.Nur in fünf Fällen konnte eine schnelleUmsetzung und in nur fünf weiteren einebeiderseitig vereinbarte Lösung erreichtwerden. In 16 Fällen hat die beschwerde-führende Partei weitere Verfahrensschritte

Perspektive der Entwicklungsländer

122 Nach Artikel 22.6 DSU eigentlich soll diesnur geschehen, wenn die Mitglieder des ur-sprünglichen Panel nicht zur Verfügung ste-hen. In Anbetracht des vergangenen Zeit-raums ist dies jedoch meistens nicht mehrmöglich.

123 Artikel 22.7 DSU.124 Siehe hierzu unten 2.2.2. 125 WTO-Dokument, 4. November 2004, TN/DS/

W/23.

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unternommen, um die WTO-Konformitätder Umsetzungsmaßnahmen überprüfenzu lassen. In weiteren 12 anderen Verfah-ren sei es bis dahin bei der Nichtumsetzungvon Maßnahmen geblieben.126

Dem zitierten Papier zufolge konntenin allen Fällen, in denen ein Verfahrennach Artikel 21.5 DSU geführt wurde, dieWTO-inkonsistenten Maßnahmen übereinen Zeitraum von mehr als drei Jahrenaufrechterhalten werden, bevor die be-schwerdeführende Partei Entschädigungerhalten oder Zugeständnisse aussetzenkonnte.

Außerdem wird, von Erfahrungen derVergangenheit ausgehend, von einemdurchschnittlichen Verlustbetrag in Höhevon nahezu 370 Mio. US-Dollar pro Fallausgegangen. Hierbei wurde der Zeit-raum von der Einsetzung des Panels biszu dem Zeitpunkt zugrunde gelegt, in demeine Entschädigung erhalten oder Zuge-ständnissen ausgesetzt werden können.127

Das wesentliche Problem des Streit-schlichtungssystems liege daher in derZeitspanne, während derer eine WTO-in-

konsistente Maßnahme ohne die gerings-te Konsequenz fortbestehen könne. Hier-durch würden nicht nur privatwirtschaftli-che Akteure anderer Mitgliedstaaten un-berechtigt geschädigt, sondern auch diedurch das DSU gesetzten Ziele der Sicher-heit und Vorhersehbarkeit ernsthaft unter-miniert werden.128 Und damit stehe auchdie Glaubwürdigkeit des Systems selbstauf dem Spiel.

Da die durch die Aufrechterhaltungder WTO-inkonsistenten Maßnahme er-langten Vorteile (benefits) die Prozess-kosten als solche schnell übersteigenkönnten, gehe jeder Anreiz, schnell zu ei-ner Lösung des Konflikts zu finden, verlo-ren. Im Gegenteil, das gegenwärtigeRechtsmittelsystem schaffe für wirtschaft-lich starke Länder vielmehr einen Anreiz,einen Rechtsstreit über Jahre hinaus zuzögern, da sie auch nach Feststellung ei-nes WTO-rechtswidrigen Handelsver-haltens ihren Markt erfolgreich schützenkönnten, ohne dass ihnen irgendeine Kon-sequenz drohe.129

Das gegenwärtige System schaffe zuLasten der schwächeren Partei einen An-reiz zur Verfahrensverzögerung: Dieserwürden hohe Prozesskosten aufgebürdet,indem Verfahren in die Länge gezogenwerden könnten; hierdurch würden sie ge-zwungen berechtigte Ansprüche im Wegeeines außergerichtlichen Vergleichs zumindern oder aufzugeben. Das obersteZiel der Reform bestehe darin Anreizstruk-turen zu schaffen, die an erster Stelle si-cherstellen, dass die Industrieländer ihreaus den WTO-Übereinkommen bestehen-den Verpflichtungen gegenüber den Ent-wicklungsländern erfüllen.130

Auch die Praxis der Panel sowie des AB,keine konkreten Maßnahmen zur Imple-mentierung vorzuschlagen, obwohl in Ar-tikel 19 DSU ausdrücklich vorgesehen,wirke sich systemisch zum Nachteil derEntwicklungsländer aus. Bei festgestellterWTO-Inkonsistenz einer Maßnahme emp-fehlen Panel und AB lediglich allgemeindie Herbeiführung einer WTO-konformen

Perspektive der Entwicklungsländer

126 WTO-Reporter, 14. November 2003: „MexicanStudy Cites Non-Compliance as Top Problemin the WTO Dispute Settlement”.

127 Nach der mexikanischen Studie beträgt dervon Ecuador im Bananen-Streitfall mit der EUerlittene Verlust allein für die Implementie-rungsphase 161 Millionen US-Dollar. VomZeitpunkt der Einsetzung des Panel an gerech-net steigt dieser Betrag auf 428 Millionen US-Dollar, und auf 832 Millionen US-Dollar,wenn man den Zeitraum von der Beantra-gung von Konsultationen bis zum Ende derImplementierungsphase zugrunde legt. Vgl.WTO-Reporter, 14. November 2003: „MexicanStudy Cites Non-Compliance as Top Problemin the WTO Dispute Settlement”.

128 Vgl. auch Shaffer (2003), S. 39 mit weiterenBeispielen.

129 In dem Streitfall „US – Restrictions on Imports ofCotton and Man-made Fibre Underwear, (WT/DS24/AB/R, Februar10, 1997)“ konnten dieUSA ihren Markt für fast drei Jahre durch dieWTO-inkonsistente Handelspraxis zum Nachteilvon Costa Rica schützen. Zur Problematik vgl.auch Horn & Mavroidis (1999), S. 16.

130 Shaffer (2003), S. 46.

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Situation. Implizite Folge dieser Praxis sei,dass ein unterlegenes Industrieland dieUmsetzung der Entscheidung so lange wiemöglich hinauszögern könne. Im Falle ei-nes Obsiegens könnte dieses jedoch an-dererseits ohne Einschränkungen seinewirtschaftliche Überlegenheit benutzen,um kleinere Länder zu einer schnellenUmsetzung zu zwingen.131

Diese Situation resultiere daher in ei-nem de facto waiver zugunsten des ge-gen WTO-Recht verstoßenden Landes.

Diese zentrale Problematik stellt sichfür die Mehrheit der Entwicklungsländermit besonderer Schärfe. Dies gilt umsomehr vor dem Hintergrund, dass das„letzte“ – und wie dargelegt einzige – aufder Aussetzung von Zugeständnissen be-ruhende Rechtsmittel von einer „inhären-ten Ungerechtigkeit“ geprägt ist.132

Wenn ein Entwicklungsland gegenübereinem Industrieland gemachte Zuge-ständnisse außer Kraft setzt, schadet esseinen heimischen Exporteuren mehr alsdass es ihnen nützt. Die negativen Impli-kationen sind aufgrund des insgesamtniedrigeren Handelsvolumens sowie ei-ner weniger diversifizierten Auswahl an Ex-portgütern und Absatzmärkten für dieserelativ gesehen größer.133

Umgekehrt können die Industrieländerdie Einhaltung der WTO-Normen durch dieEntwicklungsländer sicherstellen, da diese(bzw. deren Exporteure) dringend auf Zu-gang zu den großen Märkten der EU undUSA angewiesen sind.134 Für viele wirtschaft-lich schwache Staaten ist dies schon Grundgenug nicht mithilfe des DSU den wirtschaft-lich stärkeren Ländern gegenüber zu treten.Oder wenn dies geschieht, nicht von zuge-standenen Sanktionsmaßnahmen Ge-brauch zu machen.135

Die Gewährung von Zollpräferenzen(auf der Grundlage des Generalized Sy-stem of Preferences – GSP) durch die In-dustrieländer kann schließlich zu einer wei-teren Asymmetrie zwischen Industrielän-

dern und Entwicklungsländern bei der In-anspruchnahme des Rechtsmittelsystemsführen. Da solche Präferenzen einseitigdurch ein importierendes Industrielandentzogen werden können, stellt dies für diebetroffenen Entwicklungsländer ein er-hebliches Drohpotential dar. Dies gilt um-so mehr, wenn sich das exportierende Ent-wicklungsland mit anderen Ländern, dieebenfalls von einem Präferenzsystem pro-fitieren, im Wettbewerb befindet.136

Wenn sich ein Entwicklungsland den-noch zu einer Aussetzung von Zugeständ-nissen entschließt, stößt es auf großeSchwierigkeiten seine aus Artikel 22.3DSU resultierenden Rechte wahrzuneh-men137: Die ökonomischen Kosten einerAussetzung von Zugeständnissen beim

Perspektive der Entwicklungsländer

131 Diese fehlende Spezifizierung der Rechtsmittelhat nach Hudec (2000; S. 237) zur Folge,dass die Rechtsdurchsetzungsmacht von wirt-schaftlich schwachen und wirtschaftlich star-ken Ländern ungleich beschaffen bleibt. Zuden vermeintlichen Gründen für diese Praxisvgl. Horn & Mavroidis (1999), S.15: Auch andieser Stelle geht es um die Aufrechterhaltungeines größtmöglichen Gestaltungsspielraumsdes einzelnen Nationalstaates. Konkrete Um-setzungsmaßnahmen werden als Eingriff indie Souveränität begriffen.

132 Anderson (2002), S. 9. 133 Auch im umgekehrten Fall hat diese Konstel-

lation im Verhältnis tief greifende Konsequen-zen für das von Strafzöllen betroffene Entwick-lungsländer: Zum Beispiel der Streitfall „ EC-Ivory Coast“: Hier haben die von der EU ver-hängten Zölle faktisch den Ausschluss desvon der Elfenbeinküste produzierten Kaffeesvom europäischen Markt zufolge gehabt. Ent-wicklungsland, die meistens auf die großenAbsatzmärkte im Norden angewiesen sind,haben in der Regel keine, oder doch wesent-lich weniger Möglichkeiten ihre Produkte an-derweitig abzusetzen. Insoweit haben die Län-der, die viele verschiedene Produkte in zahlrei-che Länder exportieren, auch größere Mög-lichkeiten einzelne Handelsrestriktionen aus-zugleichen indem sie auf andere Exportmärkteausweichen können. Siehe Horn & Mavroidis(1999), S. 26.

134 Shaffer (2003), S. 38135 Anderson (2002) S. 10; so geschehen im Ba-

nanenstreitfall - Ecuador hat gegenüber derEU nicht mit Sanktionen reagiert.

136 Horn & Mavroidis (1999), S. 26f.137 Vgl. auch Anderson (2002), S. 12.

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Güterhandel (goods sector) haben einenwesentlich negativeren Gegeneffekt aufdas beschwerdeführende Entwicklungs-land als auf das WTO-rechtswidrig han-delnde Industrieland. Dies liegt daran,dass ein Großteil der Importe der Entwick-lungsländer aus wichtigen Waren wieRohstoffen, Nahrungsgütern, Investitions-gütern sowie Produktionsgütern und-mitteln (capital goods) besteht. Eine Aus-setzung von Zugeständnissen in diesenSektoren ist weder praktikabel noch effi-zient. Im Übrigen kann eine Aussetzungvon Zugeständnissen in dem notwendi-gen Umfang schon daran scheitern, dassdas Entwicklungsland zu wenige Warenaus dem betreffenden Mitgliedsstaat im-portiert, um auf diesen Druck ausüben zukönnen.138

Im Ergebnis führt eine Aussetzung vonZugeständnissen daher zu einer Vertiefungdes bereits bestehenden Ungleichgewichtsin den Handelsbeziehungen, die schondurch die fortdauernde Aufrechterhaltungder WTO-inkonsistenten Maßnahme be-einträchtigt sind. Die Möglichkeit in Fäl-len der Nichterfüllung im Bereich der gei-

stigen Eigentumsrechte (TRIPS) oder derDienstleistungen (GATS) auch Zugeständ-nisse im Bereich des Güterhandels auszu-setzen (cross retaliation) verschärft die Si-tuation zu Lasten der Entwicklungslän-der.139 Die strukturellen Regelungen zurVerfahrensaussetzung (Artikel 22 DSU) be-günstigen insoweit Länder mit einem gro-ßen diversifizierten Handelsvolumen undzahlreichen Handelsbeziehungen.140

Die zur Lösung dieser zentralen Proble-matik diskutierten Reformvorschläge ha-ben demzufolge das Ziel: erstens einemöglichst schnelle Umsetzung der Ent-scheidungen herbeizuführen und zweitensdie während eines WTO-rechtswidrigenZustandes entstandenen Verluste kompen-sationsfähig zu machen. Hierbei stehenu.a. sowohl die Einführung kollektiver Ele-mente im Implementierungsverfahren (col-lective suspension of concessions) als auchdie Etablierung von finanziellen Kom-pensationsansprüchen (monetary compen-sation) zur Debatte.

Dabei ist klar, dass eine effiziente Um-setzung der Entscheidungen umso wahr-scheinlicher wird, je stärker die potentiellewirtschaftliche Eingriffsintensität der zur Ver-fügung gestellten Rechtsmittel ist. Insofernkann die Frage der schnellen Implemen-tierung einer Entscheidung nicht losgelöstvon der bestehenden Rechtsmittelstrukturgesehen werden. Dies wird nur zum Teil inden Vorschlägen der Entwicklungsländerzur Reform des DSU artikuliert.141 Derhauptsächliche Grund liegt in den hierfürnotwendigen weitreichenden strukturellenVeränderungen und der damit einherge-henden Unsicherheit über die nicht abseh-baren Folgen für die Ausgewogenheit derbestehenden Rechte und Pflichten.

In den Reformüberlegungen unter Ein-beziehung der Vorschläge auch außerhalbdes DSU-Reformprozesses lassen sich fol-gende Kernelemente identifizieren142 : Nurdie Entwicklungsländer sollen statt derAussetzung von Handelsvorteilen einenAnspruch auf finanzielle Entschädigungder Verluste erhalten, die durch die Auf-

Perspektive der Entwicklungsländer

138 Im Verfahren nach Artikel 22 im Bananen-Streitfall erhielt Ecuador wegen mangelndenImportvolumens im Warenhandelsbereichauch die Möglichkeit, Verpflichtungen unterGATS und TRIPS auszusetzen. Vgl. zu der Pro-blematik auch Anderson (2002), S. 13 undHorn & Mavroidis (1999), S. 19ff.

139 Diese Möglichkeit besteht, wenn eine Ausset-zung innerhalb von Sektoren desselben Ab-kommens nicht möglich oder wirksam (prakti-kabel) ist. Entwicklungsländer besitzen ge-wöhnlich nur wenige patentierte Produkte,können aber umgekehrt durch den Entzugvon Handelspräferenzen im Güterbereich em-pfindlich getroffen werden. Die Aussetzungs-regeln müssten insoweit den bestehenden Ab-hängigkeitsbeziehungen zugunsten der Ent-wicklungsländer Rechnung tragen.

140 WTO-Dokument TN/DS/W/19.141 So WTO-Dokument TN/DS/W/9, S. 3 und

WTO-Dokument TN/DS/W/23, S. 2.142 Die Entwicklungsländer plädieren für eine ein-

seitige Modifikation der Rechtsmittel. Zu denmöglichen Differenzierungen und Feinheitender konkreten Ausgestaltung „präferenziellerRechtsmittel“ siehe Shaffer (2003), S. 51ff.

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rechterhaltung der WTO-inkonsistentenMaßnahme eines Industrielandes entstan-den sind.143 Dabei sollen nicht nur Ver-luste kompensationsfähig sein, die nachdem Ablauf des Umsetzungszeitraumsentstanden sind (prospective damages),sondern auch solche, die seit dem Beste-hen der WTO-inkonsistenten Maßnah-me144 bzw. seit der Feststellung der WTO-Inkonsistenz der Maßnahme durch An-nahme eines Abschlussberichts entstan-den sind (retroactive damages).145 Um dieUmsetzung einer Maßnahme durch einIndustrieland sicherzustellen, fordern ei-nige Entwicklungsländer die Möglichkeitzur kollektiven Aufhebung von Zugeständ-nissen und sonstigen Vorteilen.146 Auch dieÜbertragung des Aussetzungsrechts an ei-nen dritten Mitgliedstaat wird zu diesemZweck vorgeschlagen.147 Aufgrund derSchwierigkeiten, denen sich Entwicklungs-länder bei der Anwendung der Ausset-zungsregeln nach Artikel 22.3. ausgesetztsehen, wird ein Recht des Entwicklungs-landes zur freien Auswahl des Sektors beider Aussetzung von Zugeständnissen ge-genüber einem Industrieland vorgeschla-gen.148 Dementsprechend müsste einemIndustrieland die Aussetzung von Han-delsvorteilen unter dem GATT untersagtwerden können, wenn ein Entwicklungs-land gegen seine Verpflichtungen ausTRIPS oder GATS verstößt.

Um eine primär den Entwicklungs-interessen Rechnung tragende Implemen-tierung der Entscheidungen zu gewährlei-sten und einer Verletzung bestehenderRechte durch die Entscheidungen der Streit-schlichtungsorgane vorbeugen bzw. Rech-nung tragen zu können, fordern zahlrei-che Entwicklungsländer149 darüber hinaus,dass

der Allgemeine Rat regelmäßig mit ei-ner sorgfältigen Überprüfung der inden Streitschlichtungsverfahren entwi-ckelten Rechtsprechung beauftragtwird,

die Parteien bei Auslegungsfragen (z.B.Verhältnis einzelner Abkommen zuein-ander, Auslegung der S&D Vorschrif-ten) mit dem Recht ausgestattet wer-den, die strittige Angelegenheit zu je-dem Zeitpunkt des Verfahrens vor Er-teilung der Aussetzungsgenehmigungan den Allgemeinen Rat zu überwei-sen,

alle fünf Jahre ein periodischer Reviewstattfinden soll, aufgrund dessen Artund Weise der Förderung der Entwick-lungsziele durch die Streitschlichtungs-entscheidungen bewertet und mithilfenotwendiger Vertragsänderungen ver-bessert werden kann.

Perspektive der Entwicklungsländer

143 WTO-Dokument TN/DS/W/9, S.3, WTO-Do-kument TN/DS/W/17, S. 4, WTO-DokumentTN/DS/W/15, S. 3. Hinsichtlich des zugrundezulegenden Zeitpunkts variieren die Vorstel-lungen. Für den Beginn zum Zeitpunkt desErlasses der Maßnahme plädieren die LDCs,für den Zeitpunkt des Ablaufs des Um-setzungszeitraums Ecuador.

144 WTO-Dokument TN/DS/W/17, S. 4. 145 WTO-Dokument TN/DS/W/42, S. 3. 146 WTO-Dokument TN/DS/W/17, S. 4; WTO-

Dokument TN/DS/W/42, S. 3; WTO-Doku-ment TN/DS/W/15, S. 3.

147 WTO-Dokument TN/DS/W/23. 148 WTO-Dokument TN/DS/W/19, S. 2.149 WTO-Dokument TN/DS/W/15, S. 5.

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3.1 Begrenzung der Reich-weite der Rechtsprechungs-kompetenz des DSB

Weder das DSU noch irgendein ande-res WTO-Übereinkommen enthält eine,etwa dem Artikel 36 des Status des Inter-nationalen Gerichtshof vergleichbareVorschrift, die die Rechtssprechungskom-petenz des DSB, der Panel oder des ABausdrücklich darlegt. Einzelne Aspekte derRechtsprechungsbefugnis werden u.a. imZusammenhang mit der Regelung dessachlichen Anwendungsbereichs150 , derEinsetzung des DSB151 , des Verhandlungs-mandats der Panel152 oder der Begren-zung der Rechtsprechungskompetenz desAB auf die Untersuchung von Rechtsfra-gen153 behandelt.

Im Hinblick auf die Rechtsprechungs-kompetenz besteht der größte strukturel-le Unterschied zwischen dem Internatio-nal Court of Justice (ICJ) und der WTOdarin, dass das WTO-System über einebindende Rechtsprechungskompetenz(„compulsory jurisdiction“) verfügt, wäh-renddessen dies beim ICJ nicht der Fallist.154

Innerhalb dieses Problemkomplexes„Reichweite der Rechtsprechungskompe-tenz des DSB“ muss zwischen zwei Aspek-ten differenziert werden.

Zum einen geht es um die Frage deszuständigen Rechtsprechungsorgans beieiner Maßnahme die sowohl unter denAnwendungsbereich des WTO-Regimesals auch unter den Anwendungsbereicheines MEAs fällt.155 Zum anderen geht esum die Frage, welche materiellrechtlicheninhaltlichen Regelungen von dem entschei-denden Rechtsprechungsorgan ange-wendet werden dürfen. Denn selbst wennzwei unterschiedliche Rechtsregime je-weils für sich die Kompetenz beanspru-chen für die Beurteilung eines Sachver-halts zuständig zu sein (overlapping juris-diction), ist bei Klärung dieser Frage nochimmer offen, ob die inhaltliche Reichweiteihrer Beurteilungskompetenz durch Regelnihres „eigenen“ Regimes oder eines über-geordneten internationalen Regimes be-grenzt ist.

Diese Konstellation ist erstmals imSchwertfisch-Fall156 aufgetreten. Von derEU wurde das DSB der WTO, von Chileder Internationale Seegerichtshof (UNCLOS)wegen derselben Streitigkeit angerufen.In diesem Fall, den die Parteien durch ei-nen Kompromiss beigelegt haben, ohnedass es zu einer Panel-Entscheidung kam,wäre zum ersten Mal die eigentliche denKonflikt kennzeichnende Situation aufge-treten, dass ein und dieselbe Maßnahmein Abhängigkeit der inhaltlichen Ausrich-tung des jeweiligen Regimes rechtlichmöglicherweise anders zu beurteilen ge-wesen wäre. Denn auch wenn die dieRechtsprechungsbefugnis regelnden Nor-men beider Regime ausschließlich auf diejeweiligen Rechte und Pflichten des ihmzugrunde liegenden Abkommens verwei-

Reformaspekte mit Umweltrelevanz

3 Reformaspekte mitUmweltrelevanz

150 Artikel1 DSU. Danach fallen alle wesentlichenÜbereinkommen der WTO in dessen Anwen-dungsbereich.

151 Artikel 2 DSU. 152 Artikel 7 DSU. 153 Artikel 17.6, 17.13 DSU. 154 Palmeter & Mavroidis (2004), S. 17. 155 Dieses Problem ist natürlich nicht nur hinsicht-

lich des Verhältnisses des WTO-Regimes zu denMEAs gegeben, sondern auch bezüglich ande-rer völkerrechtlicher Übereinkommen.

156 Dies ist der bislang erste und einzige Fall imBereich Handel und Umwelt, bei dem dasProblem der konkurrierenden internationalenStreitschlichtungsmechanismen aufgetreten ist.

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sen und insoweit eine theoretisch klareUnterscheidung angenommen werdenkönnte, bleibt das in der Praxis relevanteProblem bestehen. Dies gilt um so mehrangesichts der Tatsache, dass die Panel,soweit dies zur Beurteilung einer handels-rechtlichen Streitigkeit erforderlich ist,auch Vorschriften der maßgeblichen MEAin die Auslegung interpretationsbedürfti-ger WTO-Normen einbeziehen dürfen.157

Wenn also eine Maßnahme inhaltlicheinmal aus der Perspektive eines MEA undgleichzeitig aus der Perspektive eines han-delsrechtlichen Übereinkommens be-trachtet werden kann, ist es von entschei-dender Bedeutung welchem Regime dasentscheidende Streitschlichtungsorganangehört. Aus folgenden Gründen wirddies im Regelfall eines der WTO sein.

Wenn beide Konfliktparteien Mitglieddes MEA sind, sind dessen Vorschriften inder Regel spezieller als die des Welt-handelsrechts, so dass sie nach völker-rechtlichen Prinzipien158 den letzteren vor-gehen. Wenn nur eine Konfliktpartei Mit-glied eines MEA ist, beide jedoch Mitgliedder WTO, soll nach völkerrechtlichen Re-geln die Streitschlichtung auf der Grund-lage des Abkommens erfolgen, in dembeide Staaten Mitglied sind.159 Somit wä-re in diesen Fällen die WTO das zuständi-ge Streitschlichtungsorgan. Handelt essich um Maßnahmen auf der Grundlageeines quasi-universellen MEA160 und wer-den sie von diesem ausdrücklich zur Um-setzung der Ziele vorgesehen, ist davonauszugehen, dass sie als generelle Aus-nahmen nach Artikel XX GATT, Artikel XIVGATS, Artikel 27 TRIPS zulässig sind.161

Diese Annahme erfolgt unter der Voraus-setzung, dass sie keine willkürliche Han-delsbeschränkung darstellen und zur Er-reichung ihres politischen Ziels tatsäch-lich notwendig sind, was, wie soeben dar-gestellt, von dem Streitschlichtungsgre-mium der WTO zu entscheiden wäre.

In den Fällen, in denen nur eine Kon-fliktpartei Mitglied des betroffenen MEAist und die umweltpolitisch motivierte

Maßnahme entweder nicht im Zusam-menhang mit einem quasi-universellenMEA steht oder nicht explizit von (quasi-universellen) MEA162 zur Umsetzung ihrerZiele vorgesehen ist, kann nicht von einergenerellen Ausnahmegenehmigung vomGATT-, GATS- oder TRIPS-Abkommenausgegangen werden. Hinter dieser Kon-stellation verbirgt sich das größte zukunfts-bedeutsame Konfliktpotential zwischenhandelsbezogenen Maßnahmen in MEAund dem WTO-Regime. Denn wenn bspw.eine Maßnahme163 auf der Grundlage desKioto-Protokolls, eines MEA welches ty-pischerweise nicht bestimmte handels-bezogene Maßnahmen zu seiner Umset-zung vorsieht, erfolgt, würde über derenfaktische Notwendigkeit in einem Streit-

Reformaspekte mit Umweltrelevanz

157 Im Hormon-Streitfall entschied das Panel überdas Verhältnis des völkerrechtlichen Vorsorge-prinzips zu den Vorschriften des SPS. Vgl. zuder Problematik Bree (2003), S. 105f und S.210f.

158 Dies folgt aus dem Prinzip des „lex specialisderrogat legi generali “, das speziellere Ge-setz geht dem allgemeineren vor.

159 Dies ergibt sich aus Artikel 30.4(b) der WienerVertragsrechtskonvention.

160 Für den Begriff der “Quasi-Universalität” gibtes keine feststehende juristische Definition. AlsKriterien kommen in Betracht: Anzahl der Mit-glieder, Offenheit für alle Staaten, Schirmherr-schaft bei der UN. Im Konfliktfall muss dervölkerrechtliche Status im Einzelfall geklärtwerden.

161 Siehe Althammer (2001), Biermann (1999),Senti (2001), Santarius et al. (2003) und Neu-mann (2001).

162 Von den zahlreichen Umweltübereinkommenenthält nur eine geringe Anzahl sogenanntehandelsspezifische Maßnahmen („specifictrade obligations“), wobei über die genaueDefinition des Begriffs seit langem keine Ei-nigkeit zu erzielen ist. Vgl. hierzu die Diskus-sion im CTE, WTO-Dokument, 24. April2003, TN/TE/S/3/Rev.1, S. 18ff und Burgiel(2003).

163 Als solche kommen grundsätzlich Maßnahmenin Betracht, die klimafreundliche Güter gegen-über energie- und treibhausintensiven Güternbegünstigen und aufgrund von Unterschiedenin der Herstellungsweise differenzieren; Kon-fliktnormen liefern Artikel III 4 GATT und Artikel2.2 TBT. Auch energie- oder klimaspezifischeProduktkennzeichnungen (labels) können eintechnische Handelshemmnis im Sinne des TBT-Übereinkommens darstellen.

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schlichtungsverfahren der WTO entschie-den werden. Die Ergebnisse dieses so ge-nannten Notwendigkeitstests variierenvon Fall zu Fall und sind daher sehr kon-textabhängig; Lösungsoptionen lassensich nicht verallgemeinern.164

Dies ist denn auch der Grund für dasausnahmslose Scheitern der im Rahmendes Ausschusses für Handel und Umwelt(Commission on Trade and Environment– CTE) diesbezüglich diskutierten Vor-schläge165 , da keiner von diesen einenadäquaten Lösungsansatz für die darge-stellte Problematik enthält. Vor diesemHintergrund ist auch fraglich, was über-haupt das Verhandlungsmandat nach derDoha Ministerial Declaration zum Zielhat. Denn dieses beschränkt sich zum ei-nen auf diejenigen MEAs welche konkre-te handelsbeschränkende Maßnahmenenthalten und zum anderen nur auf Fäl-le, bei denen beide Konfliktparteien Mit-glied des betroffenen MEA sind. DieseKonstellation ist jedoch wie dargelegtnicht problematisch. Hieraus folgt, dassdie tatsächlichen Probleme nicht einmalGegenstand auf der politischen Agendader WTO sind.

Zur Lösung des Problems der sich über-schneidenden Rechtsprechungsbefugniswird daher auch eine Kompetenzbegren-zung des DSB diskutiert. Diese könnte aufverschiedene Weise realisiert werden. Je-

denfalls müsste die aus Artikel 23 DSUresultierende Verpflichtung der Mitglied-staaten alle Konfliktfälle, die aufgrund vonunilateralen Maßnahmen gegen WTO-Recht verstoßen können, dahin abgeän-dert werden, dass im Falle des Vorhan-denseins eines anderen Streitschlichtungs-verfahren, nicht die Verpflichtung bestehtnach den Vorschriften des DSU ein Paneleinsetzen zu lassen.

Insoweit könnte auf der Grundlage ei-ner Generalklausel angeordnet werden,dass zunächst eine andere Gerichtsbar-keit anzurufen ist, wenn in Streitfällen inter-nationale Umweltverträge berührt wer-den. Als solche käme die des ICJ in Be-tracht.166 Dieser Vorschlag könnte durcheine Änderung des Artikel 3 DSU reali-siert werden.167

3.2 Gewährleistung von Um-weltexpertise im prozessualenVerfahren

Eine weitere Möglichkeit den vorhan-denen Konflikt der sich überschneidendenRechtsprechungsbefugnis zu lösen unddas vorhandene Defizit an Umweltex-pertise im WTO-Streitschlichtungsverfah-ren auszugleichen, besteht in der Einbezie-hung von Sachverständigen (AdvisoryOpinion) des jeweils anderen betroffenenRegimes. Hierbei würde die Rechtspre-chungskompetenz des DSB unangetastetbleiben, aber dem für die Entscheidungzuständigen Panel die Möglichkeit einge-räumt werden einen Teil der zu treffendenEntscheidung an ein anderes Organ zuverweisen. Dieser Reformgedanke beruhtauf der Erwägung, dass das jeweils sach-nähere Entscheidungsorgan auch die grö-ßere fachliche Entscheidungskompetenzaufweist.168 Die auf dieser Grundlage vor-gebrachten Verbesserungsvorschläge sol-len demnach zu einem kooperativen Ent-scheidungsmechanismus führen, der eineangemessene Berücksichtigung der durchdie unterschiedlichen Regime repräsen-tierten Interessen gewährleistet.

Reformaspekte mit Umweltrelevanz

164 OECD (1999), S. 37.165 Als solche werden diskutiert: Ausnahme-

regelung (waiver), Auslegungsbeschluss, Ein-führung eines Artikel XX(k) GATT und die Um-kehr der Beweislast.

166 Bree (2003), S. 311 und Marceau &Gonzales-Calatayud (2001), S. 13.

167 Zu den einzelnen Vorschlägen vgl. Bree(2003), S. 312ff.

168 Diese Herangehensweise wurde zumindestin einem Bericht des CTE von 1996 befür-wortet. Nach der Stellungnahme des CTEsollten sich in einem Fall, in dem beideStreitparteien Mitglied des einschlägigenMEAs sind, nach dessen Vorschriften eineStreitbeilegung suchen. Vgl. WTO-Doku-ment WT/CTE/1, para. 178.

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Folgende Reformvorschläge hinsicht-lich Artikel 13 DSU werden diskutiert:

1. Einbeziehung von Sachverständigen-gutachten bei Betroffenheit eines MEA.Dieser Vorschlag entspricht der seitlangem vereinbarten verstärkten Ko-operation zwischen MEA-Sekretaria-ten und WTO und macht vor allem dieTatsache mangelnder umweltbe-zogener Fachexpertise zum Reform-gegenstand.169 Andererseits ist frag-lich, ob hierdurch eine wirkliche Än-derung bewerkstelligt werden kann,da ein Panel schon jetzt nach Artikel13 DSU ein umfangreiches Recht zurEinholung externen Sachverstands be-sitzen. Ein organisationsrechtlichesProblem hinsichtl ich dieses Vor-schlags besteht darin, dass die Sekre-tariate der MEAs ohne Autorisierungdes Hauptorgans derselben, derConference of the Parties (COP), kei-ne Befugnis zum Erlass solcher Sach-verständigengutachten haben.170 EineÜbertragung dieser Aufgabe an dieCOPs selbst wäre zu zeitraubend unddaher ineffizient. Insoweit müsste zu-nächst die Funktion der Sekretariatedurch einen Beschluss der COP erwei-tert werden. Darüber hinaus sindauch die Bedingungen unter denensolche Gutachten zu erstellen wärenweitgehend unklar. Dieser Einwandgilt auch für die nachfolgenden Re-formvorschläge.

2. Verpflichtung des Panel zur Einholungeines MEA – Sachverständigengutach-ten, wenn zwischen Streitparteien kei-ne Übereinstimmung hinsichtlich An-wendbarkeit und Auslegung eines MEAbesteht.

3. Befugnis der Panel zur Einholung einesUNEP–Sachverständigengutachtens inden Fällen, in denen sich eine Parteiauf Artikel XX (b) oder (g) GATT odereiner ähnlichen Vorschrift in einem an-deren Übereinkommen beruft, ein-schließlich solcher Maßnahmen, dieauf den Schutz von Leben und Gesund-heit, Tier- und Pflanzenschutz oder derUmwelt gerichtet sind.

4. Befugnis der Panel zur Einholung einesSachverständigengutachtens von ei-nem „Environment Advisory Board“ inden Fällen, in denen sich eine Parteiauf Artikel XX (b) oder (g) GATT odereiner ähnlichen Vorschrift in einem an-deren Übereinkommen beruft, ein-schließlich solcher Maßnahmen, dieauf den Schutz von Leben und Gesund-heit, Tier- und Pflanzenschutz oder derUmwelt gerichtet sind.

5. Befugnis der Panel zur Einholung einesSachverständigengutachtens von einer„Expert Review Group“ in den Fällen,in denen sich eine Partei auf Artikel XX(b) oder (g) GATT oder einer ähnlichenVorschrift in einem anderen Überein-kommen beruft, einschließlich solcherMaßnahmen, die auf den Schutz vonLeben und Gesundheit, Tier- und Pflan-zenschutz oder der Umwelt gerichtetsind.

6. Befugnis der Panel zur Einholung einesSachverständigengutachtens vom ICJ,wenn in einem Rechtsstreit das Verhält-nis zwischen Verpflichtungen eines derunter das Übereinkommen fallendenAbkommen zu anderen (internationa-len) Abkommen strittig ist.

Dieser letzte Vorschlag wird auch vonder Gruppe der afrikanischen Entwick-lungsländer unterstützt.171

Die genannten Vorschläge sindtheoretisch denkbare Alternativen dienotwendige Umweltexpertise in einemStreitschlichtungsverfahren der WTO zugewährleisten. Aus den Ausführungen zu3.1. folgt, dass hierdurch jedoch derKomplexität des Verhältnisses zwischen

Reformaspekte mit Umweltrelevanz

169 Vgl. Chairman’s summary, Meeting on Com-pliance, Enforcement and Dispute Settlement inMEAs and the WTO, 26. Juni 2001, Geneva,S. 4; und WTO-Dokument, 12. Juni 2002,WT/CTE/W/213: Enhancing Synergies andMutual Supportiveness of MEAs and the WTO.

170 Vgl. Artikel XII CITES, Artikel 16 BaselConvention.

171 WTO-Dokument TN/DS/W/15, S.3, sieheauch die Darstellung zu den amicus briefs imAbschnitt 3.3.

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MEAs und WTO-Recht nicht angemessenund dauerhaft Rechnung getragen wer-den kann. Die Einholung von Umwelt-expertise in Einzelfällen auf der Grund-lage eines Sachverständigengutachtenskann nicht adäquat zu einer gleichran-gigen Behandlung von Umwelt- gegen-über ökonomischen Interessen beitra-gen. Die Panel und der AB können nachfreiem Ermessen entscheiden, ob sie einsolches Gutachten überhaupt für not-wendig erachten und wenn ja, ob undwie die darin enthaltenen Informationenin ihre Entscheidungsfindung Eingangfinden oder eben nicht. Abgesehen da-von, ist angesichts der erfolglosen Ver-handlungen im CTE (siehe oben zu 3.1.)die Konsensfähigkeit selbst dieser be-grenzten Möglichkeit der Einführung vonUmweltexpertise in das Streitschlich-tungsverfahren eher unwahrscheinlich.

3.3 „Amicus briefs“: Chancenund Risiken einerPartizipationsmöglichkeit

Diese Thematik hat ihren übergeord-neten Ausgangspunkt in der Fragestel-lung, ob sich private Parteien an demStreitschlichtungsverfahren der WTO be-teiligen dürfen und wenn ja, auf welcheWeise und in welchem Umfang dies ge-schehen kann. In rechtlicher Hinsicht geht

es um die Frage, ob und unter welchenBedingungen die Panel und der AB schrift-liche Stellungnahmen von Nichtregie-rungsorganisationen (NGOs) und ande-ren Interessierten Gruppen oder Individu-en annehmen können und sie bei derrechtlichen Beurteilung des Falles berück-sichtigen dürfen.172 Während nach demWortlaut des Artikel 13 DSU lediglich dasRecht Auskünfte und fachlichen Rat einzu-holen (to seek) verankert ist, handelt essich bei den amicus briefs um Eingaben,die dem Panel oder dem AB unaufgefor-dert zugestellt werden. Des Weiteren hatnach dem Wortlaut des Artikel 13 DSUlediglich ein Panel dieses Recht.

Im Jahr 1998 machte der AB den Wegfür die Zulassung von amicus briefs, dievon NGOs, Wirtschaftsverbänden undanderen Dritten eingereicht wurden, frei.Er bestätigte im „shrimp-turtle“-Fall dieEntscheidung des Panels, dass die USAberechtigt seien, drei von Umwelt-NGOseingereichte amicus briefs ihren Einga-ben hinzuzufügen. Als Begründung führ-te er an, dass es einem Panel freistehe,erhaltene Informationen zu berücksich-tigen oder diese zu verwerfen, unabhän-gig davon, ob diese aufgefordert oderunaufgefordert erhalten worden seien. Erkorrigierte damit die Auffassung des Pa-nels, dass die Annahme unaufgeforderterhaltener Informationen von NGOsdurch ein Panel eine Verletzung des DSUdarstelle.173 Im Mai 2000 entschied erin einem Streitfall über die Rechtmäßig-keit amerikanischer Ausgleichszölle aufbritische Stahlexporte, dass dieses Rechtauch dem AB selbst zustehe und ließamicus briefs von Verbänden der stahl-verarbeitenden Industrie der USA zu.174

Anlässlich des „Asbestos“-Falls kündig-te der AB im November 2000 an, für dieBehandlung von amicus briefs im Rah-men der ihm nach Artikel 17.9 DSU ein-geräumten Befugnis ein Arbeitsverfahrenzu entwickeln.

Dieses Vorgehen rief vor allem beiden Entwicklungsländern heftige Prote-ste hervor, da sie der Auffassung waren,

Reformaspekte mit Umweltrelevanz

172 Diese Frage wurden in den Streitfällen zuGarnelen (WTO-Dokument WT/DS58/AB/R);Stahl-Schutzzöllen (WTO-Dokument WT/DS/138/AB/R) und Asbest (WTO-Dokument WT/DS135/AB/R) behandelt.

173 Er korrigierte die am Wortlaut des Artikel 13DSU orientierte enge Auslegung (des Begriffs„to seek“) der Panel, indem er argumentierte,dass es schließlich keinen Unterschied ma-che, ob eine NGO zunächst um die Erlaubnisder Einreichung gebeten habe und das Paneldiese dann im Rahmen seines Rechts nachArtikel 13 die Erlaubnis erteile. Eine Differen-zierung zwischen aufgefordert und unaufge-fordert erhaltenen Informationen sei in die-sem (vom AB hypothetisch angenommenen)Fall unerheblich.

174 WTO-Dokument WT/DS/138/AB/R, S. 42.

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ausschließlich der Allgemeine Rat (Ge-neral Council) habe die Kompetenz zurFestlegung von Verfahrensvorschriften.175

Nach einer kurz darauf folgenden Son-dersitzung des Allgemeinen Rats kamendie Mitglieder mit dem Vorsitzendendahin überein, dass dieser den AB zu ei-nem äußerst zurückhaltenden Umgangmit amicus briefs anmahnen solle.176 DasArbeitsverfahren hätte vorgesehen, dassjede nicht am Verfahren beteiligte Par-tei, die eine schriftliche Eingabe machenwollte, dieses zuvor hätte beantragenmüssen. Gegenwärtig entscheiden dieStreitschlichtungsorgane weiter nachfreiem Ermessen von Fall zu Fall überdie Annahme oder Ablehnung einesamicus briefs.

Da nach Auffassung der USA und derEU die Zulässigkeit von amicus briefs selbstnach der Rechtsprechung des AB nichtmehr länger in Frage stehe, gehe es nun-mehr lediglich darum, wie die Behandlungvon amicus briefs verfahrensrechtlich ge-staltet werden könne.177 Die USA sind derAuffassung, dass hierfür keine Änderungdes DSU selbst erforderlich sei.178

Die EU befürwortet in ihrem Vorschlagdas vom AB vorgesehene zweistufige Ver-fahren, wonach zunächst ein Antrag aufEinreichung eines amicus briefs gestelltwerden muss und dann die Eingabe selbsterfolgen kann.179 Alternativ könne die Zu-lässigkeit auch von der beiderseitigen Zu-stimmung der Parteien abhängig ge-macht werden.180

Die Entwicklungsländer lehnen die Zu-lassung von amicus briefs ab. Sie befürch-ten vor allem, dass auf diese Weise dieInteressen transnationaler Konzerne oderauch die Sichtweise von NGOs aus demNorden zu ihren Ungunsten in das Pro-zessgeschehen transportiert werden undsie damit bei der Wahrnehmung ihrerRechte zusätzlichen Hürden ausgesetztsind.

Schon jetzt haben die Akteure der Pri-vatwirtschaft in den USA und der EU ge-

wichtige Einflussmöglichkeiten auf die Her-bei- und Durchführung eines Streitschlich-tungsverfahrens.181

Eine weitere Dimension dieses Dilem-mas der direkten Drittbeteiligung Priva-ter wird in Vorschlägen offenbar, die dar-auf abzielen Wettbewerbsrechte transna-tional agierender Unternehmen mittelsdes Streitschlichtungsverfahrens derWTO durchsetzen zu können. Der Vor-schlag der EU zum Wettbewerbsrecht-Rahmenabkommen der WTO sieht vor,dass die Regierung der Heimatländervon trans- und multinationalen Konzer-nen die Gesetze und Verfahrensregelnder Gastländer, in denen investiert wur-de, im Rahmen des Streitschlichtungs-verfahrens der WTO überprüfen lassenkann, wenn zuvor ein nationales Gerichtdes Gastlandes nicht zur Zufriedenheitdes klagenden Unternehmens entschie-den hat.182

Ein weiterer für die Entwicklungsländernicht weniger bedrohlicher Aspekt hinsicht-lich der faktischen Beteiligung Privater amVerfahren ergibt sich aus der hinter den Ku-lissen stattfindenden Unterstützung einesMitgliedstaats durch die betroffenen Indu-strien. Diese helfen den Regierungen nichtselten im Vorfeld der Prozessführung so-wie währenddessen in prozesstechnischer(Beweisführung) und finanzieller (Erstellung

Reformaspekte mit Umweltrelevanz

175 General Council, Minutes of Meeting on 22November 2000, WTO-Dokument, 23. Januar2001, WT/GC/M/69.

176 Vgl. WTO-Reporter, 13. September 2002: “U.S.Official Backs WTO Amicus Briefs As PromotingTransparency, Legitimacy”.

177 WTO-Dokument TN/DS/W/1, S. 7 und WTO-Reporter, 13. September 2002: “U.S. OfficialBacks WTO Amicus Briefs As PromotingTransparency, Legitimacy”.

178 WTO-Dokument TN/DS/W/46, S. 3.179 WTO-Dokument TN/DS/W/1 S. 13; siehe auch

Bree (2001), S. 335ff.180 Bree (2001), S. 341ff. 181 Vgl. die obigen Ausführungen zu 2.1.2.182 Vgl. WTO-Dokument WT/WGTCP/W/229,

para 5.

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von Rechtsgutachten) Hinsicht.183 Insoweitkönnte die Zulassung von amicus briefs fürdie Streitparteien auch eine willkomme-ne Möglichkeit darstellen vorhandene fi-nanzielle, technische oder rechtliche Res-sourcen zu erschließen, um ihre Positionstärken zu können.

Durch die Zulassung von amicus briefsbefürchten die Entwicklungsländer Folge-probleme. Wie sei beispielsweise zu ent-scheiden, wenn ein Anspruch im amicusbrief, nicht jedoch in der Eingabe selbsterhoben werde? Würde ein so geltendgemachter Anspruch von den Entschei-dungsorganen dennoch berücksichtigtwerden? Wie werden in diesen erhobeneEinwände von den Panels bzw. dem ABbehandelt? Wie und wer überprüfe die inden amicus brief dargelegten Angabenzur Finanzierung der Organisation unddass diese nicht mit den Parteien oderDrittbeteiligten interessensmäßig verbun-den sind? Und schließlich – was habe esfür einen Zweck, dass der AB, ein aus an-

Reformaspekte mit Umweltrelevanz

erkannten Rechtsexperten bestehendesGremium (vgl. Artikel17.3 DSU), dessenKompetenz auf die Überprüfung derrechtlichen Beurteilung der vom Panel ge-troffenen Entscheidung beschränkt sei, da-zu ermächtigt würde amicus briefs anzu-nehmen und bei seiner Entscheidungsfin-dung zu berücksichtigen?184

Die heftigen Proteste der Entwicklungs-länder gegen die Zulassung von amicusbriefs erklären sich jedoch nur zum Teilaus ihrer Ablehnung gegen die damit ver-bundenen prozessualen Veränderungenim Verfahren und möglichen systemi-schen Veränderungen des DSU. Ihre Re-aktion richtet sich vielmehr (auch) gegendas vom AB gewählte Vorgehen, über dieZulassung von amicus briefs gewisserma-ßen „eigenmächtig“ entschieden zu ha-ben, ohne dass zuvor ein entsprechendesArbeitsverfahren nach Rücksprache mitdem Vorsitzenden des DSB und dem Ge-neraldirektor angenommen worden ist(Artikel17.9 DSU). Darüber hinaus habesich der AB in den Streitschlichtungsent-scheidungen selbst weder zu einer recht-lichen Grundlage noch zu einer Kom-petenzregelung für die Annahme vonamicus briefs überhaupt geäußert. Statt-dessen behauptete er, die „legale Autori-tät“ über Annahme und Berücksichtigungvon amicus briefs zu haben185 und erklärte,dass „das, was nicht verboten wäre, er-laubt sei.“186

Das Vorgehen des AB reiht sich aus derSichtweise der Entwicklungsländer in zahl-reiche andere Fälle ein, in denen Panelund AB nach ihrer Auffassung ihre nachdem DSU bestehenden Kompetenzenüberschritten haben.187

Nach Artikel IX 2 WTO-Übereinkom-men sei es ausschließlich den Mitglied-staaten vorbehalten, das Gründungsüber-einkommen und die multilateralen Han-delsübereinkommen auszulegen. Dage-gen habe der AB ein klar begrenztes Man-dat zur Klärung der in den Panelverfahrenbehandelten Rechtsfragen (Artikel 17.6DSU). Artikel 19 DSU bestimme, dass

183 Zum Beispiel die Unternehmen Kodak undFuji, die in dem Fall „Japan – Measuresaffecting consumer photographic film andpaper“ (WTO-Dokument WT/DS44) ihre Regie-rungen unterstützten. Oder die Flugzeughers-teller Bombardier und Embraer in dem Fall„Brazil – Export financing programme foraircraft“ (WTO-Dokument DS46).

184 Siehe WTO-Dokumente TN/DS/W/5, S. 5 undTN/DS/W/7, S. 6f.

185 WTO-Dokument WT/DS/175/AB/R, para 157;Palmeter & Mavroidis (2004), S. 224.

186 WTO-Dokment WT/DS/138/AB/R, S. 42 undRaghavan (2002).

187 Eine genauere Darstellung würde den hier be-stehenden Rahmen überschreiten, ist aber imGrunde unumgänglich für ein genaueres Ver-ständnis der von den Entwicklungsländern for-mulierten Einwände. Diese betreffen weitereFälle der Kompetenzüberschreitung durch Pa-nel und AB; neue Rechte und Pflichten seienin einer Reihe von Fällen zulasten der Entwick-lungsländer neu geschaffen worden, so in„Indonesia - Certain measures affecting theautomobile industry“ (WTO-Dokumente DS54,DS55, DS64); „Brazil -Export financing pro-gramme for aircraft“ (WTO-Dokument DS46);European Communities - Regime for theImportation, Sale and Distribution of Bana-nas, (WTO-Dokumente WT/DS27, DS158,DS165). Siehe Raghavan (2000a).

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Panel und AB lediglich eine Befugnis zurAbgabe von Empfehlungen haben aufderen Grundlage der DSB Entscheidun-gen über Handelsstreitigkeiten träfe. DerUnterschied zu nationalen Rechtssyste-men bestehe eben gerade darin, dassPanel und AB nicht direkt wegen einerStreitigkeit angerufen werden könntenund dass die Rechtsverbindlichkeit einerEntscheidung an deren Annahme durchden DSB gebunden sei.188

Die alleinige Kompetenz des Allgemei-nen Rates über die Art und Weise der Be-handlung von amicus briefs zu entschei-den resultiere daraus, dass die Zulassungvon amicus briefs eine Abweichung vomzwischenstaatlichen Charakter des Streit-schlichtungsverfahrens beinhalte.189 DieMehrheit der Entwicklungsländer ist derAuffassung, auf diese Weise könnten sichPrivate, die nicht Mitglied der WTO sindund sein sollen, mehr Einfluss auf das Ver-fahren verschaffen als es Mitgliedstaaten,die nicht Beteiligte in dem konkreten Ver-fahren sind, überhaupt möglich sei. Arti-kel 10 DSU bestimme, dass ausschließ-lich WTO-Mitglieder als Drittbeteiligte ineinem Verfahren zuzulassen sind. Im Üb-rigen ordne das DSU ausdrücklich dieNichtöffentlichkeit des Verfahrens an.190

Der zwischenstaatliche Charakter desWTO-Regimes sowie des DSU würdendurch die Zulassung von amicus briefs ver-letzt. Darüber hinaus sei eine Verzögerungdes Verfahrens zu befürchten, da hier-durch sowohl die Panel als auch die Streit-parteien sich mit dem zusätzlichen Sach-verhalt beschäftigen müssten. Schließlichbestehe auch die Gefahr einer nicht al-len Interessen Rechnung tragenden Aus-

wahl bei der Annahme der Briefe sowiebezüglich der Berücksichtigung oderNichteinbeziehung der darin enthaltenenInformationen.

Nach Artikel 3.2 DSU können die Emp-fehlungen und Entscheidungen des DSBdie in den unter die Vereinbarung fallen-den Übereinkommen enthaltenen Rech-te und Pflichten weder ergänzen noch ein-schränken. Es ist nicht auszuschließen, dassdie Parteien die in den amicus briefs dar-gelegten Sachverhaltsergänzungen be-rücksichtigen müssen. Ihre Darlegungslastwürde dadurch vergrößert.

Die Mehrheit der Entwicklungsländerplädiert daher im Rahmen ihrer Vorschlä-ge für eine gesetzliche Klarstellung desBegriffs „to seek“ dahingehend, dass un-aufgeforderte Informationen nicht erfasstwerden.191 Die Vorschläge beinhalten da-rüber hinaus eine Klarstellung, dass derAB weder befugt ist Auskünfte von ande-ren als den Parteien oder Drittbeteiligteneinzuholen (to seek) noch solche anzuneh-men. Stattdessen jedoch könnten unauf-geforderte Informationen direkt an dieParteien gerichtet werden. Des weiterensolle die Möglichkeit vorgesehen werden,dass in Fällen, die über die Kompetenzder WTO hinausgingen, Sachverständi-gengutachten vom International Court ofJustice eingeholt werden könnten, um dieÜbereinstimmung des internationalenRechts zu begünstigen.192

Die Thematik der amicus briefs be-inhalte insgesamt ein erhebliches Risikofür die Interessen der Entwicklungslän-der.193

Reformaspekte mit Umweltrelevanz

188 Raghavan (2002).189 Raghavan (2000b).190 Vergleiche insbesondere “rule 2 of appendix

3”: “a panel ‚shall meet in closed session‘and that the parties and interested partiesshall be present at the meeting only when in-vited by the panel to appear before it“.

191 WTO-Dokumente TN/DS/W/47, S. 1, TN/DS/W/15, S. 5 und TN/DS/W/42, S. 3.

192 WTO-Dokumente TN/DS/W/15, S. 5.193 Shaffer (2003), S. 57f.

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Allgemein lassen sich die Gründefür ein Scheitern der Reform fol-gendermaßen zusammenfassen:

Zum einen ist bezüglich spezifischerverfahrenstechnischer Fragen keineÜbereinstimmung zu erzielen. Nebendem mangelnden politischen Willender Mitgliedstaaten einen Kompromissherbeizuführen, ist in diesem Zusam-menhang von Bedeutung, dass die imReformprozess stattfindende Diskussi-on immer auch im Lichte der jeweilsanhängigen oder auch drohenden Ver-fahren geführt wird. Dies konnte insbe-sondere bei politisch kontroversenStreitfällen beobachtet werden. So warbeispielsweise die Thematik der zeitli-chen Abfolge der einzelnen Verfah-rensschritte, dem sog. „sequencing“,oder die Frage kollektiver Aussetzungvon Zugeständnissen Gegenstand desBananen-Streitfalls, die Zulässigkeitvon amicus briefs spielte im Shrimp/Turtle-Fall eine zentrale Rolle. Viele derdie Reformdebatte prägenden The-men sind im Umfeld dieser Streitfälleals zu lösende Problematik in Erschei-nung getreten. Dies kann zu der Si-tuation führen, dass innerhalb eineslaufenden Verfahrens versucht wird, einim Rahmen des DSU-Reformprozessstrittiges Thema durch die Panel klä-ren zu lassen. Bis eine Panel- oder AB-Entscheidung vorliegt, werden sich alle

am Verfahren Beteiligte mit möglicher-weise zu ihren ungunsten wirkendenÄußerungen innerhalb des politischenReformprozesses zurückhalten.

Zum anderen ist jedoch hinsichtlich derzentralen Frage, ob eine Verrechtli-chung (judicialisation) des Systemsfortgesetzt werden sollte, kein Konsensersichtlich. Diese Uneinigkeit über dielangfristige Ausrichtung des Streit-schlichtungssystems ist in seiner Wir-kung für den Reformprozess wesentlichtief greifender als bestehende Mei-nungsverschiedenheiten hinsichtlichspezifischer Verfahrensfragen. Die Re-formdebatte zeigt, dass weder alle wirt-schaftlich starken Mitgliedstaaten einesolche Entwicklung befürworten nochdie Entwicklungsländer eine solcheprinzipiell ablehnen. Eine differenzier-te Betrachtung ergibt jedoch, dass esden letztgenannten vor allem um eineStärkung der Verhandlungsmechanis-men vor der Einsetzung eines Panelsgeht. Die Diskussion um die Einführungeines Permanent Panel Body ist ein an-schauliches Beispiel für diesen demganzen Reformprozess zugrunde lie-genden Konflikt.

Schließlich kann die DSU-Reform nichtlosgelöst von den fortlaufenden Ver-handlungen im Bereich des materiel-len Rechts gesehen werden. Die zeit-weise geplante und erst im Juli 2004für die laufende Handelsrunde aufge-gebene Öffnung der Verhandlungenfür Bereiche wie Investitionen und Wett-bewerb (sog. Singapur-Themen) hatsich beispielsweise unmittelbar auf dieVerhandlungsführung der Mitglied-staaten im Rahmen der DSU-Reformausgewirkt.194 Dieser Mechanismuswechselseitiger Interdependenz gilt

4 Grenzen einer Reform des DSU

Grenzen einer Reform des DSU

194 Auch wenn drei der vier sogenannten Singa-pur Themen (Investitionen, Wettbewerb, Öf-fentliches Beschaffungswesen) durch das Juli-Paket 2004 der WTO nicht mehr Bestandteilder laufenden Verhandlungsrunde sind, be-steht der Effekt auf die Verhandlungen imRahmen des DSU-Reformprozesses fort, wennauch in abgeschwächter Form. Derzeit wirdnur noch über das Thema Handelserleichte-rungen verhandelt.

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auch für die Wieder- und Weiterver-handlung bestehender Abkommen.Besonders die im Bereich Handel undUmwelt seit Jahren und noch immerungelöst auf der Agenda stehendenThemen im materiellrechtlichen Be-reich (Verhältnis MEAs-WTO, PPMs,Stellung des Vorsorgeprinzips) lassenkeine Veränderungen des DSU im Sin-ne der oben dargestellten umweltrele-vanten Reformvorschläge vermuten.Die aktuellen Verhandlungen für denverbesserten Marktzugang für nicht-agrarische Güter (NAMA) werden in-soweit den beschriebenen Effekt ver-stärken.

Aus der Sicht der Entwicklungsländerstellt sich die zentrale Frage, ob und wiedas Streitschlichtungsverfahren innerhalbdes multilateralen Handelssystems dazubeitragen kann das bestehende ökono-mische und politische Ungleichgewichtauszugleichen. Obwohl das unter demDach der WTO etablierte Streitschlich-tungsverfahren von Vielen als ein wichti-ges Instrument zur Schaffung eines aufRechtsnormen beruhenden Handelssys-tems begriffen wird, offenbart eine Ana-lyse der Reformvorschläge, dass es dieseFunktion aufgrund der bestehenden Defi-zite für die Mehrzahl der Entwicklungslän-der nicht erfüllen kann. Das Streitschlich-tungsverfahren ist für sie ein teures Instru-ment von zweifelhafter wirtschaftlicher Ef-fizienz. Entwicklungsländer können ihreInteressen faktisch nicht besser durchset-zen als unter dem GATT-Streitschlichtungs-verfahren, in seiner Fassung nach 1989.Sie verfügen einfach nicht über die not-wendigen finanziellen und personellenRessourcen zur Führung eines Verfahrens.So ist das Thema Partizipation bzw. des-sen Umsetzung im DSU auch entscheiden-des Anliegen der vielen wirtschaftlichschwachen Länder. Zahlreiche Vorschlä-ge sind auf eine Verbesserung der Ver-handlungsmechanismen in der Konsulta-tionsphase gerichtet, um für dieses Defi-zit ihren Interessen entsprechend einenAusgleich zu finden.195

Besonders deutlich wurde im Bananen-Streitfall Ecuador gegen die EU196 , dassdie zur Verfügung stehenden Rechtsmittelin der Anwendung mehr schaden als nut-zen können und sich damit das Systemaus der Perspektive der Entwicklungslän-der gewissermaßen ad absurdum führt.Hier werden auch aus der Entstehungsge-schichte bedingte Unzulänglichkeiten desSystems mehr als deutlich; die Frage, obStrafzölle in einer globalen Wirtschaft eineder heutigen Zeit angemessene Strafesind, ist auf jeden Fall ein diskussions-würdiges Thema.

Bei einer Analyse der Verhandlungenum eine Reform des „Dispute SettlementUnderstanding“ werden die Gegensätzezwischen Entwicklungs- und Industrielän-dern deutlich. Dabei geht es nicht nur umdie Veränderung konkreter, das jetzige Ver-fahren bestimmender Normen (assessoryimprovements), sondern auch um Vor-schläge, bei denen es um strukturelle Ver-änderungen des Systems als solchemgeht (structural improvements). Diese Re-formvorschläge machen mit alarmieren-der Schärfe deutlich, dass das DSU nichtin dem von vielen Entwicklungsländernerhofften Maße zu einer Stärkung und Ver-teidigung ihrer Verhandlungsmacht undRechte gegenüber den Industrieländernbeiträgt. Im Gegenteil, die Befürchtung,das DSU zementiere und verschärfe dasbestehende Ungleichgewicht zwischenNord und Süd, kann bei einer Auseinan-dersetzung mit den dargelegten Sachver-halten nicht ohne weiteres von der Handgewiesen werden. Eine Überwindung die-ses strukturell verankerten Ungleichge-

Grenzen einer Reform des DSU

195 TN/CTD/W/2 und TN/CTD/W/6.196 Der Umfang der Aussetzungsgenehmigung in

Höhe von 201,6 Millionen US-Dollar jährlichüberstieg den Wert der Ausfuhren der EUnach Ecuador, und einheimische Händler undProduzenten wären durch einen Vollzug derStrafzölle zusätzlich geschädigt worden. Des-halb durfte Ecuador zwar Handelsrechte, dieder EU nach GATT, GATS und TRIPS zugestan-den hätten, in Ecuador aussetzen, konnte je-doch das WTO-Urteil niemals zu seinen Gun-sten umsetzen.

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wichts erscheint zwar theoretisch möglich,würde jedoch, wie anhand der hierauf be-zogenen Reformvorschläge deutlich wird,eine Veränderung der systemischenGrundlagen des Streitschlichtungsmecha-nismus voraussetzen. Sind an dieser Stel-le die Grenzen des Systems im Hinblickauf seine Reformfähigkeit im Sinne der ge-stellten Ausgangsfrage erreicht?

Durch die faktisch-wirtschaftliche Machtdes Streitschlichtungssystems, des damit ein-hergehenden „Drohpotentials“ sowie diemangelnde Effizienz des Rechtsmittel-systems wird ein Rückzug der Entwicklungs-länder, insbesondere der LDC, aus dembestehenden System vorangetrieben. Dieszeigt sich zum einen in der Nichtinanspruch-nahme des Streitschlichtungsverfahrens undder daraus folgenden Nichtteilnahme andem innerhalb des WTO-Regimes stattfin-denden Rechtsfortbildungsprozesses mitden dargestellten Konsequenzen. Zum an-deren hat diese Konstellation jedoch aucheinen Ausstrahlungseffekt dahingehend,dass die im Rahmen einzelner Abkommenbestehenden Rechte nicht oder zurückhal-tender wahrgenommen werden (Rezeptiondes WTO-Rechts auf die politischen Prozes-se). Dieser Faktor kommt also zu den oh-nehin hinlänglich bekannten intransparen-ten Verfahrensbedingungen als ein dieVerhandlungsmacht der Entwicklungslän-der zunehmend beeinträchtigendes Mo-ment bei der Wahrnehmung ihrer Interes-sen hinzu.

In den im Rahmen des DSU-Reform-prozesses eingebrachten Vorschlägengeht es daher nicht nur um die Durchset-zung von Handelsrechten. Die in ihnendargelegten Initiativen stellen darüber hi-naus wichtige Instrumente zur Entwicklungund Umsetzung von Strategien dar, umeiner wachsenden globalen wirtschaftli-chen Ungleichheit und unfairen Handels-praktiken (wie Dumping) entgegentretenzu können.197

Aus den Ausführungen zu den umwelt-relevanten Reformaspekten im DSU folgt,dass theoretisch die sehr begrenzte Mög-lichkeit besteht Umweltexpertise in einStreitschlichtungsverfahren der WTO ein-zubeziehen. Auch die Zulassung vonamicus briefs bietet nur eine höchst unge-wisse Gelegenheit zur Partizipation. DiePanel und der AB entscheiden nach frei-em Ermessen, ob und welche Inhalte derbriefs einbezogen werden oder nicht. Ge-rade im Zusammenhang mit den amicusbriefs wird deutlich, dass potentielle Chan-cen für umweltpolitisch motivierte Initiati-ven, die in der Regel auf politisch inhalt-liche Einzelaussagen gerichtet sind, ausder entwicklungspolitischen Perspektivejedenfalls auch Risiken beinhalten. Beiden amicus briefs handelt es sich demzu-folge um eine Partizipationsmöglichkeit,bei der nicht absehbar ist, ob die hier-durch eröffneten Chancen gegenüber denbeschriebenen Risiken überwiegen oderumgekehrt.

Die schon theoretisch sehr begrenzteMöglichkeit, Umweltinteressen durch einekonkrete verfahrensrechtliche Ausgestal-tung des DSU gegenüber ökonomischenInteressen zu stärken, wird unter Einbezie-hung der politischen Ungeklärtheit desVerhältnisses zwischen MEAs und WTO-Recht zu einer faktischen Unmöglichkeit:Die im DSU verankerten Verfahrens- undBeteiligungsrechte dienen als prozessua-le Rechte immer nur der Wahrnehmungund Durchsetzung sog. materieller Rech-te. Die Bedeutung der auf dieser Ebeneexistierenden Konflikte (und deren Lösun-gen) hat unmittelbare Implikationen fürdie Reformfähigkeit des zur Verfügung ge-stellten prozessualen Verfahrens im Sin-ne der gestellten Ausgangsfrage. Andersgesagt: Wenn die auf der materiell-rechtlichen Ebene bestehenden Unklar-heiten (PPM-Problematik, Verhältnis MEAsund WTO-Recht, Stellung des Vorsorge-prinzips) nicht im Rahmen eines poli-tischen Entscheidungsprozesses geklärtwerden können, muss das Potential einerrechtsverbindlichen Verankerung von Um-weltinteressen im Rahmen des DSU erst

Grenzen einer Reform des DSU

197 Vgl. Shaffer (2003), S. 60.

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recht als fragwürdig erscheinen. Insoweitkönnte eine in Betracht kommende Lö-sung in einer Kompetenzbegrenzung desDSB bestehen. In den Fällen, in denen in-ternationale Umweltverträge berührt wer-den, könnte auf der Grundlage einer Ge-neralklausel angeordnet werden, dasszunächst eine andere Gerichtsbarkeit, wieder International Court of Justice, anzu-rufen ist.

Innerhalb des DSU bestehen keinekonkreten verfahrensrechtlichen Ausge-staltungsmöglichkeiten, die dazu beitra-gen könnten, dass Umweltinteressen ge-genüber den durch das WTO-Regime ver-körperten ökonomischen Interessen in ei-ne rechtlich und politisch gleichrangigePosition im Sinne der Leitidee des sustai-nable development gelangen könnten.Demgegenüber hat allein die Reichweiteder faktischen Rechtsprechungskompe-tenz der Streitschlichtungsorgane zur Fol-ge, dass durch deren Einzelfallentschei-dungen tief in den nationalstaatlichen Ge-staltungsspielraum in umwelt- und ent-wicklungspolitisch bedeutsamen Frage-stellungen eingegriffen werden kann.Schon die Androhung eines WTO-Streit-schlichtungsverfahrens kann ausreichen,um einzelstaatliche Gesetzgebungsvor-haben zum Schutz von Umwelt und Ent-wicklung zu beeinflussen (chilling effect).So geschehen in Kroatien und Sri Lankaim Zusammenhang mit deren Gentech-nikgesetzgebung.198 Insoweit ist auch be-züglich der Umsetzung von MEAs alleindie Möglichkeit ausreichend, dass Kon-flikte zwischen MEAs und WTO-rechtlichenBestimmungen dem juristischen Prozede-re der WTO unterworfen werden können(was bisher noch nicht der Fall war). Dieskann zu drastischen Voreinschränkungenfür zukünftige Verhandlungen von MEAsführen.199 Da MEAs und dort verankertepolitische Maßnahmen zu ihrer Umset-zung stets im Lichte der Vereinbarkeit mitWTO-Recht verhandelt werden müssten,ist eine deutlich Einengung bei der Kon-zeption multilateraler Bestrebungen zurLösung globaler Umweltprobleme nichtauszuschließen.200 In der Endphase der

Verhandlungen des Protokolls über Biolo-gische Sicherheit konnte dieser Effekt be-reits beobachtet werden.201

Innerhalb der umweltvölkerrechtlichenVerträge wird das Fehlen einer „gericht-lichen Kontrolle“ gerade als Ausdruck derUnvollständigkeit des internationalen Um-weltrechtsregimes gesehen. Die Mitglied-staaten konnten sich nicht darauf einigensich als „executive branch“ einer Gerichts-kontrolle („judicial branch“) zu unterstel-len.202

Von Bedeutung ist in diesem Zusam-menhang sicherlich, dass MEAs anders alsdas WTO-Regime strukturell auf eine Stär-kung der zur Verfügung gestellten Erfül-lungsmechanismen gerichtet sind. Sie be-ruhen damit auf der Annahme, dass derRegelfall einer Nichterfüllung auf man-gelnden finanziellen oder personellen Res-sourcen beruht, also gerade kein gewoll-ter Regelverstoß vorliegt. Doch schluss-endlich geht es auch hier um die Fragedes Grades an Souveränitätsverzicht beider Etablierung eines gerichtlichen Kon-trollmechanismus.

Die Einhaltung der in den Handelsver-trägen festgelegten Regeln kann mittelsdes DSU theoretisch von allen Mitglied-staaten erzwungen werden. Die hier er-folgte Analyse ergibt jedoch, dass dasDSU als Instrument zur Durchsetzung derInteressen der wirtschaftlich schwachenEntwicklungsländer unwirksam ist. Insoweitkann aus ihrer Perspektive eine fortschrei-tende Institutionalisierung, die über eineStärkung der Konsultationsphase hinaus-ginge, unter den gegebenen Bedingun-gen nicht befürwortet werden. Das alsJuwel gerühmte Streitschlichtungsverfah-ren der WTO schützt die wirtschaftlich

Grenzen einer Reform des DSU

198 Hindsgaul (2003), S. 177.199 Fuchs et al. (2000), S. 22.200 OECD (1999), S. 37.201 Neumann (2001), S. 250ff.202 Bree (2003), S. 418.

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schwachen Länder de facto nicht vor derMachtpolitik und Willkür der reichen In-dustrieländer.

Ganz im Gegenteil: Gerade ange-sichts von Schutzzweck und Ausrichtungder Rechtsnormen sowie der durch die Ü-bereinkommen definierten Schutzgüter(wie das des geistigen Eigentums) stelltsich die Frage, ob das Streitschlichtungs-verfahren der WTO nicht vielmehr nur einüberaus starkes Instrument zur Durch-setzung ohnehin schon starker Interessenist. Die den Übereinkommen zugrundeliegenden Rechtsnormen sind überwie-gend an den Interessen der exportie-renden Unternehmen und exportorientier-ten Nationen ausgerichtet. Handelsinter-essen haben in der WTO Vorrang vor Um-welt- und Entwicklungsinteressen. Einzel-ne, z.T. positive Regeln, stellen nur die Aus-

Grenzen einer Reform des DSU

nahme von der Regel, nämlich der Libe-ralisierung des Handels, dar. Umwelt-und Entwicklungsanliegen werden nur so-weit berücksichtigt, als sie den Handelnicht unnötig bzw. nur geringfügig behin-dern. Die mithilfe des Streitschlichtungs-verfahrens durchsetzbaren Rechte dienennicht an erster Stelle der Armuts- und Hun-gerbekämpfung, der Durchsetzung derMenschenrechte, dem Schutz der Umwelt,kurzum einer nachhaltigen Entwicklung.Auch und gerade aus dieser Perspektiveentpuppt sich das Streitschlichtungsver-fahren der WTO als ein Stolperstein aufdem Weg zu einer nachhaltigen Entwick-lung. Die bestehende Schieflage des WTO-Regimes im Allgemeinen und die desStreitschlichtungsverfahrens im Besonde-ren sorgt jedenfalls dafür, dass die Rech-te der Schwachen schwach bleiben unddie Rechte der Starken gestärkt werden.

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Not the WTO but its dispute settle-ment system is powerful203 “ – dievölkerrechtlich einzigartige Aus-

gestaltung des Streitschlichtungsverfah-rens der Welthandelsorganisation ist derzentrale Grund für die starke Stellung desWTO-Regimes auf der Bühne des interna-tionalen Rechts. Mit Ausnahme des Inter-nationalen Seegerichtshofs (ITLOS) ver-fügt allein das Streitschlichtungsverfahrender WTO als Institution der internationa-len Gerichtsbarkeit204 über eine de factobindende Rechtsprechungsbefugnis derstreitschlichtenden Organe. 205 Diese re-sultiert aus der durch die Etablierung des„negativen Konsensverfahrens“ herbeige-führten automatischen Annahme derStreitschlichtungsentscheidungen: Andersals noch unter dem Verfahren unter demalten GATT-System kann die unterlegenePartei diese nicht mehr blockieren. Dennim WTO-Streitschlichtungsverfahren musseine Nichtannahme der Entscheidungendes Streitbeilegungsgremiums (DisputeSettlement Body – DSB) konsensual be-schlossen werden. Im Zusammenspiel mitder bereits unter dem GATT bestehendenMöglichkeit, bei Nichtumsetzung einerEntscheidung Sanktionsmaßnahmen an-zudrohen und – bei vorhandenem Sank-tionspotential – zu ergreifen, ist ein macht-volles Instrument zur Durchsetzung vonWTO-Rechten geschaffen worden. Vonnun an hatte der Tiger „Zähne“. Diese imApril 1994 getroffene Vereinbarung von128 Ländern stellt sowohl völkerrechtlichals auch innerhalb der internationalen Be-ziehungen ein absolutes Novum dar.

Das Streitschlichtungsverfahren derWTO hat wesentliche Bedeutung für dieMacht der WTO als Institution. EinzelneStreitschlichtungsentscheidungen können

tief in den Gestaltungsspielraum natio-nalstaatlicher Umwelt-, Gesundheits-, undSozialpolitik eingreifen. Schon die Andro-hung eines Streitschlichtungsverfahrenskann ausreichen, um den politischen Ent-scheidungsprozess eines Mitgliedstaats zu

Siegt das Recht über die Macht oder die Macht über das Recht?

5 Siegt das Recht über die Machtoder die Macht über das Recht?

203 Diese Aussage erfolgte im Rahmen eines Tref-fens von Pascal Lamy mit NGOs in der Berli-ner Vertretung der Europäischen Kommissionam 11. Juni 2004.

204 Die Auffassung, dass jedenfalls das ständigeBerufungsgremium, trotz des ursprünglichenund noch vorhandenen Charakters des Streit-schlichtungsverfahren als Schiedsgerichtsbar-keit, eine Institution der internationalen Ge-richtsbarkeit ist, wird vor allem aus der de fac-to Verbindlichkeit der Entscheidungen herge-leitet. Der Appellate Body werde hierdurchfaktisch, aber noch nicht de jure zum Interna-tionalen Gericht, vgl. Letzel (1999), S. 372.Das Streitschlichtungsverfahren sei trotz diplo-matischer Relikte weitgehend gerichtsförmigund es entwickele sich zum Kern einer Welt-wirtschaftsgerichtsbarkeit, Cottier (1997),S.124. Vgl. auch Emmerich-Fritsche (2002), S.141ff., 144, sowie S. 186ff. zu der Gerichts-qualität der Streitschlichtungsorgane. Hinsicht-lich der Konsequenzen dieser Qualifizierungfür die (unmittelbare) Anwendbarkeit desWTO-Rechts in der Rechtsprechung des EUGHebenda S. 158ff., 161. Die Autorin führt aus:„Die vom EUGH zum GATT 1947 ausgeführ-ten Hindernisse gegen die unmittelbare An-wendbarkeit des GATT sind durch das WTO-Abkommen und die inkorporierten multilate-ralen Verträge ausgeräumt worden.“

205 Da die Entscheidung der Streitschlichtungs-organe zumindest verfahrenstechnisch nochder Annahme durch den DSB bedürfen unddie theoretisch denkbare, praktisch aber aus-geschlossene Möglichkeit besteht, dass dieobsiegende Partei einer Nichtannahme zu-stimmt (negatives Konsensverfahren) ist dieRechtsverbindlichkeit zwar nicht de jure, abereben faktisch gegeben. Unter dem GATT-Streitschlichtungsverfahren führte das positiveKonsensverfahren zu einem de facto Veto-Recht der unterlegenen Partei: Da sie ihre Zu-stimmung zur Annahme der Entscheidung ver-weigern konnte, konnte die Umsetzung vonEntscheidungen problemlos blockiert werden.

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beeinflussen. Das Streitschlichtungsver-fahren transferiert WTO-Recht auf die Ebe-ne der nationalen Politikgestaltung.206

Das Streitschlichtungsverfahren verleihtdem WTO-Regime jedoch auch politischein faktisches Übergewicht bei der Bestim-mung seines Verhältnisses zu anderen in-ternationalen Regelwerken zum Schutz vonMenschenrechten, Umwelt und Entwick-lung.207 Gerade im Zusammenhang mitden multilateralen Umweltübereinkom-men wird deutlich, dass eine potentielleWTO-Inkompatibilität ausreichend seinkann, dass ein Mitgliedstaat davon absiehthandelsbezogene Umsetzungsmaßnah-men zu ergreifen. Darüber hinaus bestehtdie Gefahr, dass durch das Streitschlich-tungsverfahren die WTO-Kompatibilitätauch schon zum Maßstab bei der Konzep-tionierung völkerrechtlicher Verträge wird,d. h. es werden von vornherein nur Maß-nahmen vorgesehen, die den internatio-nalen Handel nicht berühren, auch wennsie weniger effektiv sind, nur um einenpotenziellen Konflikt zu vermeiden (chillingeffect). Denn der Streitschlichtungsme-chanismus impliziert eine Vorrangstellungdes WTO-Rechts.

Die dem Streitschlichtungsverfahrenzugrunde liegende „Vereinbarung überRegeln und Verfahren zur Beilegung vonStreitigkeiten“ und die Geschichte derStreitschlichtungspraxis unter dem Dachder WTO gelten weitläufig als eine Erfolgs-

geschichte. Als Beweis wird auf die enormangestiegene Anzahl der Verfahren sowiedie durch das ständige Berufungsgremiumbeförderte „legalistische“ Entwicklung derWTO-Rechtsprechung verwiesen, die inumfangreichen Streitschlichtungsberichtenihren Niederschlag findet. Das Streit-schlichtungsverfahren wird als ein wichti-ger Schritt auf dem Weg zur Schaffung ei-nes auf Rechtsnormen beruhenden multi-lateralen Handelssystems (rule-basedorientation) betrachtet.208

Und dies sei – so die überwiegendeAuffassung – auch und vor allem für dieEntwicklungsländer ein Gewinn. Mannahm an, dass die durch eine Stärkung derVerfahrensstrukturen vorangetriebene Ver-rechtlichung des Verfahrens auch zu einerstärkeren Partizipation der Entwicklungs-länder am Streitschlichtungsverfahren füh-ren würde. Der das GATT beherrschendenhandelsdiplomatischen Machtpolitik seidurch die Etablierung des neuen DSU Ein-halt geboten worden. Manche sahen imDSU gar den Sieg des Rechts über dieMacht („right perseveres over might“).209

Die Rechtsverbindlichkeit der Entscheidun-gen sollte sicherstellen, dass auch wirt-schaftlich starke Mitglieder sich einer Ent-scheidung durch das WTO-Streitschlich-tungsgremium (DSB) nicht entziehen konn-ten und eine solche in der vereinbarten Zeitumsetzen würden.210 Für viele EL war dasDSU ein maßgeblicher Faktor den Über-einkommen der Uruguay-Runde zuzustim-men.211

Doch waren diese Erwartungen berech-tigt? Ist das „neue“ Streitschlichtungs-verfahren für die Entwicklungsländer einGewinn? Welche Bilanz kann nach 10 Jah-ren Streitschlichtung unter dem Dach derWTO gezogen werden? Ist das „neue“Streitschlichtungsverfahren auch aus derSicht der EL sowie aus der Perspektive eineram Leitbild der Nachhaltigkeit orientiertenUmweltschutzpolitik eine Erfolgsgeschichte?

Noch immer wird das Streitschlichtungs-verfahren überwiegend von den wirtschaft-lich starken Industrieländern in Anspruch

Siegt das Recht über die Macht oder die Macht über das Recht?

206 John Jackson konstatiert, dass die Implikatio-nen des WTO-Rechts von keiner Regierung,die ihm zustimmte, vollständig verstandenwurden. Dies sei besonders kritisch, weil dieÜbereinkunft potentiell tief greifende Auswir-kungen auf Wohlstand und Beruf von Milliar-den Bürgern hat. Jackson (1998), S. 1, 33,51 und 100.

207 Vgl. Klinski (2003), S. 299, 313.208 Nach Art. 3 DSU ist es ein zentrales Instrument

zur Schaffung von Sicherheit und Vorher-sehbarkeit im multilateralen Handelssystem.

209 Lacarte-Muro & Gappah (2000), S. 401.210 Busch & Reinhardt (2003), S. 721, siehe zur

Verhandlungsgeschichte näher unter 1.1.1.211 Raghavan (2000a), S.1.

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genommen. Die bestehende Rechtsmittel-struktur eröffnet diesen die Möglichkeit,WTO-rechtswidrige Maßnahmen überlange Zeit aufrechtzuerhalten, wodurchinsbesondere die Entwicklungsländer be-nachteiligt werden.

Während die vorhandenen Defiziteaus der Perspektive der Entwicklungslän-der geeignet sind die Grundlagen desmultilateralen Handelssystems zu gefähr-den und insoweit ein erheblicher Reform-bedarf festzustellen ist, stagniert der seit1997 andauernde Prozess zur Überprü-fung des DSU, ohne dass Aussicht auf Er-folg und dessen Ende bestünde. Die seit1997 stattfindende Reformdebatte offen-bart tief greifende Meinungsverschieden-heiten über die zukünftige Ausrichtung desStreitschlichtungssystems. Nachdem imMai 2004 die vierte Deadline für den Ab-schluss des DSU-Review verstrichen war,bestand lediglich ein Konsens: nämlichkeine neue Deadline für den Abschlussder Verhandlungen zu setzen.

Schließlich ist aber vor allem zu be-obachten, dass die Anzahl sowie die Be-deutung der Streitschlichtungsfälle seitden 80er Jahren stetig zugenommen hat.Immer häufiger werden Fragestellungenvon übergeordneter gesellschaftspo-litischer Relevanz (wirtschafts-, entwick-lungs-, umwelt- oder gesundheitspoliti-scher Art) zum Gegenstand eines Streit-schlichtungsverfahrens. Diese Entwicklungkann auch als Resultat oder gar Spiegelder Globalisierung selbst begriffen wer-den. Handelspolitische Fragen sind im-mer häufiger auch Fragen von nationa-ler sowie globaler entwicklungs- und um-weltpolitischer Relevanz. Hieraus ergibtsich die weitere Beobachtung, dass dievor der WTO zu verhandelnden Fälle inihrer quantitativen und qualitativen Kom-plexität zunehmen. Die mit der Streit-schlichtung beauftragten Handelsexper-ten (Panelisten) sind in der zeitlichen undinhaltlichen Bearbeitung der Streitfälleüberfordert, was sich beispielsweise in ei-ner kontinuierlichen Überschreitung derbestehenden Zeitrahmen zeigt.

Dies gilt umso mehr vor dem Hinter-grund, dass die WTO-Mitglieder dasStreitschlichtungsverfahren „as a meansof filling out gaps in the WTO system“nutzen. Und zwar erstens dann, wenn ge-troffene Vereinbarungen nicht umgesetztwurden und zweitens, wenn bezüglich ih-rer Auslegung unterschiedliche Auffassun-gen bestehen.212 Diese Tendenz wird vorallem dadurch begünstigt, dass die Rechts-setzung auf der legislativen Ebene durchdie bestehenden (konsensualen) Entschei-dungsstrukturen äußerst langwierig undschwerfällig ist:213 Seit der Gründung derWTO wurde kein einziger Auslegungs- oderÄnderungsbeschluss angenommen.214 ImErgebnis besteht daher die Tendenz, dassFragestellungen, die eigentlich im Rah-

Siegt das Recht über die Macht oder die Macht über das Recht?

212 Für die drei ehemaligen Direktoren des GATTbzw. der WTO, die Herren Dunkel, Suther-land und Ruggiero, steht außer Frage, dassWTO-Mitglieder das Streitbeilegungsverfahrennutzen „as a means of filling out gaps in theWTO system; first where rules and disciplineshave not been put in place, or, second, arethe subject of differences of interpretation.“Siehe Dunkel et al. (2001).

213 Diese Situation veranlasste den ehemaligenEU-Handelskommissar Pascal Lamy dazu, dieWelthandelsorganisation als eine mittelalterli-che Institution zu bezeichnen (Lamy 2003).Vergleiche zu der Problematik aus der verfas-sungsrechtlichen Perspektive Bogdandy(2001), S. 266ff und unter 2.1.3.

214 Dies obwohl Art. X:1,3 WTOÜ (Änderungs-beschluss) technisch gesehen eine Zweidrittel-Mehrheit für eine Veränderung der meistenVorschriften für ausreichend erklärt, wobei dasInkrafttreten bei einer solchen Entscheidungunter dem Vorbehalt erfolgt, dass die Rechteund Pflichten der MS nicht verändert würden,Art. X:4 WTOÜ. Wenn dies nicht der Fall ist,muss jeder MS die Änderung annehmen be-vor sie für ihn wirksam wird. Auch Art. IX:2WTOÜ (Auslegungsbeschluss) setzt (nur) eineZweidrittelmehrheit der Mitgliedstaaten bei derAnnahme einer Auslegung voraus. Im Ge-gensatz zu einem Änderungs- oder Ausle-gungsbeschluss ist eine Ausnahmegenehmi-gung nach Art. IX Abs.3-4 WTOÜ (sog.waiver) nur bei Vorliegen außergewöhnlicherUmstände zulässig und kann einem MS auchnur für einen begrenzten Zeitraum erteilt wer-den. Auch hier reicht nach Ablauf von 90 Ta-gen eine Zweidrittelmehrheit der Ministerkon-ferenz für die Beschlussfassung. Auch in derGATT-Ära wurden insgesamt nur sechs sol-cher Beschlüsse bewerkstelligt, der letzte imJahr 1965.

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men eines politischen Entscheidungspro-zesses geklärt werden sollten und müss-ten, den Streitschlichtungsorganen derWTO überantwortet werden. Diese habendann in ihren Entscheidungen die schwier-ige Gradtwanderung zu bewältigen, einepolitisch akzeptable und rechtlich fundier-te Lösung des Konflikts zu finden.

Die faktische Rechtsprechungskom-petenz der Streitschlichtungsorgane istdabei hinsichtlich ihrer Reichweite einemquasi-automatischen Mechanismus unter-worfen: Wenn und solange umwelt- undentwicklungspolitisch zukunftsbedeutsameFragen nicht im Rahmen demokratischlegitimierter Entscheidungsfindungspro-zesse gelöst werden (können), findet einede facto Delegation eben dieser Fragenan das Streitschlichtungsorgan der WTOstatt. Die Diskrepanz zwischen der origi-

Siegt das Recht über die Macht oder die Macht über das Recht?

215 Mit der Zustimmung zum WTO-Recht stellt diezu einem bestimmten Zeitpunkt bestehendeparlamentarische Mehrheit ihre Entscheidungweitgehend außerhalb der Reichweite jeglicherneuen späteren Mehrheit. Die demokratische,auf das nationale Parlament zurückgehende„Legitimationskette“ ist geschwächt. Dies ist imFall des WTO-Rechts besonders einschneidend,weil „korrigierende nationale Maßnahmen imSinne selektiver Nichtbeachtung aufgrund derobligatorischen WTO-Streitbeilegung unter ho-hem Risiko stehen.“ Siehe Bogdandy (2001),S. 270f.

nären Entscheidungskompetenz der Streit-schlichtungsorgane und der (durch diefaktische Reichweite bedingten) „juristi-schen Tiefenwirkung“ des WTO-Rechtsdurch einzelne Streitschlichtungsentschei-dungen verschärft sich. Das Verhältnis zwi-schen der Entscheidungskompetenz derOrgane und der potentiellen Eingriffsin-tensität einzelner Entscheidungen ist durchein Demokratiedefizit gekennzeichnet. 215

Und angesichts der zunehmenden Kom-plexität der Streitfälle ist zu erwarten, dassauch dieses zunehmen wird.

Die Notwendigkeit eines institutionali-sierten Konfliktlösungsmechanismus, der si-cherstellt, dass Umwelt und Entwicklung ge-genüber den durch das WTO-Regime ver-körperten ökonomischen Interessen in einerechtlich und politisch gleichrangige Posi-tion gelangen können, ist unübersehbar.

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Welchen Beitrag kann eine Re-form des Streitschlichtungs-verfahrens der WTO dazu lei-

sten, dass Umwelt- und Entwicklungsin-teressen gegenüber den durch das WTO-Regime verkörperten ökonomischen Inter-essen in eine rechtlich und politisch gleich-rangige Position gelangen? Ist eine wei-tere Institutionalisierung des Verfahrensaus der umwelt- und entwicklungspoliti-schen Perspektive wünschenswert? Oderist eine solche abzulehnen, weil das Dis-pute Settlement Understanding (DSU)bereits in seiner jetzigen Verfahrensstruk-tur und Funktionsweise einer gleichrangi-gen Verankerung von Umwelt- und Ent-wicklungsinteressen gegenüber den Prin-zipien des Freihandels entgegensteht?

Ausgehend von diesen Leitfragen zeigtdie Analyse des Streitschlichtungsverfah-rens der WTO, dass dieses sowohl ausentwicklungs- als auch umweltpolitischerSicht gravierende Mängel aufweist. Dieaus der entwicklungspolitischen Perspek-tive bestehenden Defizite können unterzwei Themenkomplexe subsumiert wer-den: Zum einen geht es um die Gründefür die geringe oder fehlende Partizipati-on der meisten der Entwicklungsländeram Streitschlichtungssystem und die ausder Nichtteilnahme resultierenden lang-fristigen und irreversiblen Konsequenzen.Während die wirtschaftlich starken Län-der durch die von ihnen dominierte Inan-spruchnahme des Streitschlichtungsver-fahrens einer US/EU-zentrischen Ausrich-tung des internationalen Rechts Vorschubleisten, wird die bestehende Situation vonder Mehrzahl der Entwicklungsländer alsein faktischer Rechtsentzug (disfranchise-ment) wahrgenommen.

Zum anderen geht es um die Frageeiner gerechten Effizienz des Rechtsmittel-

systems. Die bestehende Rechtsmittel-struktur begünstigt wirtschaftlich starkeLänder während sie für wirtschaftlichschwache Länder keine Durchsetzung be-stehender Rechte gewährleisten kann. Ausder Südperspektive sind diese Defizite ge-eignet, die Grundlagen des multilatera-len Handelssystems zu gefährden. Die in-soweit erforderlichen tief greifenden Struk-turreformen berühren die systemischenGrundlagen des Streitschlichtungsverfah-rens. Diesbezügliche Reformvorschlägeoffenbaren nicht nur die bestehende ex-treme Asymmetrie zuungunsten der Ent-wicklungsländer, sondern vor allem dieDiskrepanz zwischen dem theoretischenAnspruch des Verfahrens und dessen Ver-kehrung in der Realität: Eine WTO-in-konsistente Maßnahme kann bis zu einemZeitraum von über drei Jahren aufrecht-erhalten werden, ohne irgendeine Kon-sequenz für den gegen die Regeln ver-stoßenden Mitgliedsstaat. Angesichts derweitreichenden wirtschaftspolitischen Aus-wirkungen von möglichen Reformen stelltsich in der Tat die Frage, welchen Beitrageine Reform des DSU hier leisten kannund soll. Besonders, da deren Kernele-mente (wie Einführung finanzieller Kom-pensationsansprüche, kollektive Durch-setzungsmechanismen) bereits vor vierzigJahren Gegenstand eines Reformvor-schlags von Brasilien und Uruguay zurReform des GATT-Streitschlichtungsver-fahren waren.

Auch aus der umweltpolitischen Pers-pektive besteht nur ein sehr begrenztesReformpotential im Sinne der oben ge-nannten Leitfragen. Weder die Gewähr-leistung von Umweltexpertise durch Ein-beziehung von Sachverständigengutach-ten noch die sogenannten amicus briefskönnen die notwendige Wahrnehmungund Durchsetzung von Umweltinteressen

6 Zusammenfassung

Zusammenfassung

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gegenüber handelsbezogenen Interessensicherstellen. Die höchst ungewisse Partizi-pationsmöglichkeit mittels der amicusbriefs, deren Handhabung im freien Er-messen der Streitschlichtungsorgane steht,birgt aus der entwicklungspolitischen Per-spektive jedenfalls auch Risiken. Diese the-oretisch schon sehr begrenzte Möglich-keit, Umweltinteressen durch eine kon-krete verfahrensrechtliche Ausgestaltungdes DSU gegenüber ökonomischen Inter-essen zu stärken, wird unter Einbeziehungder politischen Ungeklärtheit des Verhält-nisses zwischen MEAs und WTO-Recht zueiner faktischen Unmöglichkeit. Insoweitscheint eine Kompetenzbegrenzung desDispute Settlement Body (DSB) eine kon-

sequente, doch derzeit kaum durchsetz-bare Lösung darzustellen.

Ähnlich illusionär, dafür aber aus der um-welt- und entwicklungspolitischen Perspek-tive konsequent und schon allein deswegendiskussionswürdig erscheint hingegen eineRückbesinnung auf die ursprünglich in denWTO-Gründungsdokumenten enthalteneVertragsmodalität „to terminate such dis-pute settlement rules and procedures“. DasWTO-Streitschlichtungsverfahren mussdurch ein außerhalb der WTO institutiona-lisiertes Verfahren ersetzt werden, das dieGleichrangigkeit von Umwelt- und Entwicklungsinteressen gegenüber den Prinzipiendes Freihandels sicherstellt.

Zusammenfassung

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Für die ersten zehn Jahre des WTO-Streitschlichtungsverfahrens weistdie WTO-Statistik 324 Streitfälle

auf.216 In diesen 324 Fällen waren von den148 WTO-Mitgliedern 40 als Kläger ak-tiv und wurden 44 angeklagt. Da vieleKläger auch Beklagte sind, gibt es zahlrei-che Überlappungen, wie die Tabellen 1und 2 zeigen. Insgesamt waren bisher 56WTO-Mitglieder in Streitfälle involviert.

Die aus den beiden vorgenannten Ta-bellen resultierende Aussage, dass dieüberwiegende Anzahl der WTO-Mitglie-der bisher nicht am Streitfallverfahren be-teiligt war, wird durch die Tabelle 3 ver-stärkt. Tabelle 3 legt den Fokus auf diesogenannten Quads (Vereinigte Staaten,EU, Kanada und Japan), die als Klägerwie auch Beklagte jeweils über die Hälfteder Fälle zu verantworten haben. Dabeidominieren – gerade auch durch die un-tereinander geführten Streitfälle – eindeu-tig die USA und die EU, während Kana-da und Japan deutlichen Abstand zu denbeiden Führenden zeigen. Ein Blick auf dieTop Ten des Streitfallgeschehens zeigt de-ren Dominanz auf: Tabelle 4 verdeutlicht,dass allein zehn WTO-Mitglieder für mehrals drei Viertel der Fälle verantwortlichsind.217

Bei der Top Ten der Kläger und Beklag-ten schieben sich aber mit Brasilien undIndien zwei Entwicklungsländer zwischendie Quads, und unter den Top Ten sindinsgesamt 6 Entwicklungsländer aufge-führt (siehe Tabelle 4). Der Begriff Entwick-lungsländer ist einerseits allgemeinerSprachgebrauch, andererseits jedoch ins-besondere in Hinblick auf die WTO pro-blematisch, da die Einstufung eines WTO-Mitglieds als Entwicklungsland von einemLand selbst vollzogen wird und zudemvon Abkommen zu Abkommen variiert.

Deshalb gibt es auch keine Übersichtüber die Entwicklungsländer in der WTO,nichtsdestotrotz melden zahlreiche Quel-len, dass sie zwei Drittel der WTO-Mitglie-der stellen.218 Die Gruppe der Least Deve-loped Countries (LDCs) ist dagegen ein-deutig ausgewiesen, und eine Übersichtüber diejenigen 32 der 50 LDCs, die (be-reits) in der WTO Mitglied sind, findet sichauf der WTO-Homepage.219 Allerdingszeigt Tabelle 1, dass bisher nur ein ein-ziges LDC-Land, nämlich Bangladesh,geklagt hat – und dies auch nur einmal.

Tabelle 5 weckt Zweifel an der viel ge-rühmten Effektivität des WTO-Streit-schlichtungsverfahrens: nur knapp dieHälfte der bisher in zehn Jahren einge-reichten Fälle ist bereits abgeschlossenworden, bei gut einem Drittel der Streit-fälle ist – zum Teil nach allen Fristen Hohnsprechenden langen Zeiträumen – bishernoch kein Panel eingerichtet worden. Die-se Fälle befinden sich – partiell bereitsseit 1995 – in der vorgerichtlichen Pha-

Anhang: Statistik mit Schieflage(Jürgen Knirsch)

Anhang

216 Der letzte Streitfall des Jahres 2004 trägt dieDS-Nummer 324 auf (DS324 United States –Provisional anti-dumping measures on shrimpfrom Thailand, brought by Thailand, 14 De-cember 2004). Nachfolgend wird mit dieserFall-Zahl 324 gearbeit, wohl wissend, dasszwischen „distinct matters“ (Streifallgegenstand)und „requests“ (Beantragung von Konsultatio-nen) zu unterscheiden ist. So gibt es einige mitmehreren DS-Nummern versehene Streitfälle zudemselben Streitfallgegenstand, so z.B. dieFälle DS 290, DS291, DS292 zu den Europe-an Communities’ „measures affecting the ap-proval and marketing of biotech products“.Unter 324 Fällen sind auch einige wenige, dievom alten GATT-System übernommen wurden.

217 Die EU (15) und ihre Mitgliedstaaten werdenhier als ein Mitglied gesehen.

218 Vgl. GAO (2004). 219 Siehe „Least-developed countries in the WTO“

unter http://www.wto.org/english/thewto_e/whatis_e/tif_e/org7_e.htm (as of 03-11-2004).

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se, ohne dass sie zu einer der beidenKategorien „gegenseitig akzeptierte Lö-sungen“ oder „auf andere Art beigelegteoder nicht mehr verfolgte Fälle“ gehören.

Tabelle 6 dokumentiert erneut die Do-minanz der Industrieländer in den Verfah-ren. Obwohl sie nur ein Drittel der Mitglie-der stellen, sind sie für mehr als 60 Pro-zent der Klagen verantwortlich. Ihre Kla-gen richten sich in 62 Prozent der Fälle ge-gen andere Industrieländer und in 38 Pro-zent der Fälle gegen Entwicklungsländer.Auch die Klagen der Entwicklungsländersind vor allem, d.h. in 58 Prozent der Fäl-le, an die Industrieländer und nur zu 42Prozent an andere Entwicklungsländeradressiert. Tabelle 6 zeigt jedoch auch,das der Anteil der Entwicklungsländer beiden Klagen zunimmt: in den ersten fünf Jah-ren der WTO stammten nur 20 Prozent derKlagen von ihnen, inzwischen sind sie für36 Prozent der Klagen verantwortlich.

Anhang

Fazit:

Die überwiegende Mehrheit (62 Pro-zent) der WTO-Mitglieder war bishernoch nicht in einem Streitfall verwickelt.Das Streitfallverfahren der WTO wird da-gegen von einigen wenigen Mitgliedernexzessiv genutzt. Knapp 80 Prozent derStreitfälle richten sich gegen lediglich 10WTO-Mitglieder. Die USA und die EU be-finden sich an der Spitze sowohl der Be-klagten wie auch der Kläger. Industrie-länder klagen primär andere Industrie-länder an, auch die Klagen der Ent-wicklungsländer richten sich vor allemgegen Industrieländer. Der Anteil einigerEntwicklungsländer an den Streitfällenhat jedoch in der zweiten Hälfte der er-sten WTO-Dekade zugenommen. Bisherist nur in einem einzigen Fall ein Landaus der Gruppe der am wenigsten ent-wickelten Länder (LDCs) als Kläger aktivgeworden.

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Anhang

Tabelle 1: Kläger und Beklagte in 324 WTO-Streitfällen (1995-2004 )Land Mitglied Mit- Kläger Beklag-

seit kläger (insges.) ter1 Ägypten 30.06.1995 0 32 Antigua und Barbuda 01.01.1995 1 03 Argentinien 01.01.1995 9 154 Australien 01.01.1995 1 8 95 Bangladesh (LDC-Land) 01.01.1995 1 06 Belgien 01.01.1995 0 37 Brasilien 01.01.1995 1 22 128 Chile 01.01.1995 1 9 109 China 11.12.2001 1 1

10 Costa Rica 01.01.1995 3 011 Dänemark 01.01.1995 0 112 Dominikanische Republik 09.03.1995 0 213 Ekuador 21.01.1996 2 314 Europäische Union 01.01.1995 1 67 5115 Frankreich 01.01.1995 0 216 Griechenland 01.01.1995 0 217 Guatemala 21.07.1995 1 5 218 Honduras 01.01.1995 2 5 019 Hongkong, China 01.01.1995 1 020 Indien 01.01.1995 1 16 1721 Indonesien 01.01.1995 1 3 422 Irland 01.01.1995 0 323 Japan 01.01.1995 1 12 1424 Kanada 01.01.1995 1 26 1325 Kolumbien 30.04.1995 4 126 Korea 01.01.1995 1 12 1327 Kroatien 30.11.2000 0 128 Malaysia 01.01.1995 1 1 129 Mexiko 01.01.1995 3 12 1230 Nicaragua 03.09.1995 1 231 Niederlande 01.01.1995 0 132 Neuseeland 01.01.1995 1 6 033 Norwegen 01.01.1995 1 034 Pakistan 01.01.1995 1 2 235 Panama 06.09.1997 1 2 036 Peru 01.01.1995 2 437 Philippinen 01.01.1995 4 438 Polen 01.01.1995 3 139 Portugal 01.01.1995 0 140 Rumänien 01.01.1995 0 241 Schweden 01.01.1995 0 142 Schweiz 01.07.1995 4 043 Singapur 01.01.1995 1 044 Slowakei 01.01.1995 0 345 Sri Lanka 01.01.1995 1 046 Südafrika 01.01.1995 0 247 Taiwan 01.01.2002 1 048 Thailand 01.01.1995 3 11 149 Trinidad und Tobago 01.01.1995 0 250 Tschechische Republik 01.01.1995 1 251 Türkei 26.03.1995 2 752 Ungarn 01.01.1995 5 253 Uruguay 01.01.1995 1 154 Venezuela 01.01.1995 1 255 Vereinigte Staaten 01.01.1995 3 80 8856 Vereinigtes Königreich 01.01.1995 0 1

Summe 25 349 324Summe EU + Mitglieder 1 67 65Anzahl Länder 18 40 44% aller WTO-Mitglieder 12,16% 27,03% 29,73%

Anmerkung: Da in einzelnen Streitfällen mehr als nur ein Kläger zu verzeichnen ist,Ist die Anzahl der Kläger-Fälle größer als die Anzahl der Beklagten-Fälle.

Tabelle 1: Kläger und Beklagte in 324 WTO-Streitfällen (1995-2004)

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Tabelle 2: Beteiligung am WTO-Streitschlichtungsverfahren (1995-2004)

In den 324 WTO-Streitfällen waren alsKläger 40 Mitglieder (27,03 Prozent)Beklagte 44 Mitglieder (29,73 Prozent)Kläger oder Beklagte 56 Mitglieder (37,84 Prozent)involviert.

Tabelle 3: Die Rolle der Quads (USA, EU, Kanada und Japan) im WTO-Streitschlichtungsverfahren (1995-2004)

Kläger BeklagteVereinigte Staaten 80 88EU (15) und Mitgliedstaaten 67 65Kanada 26 13Japan 12 14Summe 185 180Gesamtzahl aller Fälle 349* 324Anteil der Quads daran 53,01% 56,00%

* Da in sechs einzelnen Streitfällen mehrere Kläger zu verzeichnen sind, ist die Zahlder Kläger größer als die der Beklagten.

Tabelle 4: Die Top Ten im WTO-Streitschlichtungsverfahren (1995-2004)

Kläger Beklagte Fälle(Rang) (Rang) (Summe)

Vereinigte Staaten 80 (1) 88 (1) 168EU (15) + Mitgliedstaaten 67 (2) 65 (2) 132Kanada 26 (3) 13 (6) 39Brasilien 22 (4) 12 (7) 36Indien 16 (5) 17 (3) 33Japan 12 (6) 14 (5) 26Korea 12 (6) 13 (6) 25Argentinien 9 (7) 15 (4) 24Mexiko 12 (6) 12 (7) 24Chile 9 (7) 10 (8) 19Summe Top Ten 265 257Summe insgesamt 349 324Anteil Top Ten 75,93% 79,23%

Anhang

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61

Fälle in der „vorgerichtliche Phase“ (Panel noch nicht eingerichtet) 115

davon

- neue Fälle, Antrag auf Konsultation in 2004 14

- Antrag auf Konsultation in 2002-2003 18

- Antrag auf Konsultation in 2000-2001 23

- Antrag auf Konsultation in 1998-1999 34

- Antrag auf Konsultation in 1996-1997 24

- Antrag auf Konsultation in 1995 2

Aktive Panels 22

Panel-Entscheidungen, die noch nicht durch den DSB angenommen wurden

3

Panel-Reports in der Berufung 6

„Gelöste“ Streitfälle 178

davon

- durch Panel- oder AB-Entscheidungen gelöste Fälle 105

- gegenseitig akzeptierte Lösungen (ohne Panel- oder AB-Entscheid) 46

- auf andere Art beigelegte oder nicht mehr verfolgte Fälle 27

Anzahl Fälle (31. Dezember 2004) 324

Anhang

Tabelle 5: Bearbeitungsstand der Streitfälle (zum 31. Dezember 2004)

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62

Tabelle 6: Wer klagt gegen wen?

Zeitraum (bis ...) 13.01.2000 31.12.2004

Klagen von Industrieländern 136 201

gegen andere Industrieländer 80 126

gegen Entwicklungsländer 56 75

Klagen von Entwicklungsländern 38 117

gegen Industrieländer 24 68

gegen andere Entwicklungsländer 14 49

Klagen von Industrie- und Entwicklungsländern

11 6

gegen Industrieländer 11 6

gegen Entwicklungsländer 0 0

Summe 185 324

Anhang

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Globale Gerechtigkeit ökologisch gestalten

Schieflage mit System:Das Streitschlichtungsverfahren der

Welthandelsorganisation (WTO)

Stolperstein auf dem Weg zu einer nachhaltigen Entwicklung

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