Schimpfwort: Selektion?

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Ethik Med (2002) 14:55–56 Leserforum Schimpfwort: Selektion? Zu Volker von Loewenich: Präimplantationsdiagnostik (PID) – Anmerkungen eines Neonatologen (Ethik Med 13: 145–147) Dagmar Schmitz Aus der Erfahrung mit Ratsuchenden, die bzw. deren Kinder von genetischen Erkrankun- gen betroffen sind, also nicht von dem unter Umständen weniger mit Emotionen beladenen (oder belasteten) Schreibtisch der Theorie aus einige Anmerkungen zum genannten Edito- rial: Der Autor setzt Humanismus gegen harte Orthodoxie, Barmherzigkeit gegen unerbittli- ches Festhalten an Axiomen. Zweifel mögen sich aber auch beim Kliniker, der sich tatsäch- lich mit seiner ganzen Person in jedem Fall einbringt, regen, ob diese Begriffspaare dazu ge- eignet sind, eine Diskussion über das Für und Wider der Präimplantationsdiagnostik (PID) zu führen. Die tiefe Betroffenheit angesichts vieler Schicksale von Frauen und Kindern kann kein Argument gegen die mit einer Einführung von PID verbundenen Risiken sein. Eine emo- tionale Rede gegen „selbstgebaute hohe moralische Sockel“ ersetzt weder ein eigenes mora- lisch-ethisches Fundament, noch erleichtert sie den Diskurs zwischen verschiedenen Positio- nen, den der Autor durch eine Reihe von „Schimpfwörtern“ von der anderen Seite her gefähr- det sieht. Insbesondere die Darstellung von PID als positive Selektion (durch sie werde schließlich eine Schwangerschaft ermöglicht) lassen nicht nur die Frage nach ihrem Gegenstück, son- dern auch die Frage nach Sinn und Intention einer solchen Charakterisierung aufkommen. Eine Selektionspraxis wird weder dadurch zulässig, dass am Ende eine Schwangerschaft mit den nicht ausselektierten Embryonen zustande kommt, noch kann Quantität (die meisten Embryonen seien schließlich nicht „befallen“) hier ein Maßstab sein. PID bedeutet Selektion von Embryonen mit von der Norm abweichenden genetischen oder chromosomalen Befun- den, und dies sollte nicht durch für mein Empfinden unzulässige Konnotationen verschleiert werden. Problematisch ist neben der im Vergleich zur Pränataldiagnostik völlig anderen Konflikt- lage bei einer PID die Begrenzung des Verfahrens. Auch hier erscheint weder der polemische Hinweis darauf, dass jährlich 200.000 „ungelegen kommende“ Kinder abgetrieben werden, noch der grundsätzliche Optimismus des Autors bezüglich der Begrenzbarkeit des Verfahrens („Das geht auch bei uns.“) hilfreich. Der Diskussionsentwurf zu einer Richtlinie zur PID (Bundesärztekammer; Mai 2000) offenbart mehrfach die diesbezügliche Hilflosigkeit. Weder kann ein hohes Risiko noch eine schwerwiegende Erkrankung spezifiziert werden. Die Arbeit im Bereich der vorgeburtlichen Diagnostik legt in beiden Fragen ein breites individuelles Spektrum bei den Paaren offen. Was, wenn das wegen einer monogenen Erkrankung per PID selektierte Kind am Ende ein Down-Syndrom hat? Sollte nicht auch immer eine Chromoso- menstörung ausgeschlossen werden, wenn sowieso PID durchgeführt wird? Wie ist der Um- gang mit heterozygot „betroffenen“ Embryonen, die selbst zwar gesund sein würden, aber ein Dr. Dagmar Schmitz Genetische Beratungsstelle, Institut für Humangenetik und Anthropologie, Albert-Ludwigs- Universität Freiburg, Breisacher Straße 33, 79106 Freiburg, Deutschland © Springer-Verlag 2002

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Ethik Med (2002) 14:55–56

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Schimpfwort: Selektion?Zu Volker von Loewenich: Präimplantationsdiagnostik (PID) – Anmerkungen eines Neonatologen (Ethik Med 13: 145–147)

Dagmar Schmitz

Aus der Erfahrung mit Ratsuchenden, die bzw. deren Kinder von genetischen Erkrankun-gen betroffen sind, also nicht von dem unter Umständen weniger mit Emotionen beladenen(oder belasteten) Schreibtisch der Theorie aus einige Anmerkungen zum genannten Edito-rial:

Der Autor setzt Humanismus gegen harte Orthodoxie, Barmherzigkeit gegen unerbittli-ches Festhalten an Axiomen. Zweifel mögen sich aber auch beim Kliniker, der sich tatsäch-lich mit seiner ganzen Person in jedem Fall einbringt, regen, ob diese Begriffspaare dazu ge-eignet sind, eine Diskussion über das Für und Wider der Präimplantationsdiagnostik (PID) zuführen. Die tiefe Betroffenheit angesichts vieler Schicksale von Frauen und Kindern kannkein Argument gegen die mit einer Einführung von PID verbundenen Risiken sein. Eine emo-tionale Rede gegen „selbstgebaute hohe moralische Sockel“ ersetzt weder ein eigenes mora-lisch-ethisches Fundament, noch erleichtert sie den Diskurs zwischen verschiedenen Positio-nen, den der Autor durch eine Reihe von „Schimpfwörtern“ von der anderen Seite her gefähr-det sieht.

Insbesondere die Darstellung von PID als positive Selektion (durch sie werde schließlicheine Schwangerschaft ermöglicht) lassen nicht nur die Frage nach ihrem Gegenstück, son-dern auch die Frage nach Sinn und Intention einer solchen Charakterisierung aufkommen.Eine Selektionspraxis wird weder dadurch zulässig, dass am Ende eine Schwangerschaft mitden nicht ausselektierten Embryonen zustande kommt, noch kann Quantität (die meistenEmbryonen seien schließlich nicht „befallen“) hier ein Maßstab sein. PID bedeutet Selektionvon Embryonen mit von der Norm abweichenden genetischen oder chromosomalen Befun-den, und dies sollte nicht durch für mein Empfinden unzulässige Konnotationen verschleiertwerden.

Problematisch ist neben der im Vergleich zur Pränataldiagnostik völlig anderen Konflikt-lage bei einer PID die Begrenzung des Verfahrens. Auch hier erscheint weder der polemischeHinweis darauf, dass jährlich 200.000 „ungelegen kommende“ Kinder abgetrieben werden,noch der grundsätzliche Optimismus des Autors bezüglich der Begrenzbarkeit des Verfahrens(„Das geht auch bei uns.“) hilfreich. Der Diskussionsentwurf zu einer Richtlinie zur PID(Bundesärztekammer; Mai 2000) offenbart mehrfach die diesbezügliche Hilflosigkeit. Wederkann ein hohes Risiko noch eine schwerwiegende Erkrankung spezifiziert werden. Die Arbeitim Bereich der vorgeburtlichen Diagnostik legt in beiden Fragen ein breites individuellesSpektrum bei den Paaren offen. Was, wenn das wegen einer monogenen Erkrankung per PIDselektierte Kind am Ende ein Down-Syndrom hat? Sollte nicht auch immer eine Chromoso-menstörung ausgeschlossen werden, wenn sowieso PID durchgeführt wird? Wie ist der Um-gang mit heterozygot „betroffenen“ Embryonen, die selbst zwar gesund sein würden, aber ein

Dr. Dagmar SchmitzGenetische Beratungsstelle, Institut für Humangenetik und Anthropologie, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Breisacher Straße 33, 79106 Freiburg, Deutschland

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hohes Risiko hätten, die Erkrankung an eigene Kinder weiter zu geben? Welche Selektions-entscheidung werden die Eltern hier treffen?

Meines Erachtens nach ist die Vorstellung eines hinsichtlich der zu untersuchenden Er-krankungen eng begrenzten Einsatzes der PID zumindest naiv und so wenig realisierbar wieeine Begrenzung der Pränataldiagnostik auf „schwere“ Erkrankungen. Das künftige Klientelder PID erscheint zwar nicht zuletzt dank der Kosten einer solchen Diagnostik klein und diediagnostischen Möglichkeiten zur Zeit noch begrenzt. Die Gefahr einer Diskriminierung die-ser Paare, wie der Autor sie skizziert, steht jedoch für mein Verständnis in keinem Verhältniszu den vorhersehbaren und nicht abzuwendenden Gefahren einer Zulassung von PID.

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