Schurken und Sol daten...Maxim Gorki Theater geht der Beziehung auf den Grund und bringt sie auf die...

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10. - 23. MÄRZ | zitty 6-2011 23 Illustrationen: Emmanuel Guibert/Edition Moderne, Mawil 22 zitty 6-2011 | 10. - 23. MÄRZ Illustration: Marvel/Panini KRIEGSBILDER KRIEGSBILDER Für manche ist es wie eine Droge. Das Adre- nalin, die Gewalt, der allgegenwärtige Tod – und die Euphorie, wenn man unversehrt davonkommt. Hat einen der Krieg erst ein- mal gepackt, kommt man nicht mehr davon los. So hat es zumindest der US-Autor David Axe erlebt. Mit dem Zeichner Steven Olexa hat er seine Erfahrungen als Kriegsbericht- erstatter im Irak in einem Comic verarbeitet: „War Fix“, auf dem Buchcover sieht man eine Montage aus Maschinengewehr und Heroin- spritze. Die autobiografische Erzählung ist eines von Dutzenden neueren Werken, in denen Autoren und Zeichner in letzter Zeit Kriegserfahrungen in Comicform aufgear- beitet haben. Ab dem 20. März widmet sich ein Festival im Maxim Gorki Theater dem Thema: Die Comic-Theater-Tage „Reality Kills“ loten sie- ben Tage lang mit Inszenierungen, Perfor- mances in begehbaren Comicpanels, Aus- stellungen und Podiumsdiskussionen das Verhältnis zwischen dem Krieg und seiner visuellen Inszenierung aus. Unter Leitung der Dramaturginnen Nele Weber und Nina Rühmeier untersuchen Berliner und inter- nationale Comic-Zeichner und Theater- macher das künstlerische Darstellungsspek- trum von Gewalt. Vor allem die bewaffneten Auseinanderset- zungen in Afghanistan, wo Deutschland wie- der direkt in einen Krieg verwickelt ist, und im Irak haben in den vergangenen Jahren einem Genre neuen Auftrieb gegeben, das in der Geschichte des Comics von Anfang an eine herausragende Rolle spielte. Kein Wun- der: Wo sonst lassen sich existenzielle Gegensätze wie Gut und Böse, Leben und Tod so kompakt verhandeln wie auf dem Schlachtfeld, noch dazu begleitet von so spektakulären Bildern? In den ersten Jahrzehnten diente der Krieg im Comic vor allem als Vehikel für unterhalt- same Actiongeschichten mit propagandisti- schen Elementen – so wurde der Supersoldat Captain America kurz vor dem Eintritt der Vereinigten Staaten in den Zweiten Weltkrieg geschaffen, um stellvertretend für die USA Hitler und andere Schurken außer Gefecht zu setzen. Nach und nach änderte sich das Bild Schurken und Soldaten Das Thema Krieg hat im Comic eine lange Tradition, derzeit erlebt es eine Renaissance. Ein Festival im Maxim Gorki Theater geht der Beziehung auf den Grund und bringt sie auf die Bühne Text: Lars von Törne allerdings zunehmend, die Erzählungen wur- den – wie das Medium Comic als Ganzes – komplexer und reflektierter. Heute wollen viele zeitgenössische Comic- künstler hinter die manipulierte Oberfläche der Schlachtenbilder schauen und die Kon- struktion von Kriegsdarstellungen nach- vollziehbar machen. Comicautoren wie der Franzose Jacques Tardi wollen zeigen, was der Krieg mit den Menschen macht – und sie zeigen, wie die offiziellen Bilder vom Krieg und das Erleben der Betroffenen oft gar nichts miteinander zu tun haben, wie es Tardi in seinem kürzlich erschienenen Zwei- teiler „Elender Krieg“ am Beispiel des Ersten Weltkriegs vorführt. Sie wollen – wie der Amerikaner Joe Sacco mit Kriegsreportagen wie dem jetzt auf Deutsch erschienenen Buch „Bosnien“ – ergründen, wie aus einfa- chen, friedlichen Zivilisten über Nacht Mör- der, Plünderer und Vergewaltiger werden. Oder sie wollen aufzeichnen, wie es sich jen- seits heroischer Propagandabilder anfühlt, als einfacher Soldat in den Krieg zu ziehen. Auch wenn dabei nicht immer viel Blut flie- ßen muss, sondern Monotonie und Ziel- losigkeit dominieren, wie es bei Emmanuel Guiberts einfühlsamer Soldatenbiografie „Alans Krieg“ der Fall ist, die kürzlich eben- falls auf Deutsch erschienen ist. Guiberts Buch, das auf den Erinnerungen des US-Sol- daten Alan Cope basiert, ist unter der Regie von Sascha Hargesheimer eines der Werke, die das Maxim-Gorki-Theater jetzt auf die Bühne bringt. Mitunter nähern sich in letzter Zeit auch deutsche Comic-Autoren dem Thema an: So hat der Berliner Zeichner Reinhard Kleist („Castro“) kürzlich für eine Zeitschrift eine Bilddokumentation zum Thema Völker- mord im Zweiten Weltkrieg gezeichnet. Die Arbeiten von Kleist und Guibert werden während des Festivals im Foyer des Gorki- Theaters ausgestellt. „Wir wollen die Comicsprache ins Theater integrieren“, sagt der Dramaturg Cornelius Puschke, der im Rahmen des Festivals „Rea- lity Kills“ zwei Inszenierungen von Comic- Erzählungen auf die Bühne bringt, „Alans Krieg“ sowie eine Kombination dreier mul- timedialer Minidramen unter dem Titel „Make Love, Not War – eine Propaganda- maßnahme“. So arbeiten die Theaterma- cher bei einigen Inszenierungen mit Comic- zeichnern zusammen, deren Arbeiten Teil des Bühnenbildes werden und die zum Teil auch live im Theater zeichnen. Im Fall von „Alans Krieg“ sollen zwei Schauspieler auf der Bühne in Anlehnung an die lückenhafte, von persönlichen Erinnerungen geprägte Comicerzählung aus einer Unmenge Archivmaterial eine kohärente Geschichte zu entwickeln versuchen – und so die Frage verhandeln, wieweit derartige Rückblicke auf historische Ereignisse wie den Zweiten Weltkrieg immer auch subjektive, von indi- viduellen Interessen geleitete Konstruktio- nen sind, wie Puschke sagt. Vielleicht liegt hierin eine der Stärken des Comics bei der Darstellung von Krieg: Die meisten Autoren und Zeichner versuchen gar nicht erst, Objektivität vorzutäuschen. Es ist kein Zufall, dass sich viele von ihnen als Akteure in ihren Geschichten selbst auf- tauchen lassen, um deutlich zu machen: So habe ich das erlebt. Emmanuel Guibert zu- mindest glaubt, dass seine subjektive Dar- stellungsform der ebenfalls niemals objek- tiven menschlichen Erinnerung am ehesten gerecht wird: „Man erreicht etwas, das an Authentizität grenzt.“ S „REALITY KILLS – KRIEGSBILDER IM COMIC UND AUF DER BÜHNE“, 20.-26.3., Maxim Gorki Theater Alans Krieg, 20.+25.3., 20.15 Uhr, Make Love, Not War Minidramen- Marathon, 24.3., 20.15 Uhr, Dramatischer Live-Comic, 26.3., 20.15 Uhr. Eintritt 12, erm. 7 Euro Podiumsdiskussionen: „War W(r)op”, 21.3., 16.30 Uhr, „Krieg im Selbstversuch”, 22.3., 16.30 Uhr, „Mama, I Killed a Man“, 25.3., 16.30 Uhr, „Form Follows Function“, 26.3., 16.30 Uhr, Gorki-Foyer. Eintritt frei ComicContainer „Exportierte Kriegs- schauplätze”, 20.-26.3., Eintritt frei Visiothek, 21.3., 22 Uhr, Comic-Karaoke, 23.3., 22 Uhr, Bilder-Folgen Comic-Lesungen, 21.3., 20.15 Uhr, 22.3., 18 Uhr, 25.3., 18 Uhr, Maxim Gorki Theater Studio. Eintritt 5 Euro www.gorki.de Panels aus „Alans Krieg“ von Emmanuel Guibert, das nun im Gorki inszeniert wird Supersoldaten wie Captain America (Mitte) befreien Berlin von den Nazis

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KRIEGSBILDER KRIEGSBILDER

Für manche ist es wie eine Droge. Das Adre-

nalin, die Gewalt, der allgegenwärtige Tod –

und die Euphorie, wenn man unversehrt

davonkommt. Hat einen der Krieg erst ein-

mal gepackt, kommt man nicht mehr davon

los. So hat es zumindest der US-Autor David

Axe erlebt. Mit dem Zeichner Steven Olexa

hat er seine Erfahrungen als Kriegsbericht-

erstatter im Irak in einem Comic verarbeitet:

„War Fix“, auf dem Buchcover sieht man eine

Montage aus Maschinengewehr und Heroin-

spritze. Die autobiografische Erzählung ist

eines von Dutzenden neueren Werken, in

denen Autoren und Zeichner in letzter Zeit

Kriegserfahrungen in Comicform aufgear-

beitet haben.

Ab dem 20. März widmet sich ein Festival im

Maxim Gorki Theater dem Thema: Die

Comic-Theater-Tage „Reality Kills“ loten sie-

ben Tage lang mit Inszenierungen, Perfor-

mances in begehbaren Comicpanels, Aus-

stellungen und Podiumsdiskussionen das

Verhältnis zwischen dem Krieg und seiner

visuellen Inszenierung aus. Unter Leitung

der Dramaturginnen Nele Weber und Nina

Rühmeier untersuchen Berliner und inter-

nationale Comic-Zeichner und Theater-

macher das künstlerische Darstellungsspek-

trum von Gewalt.

Vor allem die bewaffneten Auseinanderset-

zungen in Afghanistan, wo Deutschland wie-

der direkt in einen Krieg verwickelt ist, und

im Irak haben in den vergangenen Jahren

einem Genre neuen Auftrieb gegeben, das in

der Geschichte des Comics von Anfang an

eine herausragende Rolle spielte. Kein Wun-

der: Wo sonst lassen sich existenzielle

Gegensätze wie Gut und Böse, Leben und

Tod so kompakt verhandeln wie auf dem

Schlachtfeld, noch dazu begleitet von so

spektakulären Bildern?

In den ersten Jahrzehnten diente der Krieg

im Comic vor allem als Vehikel für unterhalt-

same Actiongeschichten mit propagandisti-

schen Elementen – so wurde der Supersoldat

Captain America kurz vor dem Eintritt der

Vereinigten Staaten in den Zweiten Weltkrieg

geschaffen, um stellvertretend für die USA

Hitler und andere Schurken außer Gefecht zu

setzen. Nach und nach änderte sich das Bild

Schurken und SoldatenDas Thema Krieg hat im Comic eine lange Tradition, derzeit erlebt es eine Renaissance. Ein Festival im

Maxim Gorki Theater geht der Beziehung auf den Grund und bringt sie auf die Bühne Text: Lars von Törne

allerdings zunehmend, die Erzählungen wur-

den – wie das Medium Comic als Ganzes –

komplexer und reflektierter.

Heute wollen viele zeitgenössische Comic-

künstler hinter die manipulierte Oberfläche

der Schlachtenbilder schauen und die Kon-

struktion von Kriegsdarstellungen nach-

vollziehbar machen. Comicautoren wie der

Franzose Jacques Tardi wollen zeigen, was

der Krieg mit den Menschen macht – und sie

zeigen, wie die offiziellen Bilder vom Krieg

und das Erleben der Betroffenen oft gar

nichts miteinander zu tun haben, wie es

Tardi in seinem kürzlich erschienenen Zwei-

teiler „Elender Krieg“ am Beispiel des Ersten

Weltkriegs vorführt. Sie wollen – wie der

Amerikaner Joe Sacco mit Kriegsreportagen

wie dem jetzt auf Deutsch erschienenen

Buch „Bosnien“ – ergründen, wie aus einfa-

chen, friedlichen Zivilisten über Nacht Mör-

der, Plünderer und Vergewaltiger werden.

Oder sie wollen aufzeichnen, wie es sich jen-

seits heroischer Propagandabilder anfühlt,

als einfacher Soldat in den Krieg zu ziehen.

Auch wenn dabei nicht immer viel Blut flie-

ßen muss, sondern Monotonie und Ziel-

losigkeit dominieren, wie es bei Emmanuel

Guiberts einfühlsamer Soldatenbiografie

„Alans Krieg“ der Fall ist, die kürzlich eben-

falls auf Deutsch erschienen ist. Guiberts

Buch, das auf den Erinnerungen des US-Sol-

daten Alan Cope basiert, ist unter der Regie

von Sascha Hargesheimer eines der Werke,

die das Maxim-Gorki-Theater jetzt auf die

Bühne bringt.

Mitunter nähern sich in letzter Zeit auch

deutsche Comic-Autoren dem Thema an: So

hat der Berliner Zeichner Reinhard Kleist

(„Castro“) kürzlich für eine Zeitschrift eine

Bilddokumentation zum Thema Völker-

mord im Zweiten Weltkrieg gezeichnet. Die

Arbeiten von Kleist und Guibert werden

während des Festivals im Foyer des Gorki-

Theaters ausgestellt.

„Wir wollen die Comicsprache ins Theater

integrieren“, sagt der Dramaturg Cornelius

Puschke, der im Rahmen des Festivals „Rea-

lity Kills“ zwei Inszenierungen von Comic-

Erzählungen auf die Bühne bringt, „Alans

Krieg“ sowie eine Kombination dreier mul-

timedialer Minidramen unter dem Titel

„Make Love, Not War – eine Propaganda-

maßnahme“. So arbeiten die Theaterma-

cher bei einigen Inszenierungen mit Comic-

zeichnern zusammen, deren Arbeiten Teil

des Bühnenbildes werden und die zum Teil

auch live im Theater zeichnen. Im Fall von

„Alans Krieg“ sollen zwei Schauspieler auf

der Bühne in Anlehnung an die lückenhafte,

von persönlichen Erinnerungen geprägte

Comicerzählung aus einer Unmenge

Archivmaterial eine kohärente Geschichte

zu entwickeln versuchen – und so die Frage

verhandeln, wieweit derartige Rückblicke

auf historische Ereignisse wie den Zweiten

Weltkrieg immer auch subjektive, von indi-

viduellen Interessen geleitete Konstruktio-

nen sind, wie Puschke sagt.

Vielleicht liegt hierin eine der Stärken des

Comics bei der Darstellung von Krieg: Die

meisten Autoren und Zeichner versuchen

gar nicht erst, Objektivität vorzutäuschen.

Es ist kein Zufall, dass sich viele von ihnen

als Akteure in ihren Geschichten selbst auf-

tauchen lassen, um deutlich zu machen: So

habe ich das erlebt. Emmanuel Guibert zu-

mindest glaubt, dass seine subjektive Dar-

stellungsform der ebenfalls niemals objek-

tiven menschlichen Erinnerung am ehesten

gerecht wird: „Man erreicht etwas, das an

Authentizität grenzt.“ S

„REALITY KILLS – KRIEGSBILDER IM COMIC UND AUF DER BÜHNE“, 20.-26.3.,Maxim Gorki Theater

Alans Krieg, 20.+25.3., 20.15 Uhr, Make Love, Not War Minidramen-Marathon, 24.3., 20.15 Uhr, Dramatischer Live-Comic, 26.3., 20.15Uhr. Eintritt 12, erm. 7 Euro

Podiumsdiskussionen: „War W(r)op”, 21.3., 16.30 Uhr, „Kriegim Selbstversuch”, 22.3., 16.30 Uhr,„Mama, I Killed a Man“, 25.3., 16.30Uhr, „Form Follows Function“, 26.3.,16.30 Uhr, Gorki-Foyer. Eintritt frei

ComicContainer „Exportierte Kriegs-schauplätze”, 20.-26.3., Eintritt freiVisiothek, 21.3., 22 Uhr, Comic-Karaoke, 23.3., 22 Uhr, Bilder-Folgen Comic-Lesungen, 21.3.,20.15 Uhr, 22.3., 18 Uhr, 25.3., 18 Uhr,Maxim Gorki Theater Studio. Eintritt 5 Eurowww.gorki.de

Panels aus „Alans Krieg“ von Emmanuel Guibert, das nun im Gorki inszeniert wird

Supersoldaten wie Captain America (Mitte) befreien Berlin von den Nazis