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Soziologie und Epistemologie des Peer Review Martin Reinhart Nomos Wissenschafts- und Technikforschung | 10

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Zum Inhalt: Höchst umstritten, doch offenbar unverzichtbar – Peer Review trifft als zentraler Mechanismus der Selbststeuerung in der Wissenschaft Entscheidungen über Publikationen, Finanzierungen und Karrieren. Seine Konstanz und Funktion verlangt nach soziologischen und philosophischen Erklärungen.

Zum Autor: Martin Reinhart studierte Soziologie, Volkswirtschaftslehre und Informatik in Basel. Im Herbst 2012 tritt er eine Juniorprofessor für Wissenschaftssoziologie und Evaluationsforschung an der Humboldt-Universität zu Berlin an.

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Wissenschafts- und Technikforschung | 10

10ISBN 978-3-8329-7332-2

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Wissenschaft und Technik sind wesentliche Antriebskräfte gesellschaft-licher Veränderung. Sie haben in den letzten Jahrzehnten zugleich tief greifende Kontroversen und Konflikte über die Folgen und die möglichen Grenzen wissenschaftlicher und technischer Modernisierungsprozesse hervorgerufen. Daher berühren sie das Selbstverständnis moderner Gesellschaften in grundlegender Weise.

Die Reihe Wissenschafts- und Technikforschung widmet sich den gesell-schaftlichen, organisatorischen und interaktiven Dimensionen moder-ner Wissenschaft und Technik, ihrem historischen Wandel, den Diskursen und Deutungsmustern, in denen sie kommuniziert und legitimiert werden, sowie den mit ihnen verbundenen ethischen und politischen Herausforderungen. Sie integriert Theorien und Methoden aus unter-schiedlichen thematisch relevanten Disziplinen, vor allem aus Sozio-logie und Geschichtswissenschaft. Damit bietet sie sowohl Grund- lagenwissen für die beteiligten wissenschaftlichen Disziplinen als auch Orientierungswissen für Entscheidungsträger und die interessierte Öffentlichkeit.

Schriftenreihe „Wissenschafts- und Technikforschung“

herausgegeben von

Prof. Dr. Alfons Bora, Universität BielefeldProf. Dr. Sabine Maasen, Universität BaselProf. Dr. Carsten Reinhardt, Universität BielefeldPD Dr. Peter Wehling, Universität Augsburg

Band 10

BUT_Reinhardt_7332-2.indd 2 30.05.12 11:08

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Soziologie und Epistemologie des Peer Review

Nomos

Martin Reinhart

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1. Auflage 2012© Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2012. Printed in Germany. Alle Rechte, auch die des Nachdrucks von Auszügen, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Zugl: Basel, Univ., Philosophisch-Historischen Fakultät, Diss., 2010

ISBN 978-3-8329-7332-2

Die Veröffentlichung wurde unterstützt durch den SNF.

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort 5

Einleitung 11

Kontexte 13Gang der Argumentation 19Soziale Epistemologie 20Begrifflichkeiten 23

Dokumentation eines wissenschaftlichen Begutachtungsverfahrens1. 25

Der Normalfall1.1. 26Der Ausnahmefall1.2. 35

Bestandesaufnahme der Peer Review-Forschung2. 49

Leitartikel, Meinungsjournalismus und Erfahrungsberichte2.1. 50Forschungsliteratur mit quantitativer Orientierung2.2. 55Forschungsliteratur mit qualitativer Orientierung2.3. 71Fazit: Peer Review-Forschung2.4. 81

Material, Methoden, Perspektivierungen3. 83

Datenzugang3.1. 83Das Datenmaterial aus dem Schweizerischen Nationalfonds3.2. 86Forschungsfragen3.3. 90Methoden: Mixed Method Design3.4. 91

Reliabilität, Fairness und Validität (Perspektivierung 1)4. 98

Sozial-epistemologische Vorbemerkung 98Das Datenmaterial in Zahlen4.1. 100

Erfolgsquoten4.1.1. 101Reliabilität4.2. 102Fairness4.3. 107

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Validität4.4. 111Die prädiktive Kraft des Publikationserfolgs in derVergangenheit

4.4.1.118

Fazit: Reliabilität, Fairness und Validität4.5. 119Sozial-epistemologisches Fazit 121

Organisationssoziologische Betrachtung von Peer Review(Perspektivierung 2)

5.123

Sozial-epistemologische Vorbemerkung 125Forschungsförderung zwischen Wissenschaft und Politik5.1. 126

Forschungsförderung als Grenzorganisation5.1.1. 127Immunität des SNF5.1.2. 129Transparenz / Intransparenz5.1.3. 130

Entscheidungskomplexität und Verfahrensstabilität5.2. 131Komplexität der Entscheidungssituation5.2.1. 132

Organisationale Struktur des Entscheidungsverfahrens im SNF5.3. 134Stufenförmigkeit5.3.1. 135Rollendifferenzierung5.3.2. 138Intransparenz5.3.3. 139Strukturelles Nichtwissen / Institutionelles Vergessen5.3.4. 145

Peer Review in der Wirtschaft5.4. 148Fazit: Organisationssoziologische Betrachtung von Peer Review5.5. 150

Sozial-epistemologisches Fazit 153

Inhaltsanalyse der Gutachten (Perspektivierung 3)6. 156

Sozial-epistemologische Vorbemerkung 156Bestehende Literatur6.1. 157Inhaltsanalyse der Gutachten6.2. 160

Methode6.2.1. 160Frequenzanalyse6.2.2. 161Valenzanalyse6.2.3. 167

Grenzorganisationen als Orte der Vertrauensbildung6.3. 170Unsicherheit und Vertrauen6.3.1. 171Vertrauen im organisationalen Kontext6.3.2. 174

Fazit: Gutachten, Qualitätskriterien, Vertrauen6.4. 180Sozial-epistemologisches Fazit 184

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Diskussion7. 187

Prämissen im Licht der Resultate7.1. 188Einheit und Diversität des Phänomens Peer Review7.1.1. 188Optimierung des Peer Review7.1.2. 192Metastabilität des Peer Review7.1.3. 193

Peer Review-Forschung und Science and Technology Studies7.2. 194

Epilog – Soziale Epistemologie 197

Gebundene Rationalität in Organisationen 201

Anhang: Qualitätskriterien / Codierschema 207

Literaturverzeichnis 213

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Einleitung

Peer Review ist der zentrale Mechanismus, mit dem sich Wissenschaft selbst steu-ert. Trotzdem gerät dieser immer wieder ins Kreuzfeuer der Kritik. Anfälligkeit fürKorruption, Unfähigkeit zur Entdeckung von Betrug und Fälschung, Feindlichkeitgegen neue Ideen und Ineffizienz sind Vorwürfe, die in unregelmässigen Abstän-den und bei gegebenem Anlass immer wieder vorgebracht werden. Weil das PeerReview so zentral ist, trifft diese Art von Kritik die Wissenschaft in ihrer Glaub-würdigkeit ganz direkt, nicht nur, weil Wissenschaft ohne Peer Review kaumdenkbar wäre, sondern auch, weil sich Wissenschaft historisch und in der Gegen-wart stark über diesen Selbststeuerungsmechanismus legitimiert. Genau wie dieDemokratie sei das Peer Review halt die schlechteste Form der Steuerung mitAusnahme aller anderen, die schon probiert worden seien, wird Churchill dannjeweils paraphrasiert, um solche Kritik zu entschärfen.

Gibt man sich mit solchen Beschwichtigungen nicht zufrieden, sondern fragtdanach, was über das Funktionieren des Peer Review an Wissen schon vorliegt,dann ergeben sich relativ bald zwei ernüchternde Befunde: Es liegen zwar zahl-reiche wissenschaftliche Arbeiten zum Peer Review vor, aber diese beschränkensich auf wenige, vereinzelte Aspekte. Für eine umfassende sozialwissenschaftlicheBetrachtung ist dies bei weitem nicht ausreichend und für eine wissenschaftspoli-tische Diskussion klar ungenügend. Will man diesem Mangel beikommen, so kannman sich nicht von der eingangs angedeuteten Kritik leiten lassen, da dies wiederumin der Betrachtung von wenigen, einzelnen Aspekten enden muss. Es braucht alsoeine umfassende Perspektive, die Peer Review-Verfahren sowohl danach befragt,wie sie im Innern funktionieren, als auch wie sie in den wissenschaftlichen undgesellschaftlichen Kontext eingebettet sind. Daraus ergibt sich dann die zweiteErnüchterung: Eine derartige Betrachtung kommt nicht darum herum, epistemo-logische Fragen nach den Bedingungen der Möglichkeit solcher Verfahren zu stel-len. Im Peer Review werden Entscheidungen getroffen, die hohe Voraussetzungenan den Wissensstand stellen, aber trotzdem immer unsicher bleiben müssen. Dasssolche Verfahren trotzdem Legitimität geniessen und seit Beginn der modernenWissenschaft zur Verteilungen von knappen und damit umstrittenen Ressourcenvorzufinden sind, ist epistemologisch auffällig und damit erklärungsbedürftig.

Beiden Ernüchterungen soll mit dieser Arbeit beigekommen werden. Auf em-pirischer Basis wird die Forschung zum Peer Review jenseits von vereinzeltenAspekten in Angriff genommen, um sowohl eine umfassende Untersuchung einessolchen Verfahrens vorzulegen, als auch neue Felder für die Peer Review-For-

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schung zu öffnen. Dabei wird gezeigt werden, dass es sich beim Peer Review umeine Organisationsform handelt, deren Erfolg in der Funktion als Vertrauensme-chanismus gründet. Sowohl innerhalb der Wissenschaft als auch im Verhältnis zuumliegenden gesellschaftlichen Bereichen wie bspw. der Politik erklärt sich dieSteuerungsfähigkeit von Peer Review über die Organisationsform und die Veror-tung im gesellschaftlichen Kontext, indem Vertrauen in die getroffenen Entschei-dungen erzwungen und damit Legitimität geschaffen wird. Dass auf Kritik mit demerwähnten und variierten Churchill Zitat reagiert wird, ist ein anschauliches Bei-spiel dafür. Weil Peer Review so zentral und exklusiv zur Selbststeuerung einge-setzt wird, sind Alternativen kaum denkbar. In der Folge bleibt nichts anderes, alszumindest mit pragmatischer Akzeptanz oder minimalem Systemvertrauen auf diedurchs Peer Review getroffenen Entscheidungen zu reagieren.

Dies erweckt den Anschein, als würde es in der Wissenschaft und im Peer Re-view gar nicht um die Produktion von verlässlichem Wissen gehen, womit wir beider epistemologischen Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit solcher Ent-scheidungsverfahren wären. Die Debatte zur sozialen Epistemologie wird hier alsAusgangspunkt dienen, der es erlaubt, Wissensprozesse jenseits der Unterschei-dung von sozialen und rationalen Aspekten zu betrachten. Hier wird sich zeigen,das Peer Review-Verfahren durchaus an der Produktion von verlässlichem Wissenbeteiligt sind, wenn man voraussetzt, dass es sich hierbei um Wissensprozessehandelt, die im Rahmen von Organisationen mit gebundener Rationalität ablaufen.Auf der Basis empirischer Arbeit zum Peer Review ergibt sich so eine Kritik derDebatte zur sozialen Epistemologie, die sowohl die Trägerschaft von Wissen alsauch das Verhältnis von Theorie und Empirie umarbeitet, so dass eine interdiszi-plinäre Zusammenarbeit von Philosophie und Soziologie unterstützt wird. Darausresultiert eine neue Position in der Debatte zur sozialen Epistemologie, die gebun-dene Rationalität in Organisationen voraussetzt und aus der sich schliesslich dieForderung nach Öffnung der Debatte zu einer sozialen Axiologie ergibt, also nachder grundsätzlichen Erweiterung epistemologischer Fragen um Wertorientierun-gen.

Die Struktur dieser Arbeit ist so angelegt, dass sie neben der linearen Lektürevon Anfang bis Ende mindestens zwei weitere Optionen anbietet, die den zweigerade entworfenen Themenbereichen entsprechen. Wer sich vor allem für denempirischen Beitrag zur Peer Review-Forschung interessiert, der sollte ausgehendvon dieser Einleitung vor allem die drei Perspektivierungen (Kap. 4, 5 und 6) evtl.unter Berücksichtigung des Methodenteils (Kap. 2) zur Kenntnis nehmen. Einezusammenfassende Diskussion findet sich dann in Kapitel 7. Wer vor allem dentheoretischen Beitrag zur sozialen Epistemologie im Blick hat, dem stehen in densozial-epistemologischen Vorbemerkungen und Fazits eine zusammenhängendeArgumentation durch die empirischen Teile (Kap. 4, 5 und 6) zur Verfügung. Diese

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münden dann im Epilog, der sich ausschliesslich mit sozialer Epistemologie be-fasst. Der Epilog als auch Kapitel 7 eignen sich zudem, um mit Blick auf die Re-sultate entscheiden zu können, welche Lesestrategie für den jeweiligen Leser sinn-voll erscheint.

Kontexte

Peer Review bezeichnet ein Verfahren zur Beurteilung und Selektion von wissen-schaftlicher Arbeit. Gutachter (peers) in einem solchen Verfahren sind gewöhnlichWissenschaftler, die in jener Disziplin aktiv sind, aus der die zu begutachtendewissenschaftliche Arbeit stammt. Begutachtet werden können dabei viele ver-schiedene Formen von wissenschaftlichen Leistungen: Manuskripte von Zeit-schriftenartikeln oder Büchern, Anträge zur Förderung von Projekten oder Perso-nen, Bewerbungen für akademische Stellen oder vielseitige Leistungen von Per-sonen, Labors, Instituten, etc. zu Zwecken der Evaluation. Die Standards, nachdenen solche Bewertungen vollzogen werden, sollen wissenschaftlich sein und dendisziplinär geteilten Qualitätsvorstellungen entsprechen. Dadurch werden knappeRessourcen (Publikationsfläche, Geld, Preise, etc.) innerwissenschaftlich verteiltund es findet eine Selbststeuerung des Wissenschaftssystems statt.

Soweit der Versuch, eine Minimaldefinition von Peer Review zu leisten, diegleichzeitig das abdeckt, was im wissenschaftlichen Alltag als Peer Review be-zeichnet wird, und das, was aus Sicht des Wissenschaftsbeobachters bei den meis-ten Peer Review-Verfahren vorliegt. Dazu, dass der Versuch, eine einheitliche De-finition von Peer Review vorzulegen, problematisch sein muss, soll gleich nocheiniges gesagt werden.

Zuerst gilt es aber, Ziel und Kontext dieser Arbeit über das Peer Review kurzanzudeuten. Grundsätzlich sollen zwei Ziele verfolgt werden, wobei das eine stär-ker auf der empirischen und das andere stärker auf der theoretischen Ebene ange-siedelt ist. Empirisch geht es primär darum, den dürftigen Wissensstand zu PeerReview-Verfahren in der Wissenschaft zu erweitern, indem explorativ neue me-thodische Zugänge beschritten werden. Einer dieser Zugänge lässt sich dann nut-zen, um auf der theoretischen Ebene weiter zu argumentieren, dass die Entschei-dungsfindung im Rahmen von Peer Review-Verfahren stark organisationale Zügeträgt. Damit ist weniger gemeint, dass diese Verfahren zwingend als Organisationverstanden müssen, sondern vielmehr, dass sich in ihnen starke Prozesse des Or-ganisierens des Entscheidungsablaufs zeigen lassen, die nur bedingt als stabile oderstarre Organisation verstanden werden können. Dieses theoretische Ergebnis solldann genutzt werden, um im Rahmen der Debatte zur sozialen Epistemologie eineneue Position zu skizzieren, die die Organisation von Wissensprozessen als zen-

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tralen Fokus setzt. Dieses theoretische Ziel verbindet sich mit dem empirischen,indem beide zusammen die Forschungsabsicht dieser Arbeit einlösen sollen, die –kurz gesagt – den Beitrag des Peer Review zur Produktion verlässlichen Wissensdarstellen will.

Was den Kontext dieser Arbeit betrifft, soll der gesellschaftliche, politische undwissenschaftliche Hintergrund angedeutet werden, vor dem eine Beschäftigung mitder Selbststeuerung von Wissenschaft in der Form von Peer Review überhauptstattfindet. Kurz gesagt wird in dieser Arbeit davon ausgegangen, dass die gesell-schaftliche Diagnose einer „audit society“ vorliegt, dass wissenschaftspolitisch ei-ne Neuaushandlung des Sozialvertrags zwischen Wissenschaft und Politik zu be-obachten ist und dass in der Wissenschaftsforschung eine anhaltende Kontroverseüber den Status des Epistemischen statt findet. Obwohl Forschung zum Peer Re-view zu jedem dieser drei Bereiche einen substantiellen Beitrag leisten kann, bildendie beiden erstgenannten für diese Arbeit nicht den Fokus, sondern nur den Hin-tergrund, vor dem eine Auseinandersetzung mit dem Thema plausibilisiert werdenkann, während der letztgenannte Bereich unter dem Stichwort social epistemolo-gy eine substantiellere Behandlung erfährt. Diese Entscheidung ist dadurch be-gründet, dass sowohl gesellschaftsdiagnostische als auch wissenschaftspolitischeDebatten starken zeitgenössischen Strömungen mit geringer Halbwertszeit unter-liegen. Im Gegensatz dazu verspricht die Debatte zur sozialen Epistemologie dieMöglichkeit einer nachhaltigeren Auseinandersetzung insbesondere auch, weil auseinem Beitrag zur sozialen Epistemologie die Grundlage für weiterführende Ar-gumentationen in gesellschaftsdiagnostischen und wissenschaftspolitischen Dis-kussionen erwächst.

Die Diagnose einer „audit society“ (Power 1997) besagt erstmal nicht viel mehr,als dass seit den 1980er Jahren eine starke Zunahme von Verfahren und Institutio-nen zu beobachten ist, deren Aufgabe darin besteht zu überprüfen, zu kontrollieren,Rechenschaft abzulegen. Monitoring, Audit, Total Quality Management sind nureinige der neudeutschen Begriffe, die in diesem Zusammenhang in fast allen ge-sellschaftlichen Kontexten gebräuchlich geworden sind. Power (1997) spricht imUntertitel von „rituals of verification“ und zeigt sich besorgt über eine „growingindustry of comfort production“ (Power 1997:147). Zweifelsohne zeigt diese Dia-gnose einen gesellschaftlichen Wandel in der Wahrnehmung und dem Umgang mitVertrauen und Risiko an, von dem auch die Wissenschaft nicht verschont gebliebenist. „Mode 2“ (Gibbons et al. 1994) und „Science Assessment“ (Böschen undWehling 2004) sind zentrale Begriffe, anhand derer entsprechende Veränderungen

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im Wissenschaftssystem diskutiert werden.1 Man könnte nun meinen, dass sicheine Arbeit zum Thema Peer Review mit diesen Veränderungen zentral beschäf-tigten müsste, handelt es sich doch eindeutig um eines dieser angesprochenen Ve-rifikationsrituale. Es soll nicht bestritten werden, dass es sich beim Peer Reviewum ein Auditverfahren oder ein science assessment handelt. Es soll aber argumen-tiert werden, dass sich eine Beschäftigung mit Peer Review lohnt, ohne dass diesegesellschaftlichen Wandlungsprozesse dabei eine zentrale Rolle spielen müssen.

Peer Review ist nicht erst seit der Auditexplosion ein in der Wissenschaft häufigund zentral vorzufindendes Verfahren der Qualitätssicherung. Für das Publikati-onswesen gilt, dass erste Formen schon mit Gründung der wissenschaftlichen Ge-sellschaften und deren Publikationsorganen im 17. Jh. etabliert wurden (Porter1964). Spätestens aber seit den 1950er Jahren gilt es als selbstverständlicher Be-standteil im Entscheidungsverfahren der meisten wissenschaftlichen Zeitschriften(Zuckerman und Merton 1971). Peer Review ist damit um einiges älter als dieAudit-Gesellschaft und lohnt deshalb auch eine Betrachtung über diesen zeitdia-gnostischen Horizont hinaus.

Eine Untersuchung des Peer Review mit spezieller Aufmerksamkeit auf neueregesellschaftliche Veränderungen würde aber auch bedeuten, dass ein Zeitvergleichvor und nach der Auditexplosion geleistet werden müsste. Dies erweist sich für denRahmen dieser Arbeit als unmöglich, weil weder empirisches Material aus frühererZeit vorliegt, noch eine belastbare soziologische Literatur zur Geschichte des PeerReview vorhanden ist.2 Eine komparative Untersuchung des Peer Review unterBedingungen der Audit-Gesellschaft wüsste damit gar nicht, womit sie einen Ver-gleich herstellen sollte.

Über diese Argumente hinaus wird es im Verlauf der Arbeit noch zu zeigen sein,dass aus organisationaler Perspektive wenig Anlass besteht, von einer dramatischenVeränderung des Peer Review auszugehen, da die gesellschaftlichen Veränderun-gen vor allem zu einer Schaffung neuer umliegender Organisationen geführt hat,während die Peer Review-Verfahren weitgehend unangetastet geblieben sind.3

1 Im deutschsprachigen Raum ist in diesem Zusammenhang vor allem die Förderinitiative„Wissen für Entscheidungsprozesse – Forschung zum Verhältnis von Wissenschaft, Politikund Gesellschaft“ (2003-2007) vom Deutschen Bundesministerium für Bildung und For-schung zu erwähnen, in deren Zusammenhang auch die erwähnte Arbeit von Böschen &Wehling entstanden ist. Dieses Forschungsnetzwerk ging ab 2008 auf Grund der Bedeutungdes Themas in eine zweite Phase unter dem Titel „Neue Governance der Wissenschaft – For-schung zum Verhältnis von Wissenschaft, Politik und Gesellschaft“.

2 Siehe auch Kapitel 3.3 Damit soll nicht behauptet werden, dass Peer Review-Verfahren in jeder beliebigen sozialen

Umgebung gleich einzuschätzen seien. Was damit gesagt werden soll, ist, dass Peer Review-Verfahren unter organisationalen Gesichtspunkten eine erstaunliche Uniformität auszeichnenund dass aufgrund eines sehr einseitigen Forschungsstandes, eine Fokussierung auf Peer Re-view-Verfahren und weniger auf deren Umgebung bevorzugt werden soll. Siehe dazu auchKapitel 6.

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Damit ist gleichzeitig auch der zweite Hintergrund angedeutet, vor dem dieAuseinandersetzung mit Peer Review-Verfahren stattfinden soll. Zeitlich vorgela-gert zur Auditexplosion lässt sich nämlich auch eine Veränderung im Verhältnisvon Wissenschaft und Politik diagnostizieren. Seit den 1970er Jahren ist zu beob-achten, dass die mehr oder weniger informelle Übereinkunft in Frage gestellt wird,nach der die Politik der Wissenschaft weitgehende Autonomie gewährt und finan-zielle Mittel zur Verfügung stellt, solange die Wissenschaft Grundlagen liefert, mitdenen technologische Fortschritte möglich sind.4 Ausgangspunkt für die Neuaus-handlung dieser Übereinkunft sind anhaltende wissenschaftspolitische Diskussio-nen über die Integrität und Produktivität von Wissenschaft. Auf der einen Seitehaben medial wirksame Skandale und Betrugsfälle das Vorrecht auf Autonomieder Wissenschaft in Frage gestellt und auf der anderen Seite haben ökonomischeZwänge die Effizienz der wissenschaftlichen Transferleistungen problematischwerden lassen. Als Folge davon sind neben dem Peer Review neue Organisationenim Spannungsfeld zwischen Wissenschaft und Politik entstanden, die mit derSteuerung, Verwaltung und Kontrolle der Integrität und Produktivität der Wissen-schaft betraut sind.5 Es handelt sich hier um eine Entwicklung, die sich teilweisemit der Diagnose von Power zur Auditgesellschaft überlagert, aber daneben klareZüge einer spezifisch wissenschaftspolitischen Problematik zeigt. Wie noch aus-führlicher gezeigt werden soll, ist die Problematik unter Beibehaltung der beste-henden Peer Review-Verfahren entschärft worden, so dass die Neuaushandlungdes Sozialvertrags für Wissenschaft (Guston 2000) zwar einen bedeutsamen Hin-tergrund für diese Arbeit bilden wird, aber nicht deren zentraler Fokus darstellenkann.6

Wissenschaftlichen Hintergrund dieser Arbeit bildet die Wissenschaftsfor-schung (science and technology studies), die als interdisziplinäres Programm inden letzten 30 Jahren eine Plattform für Diskussionen zwischen der Wissenschafts-geschichte, Wissenschaftsphilosophie und der Wissenschaftssoziologie gebotenhat. Einende Perspektive dieses Programms ist es, wissenschaftliches Wissen unddessen Produktion zum Teil oder ganz als soziale Phänomene erklären zu wol-

4 Gustons (2000) Darstellung dieser Situation ist zum Zweck seiner Argumentation etwas über-zeichnet. Der alte Sozialvertrag für die Wissenschaft war weniger eindeutig und unbestritten,wie Shapin (2008) ausführlich zeigen kann.

5 Früheste Beispiele davon stammen aus dem US-amerikanischen Kontext mit dem Office ofResearch Integrity (entstanden aus den Vorläufern Office of Scientific Integrity und Office ofScientific Integrity Review) und dem Office of Technology Transfer. In der Folge haben sichin zahlreichen nationalen Kontexten ähnliche Organisationen herausgebildet.

6 Siehe auch Kapitel 6.

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len.7 Uneinigkeit besteht aber u.a. darüber, in welchem Mass wissenschaftlichesWissen als etwas Soziales zu verstehen sei. In dieser Frage lassen sich tendenziellzwei Parteien ausmachen. Die Wissenschaftsphilosophie vertritt dabei mehrheit-lich die Position, dass dem Sozialen nur eine beschränkte Erklärungskraft für wis-senschaftliches Wissen zukommt, während die Wissenschaftssoziologie eher zueiner vollständigen Soziologisierung wissenschaftlichen Wissens neigt.8 Zur ver-söhnenden Thematisierung und Überwindung dieser Dichotomie rational vs. sozialhat sich eine durch die Philosophie dominierte Debatte herausgebildet, die unterder Bezeichnung social epistemology läuft (Goldman 2006). Die soziale Organi-sation der Produktion und Etablierung von wissenschaftlichem Wissen spielt indieser Debatte eine gewichtige Rolle. Es ist nun naheliegend, Peer Review-Ver-fahren unter diesem Aspekt zu betrachten, da sich aus soziologisch empirischerPerspektive ein Beitrag zu der Frage leisten lässt, inwiefern die Produktion undEtablierung von Wissen innerhalb der Wissenschaft in Peer Review-Verfahren alsrational oder sozial charakterisierbar erscheinen. Die Debatte zur social epistemo-logy erfährt in dieser Arbeit deshalb eine doppelte Verwendung. Zuerst liefert sie,genau wie die beiden anderen erwähnten Bereiche, einen Teil des Hintergrunds,vor dem eine Beschäftigung mit dem Phänomen Peer Review sinnvoll erscheint.Darüber hinaus bietet sie aber auch die Möglichkeit, die Resultate dieser Studie indie Debatte zur sozialen Epistemologie zurückzuspielen. Zwei Prämissen, die derDebatte zur sozialen Epistemologie zugrunde liegen, sind verantwortlich für dieseEntscheidung. Diese sind der (methodologische) Individualismus und die norma-tive Orientierung, die von den meisten Akteuren in dieser Debatte geteilt werdenund die aus einer soziologischen Perspektive nicht automatisch geteilt werdenmüssen. Was die individualistischen Grundannahmen betrifft, so soll für diese Ar-beit erstmal offen gelassen werden können, inwiefern sich Peer Review-Verfahrenals Aggregation individueller Entscheidungen beschreiben lassen. Der explorativeCharakter diese Arbeit würde durch eine derartige Vorannahme geschwächt. Ge-wichtiger wiegt jedoch die normative Orientierung der Debatte zur sozialen Epis-temologie. Aus soziologischer Perspektive ist es zwingend notwendig, in einemersten Schritt aus der Empirie heraus zu beantworten, wie Entscheidungsprozesse

7 Der Wissenschaftsforschung eine einheitliche Perspektive zuschreiben zu wollen, ist aufgrundder internen Zersplitterung in Fragestellungen und Perspektiven problematisch (Abbott2001:60ff). Die Allgemeinheit der gewählten Formulierung deckt aber für den Zweck einerEinführung die Themen der Wissenschaftsforschung ab, wie sie bspw. von Felt et al.(1995:15ff) in ihrem Einführungstext behauptet werden.

8 Die Position der Wissenschaftsgeschichte ist in dieser Frage weniger eindeutig. Überhauptzeichnet sich das interdisziplinäre Feld der Wissenschaftsforschung dadurch aus, dass die dreiTeildisziplinen zu verschiedenen Fragen jeweils unterschiedliche Allianzen ausbilden. BrunoStrasser hat dies treffend, wenn auch ironisch, in einem Vortrag als eine „ménage-à-trois“geschildert. (Der Vortrag wurde am 8. Juli 2005 in Basel unter dem Titel „History, Philosophy,and Social Studies of Science: A Story of Love, Adultery, and Incest.“ anlässlich eines Sym-posiums der Swiss Association for the Studies of Science, Technology and Society gehalten.).

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über wissenschaftliches Wissen tatsächlich ablaufen. Erst dann ist eine Themati-sierung von Verbesserungsmöglichkeiten unter normativen Prämissen überhaupterst möglich. Wie die Darstellung der bestehenden Literatur zum Peer Review nochzeigen wird, ist dieser erste Schritt noch überhaupt nicht getan. Wie Entschei-dungsprozesse im Kontext von Peer Review-Verfahren in der Praxis ablaufen, istnoch weitgehend ungeklärt und aus diesem Grund gilt es, zuerst dieser Frage nach-zugehen.

Für den Gang der Argumentation ergibt sich hieraus eine Problematik in Bezugdarauf, wie eng die empirische Untersuchung von Peer Review Verfahren und dieArgumentation im Rahmen der Debatte zur sozialen Epistemologie gekoppelt wer-den können. Vor allem eine zu enge Kopplung birgt die Gefahr, dass die empirischeArbeit zu stark gelenkt wird. Dies erschwert es zum einen, eine gut fundierte undeigenständige Position innerhalb der Debatte einzunehmen, und zum anderen ver-hindert dies auch, dass die, in Anbetracht der dünnen Forschungslage zum PeerReview, dringend notwendige explorative Ausweitung der Perspektiven auf dasPhänomen gelingen kann. Dieser wichtigere zweite Punkte erklärt, weshalb dieDebatte zur sozialen Epistemologie nur an neuralgischen Punkten im Gang derArgumentation auftaucht, um der Empirie und der Grundlegung einer darauf ba-sierenden Position genügend Platz einzuräumen.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass diese Arbeit eine empirische Untersu-chung des Phänomens Peer Review in der Wissenschaft leisten will, um dessenBeitrag zur Produktion verlässlichen Wissens bestimmen zu können. Dies ge-schieht im Kontext der Debatte zur sozialen Epistemologie, so dass sich aus derempirischen Arbeit heraus ein theoretischer Beitrag leisten lässt. Da aus soziolo-gischer Perspektive kaum empirische Untersuchungen zum Peer Review vorliegen(Hirschauer 2004), gilt es dabei explorativ vorzugehen und aus dem empirischenMaterial mögliche Perspektiven auf das Phänomen herauszuarbeiten. Die Vorge-hensweise als Gesamtes wird deshalb nicht durch eine These, die es zu überprüfengilt, und auch nicht durch eine präzise Forschungsfrage bestimmt. Dagegen sinddie einzelnen Perspektivierungen, die den Hauptteil dieser Arbeit ausmachen wer-den, dann aber sehr wohl entweder als Hypothesenprüfung oder Beantwortung vonpräziseren Forschungsfragen angelegt. Die daraus erzielten Resultate werden dannzur Diskussion im Rahmen der Debatte zur sozialen Epistemologie genutzt, wobeivor allem das Organisieren und die Organisation von Wissensprozessen betontwerden sollen. Als Material dient dabei die interne Dokumentation des Peer Re-view-Verfahrens einer nationalen Forschungsförderungsorganisation. Es ist ge-lungen, zu diesem Zweck Zugang zum Archiv des Schweizerischen Nationalfonds(SNF) zu erhalten. Die Dokumente die im Verlaufe eines Jahres in den FächernBiologie und Medizin angefallen sind, bilden daraus das empirische Material.

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Gang der Argumentation

Der Gang der Argumentation und damit die übergreifende Struktur dieser Arbeitsollen folgendermassen aussehen: Kapitel 2 beginnt mit einem Sprung ins kalteWasser oder, im weniger übertragenen Sinn, mit einem Sprung direkt ins empiri-sche Material und ins Archiv des SNF. Eine detaillierte Schilderung des Peer Re-view-Verfahrens des SNF anhand konkreter Beispiele aus dem vorliegenden Ma-terial liefert den empirischen Ausgangspunkt. Wovon aufgrund der Literatur zumPeer Review ausgegangen werden kann, stellt dann Kapitel 3 dar. Es wird haupt-sächlich darum gehen, produktive Anknüpfungspunkte ausfindig zu machen, an-hand derer dann in Kapitel 4 die konkreten Forschungsfragen entwickelt werden.Die Kombination von Material, Methoden und Forschungsfragen münden dann inden Hauptteil dieser Arbeit, der aus drei verschiedenen Perspektivierungen auf dasPhänomen Peer Review besteht. Kapitel 5 versucht mit dem quantitativen Instru-mentarium, das in der bestehenden Literatur vorherrscht, eine Analyse, die dasMaterial und das Verfahren des SNF in den Kontext der Peer Review-Forschungstellt. Dabei stehen die Fragen im Zentrum, ob das Verfahren als reliabel, valid undfair gelten kann. Die zweite Perspektivierung und damit Kapitel 6 schliesst daranan und fragt danach, wie Reliabilität, Validität und Fairness als Produkte einerorganisationalen Struktur verstanden werden können. Damit wird ein erster Schrittgetan weg von der Fokussierung auf die Resultate des Verfahrens und hin auf dieProzesse, durch die jene Resultate erzeugt werden. Dieser Weg wird in Kapitel 7fortgesetzt, indem der Kern von Peer Review-Verfahren nämlich die wissenschaft-lichen Gutachten einer Inhaltsanalyse unterzogen werden. Die beiden vorange-gangenen Perspektivierungen bilden den Rahmen für diese Inhaltsanalyse und de-ren Ergebnisse sind dann auch in Abhängigkeit von den Resultaten der Inhalts-analyse nochmals zu überdenken. Als Abschluss geht es schliesslich in Kapitel 8darum zu diskutieren, inwiefern die erzielten Resultate einen Erkenntnisfortschrittdarstellen, der sich zum einen als Reformulation zentraler Prämissen dieser Arbeitbegreifen lässt und zum anderen als Beitrag zur Wissenschaftsforschung und zurDebatte zur sozialen Epistemologie.

Zu betonen ist, dass ein derartiger Argumentationsgang von einer explorativenForschungsabsicht getragen wird, die mindestens zwei Konsequenzen hat: Erstenslassen sich übergreifende Forschungsfragen nur in sehr allgemeiner Weise formu-lieren. Was lässt sich über wissenschaftliche Entscheidungsverfahren sagen, wennman anstelle einzelner Aspekte ein komplettes Begutachtungs- und Entscheidungs-verfahren untersucht und dabei das bestehende und beschränkte Methodenarsenalexplorativ ausweitet? Inwiefern lässt sich dieses Entscheidungsverfahren als ra-tional oder als sozial verstehen, wenn sich diese beiden Aspekte nicht gegenseitigausschliessen sollen? Welche Qualitäten und Qualitätskriterien lassen sich dem

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Verfahren jenseits der Dichotomie rational/sozial zuschreiben? Worin besteht derBeitrag des Peer Review zur Produktion verlässlichen Wissens? Zweitens ist damitdie Grundstruktur dieser Arbeit nicht als Test einer zentralen These angelegt. AlsGegengewicht zu diesem allgemein explorativen Charakter der Arbeit ist dann aberder Hauptteil in den drei Perspektivierungen viel stärker auf konkrete Forschungs-fragen ausgerichtet. Bevor aber dieses Programm in Angriff genommen werdenkann, soll ein kurzer Überblick über die Debatte zur sozialen Epistemologie sowieeinige begriffliche Klärungen vorangestellt werden.

Soziale Epistemologie

„A specter is haunting Science Studies, the specter of the Rational-Social Dicho-tomy“ (Kitcher 2002:549). Longino (2002) hatte die Debatte zur Social Epistemo-logy als den Versuch zur Überwindung der Dichotomie rational/sozial beschriebenund wurde dafür von Kitcher als Geisterjägerin polemisch attackiert. Es war derVersuch einer Versöhnung zwischen den Science and Technology Studies (STS)und der Wissenschaftsphilosophie, zu dem die Arbeiten von Kitcher – trotz seinerKritik an Longino – auch gezählt werden können. Das Strong Programme undandere hatten die etablierte Arbeitsteilung zwischen Wissenschaftsphilosophie undWissenschaftssoziologie, die Fragen der Rationalität und Theorieentwicklung derPhilosophie überantwortet und der Soziologie jene der Störung wissenschaftlicherRationalität und der Sozialstruktur, einseitig aufgekündigt (Bloor 1991; Mulkay1979). Die Antwort der Philosophie erfolgte im Rahmen der sozialen Epistemolo-gie in zwei Varianten.9

Die erste Variante, für die Kitcher und Longino exemplarisch stehen können,ging mit demselben normativen Selbstverständnis vor, das die Wissenschaftsphi-losophie auszeichnet. Die Frage nach der sozialen Ordnung wird dabei genau sowie die Frage nach der wissenschaftlichen Rationalität unter normativen Gesichts-punkten und nur mit punktuellem Kontakt zur Empirie beantwortet. Ebenso wiesich die Quellen gesicherter Erkenntnis philosophisch mit minimalem Bezug zurEmpirie diskutieren lassen, wird versucht, das Problem einer sozialen Ordnung,die gesicherte Erkenntnis ermöglichen soll, zu behandeln. Longino wählt dabei denWeg, dass sie sich kaum über die Sozialstruktur einer Wissensgemeinschaft äus-sert, sondern Normen postuliert, die eine solche zu erfüllen hat (Longino 2002:124–144). Kitcher hingegen äussert sich ausführlich über eine mögliche Sozialstruktur,die unter normativen Gesichtspunkten als optimal zu betrachten ist, und schlägt

9 Auch die sog. science wars könnten wohl als Antwort auf STS gelten, aber die Gehässigkeitund Selbstwidersprüchlichkeit mit der diese geführt wurden, weisen sie eher als massenme-dialen Skandal anstatt einer wissenschaftlichen Debatte aus (Hilgartner 1997).

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eine „well-ordered science“ vor, die primär auf demokratisch-partizipativen Prin-zipien aufgebaut ist (Kitcher 2001:117–136). Longino bemerkt zu Recht, dass essich in beiden Fällen nicht um eine soziologisierte, sondern lediglich um eine so-zialisierte Form der Epistemologie handelt (Longino 2002:124). Dabei zeigt sichauch eines der grundlegenden Missverständnisse zwischen Wissenschaftsphiloso-phen wie Kitcher und Longino und den meisten der STS Protagonisten. Das Pro-blem, dem sich Kitcher und Longino stellen, lautet, wie sich soziale und kognitiveAspekte von wissenschaftlicher Praxis integrieren lassen.10 Kitcher äussert sichgenau in diesem Punkt positiv über Longino: „For at the center of the book is aninsightful presentation of a way in which social and cognitive aspects of the practiceof the sciences might be integrated“ (Kitcher 2002:549). Im Gegensatz dazu gehendie STS davon aus, dass soziale und kognitive Aspekte in den wissenschaftlichenPraktiken schon erfolgreich integriert sind und es darum gehen muss, aus der Em-pirie heraus zu verstehen, wie aus diesen Praktiken Wissen entsteht. Erst im An-schluss an solche Arbeiten halten sie eine Diskussion über normative Fragestel-lungen für sinnvoll.

Für diese Variante von sozialer Epistemologie gilt also, dass sie sich zwar alsVersöhnungsprogramm ausweist, aber dabei unklar lässt, mit wem eine Versöh-nung stattfinden soll. Die Wissenschaftsforschung und die Wissenschaftssoziolo-gie können jedenfalls nicht gemeint sein, da sich Kitcher und Longino schon inihren Prämissen in direkter Opposition zu den STS aufstellen. Darüber hinaus giltfür diese Variante und vor allem für Kitcher, was auch im weiteren Verlauf derArbeit weiter zu diskutieren sein wird: Das Problem nichtintendierter Nebenfolgenist hartnäckiger als von den Meisten vermutet.

In einer zweiten Variante der Antwort auf STS wird die Frage diskutiert, wiedie Trägerschaft von Wissen zu konzeptualisieren ist. Dabei scheint klar, dass In-

10 Goldman (2006) unterteilt die Debatte in klassische und anti-klassische Positionen, wobei erKitcher der ersten und Longino der zweiten zuordnet. Goldman, der sich selbst auch alsklassischen Epistemologen betrachtet, schafft hier eine Unterscheidung, die alles als klas-sisch bezeichnet, was an der Frage nach dem epistemischen Ziel wahrer oder gerechtfertigterMeinung ausgerichtet ist. Die anti-klassischen Positionen stellen dann eine Restkategoriedar, in die von Longino und Richard Rorty bis David Bloor, Steve Woolgar und Bruno Latouralles eingeordnet wird, was den engen disziplinären Prämissen der klassischen Epistemologienicht entspricht. In gewisser Weise werden dadurch die Differenzen zwischen Wissen-schaftsphilosophie und STS begrifflich reifiziert und ein Versöhnungsprojekt von vornewegerschwert. Diese Unterscheidung soll deshalb hier bewusst ignoriert werden.Ziel dieser Ignoranz ist, die Unterscheidung von Goldman zu unterwandern, da mit der Un-terscheidung in klassiche und nicht-klassische Epistemologie auch ein doppeltes Spiel ge-spielt wird, indem möglichst viele Positionen unter der Rubrik soziale Epistemologie geführtwerden können, aber ein grosser Teil davon durch Goldman und die klassischen Epistemo-logen nicht ernst genommen werden muss. In gewisser Weise deckt sich diese Strategie mitderjenigen von Kusch (2011), wobei dieser überblicksartig und theoretisch eine ganze Reihevon alternativen Positionen stark macht, während hier fallbezogen und empirisch gezeigtwerden soll, dass Goldmans eng gesetzte Prämissen nicht haltbar sind.

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dividuen nicht mehr als alleinige Träger von Wissen verstanden werden können,sondern dass auch Kollektiven Wissen zugeschrieben werden muss. Exemplarischfür diesen Diskussionsstrang können die Beiträge zu einer Spezialausgabe derZeitschrift Social Epistemology mit dem Titel „Collective Knowledge and Collec-tive Knowers“ (21:3, 2007) gelten. Aus diesen wird ersichtlich, dass mit der kol-lektiven Trägerschaft von Wissen auch die Frage zentral geworden ist, wie dasKollektive oder das Soziale in Abgrenzung zum Individuellen überhaupt zu kon-zeptionalisieren sei. Man würde vermuten, dass es sich dabei anbietet, auf das Vo-kabular der Soziologie zurückzugreifen, und liegt damit nicht wirklich falsch.Wenn die Autoren nicht in abstrakter Weise vom Sozialen oder vom Kollektivsprechen, so verwenden sie beinahe ausschliesslich den Begriff der Gruppe11 undbei diesem handelt es sich bekanntermassen um einen soziologischen Grundbegriff.Obwohl dies einer Verständigung zwischen Soziologie und Philosophie prinzipielldienlich sein könnte, werden mit dieser Begriffswahl aus der Sicht der Soziologiemehr Verständnisprobleme geschaffen als gelöst.12

Erstens eignet sich der Begriff der Gruppe schlecht, um Erkenntnisse aus derSoziologie abgreifen zu können, da er auf Grund seiner Allgemeinheit in der So-ziologie stark ausdifferenziert13 und für zahlreiche Fragestellungen durch andereBegriffe abgelöst wurde. Zweitens beschreibt der Begriff der Gruppe die vorfind-baren Sozialstrukturen wissenschaftlicher Wissensproduktion mindestens einsei-tig, wenn nicht sogar schlicht falsch. Illustrieren lässt sich dieser Einwand auch ander vorliegenden Untersuchung zum Peer Review des SNF. Geht man davon aus,dass Peer Review ein integraler Bestandteil wissenschaftlicher Wissensproduktion

11 Dies ist schon nur aus einigen der Beitragstiteln klar ersichtlich: „On the Possibility of GroupKnowledge without Belief“ (Hakli 2007), „Group Testimony“ (Tollefsen 2007), „EvidentialCollaborations: Epistemic and Pragmatic Considerations in 'Group Belief'„ (Staley 2007).Aber auch ein Workshop an der Universität Basel im Oktober 2008 mit einigen der Prota-gonisten aus dieser Debatte hat davon ein beredtes Zeugnis abgelegt. Eine Reihe der Beiträgeaus diesem Workshop finden sich bei Schmid, Sirtes & Weber (2011).

12 Aussagen über die Verwendung eines Begriffs in einer von wenig Einheit geprägten Disziplinwie der Soziologie tätigen zu wollen, ist grundsätzlich problematisch. Trotzdem lassen sichin der Soziologie einige Grundbegriffe ausmachen, die eine disziplinenweite Verwendungfinden und deren Definitionen in den groben Zügen wenig kontrovers sind. Für den Begriffder sozialen Gruppe wurde für diesen Abschnitt hauptsächlich auf folgende Texte zurück-gegriffen: Homans (1950), Schäfers (1999), Hillmann (1994:310f). Schäfers (1999:16) äus-sert bspw. die Ansicht, dass es sich bei der sozialen Gruppe um eine Vorbedingung desSozialen und nicht um das Soziale an sich handelt.

13 In der Soziologie lässt sich der Gruppenbegriff kaum noch verwenden, ohne dass er anhandvon zahlreichen Unterscheidungen weiter ausgeführt werden muss. Einige dieser Unter-scheidungen sind: Klein- / Grossgruppe, Primär- / Sekundärgruppe, formale / informaleGruppe, Eigen- / Fremd- / Peer-Gruppe, etc. Es kommt hinzu, dass sich neben dem Begriffder Gruppe eine Vielzahl von anderen spezifischen Begriffen etabliert hat, mit denen sozialeKollektive bezeichnet und unterschieden werden können: Organisation, Gemeinschaft, Klas-se, Netzwerk, System, Institution, Betrieb, Gesellschaft, Staat, Figuration etc. Einseitig aufden Begriff der Gruppe zurückgreifen zu wollen, erscheint dabei eher willkürlich.

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darstellt, so wird sich zeigen, dass die soziale Struktur eines solchen Entschei-dungsverfahrens im Widerspruch steht zu gängigen soziologischen Definitionendes Gruppenbegriffs. Diesen entsprechend, bestehen Gruppen aus einer überschau-baren Anzahl Mitgliedern (~<25), unter denen unmittelbare Beziehungen und In-teraktionen möglich sind. Schon diese einfachen Grundvoraussetzungen erfülltweder der SNF noch die in den verschiedenen Disziplinen stattfindende Forschung.Am ehesten würde noch eine lokale Forschergruppe dieser Minimaldefinition ent-sprechen. Aus der Sicht der Soziologie würde also die Beschränkung auf den Be-griff der Gruppe die Prämisse einschliessen, dass die alleinigen Produzenten undTräger wissenschaftlichen Wissens lokale Forschergruppen sein können. Es istkaum anzunehmen, dass diese Prämisse für die meisten Protagonisten in der SocialEpistemology-Debatte als akzeptabel erscheint. Auch Goldman kommt zu einemähnlichen Schluss: „It seems clear that if social epistemology is to invoke groupbelief and group knowledge, it should be prepared to deal with many types of groupsor collectivities and many conceptions of group belief and knowledge. One sizewill not fit all“ (Goldman 2006).

Es ergeben sich also zwei grundsätzliche Fragen im Rahmen der Debatte zursozialen Epistemologie, die für die weitere Argumentation von Bedeutung seinwerden: Wie lässt sich die Trägerschaft von Wissen sowie das Verhältnis von nor-mativen und deskriptiven Zugängen konzeptualisieren? Diese Fragen müssen bisKapitel 4 zurückgestellt werden, um der Vorbereitung der Empirie und einigenbegrifflichen Präzisierungen Platz zu schaffen.

Begrifflichkeiten

Es wurde schon angedeutet, dass eine Definition des Begriffs Peer Review in deroben dargestellten Form nicht unkommentiert stehen gelassen werden kann. Zumeinen ist anzufügen, dass die gewählte Formulierung eine sehr breite und inklusiveDefinition darstellt. Dies ist dadurch gerechtfertigt, dass im wissenschaftlichenAlltag sehr verschiedene Formen der wissenschaftlichen Begutachtung als PeerReview bezeichnet werden. Eine ähnlich breite Begriffsverwendung findet sichauch in der Forschungsliteratur zum Peer Review, wie Kapitel 3 noch zeigen wird.Dies heisst aber wiederum nicht, dass in einzelnen lokalen disziplinären Kontextennicht höchst exklusive Definitionen von Peer Review Verwendung finden würden.So kann es sein, dass nur von Peer Review gesprochen wird, wenn es sich um dieBegutachtung von Zeitschriftenartikeln handelt und wenn mindestens zwei oderdrei externe Gutachter verwendet werden. Dem explorativen Charakter dieser Ar-beit folgend, ist es aber notwendig, solche stark einschränkende Definitionen so-wohl der wissenschaftlichen Alltagssprache als auch der Peer Review-Forschung

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zurückzuweisen, um erst mal herleiten zu können, worin das Phänomen Peer Re-view besteht. Es kann vorweg genommen werden, dass sich im Verlaufe dieserHerleitung eine Verengung der Definition anbieten wird, die Peer Review haupt-sächlich als Organisation verstehen will.

Zum anderen ist auch anzufügen, dass Peer Review als Begriff aus dem Engli-schen nicht in allen Sprachen Verwendung findet. Im Französischen wird es über-setzt als „l'évaluation par les pairs“, im Spanischen als „revisión por pares“ und„revisione paritaria“ im Italienischen. Bezeichnet wird damit aber in allen Sprachendas gleiche Verfahren. Es gilt auch zu erwähnen, dass es Verfahren der Qualitäts-sicherung ausserhalb des wissenschaftlichen Kontextes gibt, die als Peer Reviewbezeichnet werden. So führen bspw. Wirtschaftsprüfungsunternehmen Peer Re-views von Projekten oder Unternehmen durch, die eine gewisse strukturelle Ähn-lichkeit mit den gleichlautenden Verfahren in der Wissenschaft haben. Dies wirdes im Verlaufe der Arbeit auch erlauben, einen Vergleich wissenschaftlicher Be-gutachtungsverfahren und solchen aus der Wirtschaft, genauer aus der Kreditver-gabe, anzustellen.

Aufgrund des empirischen Materials für diese Arbeit bezeichnet Peer Reviewnatürlich häufig das Begutachtungsverfahren in der Forschungsförderung. WennAussagen zum Peer Review getätigt werden, die über diesen Rahmen hinaus ver-weisen, indem sie auf Peer Review als generelles Phänomen der wissenschaftlichenBegutachtung abstellen, dann wird dies in aller Regel auch explizit erwähnt. Einemmöglichen Missverständnis gilt es in diesem Zusammenhang aber noch vorzubeu-gen. In der Forschungsförderung werden die zur Begutachtung eingereichten Pro-jekte häufig entweder als Gesuch oder als Antrag bezeichnet, wobei diese beidenBegriffe meist austauschbar sind. Aufgrund einer Sprachregelung im SNF wird indieser Arbeit konsequent zwischen Gesuch und Antrag unterschieden. Gesuch be-zeichnet immer das zur Begutachtung eingereichte Projekt. Mit Antrag wird eininternes Dokument aus dem Begutachtungsverfahren des SNF bezeichnet, das vomReferenten zur Entscheidungsfindung verfasst wird. Mit dem nun folgenden Ka-pitel zum Quellenmaterial dieser Arbeit werden auch die Unterschiede dieser bei-den Dokumente offengelegt und es wird deutlich werden, wie das Begutachtungs-verfahren des SNF als eine Instanz von Peer Review abläuft.

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