SPRACHWANDEL UND SPRACHGESCHICHTS … · Umstrukturierung des indogermanischen bzw. germanischen...

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SPRACHWANDEL UND SPRACHGESCHICHTS- SCHREIBUNG Jahrbuch 1976 des Instituts für deutsche Sprache PÄDAGOGISCHER VERLAG SCHWANN DÜSSELDORF

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SPRACHWANDEL UND SPRACHGESCHICHTS­

SCHREIBUNGJahrbuch 1976

des Institu ts für deutsche Sprache

P Ä D A G O G IS C H E R V E R L A G S C H W A N N D Ü S S E L D O R F

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© 1977 Pädagogischer Verlag Schwann Düsseldorf Alle Rechte Vorbehalten • 1. Auflage 1977

Umschlaggestaltung Paul Effert Herstellung Lengericher Handelsdruckerei Lengerich (Westf.)

ISBN 3-590-15641-4

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IN H A L T

Johannes Erben (In n sb ru ck ): Sprachgeschichte als System ­geschichte

Theo Vennem ann (M ünchen): Beiträge der neueren L inguistik zur Sprachgeschichtsschreibung

Lau rits Sa ltve it (O slo): M undartenkunde und Sprachgeschichte

D ie te r Cherub im (B raunschw eig): S p rach theore tische P ositionen und das P roblem des Sprachw andels

W lad im ir A d m o n i (L eningrad): Die H aup tarten des W andels im gram m atischen System der deu tschen S chriftsprache

Eis Oksaar (H am burg): Zum P rozeß des Sprachw andels: D im en­sionen sozialer un d linguistischer V ariation

Karl-H e in z Bausch (M annheim ): S prachvariation und S prach­w andel in der Synchronie

Uwe Pörksen (F reiburg): Einige A spekte e iner G esch ich te der N aturw issenschaftssprache und ih rer Einflüsse au f die G em einsprache

Friedhe lm Debus (K iel): Soziale V eränderungen und S prach­w andel. M oden im G ebrauch von Personennam en

R o lf Caspari (F re iburg ): B eobachtungen zur T hem atisierung der K om m un ikation in deu tschen S trafp rozeßo rdnungen des 19. und 20. Jah rh u n d erts

H. Bach (A arhus): S prachw andel un d In terferenz , ö ffe n tlic h e r V ortrag

Günter Be llm ann (M ainz): S law isch-deutsche M ehrsprachig­keit und Sprachw andel

E m il Skala (Prag): D er deutsch-tschechische Bilinguism us

K a rl M o lla y (B udapest): D eutsch-ungarische Sprach ko n tak te

Gustav Ko rl£n (S to ck h o lm ): N iederdeutsch-schw edische L ehnbeziehungen

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Jan G oossens (M ünster): Zur vergleichenden Phonologie des D eutschen und des N iederländischen

Johann K nobloch (B onn): D onnerhall und W iderhall von Schlagw ort und Schlagzeile

Ludwig Jäger (D üsseldorf): E rkenn tn is theo re tische G rund­fragen der Sprachgeschichtsschreibung. T hesen

Leopold A uburger (M annheim ): B ericht der A rbeitsstelle für M ehrsprachigkeit (AMS) 1976 zu r S itua tion der M ehr­sprachigkeitsforschung und in terlingualen Soziolinguistik

H ans-M artin G auger (F reiburg): B ericht über das P ro jek t einer D eutsch-Spanischen K ontrastiven G ram m atik

Wolfgang M entrup (M annheim ): Ü ber ein geplantes neues W örterbuch der deu tschen G egenw artssprache

Das In s titu t für deu tsche Sprache im Jah re 1976

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JO H A N N ES ERBEN

Sprachgeschichte als Systemgeschichte

Frühjahrstagungen des In s titu ts für deu tsche Sprache bew irken n ich t selten einen heilsam en Zwang, zu ak tuellen Fragen Stellung zu nehm en, selbst dann, w enn dies angesichts des E ntw ick lungsstandes unserer Wis­senschaft n u r vorläufig und gew isserm aßen im V orgriff m öglich sein kann. Dies gilt auch für m einen V ersuch über ‘Sprachgeschichte als System ge­sch ich te’, w elchen ich au f E rsuchen des H errn P räsiden ten , d e r hierzu vielleicht besser selbst als V erfasser einer b ek ann ten “ S prachgesch ich te” das W ort sachkundig ergriffen h ä tte , nun zu u n te rn eh m en habe. Vom “ S p r a c h s y s t e m ” h a t m an auch v o r F erd inand de Saussure schon gesp rochen; vor allem W ilhelm von H um bo ld t ist hier zu nennen: “M an kann die Sprache m it einem ungeheuren G ew ebe vergleichen, in dem jeder Teil m it dem andren und alle m it dem G anzen in m ehr oder w eniger deu tlich erkennbarem Z usam m enhange stehen . D er M ensch be­rührt im Sprechen ...im m er n u r einen abgesonderten Teil dieses Gewebes, tu t dies aber in stink tartig im m er dergestalt, als w ären ihm zugleich alle, m it w elchen jen e r einzelne no tw endig in Ü bereinstim m ung stehen m uß, im gleichen A ugenblick gegenw ärtig” , d .h . der S precher habe “ ein in­stink tartiges Vorgefühl des ganzen S ystem s” , so H um bo ld t in den 30er Jah ren des 19. Jah rh u n d e rts — zu einer Zeit als auch der junge Indoger­m anist A .F . P o tt zu seinen ‘E tym ologischen F o rschungen’ (1833 ) erk lärt: “ N atürlich, Sprache ist ein B ezeichnungssystem ; was w äre aber ein Sy­stem ohne W echselbedingtheit”?2 L etztlich ist die V orstellung der Spra­che als eines w ohlgegliederten , zusam m enhängenden G anzen natürlich schon im Begriff “ S prache” selbst angelegt. Sobald m an über die Ä uße­rungen einzelner Sprecher hinaus greift, von diesen E inzelreden die “ S p r a c h e ” als besondere G röße abzuheben beg inn t und von der deu tschen , englischen o d er irgendeiner anderen Sprache sprich t, w ird im G runde eine G anzheit eigener A rt und S tru k tu r angenom m en und als selbst­verständliche T atsache h ingestellt. Wer darüber hinaus vom “ S y s t e m der S prache” sprich t, b e to n t nu r stärker noch den g eo rdne ten Z usam m en­hang, und er fo rd ert m it dieser L eitidee eine B eachtung der system haften Zusam m enhänge durch die Sprachw issenschaft. A ngesichts d ieser einleuch­tenden F orderung ist es uns in den le tz ten Jah rzeh n ten beinahe selbstver­s tändlich gew orden, n ich t m eh r einzelne L aute , F lex ionsfo rm en oder W ör­te r “ a tom is tisch” für sich zu un te rsuchen — ohne B eachtung des V erhält­nisses zu sprachlichen E inheiten gleicher oder ähnlicher A rt. Schon J. G rim m

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h a tte ja m it seiner B eschreibung der germ anischen und hochdeu tschen Lautverschiebungen einen frühen Beweis für die N ützlichkeit system haf- te r B etrach tung gegeben, w enngleich zur Erhellung dieser re ihenhaften U m struk tu rierung des indogerm anischen bzw. germ anischen K onsonan­tensystem s noch sehr viel Scharfsinn neuerer Forscher aufgew endet w or­den ist. 3 M acht m an m it der S ystem betrach tung der Sprache ernst, so d rohen freilich andere N achteile: n ich t m eh r der V ereinzelung sprach­licher E lem en te gegenüber gleichrangigen, sondern der künstlichen Isolie­rung einzelner Bereiche, etw a des L autsystem s oder des F orm ensystem s von allen übrigen (S yn tax , Sem antik) und — dam it zusam m enhängend — die Isolierung vom sprechsituationellen K o n tex t, wo all diese au f K oope­ra tion angelegten M ittel Zusam m enw irken und das ausm achen, was m an die “ s o z i a 1 e W irklichkeit” der Sprache nenn t. So ist die sog. “ S y ­s t e m - L i n g u i s t i k ” etw as in V erruf geraten , bevor sie noch G ele­genheit gehab t hat, ih ren N utzen für die sprachw issenschaftliche Praxis voll zu erw eisen, was freilich m ehr oder w eniger das Schicksal aller in rascher Folge p rok lam ierten L inguistiken zu sein scheint — im U nterschied etw a noch zu den sog. “ Jungg ram m atikern” der G enera tion von H. Paul. A m ehesten ist der System gedanke noch bei der E rforschung der L a u t ­s y s t e m e , also im Bereiche der Phonologie, fru ch tb a r gem acht w o rd en 4 , wo die A nzahl sprachlicher E inheiten sow ie der sie un terscheidenden M erk­male einigerm aßen begrenzt und überschaubar ist. D enn, um noch einm al W ilhelm von H um bo ld t zu zitieren , “ in der Sprache en tscheidet ... n ich t gerade der R e ich tum an L auten , es kom m t vielm ehr im G egenteil auf keusche B eschränkung au f die der R ede no tw endigen L aute und au f das richtige G leichgew icht zw ischen denselben a n ”.5 S törung und m ögliche W iederherstellung des G leichgew ichts k o n n ten o ffenbar im “ L au tsy stem ” am besten b eo b ach te t w erden , w o — anders als e tw a im lexikalischen Be­reich — “ein h oher Grad von K ohäsion”6 zw ischen den relativ w enigen E inheiten zu bestehen schein t, sodaß jede qualita tive oder q u an tita tive Ä nderung an einer S telle sich u n m itte lb a r au f das G anze ändernd ausw irkt. Wenn dies zu tr iff t — wir lassen S treitfragen einm al beiseite, z.B. ob der Zusam m enfall zw eier Phonem e, deren O pposition fun k tio n e ll wenig be­laste t ist, schon zum stö renden U ngleichgew icht des L autsystem s führen kann — w enn dies alles zu tr iff t, so ist ein solches, sprecherunabhängiges Sym m etriestreben eines idealen System s7 jedenfalls noch n ich t für alle anderen B ereiche der Sprache erw iesen, was zu beach ten und eher als posi­tiv zu w erten ist. D enn w ürde Sprachgeschichte als System geschichte so dargestellt, dann ergäbe dies ein ebenso einfaches wie einseitiges Bild; und man frag t sich, ob m an m it einem H istoriker zu frieden w äre, in dessen Welt- oder L andesgeschichte nu r davon die R ede w äre, w ie bestim m te K räfte ein G leichgew icht stö ren , das andere m ühsam aufgebaut haben

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und — system im m anen ten A ttrak tio n en oder Pressionen folgend — w ieder­herstellen. Will m an diese m echanistische und unergiebige S ich t der Ge­schichte verm eiden, so gilt es für den Sprachw issenschaftler o ffenbar, einen angem essenen, d .h . n ich t zu starren und n ich t zu sim plen System begriff anzuw enden und b ew uß t zu halten , daß “S ystem ” n u r ein H ilfsbegriff oder E rklärungsprinzip der w issenschaftlichen B eschreibung, n ich t das F orschungsobjek t selbst ist, w enngleich sicher w eitgehende E inigkeit dar­über b esteh t, daß d ie Sprache kein K onglom erat ungeo rdneter, beziehungs­los iso lierter E inzelteile, sondern etw as ist, das S tru k tu r h a t und auf G rund erkennbarer R egu laritä ten system atisch-w issenschaftlicher B eschreibung zugänglich ist. Die A ufgabe kann jed o ch n ich t e infach lau ten , d a s S y ­s t e m der Sprache und seine V eränderung zu beschreiben , sondern : zu prüfen, w i e w e i t Sprache als fu n k tion ie rendes “ S y s t e m ” oder als “ System von S ystem en” ( “ P olysystem ” ) beschreibbar ist u n d en tsp re­chend ihre V eränderung als “ S y s t e m g e s c h i c h t e ” bzw . als s tru k ­tu relle E ntw ick lung in R ich tung einer größeren “ S y s t e m h a f t i g - k e i t ” — im Sinne Coserius also eine “ S ystem atisierung”® zur E rhöhung der Funk tionsfäh igkeit.

O hne die g roßartigen V ersuche bisheriger S prachgeschichtsschreibung herabw ürdigen zu w ollen, ist festzustellen , daß die angedeu te ten A ufgaben zw ar gestellt, aber noch kaum bew ältig t sind. D ies ist sicherlich n ich t so sehr eine Folge der zeitw eilig d om inan ten geschichtsfeind lichen S tröm ung in der Sprachw issenschaft, die so lcher P rob lem atik w ertvolle K räfte en t­zogen hat, sondern eher noch eine A usw irkung von Schw ierigkeiten, die im Forschungsobjek t selbst begründet sind. Eine zu reichende w issenschaft­liche G esam tbeschreibung einer Sprache als System ist, wie Sie wissen, n ich t einm al im bevorzugten Bereich synchronischer D arstellung der Ge­genw artssprache geglückt, w o uns außer einer Fülle von T ex ten und In fo r­m an ten auch das K orrektiv der eigenen “ S p rach k o m p e ten z” sow ie des eigenen Sprachbew ußtseins zur Verfügung stehen. Je w eite r w ir aber in die V ergangenheit zurückgehen, um so schw ieriger w ird es, aus den zuneh­m end fragm entarischen Q uellen und den w enigen m etasp rach lichen Ä uße­rungen ein system atisch abgerundetes Bild der Sprache und ih rer W irkungs­m öglichkeiten — auch solcher, die n icht au f der sch riftsprach lichen Ebene liegen und in der schriftlichen Ü berlieferung nur ind irek t faß b ar sind — zu gew innen, ganz zu schw eigen von den Schw ierigkeiten der R ek o n stru k tio n vor-literarischer Sprachzustände. Wir befinden uns hier in der prinzipiell gleichen Lage wie jeder H istoriker, dessen schwieriges G eschäft W ilhelm von H um bold t einm al fo lgenderm aßen um schrieben h a t: “Die A ufgabe des G eschichtsschreibers ist die D arstellung des G eschehenen. Je reiner und vollständiger ihm diese gelingt, desto vo llkom m ener h a t er jene gelöst...

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Das G eschehene aber ist nu r zum Theil in der S innenw elt sich tbar, das Uebrige m uß hinzu em pfunden , geschlossen, e rra then w erden. Was davon erscheint, ist zerstreu t, abgerissen, vereinzelt; was dies S tückw erk verbin­de t, das E inzelne in sein w ahres L icht stellt, dem G anzen G estalt giebt, b leib t der unm itte lbaren B eobachtung en trü ck t” ; “ daher sind die Thatsa- chen der G eschichte...w enig m ehr, als d ie R esu lta te der U eberlieferung und Forschung, die m an übereingekom m en ist, für w ahr anzunehm en , weil sie am m eisten w ahrscheinlich in sich, auch am besten in den Zusam m en­hang des G anzen passen”.9 In der h istorischen Sprachw issenschaft ergeht es uns n ich t besser. Was uns dabei besonders zu schaffen m ach t, ist die “ G ram m atik des U n b e 1 e g t e n ”. 10 Die Frage, ob eine sprachliche Form nur zufällig unbeleg t ist, oder ob sie ü b erhaup t zur dam aligen Zeit unüblich war, b ed arf jew eils sorgfältiger Prüfung. E inerseits d a rf m an “ sprachlichen T i e f s e e b e w o h n e r n ” 11, die zufälligerw eise oder auf G rund des einseitigen C harak ters unserer literarischen Ü berlieferung n ich t früher an der O berfläche unserer T ex te erscheinen, n ich t le ich tfer­tig jedw ede frühere E xistenz absprechen — m an denke z.B. an die P rono­m inalform en des D u a 1 s , die in den a lthochdeu tschen Q uellen so gu t wie ganz feh len , ebenso bei den klassischen m itte lh o ch d eu tsch en A u to ren , dann aber — Ende 13./A nfang 14. Jh . — im ‘F ü rs ten b u ch ’ des W ieners Jans Enikel sowie in der R eim chronik des S teirers O tto k a r w ieder au ftau ­chen und wie in den heutigen bairischen M undarten — n ich t m ehr dualisch, sondern pluralisch — gebrauch t w erden . 12 A ndererseits m uß m an sich vor einer “ Ü b e r s y s t e m a t i s i e r u n g ” hüten , insbesondere vor der “ V olls tänd igkeitssuch t” , die — ohne R ücksicht au f den w irklichen Sprach­gebrauch (die N orm der N utzung system gebo tener M öglichkeiten) — pe­dantisch lückenlose Paradigm en aufste llt und z .B ., w ie der G räzist H. F ränkel angeprangert hat, “ in unsern griechischen und latein ischen L ehrbüchern die Paradigm en für säm tliche A rten von S ubstan tiven in allen G enera und N um eri d u rch die E inschaltung von angeblichen V o k a t i v fo rm en kom ­p le ttie r t” , “ s ta tt eine w ahrheitsgem äße Festste llung zu bringen: Für Per­sonennam en, und für den Singular von einigen A ppellativen, d ie gern zur A nrede b e n u tz t w erd en ...h a t m an in bescheidenem U m fang eigne V okativ­fo rm en geschaffen”.13 D er Sprache sei “ an einer gleichm äßigen V erteilung ih rer G aben über alle Bezirke m öglicher W irklichkeit h in , au f kategorialer Basis, n ich ts gelegen; sie ist parteiisch , weil sie p rak tisch sein will und is t”. 14 Was gem essen an einem Idealsystem m angelhaft oder unausgew ogen zu sein schein t, kann kom m unikativen B edürfnissen durchaus en tsp rechen 15, die m an bei der B eschreibung der Sprache und ih rer gesch ich tlichen V erände­rungen n ich t außer A ch t lassen darf, w enn m an grobe Fehleinschätzungen der Sprachw irk lichkeit verm eiden und n ich t einem sterilen Paradigm en­denken verfallen will. Wie kann m an sich vor solchen G efahren m e t h o -

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d i s c h absichern? Z unächst, indem m an die A ufgabe w ieder sehr ernst n im m t, ein zureichendes, m öglichst vielseitiges T e x t - K o r p u s als F undam en t aller datengegründeten U rteilsbildung zu schaffen ; und zwei­tens, indem m an diese verfügbaren Q uellen k r i t i s c h n u tz t. D azu ge­h ö rt die tex tk ritisch e Prüfung der Ü berlieferung im p h i l o l o g i s c h e n S inne ebenso wie die t e x t l i n g u i s t i s c h e K lärung der T ex ta r t und speziellen T e x tfu n k tio n , so daß G attungsnorm en , stilistische In ten tio n en und soziokultu relle B edingtheit (etw a eines Ü bersetzungstextes) in R ech­nung gestellt w erden können . A uf eine leichtfertige E rgänzung “ feh lender” D aten aus unserer K enntnis anderer S prachzustände o d e r verw andter Spra­chen ist tu n lich s t zu verzichten, sta ttdessen zu prüfen, w ie w eit in einem bestim m ten F unk tionsbere ich des U nbelegten andere sprachliche M ittel als T räger einer ähnlichen F u n k tio n zu beobach ten s in d 16, und selbstver­ständ lich auch, ob “das Gefüge von funk tioneilen (d istink tiven) O pposi­tio n e n ” 17, die sich in den un te rsu ch ten S prachdenkm älern eines bestim m ­ten Z eitraum es festste llen lassen, überhaup t schon die stru k tu re lle M öglich­keit der b e tre ffenden F u n k tio n en th ä lt, d .h . ob im sich abzeichnenden System der dam aligen A usdrucksm öglichkeiten ein en tsp rechendes reali­sierbares M uster schon gegeben w ar — als “ instrum en ta le K onven tion”18 zum indest einer bestim m ten w ortführenden G ruppe m it e rh ö h ten A us­drucksbedürfnissen und w eitestem K om m unikationsrad ius. Da m an im sprachlichen Leben n ich t m it der ewigen W iederkehr des G leichen rech­nen, sondern eine lebende Sprache als “ ständig sich verbesserndes P r o ­v i s o r i u m ”19 ansehen darf, m uß m an natürlich bei jed e r K orpusana­lyse der “ D ialek tik zw ischen V a r i a n t e und R e g e l ”20 besondere A ufm erksam keit w idm en. In V arianten können sich T endenzen zu einer e in facheren oder deu tlicheren S p rach stru k tu r abzeichnen, A nsätze zu einer g rößeren S ystem haftigkeit und R egelm äßigkeit (z.B. d u rch A npassung kleiner S ondergruppen an große F lexionsklassen, T endenz zur Beseitigung der H eteroklisie oder auch H eteronym ie, e tw a s ta tt der ahd . O pposition hun t-zöha m hd. h u n t-hund inne), andererseits auch vielleicht A nsätze zur V erm ehrung der d is tink tiven M öglichkeiten (etw a d u rch F unktionalisierung lau tlicher bzw . sem antischer V arian ten), w obei n ich t nur schon sprachüb­liche K ategorien deu tlicher und re ihenhaft gleichbleibend ( “ iso-m orph” ) ausgeprägt w erden (z.B . die U nterscheidung zw ischen Singular und Plural), sondern auch neue (z.B. das F u tu r) zu stru k tu rie ren versucht w erden. Hier vor allem , in der individuellen A nw endung d e r Sprache, die teilw eise über die G renzen des bisher R ealisierten hinausgehen kann, f in d e t sich das, was w ir m it E. Coseriu das “ S y s t e m in B e w e g u n g ” oder “ s y s t e ­m a t i s c h e s W e r d e n der S prache”21 nennen können . Zu erfassen und darzustellen ist dies natürlich n ich t im globalen Z ugriff — etw a in der A rt einer G esam taufnahm e des sprachlichen Panoram as —, sondern im ge­

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nauen A ufarbeiten einzelner Bereiche. Die A uffassung, daß die Sprache eher ein “ P o lysystem ” als ein einziges System sei, kann sich hier als nütz­liche A rbeitshypo these erw eisen. O ffensich tlich g ib t es ja so etw as wie “ kooperierende T e i l s y s t e m e ” , o der sagen w ir zunächst vorsichtiger: G ruppen sprachlicher Zeichen, die jew eils u n te re inander enger zusam m en­gehören, w eil sie ähnliche M erkm ale und ähnliche A ufgaben haben. Sie m it dem Zw eck genauerer A nalyse in p a r a d i g m a t i s c h e r und s y n - t a g m a t i s c h - k o m m u n i k a t i v e r H insicht zunächst vorläufig für sich zu un tersuchen , ist theo re tisch gerech tfe rtig t und aus p rak tischen G ründen notw endig . Das gilt für das sog. “ V o k a l - S y s t e m ” 22, w el­ches die silbengipfelb ildenden “ K ernphonem e” u m faß t, ebenso wie z.B. für das “ s e m a n t i s c h e S ystem ” der sog. “ M o d a l v e r b e n ” 23, die im Zusam m enspiel m it “M odaladverb ien” eine w ichtige Ergänzung des verbalen “ M odussystem s” bilden. A bgrenzungsfragen w erden natürlich, besonders auch bei der A ufstellung lexikalischer Paradigm en, zu schaffen m achen, doch sollte m an sie angesichts der V orläufigkeit einer nu r zeit­weiligen Isolierung solcher Teilsystem e n ich t überbew erten . E ntscheidend ist, daß es gelingt, für den jew eiligen K e r n b e s t a n d besonders eng zusam m engehöriger Zeichen d ie w esen tlichen M erkm ale zu e rm itte ln , welche die Ä hnlichkeit sowie abgestu fte V ersch iedenheit ausm achen und die R egularitä ten der A nw endung bedingen. Als “ p eripher” erscheinende Phänom ene — z.B. A nsätze zur sy stem haften In tegration von F rem d p h o ­nem en oder e tw a von V erben wie brauchen in das Paradigm a der M odal­verben — dürfen selbstverständlich ebensow enig unerw ähn t b leiben wie die Sekundärverw endung b estim m ter M orphem e im u n te rsuch ten F u n k ­tionsbereich , deren P rim ärfunk tion in einem anderen Bereich liegt (Bsp. etw a die K ollektivverw endung usueller A bstrak ta : B e-stuhl-ung neben oder s ta tt G estü h l). D er Auf-, Um- oder A usbau eines gram m atischen o d er lexikalischen T eilsystem s sollte, w ie schon früher gefo rdert, n ich t ohne Bezug au f die k o m m u n i k a t i v e n Bedürfnisse der Sprachträ- ger u n te rsu ch t w erden . D ies ist z.T. sehr leicht, so im Falle der A n r e d e - p r o n o m i n a , d ie infolge soziokultu reller Ä nderungen d ifferenzierter w erden, d .h . zum alten Du-zen t r i t t im M itte lhochdeu tschen als H öflich­keitsanrede das Ihr-zen, im älteren N euhochdeu tschen das Er-zen und sta ttdessen dann das Sie-zen , 24 Es ist dabei bem erkensw ert, daß die — m etasprach liche R eflex ion w iderspiegelnde — V erbableitung du-zen erst im M itte lhochdeu tschen , und zwar nu r w enig später als ¡(h)r-zen, auf­kom m t, nachdem eben d ie neue O pposition du — i(h)r in höfischen Krei­sen üblich gew orden war. N eu ist vor allem die veränderte G ebrauchsnorm von ir, das n ich t m ehr einfach den F unk tio n sw ert “ A ngesprochene” hat (= Plural von du; “ du und d u ...” ), sondern auch einen R e v e r e n z -

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fa k to r signalisiert: A ngesprochene(r) als A ngehörige(r) e iner gesellschaft­lichen G ruppe, d e r R espek t und höfliche D istanz auszudrücken ist. Infol­ge dieser “G ram m atikalisierung des H öflichkeitsverhaltens” (H. Steger) erhält aber auch d u je tz t einen anderen S tatus, den der v e r t r a u l i ­c h e n A nrede — sei dies nun A usdruck eines G em einschaftsgefühls oder der G eringschätzung —, also eine b e i d e r seitige V eränderung, die in der Folge auch s y n t a g m a t i s c h e A usw irkungen ha t. K o nn ten zu­nächst außer R uf- oder V erw and tschaftsnam en auch S t a n d e s bezeich- nungen m it d u verbunden w erden , so t r i t t nun i(h )r zunehm end in dieses syn tak tische Zusam m enspiel m it S tandesbezeichnungen ein , im N hd. na­türlich dann Sie, das zunächst pluralische T ite l oder ab strak te A nredeum ­schreibungen wie Eure Fürstliche G naden w ieder au fn im m t. Dessen Sieg über Ihr e rk lärt sich w ohl n ich t nu r aus dem S treben nach einer unver­b rauch ten A usdrucksform von noch größerer H öflichkeit, d ie eine d irek te A nrede verm eidet. F ö rdernde Bedingung w ar gew iß auch die stö rende lau t­liche Ä hnlichkeit der P ronom ina Ihr und er in schw achton iger P o sitio n 25, z.B. in Fällen wie K o m m -t’r (Ih r /er)? D aß aber die E ntw ick lung d e r d e u t­schen A nredefo rm en n ich t nu r als “ i n t e r n e r System w andel” vor sich gegangen ist, scheint o ffenkund ig . Sie hängt zusam m en m it V eränderungen des s o z i a l e n und s p r a c h l i c h e n R o l l e n v e r h a l t e n s , w obei die neue K onven tion zunächst in starkem Maße s p ä t l a t e i n i ­s c h e n bzw . r o m a n i s c h e n R egelungen fo lg t. Dies zeigt schon das ä lteste, zunächst vereinzelte V orkom m en der p luralischen A nrede im 9. Jh ., bei O tfrid von W eißenburg, d e r in der gereim ten Z uschrift seines Evange­lienbuches an den B ischof Salom o von K onstanz Z. 7 w ie selbstverständ­lich schreib t: “Oba ir hiar f in d e t iâuu ih t thés, thaz uuirdig ist thes lésannes/ iz iùer hitgu iruua llo” 26 (W enn Ihr hier e tw as L esensw ertes finde t, so möge Euer G eist es prüfend du rchw andern ). In der vo ranstehenden latein ischen Z uschrift an den E rzb ischof L iu tb e rt von M ainz heiß t es an den en tsp re ­chenden S tellen natürlich vos und vestrae excellen tissim ae pruden tiae ; und es feh lt auch n ich t die das Ichpronom en verm eidende D em utsfloskel mea parvitas, d ie später du rch die L ehnw endung m eine W enigkeit einge­d eu tsch t w ird, G egenstück natürlich zu Eure H o h eit, 27

Die angedeu te te V ielfalt der syn tagm atisch-kom m unikativen Bezüge eines un te rsuch ten Paradigm as — u n te r B eachtung eventueller In te rfe renzen — zureichend zu beschreiben, is t n ich t im m er le ich t, aber es ist m öglich und aufschlußreich . Was die S truk tu rie rung des W ortschatzes angeht, den Auf- und A usbau l e x i k a l i s c h e r Paradigm en für die sprachliche Erschlie­ßung von B ereichen, die der Sprachgem einschaft o der zunächst bestim m ­ten G ruppen ausdrucksw ichtig w erden , so habe ich bere its au f der Jah res­tagung 1968 das m hd.-frühnhd . Paradigm a der alters- und geschlechtsdif-

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ferenzierenden Personenbezeichnungen als M odellfall vorgeführt. Ich will dies n icht w iederholen , sondern einfach au f das Jah rbuch 1968 verw eisen28 und auf m einen Beitrag in der T sch irch-Festschrift über die sprachliche E r­fassung der “ V orfah ren ”. 29 S ta ttdessen m öch te ich Ihre A ufm erksam keit h ier noch au f einen anderen , m ehr g r a m m a t i s c h e n Beispielfall lenken, die F unktionsk lassen der P räpositionen und K on junk tionen . D aß die allm ählich aufgebaute , kom plem en täre M annigfaltigkeit des P r ä p o ­s i t i o n a 1* und K o n j u n k t i o n a l - “ R e p e r t o i r e s ” in Zusam ­m enhang m it der zunehm enden N otw endigkeit zu sehen ist, zeiträum liche oder ursächliche Beziehungen für einen situa tionsfernen H örer genauer zu fix ieren , scheint sicher. Dieser verfolgbare D ifferenzierungsprozeß ist aber nun n ich t einfach von steigenden E x a k t h e i t s a n s p r ü c h e n be­dingt. Diese hängen w iederum zusam m en m it dem sich w eitenden K o m ­m u n i k a t i o n s r a d i u s , der dann auch das S prechen etw a über fach­w issenschaftliche Sachverhalte sowie die K o n fro n ta tio n m it anderen Spra­chen im Ü bersetzungsvorgang e insch ließ t; und selbstverständlich besteh t auch ein Z usam m enhang m it der zunehm enden V e r s c h r i f t l i c h u n g 3*- d e r Sprache, w elche in dieser E xistenz- und W irkungsform erst den A ufbau größerer K om plexe auf einer höheren A bstrak tionsstu fe gesta tte t, wo dann die e x p l i z i t e B ezeichnung der jew eils ausgedrückten h y p o tak tischen Beziehungen no tw endig w ird. Hierfür k o n n te der anfängliche B estand w e­niger polysem er Fügew örter ohne e indeutigen S ignalw ert n ich t m ehr ge­nügen, w eshalb in der deu tschen Schriftsprache sehr früh, besonders aber zwischen 1300 und 1700 der A ufbau eines en tsp rechenden Z eichenreper­to ires zu verfolgen ist. W ährend z.B. m hd. so H aupt- und G liedsätze der verschiedensten F u n k tio n ein leiten k o n n te (besonders Tem poral-, K ondi­tional-, Relativ- und V ergleichssätze), se tz t sich im frühen Nhd. allm ählich eine Reihe von E rw eiterungsform en m it speziellen F u n k tionsw erten durch , z.T. m it einer bestim m ten Tem pus- und M odusform des fin iten V erbs ver­bunden : so-bald, so-wie, so-lange, so -o ft, so-fern und al-s (m it verstärken­dem akzen ttragenden al, aber V erlust des zu a abgeschw ächten o), w oh in ­gegen die ungekürzt gelassene zweisilbige F orm al-so tro tz m öglicher A n­fangsstellung keine G liedsatzein leitung ist und eine ganz andere A ufgabe erfü llt; eine Folgerung anzuzeigen .31 ln dem M aße wie eindeutige N eben­satzein leitungen üblich w erden, w erden natürlich die K on junk tiv fo rm en des N ebensatzverbs als A bhängigkeitssignal en tbehrlich (z.B. im dam it- Satz), so wie andererseits die K asusform en des S ubstantivs zunehm end durch die ausgebaute Funktionsk lasse der P räpositionen en tla ste t w erden, vor allem in ihrem Bezug au f lokale, tem porale , kausale oder m odale Ver­hältnisse (s ta tt Hunger-s sterben also vor H unger sterben). E n tlastung fin ­den einfache K asusform en aber auch durch das sog. “P räp o sitio n a lo b jek t” , wo die sem antisch d ifferenzierende F u n k tio n der P räpositionen zugunsten

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der verbspezifischen syn tak tischen V erknüpfung zu rü ck tritt. 32 A uf das sich herausbildende fun k tio n a le Zusam m enspiel der P räpositionen m it dem ebenfalls ausgebauten verbalen Präfixsystem kann ich aus Zeitgrün­den nur eben hinw eisen.

Es ist auch an diesem le tz ten Beispiel deu tlich gew orden, daß m an bei Teilanalysen n ich t stehen b leiben darf, sondern Q u e r b e z ü g e be­ach ten und versuchen m uß , die gew onnenen B efunde zu anderen B efun­den desselben Sprachzustands in B eziehung zu setzen. S te ts stellt sich da­bei die Frage, ob etw a das V ordringen b estim m ter N euerungen im U nter­suchungsbereich m it dem R ückgang anderer E rscheinungen zusam m en­hängt oder aber das A ufkom m en w eiterer sprachlicher V eränderungen zu bedingen scheint. O ffensich tlich sind n ich t nur “ i n t e r p a r a d i g ­m a t i s c h e ” Zusam m enhänge im engeren Sinne zu beach ten (im D eu t­schen etw a zw ischen dem A ufbau der p ronom inalen A djek tiv flex ion und dem teilw eisen A bbau der S ubstan tiv flex ion , deu tlich z.B. im N om . sing. frisch-er F isch ) . 33 Ich erinnere nur an die bek an n te A ufhebung aller quali­ta tiven und qu an tita tiv en V okaloppositionen in u n b e to n te r N ebensilben­position zugunsten des schw undbed roh ten V okals der “ Ind ifferenzlage” a . Die A usw irkungen dieser akzen tbed ing ten R eduk tionsprozesse des späteren A lthochdeu tschen sind o ffensich tlich n ich t n u r au f das L au tsy ­stem beschränk t, sondern bedingen w eitgehend U m struk tu rierungen im Flexions- und W ortb ildungssystem , die w ieder n ich t ohne A usw irkungen im B ereich der S yn tax b leiben u n d andererseits R ückw irkungen w ieder auf das L autsystem haben. I. Dal h a t m eines E rach tens zu R ech t darau f hingew iesen, daß die beim Übergang zum M itte lhochdeu tschen zu be­ob ach ten d e “ Phonem isierung” d e r U m lau tvarian ten n ich t einfach im d i­rek ten Zusam m enhang m it dem Schw und der um lau tbew irkenden «-Laute zu sehen ist, sondern daß der T yp der neuen gerunde ten V orderzungen­vokale seinen phonem ischen S ta tu s in dem Maße festigen k onn te , wie der U m lautw echsel in den Paradigm en der F lex ion und W ortbildung m orpho- logisiert und fun k tio n e ll g en u tz t w urde . 34 E in Beispiel dafür, daß man sprachgeschichtliche V eränderungen n ich t zu sim pel und n ich t nu r als in e i n e r R ich tung verlaufend sehen darf, auch n ich t im Bilde einer “ K etten ­re a k tio n ” , w o etw a erst eine schon vollzogene Ä nderung die nächste auslöst und diese eine w eitere nach sich zieht. O ffensich tlich k o n n te m an auf die neben ton ige V okaldifferenzierung deshalb zunehm end verzich ten und der sprachgeschichtlichen T endenz zur S tärkung der S tam m silben nachgeben, weil andere, zunächst red u n d an te sprachliche M ittel bereits kom m unika­tionssichernd m itw irk ten . In der R ede (syn tagm atisch) w irksam e Behelfe können gew isserm aßen au fgew erte t und nützliche V arian ten paradigm a­tisch an e rk an n t w erden, d .h . bei zunehm ender K om m un ika tionsno tw en ­

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digkeit kom m t es zu einer gram m atikalisierenden System atisierung und B ereitstellung für künftige S prechsitua tionen und T ex tfu n k tio n en . D aß n ich t alles in den gram m atischen und lexikalischen Paradigm en B ereitge­stellte für künftige Sprecher g leicherm aßen nützlich ist, da sie vielleicht G ruppen m it anderen A usdrucksbedürfnissen angehören oder neue Sprech­situa tionen und Sachverhalte sprachlich bew ältigen müssen, läß t dann wie­der m anche U nterscheidungen un g en u tz t und einige s truk tu re lle System ­ansätze unausgebau t. 35 M anches w ird nur noch gekannt, aber kaum m ehr verw andt, ist also nun B estand teil des “ p a s s i v e n ” Sprachschatzes und w ird dann infolge einer kom m unikativ no tw endigen A u s w a h l aus den M öglichkeiten der sprachlichen T rad ition aufgegeben; oder es verliert zu­m indest seinen alten S tellenw ert, wie z.B. das P rä teritum im Süddeutschen oder m hd. hövesch, das zw ar in nhd. hübsch w eiterleb t, aber aus dem Zen­trum des aufgegebenen Feldes ständ ischer W ertbegriffe in das ausgebaute Paradigm a ästhetischer W ertungsadjektive gerückt ist — n u r noch A usdrucks­variante für ein abgeschw ächtes “ sch ö n ” .

Sprachgeschichte als System geschichte h a t es o ffensich tlich n ich t m it einem geradlinig und bruch los verlaufenden System atisierungsprozess zu tu n , der alle Bereiche der Sprache gleichm äßig e rfaß t und vervollkom m nend w eite r­b ildet. N un kann m an “ A ufgabe a lte r D ifferenzierung” , also R e d u ­z i e r u n g , un d “ Beginn neuer D ifferenzierung” , also R e o r g a n i ­s a t i o n des System s, als “ E p o c h e n k r i t e r i u m ” verw enden, wie das W. B etz 1960 in seinem K openhagener V ortrag ‘ “ S p ä tze iten ” in der G eschichte der deu tschen S prache’ ge tan hat. 36 Da jede G eschichts­schreibung aus p rak tischen G ründen gliedern m uß, und — ich zitiere hier K. B aum gärtners V ortrag über ‘Synchronie und D iachron ie’ (1 9 6 8 ) — im Falle der Sprache es kaum o d er n u r annähernd m öglich ist, den “gesam ten Fak tenzusam m enhang ... ta tsäch lich als eine lückenlose A ufeinanderfolge von System zuständen zu beschre iben”37 — das “ System in B ew egung”21 gleichsam in einer “ p anch ron ischen” G esam tschau —, müssen Periodisie- rungen gew agt w erden . G erade Sprachgeschichte als System geschichte kann hierzu einen w esentlichen Beitrag liefern. Wir können zw ar n ich t das sprachliche V erhalten desselben Sprechers oder derselben sozialen und regionalen Sprechergruppe in denselben S prechsitua tionen d u rch die Jah rh u n d erte beobach ten , w oh l aber die M anifestation der “ K r e a t i v i ­t ä t ” vieler G enera tionen , G ruppen und schöpferischer Persönlichkeiten , die in der A useinandersetzung m it der jew eils erfahrenen W irklichkeit ihre sprachlichen A nlagen en tfa lte t und — in E rw eiterung der überkom m enen Z ugriffsm öglichkeiten der Sprache — ein vielgliedriges, vielverw endbares In s trum en tarium des G eistes geschaffen haben, das w eit über die Zwecke der e lem en taren V erständigung hinausgeht. W enn m an aber m it W ilhelm

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von H um bo ld t “d ie Sprachen als eine A r b e i t des G e i s t e s ”38 ansehen kann, so ist es nu r legitim , in gewissen A bständen zu prüfen, w elche s truk tu re lle O rganisation und “ in s trum en ta le K o nven tion”18 n u n m eh r gew onnen ist. Das E rgebnis w ird in teressan ter sein, w enn m an n ich t V ergleichsbefunde beliebig vieler S prachzustände an h äu ft und die h isto rische B etrach tung n ich t au f die herausdestillie rte “ Folge von Ver­änderungsm engen” oder die A dd itio n von “ Innovationsregeln” reduziert, sondern “ S p rachstad ien” genauer und n u r d o rt herausarbe ite t, w o sich t ro tz aller V ariab ilitä t eine charak teristische s y s t e m h a f t e I d e n ­t i t ä t in den T ex ten abzeichnet. Man w ird jew eils prüfen müssen, w elche l a u t l i c h e n M erkm ale d is tink tiv g en u tz t w erden , um die spezifischen L au ts tru k tu ren der sprachlichen E inheiten auszuprägen, w elche “ F u n k ­t i o n s w o r t klassen” oder “ M o r p h e m i n v e n t a r e ” kategoriale U nterscheidungen erm öglichen, sich — z.T. konvergierend o der auch kon­kurrierend (“ M orphem fächer” einer F u n k tio n ) — das F u nk tionsfe ld se- m antisch -syn tak tischer K ategorien nunm ehr au fte ilen , d .h . zur geregelten V erw irklichung do m in an t gew ordener M uster beim A uf- o d e r E inbau k o m p l e x e r sprachlicher E inheiten (W ort-, G ruppen-, Satzbildung) bere itstehen . N icht zu le tz t ist auch die Frage nach der W o r t s c h a t z ­s t r u k t u r i e r u n g zu stellen, sow ohl in H inblick au f d ie Prägung durch W ortbildungsm uster (M otivationsbeziehungen) als auch au f f e l d h a f t e G ruppierungen zu l e x i k a l i s c h e n Paradigm en, die eine ungew öhn­liche V ielgliedrigkeit syn- oder an tonym ischer A usdrücke erlangt haben — dies vielleicht im Z usam m enhang m it der E ntw ick lung b estim m ter F u n k - t i o n a 1 s t i 1 e un d der sprachlichen E rfassung (begrifflichen Neugliede­rung) besonders ausdrucksw ich tig gew ordener Sachbereiche. H ierbei sollte natürlich das Z u s a m m e n s p i e l zw ischen L e x i k o n (bisheriger A usdrucksskala des herköm m lichen W ortschatzes) sowie W o r t b i l d u n g ̂und S y n t a x w ieder besondere B eachtung finden . Man w ird über den k o n s t a n t e n Zügen der N o r m n ich t allzu sehr abstrah ie rend und sim plifizierend die V a r i a n t e n vergessen dürfen. Sie sind n ich t einfach durch den Hinweis au f einen R ealisierungsspielraum ab zu tu n , dessen kei­neswegs unveränderliche Spannw eite ( “ S treu u n g ” , d .h . R ich tung , Stärke und H äufigkeit der A bw eichungen) ja gerade auch von den besonderen G egebenheiten und Bedingungen des jew eiligen S prachzustands abhängt, sondern sie sind als geschichtliche Erscheinung historisch zu in te rp re tie ren u n te r B erücksichtigung natürlich aller zur A ufhellung und rech ten geschicht­lichen E inschätzung geeigneten G esich tspunkte , w obei die M öglichkeit der zeitw eiligen “ K o e x i s t e n z ” un tersch ied licher “ N o r m e n s y s t e ­m e ” innerhalb des “ D iasystem s” einer g rößeren Sprachgem einschaft m it verschiedenen sprachlichen T rad itio n en 39 und K u ltu rm itte lp u n k ten eben­sow enig vergessen w erden d a rf w ie das V orkom m en von E n t w i c k -

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l u n g s t e n d e n z e n . S o können V arianten A bw eichungen erkennen lassen in R ich tung einer s y s t e m g e m ä ß e n Ä nderung oder einer — Mängel und G renzen des bisherigen System s überw indenden — n e u e n S y s t e m a t i s i e r u n g , die — vielleicht in A nschluß an frem dsprach­liche M uster oder an heim ische am bivalente S cheinm uster — zw eckm äßige K o n s t r u k t i o n e n n e u e r A r t h inzugew innt. B esondere A uf­m erksam keit verdienen daher solche “ d i a c h r o n i s c h - r e l e v a n ­t e n ” V arianten , die auch V oraussagen über m ögliche k ü n f t i g e E n t­w ick lungen40 und resu ltie rende S tru k tu ren erlauben, bei Sprachstadien der V ergangenheit natürlich den w ichtigen Brückenschlag zur D arstellung nachfolgend gesch ilderter Sprachzustände. D aß es sich jew eils noch um V ariation innerhalb d e s s e l b e n sprachlichen E n tw ick lungskon tinuum s und n ich t etw a um K onstitu ierungsanzeichen einer sich als e i g e n e T ra­d ition abzw eigenden “ T o c h t e r s p r a c h e ” hande lt, w o gleichsam ein neues “ K u ltu rfak tu m ” e n ts teh t und die gegenseitige V erständigung n ich t m ehr voll gegeben ist, m uß natürlich gesichert sein.

Sehr viel w ichtiger als abso lu te V ollständigkeit der B eschreibung, die w e­der erreichbar noch w ünschensw ert scheint, ist für die Sprachgeschichte das F inden des rech ten D a r s t e l l u n g s s t i l s . H einrich W ölfflin ha t einm al gesagt: “ Es g ib t kein objek tives Sehen, und w enn zwei dasselbe zeichnen, sind es zwei verschiedene B ilder” . 41 Bei w issenschaftlichen D ar­stellungen ist dies freilich w eniger erw ünscht, doch ist auch hier jede Be­schreibung eines B efunds schon beinahe eine — unum gängliche W ertungen im plizierende — I n t e r p r e t a t i o n , jede theorieges teuerte A usw ahl und A nordnung von F ak ten für die D arstellung sprachlicher System e und system hafter Bewegungen eine subjektive E ntscheidung, die nachprüfbar sein m uß. Im übrigen w ird der E rkenn tn isw ert einer vornehm lich als “ S y s t e m g e s c h i c h t e ” versuch ten Sprachgeschichte um so größer sein, je w eniger m an einfach “ deskrip tive G ram m atiken verschiedener Perioden an e inanderre ih t”42 und je angem essener das im Vergleich a u f­deckbare z e n t r a l e G e s c h e h e n beschrieben w ird : w ie “ das W e r d e n der Sprache sich au f das F u n k t i o n i e r e n hin verw irk­lich t” 43, d .h . der B e z u g s p u n k t der D arstellung sollte ein f u n k t i o ­n a l e r sein. D abei w ird sich eines Tages zeigen, w ie w eit den so dargestell­ten E ntw icklungsabläufen aller system atisch beschriebenen Sprachen “ z w e c k g e r i c h t e t e P r i n z i p i e n mi t u n i v e r s e l l e r Gül­tig k e it”44 zugrunde liegen. D och w ird — selbst vor dem H intergrund eines noch u top ischen K atalogs “ d i a c h r o n i s c h e r U n i v e r s a l i e n ”45 oder gar im R ahm en einer U niversalgeschichte der S prachen — die charak­teristische V e r s c h i e d e n h e i t der jew eils u n te r besonderen h is to ­rischen B edingungen46 s e l e k t i v w i r k s a m gew ordenen K rea tiv itä t”47

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der e inzelnen Sprachgem einschaften n ich t w eniger in teressan t sein. D enn geschichtliche A bläufe sind n ich t nu r im m er gleichförm ig w iederkehrende Erfüllung vorgezeichneter M uster, sondern auch E rgebnis m e n s c h l i ­c h e n H a n d e l n s , dem glücklicherw eise selbst bei der E ntw icklung der Sprache ein gewisser — w enngleich n ich t im m er bew u ß t g en u tz te r — F reiheitsraum m öglicher E ntscheidungen gelassen ist.

Anm erkungen

1 Schriften zur Sprache, hg. von M. Böhler, S tuttgart 1973, S. 65.

2 Zit. von E.F.K. Koerner, Ferdinand de Saussure, Braunschweig 1973, S. 357; ebda S. 357 ff. weitere Nachweise aus dem 19. Jh . Vgl. auch E. Hildenbrandt, Versuch einer kritischen Analyse des Cours de linguistique générale von Ferdi­nand de Saussure, Marburg 1972, S. 63 f.

3 Vgl. den Forschungsbericht von R. Schrodt, Die germanische Lautverschiebung und ihre Stellung im Kreise der indogermanischen Sprachen, Wien 1973.

4 “ In den linguistischen Bereichen, die nicht zur Phonologie gehören” , sind die Versuche, eine “ Systemgeschichte” zu bilden, unglücklicherweise “sehr viel weniger fortgeschritten” T. Todorov — O. Ducrot, Enzyklopädisches Wörter­buch der Sprachwissenschaften, Frankfurt 1975, S. 166.

5 Schriften (s. Anm. 1) S. 65.

6 “ un degré supérieur de cohésion” G. Francescato, Systèmes coexistants ou systèmes diachroniques, in: Neophilologus 44. Jg. (1961) S. 41.

7 Vgl. G. Schneider, Zum Begriff des Lautgesetzes in der Sprachwissenschaft seit den Junggrammatikern, Tübingen 1973, S. 237 ff.

8 E. Coseriu, Synchronie, Diachronie und Geschichte, München 1974, S. 236.Zur Kritik des linguistischen Systembegriffs vgl. auch J. Erben, Bemerkungen zu einigen Grundfragen wissenschaftlicher Sprachbeschreibung, in: Wirkendes Wort 3. Sonderheft (1961, H. Brinkmann gewidmet), S. 145; H. Bayer, Spra­che als praktisches Bewußtsein, Düsseldorf 1975, S. 32 ff. und M. Wandruszka, Linguistik: Wissenschaft von den menschlichen Sprachen, Salzburg — München 1973, S. 12.

9 Wilhelm von Humboldt, Ges. Werke Bd. 1, Berlin 1841, S. 1 f.

10 H.B. Rosen, Die Gram matik des Unbelegten dargestellt an den Nominalkom­posita bei Ennius, in: Lingua Bd. 21 (1968) S. 359 ff.

11 H. Jacobi, Com positum und Nebensatz, Bonn 1897, S. 75.

12 E. Kranzmayer, Der pluralische Gebrauch des alten Duals ‘eß ’ und ‘enk’ im Bairischen - ein Beispiel für Hom onym enflucht, in: Festschrift für D. Kralik, Horn 1954, S. 250.

13 H. Fränkel, Gram matik und Sprachwirklichkeit, München 1974, S. 386 f.

14 ebda S. 115.

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15 Vgl. J. Erben, Ober Nutzen und Nachteil der Ungenauigkeit des heutigen Deutsch, Mannheim 1970, S. 18 f.

16 Vgl. Rosen, a.a.O. (Anm. 10) S. 361.

17 E. Coseriu, Der periphrastische Verbalaspekt im Altgriechischen, in: G lotta Bd. 53 (1975) S. 1. C. hat in der Diskussion mit Recht darauf hingewiesen, daß auch von später belegten Formen Rückschlüsse möglich sind, wenn diese als offenkundige “ Fortsetzungsform en” — z.B. in einigen romanischen Spra­chen — bestim m te, zufällig unbelegte Bildungsweisen des Lateinischen not­wendig voraussetzen; doch ist er ebenfalls der Ansicht, daß Unbelegtes, das auf Grund genauer Prüfung als existent angenommen werden muß, besonders zu kennzeichnen ist.

18 M. Wandruszka, Interlinguistik, München 1971, S. 25.

19 W. Lang, Probleme der allgemeinen Sprachtheorie, S tuttgart 1969, S. 113.

20 ebda S. 59.

21 Coseriu, a.a.O. (s. Anm. 8) S. 236.

22 Vgl. z.B. W.G. Moulton, Zur Geschichte des deutschen Vokalsystems, in:Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und L iteratur Bd. 83 (Tübin­gen 1961/62) S. 1 ff.; im übrigen den Abschnitt ‘Sprachlaute im System’ bei H. Penzl, Vom Urgermanischen zum Neuhochdeutschen. Eine historische Phonologie, Berlin 1975, S. 16 ff.

23 Vgl. z.B. den Versuch von G. Bech, Grundzüge der semantischen Entwicklungs­geschichte der hochdeutschen Modalverba, Kopenhagen 1951, sowie ders.,Das semantische System der deutschen Modalverba, Kopenhagen 1949.

24 Vgl. I. Ljungerud, Der deutsche Anredestil, Geschichten und Geschichtliches (= Moderna sprak monographs, Language No.2), der zwar hauptsächlich das neuere Deutsch untersucht, aber die einschlägige Literatur der Gesamtentwick­lung verzeichnet.

25 Vgl. H. Wunderlich — H. Reis, Der deutsche Satzbau, Bd. 2, Stu ttgart — Ber- lin31925, S. 244; ferner Kranzmayer, a.a.O. (s. Anm. 12) S. 254: Im Bairi­schen konnte “das dualische eß erst in den Plural vorstoßen, seitdem die Schwachdruckform von ihr lautgleich m it der von er geworden w ar” .

26 Ausgabe von J. Kelle, Regensburg 1856, S. 12.

27 Vgl. J. u. W. Grimm, Deutsches W örterbuch Bd. 14, 1/2, Sp. 41 f. Otfrid spricht stattdessen von “mtnes selbes n id en " H. 155.

28 Vgl. J. Erben, Synchronische und diachronische Betrachtungen im Bereich des Frühneuhochdeutschen, in: Sprache, Gegenwart und Geschichte (= Spra­che der Gegenwart Bd. 5), Düsseldorf 1969, S. 224 ff. sowie J. Erben undH. Moser, Das Feld der alters- und geschlechtsdifferenzierenden Personen­bezeichnungen im Tirolischen, in: Studien zur Namenkunde und Sprach­geographie (= Festschrift für K. Finsterwalder), hg. von W. Meid, H.M. ölberg, H. Schmeja, Innsbruck 1971, S. 241 ff. sowie zum Grundsätzlichen L. Seiffert, W ortfeldtheorie zwischen Sozio- und Systemlinguistik, in: Historizität in Sprach- und Literaturwissenschaft, hg. von W. Müller-Seidel, München 1974,S. 347 ff.

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29 Vgl. J. Erben, Zu den Verwandtschaftsbezeichnungen der Luthersprache.Die sprachliche Erfassung der ‘Vorfahren’, in: Zeiten und Formen in Sprache und Dichtung (= Festschrift für Fr. Tschirch), hg. von K.-H. Schirmer und B. Sowinski, Köln — Wien 1972, S. 376 ff. sowie: Großvater und Enkel (Groß-/ Klein-kind), zur Bezeichnungsgeschichte der “ Kindes-kinder” , in: Amster­damer Beiträge zur älteren Germanistik Jg. 1976 (= Festschrift für J. van Dam). Im Druck.

30 Vgl. H. Bayer, Sprache als praktisches Bewußtsein, Düsseldorf 1975, S. 110 ff. Interessant ist natürlich der Vergleich mit den heutigen M u n d a r t e n sowie “der Erwerb von Sätzen m it unterordnender K onjunktion” in der K i n d e r ­s p r a c h e , H. Ramge, Spracherwerb, Grundzüge der Sprachentwicklungdes Kindes, Tübingen 2 1975, S. 98 ff.

31 Vgl. J. Erben, Frühneuhochdeutsch, in: Kurzer Grundriß der germanischen Philologie, hg. von L.E. Schm itt, Bd. 1. Sprachgeschichte, Berlin 1970, S. 434 sowie G. Schieb, Zum Nebensatzrepertoire des ersten deutschen Prosaromans, in: Gedenkschrift für W. Foerste, hg. von D. Hofmann, Köln — Wien 1970,S. 61 ff .; weiterhin in: Studien zur Geschichte der deutschen Sprache (= Bau­steine zur Geschichte des Neuhochdeutschen, hg. von G. Feudel), Berlin 1972, S. 167 ff. und: Linguistische Arbeitsberichte Bd. 10 (= M itteilungsblatt der Sektion Theoretische und angewandte Sprachwissenschaft der Karl-Marx-Uni- versität Leipzig), Leipzig 1974, S. 97 ff. Zu vergleichen ist je tz t auch die ma­schinenschriftliche Diss. von O. Putzer, Konjunktionale Nebensätze und äquiva­lente Strukturen in der “ Erchantnuzz der Svnd” des Heinrich von Langenstein (Innsbruck 1976).

32 Weiteres s. J. Erben, Deutsche Grammatik. Ein Abriss, München ' 11972, S. 138 und 148.

33 Vgl. J. Erben, Zur Morphologie der W ortarten im Deutschen, in: Zs. f.dt. Sprache Bd. 21 (1965) S. 146 ff. Das Kasussystem bleibt im wesentlichen bewahrt, wird aber nun “hauptsächlich in den attributiven W örtern verankert” , in “neuen synthetischen Adjektivform en” I. Dal, System erhaltende Tendenzen in der deutschen Kasusmorphologie, in: Untersuchungen zur germanischen und deutschen Sprachgeschichte, Oslo — Bergen - Tromsö 1971, S. 168.

34 Vgl. I. Dal, Ober den ¿-Umlaut im Deutschen, in: Untersuchungen (s. Anm.33) S. 36 und 42.

35 Zum “ Konflikt zwischen dem Syntagmatischen und dem Paradigmatischen” vgl. Coseriu, a.a.O. (s. Anm. 8) S. 111, im übrigen auch J. Erben, Einführung in die deutsche Wortbildungslehre, Berlin 1975, S. 139.

36 W. Betz, in : Spätzeiten und Spätzeitlichkeit, hg. von W. Kohlschmidt, Bern — München 1962, S. 149: hierzu J. Erben, ebda S. 97 f. Hinsichtlich der in der Diskussion aufgeworfenen Frage, welche Periodisierung ich für die deutsche Sprachgeschichte als angemessen ansehe, m öchte ich auf meinen Beitrag Früh­neuhochdeutsch (s. Anm. 31) S. 386 u. 439 sowie meine Besprechung der Sprachgeschichte von A. Bach verweisen, in: Colloquia Germanica 1969,S. 262.

37 K. Baumgärtner, Synchronie und Diachronie in der Sprachstruktur. Faktum oder Idealisierung? in: Sprache, Gegenwart und Geschichte (= Sprache der Gegenwart Bd. 5), Düsseldorf 1969, S. 64 und — über die “ Panchronie der

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Sprache” — S. 61; nach Koerner, a.a.O. (s. Anm. 2) S. 291 dachte Saussure an die Möglichkeit “o f studying language from a panchronic viewpoint, although he thought th a t it adm itted general statem ents only and could no t treat the concrete facts o f language” , vgl. auch H ildenbrandt, a.a.O. (s. Anm. 2) S. 60.

.,8 Humboldt, a.a.O. (s. Anm. 1) S. 37.

39 Vgl. Coseriu, a.a.O. (s. Anm. 8), S. 48 f., 53 f., und 113 f. Es ist also jeweils zu prüfen, wie weit “ die sprachliche Variable durch K o v a r i a t i o n mit sozialer Schicht, ethnischer Zugehörigkeit, Altersstufe und K ontextstil defi­niert ist” (W. Labov, Ober den Mechanismus des Sprachwandels, in: Zur Theorie der Sprachveränderung, hg. von G. Dinser, Kronberg 1974, S. 170), darüberhinaus, ob die “ Ungleichförmigkeit” der Sprachkenntnisse in einer Sprachgemeinschaft nur von einem “System von koexistierenden G r a m m a - t i k e n ” (S. Kanngießer, Aspekte der synchronen und diachronen Linguistik, Tübingen 1972, S. 55 f. und 80) beschrieben werden kann.

40 P. Pauly, Zur Darstellung von Synchronie und Diachronie des Vokalismus im Deutschen, in: Deutsche Sprache 1 (1974) S. 335 ff., versucht den Befund “hat die Tendenz der Entwicklung zu” in einem “ Kombinationsschema als Integrationsmöglichkeit für Synchronie und Diachronie” (S. 340 f.) darzu­stellen. Die in der Diskussion von I. Rosengren aufgeworfene Frage, ob das Aufdecken allgemeiner sprachgeschichtlicher Tendenzen in der Vergangen­heit nicht auch dem Erkennen des modernen Sprachwandels zugute komme, ist gewiß zu bejahen, wenngleich das Wirksamwerden solcher Tendenzen von den besonderen Bedingungen des jeweiligen Sprachzustands abhängt.

41 H. Wölfflin, Vom Stil Albrecht Dürers, in : Deutscher Geist. Ein Lesebuch.Bd. 2, Berlin 1943, S. 864.

42 H. Paul, Prinzipien der Sprachgeschichte, Tübingen ®1970, S. 23, vgl. auch S. 31 f. und 189 f. sowie H. Wellmann, Sprachgeschichtsschreibung und historische Grammatik, in: Wirkendes Wort Bd. 22 (1972) S. 201 f.

43 Coseriu, a.a.O. (s. Anm. 8) S. 237.

44 H. Seiler, Das linguistische Universalienproblem in neuer Sicht (= Rheinisch- Westfälische Akademie der Wissenschaften, Vorträge G 200), Opladen 1975,S. 10; vgl. auch ebda S. 12 und 23.

45 H.M. Hoenigswald, Gibt es Universalien des Sprachwandels?, in: Zur Theorie der Sprachveränderung, hg. von G. Dinser, Kronberg 1974, S. 139. Über “die dynamischen Universalien” vgl. auch E. Coseriu, Die sprachlichen (und die anderen) Universalien, in: Sprachtheorie, hg. von B. Schlieben-Lange, Hamburg 1975, S. 135 und 151.

46 Dazu gehört auch die Art der jeweiligen “ Gesellschaftsstruktur” , die m it be­sonderen Kommunikations-situationen und -formen verbunden ist. Allerdings gibt es keinen einfachen Gleichlauf zwischen der Geschichte der Sprache und der Gesellschaft. Man darf auch nach Meinung der ‘marxistisch-leninistischen Sprachwissenschaft’ “ nicht erwarten, daß gesellschaftliche Umwälzungen eine Sprache unm ittelbar und grundstürzend umwandeln könnten. Die Sprache muß immer intakt sein und zur Kom m unikation auch zwischen den Vertre­tern der verschiedenen Klassen bereitstehen, selbst in revolutionären Situa­tionen. Wesentliche Teile des sprachlichen Systems werden nicht direkt von den Veränderungen in der Gesellschaftsstruktur betroffen” R. Grosse, Ge-

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sellschaftsstruktur und Sprachstruktur, in: Festschrift zur Feier des 125- jährigen Bestehens der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, hg. von K. Schwabe, Berlin 1974, S. 108. Vgl. ferner G. Lerchner, Zu gesell­schaftstheoretischen Im plikationen der Sprachgeschichtsforschung, in: Bei­träge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur Bd. 94 (Halle 1974) S. 143.

47 “Kreativität” wird hier also nicht “ als individualpsychologische Kom ponente des Sprechens” verstanden; zur Problematik vgl. B. Imhasly, Der Begriff der sprachlichen Kreativität in der neueren Linguistik, Tübingen 1974, S. 19 u.ö.

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THEO VENNEMANN

Beiträge der neueren Linguistik zur Sprachgeschichtsschreibung

Ich habe das T hem a dieses V ortragsm anuskrip ts n ich t selbst fo rm u lie rt, und ich äußere m ich zu diesem T hem a als L inguist, jedenfalls ohne er­w ähnensw erte E rfahrung au f dem G ebiet der Sprachgeschichtsschreibung. Beides b it te ich den Leser zu berücksichtigen, w enn , w ie zu erw arten , seine durch das T hem a gew eckten E rw artungen h ier n ich t erfüllt w erden.*

I

Ich beginne m it e iner A nalyse des gestellten T hem as. M ehrere Fragen drängen sich auf. S teh t h ier “ L inguistik” als euphonisch m otiv ierte V arian­te von “ Sprachw issenschaft” , o d e r ist au f einen engeren Begriff abgezielt, z.B. im Sinne d e r E inleitung der A ufsatzsam m lung “ Linguistik und N ach­barw issenschaften” ?1 Wie ist das A djektiv in “ neuere L inguistik” zu ver­stehen? G ehören die tie fen und für alle nachfo lgende Sprachgeschichts­schreibung h öchst bed eu ten d en E insich ten in d ie R egelhaftigkeit der lau tlichen und konzep tue llen Sprachveränderung, die im 19. Jah rh u n d e rt gew onnen w urden , zur “ neueren L inguistik” ? Die A n tw o rt kann sicher n ich t ein klares N ein sein; denn w as sind schon h u n d e rt Jah re in der d re itausendjährigen G eschichte unserer ehrw ürdig alten W issenschaft. G ehören S chuchard ts E insichten in den P rozeß des Sprachw andels du rch R egelverallgem einerung, in den Zusam m enhang von D ialektologie und Sprachgeschichtsschreibung — “ die räum liche P ro jec tion zeitlicher U n ter­schiede” — und in die soziale B edingtheit des Sprachw andels zur “ neueren L inguistik” ?2 Was dam als k onz ip ie rt w urde, s teh t — genau so w ie das Bemühen um ein tie feres V erständnis lau tgesetzlicher und analogischer P rozesse3 — im m er noch im M itte lp u n k t linguistischer Forschung; ich erinnere n u r an die seit Jah ren anha ltende D iskussion um die adäquate D arstellung analogischer V eränderung von R egelsystem en in der genera­tiven G ram m atik , an die im m er w achsende B edeutung der D ialektgeo­graphie für die sprachgeschichtliche R ek o n stru k tio n und an die gew altige E ntw icklung d e r Soziolinguistik von G auchat bis Labov. G ehören die grundlegenden E insich ten des S truk tu ra lism us zur “ neueren L inguistik” , daß näm lich ein fun k tio n a le r Z usam m enhang zw ischen den V eränderun ­gen einer Sprache b esteh t? Ich erinnere an M artinets “ S ch ieb ek e tten”4 — ein V eränderungsm odell für L autsystem e, dessen erk lärende K raft im Bereich der serienm äßigen V okal- und K onsonan tenversch iebungen5 (die auch durch Kings rein form alistisch begründete Infragestellung6 um n ich ts

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gem indert ist) noch gar n ich t rech t ausgeschöpft ist. G ehö rt zu r “ neueren L inguistik” die T ransform ationsgram m atik? Sie ha t sich in einer R eihe e influßre icher A rbeiten m it P rob lem en der D iachronie b e fa ß t7 un d w irk t auch heu te noch stark , vor allem dadurch , daß ihrem form alistisch-des­krip tiven A nsatz w idersprochen w ird , der alles — gew öhnlich au f m ehrere Weisen — zu beschreiben g e s ta tte t, aber keine Fragen b ean tw o rte t, aus­genom m en allenfalls solche, die ihren eigenen form alen A p p ara t b e tre f­fen.

Ein Fragezeichen verd ien t schließlich die P räsupposition des T hem as, d a ß die Linguistik Beiträge zur Sprachgeschichtsschreibung liefere. Das tu t sie n ich t, und das kann und will sie n ich t. Eine en tsp rechend falsche und abzulehnende P räsupposition liegt der A lternativ fo rm ulierung des T hem as zugrunde: “ Eignung von M ethoden der neueren L inguistik für Sprachgeschichtsschreibung.” Die L inguistik ist eine th eo re tisch e Diszi­plin; ihre A ufgabe ist — jedenfa lls sehe ich sie so8 — die E rstellung einer allgem einen G ram m atik theo rie und einer allgem einen G ram m atikverän ­derungstheorie . Die Sprachgeschichtsschreibung ist eine p rak tische T ätig ­keit; ihre A ufgabe ist — w enn ich sie rech t verstehe — die E rstellung von H ypothesen über Ereignisse und ihre C hronologie, die zusam m en eine T heorie über die “ innere” und “ äußere” G eschichte einer b estim m ten Sprache kon stitu ie ren . Es ist also von vornherein k lar, d aß die M ethoden der einen D isziplin sich n ich t für die andere D isziplin eignen; sie haben überhaup t n ichts gem ein. R elevant für d ie Sprachgeschichtsschreibung, näm lich für die B eschreibung der “ inneren” G eschichte e iner Sprache, d .h . der E ntw ick lung ih rer G ram m atik , sind n ich t die M e t h o d e n der L inguistik , sondern ihre H y p o t h e s e n (oder, w enn m an dies vorzieht, ihre “ E rgebnisse” ): So wie jeder H istoriker frühere W eltzustän­de und Übergänge zw ischen W eltzuständen so rekonstru ie ren m u ß , daß sie sich im E inklang m it den H ypo thesen der N atu rw issenschaften , der A nth ropo log ie , Psychologie, Ö konom ie usw. befinden (es sei d en n , er ste llt diese H ypothesen ausdrücklich in Frage), so rek o n s tru ie rt der Sprachgeschichtsschreiber frühere Sprachzustände und Ü bergänge zwi­schen S prachzuständen aufgrund seiner D aten in solcher Weise, d aß sich alle Z ustände und Ü bergänge im E inklang m it den H ypo thesen d e r allge­m einen G ram m atik theo rie bzw . der allgem einen G ram m atikveränderungs­theo rie befinden (es sei denn , er ste llt diese H ypo thesen ausdrücklich in Frage). — M it dieser B em erkung will ich keinerlei A nspruch au f eine o ri­ginelle F orm ulierung verb inden; sie soll lediglich das V erhältn is von L in­guistik und Sprachgeschichtsschreibung im H inblick au f das V erhältn is ihrer M ethoden charak terisieren . Die K on tro llfu n k tio n der L inguistik für die Sprachgeschichtsschreibung h a t besonders eindringlich R om an Jakobson hervorgehoben:

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“ A conflict between the reconstructed state o f a language and the general laws which typology discovers makes the reconstruction questionable. ... A realistic approach to a reconstructive technique is a retrospective way from state to state and a structural scrutiny of each of these states w ith respect to the typological evidence. ... The structural laws of the system restrict the inventory o f possible transitions from one state to another.” 9

Indem der S prachh isto riker seine B eschreibungen im E inklang m it den Prinzipien der allgem einen G ram m atik theorie und der allgem einen G ram ­m atikveränderungstheorie fo rm u lie rt, sichert er den beschriebenen Phä­nom enen zugleich eine b estim m te In te rp re ta tio n : sie w erden relativ zu den linguistischen T heorien e r k l ä r t . (Seine eigene B eschreibung er­k lärt dann w iederum die in die R eko n stru k tio n en eingegangenen D aten; aber dam it h a t der L inguist n ich ts zu tu n .)

Daß um gekehrt der S prachhistoriker m it seinen B eschreibungen dem L inguisten überhaup t erst das M aterial verschafft, au f dem er eine allge­m eine G ram m atikveränderungstheorie au fb au t, b ed arf sicher ke iner nä­heren E rläu terung . Jed e noch n ich t du rch die T heorie e rfaß te beschriebe­ne G ram m atikveränderung e rfo rdert eine V eränderung der T heorie ; die veränderte T heorie b ie te t dann w iederum eine relative Erklärung für das beschriebene P hänom en dar. Die M ethoden , m it denen der S prachh isto ri­ker zu seinen B eschreibungen gelangt (z.B. V erfahren der D ip lom atik m it ihren zah lreichen H ilfsw issenschaften w ie Paläographie, S chreibm aterial­kunde, Siegelkunde usw ., V erfahren d e r N um ism atik , der D ialektologie und zahlreicher anderer W issenschaften), in teressieren den L inguisten al­lerdings überhaup t n ich t. Ihn in teressieren , als L inguisten, einzig und al­lein die Ergebnisse der T ätigkeit des Sprachhistorikers, die R ek o n stru k ­tionen . W enn er sich gelegentlich darüber w u n d ert, w ie die K ollegen in den verschiedenen Philologien zu ihren R ek o n stru k tio n en gelangen, und diese un tersch ied lich bew erte t, so tu t er dies sozusagen als M ensch, näm ­lich als im allgem einen W issenschaftsbetrieb e rfah rener M ensch, aber n ich t als L inguist, ausgenom m en natürlich den Fall, daß gegen d ie Kon- tro llfu n k tio n der linguistischen Prinzipien verstoßen w orden ist. A uch aus diesem Blickwinkel erg ib t sich also keine Berührung der M ethoden .

II

Dies geklärt, w ill ich m ich nun den positiven Seiten des V erhältn isses von L inguistik und Sprachgeschichtsschreibung zuw enden . Es ist ja n ich t so, daß die L inguistik , insbesondere die d iachron ische L inguistik au f der Sprachgeschichtsschreibung parasitie rt oder für das Bezogene nur knapp m it der L ieferung deskrip tiver K ategorien und Prinzip ien ihrer V erw en­dung en tg ilt. G anz im G egenteil: seit es beide D isziplinen g ib t, h a t die

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Linguistik d e r Sprachgeschichtsschreibung im m er neue Im pulse gegeben, so daß m an das V erhältn is der beiden zueinander unbed ing t sym biotisch nennen m uß . Um dies zu sehen, b rau ch t m an sich n u r zu vergegenw ärti­gen, w ie jed e nennensw erte Ä nderung in der L inguistik ihre W irkung auf die Sprachgeschichtsschreibung ausgeübt h a t, und n ich t nu r so, daß sich das K o n tro llin stru m en t geändert h ä tte , sondern so, d aß Sprachge­schichte ganz o ffensich tlich nur deshalb neu geschrieben w urde, w e i l sich die L inguistik geändert h a tte . Zw eifellos s teh t der enorm e A uf­schw ung der Sprachgeschichtsschreibung im le tz ten V iertel des 19. Ja h r­h u nderts in engem Zusam m enhang m it den gew altigen F o rtsch ritten der diachronischen Linguistik , die d ie junggram m atische Schule e rb rach t hat; o f t genug w aren ja die beiden D isziplinen in Personalun ion vereinigt. Aus jüngerer Zeit will ich n u r zwei Beispiele nennen : M an m uß m it Blind­heit geschlagen sein, um zu verkennen , daß M oultons A ufsatz “ Z u r G e­schich te des deu tschen V okalsystem s” 10 nu r deshalb geschrieben w urde, weil der A u to r sich von der V erw endung der B eschreibungsm ethoden der struk tu ra listisch -funk tionalen L inguistik in teressan te neue In te rp re ­ta tio n en gewisser A spekte der deu tschen L autgesch ich te versprach, neue Erklärungen relativ zu einer veränderten T heorie — n ich t aber, w eil sich die Wissenslage im G egenstandsbereich der B eschreibung d e r deu tschen Sprachgeschichte signifikant verändert h ä tte , etw a durch die E ntdeckung neuer D aten . Dasselbe gilt zw eifellos für E lizabeth Closs T raugo tts “ H istory o f English S y n tax ” 11 m it Bezug au f die T ransfo rm ationsgram ­m atik , was sich ja schon im U n tertite l ausdrückt: “ A T ransfo rm ational A pproach to th e H istory o f English Sen tence S tru c tu re ” . Solche Im pulse sind natürlich dann besonders w ertvoll, w enn das von der L inguistik her m otiv ierte In teresse für einen bis dah in gar n ich t o der w enig beach te ten P roblem kreis neue o d e r in tensivere M aterialforschung nötig m ach t und in Gang setzt.

Da m ir, w ie gesagt, n ich t deu tlich ist, w ann die “ neuere L inguistik” b e ­ginnt, m öch te ich den zu le tz t genann ten A spekt des V erhältn isses von Linguistik und Sprachgeschichtsschreibung an zwei Beispielen aus der neuesten L inguistik e rläu tern , w om it ich d ie L inguistik d e r a llerle tz ten , sagen w ir der siebziger Jah re m eine. Da im m er eine gewisse Z eitd ifferenz zw ischen der E ntw ick lung neuer K onzep tionen in der L inguistik und ih­ren A nw endungen in d e r Sprachgeschichtsschreibung anzusetzen ist, d a rf man n ich t erw arten , d aß die W irkungen au f d ie le tz te re schon b edeu tend gewesen w ären. Ich m öch te also verdeu tlichen , w ie diese aussehen k ö n n ­ten (oder Vorhersagen, w ie sie aussehen w erden). Das erste Beispiel b e ­trifft d ie M orphophonologie , das zw eite die S yntax .

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W ährend der Zeit der D om inanz der T ransfo rm ationsgram m atik h a t in der theo re tischen M orphophonolog ie eine E ntw icklung s ta ttg efu n d en , in der neben der E bene der system atisch-phonetischen R ep räsen ta tion eine solche der system atisch-phonem ischen (oder “ zugrundeliegenden” ) R e­p räsen ta tion angenom m en w urde, w obei d ie beiden E benen d u rch eine lange R eihe zum Teil extrinsisch geo rdne te r Regeln m ite inander verbun­den (bzw . voneinander ge tren n t) w aren. A n die Frage d e r E ntfernung dieser beiden E benen voneinander h a t sich eine lange K ontroverse, die sogenannte A bstrak theitskon troverse , geknüpft, ausgelöst du rch Paul K iparskys A ufsatz “ How abstrac t is p hono logy?” von 1968 und fo rtge­setzt von Charles K isseberth, L arry H ym an, Jo h n C ro thers, m ir, Jo an H ooper und verschiedenen and eren .12 Die jüngste E ntw icklung au f d ie­sem G ebiet, von d e r ich K enntn is habe, ist in einem A ufsatz von m ir vollzogen, “ W ords and Syllables in N atural G enerative G ram m ar” von 1 9 7 4 .13 H ier fallen die be iden E benen völlig zusam m en; d .h ., es g ib t überhaup t n u r eine D arstellungsebene für phonolog ische In fo rm ation über lexikalisches M aterial, näm lich die d e r lexikalischen Speicherung.Die R ep räsen ta tionsfo rm ist die expliziteste system atisch-phonetische Form , die der “ A ussprache in Iso la tion” . Die W ortbildungsregeln und phonologischen Regeln haben die F u n k tio n von W ohlgeform theitsbe- dingungen für lexikalische E inheiten (“ W örter” ); sie w erden generativ nur zur Bildung neuer E inheiten , zur A dap ta tion frem der E inheiten und zur A nalyse u n b ek an n te r E inheiten eingesetzt. Die einzigen M odifika tio ­nen, denen eine lexikalische E inheit ausgesetzt ist, w erden durch Sandhi- regeln, sa tz in tona to rische Regeln und des w eiteren solche Regeln d u rch ­geführt, die d u rch den K o m m u n ika tionskon tex t k o n tro llie rt w erden , z.B. d u rch den G rad der F o rm alitä t und das Sprech tem po . Da sich die lexikalischen E inheiten durch phonologische Prozesse gew öhnlich im L auf der Zeit reduzieren , die un reduz ie rte Form aber o ft im syn tak tischen N exus noch eine Zeit e rhalten b le ib t, haben Sandhiregeln charak te ris ti­scherweise eine G estalt, d ie sie w ie U m kehrungen des ursprünglichen phonologischen Prozesses erscheinen läß t, dem sie ihre E n tstehung ver­danken . Für diesen speziellen E ntw ick lungstypus, der in der V ergangen­he it schon ö fte r b em erk t, aber in seiner B edeutung nie rech t gew ürdigt w orden ist, habe ich die Bezeichnung “ R egelum kehrung” vorgeschlagen1 4 ; sie schein t sich einzubürgern . Die R ealitä t der inversen Regeln kann m an o ft nachw eisen, so w ie m an die R ealitä t jed e r anderen sprachlichen R e­gel nachw eist: aufgrund von R egelverallgem einerung, m anifest in A nw en­dungen au f K o n tex te , die n ich t zur D om äne der ursprünglichen Regel gehören.

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Ich m öch te diese E ntw ick lung innerhalb der L inguistik an zwei k o n k re ­ten Fällen verdeutlichen .

E r s t e r F a l l . In d e r V orgeschichte des S anskrit h a t eine phonologi- sche E ntw ick lung s ta ttg efu n d en , in der die Iso la tionsfo rm eines W ortes in auslau tenden K onsonan tengruppen alle K onsonan ten m it A usnahm e des ers ten verlor. M it Bezug au f das V edische sch re ib t M acdonell:

“ The rule is th a t only a single consonant may be final. Hence all b u t the first o f a group of consonants m ust be dropped; e.g. abhavan 3.pl.impf.‘were’ (for abhavant); tan acc.pl. ‘thpse’ (for täns); tudän ‘striking’ (for tudänts); prah ‘forward’ (through prUhk for pranc-s); ¿chan 3.s.aor. ‘has pleased’ (for achantst). ” 15

Nach n zeigt sich aber gelegentlich ein ursprünglich durchgängig vorhan­denes s im syn tak tischen N exus, w enn die nächstfo lgende lexikalische E inheit m it einem fron ta len stim m losen V erschluß beg inn t, näm lich vor an lau tendem t und , zu s assim iliert, vor an lau tendem c. M acdonell schreibt:

“ Final n usually remains unchanged before dental t, e.g. tvavän tmanS; bu t the dental sibilant is sometimes inserted in the RV., the preceding » then becoming Anusvära. This insertion takes place, only when the sibilant is historically justified16; e.g. avadams tvitm (for Svadan). ”

“ Before c the palatal sibilant is sometimes inserted in the RV., the preceding n then becoming Anusvära. This insertion takes place, only when the sibilant is etymologically justified17, almost exclusively (though no t w ithout excep­tion even here) before ca and cid; e.g. anuyajäms ca, amenHms cit. " (§ 40.2 und § 40.1 .a.)

Wie w ürde m an diese S itua tion m it den M ethoden d e r neueren und neuesten L inguistik beschreiben? Die T ransfo rm ationsgram m atik w ürde h ier F o r­m en m it auslau tendem ns ansetzen , dazu eine Regel (in M erkm alno ta tion , aber hier abgekürzt, m it # für die W ortgrenze und F für fro n ta len stim m ­losen V erschluß):

s ->• <t / n # X (op tiona l für X = F)

Die neueste L inguistik w ürde genau nach der B eschreibung der le tz ten beiden M acdonell-Z itate verfahren , da sie von der Iso lationsform ausge­hen m uß:

<t> -*• s / n # F (op tiona l)

Die beiden B eschreibungen leisten h insichtlich der D aten dasse lbe .18 Die Frage ist nur: W elche ist richtig? B etrach ten w ir die F o rtse tzung jedes der beiden le tz ten Z ita te bei M acdonell:

“ In the later Samhitäs the inserted sibilant becomes commoner, occurring

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even where no t etymologically justified.” [Fußnote: “ As in the 3.pl.impf., e.g. abbavan (originally äbhavan-t) and the voc. and loc. o f » stems, e.g., rüjan (which never ended in s). ”]

Im klassischen Sanskrit schließlich ist die E inschaltung des S ibilan ten zur allgem einen Regel gew orden. So he iß t es in T hum b-H auschilds “ H andbuch des S anskrit” ohne jede E inschränkung: “ Zw ischen ein -n und einen an lau tenden t o n l o s e n Palatal, C erebral und D ental w ird der en tsp rechende Z ischlaut (s, s, s) e ingeschoben; d e r Nasal w ird zum A n u s v ä r a 19 Die E inschaltung des S ibilan ten ist also sogar au f den Fall eines an lau tenden zerebralen , d .h . re tro flex en stim m losen V erschlus­ses, der im V edischen noch gar n ich t vorkam , ausgedehnt w orden .

Wie können w ir diese späteren E ntw ick lungen verstehen? Müssen w ir an­nehm en, daß der o p tio n a le Teil der Regel der ersten Beschreibung w eni­ger häufig angew endet w urde und daß zudem gewisse F orm en , die u r­sprünglich au f n (oder n t) en d e ten , später m it ns relexikalisiert w urden , w obei das s dann auch h ier op tional getilg t w urde? O der sollen w ir an ­nehm en, daß die E rinnerung daran , w elche Form en a u f-« vor fron ta lem stim m losem V erschluß einen “ etym ologisch gerech tfe rtig ten ” S ib ilan ten einschalte ten und w elche n ich t, sich m it der Zeit verlor, die Regel der E inschaltung selbst aber n ich t, so daß allm ählich R egelverallgem einerung, d .h . A nw endung der Regel au f vorher ausgenom m ene K o n tex te und schließlich ausnahm slose A nw endung e in tra t? O hne Zweifel haben w ir le tz teres anzunehm en: Die richtige B eschreibung dieses A spekts d e r G e­schichte des S anskrit m uß von der zw eiten Beschreibung des en tsp rech en ­den Z ustands im ältesten V edischen ausgehen; d .h ., sie n im m t jew eils sofortige R elexikalisierung m it der Iso la tionsfo rm , R egelum kehrung und R egelverallgem einerung an. N ur sie w ird in p lausib ler Weise durch die ihr zugrundeliegende T heorie in te rp re tie rt.

Z w e i t e r F a l l . Im Bairischen h a t sich auslau tendes -(s)r in “ ein vorn gesprochenes, sehr helles a ” v e rä n d e r t20 ; z.B. hindda ‘h in te r’, da ‘d ir [dar] ’, heä ‘h ö r(e )’. In syn tak tischem N exus zeigt sich aber das r noch vor V okal:

hindda: hindd'ar an Baam ‘h in te r einem B aum ’da: da daad a dar äa schdingga ‘da w ürde er d ir auch s tin k en ’beh: da heär i ‘da hö re ich ' (aber i bea d i ‘ich hö re d ic h ’)

A uch auslau tendes -aw ist zu -ä gew orden: la f ß ‘lau fen ’, kenriä ‘k en n en ’, und auch dieses -n ta u c h t vor V okal w ieder auf:

laffä: de lä fß n aa ‘die laufen au ch ’ kenna: m iä kennan da ‘w ir ken n en e in en ’

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W ieder w ürde die T ransfo rm ationsgram m atik “ zugrundeliegende” R eprä­sen ta tionen m it den längeren F o rm en ansetzen und die kürzeren Form en durch R egeln ab leiten , die die h isto rische E ntw icklung in d e r Synchronie nachbilden . A uf diese Weise w ürde sie diesen A spekt d e r bairischen Sprachgeschichte genau so falsch beschreiben w ie den en tsp rechenden Fall des Sanskrit.

D enn b e trach ten w ir einige w eitere F orm en, zunächst Partiz ip ien und In­finitive au f -ä, aus -s«: kerria ‘gekom m en’, lachh ‘lachen ’. Wie verhalten sich diese in syn tak tischem N exus vor V okalen?

kem h: w ann ä kem är is ‘w enn er gekom m en is t’*wann h kem an is

lachh-. dS soi ma lachhr äa no ‘da soll m an auch noch lachen ’*dft soi m a lachan aa no

Hier ta u c h t n ich t das etym ologisch allein zu rech tfe rtigende n w ieder auf, sondern ein r. Sollen w ir also annehm en , daß in fin ite V erbform en, die ehem als au f n au slau te ten , n unm ehr in ih rer “ zugrundeliegenden” G estalt au f r auslau ten , w elches dann zudem in allen K o n tex ten außer vor V okal getilgt w ird? Keineswegs. Dieses r liegt n ich t zugrunde, es w ird als “ B indelau t” (so m eine V orlage) du rch eine Sandhiregel eingeschoben. H aben also d ie in fin iten F orm en ih r n verloren, so daß die Sandhiregel, die r einfügt, angew andt w erden kann , die fin iten V erb fo rm en aber n icht? Das w iderspräche der T heorie , die besagt, d aß die F o rm en , die in den syn tak tischen V erband gelangen, die Iso la tionsfo rm en sind, und die lau ten ja au f -a, n ich t au f n aus. Nach der T heorie w ird also auch das n du rch eine Sandhiregel e ingeschoben; die T heorie leh rt also für den vor­liegenden Fall, daß diese Sprache (m indestens) zwei Sandhiregeln für den K o n tex t -a # V- hat, deren A nw endbarkeit du rch b estim m te zusätzli­che In fo rm ationen gesteuert w ird , z.B. den U nterschied zw ischen fin iten und in fin iten V erbform en.

Dies sagt d ie T heorie; aber g ib t es irgendw elche H inw eise in der Sprache darauf, daß die T heorie hier die richtige Beschreibung erzw ingt? Es g ib t sie. Z unächst k ö nnen w ir d ie R ealitä t b e i d e r Sandhiregeln an F o r­m en nachw eisen, die h istorisch w eder ein r noch ein n im A uslau t besaßen, nun aber sow ohl m it r als auch m it n g ebunden w erden kö n n en , z.B. wiä ‘w ie’:

‘w ie ich gesagt h ab e ’

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Sollen w ir annehm en, daß wiä au f zwei verschiedene Weisen relexikali- siert w orden ist, als wiär und als wiän, w obei be ide F orm en außer vor V o­kal w ieder zu wiä verkürzt w ürden? N atürlich n ich t. Die lexikalische Form ist nach wie vor wiä, und die D oppelheit der R ealisierung vor vo- kalischem A nlau t rührt daher, daß die Sprachverw ender m it zwei San- dhiregeln operieren , in diesem Fall aber keinerlei In fo rm atio n darüber ha­ben , w elche der be iden die “ rich tige” S andhiform erzeugt, da keine der beiden “ etym ologisch g e rech tfe rtig t” ist (was natürlich die Sprachver­w ender im allgem einen n ich t w issen).

Wir können aber noch w eite r gehen und eine R angordnung zw ischen den beiden Sandhiregeln aufstellen . Meine V orlage sagt im m er in Fällen , w o beide Regeln verw endet w erden , daß d ie F orm m it r d ie häufigere sei (also z.B. wiär i häufiger als wiän i) o d e r daß die F orm m it n in der “ b äu er­lichen S prache” verw endet w ürde. W enn ich m eine V orlage richtig d eu te , so kann, w o im m er n V erw endung fin d e t, auch r verw endet w erden, aber n ich t um gekehrt. Z.B. kann bei den in fin iten V erb fo rm en , w ie schon gesagt, n u r r eingefügt w erden , n ich t aber n, bei den fin iten h inge­gen sow ohl n, w ie schon gezeigt, als auch r 2 1 :

laffct: m ib lä ffär hä ‘w ir laufen auch ’ kennh: die kennar ohne ‘sie kennen e ine’

W ährend die E infügung von n au f b estim m te syn tak tische K ategorien und E inzelw örter besch ränk t ist und zudem auch dann nur eine O p tion gegenüber der von r d arste llt, w ird r frei verw endet, w ie die folgenden Beispiele zeigen22:

Buä: da Buär is ‘der Bub is t’ wegä: wegär eich ‘wegen eu ch ’ ä ä .ä a rh ‘auch e in ’

Die richtige B eschreibung des Bairischen geh t also von den Iso la tionsfo r­m en au f -a aus und e n th ä lt die folgenden Regeln:

in fin iten V erb fo rm en “

~n / < in wiä ► op tional<t>------ > < ► / a ___ # V

.»•

Tatsächlich ist das P roblem der “ B indung” im Bairischen noch um eini­ges kom plexer, da 1. u n te r bestim m ten B edingungen auch andere K on­sonan ten eingeschaltet w erden (d, w ), 2. auch nach anderen V okalen als -a B indung vorkom m t und 3. auch d ie Q ualitä t des nachfolgenden A n­lautvokals in einigen Fällen eine R olle spielt. Die E inbeziehung dieser

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K om plex itä ten w ürde aber die B eschreibung nu r im D etail, n ich t im G rundsätzlichen ändern .

A uch dieser zw eite Fall verdeu tlich t, w ie ein U nterschied in d e r Theorie U nterschiede in der Beschreibung von Sprachzuständen zu r Folge h a t — und dam it natürlich auch U nterschiede in der Beschreibung der V erände­rungen, die zu den S prachzuständen geführt haben . O bw ohl die T rans­fo rm ationsgram m atik keine P rinzipien aufgestellt h a t, d ie den Beschrei­ber von Sprache und Sprachgeschichte zw ängen, vorgegebene D aten in e iner bestim m ten Weise zu beschreiben , sah d ie d u rch sie b estim m te Pra­xis doch ste ts so aus, daß die “ zugrundeliegenden” Form en so lange als unverändert angesetzt w urden , w ie die F orm en in irgendeinem K o n tex t noch erschienen, w ährend alle V eränderungen als Ä nderungen in dem ursprünglichen R egelsystem beschrieben w urden , näm lich als V erallge­m einerung einzelner Regeln oder U m ordnung zw eier oder m ehrerer R e­geln, und daß eine neue “ zugrundeliegende” F orm erst angesetzt w urde, w enn keine F o rm enalte rna tion m ehr vorlag. Die N atürliche G enerative G ram m atik hingegen h a t Prinzipien e ra rb e ite t, d ie den B eschreiber von Sprache und Sprachveränderung, der im R ahm en dieser T heorie a rbeite t, zw ingen, für ein sehr frühes S tad ium der Sprachveränderung Relexikali- sierung anzusetzen , näm lich sobald eine neue Iso lationsform fix ie rt ist, und d ie ihn daran h indern , Sprachveränderung als Ä nderung in einer vorgeschriebenen R egelordnung zu beschreiben . R egelverallgem einerung und natürlich R egelverlust sind V eränderungsm echanism en, die beide A nsätze m it der trad itione llen G ram m atik te ilen . A ber R egelum ordnung läß t die N atürliche G enerative G ram m atik sow enig w ie d ie trad itione lle G ram m atik zu, näm lich aus dem einfachen G runde n ich t, daß sie keine geo rdne ten R egeln zulassen. H ingegen berücksich tig t die N atürliche Ge­nerative G ram m atik den Fall, daß durch die R elexikalisierung eine Regel en ts teh t, die residuale F orm en aus den neuen lexikalischen Form en ab­le ite t (R egelum kehrung). Die A däqua the it der d u rch diese T heorie d ik ­tie rten B eschreibungen ist in einer R eihe sign ifikan ter Fälle nachgew ie­sen w orden , so ja auch in den beiden hier vorgestellten Fällen , in denen die R ealitä t der U m kehrregel du rch ihre V erallgem einerung erw iesen w urde. Die du rch die T heorie erzw ungene A nsetzung frühzeitiger R e­stru k tu rie ru n g m it R egelum kehrung 23 h a t in einigen prak tischen Fällen zu B eschreibungen geführt, die sich vom S tan d p u n k t der T ransfo rm a­tionsgram m atik aus radikal abw eichend ausnehm en, die aber, w enn älte­re, im R ahm en der vo rstruk tu ra listischen G ram m atik oder außerhalb der struk tu ra listischen und der tran sfo rm ationalistischen Linguistik d u rch ­geführte B eschreibungen vorliegen, m it diesen im E inklang s teh en . 24 (D asselbe gilt ja auch für die beiden hier besprochenen Fälle.) Die neueste

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Linguistik ist also in höherem M aße m it d e r deskrip tiven Praxis d e r be­deu ten d en G ram m atiker der ä lteren Zeit verträglich als gewisse E n tw ick ­lungsstufen der neueren Linguistik . Man kann sagen, daß d ie neueste L in­guistik , ohne daß dies zu ihren Zielen gehö rt h ä tte , eine T heorie der G ram m atik und der G ram m atikveränderung geschaffen h a t, d ie zu der aus E rfahrung und In tu itio n en tw icke lten Praxis der trad itione llen Sprach- beschreibung und Sprachgeschichtsschreibung in w ichtigen P u nk ten d ie theo re tische G rundlage darste llt.

III

Als zw eites Beispiel m öch te ich eine neuere E ntw icklung in d e r S y n tax ­forschung besprechen . In der Sprachbeschreibung und der Sprachge­schichtsschreibung ha t, u n te r den verschiedensten N am en wie M odifika­tion , Q ualifikation , B estim m ung und D eterm ination , der Begriff d e r Spezifikation eines sprachlichen A usdrucks du rch einen anderen seit je ­her eine R olle gespielt, ausgenom m en allerdings die T ransfo rm ations­gram m atik . N euerdings h a t dieser Begriff in der theoriebezogenen W ort­stellungsforschung g roße B edeutung erlangt; den A nstoß dazu gaben die typo log ischen U ntersuchungen von Joseph G reenberg .25 Der Begriff w ar allerdings nie allgem ein und genau defin ie rt w orden ; er gründete sich auf eine vage sem antische In tu itio n . Infolgedessen finden sich bei verschie­denen A u to ren verschiedene A nw endungen des Begriffs. Z.B. engt B loom field ihn au f den Fall der A ttr ib u tio n (der “ endozen trischen K on­s tru k tio n en ” ) ein; T ru b e tzk o y läß t außer der A ttr ib u tio n auch bestim m ­te Fälle der K om plem en ta tion zu, so die R ela tion des O bjek ts zum V erb, aber n ich t die des S ubjek ts zum V erb; in dem A ufsatz “ S p rach th eo rie” von Bartsch und m ir ist auch d ie S ub jek t-V erb-R elation als S pezifika tions­beziehung zugelassen .26

A uf den Begriff d e r S pezifikation gründet sich d e r auch für die Beschrei­bungspraxis w ichtig gew ordene Begriff der w orts te llungskonsisten ten Sprache als einer Sprache, in deren G rundw ortste llung S pezifikatoren ihren Spezifikaten en tw eder säm tlich vorangehen (konsisten t präspezifi- zierende Sprache) oder säm tlich folgen (konsisten t postspezifiz ierende S prache).27 W infred P. L ehm ann h a t, ausgehend von Ergebnissen der äl­te ren Forschung , die T hesen aufgestellt, daß das P ro to -Indoeuropäische zum präspezifiz ierenden T ypus gehö rte und d aß die E ntw icklung der europäischen T och tersp rachen im w esentlichen eine solche vom präspezi­fizierenden T ypus fo rt und hin zum postspezifiz ierenden T ypus gewesen sei und noch sei; so zu le tz t in seinem Buch “ P ro to -Indo-E uropean Syn­ta x ” .28 H ierüber schein t sich nun eine K ontroverse zu en tw icke ln ; jeden-

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falls finde t sich L ehm anns A usgangsthese in Frage gestellt in Paul F ried ­richs A ufsatz “ The Devil's Case: ‘PIE as SV O ’ ” .29

Die sich hier abzeichnende K ontroverse ist o ffensich tlich eine solche der S prachbeschreibung und der Sprachgeschichtsschreibung; geführt aber w ird sie über einen linguistischen Begriff, den der S pezifika tion . Die F ra­ge lau te t: War das P ro to -Indoeuropäische eine vorw iegend präspezifizie- rende (L ehm ann) oder eine vorw iegend postspezifiz ierende Sprache (F riedrich)? In einer solchen S itua tion ist es o ffensich tlich von g rö ß te r W ichtigkeit, daß der theo re tische B egriff völlig k lar ist; denn sonst ist bei der B eurteilung spezifischer rek o n s tru ie rte r P hänom ene dem Forscher ein individueller Spielraum gelassen, der nur zu im m er neuer V erw irrung führen kann und eine Lösung des Problem s prinzipiell unm öglich m acht.

Ich will an einem ko n k re ten Fall e rläu te rn , was ich m eine. F riedrich , auf der Suche nach postspezifikativen syn tak tischen R ela tionen im Proto- Indoeuropäischen , u n te rsu ch t auch Syntagm en m it lokativen A dverbial­partike ln und einerseits V erben, andererseits N om inalausdrücken — S yn­tagm en, die auch im heutigen D eutsch sehr häufig sind, z.B. aus-fäbrt, aus M annheim ; m it-geht, m it Peter. Er schreib t:

“ Locative Auxiliaries: Preposing

These little units (1) can stand in immediate construction with a noun, with which they share a dom inating noun phrase node3®, in which case they function to disambiguate case subcategories: or (2) can stand in immediate construc­tion with a verb, with which they share a dom inating verb phrase node, in which case they function to disambiguate aspectual subcategories. ... Both the case and the aspect categories are spatio-temporal. ... Rather than call them 'preverbs’ in one part o f the grammar, and ‘prepositions’ or ‘postposi­tions’ in another part, I will call them ‘locative auxiliaries’. ... The locative auxiliaries are o f differential relevance to the problem at issue here. The evidence is that they normally preceded the verb, as is consonant with the type II hypothesis [das ist die These, daß das Proto-Indoeuropäische eine SVO-Sprache, also eine vorwiegend postspezifizierende Sprache war]. The key, m oot question involves adnominal position: were they preposed or postposed? ... PIE was probably ambivalent, with preposing somewhat more frequent and less m ark ed .... The probability o f such preposing significantly decreases the likelihood that SOV was dom inant, and increases the likelihood that PIE was VO, whether I or II [das heißt, daß das Proto-Indoeuropäische eine Verb-vor-Objekt-Sprache war, und zwar entweder vom Subtypus I (VSO, m it dem Subjekt zwischen Verb und Objekt) oder vom Subtvpus II (SVO), jedenfalls also eine vorwiegend postspezifizierende Sprache].”

Friedrich b e trach te t also die rek o n s tru ie rte bevorzugte Stellung d e r A d­verb ialpartikeln sow ohl v o r dem V erb (analog deu tsch aus vor fä h r t) als auch v o r dem N om inalausdruck (analog deu tsch aus vor M annheim ) als Evidenz für die H ypothese, das P ro to -E uropäische sei eine VO-Spra-

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che, also eine vorw iegend postspezifiz ierende Sprache gew esen. E r sieht also das V erhältn is des V erbs zum “ Präverb” und das V erhältn is d es N o­m inalausdrucks zur “ P räposition” als parallel und beide als para lle l zum V erhältn is des O b jek ts zum V erb; in d e r hier verw endeten Sprechw eise: er b e trach te t sow ohl das V erb als auch den N om inalausdruck als Spezifi­k a to r zur A dverb ialpartikel.

Hier ist o ffen b ar genau d ie S telle erre ich t, an der die A rg u m en ta tio n zu­sam m enbrich t, w enn es keine vom Fall unabhängige D efin ition des Spe­zifikationsbegriffs g ib t. N un h a t die neueste Linguistik eine so lche Defini­tion angegeben; aber F riedrich ha t sie n ich t b en u tz t. Diese D efin ition besagt, daß das Spezifikat diejenige K o n stituen te ist, deren K ategorie m it der K ategorie des G esam tausdrucks übereinstim m t, abgesehen von U n ter­schieden in d e r S te lligkeit.31 Ä ndert sich d ie S telligkeit n ich t, so liegt der Spezialfall d e r A ttr ib u tio n vor; ändert sich die S telligkeit, so d e r d e r K om plem enta tion . Z.B. ist schnell in schnell fä h r t S pezifika to r, näm lich A ttr ib u t zu fä h r t, und den A p fe l ist S pezifika to r, näm lich K om plem en t zu iß t in den A p fe l iß t; d enn schnell fä h r t ist von derselben K ategorie wie fährt, und den A p fe l iß t von derselben K ategorie, allerdings bei um eins verm inderter S tellenzahl, w ie ißt. N ehm en w ir an, beide k o m plexen Prä­d ika te b ilde ten m it Peter als S ub jek t einen Satz, seien also kom plexe in transitive V erben. Als solche sind sie — in der form alen K ategorialgram - m atik — von der K ategorie s/n , da sie m it dem N om inalausdruck (n)Peter e inen Satz (s) b ilden . A uch fä h r t ist von der K ategorie s/n , und zw ar aus dem selben G runde. Das M odaladverb schnell, das sich h ier m it einem in transitiven V erb zu einem kom plexen in transitiven V erb v erb inde t, ist also von d e r K ategorie (s /n ) / (s /n ). H ier ste llt sich das A ttribu tionsver- hältn is also auch form al dar:

Peter schnell fä h r tn (s /n ) / (s /n ) s/n

s/n

s

Der Prozeß, nach dem sich dies errechne t, ist d er der einfachen K atego­rienm u ltip lika tion : Für K ategorien g, h , k ist h-k = g genau dan n , w enn en tw eder h d ie G estalt g /k o der k die G estalt g /h h a t; sonst ist h-k = O.

W ährend den A p fe l iß t von der K ategorie s/n ist, ist iß t von der K atego­rie (s /n )/n , denn als transitives V erb verb indet es sich m it einem N om inal­ausdruck (n) zu einem in transitiven V erb (s/n ):

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Peter den A p fe l( ißt1 - v 1

n n (s /n )/n

s/nJs

In dieser D arstellung d rück t sich auch form al aus, daß sich die K ategorie von den A p fe l iß t genau durch die um eins verm inderte S tellenzahl von der K ategorie von iß t u n te rsche ide t, daß also den A p fe l K om plem en t zu iß t ist.

W enden w ir nun diese D efin ition au f das bei F riedrich b em erk te Problem an; ich b enu tze die deu tschen Beispiele zur V erdeu tlichung . N ehm en wir an, aus-fäbrt und aus M annheim stünden in den K o n tex ten Peter aus-fährt und Peter aus M annheim fä h r t, A usdrücken von der K ategorie s. Da auch Peter fä h r t von der K ategorie s ist, sind aus-fährt, aus M annheim fä h r t und fä h r t alle von derselben K ategorie, näm lich s/n . Die A dverbien aus und aus M annheim verändern die K ategorie von fä h r t n ich t; sie sind also beide von der K ategorie (s /n ) / (s/n ). D aran sehen w ir zunächst, daß aus in aus-fäbrt A ttr ib u t, also S pezifika to r zu fä h r t ist. A llgem ein:

(1) “ P räverbien” sind S pezifikatoren zu V erben.

M annheim ist von der K ategorie n; aus in aus M annheim ist also von der K ategorie ((s/n ) / (s /n )) / n, w ie die A usführung der K ategorienm ultip li­ka tio n so fo rt zeigt:

Peter aus - fä h r t

n (s /n ) / (s/n ) s/n

I Is/n

s

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Peter aus M annheim fä h r t

n ((s/n ) / (s /n )) / n n s/n

(s/n ) / (s/n )

s/n

s

M annheim ist in aus M annheim also K om plem en t, m ith in S pezifika to r zu aus (w ährend natürlich aus M annheim als G anzes A ttr ib u t und also Spezifikator zu fä h r t ist); denn aus und aus M annheim un terscheiden sich hier kategoriell ausschließlich durch die S tellenzahl: aus ist einstellig, aus M annheim nullstellig. A llgem ein:

(2) N om inalausdrücke sind S pezifikatoren zu “ P räpositionen” .

Wir sehen also, daß F riedrich d ie S itua tion falsch b eu rte ilt h a t: N ur die “ P räpositionen” , die nach (2) in postspezifiz ierende K o n stru k tio n en ein- tre ten , stü tzen seine These, daß das P ro to -Indoeuropäische vorw iegend postspezifiz ierend w ar (w ährend “ P o stp o sitio n en ” ihr w iders tre iten w ür­den); die “ P räverbien” hingegen stü tzen diese These keineswegs, da sie nach (1) in präspezifiz ierende K o n stru k tio n en e in tre ten . N atürlich s teh t es Friedrich frei, diesen A ngriff zurückzuw eisen. A ber dazu m üßte er eine allgem eine T heorie der S pezifikation — vom hier sk izzierten C harak te r — en tw erfen , derzufo lge sich V erben als Spezifika to ren zu ihren P artike lad ­verbien erw iesen. E ine solche T heorie ist m ir n ich t b ek an n t, und ich kann sie m ir auch n ich t vo rste llen .32

IV

Mein Beispiel aus der S yn tax zeigt noch einm al deu tlich die drei A spekte des Z usam m enhangs von L inguistik und Sprachbeschreibung bzw . Sprach­geschichtsschreibung, die ich am A nfang von A bschn itt II hervorgehoben habe: 1. Es zeigt, w ie relevante A spekte beschriebener Sprache und Sprachgeschichte au f seiten der L inguistik zu einer T heorie (der T heorie der S pezifikation , der W ortstellungskonsistenz usw .) geführt haben .2. Es zeigt, w ie um gekehrt diese T heorie bei d e r Beschreibung als Kon- tro llin stru m en t eingesetzt w erden kann . 3. Es zeigt, w ie von d e r Linguistik Im pulse zur in tensiveren E rforschung zuvor w enig beach te te r A spekte einzelner Sprachen und ih rer G eschichte ausgehen können : Das Vorwie-

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gen der W ortstellungsforschung in der e inzelsprachlichen S yn tax fo rschung ist zw eifellos als R ückw irkung der T heoretisierung dieses Bereichs in der L inguistik au f die B eschreibungspraxis zu b eu rte ilen .33 Im le tz ten dieser Bereiche ist zu erw arten , daß dem nächst de ta illie rte B eschreibungen der W ortstellungsgeschichte einzelner Sprachen, Sprachfam ilien und Sprach- bünde vom S tan d p u n k t der W ortste llungstheorie aus vorgelegt w erden . Z.B. ist eine genaue U ntersuchung der Prozesse, die, nach A usweis der S ta tis tiken von F ries3 4 , das Englische in den le tz ten tausend Jah ren im ­m er näher an konsisten te P ostspezifikation herangeführt haben , ein Desi­dera tum ; ihre erfo lgreiche D urchführung k ö n n te um gekehrt h öchst fö r­dernd au f die T heorieb ildung zurückw irken.

A nm erkungen

•Zugleich m it der Einladung, zu diesem Thema zu sprechen, erhielt ich ein Programm, in dem mein Name, wiewohl m it einem Fragezeichen versehen, bereits erschien. Ich danke dem Herrn Präsidenten des Instituts fur deutsche Sprache, daß er mich gleich­wohl auf meine eindringliche Bitte hin zunächst aus dieser Pflicht entließ. Mit einem zweiten Rundschreiben erhielt ich ein Programm, in dem mein Name immer noch — oder wieder — m it ebendem Thema erschien, wiewohl m it einem Fragezeichen.So ohne Ausweg gelassen, schrieb ich diesen Vortrag. In dem bei Tagungsbeginn verteilten Programm erschienen Name und Thema dann nicht mehr. Infolgedessen wurde der Vortrag bei der Tagung nicht gehalten. Ich habe den Organisatoren die­ser Tagung zu danken, wenn sie den Vortrag tro tz dieser V erkettung von Umständen in den Tagungsbericht aufnehmen.

1 Hrsg. von Renate Bartsch und Theo Vennemann, Kronberg/Ts. 1973.

2 Vgl. Hugo Schuchardt: Über die Lautgesetze: Gegen die Junggrammatiker, Berlin 1885, S. 23, 22, 13-17. Abgedruckt und kom m entiert in Theo Venne­mann und Terence H. Wilbur: Schuchardt, the Neogrammarians, and the Transformational Theory of Phonological Change: Four Essays, Frankfurt am Main 1972; vgl. dort S. 25, 24, 17-21.

3 Vgl. Kap. 4 von Raimo Anttila: Analogy, University o f Helsinki, Depart­m ent o f General Linguistics (Dress Rehearsals, 1), 1974; erscheint in Janua Linguarum, Series Critica.

4 André Martinet: Function, Structure, and Sound Change, in: Word 8 (1952), 1-32. Abgedruckt in Allan R. Keiler (Hrsg.): A Reader in Historical and Comparative Linguistics, New York 1972, S. 139-174.

5 Ich denke z.B. an den Zusammenhang von M onophthongierung und Diph­thongierung im Althochdeutschen (vgl. William G. Moulton: Zur Geschichte des deutschen Vokalsystems, in: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur (Tübingen) 83 (1961), 1-35, und meinen Aufsatz “ Phonetic Detail in Assimilation: Problems in Germanic Phonology” in Language 48 (1972), 863-892, § 2), an die bedeutenden Vokalveränderungen

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im m ittelalterlichen Englischen und Deutschen und an die germanische und deutsche Konsonantenverschiebung.

6 Robert D. King: Push chains and drag chains, in: Glossa 3 (1969), 3-21.

7 Z.B. Morris Halle: Phonology in Generative Grammar, in: Word 18 (1962), 54-72, m it geringfügigen Änderungen abgedruckt in Jerry A. Fodor und Jerrold J. Katz (Hrsg.): The Structure o f Language: Readings in the Philo­sophy of Language, Englewood Cliffs, N.J. 1964, S. 334-352; Paul Kiparsky: Linguistic Universals and Linguistic Change, in: Emmon Bach und RobertT. Harms (Hrsg.): Universals in Linguistic Theory, New York 1968, S. 170- 202, abgedruckt in Keiler (s.o. Anm. 4), S. 338-367; Robert D. King: Histo­rical Linguistics and Generative Grammar, Englewood Cliffs, N.J. 1969; Ar­beiten von Elizabeth Closs Traugott, zuletzt: A History of English Syntax:A Transformational Approach to the History of English Sentence Structure, New York 1972. Vgl. auch den Sammelband R obert P. Stockwell und Ronald K.S. Macaulay (Hrsg.): Linguistic Change and Generative Theory, Bloomington 1972.

8 Vgl. “ Linguistik” in “ Linguistik und Nachbarwissenschaften” (s.o. Anm. 1) sowie “ Sprachtheorie” in Hans Peter Althaus et al. (Hrsg.): Lexikon der Ger­manistischen Linguistik, Tübingen 1973, S. 34-55, insbesondere § 3 und § 4.

9 Typological Studies and their Contribution to Historical Comparative Lin­guistics, in: Proceedings o f the VIII International Congress o f Linguists (Oslo 1958), 17-25. Abgedruckt in Roman Jakobson: Selected Writings I,Den Haag 1962, S. 523-532, und in Keiler (s.o. Anm. 4), S. 299-305. Zitiert nach Keiler, S. 304 f.

10 S. o. Anm. 5.

11 S. o. Anm. 7.

12 Charles W. Kisseberth: On the Abstractness o f Phonology: The Evidencefrom Yawelmani, in: Papers in Linguistics 1 (1969), 248-282; Larry M. Hyman:How Concrete is Phonology?, in: Language 46 (1970), 58-76; John Crothers:A Note on the Abstractness Controversy, in: M onthly Internal Memorandum, November 1970, Berkeley, University o f California, Phonology Laboratory, POLA, 1-22; Theo Vennemann: Phonological Concreteness in Natural Gene­rative Grammar, in: Roger W. Shuy und Charles-James N. Bailey (Hrsg.): Towards Tom orrow ’s Linguistics, Washington, D.C. 1974, S. 202-219; Joan B. Hooper: Aspects o f Natural Generative Phonology, Diss., University of California, Los Angeles, 1973 (erhältlich durch University Microfilms Inc.,Ann Arbor, Michigan).

13 In A nthony Bruck et al. (Hrsg.): Papers from the Parasession on Natural Phonology, Chicago 1974, S. 346-374.

14 Rule Inversion, in: Lingua 29 (1972), 209-242.

15 Arthur A. Macdonell: A Vedic Grammar for Students, Bombay 1916 (Nach­druck von 1966), § 28. Macdonell fährt fort: “k, t, or t, when they follow an r and belong to the root, are allowed to remain [Fußnote: “ The only instance of a suffix remaining after r is in dar-t 3.s.aor. o f dr ‘cleave'^beside ä-Jar 2.s. (for a-dar-s). ”] ; e.g. vark 3.s.aor. o f vrj ‘bend’ (for vark-t); urk nom.s. o f ürj ‘strength’; a-märt 3.s. impf, o f mrj ‘w ipe’; 3-vart 3.s.aor o f vrt

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‘tu rn ’; su-hàrt nom.s. o f suhSrd ‘friend’.”

Fußnote bei Macdonell; “ That is, in the nom.s. and acc.pl.m., which ori­ginally ended in ns.”

Fußnote bei Macdonell: “ That is, in the nom .s.and acc.pl.m., which ori­ginally ended in ns."

Die Regeln für die Assimilation von s zu s vor palatalen O bstruenten und die Schwächung von n zu Anusvära (m) vor Sibilanten wären in beiden Beschrei­bungen dieselben.

Albert Thumb: Handbuch des Sanskrit, Bd. 1.1, 3. Aufl. von Richard Hauschild, Heidelberg 1958, § 180.

Alle Beschreibungen sind Ludwig Merkle: Bairische Grammatik, München 1975, entnom m en. Vgl. insbesondere S. 9 und S. 30-33.

Die unterschiedliche Behandlung der finiten und infiniten Verbformen er­klärt sich aus der Stellungssyntax des Bairischen: Wegen der Frühstellungs­regeln für finite Verben in unabhängigen Sätzen und der Satzklammer sowie der Häufigkeit dieser Satztypen gegenüber dem eingeleiteten abhängigen Satz stehen finite Verbformen viel häufiger in syntaktischem Nexus als infi­nite, so daß sich die Erinnerung an die “etymologisch gerechtfertigte” San- dhiform bei den finiten besser erhalten konnte; vgl. kenh und kema in Mw ketià(r) avià(r) aa(r) h(n) andàsmSi kemit ‘Wir können aber auch ein andermal kom m en’.

In da Zwo'ära (*dà Zwoàà) ‘der Zweier (= die Zwei)’ ist r sogar zwischen Stamm und Suffix eingedrungen.

Über die verschiedene Behandlung der Restrukturierung von Grammatiken in der Transform ationsgram matik und der Natürlichen Generativen Gramma­tik habe ich ausführlicher in “ Restructuring” , in: Lingua 33 (1974), 137-156, gesprochen.

Partielle Sprach- und Sprachveränderungsbeschreibungen von diesem Stand­punkt aus finden sich z.B. in den folgenden Arbeiten: Russell Schuh: Rule Inversion in Chadic, in: Studies in African Linguistics 3 (1972), 379-397;J. Klausenburger: Rule Inversion, Opacity, Conspiracies: French Liaison and Elision, in: Lingua 34 (1974), 167-179; Theo Vennemann: Rule Inversion and Lexical Storage: The Case o f Sanskrit Visarga, Vortrag, International Conference on Historical Linguistics, Ustronie, Poznan, 17.-20. März 1976 (erscheint im Kongreßbericht, hrsg. v. Jacek Fisiak); vgl. auch den Abschnitt “ Rule Inversion” in Larry M. Hyman: Phonology: Theory and Analysis,New York 1975, S. 176-178.

Some Universals o f Grammar with Particular Reference to the Order of Meaningful Elements, in: Joseph H. Greenberg (Hrsg.): Universals o f Language, 2. Aufl., Cambridge, Mass. 1966, S. 73-113. Abgedruckt in Keiler (s.o.Anm. 4), S. 306-337.

Leonard Bloomfield: Language, New York 1933, S. 194-198; Prince N. Trubetzkoy: Le rapport entre le determine, le déterm inant et le défini, in: Mélanges de linguistique offerts à Charles Bally, Genf 1939, 75-82 [abge­druckt in: Eric P. Hamp et al. (Hrsg.): Readings in Linguistics II, Chicago 1966, S. 133-138] ; Renate Bartsch und Theo Vennemann: Sprachtheorie (s.o. Anm. 8), § 5.2.4.

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27 Der Begriff der Konsistenz ist von Winfred P. Lehmann im Anschluß an Greenberg eingeführt worden. Zu Lehmanns langer Reihe von Aufsätzen zu diesem Thema vgl. die Bibliographie, insbesondere ab 1971, in seinem Buch “ Proto-Indo-European Syntax” , Austin 1974, S. 260 f.

28 S. o. Anm. 27. — Charakteristische Aspekte dieser Entwicklung sind, mit direktem Bezug auf den Begriff der Spezifikation, beschrieben in meinen Aufsätzen “ Topics, Subjects, and Word Order: From SXV to SVX via TVX” , in: John M. Anderson and Charles Jones (Hrsg.): Historical Linguistics, Amsterdam 1974, Bd. 1, S. 339-376 [m it erheblichen Auslassungen und Entstellungen deutsch abgedruckt in Gudula Dinser (Hrsg.): Zur Theorieder Sprachveränderung, Kronberg/Ts. 1974, S. 265-314]; “ An Explanation of D rift” , in: Charles N. Li (Hrsg.): Word Order and Word Order Change, Austin 1975, S. 269-305; “ Zur Entstehung der Nebensätze im Germani­schen” (erscheint in der Festschrift für Winfred P. Lehmann, hrsg. v. Jerome Bunnag und Paul Hopper).

29 Erscheint in Linguistic Studies Offered to Joseph Greenberg on the Occasion of his 60th Birthday, hrsg. von Alphonse Juilland.

30 Friedrich sagt irrtümlich “ noun” und “ noun phrase” , wo er beziehentlich “ noun phrase” und “ adverbial phrase” m eint; aber diese kategoriellen Ver­wechslungen haben keine weiteren Konsequenzen für die Diskussion.

31 Diese Definition ist gegeben in Renate Bartsch und Theo Vennemann: Semantic Structures: A Study in the Relation between Semantics and Syn­tax, Frankfurt am Main 1972, S. 136. Die genaueste Fassung dieser Defini­tion, und zwar im Rahmen der formalen Kategorialgrammatik, findet sich in meinem Aufsatz “ Categorial Grammar and the Order o f Meaningful Ele­m ents” (erscheint in der Festschrift für Greenberg, s.o. Anm. 29).

32 Im Englischen, einer nahezu konsistent postspezifizierenden Sprache, gehen Partikeladverbien in beiden Funktionen ausschließlich in postspezifizierende Konstruktionen ein: comes in (*in comes), in London (*London in).

33 Vgl. den Sammelband “ Word Order and Word Order Change” (s.o. Anm. 28). Zwei erst in M anuskriptform vorliegende größere Arbeiten zum Deutschen, die von der W ortstellungstheorie ausgehen, sind Klaus-Peter Lange: Deutsche Syntax und natürliche Semantik, Universität Mainz, 1975, und O.C. Dean, Jr.: The Significance o f Word-Order Typology for the Basic Position of the Verb in a Grammar o f German, Diss University o f Georgia, Athens, 1974.

34 Charles C. Fries: On the Development o f the Structural Use of Word-Order in Modern English, in: Language 16 (1940), 199-208.

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LA U R ITS SA LTV EIT

Mundartenkunde und Sprachgeschichte

N achdem T heodo r Frings in den bek an n ten “ K u ltu rström ungen und Kul­tu rp rov inzen in den R he in landen” bei den F orm en gän/gen festgestellt hat, daß “ die geschriebene Ü berlieferung des M osellandes und der südlich angrenzenden G egenden ... in gleichem S inne” sprechen , he iß t es: “ So w ertvoll diese U n terbauung unserer A usführungen, so w ertvoll auch die gegenseitige B elichtung erscheinen mag, in d ie w ir d am it D ialektgeographie und schriftliche Ü berlieferung gerückt sehen: w ir k ö n n ten ihrer im N o t­fälle en tb eh ren ” .1

D ieser G esich tspunk t der “ gegenseitigen B elichtung” w ar dam als n ich t so selbstverständlich , w ie er heu te erscheinen m ag. — G eorg W enker selbst w ar, als e r 1876 — also vor genau 100 Jah ren — zum ersten Mal seine Sätze h inaussch ick te , von der positiv istisch-junggram m atischen Ü berzeu­gung ausgegangen, die Sprachgesetze h ä tten eine abso lu te G ültigkeit, und er beabsich tig te , du rch seine Befragung nachzuw eisen, daß u n te r densel­ben B edingungen in allen W örtern dieselben Ä nderungen e in trä ten . —D aß sich gerade im rheinischen G ebiet, w o W enker aus gu ten G ründen seine U ntersuchung zuerst d u rch füh rte , ein völlig anderes Bild herausstei­len m uß te , sei nu r nebenbei b em erk t; w ich tiger ist, daß in junggram m ati­schen K reisen das Prim at d e r S prachgeschichte und deren G esetze, die von den B efunden in den M undarten als erw iesen galten , noch lange er­halten b lieben . So lau te te es noch ein paar Jah re nach den ersten U ntersu­chungen W enkers in den “M orphologischen U ntersuchungen” IX: “ ln allen lebenden vo lksm undarten erscheinen die dem d ia lec t eignen laut- gestaltungen jedesm al bei w e item consequen ter du rch den ganzen sprach- s to ff bei ihrem sprechen innegehalten , als m an vom Studium der älteren blos durch das m edium der sch rift zugänglichen sprachen her erw arten so llte .” 2

A uch galten die M undarten selbst b isher als in dem Sinne geschichtlich bestim m t, daß sie die Sprache der alten S täm m e, B ayern, Schw aben, A le­m annen , F ranken , T hüringer, Sachsen, w aren , und noch 1895 k o n n te W enkers b eru fener K ritiker, O tto Brem er, sagen: “ Die G renzen haben sich seit den Z eiten C lodwigs n ich t erheblich verschoben .” 3 — Die m u n d ­artlichen E igentüm lichkeiten w urden dem nach als e tn ische B esonderhei­ten au fgefaß t; m an d a rf in diesem Z usam m enhang an E duard W echslers “ A rtiku lationsbasis” erinnern , die er begrifflich von E duard Sievers’ “ O perationsbasis” übernom m en h a tte und die als e re rb te E igenschaft

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ga lt.4 — D aß dieser G esich tspunk t in unserer Zeit kaum als völlig über­ho lt gelten kann , bezeugt eine A rbeit von R.W. T hom pson und L .F . B rosnahan aus dem Jah re 1959, die vorgibt erw iesen zu haben , daß V olks­gruppen m it einem Ü bergew icht der B lutgruppe 0 besonders viele d e n ta ­le Spiran ten in ihrer Sprache hab en .5 — In diesem Z usam m enhang ist es w ohl auch n ich t ganz abwegig, C hom skys “ In tu it io n ” als e re rb te Fähig­keit am R ande des B lickfeldes zu behalten .

Seit H einrich M orf, F erd inand W rede, Karl Haag, T . R am isch und n ich t zu le tz t seit Karl B ohnenbergers “ Über die O stgrenze des A lem annischen”6 ist m an sich w ohl aber im großen und ganzen darüber einig, daß es sich m it den M undarten völlig anders verhält; d aß ihre G renzen häufig die al­ten Stam m esgebiete du rchqueren und daß , w enn sie ta tsäch lich m it den Stam m esgrenzen zusam m enfallen , dies d ie Folge von m enschlichem V er­kehr und von po litischer und geistlicher V erw altung ist.

Auch der Begriff “ M u n d art” und n ich t zu le tz t der der “ M undartg renze” gerieten vorübergehend in F luß. Der U m stand, d aß der e rw arte te gesetz­liche Zusam m enfall der m undartlichen L auterscheinungen und d ie sich z.T. du rchk reuzenden T endenzen führten zu einem radikalen Zw eifel an der B erechtigung dieser Begriffe. Am b ek an n te sten ist w ohl hier d ie Ä uße­rung des F ranzosen G aston de Paris: “ Il n ’y a réellem ent pas de d ialectes, il n ’y a que de tra its linguistiques qu i en tren t respectivem ent dans des com binaisons diverses” .7 — Diese radikale O pposition gegen die übernom ­m enen Begriffe w urde durch die w eitere Forschung allm ählich gem äßigt, und als im m er noch gültig kann w ohl eine m od ifiz ierte Form ulierung von Karl Haag stehen: “ G rößere K ern landschaften m it w eitgehender G leichartigkeit sind g e tren n t durch eine Reihe k leinerer L andschaften , die stufenw eise von e iner zu r anderen h inüberle iten .” ® — “ M u n d art” und “ M undartgrenze” decken also im m er noch R ea litä ten ; s ta tt scharf tre n ­nender Linien tre ten aber Bündel von Isophonen , Isom orphen und Iso­glossen, die m eh r oder w eniger parallel lau fen , m anchm al d ich t, m anch ­mal w eiter auseinander, nu r in den se ltensten Fällen m it fak tischem Z u­sam m enfall.

In ihrem w eiteren V erhältn is zur Sprachgeschichte ist die M u n d artfo r­schung n ich t ganz unprob lem atisch geblieben. Die flächenhafte B etrach­tung der Sprache, die sich durch Ferd inand de Saussure und die G enfer Schule vor allem in F rankreich stark geltend m ach te , füh rte zu e iner ge­wissen Selbstgenügsam keit der M undartfo rschung , die eine G egenüber­stellung von M undart und älteren S prachstu fen ab lehn te . So ist W enkers französischer K ollege, Jules-L ouis G illiéron — der für seine U n tersuchun ­gen bekann tlich ein völlig anderes V erfahren w äh lte — dafür b ek an n t,

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daß er die geschichtliche S prachbe trach tung ab lehn te ; aber seine b ek an n ­ten R ou tinen , “ co n figu ra tion” (V erteilung der F orm en au f einer E inzel­karte ) und “ superposition” (“ Ü bereinanderlegen” , d .h . Vergleich zw ischen m ehreren K arten) en th a lten tro tzd em unzw eife lhafte E lem ente der Dia­chronie, und w ohl m it einigem R ech t sagte d an n auch M illardet von ihm , er gehöre zu “ ces en fan ts ingrats qui b a tte n t leur nourrices” .9

Die eingangs z itie rte Ä ußerung von T h eo d o r Frings d e u te t in diesem Zw iespalt eine gewisse S ynthese an: “ w ir k ö n n t e n ih rer ... e n t ­b e h r e n ” b e to n t allerdings die P rio ritä t d e r S ynchronie , “ im N o tfa ll” m ach t aber dabei eine gewisse K onzession an die Sprachgeschichte, und “ gegenseitige B elichtung” se tz t als gegeben voraus, daß alles in allem M undartfo rschung d e r S prachgeschichte u n d h is to rische Sprachforschung der M undartenkunde d ienen können .

Diese P räsen ta tion von w om öglich zum großen Teil B ekanntem schien m ir no tw endig , um zur ak tuellen Fragestellung zu gelangen: ln w elchem M aße kann h e u t e — 100 Jah re nach W enkers erstem V orstoß und über 50 Jah re nach der z itie rten Ä ußerung von Frings — die M un d artfo r­schung unsere E insich ten in die E ntw ick lung der Sprache vertiefen?

Die A usw irkungen der synchronischen S prachbe trach tung sind b ek an n t und beach tensw ert: 1. Synchron ie w urde im g roßen und ganzen als g leichw ertig m it E rforschung der G egenw artssprache angesehen, und diese Forschungsrich tung h a t sich bis heu te als fru ch tb a r erw iesen.2. Saussures F orderung nach einer D iachron ie als synchronischer E rfo r­schung der zeitlich übereinandergelagerten Sprachsystem e h a t in erster Linie für H andbuchdarstellungen , w eniger für d ie eigentliche Forschung B edeutung gew onnen. — Jedenfalls ist m an kaum über die E rforschung von T eilsystem en der e inzelnen E pochen h inausgelangt — aus dem ein­fachen G runde, weil eine M ethode, die ein ganzes Sprachsystem m it ein­schließen sollte, zu um ständ lich , schw erfällig und zu sperrig w äre. — Hi­storische Sprachforschung ist desw egen im großen und ganzen in a lther­gebrach ter Weise b e trieb en w orden .

Eine der heutigen S p rach theorien m it den dazugehörigen m ethod ischen G rundansich ten verd ien t besondere E rw ähnung: die generative T ransfo r­m ationsgram m atik . Weil diese T heorie G enerierung von (Basis-)Sätzen voraussetzt und m it T ransfo rm ationen dieser Sätze in neue Sätze — über­hau p t m it S tru k tu ren verschiedener T iefe — rech n e t, kann sie im s tr ik te ­sten Sinne n ich t synchron sein, ln der G T -G ram m atik fin d e t m an dann auch gelegentlich Festste llungen wie: S tru k tu r X ist ursprünglich die S tru k tu r Y, bzw . geh t au f eine ursprüngliche S tru k tu r Y zurück o d e r en t­steh t aus der S tru k tu r Y. Was he iß t nun hier “ ursprünglich” , w as he iß t

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“ zurückgehen a u f ’, was he iß t “ en ts teh en aus” ? — Ich w eiß es n ich t, ich m öch te n ich t sagen: m a n w eiß es n ich t, weil ich auch n ich t w eiß , ob “ m an ” es w eiß oder n ich t. — Die U nsicherheit — falls da w irklich eine U nsicherheit b e s teh t — m üßte dadurch zu erklären sein, daß m an sich n ich t darüber k lar ist, in w elcher D im ension sich “ G enerierung” bzw. “ T ran sfo rm atio n ” vollziehen: 1. Sind die V orgänge als zeitlich zu defin ie­ren, und vollziehen sie sich in der Langue bzw . in der K om petenz , dann ist “ G enerierung” n ich t grundversch ieden von “ G enese” und “ T ransfo r­m a tio n ” e tw a gleich “ V eränderung” . 2 . Sind die V orgänge zeitlich und vollziehen sie sich in der Parole bzw . der Perform anz, haben w ir es eher m it Fragen der A usdrucksgestaltung des E inzelsprechers au f G rund vor­liegender b ew uß ter, un- o der ha lb b ew u ß te r System beherrschung zu tu n .3. V ollziehen sich die V orgänge in e iner n ich t-zeitlichen D im ension, w üßte ich sie n ich t k lar zu erfassen w eder als Sache der Langue/K om pe- tenz noch als Sache der P aro le/P erfo rm anz. Sie ergeben sich als ab strak te K orrelation , und die en tsp rechende Sprachbeschreibung als fik tiv oder im aginär. (Diese K ennzeichnung d a rf n ich t als abw ertend b e tra c h te t w er­den.)

Die Wahl einer der beiden ers ten M öglichkeiten w ird dadurch erschw ert, daß die R i c h t u n g d e r V orgänge im Sinne der G T z.T. in d irek tem G egensatz zur nachw eisbaren G enese oder geschich tlichen E ntw ick lung s teh t; m it anderen W orten: Die V orgänge erh ie lten w ohl ein E lem en t der D iachronie, aber ke iner w a h r e n D iachronie. — Die zw eite M öglich­k eit, die V orgänge m it d e r E n tstehung des A usdrucks im sprachlichen P rozeß, dem sogenannten S prechak t, in V erb indung zu bringen, v e rb ie te t sich w ohl dadu rch , daß sie bei den V ertre te rn der GT selbst au f W ider­stand stoßen w ürde.

Die Frage verkom pliz iert sich durch eine aprioristische Festlegung der T ransfo rm ations r i c h t u n g , indem von vornherein en tsch ieden w ird , w elche S tru k tu r als die tieferliegende zu gelten hat. D urch T-R egeln e n t­stehen Sätze aus anderen Sätzen, w obei als Bedingung nur genu ine s tru k ­turelle B eziehung und als Ziel m öglichst ein fache B eschreibung g e fo rdert w ird. Indem allm ählich die Forderung nach d e r jew eiligen S tru k tu r zu­grundeliegenden K e r n s ä t z e n m it dem E infachheitsprinzip in K on­flik t g e r ie t10, ist w oh l seit Jerro ld K atz und Paul P ostal die F orderung nach B e d e u t u n g s g l e i c h h e i t von T ransform and und T ransfo r­m at stärker in den V orderg rund g erück t.11

M einem V ersuch soll eine G ram m atik zugrundegelegt w erden , die in b e ­zug au f R ich tung d e r V orgänge w ertn eu tra l ist, ich nenne sie versuchs­weise v a r i a t i v e G ram m atik . — K urz ausgedrückt: W enn e ine S tru k ­

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tu r X in der H ochsprache m it einer S tru k tu r Y in einer M undart in Bezie­hung gesetzt w ird, m uß zuerst nachgew iesen w erden , ob die eine als V a­rian te der anderen angesehen w erden kann. H ier ist die B e d e u t u n g s g 1 e i c h h e i t en tscheidend . W enn eine positive E n tscheidung getro ffen ist, m uß nachgew iesen w erden , ob X aus Y, Y aus X oder XY aus einer etw aigen d ritten S tru k tu r Z en ts tan d en sind. Die Z eitd im ension w ird also erst auf der zw eiten A rbeitsstu fe eingeführt. — Als E rklärung der w echseln­den B lickrichtung X — Y, Y — X sei folgendes vorausgeschickt: D ialek to­logie h a t m an n ich t zu le tz t aus dem G runde be trieb en , weil die M undar­ten so viele ursprüngliche Züge bew ahrt haben (vgl. das obige Z ita t von Frings). A rth u r H übner h a t bestim m t richtig gesehen, als er schrieb: n ich t w eniges, was im Vergleich zur S chriftsprache als m undartliche Son­derbildung erscheint, ist in W irklichkeit nu r a lte re rb te r, ehem als auch der Schrift gem äßer syn tak tischer G ebrauch” 12. — Dies s tim m t n ich t zu letzt für die sogenannten R elik tgeb iete , an denen der V erkehr vorbeigelaufen ist oder die in frem dsprach licher U m gebung abgeriegelt geblieben sind. — A ndererseits d a rf m an n ich t davon absehen, daß es auch das g ib t, was H übner als “ m undartliche S onderb ildungen” bezeichnet, die n ich t w eni­ger in teressan t und für die B etrach tung der H ochsprache in geschichtli­cher S icht von B edeutung sind.

S ta tt m ich nun w eiter in theo re tischen Erw ägungen zu verlieren, ziehe ich es vor, ein paar Beispiele anzuführen , die sich m it der syn tak tischen K om ponen te der Sprache beschäftigen und die zum großen Teil au f eige­ne F orschung zurückgehen.

Z unächst zwei e infache Sätze:

(1) E r b le ib t l i e g e n(2) E r b le ib t s t e h e n

Jede Satzanalyse w ürde den verbalen Teil dieser Sätze analysieren als F in itu m m it e infachem Infinitiv , und in der F orm , w ie diese W endungen in der H ochsprache einschließlich der m eisten M undarten verw endet w erden, scheint gegen eine derartige A nalyse n ich ts E rnsthafte s e inzu­w enden zu sein.

Schw ieriger w ird ein solches A nalyseverfahren aber in einigen bairischen M undarten , vor allem in der G egend N ürnberg — R ich tung Eger, an derG renze entlang bis nach Cham und in w estlicher R ich tung über R egens­burg — Ingolstad t. Die en tsp rechenden W e n k e r s ä t z e 14 und 25 finden sich innerhalb dieses G ebietes, allerdings m it rech t un tersch ied li­cher V erbreitung , etw a in fo lgender Form :

(1 ’) E r b le ib t l i e g a d

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(2 ’) Er b le ib t s t e i a d

Nach W enker finden sich völlig analoge Form varian ten in frem dsprach li­cher (kaschubischer) U m gebung bei D eutschkrone in O stp o m m ern : 13

(1” ) he b li ft l i g g a n t (2 ” ) he b li ft s t a u a n t

Das A rbeitsverfahren W enkers läß t keinen Zweifel daran , daß alle diese Form en m it denen der hochsprach lichen A usgangssätze synonym sind, und sie dürfen also als V arian ten b e trach te t w erden . — V or allem die pom m erischen Form en erlauben uns, d ie w aagerechte variative A chse in senkrech ter R ich tung zu projizieren , w obei sie sich m it den älteren — e t­w a m itte lh o ch d eu tsch en — F orm en liggende bzw . stende/stande begegnen.

D adurch erhält die A chse d iachron ischen W ert, und die m it b leiben /b liv ien verbundenen F orm en stellen sich genetisch als ursprüngliche Part.Präs. heraus. — In diesen und in w eiteren bairischen G egenden ist das Suffix -ad fo rm bildendes E lem ent für das Part.P räs. auch in anderer F u n k tio n , z.B. a ttribu tiv : e lafads K ind (‘ein laufendes K ind’), bei einigen F orm en auch adverbial: brinnad/siadad hoass (‘b rennend /siedend h e iß ’).

A llerdings ist die E ndung -ad im Bairischen gleichzeitig die m undartliche E ntsprechung des hochsprach lich nom inalab le itenden -ig. 14

Es gibt aber verhältn ism äßig w enig Fälle, in denen die Deutung unsicher w ird. Ein so lcher Fall w äre hosad, das en tw eder als N om inalableitung *hasig (von H ase) oder als Part. Präs. *hasend (von hosn/*hasen = ‘laufen wie ein Hase’) in te rp re tie r t w erden kann . (E ine geringe A nzahl In fo rm an­ten hat die zw eite In te rp re ta tio n bevorzugt.) — A us dem fo lgenden w er­den sich w eitere U n terscheidungsm itte l dieser F orm en ergeben.

Welche Folgen haben nun diese G egebenheiten für die In te rp re ta tio n der Form en stehen und liegen m it bleiben in der H ochsprache? In d e r trad i­tionellen A nalyse w urden die F orm en als Infin itive bezeichnet. Ist es nun m öglich, sie als Partiz ip ien zu bezeichnen , oder verfällt m an dadurch der verpönten V erm engung von S ynchron ie und D iachronie? — Ich setze in einem solchen Fall kein großes V ertrauen au f die In tu itio n , und w enn die A n tw ort au f eine d irek te Frage w ahrschein lich “ In fin itiv” w erden w ürde, steck t w ohl in einer solchen A n tw o rt ein be träch tlich e r Teil Schulbildung und G ew ohnheit. Ich selbst als Skandinavier d a rf natürlich h ier n ich t m itreden , weil die skandinavischen Sprachen wie das Bairische das Part. Präs. haben; ich m eine aber, daß auch m ancher sprachlich bew uß te Deutsche sich über diesen In fin itiv G edanken gem ach t und ihn d irek t als stö rend em pfunden hat. U nbefangene deu tsche Sprecher um schreiben auf A nfrage stehen /liegen bleiben m it ‘(als) ein stehender/liegender blei­

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b en ’. E ine ad jektiv isch-prädikative D eutung d e r F orm en ist also für die In tu itio n eigentlich befried igender und sollte auch als “ B asisstruk tu r” gelten können , w enn m an eine solche such t.

Die ob jek tive B estätigung e iner solchen In tu itio n erha lten w ir, w enn w ir die w aagerecht-variative A chse nach dem Südhang des Thüringer Waldes m it dem H ennebergischen als K erngebiet d rehen . In diesem typ ischen R elik tgeb iet h a t m an diesm al n ich t “ den a lte re rb ten G eb rau ch ” , w ie es bei H übner h ieß, bew ahrt, im G egenteil: es finden sich d o rt k lare N eu­bildungen:

( 1” ’) er b le ib t l i n n i g / l e n n i g

(2” ’) er b le ib t s t i e n i g / s t i n n i g

In dem großen M undartgeb ie t, das d nach n assim iliert und das -n im In­fin itiv be ibehä lt, fallen Inf. und Part. Präs. zusam m en. H ier w ird aber in m itte ldeu tschen und n iederdeu tschen G ebieten , d ie ich h ier n ich t genauer abgrenzen kann , der synk re tis ie rten Form leicht ein -ig angehängt, w enn sie in a ttrib u tiv e r o der p räd ikativer Stellung die F u n k tio n eines A djektivs übernim m t: koken ig /kochen ig . G erade dies ist im H ennebergischen o f­fenbar auch m it liegen und stehen bei bleiben geschehen, nach m einer A nsicht ein starkes Indiz dafür, daß liegen /stehen als In fin itiv fo rm en in d ieser Position stö rend gew irk t haben müssen. — Ein w eiteres Indiz ist, daß sich im bairisch-fränkischen G renzgebiet, d .h . z.B. in d e r N ürnberger G egend, die Form ste in e t f in d e t, d eren -et also dem nörd licheren -ig e n t­sp rich t un d diesm al n ich t das bairische -ad, -end sein kan n , sondern , wie das n zeigt, au f ic h t/o c h t zurückgeht, also dem nhd . -ig en tsp rich t.

Zur w eiteren K lärung der oben angeschn ittenen Frage sollen u n te r en t­sprechenden G esich tspunk ten folgende Sätze behande lt w erden:

(3) es m ach t ihn sch w itzen /la u fen

(4) ich fa n d ihn d o rt liegen(5) er ha t Vieh im S ta ll stehen(6 ) ich sah ihn d o rt stehen(7) ich hörte ihn p lärren /husten(8 ) er g e h t hausieren/w allfahrten

Diese Sätze sind die gekürzte F orm einer A nzahl von Sätzen , die einer Befragung zugrundegelegt w urden . Die Befragung w ar ein A usw ahltest, d .h . die B efragten sollten nach ihrem Sprachgefühl die Wahl tre ffen zwi­schen zwei bis vier als m öglich angenom m enen S a tz fo rm en . 15 Es w urden Fragebogen an e tw a 300 G ew ährspersonen des B ayrischen W örterbuchs verschickt, und es liefen genau 270 A n tw o rten ein, w ovon rund 20 ande­

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re — bedeu tungsbeschreibende — A usdrücke gew ählt h a tten und also ausscheiden m uß ten , so daß m an von e tw a 25 0 A n tw orten ausgehen kann .

Sätze wie die obigen w erden in der G T -G ram m atik , w ie z.B. von M anfred Bierwisch, au f zwei Basissätze zurückgeführt:

1. Ich fa n d /sa h e tc . ihn /es2. Er /es lag/stand etc.

Es finde t dann nach Bierwisch eine E inbe ttung des zw eiten (K o n stitu en ­tensatzes) in den ers ten (M atrixsatz) nach b estim m ten Regeln s t a t t . 16 (Ob Bierwisch auch bei m achen d ieselbe T ransfo rm ation u n te rnehm en w ürde, m öch te ich allerdings bezw eifeln .) — N ebenbei b em erk t, h a t m an w ahrscheinlich durch diese Z urückführung des A usgangssatzes au f eine konkre te S itua tion und einen konk re ten V organg bereits den B oden der Sprache verlassen, so daß m an s ta tt einer sprachlichen G ru n d stru k tu r das physisch V orliegende, das, was E ugenio Coseriu als “ die Bezeich­nung” ansieht, b esch re ib t.17

D aniele C lem ent geh t es eher darum , die be iden R ealisierungsm öglichkei­ten: 1. Ich fa n d , sah e tc. ihn /es liegen, stehen e tc . und 2. Ich fa n d , sah e tc., daß er/es da lag, stand etc. au f eine gem einsam e T ie fen s tru k tu r zu ­rückzuführen, die vielleicht anders aussehen m üßte als die beiden Sätze bei B ierwisch . 18 — Das w ichtigste ist, d aß auch bei ihr, w ie en tsp rechend bei Bierwisch, die V erbalform en liegen, s tehen e tc . als I n f i n i t i v e b e trach te t w erden.

Das Ergebnis der Befragung zeigt aber, daß im Bairischen auch h ier — e t­was unterschiedlich au f d ie Sätze verte ilt — die V erbalform au f -ad, je ­denfalls als N ebenform , bei einigen d e r B efragten in der O berpfalz als die einzig m ögliche F orm erschein t. Die Sätze w erden u n ten in e tw as norm a­lisierter F orm aufgeführt, m it A ngabe d e r Belegzahlen der einzelnen For-m en:

(3 ’) es m ach t ihn s c h w i t z a d / l a f f a d 234(4’) ich fa n d ihn d o rt 1 i e g a d 143(5 ’) er ha t Vieh im S ta ll s t ä i h a d 40(6 ’) ich sah ihn d o rt s t ä i h a d 35(7 ’) ich hörte ihn p l ä r r a d / h u o s t a d 9(8 ’) er g e h t h a u s i e r a d : 5 / w a l f a r t a d : 0

Beispiel (8 ) w urde nur zur K ontro lle herangezogen. B ekanntlich kann gehen sow ohl m it dem finalen Infin itiv als auch m it einem “ fre ien ” p rä ­dikativen Part.Präs. k o n stru ie r t w erden , die le tz te re Fügung w ar von vorneherein nu r für hausieren als möglich angesehen, was sich d u rch eine

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— allerdings sehr geringe — A nzahl Belege m it -ad bestä tig t.

Eine w eitere B estätigung des ad jektiv isch-prädikativen C harak te rs dieser Form au f -ad erg ib t sich aus fo lgenden B eobachtungen: Bei fin d e n und sehen — also Satz (4) und (6 ) — fin d e t sich n ich t selten eine flek tierte , m it dem u n bestim m ten A rtikel substan tiv ierte Form m it als, nach einem G ew ährsm ann in Laufen sogar m it ausgehendem Nasal: ois an liegadan und in S chrobenhausen m it Nasal in der Partiz ipalendung: stehanda, sonst ohne Nasal:

(4 ” ) ich fa n d ihn d o rt a s a l i e g a d a -. 31

(6” ) ich sah ihn d o rt a s a s t ä i h a d a ■■ 18

Diese A usdrucksw eise w ird teils als gleichw ertige V arian te zur oben an ­gegebenen, teils m it B edeutungsuntersch ied , se ltener als d ie einzig m ög­liche aufgeführt. Diese V arian ten m it als und substan tiv ie rte r Partizipial- form en tsp rechen den oben angedeu te ten L aienparaphrasen m it bleiben: ble ib t (als) ein stehender und k ö n n ten vielleicht eher denn Bierwischs zwei A usgangssätze und D aniele C lem ents daß-S atzparaphrase als Basis­s tru k tu r der Inf.-Fügung angesetzt w erden.

Etw aige variative F o rm en aus dem H ennebergischen w aren leider in die­sem Falle b isher n ich t zu e rm itte ln , aber in dem rech t unvollständigen “ Thüringischen W örterbuch” Spangenbergs habe ich zwei Belege gefun­den (beide so w eit östlich w ie Pößneck), von denen ich die w esentlichen Teile u n ten hervorhebe:

1. ich wall der gu garn aushelfe, ober i c h h o b o l l e w e i l e k e G a l d l i e c h n i c h .

2. sinsten gob es beite, w osn s t e i f un fe s t dron g leeben to ten , d o s s m a n c h e e n e r a n n r e L e i t e k e n n t s t i e h n i g m a ­c h e . 19

D urch P ro jek tion dieser variativen Form en au f -ad m it der A bleitung auf -ig in die V ertikale begegnen sie sich m it en tsp rechenden Partizipalfü- gungen im M hd. Es w ären Fälle zu erw ähnen wie:

ich sol dich w o l m a c h e n anders r e d e n d e (N ik. v. B. 142); dd sf den bo ten k ö r n e n d e ... s a c h (N ib. 225 ,1)-,den ich da s t e n d e v a n t (Iw . 2 82 ); so h o e r e i ch w a c h e n d e bi m ir eine s tim m e (N ik. v. B. 256); wan ez h e t e diu vil süeze ir lieben herren fü e ze S t a n d e in ir schozen (A rm . H einr. 461).

D aneben sind aber bekann tlich auch Belege für den Inf. bei denselben V erben zu verzeichnen: daz m an ha t w irdichleich g e s e h e n den edlen hie u f erden l e b e n (Suchenw . 12 .26); auch ahd. . . . s a h siu d ruh tin

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s t a n d a n (O . V ,7 ,44); und got.: g a s a i h w i p sunu m ans u s s t e i - g a n (Joh . 6 .6 2 ); m an h o r t e in sere v l e h e n (Parz. 4 1 4 ,1 2 ); ahd.: then fa te r h o r t er s p r e c h a n (0 .1 ,2 5 ,1 5 ) ; do v u n d e n si da s i t z e n ein engel w izen (Ava 1839); ahd .: thesan f u n d u m e s ... q u e d a n (d icen tem ; T at. 194,2).20

Wie vor allem das zu le tz t z itierte Tatian-B eispiel zeigt, in dem der Inf. quedan ein lat. Part.Präs. übersetzt, sind die F orm en hier bei w eitem n ich t so e indeutig partiz ip ial w ie in (1) und (2) m it bleiben. Um so stär­ker m achen sich aber die P räs .P art.-Form en im heutigen hochsprach lichen G ebrauch b em erkbar, indem jedenfalls bei (4), (5) u . (6 ), v ielleicht sogar bei (8 ), V arian ten m it Part. Präs. V orkom m en: (4 ) Ich fa n d ihn d o rt l i e ­g e n d , (5) er ha t V ieh im Stall s t e h e n d , (8 ) er g eh t h a u s i e ­r e n d (herum ). — Solche V arian ten gab es bei bleiben n ich t.

Als der bek an n te dänische L inguist Paul D idriksen in den vierziger Jah ­ren seine G ram m atik der dänischen Sprache herausgab, h a t er den Infin i­tiv und den K onj. des Präs. als eine Form m it syn tak tischen V arian ten bezeichnet, w eil d e r Wegfall des -n im Inf. bere its in der U rzeit h ier einen Synkretism us bew irk t h a tte .21 Es en tspann sich daraus eine D iskussion, w obei m an diese term inolog ische und begriffliche K ühnheit als einen zu w eitgehenden struk tu ra listischen S ch ritt rügte, ohne d a rau f zu ach ten , daß z.B. im D eutschen B enennungen bestehen , die in d ieser H insicht n ich t sehr viel besser sind. Zugegeben, daß es im D eutschen ein e in d eu ti­ges Part.Präs. au f -end g ib t, verw endet m an näm lich in der deu tschen G ram m atik seit jeher die B ezeichnung “ In fin itiv” auch für F orm en, die sich variativ-diachronisch als Part.Präs. herausstellen und die auch in tu itiv als solche em pfunden w erden , d .h . in e iner “ tieferliegenden S tru k tu r” , die sich diesm al i n n e r h a l b d e r S p r a c h e , näm lich im sem an­tischen Bereich b efinde t, Part.Präs. sind — “ B asisstruk tu ren” , von denen aus an die “ O berfläche” tran sfo rm ie rt w erden kann , o h n e gegen die D ia­chronie zu verstoßen .

Das zw eite Beispiel, das ich kurz vorführen m ö ch te , en ts tam m t dem m o­dalen Bereich d e r S yn tax , und w ir w ollen auch h ier die variative Perspek­tive au f die M undart, und zw ar au f das N i e d e r d e u t s c h e , rich ten . — Das N iederdeu tsche ist näm lich vor allem dafür b ek an n t, daß es keine M öglichkeit ha t, K on junk tiv und Indikativ zu un terscheiden , sei es daß der Ind ikativ als einzige Form beide M odi übernom m en h a t oder der K onjunktiv , w ie o f t im Prät. d er starken V erben . O hne d aß diese Frage m.W. jem als e rn s th a ft u n te rsu ch t w orden ist, n im m t m an an, d ie M odal­verben seien h ier als E rsatz für die feh lende fo rm ale M odusd istink tion e ingetreten . B ekanntlich s teh t auch in der H ochsprache d e r p räsen tische

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volun tative K onjunktiv , w ie auch der Im perativ , in einem A ustauschver­hältn is zu gewissen M odalverben, und hier ist eine solche A nnahm e auch in d e r M undart m it keinen großen Schw ierigkeiten verbunden . — Etw as anders verhält es sich in d ieser H insicht m it dem sogenannten “ Irrealis” , bei dem auch “ E rsatzfügungen” m it den M odalverben und dazu noch m it dS n v e rm u te t w urden . Dieses le tz te re ist vor allem von G isbert Kese- ling b eh au p te t w orden: Es h a t “ sich für den Irrealis eine zusam m engesetzte V erb fo rm m it d o o n herausgebildet (as w enn hei em da t g löben d e e )". 22

A us R aum gründen kann ich hier ke inen deta illie rten G egenbew eis führen, aber daß Keselings B ehauptung an fech tb a r ist, geh t aus fo lgenden F est­stellungen hervor, die, obw ohl sie bere its in den H auptzügen bek an n t w aren, von Keseling n ich t b each te t w urden , die ich aber habe nachprüfen können : d ön (‘tu n ’) ist im Nd. eine k lare Proverbalform , die es e rlaub t — n ich t nu r in N ebensätzen, sondern überhaup t —, das im Infin itiv stehende V erb s tä rk er zu ak zen tu ie ren , als es die fin ite F orm erlauben w ürde. Die­ser G ebrauch verte ilt sich au f drei T ypen:

1. drinken de it he nich m ehr2. ik w ill w eeten , w at he i d rinken deit3. he de it doch nich drinken !

In allen drei Fällen ist de r Infin itiv hervorgehoben . Um es in unserem Zusam m enhang so anschaulich und einfach wie m öglich auszudrücken:3. ist das Spiegelbild von 1., einm al s teh t drinken (nach Erich D rachs T erm inologie) an der “ E indrucksstelle” (3 .), einm al an d e r “ A usdrucks­ste lle” (1 .), in 2. s teh t es d o rt, w o bei E ndstellung des V erbs die hervor­zuhebenden V erbteile und V erbzusätze w ie P artikeln e tc . zu stehen pfle­gen.M it dem Prät. Ind ./K on j. verhält es sich n ich t anders:

1.’ drinken dee he n ich m ehr2.’ ik w ill w eeten , w at hei d rinken dee3.’ he dee doch nich d rin ken ! 23

D aß außer dieser hervorhebenden F u n k tio n , die dem V erhältn is zwi­schen Pronom en und ex trap o n ie rtem S ubstan tiv (etw a in: diesen M ann, den m eine ich n ich t) verw andt ist, der iöw -U m schreibung ein m odaler Inhalt zukom m en sollte, ist bei d ieser D istribu tion unw ahrscheinlich .

Und w ie verhält es sich nun m it dem b eh au p te ten E rsatz des p rä te rita len K onjunktivs durch M odalverbperiphrasen? — Z unächst zur A ufklärung: N icht allen n iederdeu tschen M undarten feh lt die D istink tion zw ischen K onjunktiv und Indikativ . Wie bereits Ferd inand H olthausen nachgew ie­

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sen hat, k en n t das südliche W estfalen eine solche U nterscheidung, und T orsten D ahlberg ste llt sie für das Süd-O stfälische fe s t.24 Wir haben es also m it einem Fall zu tu n , in dem eine M undartgrenze — allerdings eine sehr gestaffe lte — ein Stam m esgebiet du rch q u ert.

Ich bringe im folgenden die Ergebnisse einer k leinen Befragung von w est­fälischen M undartsprechern . A llerdings hande lt es sich diesm al um einen Ü bersetzungstest, aber da m ein H aup tin fo rm an t Felix W ortm ann w ar, m it A bstand der beste K enner dieser M undarten , halte ich die Ergebnisse tro tzd em für rech t zuverlässig. — M it dem F o rm enbestand von W ortm anns H eim atort M ünhede, K reis A rnsberg, lau ten die Sätze25:

Ind.( 4) e t is earn, ä w ane spaike s ö so( 5) e t k ü n sliem a w oan sein k o n( 6) düt d r ö f t e w oal da t richtige dream d ro fte( 7) k ö n e s t e m i n b ie tkn helpm ? koneste( 8) dat d ä ’ k n ich chean dä( 9) dat b ä r e s t e beate m aken k o n t hareste(10) wane da t pea t m en k ö f t e ! k o fte(11) e t s ö l m i frögn , w ank ik e t b e k ä m e s o l ... bekam(12) wan diu säu v ö 1 e s är iek m ö c h t e w o le s ... m o ch te

Wie die rech ts angeführten Ind ikativ form en zeigen, sind h ier n ich t nur d istink tive K on junk tiv fo rm en sch lech th in vo rhanden , sie kom m en sogar d o rt vor, w o sie in der H ochsprache fehlen: k ö fte — k o fte (10 ), söl — sol(11), w öles — w oles (12). A ußerdem ist tro tz des kau fen tä te d er V orlage k ö fte b en u tz t, und au f d irek te Frage w urde die döw -U m schreibung als ungebräuchlich angesehen, was Keselings H ypothese bere its erheblich w iderspricht. Dazu kom m t noch, daß dö n als einziges V erb F o rm en zu ­sam m enfall aufw eist. Die schw achen V erben haben eigene K on junk tiv ­form , sow eit der V okal u m lau tb ar ist, (außer kö p en ) z.B. bruken-. bräch­te — bruchte. A uch n ich t ein etw aiges ‘kaufen w ürde' k önne als köpen wöa w iedergegeben w erden , obw ohl w öa in der M undart gegenüber woa d istink tiv ist. Der G rund dürfte nach W ortm anns A ngabe der sein, daß wöa für würde leicht m it der m undartlichen Form für wäre zusam m en­fällt.

Nach dem N orden hin n im m t die Zahl der d is tink tiven V erben ab, und in H öhe von M ünster-Coesfeld scheint, nach den A n tw o rten zu urte ilen , in den obigen Beispielen eine klare O pposition n u r bei den V erben dür­fen , können , m ögen und haben zu bestehen ; m an k ö n n te in diesem Ü ber­

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gangsgebiet von “ M odalverben” in dem etw as ungew öhnlichen Sinne sprechen, daß sie am zähesten an einer K on junk tiv fo rm fes th a lten und som it Träger des m odalen System s sind, n ich t aber weil sie e tw a für den K on junk tiv e in trä ten .

E tw a in d e r H öhe von B entheim -O snabrück schein t aber jed e form ale O pposition au fzuhören , und die Frage e rh eb t sich dan n , w ie m an nö rd ­lich dieser G renze Sätze w ie die eben b eh ande lten g esta lte t. Die A n tw o rt lau te t: Eigentlich genauso. In der Satzgestaltung sind keine oder jed en ­falls so geringfügige A bw eichungen zu verzeichnen, daß sie n ich t als rele­van te U nterschiede gelten können . Dieser T a tbestand m uß einen zum N achdenken bringen, w arum und wieso eine F o rm en d istin k tio n , die in einem M undartgeb ie t sogar m it einem größeren F o rm enre ich tum als in der H ochsprache h e rv o rtritt, in der N achbarm undart einfach ausbleiben kann . E tw as zugesp itzt kann die Frage fo lgenderm aßen gestellt w erden: W enn ein “ K on junk tiversa tz” eigentlich nur in der Phantasie einiger Lin­guisten zu bestehen schein t, wie w ird dann dieser M odus d o rt ausgedrückt, w o K on junk tiv und Ind ikativ form al gleich sind?

Um diese Frage zu k lären zu versuchen, d rehen w ir noch einm al unsere variative A chse nach dem Süden, genauer gesagt nach dem A lem annischen und dem B airisch-Ö sterreichischen. U nten sind d ie Sätze zuerst in ange­nähertem Züridütsch aufgeführt, rech ts davon die re levanten V erbalfo r­m en in e iner M undart bei Wien:

( 4 ’) Es sc h in t’ em als g ’ s ä c h t r G ’schpängscbtr /sächad( 5 ’) Es c h ö n t sch lim m erg si si /kö n n a d( 6 ') daas d ö r f t i w o l s R ich tig i trä ffe /der fad( 7 ’) c h ö n t i s c h t u m ir öppis hälfe? /kö n n a d( 8 ’) das t ä t i c h n ö d gärn / ta t/ tä t( 9 ’) das h ä t t i s c h t u besser m ache chönne /h ä tts t(1 0 ’) w änner das R oss nu c h a u f e w ü r d / t ä t . . /k a u fe n ta t /

c h a u f t i k a u f ad

(1 1 ’) es wiird m ich freue , w ännich 's ü b e r c h ä m t i / /kriegadü b e r c h o w ii r d i

(1 2 ’) Wann du w e t t i s c h w ien ich m ö c b t /w o lla d s t...m öchadst

Die V erbalform en sind in beiden M undarten lau tgerech te P rä te ritu m fo r­m en und gehören — abgesehen von ta t — der schw achen F lex ion an; gleichzeitig haben sie aber den U m laut als M oduszeichen für den K on junk­tiv.

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Wenn w ir vorläufig den T atbestand kurz zusam m enfassen w ollen , g ib t es also im Süden (Al. und Bair.) sow ohl T em pusfo rm en als auch M odus­form en, sie sind aber beide im M odussystem aufgegangen. Ein P rä t.ln d . g ib t es n ich t, d ie Z eitstu fe der V ergangenheit w ird anders ausgedrückt. — Im Südniederdeutschen gib t es sow ohl K on junk tiv fo rm en als T em pus­form en m it g e tren n te r F u n k tio n . — Im N ordn iederdeu tschen feh len d i­stinktive K on junk tiv fo rm en vollkom m en, das T em pussystem ist dagegen in tak t.

Eine R ückprojizierung au f m hd . bzw . m nd . F orm en h a t h ier w enig Sinn, da d ieser W andel später erfo lg t ist, und m it dem langwierigen Prozeß des P rä teritum schw undes im Süden, m it dem sich Kaj B. L indgren 26 einge­hend beschäftig t hat, b rauchen w ir uns auch n ich t w eiter ause inanderzu­setzen; uns in teressiert vor allem eine annehm bare In te rp re ta tio n des obigen T atbestandes. E ine solche dürfte die folgende sein:

Wie vor allem R om an Jak o b so n herausgearbeite t h a t 27, h errsch t zw i­schen den sogenannten m ark ierten und den sogenannten unm ark ierten F orm en E inbahnverkehr: Die unm ark ierten k önnen für d ie m ark ierten e in tre ten , aber n ich t um gekehrt die m ark ierten für die unm ark ierten .Das unm ark ie rte Präsens kann z.B. du rch K o n tex t u n d /o d e r S itua tion auf die V ergangenheitsstu fe übertragen und als Präs.hist. — oder w ie m an es sonst nennen will — verw endet w erden . U m gekehrt kann aber n ich t das P rä teritum au f die G egenw artsstufe übertragen w erden und sich m it dem Z eitinhalt des Jetzigen vertragen. W enn es aber tro tzd em in einem G egenw artskon tex t verw endet w ird , verw andelt sich o ffen b ar die zeitli­che M arkierung der F orm in eine m odale M arkierung. Diese w äre dann der eigentliche “ K on junk tiversa tz” . U nsere Beispiele können sich m it einem “ J e tz t” vertragen, und auch in d e r nordw estfälischen Form ohne M odusm arkierung haben sie alle einen deu tlich m odalen W ert, d e r dem des K onj.P rät. gleich ist.

W arum nun tro tzd em die südw estfälischen M undarten n ich t nur ihre K on junk tiv fo rm en bew ahrt, sondern auch ihre Zahl vergrößert haben, ist eine schw ierige Frage, au f die ich keine völlig befriedigende A n tw o rt gefunden habe. — A llerdings fällt auf, daß d ie h ier vertre tene M undart in einem etw as am bivalen ten V erhältn is zum D entalsuffix s teh t: Häufig feh lt es, m anchm al ist es da . Nach der obigen In te rp re ta tio n k ö n n te aber eine s tarke N eigung zur Weglassung des P rä teritum suffixes eine gu­te E rklärung dafür abgeben, daß sich das fo rm ale M odussystem durch V erm ehrung der F orm en verstärk t. Diese D inge sind aber viel zu wenig un te rsuch t.

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In teressan t ist es jedenfalls, daß d ie a lem annischen und bairischen M undar­ten dasselbe erreichen, indem sich d o rt das p rä te rita le D en ta lsu ffix verstärk t. Im Beispiel (4) scheint die um gelau te te starke V erbalform n ich t zu genügen; ein S uffix -ti bzw. -at t r i t t leicht h inzu, d am it d ie richtige M odusm arkierung erzielt w ird. Das D en talsuffix scheint also bei dieser m odalen D eutung auf e iner höheren R angstufe zu stehen als d ie eigentliche K onjunktivform .

Zur V eranschaulichung kann auch diesm al eine in tu itive R eak tion angeführt w erden, aber hier n ich t als N eubildung in einer M undart, w ie bei dem -ig des Part.Präs. im H ennebergischen, sondern auf dero n to g en e tisch en S tufe der K indersprache: (13)... denn käm te d ie B lüte von der Tagelilie raus, w enn ich sie eine G eschichte erzäh lte (M. H ausm ann, M artin , S. 19) - Dies ist die A n tw o rt des 5jährigen M artin au f d ie Frage des V aters, w arum er seiner Tagelilie G eschich ten erzäh lt. Der N orm nach m üßte käm e genügen, aber das re ich t für den k leinen M artin n ich t aus: es geh ö rt etw as m ehr da­zu, um diesen gedach ten Fall auszudrücken, un d er hängt spon tan ein -te an. — Ein 5jähriger Junge w ürde au f keinen Fall ka m te für kam sagen.

Um zum A bschluß kurz zu zeigen, w ie sich dies in der H ochsprache verhält, en tnehm e ich Siegfried Jägers “ E m pfehlungen zum G ebrauch des K onjunk­tivs” den Satz (14 ): Wenn man ihn lob te , erho lte er sich schnell.2^ Dieser Satz ist, isoliert gesehen, am big, und seine B edeutung ändert sich je nach K on­te x t und S itua tion : a ) ... Das h ie lt aber nie lange vor. — b) Er ist bisher n och nie ge lo b t w orden. ... Im V ergangenheitskontex t (a) b ehä lt das Prä­te ritu m die zeitliche M arkierung, und w enn heiß t jedesm al w enn . Im Ge­g en w artsk o n tex t (b) geh t nach der oben beschriebenen Regel die zeitliche M arkierung in eine m odale über, w enn erhält die B edeutung falls, und es b ild e t sich ein sogenannter Irrealis.

N ach dem , was oben über die F orm des Part.Präs. gesagt w urde, m üßte es in k o nsequen t erscheinen, in diesem zw eiten Fall n ich t von einem K on­ju n k tiv sprechen zu w ollen. Es m uß aber als w enig naheliegend gelten , hier die B ezeichnung “ K onjunktiv II” zu w ählen, ohne im T erm inus das T em pus zum A usdruck kom m en zu lassen. D enn es ist m ehr P rä te ritum als K on junk­tiv, d .h . das T em pus ist im m er expliz ite ausgedrückt, der M odus n ich t; der m odale Inhalt kann die Folge einer Sekundäreinw irkung d esT em p u s sein, w enn, wie hier, das fo rm ale E lem ent für K onjunktiv feh lt. Es w erden für die B ezeichnung “ K onjunktiv II” pädagogische G ründe angeführt. Es scheint aber schw er vertre tbar, eine w issenschaftlich sch lech t zu begründende Bezeichnung als pädagogisch besonders glücklich gelten zu lassen. Sei es, daß m an vom “ Prä­te r itu m ” oder von der “ zw eiten S tam m fo rm ” spricht, m üßte es richtiger er­scheinen, durch den T erm inus zu zeigen, daß die F orm auch in dieser sekundä­ren V erw endung hierhergehört. In der p rim ären, tem p o ra l m ark ierten , m odal

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unm ark ie rten V erw endung ist sie im stande, eine Z eitstu fe zu bezeichnen, in dieser zw eiten — m odal m ark ierten — V erw endung verw andelt sich eben diese Z e itbedeu tung in eine m odale B edeutung, m it dem Ergebnis, daß die Form tem pora l u n m ark ie rt w ird und keine Zeit s t u f e bezeichnet. —Man nen n t ja auch n ich t den in einem gewissen Sinn “ u m g ek eh rten ” V or­gang — das h isto rische Präs. — etw a “ P rä te ritum II” .

Ich habe versucht, ein paar zen trale Bereiche der verbalen M orphosyn tax im L ichte e iner als “ v a r i a t i v ” bezeichneten M ethode zu b e trach ten . Das Bild, das sich ergeben hat, ist vielleicht n ich t so einfach. H offen tlich sind durch diese M ethode doch einige Züge k larer hervorgetreten und vielleicht auch fo lgerichtiger b eh an d e lt w orden , als es in den gängigen m odernen M ethoden m eist geschieht, d ie hinsichtlich der hier behande l­ten E rscheinungen als hypertrad itio n e ll gelten müssen. — A uch h a t die obige D arstellung ho ffen tlich erw iesen, daß m an der strengen F orderung nach vollständiger E rforschung jedes d e r übereinandergelagerten Sprach­system e n ich t zu gehorchen b rau ch t, um d iachronische L inguistik zu betre iben ; d ie E instellung der w aagerechten Perspektive nach den einzel­nen d ia top isch festgelegten R ich tungen h a t uns — wie ich hoffe — erlaub t, E inzelphänom ene und Teilsystem e für sich zu behandeln , ohne ihre syste­m atischen Z usam m enhänge aus dem Auge zu verlieren.

A nm erkungen

1 Hermann A ubin/Theodor Frings/Josef Müller, Kulturströmungen und Kul­turprovinzen in den Rheinlanden, Bonn 1925, S. 135.

2 Hermann Osthoff/Karl Brugmann, Morphologische Untersuchungen auf dem Gebiete der indogermanischen Sprachen I, Leipzig 1878, S. IX.

3 O tto Bremer, Beiträge zur Geographie der deutschen M undarten in Form einer Kritik von Wenkers Sprachatlas des deutschen Reiches. Sammlung kurzer Grammatiken deutscher Mundarten III, Leipzig 1895, S. 523.

4 Eduard Sievers, Grundzüge der Phonetik. Bibliothek indogermanischer Grammatiken I, 3 1885, S. 103.

5 Vgl. Helmut Richter, Tradierung von Lautsystem en oder Vererbung? In: Phonetica 8, 1962, S. 73 ff. — In seiner Schlußfolgerung drückt Richter seine Skepsis in folgender Weise aus: “ Die Tatsachen, die als angebliche Bedingtheit von Lautsystemen ins Feld geführt werden, fügen sich den Ein­sichten über die Existenz biologischer Grenzen der Tradierung ein, ohne daß von der Auffassung abgegangen werden müßte, daß der Lautstand von Sprachen traditionsbedingt ist.” (Ebd. S. 91).

6 Karl Bohnenberger, Ober die Ostgrenze des Alemannischen, in: PBB 52,1928, S. 217-291.

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7 Gaston de Paris, Les Parles de France. Revue de Patois galloromans II,1888, S. 163 f.

8 Karl Haag, Sieben Sätze über Sprachbewegung, in: ZDM 1, 1900, S. 141.

9 Gustav Millardet, Linguistique e t Dialektologie romanes, M ontpellier u.Paris 1923, S. 256.

10 Emmon Bach, An ln troduction to Transformational Grammars, New York, Chicago, San Fransisco 1966, S. 69.

11 Jerrold Katz/Paul Postal, An integrated theory of linguistic descriptions, Cambridge, Mass. 1964, S. 157.

12 A rthur Hübner, Die M undart der Heimat, Breslau 1925, S. 64.

13 Siehe Übersichtskarten in Verf., Studien zum deutschen Futur, in: Ärbok for Universitetet i Bergen Hum. Serie 2, Bergen/Oslo 1962, S. 44 u. 45.

14 Vgl. Ingo Reiffenstein, Endungszusammenfall (Suffixsynkretismus) in dia­chronischer und synchronischer Sicht, in: Sprache - Gegenwart und Ge­schichte = Sprache der Gegenwart 5, Düsseldorf 1968, S. 174.

15 Die Inform anten wurden auch gebeten, die Sätze, die dem Sprachgebrauch der Gegend entsprachen, in der m undartlichen Aussprache wiederzugeben. Da dabei fast immer Laienschreibung benutzt wurde, wird hier und im fol­genden keine Lautschrift verwendet.

16 Manfred Bierwisch, Gram matik des deutschen Verbs = Studia grammatica II, Berlin 1965, S. 122 f.

17 Eugenio Coseriu, Semantik, Innere Sprachform und T iefenstruktur, in: Folia Linguistica IV, 1970, S. 56 ff. — Ich schließe mich dieser Ansicht umso eher an, als ich während eines Aufenthaltes in Columbus/Ohio denselben Stand­punkt vertreten habe in Diskussionen m it Charles Fillmore über seine “Tie­fenkasus”.

18 Daniele Clement, Satzeinbettungen nach Verben der Sinneswahrnehmung im Deutschen, in: Probleme und Fortschritte der Transformationsgramma­tik, hrsg. v. Dieter Wunderlich = Linguistische Reihe 8, München 1971,S. 245 ff.

19 Thüringisches W örterbuch, hrsg. von Karl Spangenberg, Bd. 4, Berlin 1967, Sp. 280 und 400. Karl Spangenberg hat mir brieflich weitere Beispiele gelie­fert, z.B. : do hatten de Liete anne grusse Gelle mät Wasser in Hofe stiehnig (Arnstadt); ich habe ein paar Kühe im Stall stehnig (A ltenburg); dreihundert M ork hob ich u f dr Sporkasse stiehnig (Pößneck); die Hexe kann stiehnig ma­chen (Saalfeld, Hildburghausen, Sonneberg, Pößneck).— Von diesen Formen auf -ig sind wohl die "gutturalisierten” Formen auf -ing, das als echte Parti- zipialendung anzusehen ist, zu unterscheiden, obwohl man nicht von späteren Analogien und Kontaminationen absehen kann; siehe hierzu Theodor Frings und Ludwig Erich Schm itt, Gutturalisierung, in: ZMaF 18, 1942, S. 49 - 58; vgl. Verf., Studien zum deutschen Futur (Anm. 13), S. 67.

20 Zitiert nach O tto Behaghel, Deutsche Syntax, Bd. 2, S. 388 f. und 324.

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21 Paul Didriksen, Elementaer Dansk Grammatik, Kopenhagen 31962, S. 26: “ Optativ og Infinitiv falder sammen i alle Verber og maa efter det danske Sprogs S truktur betragtes som een Form med to syntaktiske Varianter.”

22 Gisbert Keseling, Erwägungen zu einer überregionalen Syntax der nieder­deutschen Mundarten, in: Gedenkschrift für William Foerste, hrsg. von Dietrich Hofmann, Köln und Wien 1970, S. 361 f.; vgl. N d jb . 1968, S. 145 ff.

23 Vgl. O tto Mensing, Schleswig-Holsteinisches Wörterbuch, 5 Bde, Neumünster 1927-35, unter don; siehe auch: Johannes Erben, ‘T un’ als Hilfsverb im heu­tigen Deutsch, in: Festschrift für Hugo Moser, hrsg. v. Ulrich Engel e t al., Düsseldorf 1969, S. 47 ff., wo Beispiele aus mehreren Mundarten gebracht werden.

24 Ferdinand Holthausen, Die Soester M undart. Lautlehre und Formenlehre nebst Texten, Nord 1886, S. 59 u. passim: Thorsten Dahlberg, Die M undart von Droste 2, Lund 1937, S. 18 ff.;ders., Zum neuostfälischen Konjunktiv, in: NdKb. 65/4, 1958, S. 63.

25 Die hochdeutschen Ausgangssätze lauteten: (4) es ist ihm, alss ä h e er Gespen­ster; (5) es k ö n n t e schlimmer geworden sein; (6) dies d ü r f t e wohl das Richtige tre ffen ; (7) k ö n n t e s t du mir etwas behilflich sein? (8) das t ä t e ich nicht gern; (9) das h ä t t e s t du besser machen können; (10) wenn er das Pferd nur kaufen t ä t e / w ü r d e ! (11) e s w ü r d e mich freuen, wenn ich es b e k ä m e; (12) wenn du so w o l l t e s t , wie ich m ö c h t e .

26 Kaj B. Lindgren, O berden oberdeutschen Präteritumschwund, in: Annales Academiae Scientiarum Fennicae, Ser. B 112, 1, 1957 ;ders., Ober Präteri­tum und Konjunktiv im Oberdeutschen, in: Neuphil. Mitt. 64, 1963, S. 264 ff.; vgl. Ingerid Dal, Zur Frage des süddeutschen Präteritumschwundes, in: Indogermánica (Festschrift für W. Krause), Heidelberg 1960, S. 1 ff.

27 Roman Jakobson, Zur S truktur des russischen Verbums, in: Charisteria Guilelmo Mathesio quinquagenario oblata, Praha 1932, S. 74.

28 Siegfried Jäger, Empfehlungen zum Gebrauch des Konjunktivs = Sprache der Gegenwart 10, Düsseldorf 1970, S. 36.

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DIETER CHERUBIM

Sprachtheoretische Positionen und das Problem des Sprachwandels

1. P roblem stellung

Es schein t eine trivale F estste llung zu sein, daß das P roblem des Sprach­w andels für die Sprachw issenschaft in ihrer h is to rischen E n tw ick lung nich t nu r un tersch ied lich in teressan t war, sondern auch un tersch ied lich fo rm u­liert und u n te rsu ch t w orden is t.1 W ährend das un tersch ied liche In teresse m öglicherw eise au f die un tersch ied liche A kzen tu ie rung von T heorie- und D atenorien tierung in der G eschichte der S prachw issenschaft zurückzufüh­ren is t2 , k ö n n te die un tersch ied liche Fassung und A nalyse des Problem s auf un tersch ied liche sprach theore tische Positionen verw eisen, die im plizit o der exp liz it den P roblem zusam m enhang bestim m ten . D ie d era rt m it der scheinbar triv ialen Festste llung verbundene A nnahm e, daß spezifische sp rach theo re tische Positionen m it einer bestim m ten S ich t des Problem s des Sprachw andels und der A rt seiner U ntersuchung in Z usam m enhang stehen, ist nun keineswegs m ehr trivial, da sie, w ie zu zeigen sein w ird, u n ­m itte lbar zu Ü berlegungen führt, w ie au f der Basis derzeitiger sprachtheo- re tischer A nnahm en das P roblem des Sprachw andels fo rm u liert u n d u n te r­such t w erden kann. Es stellt sich som it die Frage: Was leisten die bisher vorliegenden oder ge ltenden Sprach theorien (oder A nsätze dazu) für die K o n z e p t u a l i s i e r u n g von U ntersuchungen zu Sprachveränderun- gen, d ie n ich t nur im Zusam m enhang abgeschlossener sprachgeschichtlicher E ntw icklungen, sondern auch im R ahm en ak tueller kom m unikativer V or­gänge zu beschreiben s ind?3 Bevor hierzu V orschläge gem acht w erden (4.), soll die dabei zugrundegelegte A nnahm e eines system atischen Zusam m en­hangs zw ischen sp rach theore tischen Positionen und der U ntersuchung und D arstellung histo rischer Prozesse in natürlichen Sprachen exp liz iert und k o n k re tis ie rt w erden (2. und 3.).

2. Z um Begriff “ S prach theo rie”

U nter sp rach theore tischen P ositionen w erden solche allgem einen A nnah­me über E igenschaften, S tru k tu ren und F u n k tio n en natürlicher Sprachen verstanden, die im R ahm en von spezifischen E rkenn tn isin teressen und deren B edingungen k o n s t i t u t i v e F u n k tio n en ausüben, d .h . den je­w eiligen G egenstand von Sprachw issenschaft en tw erfen un d so zusam m en m it allgem einen m ethodo log ischen Prinzipien, die ihrerseits zugrundelie-

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genden W issenschafts- oder E rkenn tn istheo rien en ts tam m en , die m eta­theore tische Basis zur E rforschung e inzelner h isto rischer Sprachen oder S prachphänom ene abgeben.4 Da die jew eiligen G egenstände von Sprach­w issenschaft n ich t m it ihrem eigentlichen G egenstand, der Sprache bzw. den Sprachen selbst, zusam m enfallen, sondern nur als P ro jek tion von in te r­essengesteuerten idealisierenden M odellen dieses kom plexen G egenstandes erscheinen, können sp rach theore tische Positionen keine “W esensaussagen” sein, sondern n u r H ypo thesen über Sprache (oder Sprachen allgem ein), deren B rauchbarkeit ebenfalls G egenstand sprachw issenschaftlicher F o r­schung is t.5 Im U nterschied zu m ethodologischen und beschreibungs­m ethodischen K onzep tionen sind sp rach theore tische Positionen solche A nnahm en, d ie forschungs l o g i s c h jeder K onzeptualisierung spezifi­scher F orschungsinteressen vorausgehen, auch w enn sie h i s t o r i s c h erst danach fo rm u lie rt oder rek o n s tru ie rt w orden sein können .6 Sprach­theo re tische Positionen sind ihrerseits bestim m t d u rch un tersch ied liche Bedingungen, z.B. ökonom ischer, in s titu tione lle r oder w issenschaftshisto­rischer A rt, o d e r sind aus solchen V orstellungen, H ypo thesen o d er T h eo ­rien ab leitbar, die w iederum auf solche B edingungen zurückverw eisen o d er m it ihnen in Z usam m enhang stehen .7 Term inologisch w erden sp rach th eo ­retische P ositionen in der Sprachw issenschaft u n te r anderem als “ Prinzi­p ien” (Paul), “ A xiom e” (Bühler) oder “ U niversalien” (C hom sky) geführt.8 Die E insicht in die N otw endigkeit, d ie jeder k o nk re ten S prachanalyse und -deskrip tion exp liz it oder im plizit zugrundeliegenden sp rach theore tischen P ositionen zu reflek tieren un d zu begründen, kann als der en tscheidende, erken n tn is th eo re tisch bed ing te F o rtsch ritt der m odernen gegenüber der trad itionellen Sprachw issenschaft angesehen w erden .9

3. S p rach theore tische Positionen

3.1. D a ß S prache sich w andelt oder (besser) veränderbar ist, w ird in der S prachw issenschaft allgem ein vorausgesetzt, da der d am it b eh au p te te Sach­verhalt u n m itte lb a r ev ident ist. A bso lu t genom m en b le ib t diese sp rach theo ­retische Position aber noch trivial, ihr E rklärungsw ert also gering. V ersu­che einer R ech tfe rtigung dieser Position zeigen, daß sie insbesondere dann fru ch tb a r für die A nalyse und D eskrip tion sprachlicher P hänom ene w erden kann, w enn sie i m Z u s a m m e n h a n g m i t a n d e r e n sp rach theo ­retischen P ositionen (und en tsp rechenden m ethodolog ischen K onzep tio ­n en ) gesehen w ird .10 Im Sinne der oben (1 .) angenom m enen R ela tion soll daher im fo lgenden verd eu tlich t w erden, w elche K onsequenzen d ie vorgän­gige Wahl bestim m te r sp rach theo re tischer P ositionen für die A nnahm e des Sprachw andels un d der V eränderung von Sprachen m it sich b ring t. UmgC" keh rt könn te du rch solche R eflex ionen auch deu tlich w erden, w elche

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(anderen) sp rach theore tischen Positionen für die A nnahm e des Sprach­w andels und der V eränderung von Sprachen erfo rderlich oder d am it u n ­vereinbar s in d .11 Da es m ir an dieser S telle n ich t schon um eine h inrei­chende B estätigung m einer A nnahm e, sondern noch um ihre E xp likation und K onkretisierung geht, greife ich einige Beispiele heraus, um an ihnen den b eh au p te ten Z usam m enhang zu verfolgen und in exem plarischer Weise plausibel zu m achen.

Bei der kritischen R ek o n stru k tio n der vorgeführten Positionen sollte je­doch n ich t übersehen w erden, daß diese Positionen — als h isto rische Aus­w ahlen b estim m ter A nnahm en über Sprache — vielfach andere A nnahm en oder Positionen n ich t aus s c h l i e ß e n , sondern aus s p a r e n oder schw ächer akzen tu ieren . M it e iner so lchen E inschränkung soll verm ieden w erden, daß die hier vorgeführte kritische S ichtung als schem atische Kon- trastierung verschiedener P ositionen verstanden w ird, nu r weil die existie­renden h isto rischen K o n tin u itä ten und Übergänge zw ischen den einzelnen P ositionen n ich t m itb eh an d e lt w erden k ö n n en .12 Insgesam t rep räsen tieren die ausgew ählten P ositionen H. Pauls, de Saussures, d e r Prager Schule und d er linguistischen P ragm atik S chw erpunk te der E ntw ick lung der neueren Sprachw issenschaft.

3.2. Für H erm ann P a u l ist der prim äre G egenstand der Sprachw issen­schaft das “ S prach leben” oder die “ S prachgesch ich te” . 13 Das Sprachleben o d e r die S prachgeschichte sind nun zunächst eine F u n k tio n der i n d i v i ­d u e l l e n S p r e c h t ä t i g k e i t ; diese w ird jed o ch d u rch ein regulativ w irkendes s o z i a l e s M om ent, den “ Sprachusus” ergänzt, dessen k o n ­k re te r S ta tu s bei Paul allerdings w enig deu tlich w ird .14 Für Pauls “ Prinzi­p ienlehre der S prachgesch ich te” , die er selbst als “T heo rie d e r S prachen t­w icklung” cha rak te ris ie rt15, ste llt sich dem nach als zen tra le Frage,

“wie verhält sich der Sprachusus zur individuellen Sprechtätigkeit? Wie wird diese durch jenen bestim m t und wie wirkt sie um gekehrt auf ihn zurück?” (33)

D em en tsp rich t dann auch Pauls m ethodisches P ostu la t:

“ Das wahre Objekt für den Sprachforscher sind [...] sämtliche Äußerungen der Sprechtätigkeit an sämtlichen Individuen in ihrer Wechselwirkung aufein­ander.” (24)

O bw ohl Paul in seiner S prach theorie die s o z i a l e G enese und K on­s titu tio n der Ind ividualsprachen a n e rk e n n t16, b le ib t für ihn doch die i n - d i v i d u e 11 e Psyche das w esentliche U ntersuchungsfeld :

“ Die [...] psychischen Organismen (der Individuen — D. Ch.) sind die eigent­lichen Träger der historischen Entwicklung.” (2 8 )17

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Die B egründung erg ib t sich für ihn aus der T atsache,

“ daß alle rein psychische Wechselwirkung sich nur innerhalb der Einzelseele vollzieht.” (12)

V on einer solchen Position aus, die n ich t zu le tz t auch durch seine A usein­andersetzung m it der V ölkerpsychologie gepräg t is t18, m uß Paul das kon­zed ierte soziale M om ent von Sprache p rob lem atisch erscheinen. So fragt er z.B. im Zusam m enhang m it der D ialektgliederung von Sprachen n ich t etw a danach, w ie es zu einer A usdifferenzierung der D ialek te innerhalb einer Sprache gekom m en sein könn te , sondern wie es m öglich ist,

“daß, indem die Sprache eines jeden einzelnen ihre besondere Geschichte hat, sich gerade dieser größere oder geringere Grad von Übereinstimmung innerhalb dieser so und so zusammengesetzten Gruppe von Individuen er­hält.” (39 f.)

Und weil Paul von seiner individualpsychologischen Position aus das Pro­b lem n ich t in den G riff bekom m en kann, m uß er sich au f S peku la tionen über die E in fachheit und g roße G leichm äßigkeit aller sprachlichen V or­gänge in den verschiedenen In d iv iduen19 stü tzen oder den kom plexen sozialen Prozeß des Sprachw andels auf die b loße Sum m ierung individueller Sprach innovationen verkürzen:

“ Jede sprachliche Schöpfung ist stets nur das Werk eines Individuums. Es können mehrere das gleiche schaffen, und das ist sehr häufig der Fall. Aber der Akt des Schaffens ist darum kein anderer und das Produkt kein anderes. Niemals schaffen mehrere Individuen etwas zusammen, mit vereinigten Kräf­ten, m it verteilten Rollen [...]

Allerdings insofern, als eine sprachliche Schöpfung auf ein anderes Individuum übertragen und von diesem umgeschaffen wird, als dieser Prozeß sich immer wieder von neuem wiederholt, findet auch hier eine Arbeitsteilung und Arbeits­vereinigung sta tt [ ...] . Und wo in unserer Überlieferung eine Anzahl von Zwi­schenstufen fehlen, da ist auch der Sprachforscher in der Lage, verwickelte Komplikationen auflösen zu müssen, die aber nicht so wohl durch das Zusam­menwirken als durch das Nacheinanderwirken verschiedener Individuen ent­standen sind.” (18)

3.3. Für F erd inand de S a u s s u r e ist Sprache (langue) als G egenstand der Sprachw issenschaft ein S y s t e m von sozial geltenden Z e i c h e n , die Sprachw issenschaft som it Teil einer allgem einen W issenschaft, die er “ Sem iologie” n en n t und

• • i t» 2 1“ qui étudie la vie des signes au sein de la vie sociale.’ (33)

Wie die kritische In te rp re ta tio n der Q uellen von Saussures “ C ours de linguistique générale” zeigen kann, ist dabei für den Zeichen- w ie den Sy­stem begriff das Prinzip der A rb itra ritä t zw ischen Z eichengestalt un d Zei­chen inha lt von fundam en ta le r B edeu tung .22 In V erbindung m it dem Wert-

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bzw. F orm prinzip füh rt es insofern über die trad itione llen ze ichen theore­tischen K onven tionalitä tsannahm en hinaus, als es die Frage nach der Mög­lichkeit von B edeutung u n d d am it nach der G egenstandskonstitu tion durch Sprache e rö ffn e t.2 3 Dieses A rb itra ritä tsp rin z ip ist zugleich fu ndam en ta l für den Sprachw andel, indem es die theo re tische M öglichkeit e iner unbe­g renzten V eränderbarkeit der Zeichen durch V erschiebung des V erhält­nisses zw ischen den Z eichenseiten g aran tie rt :

“... l’arbitraire de ses signes (i.e. der langue — D. Ch.) entraîne théoriquem ent la liberté d’établir n’importe quel rapport entre la m atière phonique e t les idées.” (110)

D enn es läß t zu, daß die einzelnen Z eichenseiten prinzip iell unabhängig voneinander un tersch ied lichen Einflüssen ausgesetzt sind und verändert w erden. D och jede derartige V eränderung h a t auch K onsequenzen für das V erhältn is der beiden Z eichenseiten zueinander, d .h . läu ft le tz tlich auf eine V erschiebung dieses V erhältnisses h in au s .24 D ie in der A rb itra ritä t des sprachlichen Zeichens begründete s y s t e m a t i s c h e M öglichkeit einer beliebigen V eränderung w ird jedoch p r a k t i s c h durch den histo­risch-sozialen C harak te r von Sprache eingeschränkt: Als sozial en ts tan d e­nes und geltendes Z eichensystem ist Sprache (langue) no tw endig an eine “ masse p a rlan te” gebunden und un terlieg t d am it sozialen K räften , die du rch die W irkung der Zeit, d er die Sprache w iederum als h isto risches G ebilde ausgesetzt ist, h e rv o rtre ten .25 Saussure selbst hä lt in diesem Zusam m enhang aber fest, daß m it seiner E rklärung der V eränderbarkeit des Z eichens noch n ich ts über die U rsachen o d er die N o tw end igkeit von V eränderungen ge­sagt ist. Es erschein t ihm sogar besser, vo rerst noch au f eine deta illiertere D arstellung zu v erz ich ten .26 D aher bleiben auch die von ihm angesproche­nen sozialen K räfte, die au f die Sprache einw irken, o h n e nähere K onkre ti­sierung; sie w erden sogar an anderer S telle w eitgehend aus dem inneren U ntersuchungsbereich der Sprachw issenschaft ausgek lam m ert.27

A us der W irkung der Zeit bzw . dem h istorisch-sozialen C harak te r von Sprache le ite t Saussure als w eitere E inschränkung der beliebigen V eränder­barkeit der sprachlichen Zeichen das Prinzip der S o lidaritä t von K on tinu i­tä t und U m gestaltung in der Sprache ab :

“ En dernière analyse, les deux faits sont solidaires: le signe est dans le cas de s’altérer parce qu’il se continue. Ce qui domine dans toute altération, c’est la persistance de la m atière ancienne ; l’infidélité au passe' n ’est que relative.Voilà pourquoi le principe d’altération se fonde sur le principe de continuité.” (108 f.)28

Wie auch andere soziale In s titu tio n en ist Sprache durch einen spezifischen G rad von Balance zw ischen der h is to rischen T rad itio n un d der verändern ­den W irkung d e r Sprachgem einschaft b e s tim m t.29

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M it der V eränderbarke it des E inzelzeichens, die du rch das A rb itraritä ts- prinzip gew ährleiste t w ird, ist über das Wert- bzw. F orm prinzip auch die V eränderbarkeit von Sprache (langue) als System von Zeichen gegeben:

“ Nous avons dit p. 109 que l’altération du signe est un déplacem ent de rapport entre le signifiant et le signifié. Cette définition s’applique non seulement à l’altération des term es du système, mais a l’évolution du système lui même; le phenomene diachronique dans son ensemble n’est pas autre chose.” (248)30

D aher kann auch der M echanism us der Sprache, so w ie er von Saussure als kom bin ierte W irkung von syntagm atisch und assoziativ s tru k tu rie rten G ruppierungen e rläu te rt w ird (176 ff.), als E inschränkung des A rbitrari- tä tsp rinzips au f der E bene des funk tio n ie ren d en System s beschreiben w er­den 3*, w om it bere its u n te r synchronischem A spekt das M om ent der K rea­tiv itä t und der V eränderung von Sprache (langue) ins Spiel gebrach t w ird .32 L etztere finden dann eine um fassendere D arstellung in den beiden K apiteln über die A nalogie (221 ff.), w obei w iederum Synchronie und D iachronie in der Sprache eng m ite inander verschränkt erscheinen und der A spekt der E inschränkung der A rb itra ritä t w ichtig is t.33

3.4. Für die P r a g e r S c h u l e , die als eine der w enigen europäischen europäischen S truk tu ra lism usvarian ten auch eine d iachronische K om po­nen te en tw icke lte , ist Sprache p rim är das fun k tio n a le System , dessen Be­griff Saussure vorher en tw orfen h a t te .34 So kann ihre Position einerseits als W eiterentw icklung der V orstellungen von Saussure angesehen w erden ; andererseits g eh t sie jedoch auch von einer K ritik an Saussure aus. Saussure h a tte m it seiner exp liz it m e t h o d i s c h gerech tfe rtig ten U nterschei­dung von statischer und evolutiver Sprachw issenschaft System und E n t­w icklung voneinander g e tren n t (114 ff.), ohne jedoch s p r a c h t h e o - r e t i s c h ihre E inhe it in Frage zu stellen (24). 35 Seine T rennung b e tra f zudem prim är die B e d i n g u n g e n d iachron ischer Prozesse, w ährend ihre K o n s e q u e n z e n durchaus m it dem S prachsystem verbunden b lieben (1 2 4 ; Engler 1449). ln ih rer In te rp re ta tio n des Saussureschen A n­satzes (w obei sie allerdings nur den kanonischen T ex t des “C ours” voraus­setzen) k ritisieren nun die V ertre te r der Prager Schule die angeblich “ato- m istische” Position Saussures inbezug auf den S prachw andel und versu­chen ihrerseits den System begriff auch in die M ethodologie der d iach ro ­nischen Sprachw issenschaft zu in teg rieren .36 Das führt dazu, daß gegen­über Saussure, der nu r vereinzelt und relativ vorsichtig stru k tu re lle Ge­sich tspunk te zur E rklärung sprachlichen W andels h eranzieh t (z.B. 237 ;Engler 2 6 3 5 )37, von den V ertre te rn des d iachronischen S truk tu ra lism us (besonders R. Jakobson un d A. M artinet) das Sprachsystem bzw. seine S tru k tu r zum zen tra len E rklärungsprinzip sprachlicher V eränderungen und sprachlichen W andels gem ach t w ird :

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“Ainsi l’etude diachronique, non seulement n’exclut pas les notions de système et de fonction, mais, tou t au contraire, à ne pas tenir com pte de ces notions, elle est incom plète.” ^

O bw ohl die in diesem Zusam m enhang zunächst v ertre tene teleologische und kausale In te rp re ta tio n der S p rach stru k tu r bald dah ingehend verän­dert w ird, daß die S p rach s tru k tu r w eniger als finale o d e r kausale Ursache, sondern eher als regulative Bedingung sprachlichen W andels zu begreifen ist 39, gew innt die System erk lärung innerhalb des d iachron ischen S tru k tu ­ralism us doch einen solchen Eigenw ert, daß der p ragm atische und soziale K o n tex t von Sprache, tro tz aller “ fu n k tio n a lis tisch en ” P rogram m atik , w eitgehend aus dem Blick zu gera ten d ro h t .40 In ähnlicher Weise w ird auch die Prager K ritik an der G eschlossenheit und H om ogenität des Saus- sureschen System begriffs in der Praxis des d iachronischen S truk tu ra lism us n ich t relevant, w odurch , w ie u.a. W einreich, Labov u n d H erzog (1968 ) zei­gen, konstitu tive F ak to ren des sprachlichen W andels ausgeblendet w erden.41 N eben dem klassischen diachron ischen S truk tu ra lism us en tw icke ln sich je ­doch innerhalb wie außerhalb der Prager Schule A nsätze, die versuchen, u n te r H eranziehung soziologischer wie psychologischer Begriffe die von Saussure in der T heorie , von den V ertre te rn des d iach ron ischen S tru k tu ra ­lismus in der Praxis du rchgeführte T rennung von ex te rnem und in ternem Bereich der Sprachw issenschaft zu überw inden.42 Die in diesem Zusam ­m enhang en ts tandene D iskussion um d ie R olle der in ternen und ex ternen F ak to ren für den Sprachw andel bestim m t heu te noch besonders die em pi­rische d iachronische Forschung in den osteu ropäischen L ändern .43

3.5. Für d ie auf der Basis der o pera tiona len B edeu tungstheorie L. W ittgen­steins und der sprachanaly tischen Philosophie (J.L . A ustin , J .R . Searle u.a.) be triebene l i n g u i s t i s c h e P r a g m a t i k heu te ist Sprache dasjenige System von Regeln, das das kom m unikative H andeln innerhalb von G ruppen o d e r G em einschaften le ite t und e rk lä rt.44 Wie nun im H an­deln als in ten tionalem V erhalten (bew uß t oder un b ew u ß t) s te ts die Er­fahrung seiner Bedingungen vorausgesetzt ist, sind in S prache von ihrer G enese wie von ihrer V erw endung her d ie kom m unikativen Erfahrungen historischer, d .h . in gesellschaftlicher Praxis agierender S ub jek te sym bo­lisch gebunden u n d als M uster oder M öglichkeiten sinnvollen kom m uni­kativen H andelns form uliert. Z entrales sp rach theo re tisches K onzept der P ragm atik ist daher neben dem H andlungsbegriff, d e r eine bedeu tsam e A usw eitung des G egenstandsbereiches der Sprachw issenschaft m it sich b r in g t45, der Begriff der R e g e l . W ichtigste E igenschaften von Regeln sind ihre K onven tionalitä t und ihr sozialer C harak te r.46 In diesem Regel­begriff sind auch die M öglichkeiten der V eränderung von Sprache m it an­gelegt, weil schon die K onven tionalitä t d e r R egeln ihre “ h isto rische O ffen-

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h e it” b e d in g t47, fe rn er weil in dem , was durch Regeln b estim m t ist, im ­m er auch Spielräum e ex is tie ren 48, und vor allem weil im R egelbegriff no tw endig die M öglichkeit von A bw eichungen und Fehlern m iten th a lten is t.49 V on diesen A bw eichungen u n d F ehlern kann zum indestens eine b e ­stim m te T eilm enge als E nsem ble von kreativen V orschlägen für neue R e­geln verstanden w erden ¡freilich bedürfen solche V orschläge w egen des bereits b e to n ten sozialen C harak te rs von Regeln der A kzep ta tion durch eine G ruppe o d e r G em einschaft, um zu ta tsäch lichen V eränderungen zu führen. V on W ichtigkeit ist ferner, daß R egelveränderungen ihrerseits im m er nur au f der Folie ge ltender R egeln d en k b ar sind, also selbst n ich t regellos, sondern zum indestens regelhaft in dem Sinne sind, daß ihnen R egeln en t­sprechen, d ie sie e rk lä ren .50 D am it w ird auch h ier ein P r i n z i p d e r s y s t e m a t i s c h e n R e o r g a n i s a t i o n als essentielle Bedingung für die V eränderung von Sprache in A nspruch genom m en .51 D arüber hinaus w ird im Sinne dieses R egelbegriffs sprachliche K reativ itä t insbesondere d o rt erm öglicht, wo die in Sprache gebundenen E rfahrungen verfügbar sind und dam it b ew u ß t H andlungsalternativen fo rm u lie rt w erden k ö n n en .52

4. Fo lgerungen und Vorschläge

4.1. D er V ergleich einiger sprach theore tischer P ositionen darau fh in , wie von ihnen aus das P roblem des S prachw andels b es tim m t und als U nter­suchungskonzep t fo rm u lie rt w ird, zeigt bere its deu tlich , daß für jed e A na­lyse des S prachw andels eine durchgehende R eflex ion der zugrundeliegen­den sp rach theo retischen Positionen unum gänglich ist, w enn die R eichw ei­te und E rk lärungsstärke eines A nsatzes abgeschätz t und A lternativen in die D iskussion m iteinbezogen w erden sollen. Für d ie P lanung derartiger U ntersuchungen b ie te t es sich daher an, die b isher v e rtre tenen un d rele­vanten sp rach theo re tischen Positionen zu sichten u n d sie au f ihre K onse­quenzen für die A nalyse des Sprachw andels h in zu prüfen, um zu th eo re ­tisch begründeten und heuristisch fru ch tb a ren F o rschungshypo thesen über den Sprachw andel, seine F orm en , F u n k tio n en und B edingungen zu kom ­m en. D abei w ird m an über den W ert der un tersch ied lichen P ositionen und der aus ihnen abgele ite ten K onzep te n ich t generell, sondern nur von den besonderen Forschungsin teressen einzelner U ntersuchungen her en tschei­den können . D em entsp rechend lassen sich auch die oben e rö r te rten Posi­tionen un tersch ied lichen Forschungsschw erpunk ten der heu tigen Sprach­w issenschaft zuo rdnen un d erw eisen sich d o rt als fru ch tb a r. So is t Pauls individualpsychologische T heorie des S prachw andels sicher noch im R ah­m en psycholinguistischer A nsätze d isku tabel, obw ohl auch h ier zunehm end pragm atische und soziale D aten in die em pirische Basis m itau fgenom m en und zur E rklärung herangezogen w e r d e n .” E benso ergeben Saussures

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zeichen theore tisch fu nd ie rte s und das au f den S ystem begriff gegründete Erklärungsm odell des S truk tu ralism us brauchbare K onzep te im R ahm en spezifischer, d .h . au f b estim m te A spekte besch rän k te r U ntersuchungen des Sprachw andels; darüber hinaus ist zu prüfen, inw iew eit diese A nsätze in um fassendere, d .h . vor allem den pragm atischen und sozialen K o n tex t m iteinsch ließende A nalysen in tegriert w erden k ö n n en .54 R elativ wenig läß t sich bisher über den N utzen pragm alinguistischer K onzepte für eine Beschreibung und Erklärung des Sprachw andels sagen, weil einerseits die b isher vorliegenden, im R ahm en trad itione lle r und s truk tu re lle r A nsätze erhobenen D aten von Sprachveränderungen keine zureichende Basis für eine pragm atisch o rien tie rte A usw ertung bilden und andererseits um fassen­dere A nalysen noch au ss teh en .55

4.2. Da es im R ahm en einzelner U ntersuchungen kaum m öglich ist, die oben vorgeschlagene S ich tung sp rach theore tischer Positionen und ihrer K onsequenzen für die A nalyse sprachverändernder Prozesse vollständig vorzunehm en, m uß ein abkürzendes V erfahren angew andt w erden , das m öglichst die gleichen F u n k tio n en erfüllen kann. H ierzu b ie te t sich an, ste llvertre tend für die einzelnen sp rach theore tischen Positionen solche k onstitu tiven R ela tionen auszuw ählen , die sich für die bisherige Forschung schon als Basis bew ährt haben und die daher für die F orm ulierung von em ­pirisch überprüfbaren H ypothesen geeignet sind. D abei w ird von der A n­nahm e ausgegangen, daß diese R elationen u n te r synchronischem A spekt (m ehr oder w eniger) stabilisierten sprachlichen Prozessen en tsprechen , an denen sprachliche V eränderungen besonders leicht ansetzen und daher für eine D eskrip tion greifbar sind. 56 Die b isher im R ahm en un tersch ied licher A nsätze gew onnenen D aten und M aterialien zum Sprachw andel könn ten dann ebenfalls auf diese Basis bezogen bzw . von d o rt aus neu erk lärt w er­den. Um diesen V orschlag etw as zu konkretisieren , w erden im folgenden einige R ela tionen herausgegriffen und anhand von Beispielen auf ihren E rklärungsw ert für Sprachveränderungsprozesse h in skizziert, ln ihrer paar­weisen A nordnung stehen sie exem plarisch für bestim m te , analy tisch abzu­grenzende und zu expliz ierende Bereiche, stellen aber keinerlei V orgriff au f eine vollständige und befriedigend geordnete L iste aller m öglichen R e­la tionen dar, deren kon k re te r Z usam m enhang zudem bei jed e r E rklärung berücksichtig t w erden muß.

4 .3 . Die ersten beiden R ela tionen b e tre ffen den e n g e r e n Bereich der stru k tu re llen O rganisation von Sprache: die R ela tion von A u s d r u c k u n d I n h a l t und die R ela tion von L e x i k u n d S y n t a x . D ie schon für Saussures A nsatz zen tra le R elation von A usdruck und Inha lt des sprachlichen Zeichens hat sich vor allem als Basis für d ie funk tionale Beschreibung des B edeutungsw andels b ew äh rt.57 V on hier aus lassen sich

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z.B. H ypo thesen über H om onym enkonflik te , D ifferenzierung von Syno­nym en und Polysem ie als Bedingung von S prachveränderungen fo rm u lie ­ren. 58 Ferner können über eine p ragm atische E rw eiterung dieser G rund­relation , d .h . den E inbezug von referenz-sem antischen sowie sprechakt- und sprachbenu tzerbezogenen A spekten , w eiterreichende und d ifferen ­ziertere B eschreibungskategorien und H ypo thesen en tw icke lt w e rd en .59

A uf der Basis der R ela tion von lexikalischer und syn tak tischer O rganisa­tion von Sprache können H ypo thesen über Lexikalisierungs- (Beispiel: Geiselgangster) und Id iom atisierungsprozesse (Beispiel: die Schau steh len ) fo rm u lie rt w erden .60 D am it sind im ersten Fall besonders d ie vielfältigen W ortbildungsm öglichkeiten , im zw eiten u n te r anderem auch die K on ta ­m ination und (partie lle) R em otiv ierung von Id iom en und Sprichw örtern angesprochen.

Ein m ehrschichtig in terp re tierbares Beispiel für das zu le tz tgenann te Phä­nom en lieferte eine Glosse von Siegfried Michel, die u n te r dem T ite l “ D er M inister und d ie P ferde” in der B raunschw eiger Z eitung vom 7.6. 1975 erschien. D er T ex t lau te te :

Das Pferd wird immer mehr zum Lieblingstier der deutschen Wirtschafts­und Finanzpolitiker. Helmut Kasimier, Finanzminister in Niedersachsen, antw ortete a u f die Frage, wie er zu der Vorankündigung von Steuererhöhun­gen durch Bundesfinanzminister Hans A pel stehe, m it dem neuen Gaul- Bonmot: “Das Pferd, das ihn getreten hat, das m uß ihn je tz t gebissen haben. A pel hatte ein Pferde-Zitat erst im Frühjahr zum unterdessen geflügelten Wort gemacht. A ls er nach Inkrafttreten der Steuerreform plötzlich eine Reihe von ungerechten Ungereimtheiten gewahr wurde, stieß er in schönstem Hamburgisch den Stoßseufzer aus "Ich d e n k ’ m ich tritt ein P ferd” (jetzt auch Titel eines Apel-Buches). — Vor Hans A pel hatte auch schon Wirtschaftsminister Karl Schiller fü r eine plastische Darstellung der Huftiere gesorgt. A ls 1966/67 der damaligen Rezession m it einem Konjunkturprogramm begegnet wurde, ver­glich Schiller die lahmgewordene Wirtschaft m it einem darbenden Gestüt:"Die Pferde müssen wieder saufen." — Wenn Kasimier je tz t bissig mutm aßt, seinen Bonner Kollegen A pel habe das Wirtschafts- und Finanz-Pferd nach dem Tritt auch noch gebissen, so steht dahinter freilich nicht nur Spaß am Spiel m it Worten. Tatsächlich befürchten auch die Experten in den eigenen SPD-Reihen, daß sich die Wirtschaft noch schwerer wird au f Trab bringen lassen, wenn sie schon heute vor die Aussicht gestellt wird, beim Wiederauf­schwung vom Fiskus geschröpft zu werden. Der SPD-Abgeordnete Hans-Jürgen Junghans em pfindet denn auch die Apel-Ankündigung nicht gerade als Beitrag zum Konjunkturaufschwung. Junghans kom biniert die Pferdesprüche alle zu­sammen zu der sinnigen Bemerkung: "Das Pferd, das ihn gebissen hat, wird nicht mehr saufen wollen. ” — Das boshafteste Pferde-Zitat stam m t aus der CSU-Landesgruppe. Hier wurde Apels TV+Talkshow-Scherz "Bayern ist für mich A usland" — mit dem Bemerken quittiert: "Der A pel fä llt nicht weit vom Pferd. ”

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In teressan t erschein t hierbei, daß die variierende W iederaufnahm e m ehr o der w eniger fester W endungen au f der Basis des K on trasts von id iom ati­scher und n ich t-id iom atischer (rem otiv ierter) B edeutung erfo lg t und daß dieser P rozeß auch die m etakom m unikative E bene des T ex tes affiz iert: vgl. d ie lahm gew ordene W irtschaft, sich w ird a u f Trab bringen lassen.

D en w e i t e r e n Bereich des F u n k tio n ie re n von Sprache be tre ffen die R ela tionen von S t r u k t u r u n d ( k o m m u n i k a t i v e r ) F u n k ­t i o n und von V i r t u a l i t ä t u n d A k t u a l i s i e r u n g . So kön­nen au f der Basis der R e la tion von S tru k tu r und F u n k tio n H ypo thesen über den F unk tionsverlust o d e r die U m funk tion ierung gram m atischer S tru k tu ren (z.B. des System s der reinen Kasus und der Präpositionalfügun- gen im heutigen D eutsch) fo rm u lie rt w erden. U nter pragm atischen A spek­ten sind dam it auch Prozesse der V erschiebung im V erhältn is der zwei Kon- ven tionalitä tsebenen von Sprache zueinander angesprochen .62

M it der R ela tion von V irtu a litä t un d A ktualisierung kom m en u n te r anderem die sehr zahlreichen M öglichkeiten ko- und kon tex tu e ll d e te rm in ie rte r Ver­änderungen in den Blick, wie sie z.B. an den aktuellen M odew örtern (Bei­spiel: ech t) u n m itte lb a r zu beo b ach ten sind .63

D en pragm atisch-sozialen K o n tex t von Sprache b e tre ffen die R ela tionen von s o z i a l e r N o r m u n d i n d i v i d u e l l e m G e b r a u c h und von I n t e n t i o n u n d V e r s t e h e n . D abei sind h insichtlich der ers ten R elation neben den d u rch poetische o d e r politisch-rhetorische Zwecke m otiv ierten , individuell ausgelösten N orm übersch re itungen64 auch die Phänom ene konku rrie render u n d /o d e r in te rfe rie render (z.B. fach- und um gangssprachlicher) N orm en m it von Interesse.

Die R ela tion von In ten tio n u n d V erstehen schließlich k om m t erst inner­halb e iner pragm atisch fu nd ie rten , d .h . zum indestens auch den H örer als kom m unikativen F ak to r m iteinbegreifenden S prachw issenschaft in den Blick. Sie kann als sprach theore tische G rundlage für die E rklärung zahl­reicher kom m unikativer K onflik te und Innovationen herangezogen w er­den, die bei Vorliegen en tsp rechender Bedingungen zu sozial verbindlichem ,d.h. für die S p rachbenu tzerg ruppen relevantem W andel führen können. M usterbeispiele solcher Prozesse finden sich vor allem beim kindlichen Spracherw erb. H. Paul sah darin bereits eine H aup tquelle ständigen sprach­lichen W andels (34). Wie solche V erstehensproblem e zu kurzfristig gelten­den und auf kleine S prachbenu tzerg ruppen (z.B. Fam ilien) besch ränk ten Ä nderungen führen können , zeigt ein Beispiel aus d e r “S prachgesch ich te” m einer eigenen T o ch te r (2 ;5). Als sie die lobende Ä ußerung prim a, prim a beim E innehm en einer M edizin als nom en appellativum m ißverstand, w ur­de dieser V orschlag aus ökonom ischen G ründen, d .h . w egen der artiku lato-

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rischen Schw ierigkeiten m it H ustensa ft oder ähnlichen A usdrücken, auch von den E ltern ü b ernom m en .65

4.4. S prach theore tische R eflex ionen , w ie sie b isher e rö rte rt w urden , m a­chen jedoch nur einen Teil jeder K onzeptualisierung von em pirischen Un­tersuchungen zum Sprachw andel aus. D arüber hinaus sind vor allem m e t h o d i s c h e P rob lem e zu lösen. So m ach t bere its Saussure (246 ff.), der ja von seiner A usbildung her p rim är der h isto rischen Sprachw issen­schaft verp flich te t ist 66 au f das P roblem der A bgrenzung d iachronischer E inheiten und d am it der G leichheit bzw. K o n tin u itä t zw ischen zeitlich auseinanderliegenden E inheiten aufm erksam . E in en tscheidendes m etho ­disches P roblem ist ferner, m it w elchem B eobachtungsansatz Sprachw an­del als Prozeß (für den gelten soll, d aß er im V erhalten m indestens einer S p rachbenu tzerg ruppe m anifest w ird) e rfaß t w erden kann , da m anche Prozesse nu r innerhalb g rößerer Z eiträum e zum A bschluß kom m en und sich die m eisten V eränderungen für die S p rachbenu tzer un b ew u ß t und sp runghaft (d iskon tinu ierlich ) vollziehen, so daß sie einer d irek ten Beob­ach tung n ich t zugänglich zu sein scheinen. Ind irek te B eobachtungsverfah­ren, wie die m odellhafte U ntersuchung von Spracherw erbsprozessen oder der generationalen V erteilung stru k tu re lle r V arian ten (“ age-grading” ), er­lauben nur bed ing t Rückschlüsse (oder gar V oraussagen) auf allgem eine sprachhistorische Prozesse und arbeiten zudem m it unzulässigen V erein­fachungen wie der R eduk tion des Sprachw andels auf d ie ein fache W eiter­gabe von Sprache zw ischen den G enerationen .67

Um diese Schw ierigkeiten zu überw inden, erschein t es nützlich, prinzipiell zweigleisig zu verfahren, d .h . solche U n tersuchungskonzep tionen zu verfo l­gen, die sow ohl D aten aus bereits abgeschlossenen Prozessen (Sprachw an­del) als auch solche von in G ang befind lichen V eränderungen (Innova tio ­nen) berücksichtigen können . D abei kann m an sich im ersten Fall vor allem au f die D urchsetzungs- bzw . Stabilisierungsbedingungen, im zw eiten Fall hauptsäch lich auf die E ntstehungsbedingungen sprachlichen W andels kon­zen trieren . Für die U ntersuchung der innovatorischen Prozesse — unabhän ­gig von ihrer D urchsetzung bzw. A k zep ta tio n — b ie te t sich w iederum an, besonders “ v iru len te” B ereiche des Sprachgebrauchs ins Auge zu fassen. Solche Bereiche scheinen m ir vor allem zu sein:

— Prim ärer und sekundärer Spracherw erb , auch au f fo rtg esch rit­ten e r S tu fe (z.B. Sprachveränderungen in der Schule);

— in ter- w ie in tralingualer S p rach k o n tak t (z.B. E n tlehnungen , In terferenzen , Diglossie usw .)6 8 ;

— sozial und pragm atisch gesteuerte Sprachvariation (z.B. s itua­tionsspezifischer Wechsel im Sprechen, S prachm oden und K ritik d a ra n ) ;

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— G ebrauch von F achsprachen, einschließlich der W issenschafts­sprachen, au f der Basis von U m gangssprachen (z.B. Term ino- logisierungen und P seudo-Term inologisierungen)69;

— persuasiver Sprachgebrauch, besonders in W erbung und Politik (z.B. N eologism en, B edeu tungsm an ipu la tionen)70;

-- poetischer Sprachgebrauch (z.B. M etaphorisierungen) und krea­tive F o rm en des ph ilosophischen Sprachgebrauchs (vgl. z.B. die Sprache H eideggers).71

Insgesam t sind in diesen (partie ll überlappenden) B ereichen m ehr oder w eniger spezifiz ierter alltäglicher K om m unikation n ich t nu r die en tsp re­chend einer h isto rischen N orm akzep tabel erscheinenden , sondern gerade auch die w eniger akzep tab len oder gar “ feh le rh a ften ” Innovationen , K on­tam ina tionen , E tym ologisierungen (R em otiv ierungen) usw. für d ie dia­chronische Forschung in te rssa n t.72 D afür liefert u .a. d ie K onsum güter­und D ienstleistungsw erbung zahlreiche, gezielt e ingesetzte B ildungen wie z.B.

Leisestärke, O hr-A u fführung (M usikgeräte), F einbrand, Lachbrand (W einbrand), L ärm igkeit (W ohnungseinrichtung), fr ischw ärts (Coca- Cola), en td ecke in (Pepsi-Cola), ginnieren (G in), schuh-verlässig (Schu­he), K ennersitte (Sangrita), M inividualisten, K ururlaub, N aturlaub (R eisen), S ch m eck d ich in S chw ung (T offifee), entlastern , zügiger (B undesbahn).73

Z usätzlich zur V erw endung solcher qualita tiver D aten m üßten freilich q uan tita tive D aten herangezogen w erden, um D urchsetzungs- und S tabili­sierungstendenzen von in G ang befind lichen innovato rischen Prozessen ab ­schätzen zu k ö n n en .74

Sprach theore tisch im pliziert eine solche K onzep tion , daß Sprachw andel n ich t nu r als Bewegung zw ischen (m ehr oder w eniger) stabilen Z uständen, sondern auch als i n t e g r a l e s M om ent jeden Z ustands und d am it als B estandteil alltäglichen kom m unikativen H andelns angesehen w ird. Sprach- veränderungstheorie w ird som it Teil einer S prachgebrauchstheorie , wie sie heu te im R ahm en pragm alinguistischer A nsätze angestreb t w ird. A uf die­ser Basis erschein t dann C hom skys bek an n te U nterscheidung von regelge­le ite te r und regelverändernder K reativ itä t als unangem essen. Sie m uß viel­m ehr in einer P osition aufgehoben w erden, die die K reativ itä t sprachlichen H andelns in der Synthese beider K om ponen ten beg ründe t.75

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A nm erkungen

Für die kritische Lektüre einer ersten Fassung danke ich H. Henne, K.L. Müller,H. Rehbock und W.K. Vesper.

1 Vgl. Cherubim (1975 b) und die einschlägigen Darstellungen zur Geschichte der Sprachwissenschaft.

2 Zum Wechsel von Daten- und Theorie-Orientierung vgl. Robins (1974). Wie sowohl die Entwicklung der historischen Grammatik zu Beginn des 19. Jh.wie auch die diachronische Soziolinguistik heute zeigen, fallen Phasen stärkerer Empirisierung mit einem verstärkten Interesse an Problemen des Sprachwan­dels zusammen; vgl. Telegdi (1966) und (1967) sowie Weinreich/Labov/Herzog (1968).

3 Zu den vorliegenden Theorien bzw. Ansätzen im Bereich der diachronischen Sprachwissenschaft vgl. u.a. Malkiel (1972), Dinser (1974), Cherubim (1975 a). Der Begriff der Konzeptualisierung wird nach Friedrichs (1973) 113 wie folgt bestim m t: “ Unter Konzeptualisierung soll der Vorgang verstanden werden, in dem für den expliziten Entdeckungszusammenhang und den weitgehend anti­zipierten Verwertungszusammenhang eines Problems ein angemessener Be­gründungszusammenhang entwickelt w ird.” Vgl. auch Friedrichs (1973) 50 ff.

4 Vgl. auch Firth (1951).

5 Saussure (1916) 20 und 23 unterscheidet entsprechend zwischen “ m atière” und “ objet” der Sprachwissenschaft; vgl. dazu auch die Erläuterungen und Bemerkungen von de Mauro (a.a.O. 414 ff.) und Saussures eigene Notizen nach Englers kritischer Ausgabe (1968) 26. Bühler (1934) 15 f. spricht in diesem Zusammenhang von einem Komplexen “ Ausgangsgegenstand” der Linguistik, der nur in Auswahl beobachtet werden kann. Leont’ev (1969) 15 ff. trennt zwischen “ Objekt” und “ Gegenstand” der Sprachwissenschaft, wobei letzterer ausdrücklich als Modellierung gekennzeichnet wird.

6 Zur Trennung von Sprachtheorie, Methodologie und Beschreibungsmethodik vgl. je tz t zusammenfassend Oesterreicher (1975), der damit einen früheren Ansatz von Lieb (1970), besonders 14 ff. weiterführt.

7 Bei Bühler (1934) 20 sind die sprachtheoretischen Axiome “ aus dem Bestand der erfolgreichen Sprachforschung selbst durch R eduktion” zu gewinnen. Die Beziehung zwischen Sprachtheorie und Sprachphilosophie behandelt eingehen­der Oesterreicher (1975), besonders 110 ff. Er problematisiert aber nicht, wie er zu seiner Liste sprachtheoretischer Grundannahm en (ebd. 122) kom mt. Letztlich erscheint bei ihm die Sprachtheorie als Teildisziplin, die zwischen Sprachphilosophie und einzelsprachlicher Sprachbeschreibung vermittelt.

8 Die Diskussion um den Begriff der Universalien hat erst vor kurzem Coseriu (1975) zusammengefaßt und weiteigeführt. Auch Seilers (1973) Vorschläge erscheinen mir fruchtbar.

9 Vgl. Whitney (1875) 337, Jolly (1874) 707;Paul (1880) 3,5.

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10 Vgl. Coseriu (1958), Weinreich/Labov/Herzog (1968), Kanngießer (1973), Knoop (1975).

11 Analog zur Unterscheidung von schwacher und starker Theorie (für den Sprach­wandel vgl. Weinreich/Labov/Herzog (1968) 99 f.) könnte man hier von einer schwächeren und einer stärkeren Version m etatheoretischer Reflexion sprechen. Vgl. auch Lüdtke (1970).

12 Vgl. aber Cherubim (1975 b).

13 H. Paul ist entgegen aller strukturalistischen Ideologie keineswegs auf einen ausschließlich diachronischen Ansatz festzulegen; vgl. Cherubim (1973). Der metaphorische Ausdruck “ Sprachleben” findet sich z.B. bei Paul (1880) 6,24. Wie der Titel seines Buches zeigt, zieht er aber meistens “ Sprachgeschichte” vor. Über die Grenzen einer durch diesen Sprachgebrauch implizierten Ana­logie zwischen organischem und sprachlichem Bereich hatte sich schon Whitney in Auseinandersetzung m it Schleicher und dessen Adepten deutlich geäußert. Vgl. z.B. Jolly (1874) 68 ff., W hitney (1874); ferner auch Paul (1880) 37.Mit “ Sprechtätigkeit” sind bei Paul nicht nur die Aktivitäten von Sprechern gemeint. Alle folgenden Zitate aus Paul beziehen sich auf die von mir zugrun­degelegte 9. Aufl. von Paul; die Seitenangaben stehen in runden Klammem, die Rechtschreibung ist modernisiert.

14 Paul (1880) 29 ff. Der Sprachusus spielt erst wieder eine größere Rolle in Kap.21 und 23. Weinreichs Kritik an Pauls “ Isolierung des Idiolekts” — vgl. Wein­reich/Labov/Herzog (1968) 104 ff. — geht jedoch zu weit, wenn sie Pauls “ Sprachusus” als beliebige Abstraktion über eine Menge von Idiolekten charak­terisiert. Immerhin gesteht Paul dem “herrschenden” Sprachusus doch eine regu­lative Funktion zu.

15 Paul (1880) 6.

16 Vgl. Paul (1880) 39: “ Der Verkehr ist es allein, wodurch die Sprache des Indi­viduums erzeugt w ird.”

17 Damit wendet sich Paul vornehmlich dagegen, daß das, was von einer deskrip­tiven Gram matik qua A bstraktion als “ Sprache” rekonstruiert wird, eine Ent­wicklung haben könne (a.a.O. 24). Diese Position Pauls, die den S t a t u s der Beschreibung von Sprache m it einer bestim m ten A n n a h m e über Spra­che in Verbindung setzt, ist m it Recht schon von den ersten Rezensenten kri­tisiert worden. Vgl. auch W einreich/Labov/Herzog (1968) 104 ff. Pauls indivi­dualistische Position führt ihn, wie er selbst sieht, zu utopischen bzw. absur­den Konsequenzen (24) und zur Atomisierung seines Sprachbegriffs (37).

18 Vgl. Paul (1880) 8 ff. In diesem Zusammenhang ist auch bemerkenswert,daß Paul Whitneys sprachtheoretischen Ansatz (Sprache als soziale Institu­tion) nicht ausdrücklich aufnim m t und sich nur mit einem kurzen Zusatz zum gesellschaftswissenschaftlichen Charakter seiner Prinzipienlehre (7 f.) begnügt. Dazu paßt, daß er auch sonst W hitney so gut wie ganz verschweigt. Vgl. Cheru­bim (1975 b) 12 Anm. 40.

19 Paul (1880) 19.20 So wird von Paul auch die Verschiebung des Sprachusus durch die Summierung

einer Reihe von individuellen, in die gleiche Richtung tendierenden Verschie­bungen in den einzelnen psychischen Organismen erklärt (32). Vgl. auch Wein­reich/Labov/Herzog (1968) 107 ff.

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21 Wir zitieren im folgenden nach Saussure (1916), Seitenangabe in runden Klammern. Z.T. sind die entsprechenden Stellen bei Engler (1968) m it den jeweiligen Satznum m ern hinzugefügt. — Die hier zitierte Formulierung hat keine direkte Entsprechung in den Quellen. Doch finden sich Engler 286 folgende Formulierungen: “ l’étude de la vie des signes dans la société”(F. Joseph) und “ études des signes et de leur vie dans les sociétés hum aines”(E. Constantin).

22 Vgl. insbesondere den Kommentar de Mauros, Note 65 zu Saussure (1916)30 und Note 137 zu Saussure (1916) 100.

23 Vgl. Saussure (1916) 155 ff., besonders 157. Wie de Mauro, Note 137 zu Saussure (1916) 100 f. jedoch zeigt, enthalten Saussures Erläuterungen zum A rbitraritätsprinzip noch Reste konventionalistischer Vorstellungen, die wohl auf W hitneys Einfluß zurückgehen.

24 Saussure (1916) 1 0 9 ;Engler 1250.

25 Saussure (1916) 112 f., vgl. auch 108; Engler 1232.

26 Saussure (1916) 111; Engler 1279. Dem entspricht auch die skeptische Be­handlung der Ursachen des Lautwandels im dritten Teil des “Cours” , vgl. Saussure (1916) 202 ff., 208.

27 Vgl. Saussure (1916) 40 ff. Die mangelnde Konkretheit hinsichtlich der sozia­len E inbettung von Sprache halten auch W einreich/Labov/Herzog (1968) 121 f. Saussure vor. Sie weisen außerdem auf Reste einer individualistischen Position in Nachfolge von H. Paul hin (ebd. 120 f.).

28 Damit ist ein dialektischer Zusammenhang der von Saussure getrennt analy­sierten Eigenschaften ‘im m utabilité’ und ‘m utabilité du signe’ angenommen, was offensichtlich von den Herausgebern n icht verstanden wurde, wie ihre Anmerkung zeigt.

29 Saussure (1916) 105. Die Mitschriften (Dégallier, Sechehaye und Constantin; Engler 1197) sprechen nur von einer Balance zwischen historischen und sozia­len Faktoren, doch findet dieses Prinzip seine konkrete Anwendung in den Analogiekapiteln, Saussure (1916) 235 ff.

30 Wie Engler 2733 zeigt, ist diese ausführliche Formulierung von den Heraus­gebern zu verantworten ; die Mitschriften (Riedlinger, Gautier) geben nur die Formulierung: “ Ordre diachronique = déplacem ent des valeurs.” Dennoch scheint es mir eine richtige Paraphrase von Saussures Vorstellungen zu sein.

31 Saussure (1916) 182. Die genaue Form ulierung der Quellen (Engler 2108 Dégallier, Constantin, ähnlich auch Sechehaye) lautet; “Tout ce qui fait d’une langue un système ou un organisme grammatical demande dans notre conviction d’être abordé sous ce point de vue, où on ne l’aborde guère en générale, 4 savoir comme une lim itation d l'arbitraire par rapport a l’idee.”

32 Zur Kreativität bei Saussure vgl. je tz t auch Wunderli (1974), der sich darum bemüht, den Saussureschen Begriff der “ faculté du language” aus den Quellen zu rekonstruieren, ln ihm ist nach Wunderli — außerhalb der langue und damit jeden Teleologismus des Systems vermeidend — die Kreativität begründet.

33 Die Analogie selbst ist kein sprachverändernder (= diachronischer) Vorgang, wohl aber zentraler Bestandteil solcher; vgl. Saussure (1916) 223 ff., beson­ders 227 (Engler 2523), 232 (Engler 2569), 234 f. Der Verweis auf die Passage

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über die relative A rbitrarität (Saussure 228; Engler 2529) ist zwar auch ein Zusatz der Herausgeber, der folgende Text (Engler 25 30 ff.) weist aber in­haltliche Gemeinsamkeiten mit Saussure (1916) 183 auf.

Vgl. Malkiel (1972), Cherubim (1975 b) 23 ff.

Vgl. auch Coseriu (1958). Dabei ist allerdings zu beachten, daß gerade be­stimmte Schlüsselstellen des “ Cours” Zusätze der Herausgeber sind; vgl. z.B. Engler 1448, 1493 f., 1585. Saussures Position findet sich dagegen in den Schlußfolgerungen, vgl. Saussure (1916) 140, Engler 1660 f.

Zum Atomismusvorwurf vgl Jakobson (1928) und noch Coseriu (1958) 226. Auf die — gemessen am historischen Saussure, wie er durch die Mitschriften und eigenen Notizen belegt ist — eigenwillige, z.T. ungerechtfertigte Interpre­tation Saussures durch die Prager weist auch de Mauro, N ote 176 zu Saussure (1916) 119 hin. Saussures Position scheint zudem in diesem Punkt noch nicht abgeschlossen zu sein. Die Herausgeber haben sie vielfach fester und apodik­tischer erscheinen lassen als es die Mitschriften erlauben.

Saussure (1916) 235 taucht sogar schon der Begriff der “ Ökonom ie” auf; auch er ist jedoch Zusatz der Herausgeber, vgl. Engler 2608.

Theses (1929) 34.

Zur teleologischen Betrachtungsweise vgl. Jakobson (1928); wesentlich vor­sichtiger ist bereits die Position M artinets (1952) und (1955). Coseriu (1958)152 ff. unterzieht die kausalen und teleologischen Positionen einer durch­greifenden Kritik. Er selbst nim m t einen bestim m ten, dem Hum boldtschen Sprachbegriff verwandten Finalitätsstandpunkt ein.

Vgl. besonders M artinet (1955). Aber auch Coserius (1958) und (1968) er­läuterter Vorschlag, der die Einführung einer Skala ‘Rede - Norm - System - Typ’ vorsieht, zielt nur auf die Erklärung der inneren Bedingungen des Sprach­wandels.

So gehen z.B. die klassischen Arbeiten von Jakobson (1931) und M artinet (1955) n icht von einem Sprachbegriff aus, der Heterogenität impliziert.

Außerhalb der Prager Schule sind vor allem A. Meillet und A. Sommerfeit zu nennen (vgl. Cherubim 1975 b, 33 ff.), innerhalb z.B. J. Vachek.

Vgl. z.B. Deme (1956/1957), Vachek (1962) und den Forschungsbericht in Girke/Jachnow (1974), besonders 94 ff.

Hierbei wäre jedoch zu prüfen, ob jede Form des kom munikativen Handelns oder nur bestim m te Erscheinungsweisen, nämlich das Handeln m it bestim m ­ten Zeichen, als Sprachen zu verstehen sind; letztere wären dann als sprach- kommunikatives Handeln zu charakterisieren.

So werden je tz t s y s t e m a t i s c h benutzerbezogene, situative und soziale Faktoren miteinbezogen.

Vgl. öhlschläger (1974).

Vgl. Heringer (1974) 26.

Henne (1975) 35 f.

Heringer (1974) 25 f.; Keller (1974) 1 1 ;öhlschläger (1974) 97 f.

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50 Dabei ist eine Skala von Regelhaftigkeit anzunehmen, die etwa von ‘regel­haft abweichend’ über ‘regelhaft für eine kleine Gruppe’ bis ‘regelhaft für alle’ reicht.

51 Vgl. dazu Coseriu (1957) 245 und passim. Mit diesem Prinzip verbunden ist das von Saussure herausgestellte andere Prinzip der Solidarität zwischen K ontinuität und Veränderung (vgl. oben), das auch schon bei Hum boldts Be­schreibung der Sprache als Ergon und Energia anklingt.

52 Vgl. in diesem Zusammenhang Wittgensteins Unterscheidung von “gramma­tischem Satz” und “ Erfahrungssatz” ; dazu je tz t S te tter (1976).

5 3 So zumindestens die rumänische Forschung, vgl. Slama-Cajacu (1973).

54 Das scheint nach Girke/Jachnow (1974) 94 ff. offensichtlich für die diachro­nische Soziolinguistik der UdSSR zu gelten.

55 Einen Versuch m acht u.a. Fritz (1974);bei ihm werden zugleich die Schwie­rigkeiten deutlich.

56 Z.T. überschneiden sich diese Relationen m it den in der russischen Forschung in diesem Zusammenhang diskutierten Sprachantinom ien; vgl. Girke/Jachnow (1974) 99 f.

57 Vgl. Ullmann (1957) 159 ff., besonders 197 ff. — Anstelle der bisher verwen­deten Saussureschen Termini benutze ich hier die theoretisch eindeutigeren Termini von L. Hjelmslev.

58 Vgl. z.B. A nttila (1972) 133 ff.

59 Vgl. z.B. Fritz (1974) 112 ff. Aktuelle Beispiele für die pragmatisch gesteuerte Differenzierung von partiellen Synonymen liefert u.a. die W erbesprache; so wird z.B. zwischen sauber und rein (Ariel) unterschieden.

60 Der umgekehrte Prozeß, syntaktische Auflösung lexikalischer Einheiten, ist wohl hauptsächlich in m etasprachlicher Funktion (Paraphrase) üblich.

61 Vgl. Burger (1973), besonders 97 ff. und Mieder (1975) mit reichem Material. Der Mechanismus der Remotivierung ist allerdings nicht auf den Bereich der festen Wendungen beschränkt, ln der diachronischen Forschung sind unter dem Stichwort “ Volksetymologie” vor allem Phänomene der Remotivierung von Komposita und einzelnen lexikalischen Elementen gesammelt worden. Gleichzeitig lassen sie sich auch in alltäglicher Kom m unikation und besonders beim Spracherwerb im Prozeß beobachten.

62 Vgl. Wunderlich (1972) 13 ff.

63 Vgl. Bausinger (1974). Einen Beleg für den Gebrauch von echt liefert z.B. auch die Zigarettenwerbung: Dreibändig drehen schmeckt. Echt. (R oth- Händle).

64 Ein aktuelles Beispiel stellt die z.Zt. (März 1976) durch eine Äußerung des amerikanischen Präsidenten Ford angeregte Diskussion dar, wonach nichtnur Abrüstungs-, sondern auch bestim m te Aufrüstungsmaßnahmen m it detente bzw. Entspannung bezeichnet werden sollten. Anschauliche Beispiele poli­tisch m otivierter Sprachmanipulation liefern z.B. auch Autoren wie Thukydides (vgl. besonders den sog. Melierdialog), G. Orwell (“ 1984” ) und H. Marcuse (“ Der eindimensionale Mensch” ).

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65 Die Relation von Sprecher und Hörer bzw. von Intention und Verstehen wird schon bei Leumann (1927) als Basis für die Beschreibung und Erklä­rung von Bedeutungswandel benutzt. Vgl. auch Hum boldts “ Relativitäts­prinzip der Kom m unikation” : “ Keiner denkt bei dem Wort gerade und ge­nau das, was der andre, und die noch so kleine Verschiedenheit zittert, wie ein Kreis im Wasser, durch die ganze Sprache fort. Alles Verstehen ist daher immer zugleich ein Nicht-Verstehen, alle Übereinstimmung in Gedanken und Gefühlen zugleich ein Auseinandergehen” (W.v.Humboldt, Werke III: Schrif­ten zur Sprachphilosophie, Darm stadt 2 1969, S. 439).

66 Vgl. auch Peeters (1974).

67 Einige Argumente gegen diese Methode trägt z.B. Francescato (1970) 150 ff. vor. Neben der generationalen müßte freilich auch die absolute Häufigkeits­verteilung der Varianten berücksichtigt werden, um Tendenzen der Verände­rung zu erfassen, vgl. unten Anm. 74.

68 Ansatzpunkte für Interferenzen und Beeinflussungen anderer Art liegen auch da vor, wo bestim m ten lexikalischen Einheiten der Standardsprache ausdrucks­mäßige Äquivalente mit nicht-äquivalenten Inhalten in den Dialekten gegen­überstehen, z.B. holen, springen im Standarddeutschen und holen (‘nehm en’) im Saarländischen, springen (‘laufen’) im Schwäbischen.

69 Vgl. Möhn (1975). Die zunehmende Beeinflussung der Umgangssprachen durch die Fachsprachen wird vor allem durch die starke Tendenz zur Popularisierung wissenschaftlicher und fachlicher Gegenstände in den Massenmedien begünstigt.

70 Vgl. oben Anm. 64.

71 Metaphernschöpfung ist nicht nur ein Phänomen der poetischen, sondern auch der gewöhnlichen Umgangssprache; vgl. Coseriu (1956).

72 Hier ist eine diachronisch-orientierte “ Fehlerlinguistik” zu etablieren, die auch ältere Fehlersammlungen wie Meringer/Mayer (1895) und Meringer (1908) neu auszuwerten hätte.

73 So wurden z.B. in einer Proseminararbeit in acht willkürlich herausgegriffenen, aufeinanderfolgenden Heften der Wochenschrift “ Der Spiegel” in ca. 300 An­zeigen etwa 60 Neubildungen festgestellt. Zur sprachverändernden Wirkung solcher Werbeneologismen äußert sich allerdings Römer (1968) 208 ff. skeptisch.

74 Vgl. dazu z.B. Manczak (1966) und Winter (1971). Im Bereich der deutschen Sprachgeschichte hat vor allem H. Eggers quantitative Untersuchungen durch­geführt.

75 Eine ähnliche Forderung stellt auch Coseriu (1968) 144 Anm. 12 auf.

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W LADIM IR ADMONI

Die Hauptarten des Wandels im grammatischen System der deutschen Schriftsprache

U nter der deu tschen S chriftsp rache verstehe ich h ier die G esam theit der T ex te , d ie im deutschsprach igen R aum seit dem 14. Jh . en ts tanden sind und die in ih rer W echselw irkung die H aup tstü tze für die en ts tehen ­de einheitliche, die M undarten überlagernde deu tsche Sprache m it ihren R egional- und N ationalvarian ten b ilden. D aß d ie schriftlich fix ierte Sprachfo rm sich m it der gesprochenen Sprache au f verschiedene Weisen berührt, s teh t außer Frage, und einige zu diesem P roblem kreis gehören­de E rscheinungen w erden auch w eiter un ten gestreift. A ber g rundsätz­lich w ird im vorliegenden V ortrag in aller Kürze der W andel in der deu tschen S c h r i f t spräche u n te rsu ch t, nam en tlich die H aup tarten dieses Wandels.

U nter zwei G esich tspunk ten lassen sich die A rten der h isto rischen Ver­änderungen des sprachlichen System s b e trach ten . E inerseits u n te r dem G esich tspunk t der U rsachen des sprachlichen W andels, d .h . der T rieb ­kräfte , die diesen W andel bestim m en.* A ndererseits u n te r dem G esichts­p u n k t der Form en, die der sprachliche W andel annim m t. Ich w ill ver­suchen, m einen S to ff u n te r diesen beiden G esich tspunk ten system atisch zu un tersuchen . D abei ist es unum gänglich, m anche allgem ein-theore­tische Fragen au fzuw erfen , die für die E rforschung des W andels i n v e r s c h i e d e n e n S p r a c h e n u n d i n verschiedenen Sprachfo rm en von W ichtigkeit sind. A ber es w ird dies alles hier nur insow eit herangezogen, als es zu unserem T hem a, d .h . zur Feststellung der H aup tarten des W andels in der deu tschen S chriftsprache, beiträgt.

Die kom plizierte und verzw eigte N atu r unseres D arstellungsobjek ts er­m öglicht hier nur eine thesenartige, zum T eil sogar vere in fach te Dar-

*Ich berühre somit das entscheidende und das um strittenste Problem der histori­schen Linguistik, nämlich das von den internen und externen Faktoren der Sprach­entwicklung und ihren Wechselbeziehungen. Aber ich habe hier keine Möglichkeit, auf die vielen Schriften zu diesem Problem einzugehen, und verweise nur auf den Sammelband: D. Cherubim, Sprachwandel. Reader zur diachronischen Sprach­wissenschaft, Berlin - New-York 1975, und auf zwei Arbeiten, die in diesem Sam­melband nicht erwähnt werden, obgleich sie reichhaltiges Material bringen:W. Havers, Handbuch der erklärenden Syntax, Heidelberg 1931; H. Moser, Wohin steuert das heutige Deutsch? Triebkräfte im heutigen Sprachgeschehen, in: Satz und Wort im heutigen Deutsch = Sprache der Gegenwart, Bd. 1, Düsseldorf 1967, S. 15 - 35.

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stellungsart. Es w erden n u r die w ichtigsten E rscheinungen — und auch die n ich t erschöpfend — berücksichtig t. Ich verzichte (m it einer einzigen A usnahm e) au f Hinweise auf w issenschaftliche L ite ra tu r und führe nur die a llerno tw endigsten sprachlichen Beispiele an (in schem atisierter Form ).

1. D ie T riebkrä fte des grammatischen Wandels in der Schriftsprache

Die den Sprachw andel bew irkenden T rieb k rä fte gehören zu zwei ganz verschiedenen A rten . E inerseits sind es im m erw ährende, jed e r natürli­chen m enschlichen Sprache (w enigstens in ihren Form en, d ie uns heu te em pirisch zugänglich sind) innew ohnende, psychologisch, physiologisch und kom m unikativ beding te Ä nderungstendenzen im gram m atischen System . Wir w ollen sie als beständige T riebk räfte des gram m atischen Sprachw andels bezeichnen. A ndererseits g ib t es speziellere, historisch bed ing te T riebk räfte , die als Ergebnis gewisser geschich tlicher K onste l­lationen au ftre ten . A llerdings sind auch diese T rieb k rä fte in der Regel n ich t einm alig, da auch d ie geschich tlichen K onste lla tionen einer Spra­che o f t w iederkehren . A ber sie sind doch an irgendw elche historische G egebenheiten gebunden . Wir w ollen sie als h isto risch-beding te T rieb ­kräfte des g ram m atischen Sprachw andels bezeichnen.

1.1. Beständige T riebk räfteObgleich sie ihrem W esen nach beständig sind, üben sie ihre W irkung n ich t beständig aus. Es können Z eitperioden V orkom m en, in denen be­stim m te T riebk räfte völlig w irkungslos sind, und in verschiedenen Z eit­perioden lassen sich bedeu tende graduelle U nterschiede in ihrer W irk­sam keit feststellen. D enn sie sind eigentlich im m er nur als T endenzen da, als gewisse M öglichkeiten der E inw irkung auf den sprachlichen W an­del, aber die A ktualisierung solcher M öglichkeiten und ihre R ealisierung hängt sow ohl von dem ko n k re ten S tand des sprachlichen System s ab als auch von der gesam ten k onk re ten sozial-kom m unikativen Lage der be tre ffenden Sprache. A uch die einzelnen beständigen T riebk räfte selbst w irken im m er aufe inander ein, zum Teil e inander zu Hilfe kom m end, zum Teil e inander au fhebend . D ie beständigen T rieb k räfte sind som it nu r die im m er au f der Lauer liegenden V orbedingungen des sprachlichen W andels. Sie kom m en in vier A rten vor.

1.1.1. T endenz zur sprachlichen Ö konom ieDa dieser T endenz in den le tz ten Jah rzeh n ten besondere A ufm erksam ­keit geschenkt und ihre W irksam keit in den V ordergrund gestellt w urde, glaube ich, daß ich sie hier n ich t eingehend zu charak terisieren brauche.Ich m uß n u r hervorheben , daß ihre W irksam keit o f t von der W irkung anderer T endenzen der Sprachentw ick lung gehem m t w ird.

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Siegreich ist die T endenz zur sprachlichen Ö konom ie in der zw eiten E tappe des F rühneuhochdeu tschen . Sie m an ifestiert sich in der T endenz zur V ereinheitlichung d e r paradigm atischen R eihen, vor allem in der A ufhebung der U nterschiede zw ischen Singular un d Plural des P räteri­tum s der starken V erben, in der Beseitigung d e r S onderfo rm en vom T ypus kreuch t, f le u c h t in der 2. und 3. Person Präsens Singular. Es gehö rt h ierher auch die A usgleichung der D ek lination der F em in ina u n d die der F o rm der vorangestellten a ttrib u tiv en A djektive (die V erdrängung der K urzform durch die flek tie rte Form ). D ie selteneren F orm en eines Paradigm as gleichen sich in allen diesen Fällen den gebräuchlicheren an, was das D enkverfahren bei der Speicherung und beim G ebrauch der g ram m atischen Form en sparsam er gestalte t. E ine andere A rt der sprach­lichen Ö konom ie m ach t sich bei der Bildung und m assenhaften V erw en­dung von afin iten F o rm en des N ebensatzes geltend , d .h . bei der Elim i­nierung der H ilfsverben im N ebensatz, zum T eil auch der kopulativen V erben. Diese E rscheinung ist bis ins 19. Jh . h inein sehr verb re ite t. Ich m eine hier K o n struk tionen fo lgender A rt: der M ann, der es getan; die A rb e it, die sehr beschw erlich. H ier b es teh t die S parsam keit in der A b­nahm e der lautlichen und lexial-gram m atischen Masse des N ebensatzes. Dasselbe gilt für die im 16. - 18. Jh . außero rden tlich verb re ite te Zusam ­m enziehung von gleichartigen Satzgliedern, z.B. solcher, d ie du rch Sub­stantive ausgedrückt w erden (z.B. Länder- und S tä d ten a m en ), und spä­te r für die A bbrev iaturen . A uch die A usw eitung d e r M onoflex ion beim G ebrauch des substan tiv ischen A ttr ib u ts (des D o kto rs S c h m id t) füh rt zu einer derartigen E rsparung — hier allerdings nu r eines M orphem s, das du rch ein P honem ausgedrückt w erden sollte. E ine andere A rt der T en­denz zur sprachlichen S parsam keit k om m t zum A usdruck , w enn die Satzk lam m er verkürzt oder ü b erhaup t aufgehoben w ird. H ier w ird die für die Spannung notw endige E nergie erspart, d ie die Bildung des Satz­rahm ens bew erkstelligt.

1 .1.2. T endenz zur D eu tlichkeitA uch von dieser T endenz g ib t es verschiedene U nterarten . In re inster F o rm t r i t t sie bei der Bildung von sem antisch exak te ren , spezialisierten un te ro rd n en d en K on junk tionen auf, die im Laufe der ganzen frühneu­hochdeu tschen Periode und auch später en ts tehen . Dasselbe gilt auch für die neuere Sch ich t der P räpositionen , die seit der E n tstehungszeit der deu tschen S chriftsp rache geb ildet w erden. A uch die Ü bertragung der g ram m atisch ausdrucksfähigen G enitivendung -s (-ns) auf solche S ubstan ­tive, die in der Regel ohne A rtike l geb rauch t w erden und desw egen ihren Kasus m onoflek tiv n ich t e indeutig bezeichnen können , nam entlich auf E igennam en, u n te r anderem sogar au f solche w eiblichen G eschlechts

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(z.B. A nnas H ut), vollzieht sich u n te r der E inw irkung der T endenz zur D eu tlichkeit des sprachlichen A usdruck. A uch der G ebrauch von nicht- d is tanzierten F o rm en der syn tak tischen Bildungen s ta tt d er d is tanzierten m acht die b e tre ffen d en B ildungen deu tlicher. In m ancher H insicht w irk t die T endenz zur D eu tlichkeit in derselben R ich tung wie d ie zur Ö kono­mie. A ber sie können auch gegeneinander w irken. So s teh t die A ufhebung der afin iten K onstruk tion , die u n te r anderem auch der T endenz zur D e u t­lichkeit en tspring t, im W iderspruch zur T endenz zur sprachlichen Spar­sam keit.

1.1.3. T endenzen zur A usdrucksverstärkungIch m öch te hier vor allem eine Erscheinung erw ähnen , die allerdings eine sehr spezifische U n tera rt d e r T endenz zur V erstärkung des A usdrucks ist. Ich m eine die T endenz zur B eibehaltung und E n tfa ltung syn tak tischer Synonym ie. D ieser Prozeß füh rt ja zur V orbeugung von E in tön igkeit, G leichförm igkeit des Satzbaus, indem m an n ich t im m er dieselben F o r­m en zu w iederholen brauch t. Es w ird hier also n ich t die einzelne F orm an und für sich em otionell oder irgendw ie anders verstärk t und hervorge­hoben , sondern die R ed ek e tte im ganzen. D em gegenüber bed eu ten solche E rscheinungen wie die A usbreitung des G ebrauchs von invertierten und ellip tischen S atzk o n stru k tio n en , die in der Sprache des S tu rm und Drangs und später in der des N aturalism us, des Im pressionism us und besonders des Expressionism us Vorkom m en und auch in der m odernen schönen L ite­ra tu r häufig verw endet w erden, in erster Linie eben V erstärkung einzelner G lieder des R edestrom s. D abei kann die A usdrucksverstärkung auch zur E insparung von sprachlicher M aterie führen, was besonders am V ordringen der ellip tischen K o n struk tionen deu tlich w ird. A ndererseits kann die T en­denz zur A usdrucksverstärkung der Sparsam keitstendenz entgegenw irken. So b ed eu te t die N otw endigkeit, u n te r dem vorhandenen (o f t m ehreren) synonym ischen F orm en ständig von neuem eine A usw ahl tre ffen zu müs­sen, eine zusätzliche Belastung des D enkverfahrens im R edeprozeß .

1.1.4. T endenz zur s truk tu re llen O rganisierung des R edestrom sDiese T endenz führt sow ohl zur festeren Z em entierung als auch zur kla­reren G liederung der R edeeinheiten . D ie festere Z em entierung w ird im 16. - 18. Jh . vor allem d u rch die viel konsequen te re D urchführung des R ahm enprinzips im H aupt- und N ebensatz erzielt, d ie k larere G liederung durch die s truk tu re lle G egenüberstellung der G ruppe des V erbs und der des Substantivs: die B eschränkung des G enitivgebrauchs im großen ganzen au f die S ubstan tivgruppe, die des G ebrauchs der adjektiv ischen F orm en m it der N ullendung au f die G ruppe des V erbs. Die A usw eitung des Satz­rahm ens ist gew iß eine G egenbew egung in bezug auf die T endenzen zur Sparsam keit und zur D eu tlichkeit. A ber die T endenz zur struk tu re llen

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O rganisierung träg t auch zur Bildung und V erbreitung der afin iten K on­stru k tio n bei, da du rch die Auslassung der fin iten F o rm des Hilfsverbs oder der K opula der unselbständige S ta tus des N ebensatzes noch erhöh t w ird. H ier a rbe ite t die T endenz zur s truk tu re llen O rganisierung m it der zur sprachlichen Ö konom ie Hand in H and, und sie beide zusam m en wir­ken hier der T endenz zur D eu tlichkeit entgegen. Sehr w ichtig sind auch die A usw irkungen der T endenz zur s truk tu re llen G estaltung im Bereich der Substan tivgruppe se lb s t: die s tärkere fo rm elle D ifferenzierung der präpo­sitiven und postpositiven A ttr ib u te , der verselbständigten und n ich t verselb­ständ ig ten A d jek tiva ttribu te und das V ordringen der m onoflek tiven Festigung d er kongru ierenden G lieder der Substantivgruppe. D er E rsatz der starken Ge­n itiv form des a ttribu tiven A djektivs Singular im m ännlichen und sächli­chen G eschlecht du rch die schw ache F o rm (le ich tes Sch ritte s -* leichten Sch ritte s) erfo lg t ja desw egen, weil das Substan tiv selbst in der Regel hier die g ram m atisch eindeutige F lex ion -s hat. Die syn tagm atische A nordnung der W ortform en, von der T endenz zur s truk tu re llen Z em entierung u n te r­stü tz t, siegt hier som it über die paradigm atische A nordnung.

Meine M usterung der H aup tarten d e r beständigen T rieb k rä fte des Sprach­w andels kann selbstverständlich nur einige von vielen E rscheinungen in der E ntw ick lung der deu tschen S chriftsprache berücksich tigen .A ber das angeführte M aterial zeigt, w ie kom pliz iert die W echselw irkungen dieser einander o ft bekäm pfenden T rieb k räfte sind.

1.2. H istorisch bed ing te T riebkräfteDiese T riebk räfte sind von zw eierlei A rt. E inerseits sind sie sozialer N atur und verdanken ihre E xistenz gew issen ko n k re ten h is to rischen Ereignissen im L eben des V olkes, das der T räger der b e tre ffen d en Sprache ist. Dabei w irken solche Ereignisse au f das gram m atische System der Sprache ge­w öhnlich durch die V erm ittlung der V eränderungen in den F orm en der sprachlichen K om m unikation . A ndererseits stellen die h isto risch beding­ten T rieb k räfte die In ten tio n der E ntw icklung dar, die im System der be­tre ffen d en Sprache in dem von uns zu b eo b ach ten d en Z e itp u n k t vorherrscht. D ies ist som it eine in terne, innersprach liche T rieb k ra ft des sprachlichen W andels, die aber selbst h istorisch gew orden ist, d .h . von verschiedenen anderen — gew öhnlich n ich t e indeutig zu e rm itte ln d en — T rieb k räften be­stim m t w ird und als in der b e tre ffen d en Sprache obw altende T endenz zu b estim m ten V eränderungen in ihrem Bau existiert. Eben d ie T atsache, daß sie in jeder Sprache (oder S prachgruppe) einen besonderen C harak te r auf­w eist, m ach t diese innersprach liche T rieb k raft zu einer historisch beding­ten , selbst w enn sie m it irgendw elchen beständigen T rieb k räften sehr vie­les gem einsam haben sollte. D enn es w irk t hier o f t eine von irgendw elchen gesch ich tlichen V orbedingungen getro ffene A usw ahl von beständ igen Trieb-

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kräften , die sich m it dem D ruck auf das g ram m atische System irgendwel­cher rein sprachlicher (phonetischer und g ram m atischer) E ntw icklungs­tendenzen verb indet.

1.2.1. T rieb k räfte sozial-kom m unikativer A rtIch erhebe keinen A nspruch, eine erschöpfende Liste solcher T riebk räfte zusam m enzustellen . Es w erden hier in aller Kürze nur die sozial-kom m u­nikativen T rieb k räfte erw ähnt, die für die E ntw ick lung der deu tschen Schriftsprache besonders w ichtig sind.

V or allem sind es die Bedingungen, u n te r w elchen die deu tsche S ch rift­sprache sich als eine besondere sprachliche F o rm en tw ickelte . Ich m eine die w oh lbekann te T atsache, daß die deu tsche S chriftsprache sich au f län­geren S trecken ihres W erdegangs in gewissem G rade unabhängig von der E ntw icklung der gesprochenen Sprache veränderte. M an sollte gew iß diese E igenheit der deu tschen S chriftsprache n ich t überschätzen. Im m er gab es verschiedene V erbindungslin ien zw ischen deu tscher S chriftsp rache und deu tscher gesprochener Sprache — selbst in der Zeit von 1650 bis 1750, die als besonders reinschriftsprach lich gilt. In sogenannten R ela tionen (B erich ten) und Z eitungen, später in “ m oralischen W ochenschriften” w endet sich ja die S chriftsprache auch in dieser Zeit an eine verhältn is­mäßig b re ite Leserschicht. Und doch ist eine gewisse Isolierung d e r sch rift­sprachlichen F orm in der E ntw icklung der deu tschen N ationalsprache n ich t zu leugnen, und eben das A ufkom m en der B enennung “deu tsche S ch rift­sprache” ist außero rden tlich kennzeichnend für die sprachlichen V erhält­nisse in den deu tsch-sprachigen G ebieten w ährend der frühneuhochdeu tschen Periode und zum Teil noch später. Sehr w ichtig für die E ntw ick lung des deu tschen Sprachbaus im F rühneuhochdeu tschen w ar auch die starke A us­rich tung der deu tschen S chriftsprache au f einen sehr verw ickelten sem an­tischen G ehalt, vorw iegend kanzleim äßiger A rt (G esetze, U rkunden, V or­schriften , außenpo litische D okum ente usw .), was das ungeheure A nw ach­sen des G anzsatzes (vor allem des Satzgefüges) zur Folge h a tte . In V erbin­dung m it dem A usbleiben der E inw irkung von Seiten der gesprochenen Sprachfo rm en führte dies zur besonderen W irksam keit einerseits der be­ständigen T endenz zur D eu tlichkeit und andererseits der zur stru k tu re llen O rganisierung der syn tak tischen K onstruk tionen . D abei h a tte die le tz tere T endenz gew öhnlich den V orrang, da es unum gänglich w ar, den G anzsatz als eine geschlossene E inheit im T ex t und den E lem en tarsa tz als eine ge­schlossene E inheit im G anzsatz klar h ervo rtre ten zu lassen.

A uch der g roße E influß , den andere S prachen, vor allem das Lateinische, später das F ranzösische, bis ins 18. Jh . h inein au f die deu tsche S ch rift­sprache ausgeübt haben, ist im W esentlichen auf dieselben sozial-kom m u- nikativen T rieb k rä fte zurückzuführen, w enn auch dabei verschiedene kon­

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kretere historische G egebenheiten im Spiele waren.

A ber die Einflüsse anderer Sprachen w aren le tz ten E ndes von verhältn is­m äßig geringer B edeutung für die F orm ung des gram m atischen System s der deu tschen Schriftsprache. Zum Teil deswegen, weil diese E inw irkun­gen zuw eilen verschiedenen, sogar en tgegengesetzten E ntw ick lungen V or­schub leisteten . So d ien te z.B. die latein ische Sprache C iceronischer Prä­gung als M uster zur E n tfa ltung d e r kom plizierten S atzperioden , wogegen die latein ische Sprache T acitischer Prägung zur Bildung von kurzen , zu­sam m engedrängten G anzsätzen führte. In erster Linie aber desw egen, weil von den Form en, d ie die einw irkenden Sprachen der deu tschen S ch rift­sprache b o ten , in der Regel nu r diejenigen dem gram m atischen System der deu tschen S chriftsp rache einverleib t w urden, d ie diesem System nicht frem d w aren und gewisse V orbedingungen für ihre V erw ertung vorfanden.

G anz andere sozial-kom m unikative T riebkräfte m achen sich bekann tlich im 19. und besonders im 20. Jh . in der deu tschen S chriftsp rache geltend.Es kom m t hier zu einer regen W echselwirkung zw ischen der geschriebenen und der gesprochenen F orm der Sprache. Es en tw ickeln sich die Massen­m edien, die m it d e r Zeit eine im m er w ichtigere S tellung einnehm en. V on den frem dsprach lichen E inflüssen w ird der der englischen Sprache beson­ders stark . Die S chriftsprache selbst w eist in kom m unikativer H insicht starke V eränderungen auf, indem das G esam tb ild der F u n k tio n a ls tile b u n ­te r w ird, sie selbst zum Teil anders w erden und s tä rk e r au fe inander ein­w irken. Zum Teil du rch den E influß der U m gangssprache, aber vor allem durch gewisse Züge d e r w issenschaftlichen und techn ischen T ex te bekom m t die T endenz zur sprachlichen Sparsam keit im m er g rößere B edeutung. So kom m en seit dem Ende des 19. Jhs. in der S chriftsp rache (auch in der ge­sprochenen Sprache) m assenw eise A bkürzungen vor. In der le tz ten Zeit w erden in im m er größerer A nzahl in S ubstan tivgruppen B ildungen m it postpositivem klassifizierendem A ttr ib u t in N ullfo rm verw endet (vom T y­pus E xp o 76 ). Beide S tru k tu ren stam m en le tz ten Endes aus dem Term i- nologisierungsverfahren der Sprache der W issenschaft und T echn ik , auch des H andels. A uch die T endenz zur geradlinigen S tru k tu r des Satzes hat ihren U rsprung in sp rachökonom ischen T endenzen dieser F unk tionalstile , aber sie verringert n ich t die Masse des sprachlichen M aterials, sondern soll das D enkverfahren erle ich tern . D er E insparung von sprachlichem M aterial dienen die sich verb re itenden F orm en der W ortzusam m ensetzung und W ortableitung (in ers ter Linie die A djektive m it dem M orphem -mäßig), die den allgem einen Bezug irgendw elcher E rscheinungen au fe inander als solchen ausdrücken. N ebenbei sei erw ähn t, daß solche A nsätze zugleich das A ufkom m en neuer K om plikationen gedanklicher und s truk tu re lle r A rt b edeu ten und daß sie keineswegs zur V erdrängung andersgearte ter

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K o n stru k tio n en führen. Es ist auch hervorzuheben , daß die sozial-kom m u- nikative Lage der deu tschen Sprache von heu te die B eibehaltung der Sy­nonym ie von gram m atischen F o rm en erfo rd ert.

1.2.2. Innersprach liche h istorisch bed ing te T riebk räfte In bezug au f die E ntw ick lung des g ram m atischen System s h an d e lt es sich hier erstens um die E inw irkung der V eränderungen im phonetisch-phono- logischen System der b e tre ffen d en Sprache. Für die deu tsche Schriftsp ra­che ist diese E inw irkung im F rühneuhochdeu tschen von B edeutung, vor allem wegen der Folgen, die die A bschw ächung der ton lo sen F lexionssil­ben für die U nterscheidung der W ortform en hatte .

Zw eitens w irken hier die In ten tionen , d ie sich im gram m atischen System der b e tre ffen d en Sprache selbst zur gegebenen Zeit geb ildet haben , w obei die Ursachen ihrer E n tstehung in der Regel n ich t zu bestim m en sind. Für die E ntw icklung der deu tschen S chriftsp rache sind solche In ten tio n en von en tscheidender B edeutung, nam entlich die T endenz zur Bildung von analy­tischen g ram m atischen F orm en und die zur festen O rganisierung des Satzes und der W ortgruppe.

Die T endenz zur A nalyse h a t sich bere its im A lthochdeu tschen und beson­ders im M itte lhochdeu tschen klar ausgeprägt und w irk t im F rühneuhoch ­deu tschen und N euhochdeu tschen w eiter. Sie füh rt im Bereich des V erbs zur Bildung des analy tischen F u tu rs m it w erden und zu um schreibenden K o n struk tionen verschiedener Z eitfo rm en m it tu n und m it sogenannten Funk tionsverben , die verbal-nom inale K o n stru k tio n en m it kausativer und ak tionsartm äß iger S em antik erm öglichen. Im nom inalen Bereich füh rt d ie­se T endenz zur Bildung von neuen P räpositionen und zur E rw eiterung des G ebrauchs der alten P räpositionen.

Die In ten tio n zur festen O rganisierung der syn tak tischen E inheiten m acht sich in den E rscheinungen geltend, die w ir bere its in allgem einer F orm als E rgebnis der T endenz zur stru k tu re llen O rganisierung des R edestrom s als einer besonderen A rt der beständigen sprachlichen T riebkräfte b e trach te t haben. Die starke A usw irkung dieser T endenz in der deu tschen S ch rift­sprache w urde u n te r anderem auch dadurch erm öglicht, daß bere its im A lthochdeu tschen und M itte lhochdeu tschen , zum Teil als W eiterführung gram m atischer Züge noch ä lterer S prachperioden , die en tsp rechenden Er­scheinungen zum G rundbestand des gram m atischen System s gehö rten . Es han d e lt sich hier um die T endenz zur V ersetzung der fin iten V erbform im N ebensatz von der zw eiten S telle au f eine spätere und um die T endenz zur V erw endung der schw achen, im M itte lhochdeu tschen gram m atisch n ich t ausdrucksfähigen A djek tiv form in V erb indung m it dem A rtikel.

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In den M undarten en tfa lte t sich die T endenz zu analy tischen gram m a­tischen F orm en bekann tlich besonders frei. Dagegen en tw icke lt sich in der S chriftsprache besonders stark die T endenz zur stru k tu re llen O rgani­sierung des Satzes und der W ortgruppe, was m it tiefgehenden U nterschie­den in ihrer sozial-kom m unikativen S itua tion zusam m enhängt.

2. D ie Fo rm en des grammatischen Wandels

U nter den F orm en des W andels im g ram m atischen System der deu tschen Schriftsp rache verstehe ich h ier die verschiedenen A rten dieses W andels, unabhängig davon, du rch w elche T riebk räfte der W andel hervorgerufen w urde. Wir haben es hier also m it denselben E rscheinungen zu tu n , die im vorigen Teil des V ortrags bere its e rö r te rt w urden , aber sie w erden nun anders g rupp iert und b e leuch te t, nam entlich in A bhängigkeit davon, wel­che form ale R olle sie in der E ntw ick lung des gram m atischen System s eben als eines System s spielen.

Zum Teil k ö n n te m an dabei von F u n k tio n en sprechen, d ie die T riebkräfte des gram m atischen W andels ausüben, aber ich habe h ier keine M öglichkeit, dieses P roblem zu e rö rte rn . Es sei nur b e to n t, daß einunddieselbe form ale V eränderung im gram m atischen System gew öhnlich d u rch das Zusam m en­w irken m ehrerer T riebk räfte zustande kom m t.

D ie F orm en des W andels sind sehr m annigfaltig und bilden verschiedene A spekte. D er allgem einste A spekt vom S tan d p u n k t des S ystem charak ters des gram m atischen Baus b e s teh t darin , ob die b e tre ffen d en V eränderun­gen der E rhaltung und Festigung des g ram m atischen S ystem s d ienen oder zu seiner Z errü ttung führen. Für die konk re teren V erlagerungen im gram ­m atischen Bau der indoeuropäischen Sprachen ist es von großer W ichtig­keit, ob die E ntw icklung in R ich tung au f d ie E n tfa ltung der analy tischen oder der flektiv ischen F o rm en verläuft, was aber bereits bei der B ehand­lung h istorisch bed ing ten innersprach lichen T rieb k räfte erw ähn t w urde. A ndererseits kann m an den W andel des g ram m atischen System s nach den B ereichen charak terisieren , in denen er verläuft d .h . 1) als W andel im paradigm atischen oder syn tagm atischen Bereich. 2) als W andel im Be­ziehungssystem oder im G estaltungssystem . W eiter sind fo lgende einan­der gegenüberstehende F orm en des W andels im g ram m atischen System zu erw ähnen:

B ereicherung der gram m atischen System e — V erarm ung desgram m atischen System s;

K om plikation des gram m atischen System s — V ereinfachung desgram m atischen System s;

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logische Präzisierung der g ram m atischen Form en — logisch u np rä­zisere G estaltung der gram m atischen F o rm en ;

A nw achsen des Umfangs der gram m atischen F o rm en — A bnahm edes Umfangs der gram m atischen Form en.

A lle diese E n tw ick lungsform en sind für den W andel des g ram m atischen System s der deu tschen S chriftsp rache von B edeutung. Ich habe h ier n ich t die M öglichkeit, eingehend ihre R olle in diesem Prozeß zu um reißen ; des­halb w ill ich nu r einige Hinweise geben, w obei ich die B eziehungen der system erhaltenden u n d -b ildenden und der system zerrü ttenden V erände­rungen zueinander und die der V eränderungen im paradigm atischen und syn tagm atischen System etw as ausführlicher behandle . A ndere Form en der gram m atischen E ntw icklung w erden zum Teil in V erbindung dam it e rö rte rt, zum Teil in aller Kürze als besondere Erscheinungen charak te ri­siert.

S ystem zerrü ttender W andel w ar besonders stark in der ersten E tappe des F rühneuhochdeu tschen . Die A usw irkungen der phonetischen E n tw ick lun­gen verbanden sich hier m it der K onkurrenz verschiedener te rrito ria le r Schriftsprachen , D rucksprachen usw., was zur gleichzeitigen V erw endung von e inander w idersprechenden Form en führte. Es w urden auch verschie­dene R eihen im gram m atischen System du rchb rochen oder die früheren A nsätze zu solchen D urchbrechungen w eiteren tw ickelt. So verb re ite t sich in der S ubstan tivgruppe die flexionslose F orm des A djektivs, besonders bei den sächlichen S ubstan tiven im N om inativ und A kkusativ , aber spora­disch auch bei anderen S ubstan tiv fo rm en . Zw ar k ö n n te m an dabei viel­leicht vom A ufkom m en eines neuen System s der A djek tivdek lination sprechen, in dem das sächliche dem m ännlichen und w eiblichen G eschlecht und der N om inativ und A kkusativ dem G enitiv und D ativ gegenübersteht. Jede A bkehr von einem bestehenden System läß t sich ja im m er auch als A nsatz zur Bildung eines neuen System s be trach ten . A ber das au ß e ro rd en t­liche Schw anken des G ebrauchs der N ullform des A djektivs zeugt doch eher von der allgem einen Z errü ttung des System s. A uch später, bis ins 18. Jh . hinein, lassen sich e inander w idersprechende V arian ten verschiede­ner g ram m atischer Form en festste llen , die als Zerrüttungserscheinungen zu b e trach ten sind. A ber allm ählich t r i t t dabei im m er stärker der Hang zur G estaltung neuer System e auf, selbst w enn diese System e im w eiteren V erlauf der Sprachentw ick lung sich n ich t beh au p ten können. So ist das A ufkom m en des anorganischen -e im P rä te ritum der starken V erben (z.B. ich nähm e) ein S ch ritt zu r E rw eiterung des System s der verbalen F orm enbildung m it E inbeziehung der starken V erben in das F orm en­system des schw achen Verbs. D och w urde diese Erw eiterung, die rein schriftsprach lich war, später vollständig fallengelassen.

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In der neueren und neuesten Z eit führen die K äm pfe der konkurrierenden gram m atischen E rscheinungen in der Regel zur B eibehaltung und Festi­gung beider oder sogar m ehrerer der konku rrierenden E rscheinungen bei gewisser D ifferenzierung und Präzisierung ihres W irkungskreises, so daß sie zusam m en ein neues um fassenderes System bilden. Dies f in d e t z.B. in der S ubstan tivgruppe s ta tt , w o das System der n ich t kongru ierenden A ttr ib u te eben als ein A usgleich aufzufassen ist im K am pf d e r konkurrierenden F o rm e n : des G en itiv a ttrib u ts und des p räpositionalen A ttr ib u ts , zum Teil auch der substan tiv ischen Z usam m ensetzung, der K o n stru k tio n m it dem M onoflektiv (G em einschaftskasus) un d der sem antisch-relativen A djektive. D aß dieser A usgleich kein endgültiger ist und die R olle der e inzelnen Glie­der dieses System s sich beständig so o der so verschiebt, h eb t den System ­sta tus ihres G ebrauchs keineswegs auf. Dasselbe gilt für das W ortstellungs­system im E lem entarsatz . D ie A bw eichungen vom S atzrahm en , die auf den ersten Blick Z errü ttung eines w ichtigen Teils dieses System s bedeu­ten , gesta lten sich doch als ein besonderes, nam entlich bereich teres, w enn auch kom plizierteres Spezialsystem .

D er gram m atische W andel in d e r deu tschen S chriftsp rache vo llz ieh t sich sow ohl im paradigm atischen als auch im syntagm atischen Bereich, w obei die b e tre ffen d en E ntw ick lungen in einigen Fällen einander un terstü tzen , in einigen Fällen einander bekäm pfen .

So w ird die A usw eitung der analy tischen gram m atischen Form en als einer parad igm atischen Erscheinung dadurch un te rs tü tz t, daß im syn tagm ati­schen G ebrauch die analy tischen Form en, vor allem d ie des V erbs, die Bildung der d is tanzierten , k lam m erfähigen K o n stru k tio n en erm öglichen. A llerdings d rück t sich diese T endenz in den M undarten un d in d e r Um­gangssprache viel stä rker aus als in der Schriftsprache. M an b each te die E ntw ick lung der periphrastischen F orm en m it tu n (ich tu schreiben) und die V erdrängung des P rä teritum s durch das Perfek t im südlichen Teil des deutschsprach igen R aum s. A ber auch in d e r S chriftsprache g eh t die para­d igm atische E ntw ick lung m it d e r syn tagm atischen H and in H and, wie die m assenhafte Bildung und V erw endung von K o n stru k tio n en m it sogenann­ten F unk tionsverben zeigt.

E ine w eitgehende V ereinfachung, die aber keineswegs als V erarm ung auf­zufassen ist, ste llt die E ntw ick lung des Paradigm as der F em in ina dar. Das­selbe gilt für die D eklination aller Substan tive im Plural. A uch die Schei­dung der Substan tivdek lination (als V eränderung nach den K asus) von der Pluralb ildung ist an und für sich eine V ereinfachung im paradigm atischen System , obgleich sow ohl die D ek lination der Substan tive im Singular als auch die P luralbildung verw ickelte T eilsystem e sind und m anche W ider­sprüche aufw eisen. Das verbale Paradigm a h a t sich vom S tan d p u n k t seiner

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K om pliziertheit aus w eniger verändert, w enn m an von der Bildung neuer (fu tu rischer) Z eitfo rm en absieht. Die T endenz zur V erdrängung d e r star­ken V erbalform en durch die schw achen h a t sich nur au f einige der w enigen gebräuchlichen V erben erstrecken können . Es sind dabei m anche M isch­form en en ts tanden . A ber auch einige entgegengesetzte E ntw ick lungen sind zu verzeichnen, d .h . V erw andlungen (zum Teil nu r zeitw eilige: frug, jug ) der schw achen V erben in starke. Folgerichtig ist die allerdings sehr früh zur G eltung kom m ende T endenz zur Beseitigung der V erben m it R ück­u m lau t durchgeführt. Diese E ntw icklung, die eine V ereinfachung im Sy­stem der schw achen V erben b ed eu te te , blieb nur d o rt zum Teil stehen, wo der R ückum laut eine S tütze im System der starken V erben fand (nennen - nannte-, w erfen - w arf).

V on g röß te r W ichtigkeit sind die V eränderungen im paradigm atischen System der W ortgruppen, vor allem die E inbeziehung der Z usam m enset­zungen (in e rs ter Linie der substantiv ischen) in das System der Form en, die im stande sind, die syn tak tischen B eziehungen auszudrücken. Dies be­d eu te te eine B ereicherung der synonym ischen Form en in der S ubstan tiv ­gruppe. Im A djek tivsystem spielen d ie relativ-sem antischen A djektive, die im F rühneuhochdeu tschen m anche V erluste e rlitten h a tten , im 19.- 20. Jh . w ieder eine g rößere Rolle.

Im paradigm atischen System der logisch-gram m atischen S a tz typen kom m t es im 19. und 20. Jh . zu einer gewissen V ereinfachung, indem der eigen­artige partitive T ypus m it dem das N om inativsubjek t ersetzenden G enitiv im m er m ehr zu rü ck tritt (D er S traßen waren viele -»■ Es waren viele S tra ß en ; Die S traßen waren viele ). V on den T ypen ohne N om inativsub jek t beh au p ­ten und verm ehren sich dagegen die K o n stru k tio n en m it unpersön lichen V erben und das eingliedrige Passiv. A uch m anche K onstruk tionen ohne fin ite V erbalform en w erden system atisch geb rau ch t und gestalten sich zu besonderen, w enn auch peripheren S a tz ty p en (Ich d ich eh ren? R ech ts eine Tür und zw ei F enster). Sehr verb re ite t sind die eingliedrigen nom ina- tiven Existenzialsätze. Es kom m t auch zu m anchen V erlagerungen in der sem antischen A ufnahm efähigkeit und in den sem antischen S chattierungen der logisch-gram m atischen S atz typen , vor allem in den T ypen m it A kku­sativ* und D ativobjek t und m it dem Passiv. So träg t die E ntw ick lung im großen G anzen hier doch zu B ereicherung des Satzsystem s bei. Dasselbe läß t sich auch im Bereich des Satzgefüges festste llen , und zwar für die Ge­sam ten tw ick lung w ährend des F rühneuhochdeu tschen und des N euhoch­deutschen . Es ist nam entlich die T endenz zur Schaffung eines re ichha lti­gen System s von u n te ro rd n en d en K o n junk tionen m it scharf um rissener Sem antik und zum R ü ck tritt der universalen u n te ro rd n en d en K on junk tio ­nen (daß, so, a ls ), d ie ich h ier im Auge habe. Dies ist eine B ereicherung,

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die keineswegs zur K om plika tion des System s führt, eher le tz ten Endes zu seiner V ereinfachung, was sich auch in der Beseitigung m ancher rein kanzleim äßiger K o n junk tionen zeigt (m aßen, gesta lt usw .). A llerdings be­rührt diese spezialisierende E ntw ick lung eigentlich nur den sem antischen B estand des Satzgefüges, n ich t sein G estaltungssystem als solches.

Was das G estaltungssystem des Satzgefüges be tr iff t, so sind hier andere F orm en des h isto rischen W andels erkennbar, nam entlich die V eränderungen im Umfang und im G rad der logischen Präzision des Satzgefüges.

Das F rühneuhochdeu tsche s teh t u n te r dem Z eichen der ungeheuren A n­schw ellung des Satzgefüges in der K anzleisprache und in vielen m it ihr ver­b u n d en en Sprachgattungen , zum T eil auch in den w issenschaftlichen T ex­ten , w enn auch daneben in T ex ten anderer A rt ganz einfache und kurze Satzgefüge vorherrschen. A ber bere its im 18. Jh . n im m t in allen führenden und m ustergültigen H ervorbringungen der S chriftsprache der B estand und U m fang des Satzgefüges bed eu ten d ab, und in neuester Zeit w ird im allge­m einen der B estand des Satzgefüges noch einfacher und sein U m fang noch geringer. B edeutend ist der W andel des Satzgefüges auch h insich tlich der logischen Präzision seiner G estaltung, was übrigens auch als eine A bart der beständigen T endenz zur D eu tlichke it gelten kann. A llerdings erschein t die logische Präzision im sprachlichen System überhaup t als ein schw an­kender Begriff. D enn im B ew ußtsein des “ naiven Sprechers” t r i t t jede F orm seiner M uttersp rache als eine natürliche und selbstverständliche au f und h a t für ihn au f diese Weise den C harak te r einer logisch einw andfreien Bildung. Dies ist der Fall zum Beispiel in den Sprachen, die d ie D istanz­stellung gebrauchen, d .h . die T rennung von sem antisch und syn tak tisch eng zusam m enhängenden g ram m atischen F orm en . Eine solche T rennung wie sie sich u.a. auch im deu tschen S atzrahm en zeigt,w ird als logisch ein­w andfrei em pfunden , und nur bei Ü berlastung der D istanzstellung, d.h. durch das überm äßige A nw achsen der K om ponen ten , die sich zw ischen den d is tanzierten W ortform en befinden , w ird in solchen S prachen die D istanzierung als etw as den G edankenab lau f S törendes, som it als etw as U nlogisches em pfunden u n d die logischere K o n stru k tio n hergestellt durch A usklam m erung eines Teils der eingek lam m erten K om ponen ten . Und doch ist es vom objek tiven S ta n d p u n k t aus m öglich, den un logischeren die logi­scheren gram m atischen F orm en gegenüberstellen, d .h . solche, die den Be­ziehungen der D inge in der ob jek tiven W elt und dem diese B eziehungen zum A usdruck bringenden G edankenverlauf genauer en tsp rechen . Der W andel in der G estaltung des Satzgefüges zum logischeren Bau m ach t sich in solchen Prozessen bem erkbar wie der Beseitigung der apo-koinu-K on- s tru k tio n , die noch um 1500 sehr v erb re ite t war, der aus lau ter N eben­sätzen bestehenden G anzsätze, die noch um 1700 keine S eltenhe it sind,

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der H äufung von äußerlich parallelen, aber ungleichartigen N ebensätzen um ein und dasselbe U n tero rdnungszen trum in irgendeinem E lem en tar­satz. A uch die A usarbeitung des System s von sem antisch spezialisierten u n te ro rd n en d en K on junk tionen ist eine A rt der logischen Präzisierung im W andel des Satzgefüges.

Man m uß aber n ich t denken , daß in allen B ereichen des gram m atischen System s und im m er die E ntw icklung sich in der R ich tung au f präzisere K o n struk tionen hin vollzieht. Z.B. füh rt d ie bereits e rw ähn te V erdrän­gung des logisch-gram m atischen partitiven S a tz typus m it dem sub jek t­erse tzenden G enitiv zur V erw ischung der sem antischen B esonderheit die­ses Satz typus, so daß h ier eine präzisere K o n stru k tio n durch eine unpräzi­sere e rse tz t w ird.

Die V eränderungen im U m fang sind eine w ichtige E rscheinung sow ohl im System der syn tak tischen K o n struk tionen als auch im Bereich der W ort­fo rm en. Z.B. ist der G anzsatz in den m eisten G a ttungen und T ex tso rten der deu tschen S chriftsp rache d u rch ein m ächtiges A nw achsen seines Um­fangs im F rühneuhochdeu tschen bis ins 17. Jh . hinein gekennzeichnet. Bereits im 18. Jh . m ach t sich aber in einem Teil sow ohl der w issenschaft­lichen als auch der schöngeistigen L ite ra tu r d ie T endenz zur A bnahm e des Umfangs des G anzsatzes bem erkbar. Im 20. Jh . w ird diese T endenz noch stärker. Dagegen zeigt die E ntw ick lung des Um fangs des E lem entar­satzes in vielen G attungen und T ex tso rten der deu tschen S chriftsprache ein bedeu tendes A nw achsen erst im 18. Jh ., und in der fo lgenden Zeit, selbst im 20. Jh ., erhält sich in der G ebrauchssprache dieser be träch tliche U m fang des E lem entarsa tzes oder t r i t t nu r in geringem Maße zurück. A uch der Umfang der S ubstan tivgruppe e rre ich te in der G ebrauchssprache be­reits im 18. Jh . einen h ohen S tand , w urde aber noch be träch tlich e r im 20. Jh . A llerdings kom m en bei allen syn tak tischen S tru k tu ren sehr große Schw ankungen in ih rem U m fang vor — in A bhängigkeit von den T ex tso r­ten und u n te r dem E in fluß von E igen tüm lichkeiten der F unk tional- und Individualstile. Im Bereich der W ortfo rm en s teh t der seit langem w irken­den T endenz zur Bildung von langen und überlangen K om posita (beson­ders auf dem G ebiet der Substan tive) die am Ende des 19. Jhs. aufkom - m ende T endenz zur K ürzung der Z usam m ensetzungen (A bbrev iaturen) gegenüber.

Zum Schluß sei noch eine besondere F o rm des Sprachw andels erw ähnt, näm lich die seit dem 17. Jh . e insetzende R egeneration , d .h . W iederher­stellung der früher vorhandenen , aber später vollständig oder zum Teil verdrängten g ram m atischen F orm en. So w ird z.B. m it A usnahm e einiger phraseologischer W endungen die flek tie rte F orm des n ich t verselbständig­ten ad jektiv ischen A ttr ib u ts w ieder zur allgem einen N orm in der deu tschen

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Schriftsprache. A uch die H ilfsverben in N ebensätzen w erden vom 19. Jh. an in der Regel gebrauch t, w ährend im 17. - 18. Jh . die afin ite K onstruk­tion sehr verb re ite t war.

N un sind w ir m it der Skizzierung der F orm en zu Ende, d ie d ie E ntw ick­lung des gram m atischen System s in der deu tschen S chriftsprache aufweist. D abei hat sich herausgestellt, daß diese E ntw icklung tro tz aller B untheit doch ausgew ogen ist und sich d u rch B eibehaltung un d E n tfa ltung m an­cher sogar en tgegengesetzter fo rm aler Züge auszeichnet. In dieser H insicht d a rf w ohl der gesam te h isto rische P rozeß, der h ie r vorgeführt w urde, als eine B ereicherung angesehen w erden, die allen A nforderungen en tsprich t, die die E ntw icklung des gesellschaftlichen Lebens und die neuesten For­m en des K om m unikationsprozesses an die m odernen Schriftsprachen gestellt haben und erst rech t heu te stellen.

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ELS O KSA AR

Zum Prozeß des Sprachwandels: Dimensionen sozialer und linguistischer Variation

1. Die E ntw ick lung der L inguistik in den le tz ten zehn Jah ren ist gekenn­zeichnet du rch eine zunehm ende A k tiv itä t der Sozio-, Psycho-, Pragma- und Pädolinguistik , um n u r einige F orschungsschw erpunkte zu nennen , für die gem einsam ist, daß sie zu einer R enaissance des E m pirism us — von Labov “ th e new A m erican em piric ism ” g enann t — geführt haben. D er N eo­em pirism us hat seine W urzeln in der U nzufriedenheit m it den bisherigen R esu lta ten der linguistischen T heorieb ildung m it idealisiertem Sprecher- H örer in e iner hom ogenen G esellschaft. Dieser soll eine T heorieb ildung en tgegengesetzt w erden, die d ie Sprache des r e a l e n Sprecher-H örers in einer w irklichen, und das he iß t heterogenen G esellschaft als Ausgangs­p u n k t hat. Z w eckbedingtheit und em pirischer W'ert der M odelle dürfen n ich t vernachlässigt w erden.

Diese F orderungen sind w ährend d e r sechziger Jah re vor allem von den zwei w ichtigen A nsätzen der sozio linguistischen Forschung gestellt w or­den: von dem ko rre la tionalen A nsatz, vertre ten durch Labov und B ern­stein, und dem in te rak tiona len A nsatz, dessen H aup tvertre te r H ym es und G um perz s in d .1

Die R eichw eite der beiden A nsätze w ird hier im A ugenblick n ich t zur D e­ba tte stehen, s. dazu S ektion 5. Für unser T hem a ist es w ichtig festzustel­len, daß beide R ich tungen e rneu t die A ufm erksam keit n ich t n u r au f die sprachlichen V arian ten g e rich te t haben, sondern auch au f d ie W ichtig­keit der U ntersuchung des Sprachw andels im sozialen K on tex t.

1.1. Die Fragestellung ist n ich t neu . Schon W hitney (1867 , 18) h a t her­vorgehoben, daß Sprachveränderungen au f das Zusam m enw irken des Ein­zelsprechers m it der S prachgem einschaft zurückgehen. D er soziale Ge­sich tspunk t ist du rchaus schon vorhanden auch bei Breal, M eillet und de Saussure, d ie alle b e to n t haben, daß die V eränderungen der Z eichen m it V eränderungen sozialer System e zu sam m en h än g en d Seit H erm ann Paul, Jespersen, Havers und Hugo M oser dü rften die B edingungen und T rieb ­kräfte , die den sprachlichen W andel bedingen , allgem ein b ek an n t sein; Havers (1931 , 144 f f .)g ib t eine A usw ahl: das S treben nach A nschaulich­keit, nach em otionaler E ntladung , nach K raftersparn is, nach Schönheit des A usdrucks, O rdnungstendenzen und sozialer T riebkreis, w oru n te ru.a. H öflichkeit und R ücksich tnahm e auf die U m gebung gem ein t ist. Es

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b le ib t aber die Frage: u n te r w elchen Bedingungen w erden diese K räfte ak tiv iert?

Hugo M oser (1967 , 17) faß t “die N eigung zur D ifferenzierung und V erdeu t­lichung einerseits, zur System atisierung und Ö konom ie andererseits, die T endenz zur A bstrak tion neben der zur b ildhaften A usdrucksw eise, ästhe­tische und e th ische Im pulse” als T rieb k räfte psychologischer A rt zusam ­m en.

1.2. Wie sind nun aber das W i e und das W a r u m ganz k o n k re t im einzelnen festzustellen? B eton t doch auch Havers (1931 , 144) daß m ei­stens m ehrere T riebk räfte zugleich tä tig sein können . Es e rh eb t sich eine R eihe von Fragen. L äßt sich m it dem soeben angeführten K atalog der T riebk räfte die E n tstehung und V erw endung der dynam ischen V ariante des D eutschen erklären , die m an z.B. von L ufthansaangestellten in der Form : H aben Sie Ihr T icke t schon gecheck t? hören kann, im D eutschen Fernsehen: A m erikas Kissinger je t te t [d z e tta t] durch Schw arza frika (F . N ow ottny ), und von deu tschen W inzern in A ustralien : W irp ikke n die Weine jede drei M onate. Und w ie erkläre ich die M otivation zur Vari­an te : Da Vogel, m acht schw im m e, schw im m e ?

M öglichkeiten zur B eantw ortung dieser Frage ergeben sich, w enn w ir vom Individuum und seiner Sprache, vom Id io lek t ausgehen. S chon Paul (1909 , 34) h a t hervorgehoben, daß die Sprachveränderungen sich durch die spon­tane T ätigkeit des Individuum s und durch die B eeinflussung durch andere vollziehen, denen er ständig ausgesetzt ist. H eute erschein t derselbe Ge­danke in der Form , daß Sprachw andel als ein “ kon tinu ierlicher P rozeß und unverm eidliches B eip roduk t der linguistischen In te rak tio n ” anzu­sehen is t.3 Bei Paul w urde jedoch die Beziehung zw ischen dem Indivi­duum und seinem sozialen Um feld, in dem n ich t nu r sprachliche, sondern auch im m er gewisse andere sozioku ltu re ll bed ing te V erhaltensm uster als N orm gelten, n ich t them atisiert.

O bw ohl das Prinzip des Prager S truk tu ra lism us, daß Sprachw andel als e in F ak tum der synchronischen L inguistik anzusehen ist, b ek an n t sein dürfte , h a t m an daraus bis heu te kaum K onsequenzen für die U ntersu­chung der dynam ischen Synchronie in verschiedenen S ek to ren der d e u t­schen G egenw artssprache gezogen.4 Man h a t m .E . zu wenig b each te t, daß dieselben B edingungen und T riebk räfte , die laut Havers (1931 , 144 ff.) zur “ U m gestaltung der S prache” führen , auch die Sprachverw endung steuern können.

Da Sprachverw endung aber im Vergleich zu Sprachveränderung das Pri­m äre ist, so m uß m an ihre B edingungen zuerst un tersuchen . Man kann die H ypothese form ulieren , daß die Bedingungen und T riebkräfte , die

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den Sprachgebrauch steuern , auch zu den B edingungen gehören , die den Sprachw andel verursachen.

Um diesen F ragenkom plex näher zu behandeln , m uß die überw iegend psychologische P la ttfo rm H erm ann Pauls m it e iner soziologischen ver­bunden w erd en .5 D abei g ib t es eine R eihe von D im ensionen als A usgangs­pu n k te : kultu relle , w irtschaftliche, soziale, au f denen m enschliche Ver­haltens- und H andlungsw eisen, zu denen auch Sprache gehö rt, u n te rsu ch t w erden können .

Ziel m eines V ortrags ist es, anhand von Beispielen vom Z usam m enw irken zw eier D im ensionen: der sozialen und der linguistischen V ariation m ensch­licher In te rak tio n , einige E rscheinungsform en zu analysieren, die in der dynam ischen S ynchronie der G egenw art den S prachw andel beeinflussen können . D abei erw eist es sich auch als no tw endig , m ethodolog ische F ra ­gen eines derartigen A nsatzes zu e rö rte rn .

2. D en A usgangspunkt b ilde t das Indiv iduum als Mitglied in verschiede­nen sozialen B eziehungsgeflechten. Sein sprachliches R eperto ire kann als zugehörig zu einer oder m ehreren Sprachen, D ialek ten , S ozio lek ten iden ti­fiz iert w erden ; m an kann innerhalb e iner Sprache m it Jak o b so n (1974 ,182) auch von Subkodes und G ebrauchsstilen sprechen. E n tscheidend ist, daß das Ind iv iduum über he terogene A usdrucks- und Inha ltss tru k tu ren ver­fügen kann, deren V erw endung von verschiedenen sozioku ltu re llen Be­dingungen abhängt. Die E xistenz dieser S tru k tu ren läß t sich auch experi­m entell festste llen . In einem Id en tifik a tio n stest haben 20 H am burger S tuden ten , die die A ufgabe h a tten , bei e iner R eihe von S ätzen fes tzu ste l­len, w e r dies zu w e m sagt, bei fo lgenden S ätzen über 90 % Ü berein­stim m ung erzielt.

1) H aben S ie Ihr T ic k e t schon g ech eck t ? — A usländer.

2) Da Vogel, m ach t schw im m e, schw im m e — K inder o d e r E rw achsene zu K indern.

3) Ich n ix sehen — A usländer o d e r D eutsche zu A usländem .

4) E infach süß ! — 72 % der B efragten gaben F rauen und K inder an.

Diese Iden tifiz ie rbarke it losgelöster Sätze als zugehörig zu k o m m u n ik a ti­ven A kten , in denen sogar V arian ten gegen die Regeln der norm ativen G ram m atik verw endet w erden, füh rt zu fo lgenden Ü berlegungen. Man m uß auch im in trasp rach lichen B ereich von einer variablen kom m unika­tiven K om petenz der S prach träger ausgehen, und n ich t n u r im in tersp rach­lichen, w ie m an es bei Zwei- und M ehrsprachigen fo rd e rt. D enn w enn ge­wisse S equenzen sich z.B. als Sprache der E rw achsenen zu K indern klassi-

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fizieren lassen, so b ed eu te t dies ja noch n ich t, daß die E rw achsenen im­m er in der Weise m it K indern sprechen.

2.1. D iese T atsache m ach t deu tlich , daß m an die M ethode und gewisse R esu lta te der in tersprach lich aktiven S p rachkon tak tfo rschung als eine realistische G rundlage für die E rforschung des in trasprach lichen W andels heranziehen sollte. D enn die verschiedenen S ubkodes und Stile m it ihren V arian ten , über die ein Indiv iduum verfügt, tre te n in seinem E rfahrungs­bereich in K on tak t. Die Folgen derartiger K o n tak te lassen sich als ver­sch iedene A rten von A lte rna tionen und In te rfe renzen iden tifiz ieren , w ie das Beispiel H aben Sie Ih r T icke t schon g ech eck t? zeigte. Ich un terschei­de zw ischen linguistischen und situa tionalen In te rfe renzen . M it einem von W einreich (1953 , 1) abw eichenden In terferenzbeg riff b e trach te ich als “ linguistische In te rfe ren zen ” die “A bw eichungen von den phonetischen und phonem ischen , lexikalischen und sem antischen K onven tionen einer Sprache, eines D ialekts o d e r Sozio lek ts du rch den E influß anderer K odes o der S ubkodes” . D ie In te rfe renzen en ts tehen in der P erform anz — in di­rek te r oder ind irek te r In te rak tio n — sie können ab er B estandteile der K om ­p e tenz der Sprach träger w erden , n ich t nur im Id io lek t, sondern auch im S ozio lek ten und au f g rößeren E benen.

Die “ situa tionalen In te rfe ren zen ” sind A bw eichungen von den pragm a­tischen N orm en der S itua tion , in der d ie S prachen /K odes verw endet w er­den . Als klassisches Beispiel kann die V erhaltensw eise von H errn Perma- ned er in den B uddenbrooks angeführt w erden, der in L übeck beim F o rt­gehen gu ten Tag sagte, — in Lübeck, w o m an es nu r beim K om m en ta t !6 S itua tionale In te rfe renzen sind gew öhnlich von sozioku ltu re llen M ustern abhängig, sie tre te n z.B. auch ein, w enn Regeln, d ie soziale Beziehungen m ark ieren , n ich t beach te t w erden . Sie en ts teh en z.B. bei den Schw eden­deu tschen in den kom m unikativen A kten der A nrede, w enn das deu tsche D u verw endet w ird, en tsp rechend dem schw edischen D u in S itua tionen , in denen n u r das Siezen m öglich ist. D ie A nredekonven tionen verändern sich durch situa tionale In terferenzen auch in der B undesrepublik D eu tsch ­land, z.B. in der K om m un ikation der S tuden ten u n te r sich .7 In Schw eden, w o das D u sich nun au f fas t alle B evölkerungsgruppen e rs treck t, g ib t es aber im m er noch G enera tionsgruppen , die dies als n o rm frem d auffassen.

2.2. Ich habe erw ähnt, d aß In terferenzen in In te rak tio n en en ts tehen . Es erw eist sich daher als w ichtig, das K onzep t der kom m unikativen K om pe­ten z zu d ifferenzieren . D enn w enn H ym es (1967 , 17) u n te r “ kom m uni­kativer K om petenz” die Fäh igkeit versteh t, die den M itgliedern einer G esellschaft erm öglicht, Sprache zu verw enden und die V erw endung einer Sprache zu in te rp re tie ren , so ist dies zu allgem ein, um den kom plexen Me­chanism us zu erfassen. E tw as exak te r g ib t die Lage die Fähigkeit w ieder,

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die ich als “ in te rak tiona le K om p e ten z” bezeichnen m öchte . Es g ib t ja verschiedene A rten von kom m unikativen Fähigkeiten , da m ündliche K om m unikation in einer d irek ten In te rak tio n (face - to face in te rac tion ) n ich t nu r Sprechen und H ören um faß t, sondern auch paralinguistische und visuell e rfaßbare F äh igkeiten .8 K om m unikative Fähigkeiten um fas­sen ferner n ich t nur verbale und nicht-verbale H andlungen, also Sprache, G estik, M imik, sondern auch n ich t ak tionale K o m ponen ten wie Schw ei­gen. Man m uß W atzlaw ick et. al. (1972 , 53) rech t geben, w enn sie be­haupten , daß m an, w enn das gesam te V erhalten in einer S itua tion M it­te ilungscharak ter hat, n ich t n i c h t kom m unizieren kann.

Ich verstehe u n te r in te rak tiona le r K om petenz d ie Fähigkeit einer Person, in einer In te rak tio n ssitu a tio n verbale und n icht-verbale H andlungen zu vollziehen und zu in te rp re tie ren , gem äß den sozioku ltu re llen und p sycho­logischen R egeln der G ruppe. Die in te rak tiona le K om petenz w ird realisiert in kom m unikativen A kten . U nter einem “ kom m unikativen A k t” fasse ich den gesam ten A ktionsrahm en zusam m en, in dem eine S prechhandlung sta ttf in d e t. D ie H aup te lem en te des kom m unikativen A ktes sind: 1) P art­ner/A u d ito riu m , 2) D ie verbalen E lem ente, 3) Die paralinguistischen Ele­m ente, 4) Die K inetik , 5) Die G esam theit der affektiven V erhaltensm erk­m ale.9

Dieses K onzept ist Sprecher- und hörerbezogen, w ährend der S prechakt, wie ihn z.B. Searle (1971 , 30) darlegt, den H örer n ich t berücksichtig t, vgl.: “ die P roduk tion o d er H ervorbringung eines Satzzeichens u n te r bestim m ­ten B edingungen s te llt einen Sprechak t d a r .”

3. Im kom m unikativen A k t w ird die S trategie der K odeum schaltung s ich t­bar: die abw echselnde V erw endung m indestens zw eier K odes o d e r Sub­kodes m it oder ohne In terferenzen . D er kom m unikative A k t b ilde t eine der P la ttfo rm en zur E n tstehung und V erbreitung der V ariationen .

3.1. Die soziale D im ension der linguistischen V ariation erhellt h aup tsäch ­lich von dem A spekt her, der eine A n tw o rt au f die Fragen zu läß t: w er w ählt w elchen A usdruck zu w elchem Z e itp u n k t in w elcher S itu a tio n zu w elchem Zw eck für eine M itteilung an w en? Man m uß auch w eiter fragen: wie reagiert d e r H örer? D enn seine R eak tion ist für die V erbreitung der V eränderungselem ente w ichtig . N icht nu r V ariablen wie A lter, G eschlecht, S tatus- und R ollenposition im allgem einen bestim m en hier d ie W ahl der M ittel, sondern auch die B eziehung des Sprechers zum H örer: F rem der, B ekannter, F reund , V erw and ter; V orgesetzter, U ntergebener. A uf dieser D im ension e rh e llt n ich t nu r der U nterschied zw ischen der Sprache, ge­sprochen von E inheim ischen und A usländern , o der zw ischen M änner­

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u nd F rauensprache, sondern auch zw ischen verschiedenen In te rak tio n s­m odellen , z.B. in der A nrede: D u und Sie o d e r d e r T itelverw endung, um nur einige zu erw ähnen, und hier en ts teh en en tsp rechende A lterna­tio n en und In terferenzen als R ealisierung der variablen K om petenz . Sie en ts teh en keineswegs nur du rch die A usdrucks- und K om m un ikations­fu n k tio n der Sprache, sondern sind m otiv iert d u rch d ie T atsache, daß die Sprache dem Sprecher als Id en titä ts fak to r und dem H örer als Iden ti­f ik a tionsin s trum en t d ien t. A usdrücke, charak teristisch für das sprachliche V erhalten einer G ruppe, w erden von Personen außerhalb d ieser G ruppe verw endet, um als zu dieser G em einschaft gehörig iden tifiz ie rt zu w erden. Die beiden bis je tz t w eniger beach te ten F u n k tio n en der Sprache — die Iden titä ts- und Id en tifik a tio n sfu n k tio n — können aber dazu führen , daß sich eine neue A lternative n ich t allein, sondern m it e iner w eiteren Mög­lichkeit parallel verb re ite t. Dies geschieht vor allem dann , w enn aus sozio- psychologischen G ründen die A lternative und die b isher übliche A usdrucks­weise w eniger akzep tabel sind. Wird jem and m it D u angeredet, w enn er S ie e rw arte t, so k o m m t es vor, daß er dieser s itua tionalen In te rfe renz m it e inem für die S itua tion n ich t freq u en ten o der neuen M odell begegnet:

S tu d en t A (zu einem ihm n ich t bek an n ten S tu d en ten B im H aupt-Sem inar): Was D u da gerade gesagt hast...

S tu d en t B zu A, verw endet s ta tt des üblichen Sie die Passivkon­s tru k tio n : Was hier soeben b eh a u p te t w urde ...

3.2. H ier zeigt sich auch gleich die Brücke zur linguistischen D im ension m it ih rer sozialen V ariation . E in und derselbe A usdruck kann , je nach S prach trägergruppen , m it kollektiven, sozialspezifischen K onn o ta tio n en verbunden sein, w obei w iederum die sozialen V ariablen, z.B. A lters- und G eschlech tsun tersch ied , eine R olle spielen. Hier können D ifferenzen der In te rp re ta tio n zw ischen Sender und Em pfänger en ts teh en , und diese kön­nen zu B edeutungsveränderungen führen. D enn die In te rp re ta tio n geschieht vom W issensradius her, aber sie schein t auch gleichzeitig vom Z en trum des Interesses aus vorgenom m en zu w erden. A m d eu tlich s ten sehen w ir das bei K indern . Ein siebenjähriger H am burger Junge w urde gefragt, was es bed eu ­te : Müßiggang ist aller Laster A n fang . A n tw o rt: Das ist der erste Gang.D en legt der Laster ein und fä n g t an zu fahren .

A uch bei E rw achsenen sind es der kom plexe E rfah rungsh in terg rund und das sog. B ew ußtsein von der S itu a tio n , das lau t Bühler auch die K enntn is von d e r A bsicht des S p rech e rs10 u m faß t, die die In te rp re ta tio n einer M it­teilung erm öglichen. D ifferenzen können zum W andel der V erhaltensw ei­sen führen, die Sprache einbegriffen . In W itzen ist dieses B ew ußtsein aus­geschlossen, und gerade dadu rch w ird ihre zen tra le R olle deu tlich . Das

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zeigt sich z ß . bei dem V ater, der seinem Baby ein w arm es Bad rich te t, weil die V orschrift für M ahlzeiten lau te t: B evor das B aby sein Essen erhält, m u ß es leicht gew ärm t w erden. D urchaus den k b ar ist die V erw irrung der beiden K om m unikato ren , w enn der eine, eine F rau , den anderen , einen Schaffner, frag t: M u ß ich fü r die K inder auch b eza h len ? — A n tw o rt:N ich t un ter sechs — Die F rau : Fein, es sind nur drei.

3.3. Das D argelegte soll auch die schon e rw ähn te R olle des Em pfängers der M itteilung als W eiterführer der V eränderung hervorheben. Ihm ist in der psycho- und soziolinguistischen L ite ra tu r im Vergleich zu dem Sen­der geringe A ufm erksam keit zuteil gew orden , obw ohl schon H erm ann Paul (1909 , VI) bei seiner K ritik von W undt hervorheb t, daß kein volles V erständnis der Sprachentw ick lung ohne die Berücksichtigung des H örers gew onnen w erden kann. W egener (1885 , 182) w eist d arau f h in , daß die Frage nach dem Sprachverstehen im V ordergründe der sprachw issenschaft­lichen U ntersuchung stehen sollte, und h eb t som it die H örerrolle hervor. D er H örer hat, das wissen w ir m it N achdruck schon von Scerba und der Petersburger Schule, ebenso wie von den Prager L inguisten, eine andere G ram m atik als der S p recher.11 So ex is tie rt die H o m o n y m i e ja nur in der H örergram m atik , und dieses P hänom en füh rt zu den soeben gehör­ten M ißverständnissen in den W itzen. Die A bw eichung des H örers bei der In te rp re ta tio n kann u.a. auch durch die T atsache e rk lä rt w erden, daß im kom m unikativen A kt n ich t alles verbalisiert w ird. Die K reativ itä t der na­türlichen Sprache hängt, wie Jak o b so n (1974 , 74) darlegt, von ihrer spe­zifischen Fähigkeit ab, n ich t alles auszudrücken, um überflüssige E inzel­heiten zu verm eiden. A uch diese E bene ist für die V eränderungsforschung w ichtig. Die M utter, die beim A nblick , daß der Sohn seine alten Jeans anzieht, zu ihm sagt: H eute ist Sonntag, h a t die vom H örer in te rp re tie r­bare A uffo rderung zur V erhaltensänderung verbal gar n ich t ausgedrückt. D er A usdruck kann — w enn er an anderen Tagen verw endet w ird — in der Fam iliensprache jedoch schnell id iom atisiert w erden, etw a als V erbo t, als “das sollst du n ich t tu n ” . D en Weg zu derartigen id iom atisierenden V er­änderungen zeigt der A usdruck a u f den S te inen sitzen , der in den “ B ud­d enb rooks” die B edeutung “ vereinsam t sein und sich langw eilen” ange­nom m en h a t .12 Den vielen A uflagen des R om ans zufolge h ä tte m an er­w arten können , daß dieser R edensart eine allgem eine V erbreitung zuteil gew orden w äre, w ie es zum Beispiel m it es ist die höchste E isenbahn ge­schehen is t.13 D ies ist jedoch n ich t der Fall gew esen.

3.4. D erartige F eststellungen rich ten die A ufm erksam keit au f die T a t­sache, daß n ich t alle N euerungen und V eränderungen in die S tan d a rd ­sprache gelangen und m an m it verschiedenen P rozeß-S tadien des W andels rechnen m uß. Es gilt aber gerade deshalb, diese S tu fen au f ihre Bedingun-

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gen hin zu beleuch ten , weil m an bei U ntersuchungen des Sprachw andels bisher fast im m er von den R esu lta ten ausgegangen ist und bei der Frage d er A nnahm e und V erbreitung der N euerungen keine regionale und soziale D ifferenzierung vorgenom m en hat. Der Prozeß, der im Z usam m enhang m it der V eränderung der S prachgew ohnheiten des Individuum s zu sehen ist, w ird gew öhnlich em pirisch n ich t verfolgt, weil dies für d ie V ergangen­heit in allen E inzelheiten n ich t m öglich ist, in der G egenw art jedoch vieles als schwierig greifbar o d e r als O kkasionelles abgetan w ird.

Man sollte aber n ich t von vornherein von okkasionellen E rscheinungen, M ariginalität und “ E intagsfliegen” reden, w enn die F u n k tio n einer Er­scheinung noch n ich t u n te rsu ch t w orden ist. D erartige m etasprach liche F eststellungen dürften n ich t als A libi gelten, sie von der Sprachbeobach- tung auszusch ließen .14 D enn m it R ech t stellen W einreich et.a l. (1968 , 188) f e s t: “ N ot all variability and heterogeneity in language s tru c tu re involves change ;b u t all change involves variability and he te ro g en e ity .” V arianten in der Synchronie können , d iachron gesehen, zur N orm w erden . Es müssen Forschungsansätze des Sprachw andels ak tiv iert w erden , in deren th eo re­tischen K onzep ten auch die soziopsychologische D im ension des K om m uni­kationsprozesses berücksich tig t w ird. Festste llungen w ie: “ Alle Sprach- neuerungen sind notw endigerw eise individuell; doch en tsp rechen die N eue­rungen, die angenom m en und verb re ite t w erden , sicher in terindividuellen A usdrucksbedürfn issen” 15 sind A nnahm en, die zw ar n ich t w irk lichkeits­frem d anm uten , deren em pirische F undierung exp liz it aber noch gegeben w erden m uß. Sie müssen auch auf m eta th eo re tisch er E bene w e ite ren t­w ickelt w erden, um den Grad der O perationalisierung der e inzelnen V ariab­len zu erhöhen .

3.4.1. Zu berücksichtigen sind dabei so un tersch ied liche V ariablen wie der kom m unikative Kanal, d ie M otivation , der linguistische K o n tex t und der Z usam m enhang m it der außersprach lichen W irklichkeit, z.B. inw iefern eine soziale V eränderung zur sprach lichen V eränderung führen kann. M ehrere F ak to ren können auch gleichzeitig w irksam w erden.

Wird eine V eränderung über den K anal der M assenm edien verb re ite t, z.B. in W erbeanzeigen, m it der M otivation , A ufm erksam keit auf die A nzeige zu lenken, kann sie in verschiedenen L esergruppen in U m lauf gese tz t w er­den und m odellb ildend w irken.

3 .4 .1 .1 . A nschaulich zeigen das Z usam m enw irken m ehrerer F ak to ren fo l­gende Fälle:

K o m m en Sie zu A d ia , und w enn es nur einen F arbfernseher langist (A nzeige der F irm a Adia).

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Hier w ird in den R ahm en einer Z eitangabe (S ubstan tiv im A kkusativ + lang), der en tw eder ein S ubstan tiv fo rd e rt, das d irek t au f d ie Frage w ie lange? an tw o rte t: einen Tag, einen S o m m er, ein Sem ester, oder eine Paraphrasierung m it dauern zu läß t: ein G espräch lang = so lange ein Gespräch dauert, e in S ubstan tiv gesetzt, das diese Bedingungen n ich t er­füllt. Das Substan tiv F arbfernseher signalisiert in diesem R ahm en die Z eitspanne ebenso durch den linguistischen K o n tex t einen F arbfernseher lang, dieser kann jedoch n ich t paraphrasiert w erden als * so lange ein Farb­fernseher dauert, sondern als so lange (es dauert), bis man G eld fü r den K a u f eines F arbfernsehers zusam m en hat. D ie Z eitspanne w ird durch die F inalitä t und M otivation des A rbeitens ausgedrückt. Es hande lt sich hier um den P rozeß der Z entrierung, analysiert bei O ksaar (1972), der den festen R ahm en der Zeitangabe d u rchb rich t, vgl. auch:

Ein T ortenstück lang sitzen heu te d ie Bürger... an den kühlenM arm ortischen des Sacher-K affeehauses in Wien (S tern 20, 1976,S. 58).

F ina litä t und M otivation sind ebenso m it der A ngabe der Z eitspanne ver­bunden in K o n stru k tio n en m it auf: a u f e ine Tasse K affee, eine Z igarette, einen D rink, ein Gespräch.

3.4.1.2. Der linguistische K o n tex t b ew irk t B edeutungsverschiebungen der A djektive im Mikro- und M ak rokon tex t der K om posita : fu ß fr e u n d ­liche Schuhe, schlüsselreife Häuser. D adurch, daß A djektive in dem R ah­m en SA + S m it W örtern verbunden w erden , m it denen sie ihre volle se­m antische K ongruenz n ich t ak tualisieren können , w ird nur ein Teil des Inhalts realisiert, o f t aber zusam m en m it k o n n o ta tiv en V arian ten . Ein kinderfreundlicher Sp ie lp la tz ist “ passend” , “ angeb rach t” für K inder, ein hau tsym path isches O berhem d ist “ angenehm ” für die H aut. F reund ­lich ist h ier ein K om plex von [passend, angebrach t] + [m eliorativ],

3 .4 .1 .3 . A uch der syn tak tische R ahm en kann eine B edeutungssteuerung bew irken, und zw ar d ie K on stru k tio n n ich t nur ... sondern. In: A rie l m acht die Wäsche n ich t nur sauber, sondern rein, hat rein d ie stärkere In ten s itä tsk o m p o n en te ; diese kom m t aber tauber zu, w enn dieses W ort nach sondern erschein t: A rie l m ach t die Wäsche n ich t nur rein, sondern sauber.

3.4 .1 .4 . Soziale V eränderungen wie A rbeitszeitverkürzung und längerer U rlaub haben zu einer R eihe von sprachlichen N euerungen geführt, die sich u.a. in neuen B erufsbezeichnungen zeigen: Freizeitplaner, F re ize it­gestalter, F reizeitberater, F reizeithelfer, Freizeitpädagoge,16 Es sind ambi- d irek tionale sprachliche Folgen, die m an einerseits in der schlagartig zu­nehm enden Zahl von K om posita für die B ezeichnung neuer Begriffe fest-

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stellen kann, andererseits in der veränderten Inhaltssphäre von W örtern wie Freizeit, A rbe itsw oche , W ochenende u.a., w obei sich auch Einw ir­kung au f gewisse T ypen von In te rak tio n sritu a len festste llen läßt, z.B. in der K ategorie “ A bsch ied” . S ta tt schönen Sonntag, den m an sich am letz­ten A rbeitstag der W oche, am Sam stag, w ünschte, verw endet m an je tz t, da dieser Tag gew öhnlich Freitag ist, überw iegend ein schönes W ochen­ende. Diese Beispiele zeigen, daß auch derartige V eränderungen der Inhalts­sphären, die H erm ann Paul (1909 , 104) als unm itte lb a re Folge des Wan­dels in den ku ltu re llen V erhältn issen sieht und bei denen er deshalb keinen B edeutungsw andel ansetz t, für die U ntersuchung der dynam ischen Syn- chronie und des Prozesses des Sprachw andels w ichtig sind. Sie können zur inhaltlichen V arian tenbildung , zur Polysem ierung und zum Bezeichnungs­w andel führen. Sie weisen eine V eränderung des sprachlichen V erhaltens der Sprachträger auf, der d u rch A npassung der sprachlichen M ittel an ihren sozio kultu rellen R ahm en bed ing t ist.

A uch B ildungen wie P arkstudent, Schlüsselkind , Tagesm utter oder Nur- Hausfrau gehören zu den Innovationen in der Lexik, die soziale V erände­rungen o d er A ttitü d en w iderspiegeln, gleichzeitig aber in tersprachliche Ver­änderungen auf dem G ebiete der B edeutung hervorrufen . Die D ifferenzie­rung, d ie sich d u rch P arkstudent, Tagesm utter und Schlüsselkind gegen­über S tu d e n t, M u tte r und K ind festste llen läß t, füh rt in einen anderen S ek to r als frühere D ifferenzierungen W erkstudent, K orpstuden t; W indel­kind , P atenkind. D urch Nur-H ausfrau w ird Hausfrau zur A bstrak tion und zur K lassenbezeichnung, außerdem w ird m indestens eine w eitere E xem plarbezeichnung im pliziert, z.B. *W erkhausfrau, d .h . eine F rau , die zu Hause und außerhalb tä tig ist. Schlüsselkind und Tagesm utter hängen d irek t m it der funk tio n a len U m struk tu rierung im A rbeitsleben durch be­ru fstätige F rauen zusam m en. Die Prägung Tagesm utter ist die einzige un­te r den B ildungen m it M utter , die in den Bereich der B erufe gehört.

3 .4 .1 .5 . D erartige M ikrountersuchungen erm öglichen uns auch , d ie E n t­w icklung und W irkung der Inha ltskon flik te in der G egenw artssprache zu verfolgen. Die Ö lkrise und das dam it zusam m enhängende F ah rverbo t an Sonntagen führten , w enn auch für kurze Zeit, zu einer sprachlichen S itua tion , in der neben dem K om positum Sonntagsfahrer “derjenige, der nur sonn­tags A u to fäh rt und daher sch lech ter fäh rt als die an d eren ,” ein zweites, aus den gegebenen U m ständen heraus gebildetes Sonntagsfahrer “derjen i­ge, der die Sondergenehm igung erha lten hat, am Sonntag A u to fah ren zu dürfen” zu belegen war. Da aus der In te rp re ta tio n ss tru k tu r17 hervorgeht, daß beide Zeichen einen entgegengesetzten Prestigew ert h a tten , aber in denselben S itu a tio n en V orkom m en ko n n ten — beide Inhalte können ja auch au f ein und dieselbe Person bezogen w erden — ergab sich h ier ein

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Inhaltskon flik t. Das W ort m it dem positiven Prestigew ert h a t das andere in der H örergram m atik fas t ausschließlich zurückgedrängt: Herr M üller ist Sonntagsfahrer w urde in dieser Zeit überw iegend m it der zw eiten In te rp re ta tio n verw endet.

4. Die oben gegebenen B eispielkategorien im Bereich der B edeutungs­und B ezeichnungsfragen lassen sich leicht erw eitern . W eniger beach te t sind die E rscheinungsform en der V eränderung im sprachlichen V erhal­ten , die sich durch b estim m te U nterschiede zw ischen G esprächspartnern und durch ihre A npassungsfähigkeit ergeben. Ein derartiger P rozeß kann z.B. dann sta ttfin d en , w enn der oder die P artner den norm alen K ode der Sprachgem einschaft n ich t vollständig beherrschen . Dies kann zu neuen S ubkodes führen.

Als derartige Subkodes, die in verschiedenen Sprachen als “verein fach te R ede” (sim plified speech) oder “ vereinfach te R egister” (sim plified regi- ster) bek an n t sind, w erden die Sprache der K inder und der A usländer angesehen.18 Sie sind d u rch vereinfach te S yn tax und gegen die Regeln der norm ativen G ram m atik gebildete E lem ente gekennzeichnet. D ie ver­e infach te R ede fin d e t sich aber n ich t nu r bei K indern und A usländern im Spracherw erbsprozeß . A uch der Subkode der E rw achsenen, vorw iegend der Frauen , für K om m un ikation m it K leinkindern und der Subkode der E in­heim ischen zu A usländern gehören h ierher; sie sind zwei eigenständige V arianten . Da sie w eniger b ek an n t sind, den P rozeß des Sprachw andels aber genauso w ie andere S ubkodes d u rch ihre V arianten und K o n tak t­phänom ene beeinflussen können , und weil sie die V eränderungen des sprachlichen V erhaltens der Sprach träger anschaulich darlegen, w erden wie sie h ier besprechen. M an m uß im Auge behalten , daß es gerade die U nterschiede zw ischen den G esprächspartnern und ihrer w echselseitigen A npassungsfähigkeit sind, die, w ie Jak o b so n (1974 , 183) hervo rheb t, e n t­scheidend die zahlenm äßige Zunahm e und die D ifferenzierung der Un­terkodes innerhalb einer S prachgem einschaft und innerhalb der sprach­lichen K om petenz ihrer e inzelnen M itglieder beeinflussen.

4.1. Im D eutschen ist der Subkode der E rw achsenen zu K leinkindern als A m m ensprache bek an n t, es fehlen jedoch — wie auch beim S ubkode zu A usländern — system atische U ntersuchungen au f diesem G ebiet. Mein M aterial e rs treck t sich au f B eobachtungen von fünf M üttern und drei anderen B ezugspersonen im Z usam m enhang m it unseren L angzeitstud ien der K indersprache in H am burg. Dieses M aterial b estä tig t die sporadischen B eobachtungen seit A nfang des Jah rh u n d erts . D er K ode is t gekennzeich­net du rch typ ische internationale und paralinguistische M uster.19 Es fä llt

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dabei besonders die Ü bertreibung der In to n a tio n sk o n tu ren auf. Ferner nehm en die Sprecher phonologische und gram m atische M odifikationen vor: verm eiden schwierige K onsonan tenverb indungen , verw enden über­w iegend zweisilbige W örter und e in fache S y n tax : hier B uch \ Es fällt d ie R edup likation n ich t nu r von Silben auf, T ypus w auw au20, sondern auch von W örtern. Beispiel: eine M utte r zeigt au f e inen Vogel in der Pfütze und sagt zu dem Zw eijährigen: Da Vogel, m acht schw im m e, schw im m e. Häufig ist die V erw endung der d ritten Person, w enn der Er­w achsene au f sich selbst hinw eist, oder au f das K ind in d irek te r A nrede: M u tti k o m m t g le ich \ — Wie g ro ß ist das K in d ? Wo ist H ansi? In diesem Subkode ist auch das soziative w ir in verschiedenen S itua tionen zu fin­den : wir w aschen uns nun die H ändchen, w obei es auch h ier variablen Inhalt haben kann: “ w ir w aschen D eine H ändchen” oder: “ d u w äschst D ir nu n die H ändchen” . In kom m unikativen A k ten dieses S ubkodes finden wir auch eine freq u en te re V erw endung von D im inutiven als in der H ochsprache, vom T ypus m ein kleines M äuschen !, vgl. im Süd­deu tschen das »-Suffix: B uchi, Hausi, B e tti. In Ö sterreich k en n t man lau t Sieberer (1950 , 87) aus diesem Subkode n ich t n u r V erbdim inutive w ie tr inki, schreibi, sondern auch F orm en wie waserl denn ? K ruisinga (1 942 , 9) w eist d arau f hin, daß hypokoristische F o rm en au f -y, ie fast ausschließlich au f den Umgang m it k leinen K indern b esch ränk t sind, hieraus können sie in die allgem eine Sprache eindringen. V on d e r Gabe- len tz (1901 , 277) ist der A nsicht, daß diese A rt des sprachlichen V er­haltens die Sprache der E rw achsenen dauernd beeinflussen könne, w o­durch sich “ das Ü berhandnehm en der D im inutiva” in den slawischen S prachen und in einigen deu tschen D ialek ten , z.B. dem O stpreußischen , erk lären ließe.

4 .1 .1 . O bw ohl dieser S ubkode id io lek tal eine große V ariation aufw eist und alle seine linguistischen E lem ente keineswegs von säm tlichen Er­w achsenen, die m it K leinkindern sprechen, verw endet w erden , para­linguistische aber fas t im m er, so sind doch die hier e rw ähn ten E lem ente der Sprache der E rw achsenen zu K leinkindern heu te zu belegen, bezeich­nenderw eise häufig auch bei denen , die von sich selbst das G egenteil behaup ten . Dieser Subkode ist ein anschauliches Beispiel für die variable in terak tionale K om petenz: der Sprecher p aß t sich b ew u ß t o d e r unbe­w uß t dem verm eintlichen Subkode und dem N iveau des K indes an. Man darf diese V ariante n icht, wie es häufig geschieht, m it dem K ode des K leinkindes gleichsetzen, obw ohl h ier ein w echselseitiger E in fluß — durch verschiedene A rten von In terferenzen — festzustellen ist und sich dadurch auch G em einsam keiten ergeben können . F req u en te Kin­dersp rachenm uster w ie die Ü bergeneralisierung der schw achen V erb­

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fo rm en , T ypus: singte und gesingt, kom m en in diesem Subkode n ich t vor, m an tr if f t auch n ich t V erletzungen der linguistischen und der se­m antischen K ongruenz an . D er w echselseitige E in fluß dieser K odes füh rt aber in vielen Sprachen zu E igennam en und K oseform en: Bob, Peppo (G iuseppe), N enne (Sven). H ier w ären system atische U ntersuchungen — auch k on trastiv — sehr w ichtig, da gerade die soziale D im ension: E r­w achsener - K ind bei der V arian tenbildung des E rw achsenen d ie an ­fangs erw ähn ten , den W andel bed ingenden T riebk räfte aus einer ganz anderen Perspektive b e leu ch te t: Ö konom ie und A nschaulichkeit du rch vorw iegend em otionale G ründe. Es ist eine T atsache, daß V arian ten d ie­ses S ubkodes auch in E rw achsenen in terak tionen Vorkomm en. Schon von der G abelen tz (1901 , 278) w eist darau f hin, “ daß L iebende in ih rem Ge- kose in die K indersprache verfallen” . Man frag t sich aber m it R ech t, ob das so ist — vielm ehr schein t es die V ariante zu sein, die n ich t nu r das Kind, sondern auch die E rw achsenen sprechen — die S chnittm enge ihrer Subkodes.

Mit R ech t s te llt von der G abelen tz (1901 , 278) ferner fest, daß m an es hier m it einer A rt Sprachm ischung zu tu n ha t. A ber w enn er dies au f “jene irra tionalen F ac to ren zurückführt, d ie die G esch ich te der Sprache beeinflussen, die G leichm äßigkeit ih rer E ntw ick lung du rchb rechen kön­n e n ” , so zeigt unsere heutige B eobachtungsebene, daß es h öchst ra tio ­nale F ak to ren sein können , da w ir es hier m it den grundlegenden F ak­to ren der m enschlichen sprachlichen T ätigkeit zu tu n haben, m it der A kkom odation und A ssim ilation der V erhaltensw eisen , m it dem sog. Partnerzw ang .21

Partnerzw ang ist eine E rscheinung, deren genaue A nalyse in verschiede­nen kom m unikativen A kten eine w ichtige soziopsycholinguistische A uf­gabe ist. Jakobson (1 971 , 559) ste llt fest: “Jederm ann versucht, w enn er m it einer neuen Person ins G espräch k o m m t, absich tlich oder unw ill­kürlich, ein gem einsam es V okabular abzustecken : en tw eder um zu ge­fallen oder ein fach um zu verstehen o d e r schließlich nur um ihn loszu­w erden, geb rauch t er die A usdrücke seines A dressa ten .”

4 .1 .2 . Wie erk lären w ir das? Man k ö n n te sozialpsychologische B alance­theo rien heranziehen , z.B. die T heorie des G leichgew ichts der kogn iti­ven S tru k tu ren , w ie sie zuerst von H eider dargelegt und seitdem von einer R eihe von F orschern w ie C artw righ t und H arary, Festinger u.a. w eiteren tw ickelt w orden is t.22 D ie M odelle der kognitiven K onsistenz bauen au f der A nnahm e auf, daß eine Person in ih ren H andlungen eine T endenz zur V erm eidung kognitiver D issonanzen zeigt. “ Inkonsistenzen w irken m otiv ierend au f eine U m struk tu rierung der Beziehungen zw ischen kognitiven E lem en ten : jede R ed u k tio n der kognitiven D issonanz, der

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Inkong ru itä t o d e r des kognitiven U ngleichgew ichts w ird als g ratifizierend em p fu n d en .” 23 Die A npassung an den P artner kann m an in der T erm ino­logie dieser T heorie als einen B alance-A kt verstehen . Zu den b ek an n te ­sten K onsistenzm odellen gehö rt die T heorie der kognitiven D issonanz von Festinger (1957).

4.2. E ine andere V ariante, die d u rch Partnerzw ang en steh t, ist d er Sub­kode der E inheim ischen zu A usländern , die die Sprache n ich t ganz be­herrschen.

W ährend die in te rna tiona le R enaissance der Pidgin- und C reoleforschung auch in der B undesrepublik D eu tsch land zur U ntersuchung des Pidgin- D eutsch der ausländischen A rbe itnehm er geführt ha t, feh lt es an K enn t­nissen über den Subkode, den die D eutschen in ih rer In te rak tio n m it A usländern verw enden. E iner derartigen U ntersuchung habe ich einen experim entellen A nsatz vorausgeschickt, um das Wissen um einen der­artigen K ode zu erm itte ln . D ie ganze U ntersuchung d ien t zur Festste l­lung des E influßbereiches und der S tru k tu r dieser gew issen V ariante der sozialen In terak tion .

4 .2 .1 . S tu d en ten der Sprachw issenschaft in H am burg (20-25 in der G ruppe) w urden in drei T ests im L aufe von 3 Jah ren 10 S ä tze24 vor­gelesen, die nach verschiedenen gram m atischen Schw ierigkeiten ausge­w äh lt w aren, m it der B itte , jeden Satz in der F o rm n iederzuschreiben, w ie sie denken , daß ein D eu tscher sich ausdrücken w ürde, w enn er ihn A usländern zu sagen hätte . Diese sind Südeuropäer, die D eutsch gehört haben, selbst aber noch w enig sprechen. Sie w urden auch gebeten , para­linguistische E igenschaften anzugeben. A uf die E inzelheiten einzugehen, verb ie te t m ir die Zeit — ein w ichtiges R esu lta t ist, daß sich in diesen drei Jah ren tro tz der V ariation der e inzelnen F orm ulierungen folgende Ü bereinstim m ungen der in jed e r G ruppe dom in ierenden V ariablen zeig­te : 1) E rsetzung der flek tie rten V erbform en durch den Infin itiv , 2) Fehlen der K opula, 3) Fehlen der H ilfsverben (haben, w erden), 4) Er­setzung der M odalverben durch paralinguistische E lem en te und Gestik,5) Fehlen des A rtikels, D em onstrativum s und der indefin iten P rono­m ina, 6) D uzen s ta tt Siezen, 7) A ngabe der B efind lichkeit s ta t t R ich­tung. — Als Beispiel gebe ich einige V arian ten von 4 Sätzen :

1) Ich habe den M ann, von d em S ie sprechen, n ich t gesehen erscheintals

1) Ich M ann n ich t sehen.2) Ich n ix gesehen Mann.3) Ich den M ann n ich t gesehen, ich n ix sehen, n ix M ann.

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2) Er ist m ein B ruder, er ist n ich t m ein Vater e rschein t als

1) Er Bruder, n ich t Vater.2) N ix Vater, Bruderl

3) G estern sah ich ihn und gab ihm etw as G eld erscheint als

1) G estern, ich sehen ihn und G eld geben.2) Ich ihn gesehen gestern , ich ihm G eld geben.

4) B esuchen S ie m ich morgen. Vergessen S ie es n ich t e rschein t als

1) M orgen hier ko m m en . N ich t vergessen !2) D u m orgen zu m ir ko m m en , n ich t vergessen !

Von paralinguistischen E igenschaften überw ogen zwei Züge: ‘langsam er’ und ‘lau te r’ sprechen als üblich, auch ‘L achen ’. S tichproben ak tueller In te rak tio n haben diese F estste llungen bestätig t.

4 .3 . Bei den in diesem V ortrag gegebenen Beispielen k o n n te n ich t näher au f die T atsache eingegangen w erden, daß die M itteilung auch gleichzei­tig du rch die paralinguistischen und k inetischen E lem ente getragen w ird. Forschungen des Sprachw andels haben dies kaum berücksichtig t, obw ohl schon Havers (1931 , 20 ff.) m it Beispielen veranschaulich t ha t, wie Sprechm elodie, A kzent, R hy thm us, T em po und Pausen, die er ind irek te sprachliche M ittel nenn t, und die äußere S itua tion , H altung, G ebärden und M im ik des S prechenden , die er als außersprach liche A usdrucksm it­te l bezeichnet, als bed ingende F ak to ren h in te r syn tak tischen V erände­rungen stehen können . Man fragt sich allerdings, ob n ich t das von Havers (1931 , 23) erw ähn te b ek an n te E rk lärungsm odell der E n tstehung des N ebensatzes: in dem Ich sehe das: er k o m m t du rch V erlegung der Pause zu Ich sehe, da ß er k o m m t w ird, n ich t anders aussehen könn te . Und zw ar d u rch die hörerbezogene B etrachtungsw eise. W arum , kö n n te m an sich fragen, w ird eine Pause ohne w eiteres dah in verlegt, w o früher keine war. M an kö n n te s ta tt dessen argum entieren , daß in Ich sehe, daß er k o m m t eine Pause e lim in iert w orden ist, und som it von zwei Pausen ausgehen. Ich sehe — das (m öglicherw eise m it einem K inem verbunden) — er ko m m t. Das inhaltsm äßig im dem onstra tiven das Im plizierte fügt sich beim H örer ohne Pause zusam m en.

Jedoch — nur die A nalyse der lebendigen Sprache läß t uns Lösungsvor­schläge für die D ynam ik der V ergangenheit m achen.

5. Wir kom m en zum A bschluß unserer B etrach tungen . E duard Benes stellt in seinem M annheim er V ortrag über F ach tex t, Fachstil und Fachsprache (1971 , 127) fest, daß m an sich die K oexistenz der T eilsystem e der Spra-

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che n ich t etw a in F orm eines zw eidim ensionalen Schem as vorstellen darf, “ als ob sich im m er nur die benachbarten System e d irek t beein ­flussen und eventuell auch überdecken k ö n n ten , sondern als eine kom ­plizierte K oopera tion und In te rak tio n , die sich in allen m öglichen Di­m ensionen und R ela tionen verw irk lich t” . D aß dies der Fall ist, haben auch unsere Ü berlegungen gezeigt. W eitere U ntersuchungen müssen den Sprachw andel au f den D im ensionen der sozialen und linguistischen Va­ria tion beleuch ten . D abei kö n n te die V erbindung des anfangs erw ähn ten korrelativen und des in te rak tio n a len A nsatzes au f der Basis des von uns konzip ierten kom m unikativen A ktes einen w eitreichenden m ethodischen R ahm en abgeben. D ie V erbindung der M odelle ist effek tiver als jedes für sich, denn das ko rre la tiona le M odell verw endet zw ar exak te M etho­den — korre lie rt e ine A nzahl von spezifischen linguistischen und sozio­logischen V ariablen, seine R eichw eite ist aber gerade dadurch einge­schränkt, da viele B eziehungen u n b each te t gelassen w erden. Das inter- ak tionale M odell geh t von der B eobachtung von natürlichen K om m uni­kationssitua tionen aus und erm öglich t du rch ihre em ischen E inheiten , die in K om ponen ten wie K ode, T eilnehm er, S itua tion analysiert w erden, die Feststellung außerlinguistischer F ak to ren der linguistischen V ariation , die m an m it dem anderen A nsatz n ich t finde t. Sie h a t zw ar einen brei­teren R ahm en, a rb e ite t aber n ich t m it so ex ak ten M ethoden . Das A na­lysezen trum b ilde t jedoch der kom m unikative A k t — hier f in d e t die gegenseitige A npassung s ta tt , ein psychologisches P hänom en, das den Prozeß des W andels steuert.

Was m an aus derartigen Prozessen lern t, m uß n ich t n u r für die gesch ich t­liche Perspektive fru ch tb a r gem ach t w erden, sondern auch fu turo log isch . Fu tu ro log ische A spek te gehören zu den A ufgaben vieler W issenschafts­zweige. A uch die W issenschaft von der deu tschen Sprache sollte n ich t bei der G egenw art ha ltm achen , sondern sich m it e inem w ichtigen Zweig der fu tu ro log ischen S prachbe trach tung , der Sprachplanung , befassen .25 D a die P lanung auf T atsachen bauen m uß, g ilt auch hier die Forderung , m it der ich m einen V ortrag begann: Em pirie im Sinne des N eoem piris­mus. A uf dem H in tergrund dieses T heoriebew ußtse ins m öch te ich E inar H augens W orte in dem V ortrag verstanden haben , den er au f dem IX. In te rna tiona len K ongreß der an th ropo log ischen und e thnologischen W issenschaften in Chicago h ie lt: “ Die R ich tung : zuerst B eobachtungen und F eldarbeit im B ereich der natürlichen S prachen und dann ers t die T heorie und n ich t um gekehrt, m uß eingehalten w erden , tro tz der F est­stellung, daß au f dem um gekehrten Weg viele zu G urus in der L inguistik gew orden sind .” N atürlich soll dies keine Zw eiteilung in E m pirie und T heorie der Forschung b ed eu ten . Schon G oethe h eb t in seiner F arben­lehre hervor: “ Jedes A nsehen geh t über in ein B etrach ten , jedes B etrach-

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ten in ein S innen, jedes S innen in ein V erknüpfen und so kann m an sagen, daß w ir schon bei jedem aufm erksam en Blick in die W elt theo- re tisie ren .” 26 Festste llungen w ie die von B rezinka (1964 , 196) im Be­reich der Pädagogik, die auch für d ie L inguistik der le tz ten zehn bis fünfzehn Jah re v ielerorts G ültigkeit haben , lassen H augens F orderung im richtigen L ich t erscheinen: “ Im m er noch b es teh t die Neigung, H ypo­thesen au fzuste llen und T heo rien zu b ilden , bevor die re levan ten T a t­sachen b ek an n t sind... B loße H ypo thesen verw andeln sich u n k o n tro llie rt in gesicherte V oraussetzungen des D enkprozesses; A bstrak tionen w erden n ich t m ehr als solche e rk an n t; die von der E rfahrung abgeschn ittene S pekulation über Begriffe erscheint als ech te A useinandersetzung m it der S ache.”

Was kann die E rforschung der V orstu fen oder des V orfeldes beim Sprach­w andel in der F orm der sozialen und der linguistischen V ariation e rm it­teln? Erstens f in d e t m an neue M öglichkeiten zu einem besseren V erständ­nis der E n tstehung und V erbreitung von V arian ten . Zw eitens en td eck t m an auch Z usam m enhänge, die m eistens verborgen bleiben, w enn m an den W andel als E n d p u n k t au ffaß t. A us den obigen D arlegungen läß t sich z.B. zeigen, daß das Prinzip der schichtenw eise Ü bereinanderlagerung im System der Sprache, das Jakobson (1969 , 130) anhand des Sprachw an­dels beim K inde und beim A phasischen dargelegt hat, sich auch bei be­stim m ten sozialen B eziehungen: E inheim ischer — A usländer festste llen läßt. Jakobsons G rundsatz geh t d arau f aus, daß es eine R eihe k onstan ­te r Fundierungen im Bau jedes einzelnen m orphologischen oder syn tak ­tischen Teilsystem s g ib t, z.B. ein R edete il, ein Kasus, eine verbale K ate­gorie. D ieser B estandteil erw eist sich als no tw endig sekundär in bezug au f einen anderen R edeteil, Kasus oder verbale K ategorie. Jakobson (1969 , 131) zeigt, daß diese Teile bei K indern nach dem Prim ären en t­stehen , bei A phasikern aber vor dem Prim ären verschw inden und in den V ölkersprachen n ich t ohne den en tsp rechenden p rim ären Teil Vorkom­m en. Die V erbendungen erw eisen sich als ein derartiger sekundärer Be­stand teil. Das K ind erw irb t sie nach m ehreren anderen verbalen Ka­tego rien27, der A phasiker verliert sie zuerst, d er E inheim ische verw irft sie in In te rak tio n m it einem bestim m ten T ypus von A usländern , und dieser erw irb t sie nach anderen verbalen K ategorien.

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A,1m erk u n g e n

1 Siehe Oksaar (1973, 318 f.).2 Vgi_ hierzu auch Hugo Schuchardt, in: Hugo Schuchardt-Brevier (1922, 312f).

3 W einreich, Labov, Herzog (1968, 150).

4 Wertvolle Erkenntnisse sind jedoch durch die Dialektforschung gewonnenworden. Zur dynamischen Synchronie s. R. Jakobson, Linguistics and Communication Theory, in: Structure of Language and its Mathematical Aspects, Proceedings of Symposia in Applied Mathematics, Nr. 12, Rhode Island 1961, S. 248.

5 A uch diese Perspektiven sind keineswegs neu, s. Hugo Moser (1955, 47), sie werden aber leicht übersehen.

6 Thomas Mann, Buddenbrooks. Fischer Bücherei, Exempla Classica 13, S. 226.

7 Männliche Jugendliche von 18-19 Jahren schätzen laut einer Repräsentativ­umfrage des Instituts für Jugendforschung 1976 das Du am stärksten, ab 20. Lebensjahr ändert sich jedoch diese Einstellung. 61 % der 2000 befrag­ten 14-22-jährigen finden es “ blöd” , wenn gleichaltrige sich siezen.

8 Vgl. hierzu P. Ekman, Body Position, Facial Expression, and Verbal Beha­vior during Interviews. In: Journal o f Abnorm , and Soc. Psych. 48, 1964,295 - 301.

9 Oksaar (1975, 738).

10 K. Bühler, Bericht über den III. Kongreß für experimentelle Psychologie, Leipzig 1909, 94 f. Zitiert nach Havers (1931, 65).

11 L. V. Scerba, Izbrannye raboty po jazykoznaniju i fonetike I, Leningrad 1958; I. Revzin, Tezisy konferencii po maSinnomu perevodu, Moskva,Pervyj Moskov. Gos. Ped. Inst. Inostrannych Jazykov, 1958, 23-25.

12 Vgl. hierzu Oksaar (1971, 283 f.).

13 Siehe G. Büchmann, Geflügelte Worte, Köln, 2. Aufl., 216.

14 Bausinger (1974, 262 f.) weist darauf hin, daß modische Sprachinnovatio- nen “ ein beredtes Argum ent gegen den Versuch sind, die Sprachbeobachtung von allem ‘Okkasionellen’ abzuschirmen” . Zu den allgemeinen Bedingungen des Wandels s. Coseriu (1974, 94 ff.).

15 Coseriu (1974, 127).

16 Siehe Oksaar (1976, 23).

17 Zu diesem Begriff s. Oksaar (1976, 46 f.).

18 C.A. Ferguson, Baby Talk in six Languages. In: American Anthropologist 1964, 103 - 114; C.A. Ferguson, Baby Talk as a simplified Register. Paper presented at the SSRC Conference on Language Input and Acquisition,Boston 1974.

19 Vgl. v. der Gabelentz (1901, 277): “ die tändelnd kosende Sprache” .

20 Derartige onom atopoetische Tiernamen, gekennzeichnet durch Reduplika­tion, können laut Paul (1909, 181) dazu führen, “daß die W örter der aus-

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gebildeten Sprache teilweise zuerst in einer Komposition mit W örtern der Ammensprache erlernt werden, vgl. Wauwauhund, M ukuh, u. dgl.”

21 Zum Begriff s. M. Braun, Beobachtungen zur Frage der Mehrsprachigkeit.In: Göttingische gelehrte Anzeigen 119, 1937,127.

22 Siehe die Erörterungen bei Hummell (1969) und Körner (1976).

23 Hummell (1969, 1223).

24 Da eine kontrastive Analyse dieses Subkodes geplant ist, orientieren die Sätze sich am englischen Material, dargelegt von Ferguson in einem Vortrag auf dem 3. Internationalen Kongreß für angewandte Linguistik in Kopenhagen 1972.

25 Siehe hierzu V. Tauli, Introduction to a Theory o f Language Planning, Uppsala 1967, und die seit 1975 erscheinende “ Language Planning News­letter” .

26 Zu diesen und anderen m ethodischen Prinzipien, die allen Wissenschaften gemeinsam sind, s. H. R oth, Die Bedeutung der empirischen Forschung für die Pädagogik. In: S. Oppolzer (Hrsg.), Empirische Forschungsmethoden (= Denkformen und Forschungsmethoden der Erziehungswissenschaft 2), München, 15 - 62.

27 Vgl. CI. und W. Stern, Die Kindersprache, Leipzig 1922, 3. Aufl., 98.

28 Vgl. Schuchardt (1922, 139).

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K A RL H EIN Z BAUSCH

Sprachvariation und Sprachwandel in der Synchronie1

1. Vorbem erkung

Dieser Beitrag beschäftig t sich m it dem T heorie-E m pirie-Problem in der Linguistik. A usgangspunkt ist die Frage, w ie d ie H eterogen itä t des Sprachgebrauchs in eine synchrone S truk tu rbesch re ibung in tegriert w er­den kann und wie aus D aten zur Sprachvariation in der S ynchronie Prog­nosen au f künftigen Sprachw andel gezogen w erden k ö n n en .2 Es w ird ge­zeigt, daß die F orderung nach deskrip tiver A ngem essenheit e inzelsprach­licher S truk tu rbeschre ibungen erst e ingelöst w erden kann , w enn eine prognostische K om ponen te in synchrone M ethoden in teg riert w ird . V or­geschlagen w ird eine m ögliche em pirische Forschungsstrategie, m it der über kon tro llie rte Tests die H eterogen itä t des Sprachgebrauchs system a­tisch e rfaß t w erden kann . A ußerdem w erden K riterien genann t, m it de­nen aus Sprachvariationen au f Sprachw andel geschlossen w erden kann. Der V orschlag w ird angew endet au f den M odusgebrauch in der ind irek ­ten Rede in d e r gesprochenen deu tschen S tandardsprache.

Z ur A bgrenzung des T hem as sind einige grundsätzliche A nm erkungen er­forderlich . V oran d ie triviale Feststellung, daß S prachvariation und Sprachw andel p rim är ein In teressensgebiet ist, um das sich eine einzel­sprachlich o rien tie rte L inguistik zu küm m ern ha t. Es gehö rt in den Be­reich der em pirischen P ragm atik .3 Z ur B eschreibung und E rklärung von Sprachvariation und Sprachw andel in einer E inzelsprache genügt es vor­erst, sich m it em pirisch fu n d ie rten H ypo thesen oder T eiltheorien zu be­gnügen, d ie au f b estim m te k o n k re te Sprachgem einschaften zugeschnitten sind. Die U niversalienfrage w ird vorerst zurückgestellt. Diese F orschungs­strategie schein t zum indest in A nbe trach t des gegenw ärtigen S tandes der Sozialw issenschaften die angem essenere zu sein.4

2. Synchrone L in gu is tik — eine M e thodenk rit ik

Die synchrone L inguistik versteh t sich w eitgehend als dok u m en tie ren d e— als h isto rische — W issenschaft. Sie beschre ib t ein bestim m tes Sprach-stadium en tw eder als ein hom ogenes System oder — w eitaus se ltener — als ein zw ar heterogenes System , in dem jedoch V arian ten lediglich den S tatus von F u ß n o ten e rh a lten .5 Ihr feh lt w eitgehend eine prognostische K om ponen te . Sie versucht kaum , Aussagen über m öglichen Sprachw andel in der Z u k u n ft zu m achen . E n tsp rechende A nsätze in der D ialektologie

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oder in der Soziolinguistik sind die A usnahm e.6 A uch C hom skys K on­zep t d e r sprachlichen K reativ itä t w eich t n ich t von dieser T rad ition ab; denn K reativ ität ist nach diesem K onzept nu r insow eit gegeben, als Ä uße­rungen m it den vorgegebenen Regeln — die die Sprachnorm rep räsen tieren — generiert w erden können . Das P roblem sprachlicher Innovation b le ib t ausgeklam m ert.7

Die Frage nach prognostischen M öglichkeiten in der synchronen Linguistik ist m .E . ein zentrales P roblem der T heorie-E m pirie-R elation , das gelöst w erden m uß, w enn m an die F orderung , linguistische B eschreibungen soll­ten einen m öglichst hohen Grad an deskrip tiver A ngem essenheit auswei- sen, e rn s th a ft realisieren m öch te . Die in S truk tu rbeschre ibungen wegen der H eterogenität des Sprachgebrauchs erfo rderlichen theo riebed ing ten und substan tie llen Idealisierungen (die no rm ierende F u n k tio n haben) müssen tran sp aren t und kon tro llie rb a r gem acht w erden . Sie müssen in der Weise erfolgen, daß m an sich n ich t dem V orw urf p räsk rib ierenden V er­haltens aussetzt. Diesem V orw urf kann m an m .E . nu r en tgehen , w enn aus d er H eterogenität des S prachgebrauchs Prognosen zum Sprachw andel ab­geleite t w erden können , die dann K riterien für diese no rm ierenden Ideali­sierungen abgeben .8

Die T atsache, daß die Frage m öglicher Prognosen zum Sprachw andel in der Synchronie kaum b eh an d e lt w urde, läß t sich m .E . erk lären aus drei W issenschaftskonventionen.

Die erste K onvention b esteh t in der seit de Saussure akzep tie rten analy ti­schen T rennung von D iachronie und S ynchronie, in der im plizit angelegt ist, daß in einer au f S ynchronie angelegten Forschungsstrateg ie keine Fragestellungen zur D iachronie zuzulassen sind. Synchrone S tru k tu rb e ­schreibung b ed eu te t seither im günstigsten Fall eine idealisierte D okum en­ta tio n eines bestim m ten Sprachstadium s.

Die zw eite W issenschaftskonvention ist eng m it der ersten verbunden . Sie b e tr iff t d ie D ichotom ie langue bzw . com petence und parole bzw . perfor- m ance. G egenstand einer synchronen S truk tu rbeschre ibung kann nur die langue bzw . com petence sein, n ich t die parole bzw . perfo rm ance. N un p rak tiz ie rt aber die Linguistik p erm anen t B eschreibungen der K om petenz von E inzelsprachen, ohne daß sie darüber re flek tie rt, daß der Übergang von Perform anz zu K om petenz — dieser oben erw ähn te erforderliche Idealisierungsprozeß — einer em pirischen Ü berprüfung und L egitim ation b ed arf.9 Selten w ird die F orderung erhoben , diese Idealisierungen nich t nu r theore tisch , sondern auch em pirisch zu legitim ieren. N och seltener w ird diese L egitim ation in der B eschreibungspraxis realisiert.

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Die R eflexion über em pirische M ethoden , sei es zur D atenerhebung , zur G ruppierung gew onnener D aten oder zur Ü berprüfung von H ypothesen , w ird ausgespart. Dagegen w urde der u n k o n tro llie rte Sprung von Perfor- m anz zu K om petenz zur W issenschaftskonvention. C hom sky h a t schließ­lich, indem er das K o n stru k t K om petenz des idealen Sprecher-H örer in e iner hom ogenen S p rachgem einschaft10 e in führt, diese K onvention zu einer A rt A xiom erhoben , m it dem n ich t n u r die D iskussion um d ie Frage, wie die H eterogen itä t des S prachgebrauchs in linguistischen B eschreibun­gen angem essen e rfaß t w erden kann , sondern auch die D iskussion um em pirische E rhebungsprozeduren abgeblock t w ird . Es ist nu r ko n seq u en t, daß u n te r d ieser Präm isse Fragen nach Sprachvariation oder Sprachw an­del in der Synchron ie n ich t au fkom m en k o n n te n .11

Als d ritte W issenschaftskonvention m uß die B ehauptung genann t w erden, die L inguistik sei eine deskrip tive W issenschaft. Die F orderung nach Des- k rip tiv itä t w ird gem einhin bere its als realisiert angesehen, w enn d e r Lin­guist d a rau f verz ich te t, exp liz ite qualita tive oder ästhetische U rteile über den Sprachgebrauch abzugeben. Diese E n tha ltsam keit k o n stitu ie rt jedoch noch keine W issenschaftsm ethode.12

H in ter der B ehauptung, der L inguist verhalte sich deskrip tiv , s teh t das V ersprechen, daß die S truk tu rbesch re ibungen , die er g ib t, den konventio- nalisierten Sprachgebrauch in einer Sprache o d e r Sprachsch ich t angem es­sen beschreiben, w obei u n te r ‘angem essen’ zu verstehen ist, daß d ie Be­schreibungen und E rklärungen für den Sprecher einer Sprachgem einschaft von kom m unikativer Relevanz s in d .13

Man kann n ich t b eh au p ten , daß dieses V ersprechen bereits e ingelöst w äre. Der m ögliche G rad der deskrip tiven A ngem essenheit ist erstens abhängig von den bere its e rw ähn ten erfo rderlichen Idealisierungen, die der L inguist vornehm en m uß , w enn er die S prachkom petenz beschreiben m öch te . Er ist zw eitens abhängig von dem M odell, das er der B eschreibung zugrunde­legt. B estim m te M odellkonzeptionen lassen eben nu r b estim m te E rk lärun­gen über die Sprache zu. Diese E rkenn tn is ist n ich t neu. D arauf haben un ­te r anderen schon Paul, de Saussure und B loom field h ingew iesen .14

Das bisher G esagte läß t sich au f den fo lgenden N enner bringen: D er L in­guist ist, bed ing t du rch die A rt des G egenstandes, m it dem er sich b e ­schäftig t, gezw ungen zu abstrah ie ren , d .h . le tz tlich zu norm ieren . Solange er aber d ie P rob lem atik d ieser no tw endigen N orm ierungen n ich t reflek ­tie rt, d .h . solange er den Idealisierungsfak tor in der D atenbasis und in der M odellkonzeption n ich t in die M ethodendiskussion der W issenschafts­disziplin e inbez ieh t, kann er das P roblem der deskrip tiven A ngem essen­heit n ich t lösen.

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Sobald er jedoch diese m ethod ischen P roblem e re flek tie rt, w ird e r sich zw angsläufig m it d e r H eterogen itä t des Sprachgebrauchs auseinanderset­zen müssen und Sprachvariation und Sprachw andel auch u n te r synch ro ­nem A spekt them atisieren müssen. B edenkt m an außerdem , daß S tru k tu r­beschreibungen vom B enutzer als A nw eisungen über den Sprachgebrauch in te rp re tie rt w erden k önnen und som it sp rachplanende F u n k tio n haben kön nen , w ird der L inguist seine T ätigkeit auch u n te r dem A spekt m ögli­cher sprachpflegerischer Folgen zu prüfen haben .

N un k ö n n te der V erdach t au fkom m en , h ier w erde w ieder die von Bloom- field gefo rderte W issenschaftsstrategie v e rtre ten , nach der n u r von der paro le ausgehende induktive Schlüsse in der L inguistik zulässig seien, die von natürlichen K orpora au sg eh en .15 Dem ist n ich t so. Es geh t vielm ehr darum , dem zen tralen Prinzip In tu itio n in der L inguistik die A lib ifunk­tion zu nehm en, d ie es d erze it noch w eitgehend h a t, und dieses Prinzip zum G egenstand der D iskussion um em pirische E rhebungs- und Ü ber­p rüfungsprozeduren zu m achen und d am it em pirisch zu fu n d ie re n .16 Die h ier v ertre tene Position deck t sich w eitgehend m it der Forschungs­strategie, die Bühler in seiner Sprach theorie vorgeschlagen h a t, w enn er schreib t:

Man vertraue sich also der echt phänomenologischen Grundhaltung der lo­gischen Untersuchungen an und übe das Einklammern. Dann werden dem Monadenwesen, welches alle Tentakeln eingezogen hat, im Felde der Des- carteschen Cogitatio Schritt für Schritt Strukturgesetze des Bedeutens auf­gehen. Woran eigentlich? Natürlich an den Modellen, die dieser Diogenes im Faß gewinnt an der von Kindheit auf von ihm gelernten und gesprochenen Sprache.17

D och diese In tro sp ek tio n re ich t nach Bühler n ich t aus für die angem esse­ne B eschreibung von E inzelsprachen. Er fäh rt fo rt:

Allein um von da zu einem System wie ‘die deutsche Sprache’ oder ‘Lingua Latina’ zurückzukehren, gehört erstens nach dem Einklammern das ebenso notwendige Wiederausklammern und das Verlassen des Monadenraums m it seiner nichts als intendierten (vorgestellten) W elt.17

Eben eine m ögliche S trategie des W iederausklam m erns soll im folgenden zur D iskussion gestellt w erden . Sie soll D aten und K riterien bere itste llen , m it denen der erfo rderliche Idealisierungsfak tor kon tro llie rb a r gem acht w erden kann.

3. E inige Präm issen über Standardsprache

Die gefo rderte em pirische S trategie läß t sich nur sinnvoll au f eine E inzel­sprache hin konzip ieren . Der hier zur D iskussion gestellte A nsatz soll zu-

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nächst n u r für die deu tsche S tandardsp rache gelten . Sie ist diejenige Sprachschicht, an der Bühlers Em pfehlung, das W iederausklam m ern zu üben, zw eckm äßigerw eise ansetzen sollte, w eil h ier S tru k tu rb esch re ib u n ­gen der L inguistik , in trad itione llen G ram m atiken kod ifiz ierte N orm en und Sprachgebrauch in e iner Sprachsch ich t k o n fro n tie r t w erden können .

Die fo lgenden Ü berlegungen gehen von fünf E rfahrungssätzen über die S tandardsprache aus. Sie haben die F u n k tio n von P räm issen .18

1. Das überregionale K om m unikationsm itte l S tandardsp rache ist in sich n ich t hom ogen. Es ist zum indest zu un terscheiden zw ischen dem sekun­dären System S chriftsprache und dem prim ären System gesprochene S tandardsprache.

2. Die S chriftsprache ist das konservative System . Sie ist stark an den N orm en der Schul- und G ebrauchsgram m atiken ausgerichtet. Das gilt insbesondere für d ie Schrift- und L esesprache der M assenm edien.

3. Für die gesprochene S tandardsprache gilt: je fo rm aler oder ö ffen tli­cher d ie K om m un ika tionssitua tion ist, d esto s tärker ist das Sprachver- halten der S precher an den sch riftsprach lichen N orm en und den V or­schriften der G ram m atiken und am schriftsprach lichen Sprachge­brauch o rien tie rt.

4. Diese Ü berschneidungen zw ischen G ram m atikp räsk rip tionen , sch rift­sprachlichem und gesprochensprachlichem Sprachgebrauch lassen sich als In terferenzerscheinungen beschreiben.

5. In terferenzerscheinungen k önnen sich in einem der Subsystem e der S tandardsprache nur dann als N orm etab lieren , w enn sie gegenüber den Ä quivalenten , für die sie stehen kö n n en , einen höheren Prestige­w ert haben.

D er System begriff von S tandardsp rache , d e r h in te r diesen Präm issen steh t, schließt insbesondere an Ü berlegungen d e r Prager Schule und ih rer N ach­folger an, die die Sprache als ein d ifferenziertes funk tionales System in Z en trum und Peripherie g lied e rn .19

4. A nsätze zu einer em pirischen S trategie

A usgehend von dem eben genann ten K onzep t S tandardsprache und der K ritik an den W issenschaftskonventionen der synchronen L inguistik w äre nun eine em pirische S trategie zu en tw icke ln , die n ich t von d e r Präm isse ausgeht, es gebe eine einzige N orm ebene (eine langue, eine hom ogene S prachkom petenz), die als B ezugssystem angenom m en w er­den könne, die zu beschreiben sei und von der aus dann A bw eichungen

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darzustellen seien. Die S trateg ie d a rf n ich t einseitig g erich te t sein, son­dern m it ihr m uß die In te rre la tion der e inzelnen Subsystem e im Sprach­gebrauch em pirisch e rm itte lt w erden können und zw ar so, daß In te rfe ­renzerscheinungen d iaphasisch und d iastratisch lokalisiert w erden kö n ­nen . D en V orschlag für eine en tsp rechende em pirische S trategie m öch te ich in sechs A nalyse- und S yn theseschritten skizzieren:

E r s t e r S c h r i t t : E r gilt d er A nalyse d e r B eschreibungstrad ition , d .h . insbesondere den B eschreibungen in w issenschaftlichen und pädago­gischen G ram m atiken . In ihm m ußa. die s truk tu re lle A nalyse der als V arian ten verdäch tig ten ausdruckssei­

tigen E lem ente erfolgen. E benso m ußb. eine vergleichende A nalyse der In te rp re ta tionsm odelle in der Beschrei­

bungstrad ition vorgenom m en w erden , um daraus eine neue A rbeits­hypo these abzu le iten oder eine plausible zu übernehm en. A ußerdem müssen

c. die M einungen in S prachkritik und Sprachpflege zum O bjek tbere ich beschrieben w erden.

M it dieser k ritischen Ü bernahm e der B eschreibungstrad ition w ird C hom s­kys K onzept korrig iert, nach dem d e r L inguist zunächst einm al d ie s tru k ­tu re llen In fo rm ationen , d ie in trad itione llen G ram m atiken inform ell ge­geben w erden , übernehm en so llte .20 Eine solch unkritische Ü bernahm e von D aten en th ä lt im plizit einen R ückkopplungsprozeß ; denn m it ihm w erden auch deskrip tiv n ich t angem essene B eschreibungen trad ie r t, die lediglich zur id io lek talen K om petenz des G ram m atikers o d e r A nalysators gehören.

Z w e i t e r S c h r i t t : Nach dem ersten S ch ritt ist ein angem essenes T estverfahren zu en tw ickeln , das die fo lgenden Bedingungen erfüllen m uß:a. Es m uß au f die Ü berprüfung der im ersten S ch ritt gew onnenen H ypo­

these angelegt sein.b. Es m uß die S p rech erin tu itio n zugänglich m achen .c. Es m uß beliebig w iederho lbar sein, d .h . es m uß k o n tro llie rt und m ani­

pu liert sein.d. Das T estverfahren m uß au f m indestens zwei d iaphasisch un te rsch ied ­

liche E benen der S tandardsp rache h in m an ipu lierbar sein, d am it eine K on trastierung der aus dem T est e rhaltenen D aten in d iaphasischer V ariation m öglich w ird .21

e. Die diaphasische T estvaria tion ist am selben In fo rm an tensam p le zu testen .

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Als sam ple sollte eine hom ogene G ruppe von Sprechern gew ählt w erden, die in standardsp rach liche K om m unikationssitua tionen eingeübt sind.Als sam ple em pfieh lt sich die A ltersgruppe zw ischen 20 und 40 Jah ren , weil von deren Sprachverhalten au f das Sprachverhalten d e r kom m enden G eneration geschlossen w erden kan n .22

D r i t t e r S c h r i t t : D urchführung des T ests und A usw ertung der T estergebnisse. A ufgrund der sta tistischen A usw ertung w ird die u n te r Schritt eins angenom m ene A rbeitshypo these überprüft.

V i e r t e r S c h r i t t : N un w erden die sta tistischen Ergebnisse der in diaphasischer V ariation w iederho lten T ests un te re in an d er k o n fro n tie r t. D abei w erden vorläufige Aussagen über eine system atische diaphasische V ariation der ge tes te ten Sprachelem ente gem acht.

F ü n f t e r S c h r i t t : Nach der im d ritte n und v ierten S ch ritt erfo lg­ten Testanalyse und der vorläufigen D aten in te rp re ta tio n w ird nun die V ersuchsanordnung selbst au f ihre A ngem essenheit im H inblick au f na­türliche Sprechsitua tionen d isku tie rt. Diese B ew ertung m uß gegenw ärtig noch w eitgehend vorw issenschaftlich in tu itiv b leiben , weil noch ausrei­chende E rfahrungen au f dem G ebiet der S itua tionsm an ipu la tion für Sprach tests feh len . Die D iskussion über den Grad der A ngem essenheit der V ersuchsanordnung erm öglicht eine B ew ertung der Testergebnisse auf ihre R ep räsen ta tiv itä t im H inblick au f den konven tionalisierten Sprachgebrauch, d .h . eine en tsp rechende U m in te rp re ta tion der e rm itte l­ten S prachdaten aufgrund der T e s tk r itik .23

S e c h s t e r S c h r i t t : ln diesem le tz ten S ch ritt w erden die im voran­gegangenen S ch ritt u m in te rp re tie rten S p rachda ten zugrundegelegt. Aus der K o nfron ta tion der d iaphasischen V aria tionen u n te re inander und m it der vorhandenen B eschreibungstrad ition , d ie im ersten S ch ritt analysiert w urde, w erden nun Prognosen zu künftigem S prachw andel fo rm u lie rt.Die m ögliche R ich tung des Sprachw andels w ird ausgelöst von u n te r­schiedlichen F ak to ren , die m it in die prognostischen Ü berlegungen e in­bezogen w erden müssen. Die Ergebnisse d ieser prognostischen In te rp re ­ta tio n müssen in d ie abschließende S truk tu rbesch re ibung eingehen in Form von K riterien für d ie notw endigen N orm ierungen . A uf diese Weise kann der Idealisierungsfak tor zum indest teilw eise tran sp a ren t gem acht w erden.

5. R ich tungsgebende F ak to ren des Sprachw andels

Die folgenden — zugegebenerm aßen vorläufigen — Ü berlegungen zum Sprachw andel sind g e rich te t au f diejenigen auslösenden F ak to ren , die

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auch in der heu tigen deu tschen S tandardsp rache w irksam w erden und zur In te rp re ta tio n von Sprachvariation als S prachw andel beitragen kö n ­nen.

Ausgegangen w ird von vier Präm issen, deren em pirische F und ierung m it D aten aus der D iachronie gegeben w ird.

1. Präm isse vom S truk tu rw andel: Die h isto rische E ntw ick lung des D eu t­schen geh t vom syn thetischen zum analy tischen Sprachbau .

Diese Präm isse ist trivial. Sie läß t sich aus jed e r d iach ronen U ntersuchung des D eutschen em pirisch herle iten . Z ur h is to rischen E ntw ick lung der Tem pus- und M odusm orphologie zum analy tischen S prachbau h in sei hier nu r au f die zusam m enfassende D arstellung von W erner verw iesen .24

V eränderungen in der S p rach s tru k tu r führen, unabhängig davon, w odurch sie ausgelöst w urden , zunächst zu bedeu tungsäqu ivalen ten D ou b le tten in der G ram m atik (bestehend aus den trad ie r ten archaischen und den neuen S tru k tu re lem en ten ). Bezogen au f das R egelinventar einer G ram m atik be­d e u te t das,

that while linguistic change is in progress, an archaic and an innovating form coexist within the grammar: this grammar differs from an earlier grammar by the addition o f a rule, o r perhaps by the conversion of an invariant rule to a variable rule.2 ̂

Die älteren D o ub le tten verschw inden im V erlauf der w eiteren S p rachen t­w icklung. Indiz für das V erschw inden o der die E tab lierung von E lem enten kann das K riterium G ebrauchshäufigkeit sein. A bnehm ende G ebrauchs­häufigkeit, die zum A ufgeben einer S tru k tu rd o u b le tte führt, k ann d irek t durch soziale F ak to ren ausgelöst w erden oder in d irek t bed ing t sein du rch struk tu re lle V eränderungen au f einer anderen linguistischen E bene. So haben z.B. V eränderungen au f phonolog ischer E bene beim K onjunktiv zur A ufgabe von M orphem oppositionen dem Indikativ gegenüber ge­füh rt.26 O ffensichtlich b e s teh t jedoch ein g rundsätz licher Zusam m enhang zw ischen hoher G ebrauchshäufigkeit von S prachelem en ten und R esistenz gegenüber Sprachw andel. Je freq u en te r ein S tru k tu re lem en t ist, desto länger b eh au p te t es sich in der D iachronie, Dies gilt für die A usdruckssei­te . A uf der Inhaltsseite k ö n n en jedoch bei diesen resisten ten E lem enten V eränderungen e in tre ten .27 Ist das der Fall, d ann h an d e lt es sich um eine der oben erw ähn ten “ conversion o f an invariant rule to a variable ru le” .

Diese Eaten führen zu einer w eiteren Präm isse:

2. Präm isse vom S truk tu rausg leich : D urch e ingeleite ten Sprachw andel bed ing te ausdrucksseitige D o ub le tten (V arian ten ) w erden im V erlauf d e r w eiteren S prachentw ick lung in der Weise beseitig t, daß die archai-

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sehen V arian ten verschw inden. Je h ö h er jedoch die G ebrauchshäufig­k e it von S p rachelem en ten ist, d esto länger beh au p ten sie sich in der D iachronie.

N eben diesen u n te r rein linguistischem A spekt aus der D iachronie herle it­baren F ak to ren des Sprachw andels g ib t es soziale F ak to ren , d ie rich tungs­gebend für Sprachw andel sein kö n n en . Z unächst ist festzuhalten , daß eine Sprache, die ein alphabetisches (oder ein ähnliches an der Phonologie oder M orphologie ausgerich tetes) T ranslite ra tionssystem besitz t, d am it auch eine N orm ha t, in der ein bestim m tes S prachstad ium konserv iert ist. Das gilt insbesondere dann , w enn dieses S chriftsystem durch au to risie rte In ­stitu tio n en festgeschrieben ist und für verbindlich erk lärt w ird . W eiter ist festzuhalten , daß das Beschreiben oder V orschreiben von Sprachgebrauch in Form von w issenschaftlichen oder pädagogischen G ram m atiken norm ie­rend au f den Sprachgebrauch einw irk t. M it E inführung einer allgem einen U n terrich tsp flich t w ird diese no rm ierende W irkung der G ram m atiken in s titu tiona lisie rt und gefö rdert. A uch h ier gilt — wie bei der O rthograph ie daß diese G ram m atiken ein bestim m tes S prachstad ium konservieren . In der Regel lehnen sie sich an das durch die O rthograph ie festgehaltene Sprachstad ium an .28 Die Ü berlegungen führen zur nächsten Präm isse:

3. Präm isse von der in stitu tiona lisie rten N orm ierung: M it der O rthog ra­phie w ird ein bestim m tes archaisches S prachstad ium festgehalten . Die D eskrip tionen und P räskrip tionen d e r G ram m atiken sind an dieses Sprachstad ium angelehnt. N orm ierende In s titu tio n en und B ildungsein­rich tungen propagieren und trad ie ren dieses Sprachstad ium .

V eränderungen dieses Sprachstad ium s setzen voraus, daß trad ie r te und institu tionalisierte N orm ierungen ignoriert w erden , und daß deren N icht- B eachtung in d e r Sprachgem einschaft ak zep tie rt w ird . Die Frage, ob sol­che zunächst au f einzelne Individuen eingegrenzte V eränderungen zu einem Sprachw andel geführt haben, k an n in der D iachronie anhand b eo b ach te te r V eränderungen der H äufigkeitsrelation u n te r V arian ten be­a n tw o rte t w erden . Das K riterium H äufigkeit als Indiz für Sprachw andel ist an die vergleichende A nalyse von m indestens zwei zeitlich auseinander­liegenden Sprachstad ien , d .h . an die d iach rone M ethode gebunden . Es ist deshalb n ich t au f d ie synchrone M ethode übertragbar.

D iachrone U ntersuchungen zeigen im m er w ieder, daß die V eränderung von H äufigkeitsrelationen in der Regel zugunsten der V arian ten verläuft, die ein höheres Sozialprestige in der S prachgem einschaft h a b e n .29 D araus läß t sich die v ierte Präm isse fo rm ulieren :

4. Präm isse zur S prachbew ertung: Sprachw andel, insbesondere die V er­änderungen in der H äufigkeitsrelation u n te r V arian ten , w ird ausgelöst

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o d er zum indest verstärk t durch das un tersch ied liche Sozialprestige, das den einzelnen V arian ten in der Sprachgem einschaft zugewiesen ist.

Das in der D iachronie anw endbare sp rach in te rne K riterium H äufigkeit m u ß dem nach in der Synchronie e rse tz t w erden durch das sp rachex terne K riterium Sozialprestige von Sprachvarianten , das über Sprachbew ertungs- tes ts zu e rm itte ln w äre. O ben in A bschn itt 3 w urden m it den Präm issen 2, 3 und 5 bere its E rfahrungssätze zur d iaphasischen S tra tifik a tio n in der S tandardsp rache und zur P restigefunk tion dieser S tra ten in der Sprachge­m einschaft fo rm uliert. A usgehend von der genann ten P restigefunk tion dieser S tra ten kann nun auch im R ahm en einer synchronen A nalyse w ie­derum das in terne K riterium H äufigkeitsrelation — nun aber bezogen au f die V ariation in den einzelnen diaphasischen S tra ten — als K riterium zur Prognose von Sprachw andel herangezogen w erden . Für d ie In te rp re ­ta tio n der R ich tung des Sprachw andels ist außerdem m it en tscheidend , w elche Position G ram m atik u n d S prachkritik einnehm en.

Mit den K riterien diaphasische H äufigkeitsrelation , G ram m atikposition und S prachbew ertung k ö n n en anhand der Ergebnisse aus T ests, die die oben in A bschn itt 4 , S ch ritt zwei, genann ten Bedingungen erfüllen, fo l­gende Prognosen zur verm utlichen E ntw ick lung von Sprachw andel ge­m ach t w erden:

Ist die H äufigkeitsrelation der V arian ten in den einzelnen diaphasischen S tra ten gleich (oder annähernd gleich), dann ist w ahrscheinlich , daß Sprachw andel in R ich tung der häufiger vorkom m enden V arian te ver­läu ft. Wird diese V arian te auch in den G ram m atiken als H aup tvarian te genann t, e rh ö h t sich (nach Präm isse 2) diese W ahrscheinlichkeit. N ennen die G ram m atiken dagegen die w eniger häufige V arian te als N orm , dann dürfte diese N orm ierung dazu beitragen , daß sich der s ta tu s quo zum in­dest im ö ffen tlichen S tra tum nur sehr langsam än dert, da über die G ram ­m atikp räsk rip tion die G ebrauchshäufigkeit m an ipu liert w ird . Die Frage, wie erfolgreich diese M anipu lation verm utlich ist, kann über Sprachbe- w ertungstests geprüft w erden . H at diese G ram m atikp räsk rip tion tro tz der niedrigen G ebrauchshäufigkeit einen hohen Prestigew ert im ö ffe n t­lichen S tra tum , dann dü rfte die M anipulation au f die D auer erfolgreich sein.

Ist die H äufigkeitsrelation der e inzelnen V arian ten in den einzelnen S tra ten un tersch ied lich , k ö n n en je nach D aten z.B. d ie fo lgenden Prog­nosen über die w ahrscheinliche E ntw ick lung des Sprachw andels gem acht w erden: In der Regel ist die im ö ffen tlichen S tra tu m häufigere V arian te die V arian te , in deren R ich tung der Sprachw andel verläu ft. Das gilt ins-

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besondere, w enn diese V arian te auch durch die G ram m atiken als N orm in te rp re tie rt w ird . S tü tz t d ie G ram m atik dagegen die im n ich t-ö ffen tli­chen S tra tum häufigere V ariante, dann ist w ahrschein lich , daß sie künftig auch im ö ffen tlichen S tra tu m die N orm sein w ird . A uch hier können durch S prachbew ertungstests die Prognosen präzisiert w erden .

Diese in g roben Zügen skizzierten M echanism en zur Prognose von S prach­w andel sind sow ohl au f eingeleite ten stru k tu re llen als auch au f stilisti­schen (d iaphasischen) Sprachw andel anw endbar. E ingeleiteter s tru k tu re l­ler Sprachw andel liegt dann vor, w enn m indestens eine der V arian ten kein vollständiges Paradigm a b ilde t o d e r nu r u n te r bestim m ten s tru k tu re l­len B edingungen angew endet w erden kann . Das ist z.B. bei der K on junk ­tivm orphologie gegeben. W ährend die syn thetischen K onjunktive ein ru­d im en täres N um erusparadigm a haben u n d /o d e r n u r von bestim m ten V erbklassen geb ildet w erden können , h a t der analy tische K on junk tiv (die sog. w ürde-U m schreibung) ein vollständiges Paradigm a, das au f alle V erbklassen anw endbar ist.

Da nach den oben genann ten Präm issen eins und zwei Sprachw andel zum S truk turausg leich führt, w ird langfristig der Sprachw andel in R ich tung d er n ich t ru d im en tären V arian te gehen. In den B ereichen, in denen noch struk tu re lle V arian ten m öglich sind, h ande lt es sich um stilistischen Sprachw andel. P rognosen zum stilistischen Sprachw andel k ö nnen d em ­nach gleichzeitig Aussagen über die In ten s itä t sein, in der sich s tru k tu re l­ler Sprachw andel w ahrscheinlich vollziehen w ird.

In den genann ten Fällen kann m an auch ohne S prachbew ertungstests zu d ifferenzierteren A ussagen über künftigen Sprachw andel kom m en , w enn m an die H äufigkeitsrelation der V arian ten n ich t nu r in d iaphasisch u n te r­schiedlichen B ereichen te s te t, sondern darüber h inaus auch innerhalb der d iaphasischen V ariation prüft, w ie sich die V arian tenverteilung in A n­w endungsbereichen verhält, d ie un tersch ied liche abso lu te H äufigkeit im Sprachgebrauch haben , aber diaphasisch n eu tra l sind. Im Bereich der M odusm orphem klassen ist dies m öglich insofern , als m an im Sprachge­brauch un tersch ied lich häufig vo rkom m ende V erben w ählen kann (z.B.: haben, sein, ko m m en , geben, nehm en, helfen , sterben).

Nach Präm isse zwei m üßten die im Sprachgebrauch un tersch ied lich häu ­fig vo rkom m enden S tru k tu ren auch un tersch ied liche H äufigkeitsrelatio ­nen aufw eisen. Je e inheitlicher die H äufigkeitsrelation einer S tru k tu r b estim m ter H äufigkeitsklasse über d ie d iaphasische V ariation hinw eg b le ib t, desto stab iler ist die H äufigkeitsverteilung der V arian ten in dieser H äufigkeitsklasse gegenüber künftigem S prachw andel.

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K onfron tie rt m an die H äufigkeitsrelation der V arian ten der einzelnen H äufigkeitsklassen in den un tersch ied lichen d iaphasischen S tra ten darüber hinaus m it den G ram m atiknorm en , dann kann daraus d ie W irkung dieser N orm en im Sprachgebrauch abgele ite t w erden . G eringe V erschiebung der H äufigkeitsrelation in un tersch ied lichen d iaphasischen S tra ten d eu te t au f starken E influß d e r G ram m atikno rm en hin.

6. Dem onstration der Strategie am Modusgebrauch

Als D em onstrationsbeispiel m öch te ich nun die vorgeschlagene em piri­sche S trategie au f den O bjek tbere ich ‘M odusgebrauch in der ind irek ten R ede der gesprochenen deu tschen S tandardsp rache’ anw enden . U nab­hängige V ariable sind d ie d iaphasische S itu a tio n sstra tifik a tio n und die V orkom m enshäufigkeit der V erben, abhängige V ariable sind die M odus­m orphem klassen Indikativ , K on junktiv I und K onjunktiv II. Bei der In ­te rp re ta tio n der Forschungssituation und der T estergebnisse w erde ich den Schw erpunk t auf den K onjunktivgebrauch legen.

S c h r i t t e i n s ist die kritische Ü berprüfung der B eschreibungstradi­tio n . Z unächst die s truk tu re lle B ew ertung der V arian ten : Die G ram m ati­ken und M onographien zum K onjunktiv gehen ohne A usnahm e vom syn thetisch geb ildeten K on junktiv aus. Die analy tisch geb ildete Form , d ie sogenannte tui/nte-U m schreibung, w ird als eine Subvariante beh an ­d e lt .30 Da jedoch die syn thetisch geb ildete F orm des K on junktiv I nur für einen Teil des Paradigm as, die des syn thetischen K onjunktiv II nu r von einer bestim m ten V erbklasse, den unregelm äßigen V erben , geb ildet w er­den kann, he iß t das, daß die B eschreibungstrad ition Subvarian ten als s truk tu re lle H auptvarian ten ausgibt. Diese E ntscheidung kann n ich t als struk turangem essen bew erte t w erden , sondern b e ru h t o ffensich tlich auf sprachästhetisch stilistischen K riterien . Sie ist präskrip tiv .

N un zur K ritik der In te rp re ta tionsm odelle in der B eschreibungstradition: Die L ite ra tu r zum M odusbereich geh t fast ausnahm slos von einer 1 ^ - R e ­lation zw ischen Inhalts- und A usdrucksseite au f m orpholog ischer Ebene a u s .31 Dieses M odell w ird in der B eschreibungspraxis jedoch stellenw ei­se aufgegeben, en tw eder weil das M odell der E m pirie n ich t gerech t wird u n d /o d e r weil im M odell w idersprechende N orm ierungen eingeführt w e rd e n .32

Bei der E rklärung der kom m unikativen F u n k tio n der M odusm orphem ­klassen in der ind irek ten Rede sind drei P ositionen zu un terscheiden :

1. eine s tr ik t M odell-konform e P osition , nach der die M odusm orphem ­klassen Indikativ , K on junk tiv I und K on junk tiv II eine bestim m te

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gram m atische G ru n d fu n k tio n haben , näm lich S tellungnahm e des Sprechers zum b e rich te ten Sachverhalt:Indikativ: Für-w ahr-H alten des B erich teten ,K on junk tiv I: neu tra les B erichten ohne S tellungnahm e,K on junk tiv II: Bezweifeln des B erich te ten ;

2. eine gem äßigte Position , nach d e r zw ar die in Position eins gegebene sem antische In te rp re ta tio n der M odusm orphem klassen gelten soll, in der aber g leichzeitig au f einen abw eichenden Sprachgebrauch h inge­w iesen w ird ;

3. eine dem M odell w idersprechende Position , nach der die M odusm or­phem klassen Indikativ , K on junk tiv I und K on junk tiv II b edeu tungs­äquivalent s in d .33

Die erste Position kann m an eine m odelladäquate , die zw eite P osition eine no rm ierende und d ie d r i tte eine inform elle B eschreibung nennen . U nabhängig von der jew eils v e rtre tenen Position bringen die G ram m ati­ken außerdem häufig die E m pfehlung, in der ind irek ten R ede sollte der K onjunktiv geb rauch t w erden . 34Welche der drei B eschreibungen deskrip tiv angem essen ist bezüglich des konven tionalisierten Sprachgebrauchs, ist keine Frage, die von d e r T heo ­rie her en tsch ieden w erden kann , sondern eine Frage der Em pirie, die m it angem essenen em pirischen M ethoden gelöst w erden m uß. Sie ist auch n ich t aus der In tro sp ek tio n des L inguisten ad hoc für die Sprachge­m einschaft zu en tscheiden . G erade die id io lek tale K om petenz des L in­guisten ist vorgeprägt du rch eine überdurchschn ittliche K enntn is der G ram m atiknorm en . H inzu k om m t, daß G ram m atiknorm en und Sprach­pflegekonzepte zum K onjunk tiv verw andt sind. Die Sprachpflege stü tz t sich im w esentlichen au f das oben beschriebene trad ie rte G ram m atikm o­dell, das die sem antischen M oduskategorien an den M odusm orphem klas­sen fes tm ach t. A usgehend von einer A rt Sapir-W horf-H ypothese k om m en­tie rt sie das h isto risch und stru k tu re ll bed ing te Schw inden des sy n th e ti­schen K onjunktivs als einen kognitiven V erlust für die deu tsche Sprach­gem einschaft. Am p rägnan testen fo rm u lie rt R einers diese H altung:

Noch haben wir in Deutschland diese Möglichkeitsform, den Konjunktiv, und können auf diese Weise unterscheiden zwischen dem, was wirklich ist, und dem, was geschehen könnte. Aber in hundert Jahren werden wir diesen Unterschied nicht mehr machen können, denn der Konjunktiv, die Möglich­keitsform, stirb t langsam aus, namentlich in der Umgangssprache Nord- und Mitteldeutschlands. Jedoch solche Unterschiede verwischen heißt, das Den­ken zugrunde zu richten. Wer Möglichkeit und W irklichkeit nicht u n ter­scheidet, ist ein Sprachstümper. s

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N un zu S c h r i t t z w e i , zu r E ntw ick lung eines angem essenen T est­verfahrens, m it dem die Cbrstellung in der B eschreibungstrad ition au f ihre deskrip tive A ngem tssenheit bezüglich des konven tionalisierten Sprachge­brauchs überprüft w erden kann . O der anders gefragt: w ie kann d e r kon- ventionalisierte Sprachgebrauch e rm itte lt, die S p recherkom petenz em pi­risch ob jek tiv iert w erden?

D irekte Befragung von In fo rm an ten über den M odusm orphem gebrauch scheidet aus. M it diesem V erfahren ist d e r oben genann te R ückkopplungs­p rozeß kaum auszuschalten ; denn es ist zu erw arten , daß als A n tw orten die V orschriften der G ram m atiken und n ich t der Sprachgebrauch w ieder­gegeben w erden.

Eine K orpusanalyse ist n ich t m öglich, da die M odusm orphem klassen nach der ersten der drei v e rtre tenen M odushypo thesen d e r G ram m atiken die kon tex tunabhäng ige F u n k tio n ‘E instellung des Sprechers zum be­rich te ten Sachverhalt’ haben . Dieses physische in trapersonale K onzept ist aus dem K o n tex t n ich t deduzie rbar, aber s te ts d u rch den ex trak o m ­m unikativ A nalysierenden h in e in in te rp re tie rbar.

M öglich w äre eine A rt In terv iew technik m it te ilnehm endem B eobachter in natürlichen D ialogsituationen. D urch R ückfragen m üßte der In fo rm an t aufgefo rdert w erden , seine S tellungnahm e zum b e rich te ten Sachverhalt au f einer m etakom m unikativen E bene zu explizieren . W enn der In fo r­m an t z.B. sagt:

er sagte mir, er käm e gleich,

m üßte der In terview er gem äß den G ram m atikpräsk rip tionen rückfragen:

S in d S ie n ich t davon überzeugt, daß er k o m m t?

und die R eak tion des Sprechers au f die Frage als U rteil über die M odus­m o rp h em fu n k tio n w erten . Das V erfahren w äre jedoch sehr ze itau fw en­dig, da solche D ialogsituationen schw erlich m an ipu lierbar und k o n tro llie r­b a r sind. Die In fo rm antenausw ahl w ürde zufällig b leiben . A ußerdem las­sen sich aus diesem T est nur A ussagen über die sem antische In te rp re ta tio n d er M odusm orphem klassen, aber keine rep räsen tativen Aussagen über die diaphasisch bed ing te M odusvariation in ind irek te r R ede m achen .

Eine andere M öglichkeit zur E rm ittlung des konven tionalisierten Sprach­gebrauchs b esteh t darin , daß m an einen oder m ehrere au f die H ypothese d er B eschreibungstrad ition zugeschn ittene T estsätze k o n stru ie r t und einer hom ogenen G ruppe von geübten Sprechern vorgelegt, d .h . m an er­ste llt zur Ü berprüfung der H ypo these ein m anipu liertes K orpus über ko n ­tro llie rte T estverfahren . Dieses V erfahren h a t Ä hn lichkeiten m it Tests, die der Fehleranalyse im U n terrich t d ienen . N ur w ird h ier das Testergebnis

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nich t aufgrund der G ram m atikp räsk rip tionen nach ‘rich tig ’ und ‘falsch’ bew erte t, sondern die G ram m atikbeschreibungen w erden aufgrund des T estergebnisses k ritisiert.

Z ur K orpusm anipu la tion w urde der fo lgende L ückentest kon stru ie rt:

Testsatz 1:Sie sind m it Bekannten zusammengekommen, sitzen gemütlich zusammen. Die Runde spricht über Klaus, der nicht anwesend ist. Sie sprechen von einer Unterhaltung m it Klaus:Ja, und da hat der Klaus gesagt, er (haben) im M om ent sowieso nichtviel zu tun, und um sich nicht irgendwie überflüssig zu fühlen oder so, da(übernehm en)................er doch lieber die Aufgabe. Sie (ko m m en ) ..................ihm gerade recht.

Testsatz 2:Sie sind Kom m entator und geben im R undfunk einen Bericht über eine Ta­gung. Dabei sagen Sie:Der Präsident erklärte, er (haben) ...................... zur Zeit keine weiteren Ver­pflichtungen zu erfüllen, und um sich nicht unnütz zu fühlen, (übernehmen)....................... er gerne die an ihn herangetragene Aufgabe. Sie (kom m en)....................... ihm wie gerufen.

Die beiden T estsä tze stehen in P araphrasenrelation zueinander. Sie vari­ieren lediglich au f d iaphasischer E bene. Die S ituationsanw eisung zu den beiden S ätzen lassen sich e iner nach Ö ffen tlichkeitsgrad der K om m uni­k a tionssitua tion d e fin ie rten Skalierung zuo rdnen . Die S ituationsanw ei­sung von T estsatz eins ist dem u n te ren Teil der Skala, dem Bereich ‘n ich t-ö ffen tlich ’, die von T estsa tz zwei dem oberen Teil der Skala, dem Bereich ‘ö ffen tlich ’ zuzuo rdnen . M it den S ituationsanw eisungen und der diaphasischen V aria tion der ind irek ten R ede ist den In fo rm an ten die M öglichkeit gegeben, sich in tu itiv in die un tersch ied lichen K om m unika­tionssitua tionen zu versetzen. Als eine unabhängige V ariable gilt d em ­nach der Ö ffen tlichkeitsgrad der K om m un ika tionssitua tion .

D er L ückentest w urde von 20 S tu d en ten im A lter von 20 bis 29 Jah ren schriftlich b ean tw o rte t. Sie sind alle im R aum M annheim aufgew achsen und w aren som it w ährend des Spracherw erbs ähnlichen regionalsprach­lichen Bedingungen ausgesetzt.

Für die A usw ahl d e r V erben haben, k o m m e n und (über)nehm en w ar das K riterium H äufigkeit im Sprachgebrauch m aßgebend . Haben, k o m m e n und (iiber)nehm en s tehen in d e r genann ten R eihenfolge in F requenzlisten in absteigender H äufigkeit. Zw eite unabhängige V ariable ist som it das K riterium G ebrauchshäufigkeit.

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Bei der T estausw ertung m ö ch te ich m ich au f d ie E rläu terung der für Sprachvariation und Sprachw andel relevanten Teile des T ests beschrän­ken. Die Testergebnisse zu den drei V erben sind in Fig. 1 als V arian ten ­profile graphisch dargestellt. Die du rchgehende Linie g ib t die Ergebnisse des T estsatzes eins, der ‘n ich t-ö ffen tlich en ’ K om m un ika tionssitua tion w ieder, die du rch b ro ch en e Linie d ie von T estsatz zw ei, d e r ‘ö ffen tlich en ’ K om m un ika tionssitua tion . D er syn thetische K on junk tiv 1 w ird m it K j, der syn thetische K on junk tiv II w ird m it K 2 b eze ichne t. I beze ichne t den Ind ikativ Präsens und U analy tisch gebildete K onjunktiv-II-Form en.

%100 100 100,

90 . . . . 90 9080 80 8Q

70 70 70

60 60 — i 6C

50 50 ' 5C

40 40 ____ L 4C

30 30 ! 3C

20 20 ; 2C

10 10 11 IC

0k

. . . . 0 C

K , I U K K , I U K1

öffentlich (Testsatz 2)

nicht-öffent­lich

(Testsatz 1)

I U

Fig. laV arian tenp rofile von haben

Fig. lbVariantenprofile von übernehmen

Fig. lcVariantenprofile von kom m en

Fig. 1: V arian tenpro file der V erben in den T estsä tzen 1 und 2

N un zu S c h r i t t d r e i , zur Ü berprüfung d e r M odushypothese:Schon das un tersch ied liche V arian tenp ro fil d e r drei V erben in d e r ‘ö ffen t­lichen’ K om m un ikationssitua tion in den F iguren l a bis lc (du rchbrochene L inie) zeigt, daß sich die von einigen G ram m atiken angenom m ene 1 :1-Re- la tion von Inhalts- und A usdrucksseite im Bereich der M odusm orphem ­klassen im Sprachgebrauch n ich t b ew ährt; denn die V erteilung d e r M o­dusm orphem e ist bei den einzelnen V erben un tersch ied lich und o ffen ­sichtlich abhängig vom K riterium H äufigkeit im Sprachgebrauch. Das häufig vorkom m ende Verb haben w ird fas t ausschließlich in den Kon-

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junk tiv I gesetzt, d ie w eniger häufigen V erben k o m m en und (ü b e r n e h ­m en dagegen w erden bere its von über einem D ritte l de r In fo rm an ten im K onjunktiv II verw endet.

W iderlegt w ird die M odushypothese auch, w enn m an das in Fig. 2 w ieder­gegebene Sprecherprofil d er T estsätze heranzieh t. In Fig. 2a ist das Spre­cherprofil von T estsatz 1, der ‘n ich t-ö ffen tlich en ’ K om m unikationssitua­tion w iedergegeben, in Fig. 2b das von T estsatz 2 , der ‘ö ffen tlich en ’ K om m unikationssitua tion .

Fig. 2a n ich t-ö ffen tliche Fig. 2b ö ffen tliche K om m uni-K om m un ika tionssitua tion k a tionssitua tion

Fig. 2: S precherprofile der T estsätze 1 und 2

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Bereits in der näher an der S chriftsprache ausgerich teten ‘ö ffen tlich en ’ K om m un ika tionssitua tion (Fig. 2b) verhalten sich nur 9 d e r 20 In fo rm an­ten k on fo rm m it der M odushypo these. 8 In fo rm an ten verw enden d u rch ­gehend den syn thetischen K on junk tiv I, ein In fo rm an t verw endet d u rch ­gehend den K onjunk tiv II. 10 In fo rm an ten schw anken dagegen zw ischen K on junktiv I und K on junk tiv II, und ein In fo rm an t zw ischen Ind ikativ und K on junk tiv I.

Die M odushypothese, nach der eine l : l-R e la tio n zw ischen Inhalts- und A usdrucksseite b esteh t, m uß verw orfen w erden , w eil sie, falls sie vom H örer angew endet w ird, bei über 50% der In fo rm an ten einen K om m uni­k a tio n sk o n flik t auslösen w ürde. Sie bes itz t dem nach keine kom m un ika­tive Relevanz.

N un zum v i e r t e n S c h r i t t , d er In te rp re ta tio n der Sprach Varia­tion : K on fro n tie rt m an die V arian tenpro file der beiden diaphasisch u n ­tersch ied lichen K om m un ika tionssitua tionen ‘ö ffen tlich ’ und ‘n ich t-ö f­fen tlich ’ in den Fig. l a bis lc , ist zu b eo b ach ten , daß n ich t n u r die V ariable G ebrauchshäufigkeit eines V erbs sondern auch die V ariable Ö ffen tlichkeitsgrad von E influß au f die A rt des M odusm orphem ge­b rauchs in der ind irek ten R ede ist. Bei dem im oberen R ang von F re­quenzlisten stehenden V erb haben n im m t die H äufigkeit des K onjunk- tiv-I-G ebrauchs zur ‘n ich t-ö ffen tlich en ’ K o m m u n ika tionssitua tion hin ab zugunsten der K onjunktiv-II- und Ind ikativvarian te . Bei dem w eniger frequen ten V erb k o m m e n n im m t die G ebrauchshäufigkeit sow ohl der K onjunktiv-I-V ariante als auch der K onjunktiv-II-V arian te ab zugunsten der Indikativvarian te . Bei dem n iederfrequen ten V erb (iiber)nebm en ist eine stärkere A bnahm e des K on junk tiv II als bei k o m m e n zu b eo bach ten , in diesem Falle n ich t ausschließlich zugunsten der Ind ikativvarian te , son­dern in stärkerem M aße zugunsten des analy tischen K on junk tiv II m it werden.

Ein Vergleich des V arian tenpro fils von haben in d e r ‘n ich t-ö ffen tlich en ’ K om m un ika tionssitua tion m it dem von ko m m e n und von (über)nehm en in der ‘ö ffen tlich en ’ K om m un ika tionssitua tion zeigt außerdem , d aß die K on junktiv-I/K onjunktiv -II V erteilung der w eniger freq u en ten V erben in der ‘ö ffen tlich en ’ K om m un ika tionssitua tion vom freq u en te ren Verb haben erst in der ‘n ich t-ö ffen tlich en ’ K om m un ika tionssitua tion erreich t w ird.

Die M odusm orphem w ahl in der ind irek ten R ede ist dem nach n ich t nur abhängig von der V ariable G ebrauchshäufigkeit eines V erbs, sondern auch von der pragm atischen V ariable Ö ffen tlichkeitsgrad der K om m uni­k a tio n ssitu a tio n . Die M odusm orphem klassen dürfen folglich für d ie in-

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d irek te R ede n ich t als gram m atische K ategorien in te rp re tie r t w erden , sondern sie sind Ä quivalente, genauer: d iaphasisch m otiv ierte V arian ten .

D eskriptiv angem essen ist dem nach die oben in diesem A bschn itt e rw ähn ­te von einigen G ram m atiken v ertre tene d ritte Position , d ie lediglich eine inform elle B eschreibung des M odusm orphem gebrauchs in der ind irek ten R ede g ib t. Es ste llt sich nun die Frage, w ie d ie eben festgestellte V arian ten ­d is trib u tio n in eine S truk tu rbesch re ibung der deu tschen S tandardsp rache in tegriert w erden kann . Es dü rfte außer Frage stehen , daß dies n ich t m ög­lich ist, w enn m an von d e r Präm isse ausgeht, die deu tsche S tandardsp ra ­che ließe sich au f ein hom ogenes System reduzieren . Bevor dieses P roblem angegangen w ird , m uß jedoch noch die V ersuchsanordnung einer k riti­schen Prüfung un terzogen w erden.

F ü n f t e r S c h r i t t , K ritik der T estanordnung und der T estergeb­nisse: Da der T est in S chriftsprache vorgelegt und b ean tw o rte t w urde, ist zu erw arten , daß d ie T estergebnisse n ich t dem tatsäch lichen gespro­chenen Sprachgebrauch der In fo rm an ten en tsp rechen , sondern in R ich­tung des sch riftsprach lichen N orm verständnisses verschoben sind. Da in den G ram m atiken außerdem die A nw eisung propag iert w ird , in d e r ind i­rek ten R ede sollte d e r K on junk tiv geb rauch t w erden , ist zu verm uten , daß die H äufigkeitsrelation Ind ika tiv /K on junk tiv stark zugunsten des K onjunktivs verschoben ist. Deshalb können aus dem T est nu r bed ing t Aussagen über den Ind ikativgebrauch in ind irek te r R ede abgeleitet w erden.

Das T estergebnis zum analy tischen K on junk tiv II, d .h . zur w ürde-U m ­schreibung dü rfte — w ie das zu r V arian te Ind ikativ — ebenfalls u n t e r dem tatsäch lichen W ert liegen, der für den konven tionalisierten Sprach­gebrauch in ‘n ich t-ö ffen tlich en ’ K om m un ika tionssitua tionen anzusetzen ist; d enn die In fo rm an ten m uß ten , um die w i/rie-U m schreibung im T est realisieren zu kö n n en , von der vorgegebenen T estm atrix abw eichen. Sie m uß ten zusätzlich die W ortstellung in den vorgegebenen T estsä tzen ver­ändern . H inzu k o m m t außerdem die T atsache, daß ein G roß te il d e r G ram ­m atiken die w ttttte-U m schreibung in ind irek te r R ede n ich t em pfieh lt.

S e c h s t e r S c h r i t t , Prognosen zum Sprachw andel, d ie aus der Sprach varia tion abgele ite t w erden können :

In der A nalyse der Sprachvariation u n te r S ch ritt vier k o n n ten d ie folgen­den drei R egu laritä ten zu r V erteilung der M odusm orphem klassen in der ind irek ten R ede festgehalten w erden:

1. Im Sprachgebrauch sehr häufige V erben (haben, sein, M odalverben36) w erden in ‘ö ffen tlich en ’ K om m un ika tionssitua tionen fast ausschließ­lich im K onjunk tiv I verw endet.

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2. Bei w eniger und n ich t häufigen V erben w ird in ‘ö ffen tlich en ’ K om ­m un ika tionssitua tionen sow ohl der K on junk tiv 1 als auch der syn the­tische K on junktiv II verw endet.

3. In ‘n ich t-ö ffen tlich en ’ K om m un ika tionssitua tionen n im m t bei V erben aller H äufigkeitsklassen der G ebrauch des K on junktiv I ab zugunsten des syn thetischen K onjunktiv II, des Indikativ . Präs. und des analy ti­schen K onjunktivs m it würde.

Nach der in A bschn itt 5 genann ten ers ten Präm isse geh t S prachw andel im D eutschen in R ich tung analy tischer Sprachbau . D em nach m üßte — falls die V arian te K on junk tiv in der ind irek ten R ede verw endet w ird — der analy tisch geb ildete K on junk tiv m it würde zum indest bei w eniger häufig vorkom m enden V erben sow ohl in den un tersch ied lichen diapha- sischen S trafen in e tw a gleicher H äufigkeit V orkom m en. D aß er n u r in ‘n ich t-ö ffen tlichen ’ K om m un ika tionssitua tionen vo rkom m t, w eist da­rau f hin, daß die G ram m atikp räsk rip tion , die w ürde-Form sollte in der ind irek ten R ede n ich t verw endet w erden , hier o ffensich tlich das Sprach- verhalten bee in fluß t.

Die syn thetischen K onjunktive, insbesondere der K on junk tiv I, haben in ö ffen tlichen K om m un ika tionssitua tionen offensich tlich eine Prestige­fu nk tion . 37 Die zw eite b eo b ach te te R egu laritä t zeigt jed o ch , daß die G ram m atikpräsk rip tion , den K on junk tiv I zu verw enden, bei w eniger häufig gebrauch ten V erben selbst in ‘ö ffen tlich en ’ K om m unikationssitua­tio n en n ich t dieselbe P restigefunk tion zu haben schein t. Bei geringer Ge­b rauchshäufigkeit schein t sich die G ram m atikp räsk rip tion noch n ich t du rchzusetzen .

Die b eo b ach te te H äufigkeitsverteilung in ‘n ich t-ö ffen tlich en ’ K om m uni­katio n ssitu a tio n en ist noch w eniger von dieser N orm ierung beein fluß t. H ier kom m en bei allen H äufigkeitsklassen sow ohl K onjunk tivvarian ten als auch die V arian te Ind ikativ vor. Diese V erteilung dürfte das gegen­w ärtige Sprachstad ium im Bereich des n ich t G ram m atik -norm ierten Sprachgebrauchs annähernd w iedergeben. Die in A b sch n itt 5 u n te r der d ritten Präm isse genann te in stitu tiona lisie rte N orm ierung w irk t dem nach en tscheidend n u r au f das Sprachverhalten in ‘ö ffen tlich en ’ K om m unika­tio n ssitu a tio n en ein.

Folgende Schlüsse k önnen aus der diaphasischen M odusvariation in der ind irek ten R ede au f gegenw ärtigen Sprachw andel gezogen und als Prog­nose für die künftige Sprachentw ick lung gegeben w erden: Die W ahl zwi­schen den M odusm orphem klassen syn thetischer, analy tischer K on junk­tiv und Ind ikativ ist im gegenw ärtigen natürlichen Sprachverhalten frei.

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Das geh t aus d e r V erteilung der V arian ten in ‘n ich t-ö ffen tlich en ’ K om ­m un ik a tio n ssitu a tio n en hervor.

Die P räsk rip tionen der G ram m atiken korrig ieren jedoch dieses Sprachsta- d ium zugunsten eines archaischen und idealisierten Sprachstad ium s, das an der S chriftsprache o rien tie rt i s t38, indem sie d u rch ihre N orm ierung die natürliche G ebrauchshäufigkeit d e r V arian ten m anipu lieren . Diese P räsk rip tionen w erden in ‘ö ffen tlich en ’ K o m m un ika tionssitua tionen der gesprochenen S tandardsp rache als P restigeform en angenom m en. D urch die soziale F u n k tio n d ieser In terferenz w ird auch h ier das archaische S prachstad ium tendenz ie ll hergestellt. Die B eschreibungstrad ition zu den M odi und die m it ih r w eitgehend kon fo rm e Sprachpflege sind für diesen eingeleiteten Sprachw andel veran tw ortlich . Wir b eo b ach ten h ier einen ge­lenk ten Sprachw andel, d e r gegen das Sprachw andelprinzip verläuft, das besagt, Sprachw andel füh rt zum S truk tu rausg leich . D urch diesen gelenk­ten Sprachw andel w ird d e r S truk turausg leich zum indest verzögert.

7. Einige Folgerungen für d ie synchrone L inguistik

W enn ich h ier — ausgehend von der T atsache, daß Sprachgebrauch h e te ­rogen ist — versucht habe, eine em pirische S trategie zu skizzieren, m it der eine angem essenere D atenbasis für e inzelsprachliche S tru k tu rb esch re i­bungen in d e r S ynchronie erreich t w erden kö n n te , so w ill d ieser V or­schlag nur ein H inweis d a rau f sein, in w elcher R ich tung M ethoden zu ei­ner em pirischen Fund ierung d e r D atenbasis in d e r L inguistik zu en tw ickeln w ären. Die w ich tigsten Forderungen an ein en tsp rechendes K onzep t las­sen sich etw a fo lgenderm aßen auflisten:

1. N icht die In tro sp ek tio n des L inguisten, sondern die In tu itio n von ge­übten Sprechern m uß A usgangspunkt für die D atenerhebung sein.D am it ist die F orderung nach E inbeziehung sozialw issenschaftlicher K ategorien auch in die sogenannte System linguistik verbunden .

2. Die D atenerhebung h a t — wie in den Sozialw issenschaften — über kon tro llie rte T ests zu erfolgen.

3. Man kann davon ausgehen, daß Sprecher ein du rch gesellschaftliche E rfahrung gew onnenes relatives B ew ußtsein auch von Sprachverhal- ten sno rm en haben , und daß sie in der Lage sind, diese N orm en einem vorgegebenen S itu a tio n sk o n tex t in tu itiv zuzuo rdnen . S prach tests dür­fen deshalb n ich t au f das d irek te B efragen von S prachdaten reduziert sein, sondern sie müssen Sprachdaten im R ahm en festzu legender so­zialer S itua tionen e rm itte ln . E rhebung von Sprachdaten h a t von so­zialen In terak tio n sm u ste rn auszugehen.

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4. Für die In te rp re ta tio n der e rhobenen Sprachdaten ist en tscheidend , daß D aten über den gleichen Sachverhalt in un tersch ied lichen In te rak ­tionssitua tionen e rhoben und k o n tras tie rt w erden . D adurch sind die vorgenom m enen Idealisierungen in d e r S truk tu rbesch re ibung zum in­d est teilw eise tran sp a ren t zu m achen.

5. Die in S truk tu rbeschre ibungen vorgenom m enen Idealisierungen sind als N orm ierungen zu in te rp re tie ren und müssen m it einem Sprachw an­del- u n d /o d e r einem Sprachp lanungskonzep t begründet w erden . Der S ta tus linguistischer Regeln als soziale N orm en m uß in der B eschrei­bungspraxis re flek tie rt w erden.

Das Bemühen um eine die H eterogen itä tsannahm e berücksich tigende Da­tenbasis führt zu Fragen, die im R ahm en der eingangs erw ähn ten drei W issenschaftskonventionen n ich t gelöst w erden können . Die s trik te ana­ly tische T rennung von Synchron ie und D iachronie ist in d e r trad ie rten F orm n ich t zu halten . Man m uß vielm ehr davon ausgehen, daß Sprach- variation in der Synchronie auch un tersch ied liche d iachrone Sprachsta- dien rep räsen tieren kann . A uch die seit Saussure und insbesondere C hom sky akzep tierte Teilung in eine L inguistik der K om petenz und eine L inguistik d e r P erform anz ist für die K onstitu ierung einer angem essenen D atenbasis zu r S truk tu rbesch re ibung eines Sprachstad ium s n ich t ange­m essen. K om petenzbeschreibungen sind Idealisierungen. E inzelsprachli­che K om petenzen (S prachverhaltensnorm en) sind vom L inguisten aus system atisch und k o n tro llie rt e rhobenen id io lek talen K om petenzurte ilen (N orm verständnissen) zu rekonstru ieren . U n ter diesem A spekt kann auch die d r itte K onvention , näm lich d ie B ehauptung, die L inguistik sei eine deskrib ierende W issenschaft, n u r als eine m ögliche F orderung in te rp re tie r t w erden , deren R ealisierung höchst unw ahrscheinlich ist. Die Frage der deskrip tiven A ngem essenheit von S truk tu rbesch re ibungen ste llt sich viel­m ehr als Frage nach einer angem essenen N orm ierung.

Eine angem essene N orm ierung h a t von der system atisch b eo b ach te ten Sprach Variation auszugehen und diese V ariation darau fh in zu in te rp re tie ­ren, w elche T endenzen des Sprachw andels m öglicherw eise zu erw arten sind. Für diese Prognose sollte das sp rach in te rne K riterium S tru k tu rau s­gleich und das sp rachex terne K riterium Sozialprestige von Sprachvarian- ten herangezogen w erden . Im Bereich der S chriftsprache und gesproche­nen S tandardsprache m uß zusätzlich die F u n k tio n der B eschreibungs­trad itio n in G ram m atik und Sprachpflege einbezogen w erden , w eil diesen über die B ildungsagenturen und M assenm edien v erm itte lt eine S teuerung d e r P restigefunk tion zukom m en kann . Die E ntscheidung des L inguisten bei d e r N orm ierung (Idealisierung), sei es in R ich tung des S tru k tu rau s­

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gleichs, in R ich tung der V arian te m it dem höheren Sozialprestige oder in R ich tung der G ram m atik trad itio n kann nu r d e r V ersuch einer Prognose sein, die aufgrund vorliegender em pirischer D aten und em pirisch m ehr oder w eniger fu n d ie rte r H ypo thesen plausibel gem acht w erden kann . Das Ergebnis d e r E n tscheidung selbst kann w iederum die R ich tung des Sprach­w andels beeinflussen; denn:

“ It is likely that all explanations to be advanced in the near future will be after the fact. If we seriously consider the proposition that linguistic change is change in social behavior, then we should no t be surprised th a t predictive hypotheses are no t readily available, for this is a problem comm on to all studies o f social behavior.” 3^

Ich hoffe , daß tro tz dieses D ilem m as die h ier vorgetragene Skizze zu ei­ner em pirischen S trategie der D atenerhebung und D aten in terp re ta tion in der L inguistik zu e iner m öglichen em pirischen Fund ierung der Wissen­schaft beitragen kann . Ihre A nw endung au f das zugegebenerm aßen w enig kom plexe P roblem M odusfunk tion in d e r ind irek ten R ede dürfte zum in­dest gezeigt haben, daß sie zu einer angem esseneren B eschreibung eines Sprachstadium s beitragen kann , sow ohl als In s trum en tarium zur Ü ber­prüfung linguistischer H ypo thesen , als auch zur K on tro lle des Idealisie­rungsfak tors in e inzelsprachlichen System beschreibungen .

A nm erkungen

1 Dieser Beitrag ist eine erweiterte Fassung des am 11.3.1976 auf der Jahres­tagung 1976 des Instituts für deutsche Sprache in Mannheim gehaltenen Vortrags. A bschnitt 5 ‘Richtungsgebende Faktoren des Sprachwandels’ wur­de für die Veröffentlichung neu eingefügt.

2 Diese Fragestellung greift den Ansatz von Weinreich u.a. (1968) auf, die die Synchronie-Diachronie-Antinomie in der Linguistik mit einer empirisch fun­dierten Theorie des Sprachwandels überwinden m öchten. Sie gehen von der These aus:

“ th a t a model o f language which accomodates the facts of variable usage and its social and stylistic determ inants no t only leads to more adequate descriptions o f linguistic competence, bu t also naturally yields a theory of language change that bypasses the fruitless paradoxes with which histo­rical linguistics has been struggling for over half a century” (S. 99). Vgl. auch den Ansatz von Kanngießer (1972).

3 Habermas (1971) S. 108. Ihre Aufgabe ist die Beschreibung eines Sprach­stadiums m it seinen sozialen und stilistischen Dimensionen. Vgl. auch Brekles “Perform anzkom petenz” (1972) S. 134, Liebs (1970) “ Sprachstadium ” oder Hegers (1971) “ Z -parole” .

4 Eine Theorie zur Prognose von Sprachwandel müßte konzipiert sein als em­pirisch fundierte integrative Theorie des sozialen Wandels und Sprachwandels.

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5 Die Linguistik verfährt in der Kegel nach dem qualitativen Prinzip: Norm versus Abweichung von dieser (angenommenen oder gesetzten) Norm.

6 Ansätze in der Dialektologie sind in den Stadt-Land-Studien zu finden, z.B. bei Debus (1962). Them atisiert wurde das Problem von Labov (1966b).

7 Chomsky (1967) S. 401 weist ausdrücklich darauf hin, daß es ihm um ein Beschreibungsverfahren für vorgegebene Normen, n icht um die Innovations­problem atik im Sinne von Sprachveränderung geht: “ Repetition of sentences is a rarity; innovation, in accordance with the grammar of the language, is the rule in ordinary day-by-day perform ance”.

8 Damit werden Normproblematik, Sprachplanungskonzepte und auch Sprach­pflegeprinzipien, die hinter einzelsprachlichen Systembeschreibungen stehen, bereits v o r einer Strukturbeschreibung them atisiert.

9 Bierwisch (1963) S. 10 be ton t noch diese Notwendigkeit. Kritik an dermangelnden Empirie in der neueren Linguistik übt Juhasz (1975). Sieheauch die Kritik von Andresen (1974) am Selbstverständnis der theoretischen Linguistik als einer deduktiven Theorie, insbesondere S. 148 ff.

10 Chomsky (1969) S. 13.

11 Dabei wurde übersehen, daß Chomskys Entscheidung für diese Prämisse of­fensichtlich primär forschungsstrategisch motiviert war. Siehe dazu Bausch (1975).

12 Zu den Autoren, die dieses Selbstverständnis der Linguistik kritisieren, ge­hören Lyons (1971) und Bünting (1971).

13 Ich verwende bew ußt nicht den Begriff “ adäquat”, sondern ziehe mich zu­rück auf das schwächere “ angemessen” bezüglich des konventionalisierten Sprachgebrauchs.

14 Paul (1968) S. 37 f., Saussure (1969) S. 143, Bloomfield (1969) S. 45.

15 Bloomfield (1969) S. 24.

16 Zur empirischen Fundierung intuitiver Urteile siehe Bausch (1975) S. 129- 133.

17 Bühler (1965) S. 67 f.

18 Oder die Funktion von empirisch fundierten Hypothesen. Es kann hier nicht diskutiert werden, ob sie den Status von Basissätzen im Sinne Poppers (1969) S. 68-70 haben.

19 So z.B. Dane? (1966).

20 Chomsky (1969) S. 15.

21 Über die Kontrastierung kann man Hypothesen zur Richtung künftigen Sprachwandels formulieren. Über kontrollierte Tests erhält man selbstver­ständlich keine ‘natürlichen’ Sprachdaten. Deshalb wird in Schritt fünf eine Kritik der Daten-Validität eingeschaltet.

22 Das Sprachverhalten dieser Altersgruppe ist relativ stabil. Es repräsentiert den gegenwärtig angemessenen Sprachgebrauch und wirkt, da diese Alters­gruppe auch Erzieher der nächsten Generation ist, auch auf das Sprachver­halten der nächsten Generation. Siehe dazu Labov (1966a) und (1966b).

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23 In dieser Phase wird die Objektivierbarkeitsproblematik them atisiert. Zu diskutieren ist dabei insbesondere, inwieweit die Daten durch die notwendi­gerweise paradoxe Beobachtersituation (Labov (1970)) beeinflußt sein könn­ten.

24 Werner (1970).

25 Weinreich u.a. (1968) S. 149.

26 Zum graphematischen und phonologischen Konjunktiv-M orpheminventar siehe Bausch (im Druck) Kap. 5.

27 Auf die Zusammenhänge von Vorkommenshäufigkeit und Sprachwandel hat Winter (1969) hingewiesen.

28 Als ein Beispiel sei hier nur das Französische erwähnt.

29 Siehe z.B. Untersuchungen zur Entwicklung von Nationalsprachen oderdialektologische Studien zur regionalen Veränderung von Sprachgrenzen.

30 Siehe Bausch (im Ehick) Kap. 2.2.2.

31 Siehe ebd. Kap. 2.2.1.

32 Siehe ebd. Kap. 2.2.5. und 2.2.6.

33 Siehe ebd. Kap. 2.2.5.

34 Siehe ebd. Kap. 2.2.5.

35 R einers(1943) S. 185 f.

36 Das Verb sein und Modalverben kommen zwar nicht im Test vor. Aufgrund der Testergebnisse kann diese Erweiterung aber als zulässig verm utet werden.

37 Inwieweit diese Prestigefunktion generell vorhanden ist, wäre m it Sprachbe- wertungstests zu prüfen.

38 Der Einfachheit wegen wird hier angenommen, daß die Grammatiken ein vergangenes schriftsprachliches Sprachstadium beschreiben. An dieser Stelle kann nicht diskutiert werden, inwieweit diese ‘Beschreibungen’ auch in der Vergangenheit den Status von Präskriptionen hatten.

39 Weinreich u.a. (1968) S. 186.

L ite ra tu r

Andresen, H. (1974): Der Erklärungsgehalt linguistischer Theorien (= Linguistische Reihe, Bd. 18), München 1974.

Bausch, K.-H. (1975): Zur Problematik der empirischen Basis in der Linguistik, in: Zeitschrift für germanistische linguistik 3,2 (1975), S. 123-148.

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UWE PÖ RK SEN

Einige Aspekte einer Geschichte der Naturwissenschaftssprache und ihrer Einflüsse auf die Gemeinsprache

1. Problem der Quellen Unüberschaubarkeit des MaterialsMögliche Quellen: Schriften wirksamer Naturwissenschaftler, Äußerungen

metasprachlichen Inhalts von Naturwissenschaftlern, Geschichten der Naturwissenschaft

2. Besondere Bedingungen der Entwicklung der Naturwissenschaftssprache Ständige ErkenntniserweiterungInternationale (und schriftliche) Verständigung Vereinbarungscharakter der Sprache

3. Inauguratoren neuer Fachsprachen und ihre Wirkung Linné (Botanik und Zoologie) — Logische Klassifikation,

präzise Beschreibungssprache, binäre lateinische Nom enklatur (Form der Definition)

Lavoisier/Berzelius (Chemie) — durchsichtige lateinische Nom enklatur(Kopulativkomposita) und Zeichensprache

Freud (Psychoanalyse) — terminologisierte Umgangssprache

4. Übersetzungen aus dem Gelehrtenlatein (1. Obersetzungsvorgang) und Ü ber gang wissenschaftlicher Termini in die GemeinspracheLinnés B otanik Bergm ans ‘a ttrac tio electiva’Freuds Terminologie

5. M etaphorik Darwins und Überlegungen zu ihrer möglichen Wirkung ‘A nthropom orphe’ Zoologie und ihr Umschlag in eine ‘zoom orphe’ A nthropo­logie (Übertragung und Rückübertragung von Begriffen)

6. Entfernung der Fachsprachen von der Gemeinsprache und ihre Übersetzung durch populärwissenschaftliche L iteratur (2. Übersetzungsvorgang) W ortschatzerweiterung und terminologisierte Gemeinsprache in den Fach­sprachen‘Genetische’ oder ‘dogmatische’ wissenschaftliche Darstellung Übersetzung der Fachsprachen in populärwissenschaftliche Literatur

7. SchlußbemerkungHinweis auf außersprachliche Faktoren der Sprachentwicklung

1. Problem der Q uellen

Die Fachsprachen , das ist fast ein G em einplatz , sind für die neuzeitliche Sprachgeschichte von erheb licher B edeutung. A ber die G esch ich te der Fachsprachen und die ihres Einflusses au f die allgem eine G ebrauchsspra-

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che ist w enig erschlossen — d arau f h a t kürzlich Seibicke h ingew iesen .1 Das gilt speziell für die G eschichte d e r N aturw issenschaftssprache und für ihren E influß au f die G em einsprache. Die allgem einen Sprachgeschichten nehm en nur am R and von ih r N otiz.

Der G rund für diese S itu a tio n ist einm al d ie sehr schwierige Q uellenlage — in diesem Fall g ib t es zu viele Q uellen. Das naturw issenschaftliche S ch rifttum und die von ihm in filtrie rten T ex te sind unüberschaubar. Und w er eine G eschich te der N aturw issenschaftssprache au f diesen Q uellen au fbauen w ill, sieh t sich der zw eiten Schw ierigkeit gegenüber, d aß er von den versch iedensten Fachgebie ten , über deren Sprachw andel er berich ten will, etw as verstehen , sich in sie e inarbeiten m üßte.

Ich m öch te nu r über einzelne A spekte einer G eschichte der N aturw issen­schaftssprache und ihrer Beziehung zur G em einsprache sprechen, d ie m ir besonders aufgefallen sind; ich b in dabei von fo lgenden Q uellen ausge­gangen:1. V on S ch riften w irksam er, auch öffen tlichkeitsw irksam er N aturw issen­schaftler — z.B. L inné, D arwin.2. V on Ü berlegungen der N aturw issenschaftler zu sprachlichen P roble­m en, zu N om en k la tu r und Term inologie, zum Problem der M etaphorik , zur Form der D arstellung. Diese Ä ußerungen m etasprach lichen Inhalts sind eine ergiebige und reizvolle Q uellengruppe.3. V on D arstellungen der G eschichte der N aturw issenschaft — neueren von Asim ov, M ason, E inste in /In fe ld und älteren von B urkhard t/E rhard und D annem ann; außerdem von Lexika.

Die G esch ich ten d e r N aturw issenschaft vereinfachen d ie A rbeit in zw ei­facher H insicht: sie verm itte ln einen Ü berblick über die en tscheidenden E ntw icklungsschübe in d e r N aturw issenschaft und erle ich tern dadu rch die Q uellenausw ahl, und sie m achen rech t häufig au f sprachliche Begleit­erscheinungen des W andels der W issenschaft aufm erksam .

2. B esondere B edingungen der E ntw ick lung der N aturw issenschafts­sprache

Die E ntw ick lung der N aturw issenschaftssprache un terlieg t besonderen Bedingungen:

a. E in allgem eines K ennzeichen der N aturw issenschaftsgesch ich te ist die schubw eise o der allm ähliche E n tdeckung neuer Zusam m enhänge und G egenstände. Die w issenschaftliche M itteilung d ien t n u r teilw eise der V erständigung über B ekanntes und m indestens ebensosehr der K orrek tu r des B ekannten und der V erständigung über U nbekann tes. Das bed ing t,

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schubw eise oder allm ählich, die Schaffung neuer T erm in i und die V er­ständigung über alte, die U m deutung , E rsetzung, E rw eiterung des vor­handenen Fachvokabulars. — Seit dem 18. Jah rh u n d e rt h a t dieser Er­k en n tn isfo rtsch ritt explosionsartige Form en angenom m en, und en tsp re­chend vollzog sich die Sprachentw ick lung m it sonst ungew ohn ter G e­schw indigkeit.

b. Die V erständigung über ein Fachgebiet vollzieht sich zunächst inner­halb einer besonderen national n ich t begrenzten V erständigungsgem ein­schaft, d ie verbunden ist du rch vorw iegend schriftliche Form en der K om m unikation : Briefe, Z eitsch riften , Bücher. Das In te rna tiona le er­scheint als k o n stan te r F ak to r in der G eschichte der W issenschaftssprache; dieser F a k to r ist allerdings in un tersch ied lichem G rad w irksam . Zunächst, bis ins 17. und 18. Ja h rh u n d e rt, w ar das L atein als europäische G elehr­tensprache A usdruck dieser Idee. A uch nach seiner zunehm enden A blö­sung durch die volkssprachige W issenschaft blieb dieses Prinzip insofern erhalten , als ein be träch tlich e r Teil des Fachvokabulars aus dem M aterial der alten G eleh rtensp rachen , des G riechischen und L atein ischen, en t­nom m en w urde, und es k eh rt vielleicht im 20. Ja h rh u n d e rt in d e r D om i­nanz des E nglisch-A m erikanischen als W issenschaftssprache der w estli­chen Welt w ieder.

c. Die Schaffung des F achvokabulars ist ein b ew u ß ter A kt. Er erfo lg t ausdrücklich, du rch die Form der ausdrücklichen B enennung — ‘w ir nen­nen das’, ‘w ir schlagen den N am en vo r’ — o d er die Form der D efinition: ‘w ir sprechen von Bewegung ...’, ‘Bewegung ist ...’ usw.

Die N am engebung un terlieg t b estim m ten R egeln, d ie einm al festgelegt w orden sind und deren Befolgung überw acht w ird — so z.B. in der B ota­nik, C hem ie, O rnitho log ie usw.

A uch die D urchsetzung eines neuen erk lärenden Begriffs un terlieg t gewis­sen Regeln der Ü berprüfung au f seine Z w eckm äßigkeit und B rauchbar­keit.

Insofern vollzieht sich die G esch ich te der N aturw issenschaftssprache — d er Idee nach und auch teilw eise in d e r R ea litä t — nach künstlich fes t­gelegten vernünftigen Spielregeln.

3. Inauguratoren neuer Fachsprachen und ihre W irkung

a. Die G rundlagen e iner F achsprache w erden n ich t selten d u rch einen ein­zelnen F orscher bestim m t — in der B otanik z.B. geschah dies du rch Linné.

“ W enn m an A u to ren vor und nach Linnés R efo rm atio n liest, fin d e t m an

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eine ganz verschiedene S prache” , sch re ib t L inné über sich selbst, in einer postum verö ffen tlich ten A ufzeichnung .2

Er b rach te O rdnung in d ie verw irrende V ielgestaltigkeit der P flanzenw elt und in die uneinheitliche Sprache der B o tan iker durch seine strenge Me­th o d e der E inteilung und B enennung.

In seinem W erk ‘System a N atu rae’, das 1735 zum ersten Mal erschien^, verw andte er ein übersichtliches K lassifikationssystem , das später erw ei­te r t w urde, aber bis h eu te grundlegend blieb . Er te ilte das Pflanzenreich ein in sukzessiv k leiner w erdende R ubriken , in K lassen, O rdnungen , G at­tungen und A rten . Die E inteilung erfo lg te aufgrund von Ü bere instim ­m ungen in den B lütenteilen — eine ‘K lasse’ L innés s tim m t überein in der Zahl und B eschaffenheit d e r S taubfäden und erhält nach dieser Zahl und B eschaffenheit ihren N am en. ‘O rdnungen ’, ‘G attu n g en ’, ‘A rte n ’ stim m en in w eiteren M erkm alen der B lütenorgane überein. Logisch au fgebau te le­xikalische H ierarchien und eine au f e iner künstlichen S ystem atik b e ru ­hende künstlich geschaffene Term inologie sind ein K ennzeichen des taxo- nom ischen System s Linnés.

Er w and te seine B egriffsleiter — Klasse, O rdnung, G attung , A rt — m it annähernd gleichem Erfolg auch au f das T ierreich an und gilt für die ge­sam te Biologie als Begründer der T ax o n o m ie .4

V oraussetzung der logischen K lassifikation w ar, daß die B lütenorgane, die den Schlüssel der E inteilung b ilde ten , exak t un tersch ieden und b e ­nan n t w urden . D arin bestand die zw eite bedeu tsam e L eistung Linnés, daß er die un te rsche idbaren P flanzenteile und ihre typ ischen F orm en durch ein d e ta illie rt aufgefächertes W ortfeld — von der ‘W urzel’ b is zur ‘N arbe’ — abdeck te . W ilhelm T ro ll b em erk t dazu : “ A uf G rund dieser N om enk la tu r w ar erst eine präzise D iagnostik m öglich, d .h . knappe Be­schreibungen d e r e inzelnen P flanzenarten , die g es ta tte ten , aus ihnen w ie­der eine Pflanze zu e rkennen , oder, w ie m an sagt, zu ‘b estim m en ’, ihr den von den B o tan ikern festgestellten N am en zu zu o rd n en .”5

D rittens begründete L inné eine einheitliche B enennung der A rten . Aus den P flanzennam en w aren z.B., angesichts der w achsenden Zahl von be­kan n ten A rten , zunehm end längere B eschreibungen gew orden. Die Form d er B enennung w ar o f t inkonsequen t und undurchsich tig ; es w ar zu vie­len Synonym a gekom m en. Die ro te Johann isbeere h ieß bei einem V or­gänger L innés ‘G rossularia, m ultip lic i acino: seu non spinosa hortensis rubra, seu R ibes o ffic ina rium ’. L inné gab ih r den N am en ‘R ibes ru b ru m ’6 . Seit L inné w erden die P flanzennam en durch einen latein ischen D oppel­nam en bezeichnet, de r erste bezeichnet die G attung und der zw eite, m eist in F orm eines E igenschaftsw ortes, die besondere A rt: ‘V iola tr ico lo r’,

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‘V iola m irabilis’ usw . L inn^ verw endet also in seiner N om en k la tu r die klassische Form d e r D efin ition per genus prox im um e t d ifferen tiam specificam .

Mit der A ufgabe, eine e inheitliche und p rak tikab le N om en k la tu r zu schaf­fen, beschäftig te er sich sehr eingehend. In der ‘Ph ilosophia B o tan ica’ von 1751 fo rm ulierte er dazu allgem eine G rundsätze, z.B.:

§ 218 Wer eine neue G attu n g festste llt, ist auch gehalten , ihr einen N am en beizulegen.

§ 228 G attungsnam en, die ähnlich lau ten , geben A nlaß zu r V er­w irrung.

§ 229 G attungsnam en, die ihren U rsprung n ich t in d e r griechischen oder latein ischen Sprache haben , sind zurückzuw eisen.

§ 256 V ollständig b en an n t ist eine Pflanze, w enn sie m it dem Gat- tungs- und A rtnam en ausges ta tte t is t.7

Die hier aufgestellten Regeln sind bis heu te gültig. Die P flanzennam en w erden nach dem M uster der von Linné eingeführten ‘b inären N om en­k la tu r’ bezeichnet. D abei gilt das Prinzip der P rio ritä t: w er zuerst eine A rt (G attung oder Fam ilie) zw eifelsfrei beschrieben h a t (in latein ischer Sprache, ‘D iagnose’), ist berech tig t, ihr den N am en zu geben. D ieser Na­m e gilt, w enn er den N om enklaturregeln en tsp rechend gegeben ist. —Dem N am en einer A rt w ird deshalb d e r N am e des A u to rs , d e r sie so be­n ann t ha t, m eist in abgekürzter Form h inzugesetzt, (z.B. ‘Bellis perennis, L .’, L .=L inné)8 . Bei B otaniker- und Z oologenkongressen setzen sich K om m issionen zusam m en, die sich um eine e inheitliche N om enk la tu r nach den genann ten Regeln bem ühen.

N ach einem W ort des W issenschaftshistorikers Asim ov ha t L inné durch seine ‘b inäre N om enk la tu r’ “ den B iologen für d ie L ebensform en eine in te rna tiona le Sprache geschaffen, die ein n ich t anzugebendes A usm aß von sonst zu erw artenden V erw irrungen von vornherein beseitig t h a t.” ^

Die neue präzise K unstsprache, d ie K lassifikationsm ethode und verb ind­liche N om enk la tu r, erm öglich te w ohl erst eine im m ense A usw eitung des Wissens. Sie w urde zum Suchgerät, das von zahlreichen Schülern leicht und sicher gehandhab t w erden ko n n te . Ein späterer H isto riker d e r Na­tu rw issenschaften charak terisiert Linnés W irkung: “ M it seinem N atu r­system schuf er ein p rak tisches H ilfsm ittel, das erm öglich te und d ie Lust w eckte , neuen Zuw achs an A rten beizubringen . G lückliche prak tische Folgen w aren z.B. die allgem eine Beschäftigung G eb ildeter m it N aturge­schichte, A b trennung des naturw issenschaftlichen S tud ium s vom m ed i­zinischen, A ussendung von E xped itionen zum Zw ecke der E rforschung

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von F lora und F au n a .” 10

Die E rstauflage von L innes ‘System a N a tu rae ’, die 1735 erschien, w ar ein g roßform atiges H eft von 11 F o liose iten . Das W erk w urde ständig er­w eitert und neu aufgelegt. Die 10. A uflage erschien 1766 /68 — sie w urde noch von ihm selbst besorg t und u m faß te drei s tarke Bände — über die Tiere, die Pflanzen und die M ineralien .11

b. Dieser Fall — ein F orscher inauguriert eine Fachsprache und diese w ird zum In s tru m en t einer enorm en A usw eitung des Wissens — k o m m t ähnlich in anderen D isziplinen vor. Beispiele w ären vielleicht in d e r M ine­ralogie der Schw ede C ronsted t und A braham G o ttlo b Werner, in d e r C he­mie Lavoisier u n d B erzelius un d F reud in der Psychoanalyse.

Die Chem ie b ie te t das M usterbeispiel e iner in te rna tiona len , selbsterk lä­renden , du rchsich tigen N om enk la tu r. Ihr W ortm aterial ist überw iegend latein isch/griechisch .

Sie a rb e ite t vorw iegendm it d u r c h s i c h t i g e n K o m p o s i t a — diese K om posita erlau ­ben den Schluß au f d ie B estandteile einer Zusam m ensetzung: N a trium ­chlorid z.B. b esteh t aus N atrium und C hlor;

m it P r ä - , I n - u n d S u f f i x e n — auch sie sagen z.B. e tw as aus über das V erhältn is, in dem die E lem ente zusam m engesetzt sind: K oh len ­d ioxyd en th ä lt m eh r O xyd als K oh lenm onoxyd ;

m it A b k ü r z u n g s s y m b o l e n — den A nfangsbuchstaben d e r la­tein ischen E lem entnam en: H für H ydrogen (W asserstoff), O für O xygen (Sauerstoff);

m it ‘ F o r m e l n ’ — das sind Z usam m ensetzungen aus diesen Sym bolen , die zugleich m it einem Z ahlen index versehen sind — CO2 , N H 3 : aus ih­nen lassen sich n ich t n u r die B estandteile e iner chem ischen V erbindung en tnehm en , sondern auch die q u an tita tiv e Z usam m ensetzung ih rer M ole­küle;

m it ‘ G l e i c h u n g e n ’ — die chem ischen R eak tionen lassen sich m it Hilfe des Plus- und G leichheitszeichens beschreiben: z.B. C + O 2 = CO2 , durch eine V erb indung von K oh lensto ff und S auers to ff en ts te h t K ohlen­d ioxyd ;

m it ‘ S t r u k t u r f o r m e l n ’ — die den Bau eines M oleküls graphisch als Z usam m ensetzung von B austeinen darste llen , und

m it d r e i d i m e n s i o n a l e n r ä u m l i c h e n M o d e l l e n — die ihn abbilden.

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Diese N om enk la tu r erlaub t, selbst d ie kom pliz iertesten V erbindungen in einem kurzen A usdruck o der einer knappen F orm el du rchsich tig d a r­zustellen.

E ntscheidend für die Begründung dieser Fachsprache w aren Lavoisier und Berzelius. Lavoisier führte 1787 die lateinisch-griechischen K om po­sita als N am en für chem ische V erb indungen ein, ebenso das System der V or- und N achsilben. A ußerdem vere inheitlich te er die B enennung der zu seiner Zeit b ekann ten E lem ente; Berzelius führte 1814 die A bkürzungs­sym bole, Form eln und G leichungen als die Z eichensprache der C hem ie e in .12

Linné und Lavoisier en tw arfen also im 18. Jah rh u n d e rt für d ie Biologie in te rna tiona l verbindliche, au f logischen P rinzipien aufgebaute , late in isch­griechische N om enk la tu ren — in der Chem ie kam im 19. Jah rh u n d e rt eine ausgearbeite te Zeichen- und Form elsprache h inzu . Die Psychoanaly­se, die sich zu Beginn des 20. Jah rh u n d e rts en tw icke lte , v e rtr itt einen d ritte n T erm inolog ietypus.

c. F reud ist in diesem Fall der ausschließliche Inaugu ra to r e iner neuen Disziplin und ihres Fachvokabulars.

Das W örterbuch oder sogenannte ‘V okabular d e r Psychoanalyse’ von L aplanche und Pontalis, das 1972 in d eu tscher Sprache erschien, e rläu ­te r t 331 T erm ini, von denen m ehr als 300 von Freud selbst geprägt w or­den sind und nur 25 von seinen Kollegen und Schülern.

F reuds Term inologie gehört, w ie erw ähn t, einem anderen T ypus an als die der B otanik , C hem ie oder auch d e r M edizin. Sie ist ganz überw iegend gem einsprachlich: ‘A bw ehr’, ‘V erneinung’, ‘L ustp rin z ip ’, ‘m an ifester In­h a lt’, ‘Z ensur’, ‘K o n flik t’ — das sprachliche M aterial b es teh t e tw a zur H älfte aus E rbw örtern des D eu tschen , und die verw endeten L ehnw örter bzw . “ F rem d w ö rte r” sind ganz überw iegend eingebürgerte, gängige W ör­te r der G em einsprache oder doch d e r B ildungssprache. D aneben g ib t es auch den aus lateinisch-griechischem W ortm aterial neu geb ilde ten K unst­ausdruck — ‘E ltern-Im ago’, ‘N europsychose’, ‘L ib ido ’ — aber er ist die A usnahm e. H aberm as h a t bei F reud von einer “ term ino log isierten Um­gangssprache” gesp rochen .13

Als T erm ini techn ic i erfah ren d ie W örter der G em einsprache eine “ Spe­zialisierung der B edeutung durch V erengung des U m fangs und Bereiche­rung des Inhalts” — nach H erm ann Paul ist dies die “ erste H au p ta rt” des B edeutungsw andels und “ eines der gew öhnlichsten M ittel der Schaffung techn ischer A usdrücke” 14 . Das W ort W iderstand h a t in d e r G em einspra­che einen w eiten A nw endungsbereich; als T erm inus w ird es begrenzt auf

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einen b estim m ten sozialen K on tex t, näm lich d ie Beziehung des P atien ten zum A naly tiker, und innerhalb dieses eingeschränkten Umfangs w ird der gängige Inhalt in e iner bestim m ten R ich tung e rw eitert, näm lich ‘W ider­stand gegen un b ew u ß te R egungen’; — d er neue Inhalt w ird also ers t im Zusam m enhang m it anderen Begriffen F reuds, innerhalb eines neuen System s, durch einen bestim m ten O rt in einem Lehrgebäude, voll defi­niert.

Ein Teil der A usdrücke F reuds sind G leichnisse, A nalogien, die er den N aturw issenschaften e n tleh n t hat: die dom in ierende V orstellung von der Psyche als eines E nergieverteilungsapparates ist der Physik e n tleh n t, der T erm inus ‘O b jek tw ah l’ k o m m t aus der Biologie, das Bild von der ‘P sycho­analyse’ aus der C hem ie. Diese naturw issenschaftlichen A nalogien sind m ehr als b loße M etaphern . F reud verstand die Psychologie als eine Teil­disziplin der N aturw issenschaft und sich selbst als N aturw issenschaftler, der n u r noch n ich t in der Lage sei, d ie psychischen V orgänge bis in ihre physiologische, physikalisch-chem ische Basis zu verfolgen. Eben deshalb w ählt e r bevorzugt eine naturw issenschaftliche Sprache, und es w äre be­rechtigt, von ihm im Z usam m enhang einer G eschichte der N aturw issen­schaftssprache zu sp rechen .15

In etw as m o d ifiz ie rte r Form gilt für ihn , w as für Linné und Lavoisier/ Berzelius gilt. E ine k lar und scharf gefaß te Begriffs- und B eschreibungs­sprache und ein verbindliches V okabu lar w erden zum Ins trum en t einer enorm en W issenserw eiterung, ziehen eine F lu t von einzelnen E n td eck u n ­gen und A rbeiten nach sich.

4. Ü bersetzungen aus dem G eleh rten la te in und Übergang in die G em ein­sprache

Die E rforschung des G eleh rten la te ins d e r N euzeit und seines E influsses au f die L andessprachen steck t nach Seibicke noch in den A nfängen .16 V ielleicht liegt hier für die neuzeitliche Sprachgeschichte ein ähnlich er­giebiges A rbeitsfeld w ie für die ä ltere Sprachgeschichte in den Ü berse t­zungsleistungen der ahd . Zeit, und m öglicherw eise w äre eine eingehende­re Beschäftigung m it den Ü bersetzungen von L innés Werk ins D eutsche lo h n en d . 17

a. L inné selbst sch re ib t in der Regel L atein ; sein ‘System a N a tu rae ’ w ur­de in der zw eiten H älfte des 18. Jah rh u n d e rts m ehrfach ins D eutsche übertragen.

Sicher ist die deu tsche B ildungssprache durch den E influß Linnés erw ei­te r t w orden . Dieser E influß ist bei A delung nur teilw eise und in A nsätzen

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greifbar; in dem W örterbuch von C am pe, das 1807 ff. erschien , ist er dann deu tlich ausgeprägt.

C am pes E rläu terungen der Begriffe ‘Klasse’, ‘O rdn u n g ’, ‘G a ttu n g ’ und ‘A rt’ geben jew eils auch die S onderbedeu tung an, d ie ihre latein ischen Ä quivalente ‘classis’, ‘o rd o ’, ‘genus’, ‘species’ bei L inné haben , und zw ar in d eu tlicher A nlehnung an L inné. So sp rich t C am pe z.B. in dem A rtikel ‘Klasse’ von der “ N aturbeschreibung , w o die N atu rre iche in Klassen, und nam entlich das T ierreich in sechs Klassen, die Säugetiere, Vögel, zweile- bige T iere (das ist eine L ehnübersetzung von L innés ‘A m ph ib ia’), Fische, Z iefer (eine E indeutschung von L innés ‘Insecta’) und W ürm er e ingeteilt w erden . Diese Klassen w erden w ieder in O rdnungen , diese in G eschlech­ter, G attungen und A rten ab g e te ilt.”

Für Linnés B ezeichnung der P flanzenteile ‘C alyx’, ‘C oro lla’, ‘S tam ina’, ‘F ilam en ta ’, ‘A n th e ra ’, ‘P istill’, ‘S ty lu s’, ‘S tigm a’ erscheinen in C am pes W örterbuch als ihre deu tschsprach igen Ä quivalente ‘K elch’, ‘K rone’, ‘S taubgefäß’, ‘S tau b fad en ’, ‘S tau b b eu te l’, ‘F ru c h tk n o te n ’, ‘G riffe l’, ‘N arbe’, teils also neue Ü bersetzungen, teils S onderbedeu tungen ge­bräuch licher W örter.

In der zw eiten H älfte des 18. Jah rh u n d e rts w urden zahlreiche naturw is­senschaftliche W erke aus dem L atein ischen ins D eutsche übertragen. La­te in verschw indet um diese Z eit zunehm end als Sprache der deu tschen N aturw issenschaft, in w elchem A usm aß, darüber liegen allerdings m.W. keine genauen A ngaben vor .18 G elehrte w ie B lum enbach (E nde des 18. Jh .) schrieben zw eisprachig. G oethe ließ seine erste na tu rw issenschaftli­che A rbeit über den Z w ischenkieferknochen (1784 ) ins L atein ische über­setzen, um sie dem H olländer C am per vorzu legen19; D issertationen w ur­den selbstverständlich lateinisch abgefaß t. D er Ü bergang d e r Wissen­schaftssprache in die L andessprache w urde durch das zunehm ende In­teresse des allgem einen L esepublikum s an natu rw issenschaftlichen F ra­gen begünstigt.

b. Ein berühm t gew ordenes Beispiel aus der C hem ie: 1775 erschien das Werk des Schw eden T orbern Bergm an ‘De a ttrac tio n ib u s electiv is’. Der T erm inus ‘a ttra c tio e lec tiva’ w urde 1779 durch Weigel m it ‘W ahlver­w an d tsch a ft’ w iedergegeben, und bald d a rau f b en u tz te H ein T abor in seiner Ü bersetzung des Bergm anschen W erkes den gleichen A usd ru ck . 20 Er w ar bis zum H erbst 1809 n u r als T erm inus in der C hem ie gebräuch­lich — dam als erschien G oethes R om an ‘Die W ahlverw andtschaften’, der den B egriff aus der C hem ie in den Bereich der m ensch lichen B eziehun­gen übertrug. Es w ar G oethes e rk lärte A bsicht, d ie G em einsprache um diesen — wie er fand — “ geistre ichen” A u sd ru ck 21 zu bere ichern , und er h a tte d am it einen gewissen Erfolg.

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c. Die T erm inologie F reuds ist in unserem Zusam m enhang d o p p e lt in­teressant, zunächst h insichtlich der Frage ihrer Ü bersetzbarkeit. Lagache m acht in der E inleitung zum ‘V okabu lar der Psychoanalyse’ au f die Schw ierigkeit aufm erksam , die deu tschen A usdrücke F reuds in d en ande­ren Sprachen w iederzugeben. O ft feh lt ein genaues Ä quivalent, und das­selbe W ort w ird in der Ü bersetzungssprache von verschiedenen A u to ren untersch ied lich w iedergegeben. Der B egriff der ‘A nlehnung’ w ird im F ra n ­zösischen z.B. du rch vier verschiedene V okabeln rep räsen tiert. D em gegen­über bere iten die L ehnw ort-T erm ini F reuds, in denen er also ursprünglich griechisch-lateinisches W ortm aterial verw endet, keine Schw ierigkeiten.Der B eg riff‘psychische R ep räsen tanz’ w ird z.B. im Englischen, F ranzösi­schen, Italienischen, Spanischen durch das gleiche W ortm aterial w ieder­gegeben (z.B.: englisch: ‘psychical rep resen ta tio n ’, spanisch: ‘rep resen­ta n te psíqu ico ’).

A uf der anderen Seite ist bem erkensw ert, w ie viele Begriffe F reuds in d ie G em einsprache übernom m en w orden sind: ‘abreag ieren’, ‘Iden tifiz ie rung ’, ‘K om plex ', ‘N arzißm us’, ‘N eurose’, ‘das U nbew uß te’, ‘F eh lle is tung’, ‘V erdrängung’, um nur einige Beispiele zu nennen . Bei diesem V organg schein t es charak teristisch zu sein, daß d ie W örter e tw as von ihrem spe­ziellen Inhalt verlieren und ihren A nw endungsbereich erw eitern . Das W ort ‘T raum a’ h a t bei F reud einen genau d e fin ie rten Inhalt un d einen begrenzten U m fang — in d e r U m gangssprache ist der Inhalt verb laß t und der A nw endungsbereich größer. Das G leiche gilt für W örter w ie K o m p lex , Verdrängung. Diese häufig zu b eo b ach ten d e E rw eiterung der A nw endungs­bereiche w issenschaftlicher Spezialausdrücke bei ihrem Übergang in die G em einsprache erk lärt sich sehr le ich t aus d e r in der Regel nu r ob e rfläch ­lichen K enntn is ihrer term inologischen B edeu tung .22 Es ist genau der um gekehrte V organg wie bei der Term inologisierung gem einsprach licher A usdrücke (s. oben).

Der Übergang der W issenschaftssprache vom G elehrten la te in zu den V olkssprachen, d e r in D eutschland E nde des 17. Jah rh u n d e rts von T hom asius un d Leibniz u n te r dem L eitgedanken der A ufklärung so e n t­schieden g efo rdert w u rd e 23, erschw ert n ich t nu r d ie in te rna tiona le K om ­m unikation ; er b irg t auch Problem e, die an der W irkungsgeschichte w is­senschaftlicher Lehren ab lesbar w erden , P roblem e der verzerrenden R e­zep tion und W irkung. Diese W irkungen k ö n n ten m it der Sprache der A u­to ren Zusam m enhängen; davon soll im fo lgenden die R ede sein.

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Im Zuge der Säkularisierung übernahm der w issenschaftliche A u to r zu­nehm end A ufgaben, die von der T heologie und K irche lange Zeit verse­hen o d er doch bestim m t w orden w aren — die F u n k tio n en der allgem ei­nen W eltin te rp re ta tion . Im 18. und 19. Jh . beg inn t d ie Z eit des w issen­schaftlichen Schriftstellers. Diese S itua tion — R ollenw andel des w issen­schaftlichen A uto rs und V erb reiterung des P ublikum s w issenschaftlicher Lehren — w irk te m eh r o d e r w eniger zurück au f den Stil und d ie Begriff- lichkeit d e r A u to ren selbst. Es w äre lohnend , A u to ren wie D arw in, H aeckel, F reud , K onrad Lorenz u n te r diesem G esich tspunk t zu b e trach ­ten . Ich m ö ch te n u r kurz au f einige Begriffe D arw ins und ihre R ezep tion in D eutschland eingehen.

Die vorläufige These: D arw ins Begriffe w aren M etaphern . Sie p ro jiz ierten V orstellungen aus dem Bereich der m enschlichen B eziehungen in den der Tier- und P flanzenw elt. In dem Z ielbereich w urden sie te rm inologisiert, b eh ie lten aber eine gewisse U nschärfe und ein ihnen vom A usgangspunkt her anhaftendes em otives K o n n o ta t. Die P ro jek tion d ieser Begriffe aus dem m enschlichen Sozialbereich in den b iologischen begünstig te eine R ückpro jek tion in den A usgangsbereich.

Im G egensatz zu den klassifizierenden T erm ini Linnfes h ande lt es sich bei D arw in um erk lärende Begriffe, F o rm eln , die erlauben , D aten und Zu­sam m enhänge innerhalb eines größeren G ebiets zu überschauen. D er Ti­tel von Darwins H auptw erk , das 1859 erschien, e n th ä lt solche ‘F o rm eln ’ oder ist eine solche Form el: ‘O n th e Origin o f th e Species b y M eans o f N atural Selection, o r th e Preservation o f F avoured R aces in the Struggle fo r L ife’. E ine deu tsche Ü bersetzung von B ronn erschien schon 1860 u n te r dem Titel: ‘Ü ber die E n tstehung der A rten im Tier- und Pflanzen- Reich durch N atürliche Züchtung, oder E rhaltung der vo llkom m neten Rassen im K am pf um s D asein’.

Die w ichtigsten Begriffe, ‘S truggle fo r L ife’ und ‘N atu ral S e lec tion ’, sind dem Bereich m enschlicher Beziehungen und T ätigkeiten e n tleh n t; darau f m ach t D arw in selbst aufm erksam . D er Begriff ‘N atural S e lec tion ’ w ird von ihm in A nalogie zu dem m enschlichen Züchter gebildet — d ie N atu r züchte t, indem sie u n bew uß t d ie am besten ausges ta tte ten und anpassungs­fähigsten A rten ausw ählt und überleben läßt, so w ie der M ensch durch bew uß te A uslese züchtet. 24

Der B egriff ‘Struggle fo r L ife’ (der d ie tre ibende K raft in diesem A uslese­vorgang bezeichnet), en ts tand nach Dörwins eigenem Zeugnis u n te r dem E indruck der B evölkerungslehre von M althus, die besagt, daß das gesetz-

5. Zur Metaphorik Darwins und ihrer möglichen Wirkung

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m äßige M ißverhältnis zw ischen dem W achstum der N ahrung (in a rith m e­tischem V erhältn is) und der Ü berverm ehrung d e r Bevölkerung (in geom e­trischem V erhältn is) unverm eidlich zu Kriegen und einer A b w ärtsen t­w icklung der m enschlichen G esellschaft führen m üsse .25 “ Es ist d ie Lehre von M althus, in verstärk ter K raft übertragen au f das gesam te Tier- und P flanzen-R eich” , sch re ib t D arw in .26

Im G egensatz zu d ieser pessim istischen B evölkerungslehre sati Darwin allerdings den K onkurrenzd ruck in der N atu r als V ehikel des Fortsfchritts; m an h a t ö fte rs au f die Parallele zum W irtschaftsliberalism us der Z eit D ar­w ins hingew iesen; für diesen H erkunftsbereich des Begriffs sp rich t, daß Darwin sich sehr o f t ökonom ischer Begriffe in seinem W erk b e d ie n t .27

Die H auptbegriffe D arw ins sind also an th ro p o m o rp h e bzw . — ein A us­druck von T o p itsc h 28 — soziom orphe D enkm odelle ; ihr m etapho rischer und deshalb n u r teilw eise adäqua te r C harak te r w ird von D arw in selbst anerkann t. So sch re ib t er z.B. über den B egriff ‘Struggle fo r L ife’ (in der Ü bersetzung B ronns): “ Ich will voraussenden, daß ich den A usdruck ‘R ingen um s D asein’ in einem w eiten und m etaphorischen Sinne geb rau ­che, in sich begreifend die A bhängigkeit d e r Wesen voneinander und , was w ichtiger ist, n ich t allein das Leben des Individuum s, sondern auch die S icherung seiner N achkom m enschaft.” E r n en n t verschiedene Beispiele — das K äm pfen zw eier H unde um N ahrung, d ie A bhängigkeit e iner Wü­stenpflanze von d e r F euch tigkeit, d e r M istel von dem Baum , au f dem sie schm aro tz t — und schreib t: “ In diesen m ancherlei B edeutungen, w elche ineinander übergehen, gebrauche ich der B equem lichkeit ha lber d en A us­d ruck ‘um s D asein ringen ’.” 29

Der Begriff h e b t also an einem kom plexen und um fangreichen V orste l­lungsbezirk e i n gem einsam es M erkm al hervor, e tik e ttie r t d iesen V or­stellungsbezirk in zusp itzender Weise und u m faß t ihn so in einem Ge­sam tüberblick . V erb inde t sich diese ‘p o in tie rende A b strak tio n ’ m it einem unscharfen Bild — un d einem starken G efühlsgehalt, so gerät er in die N ähe dessen, w as m an als D efin ition des Schlagw orts bezeichnen kann. Das schein t bei der Ü bersetzung von ‘Struggle fo r L ife’ m it ‘K am pf um s D asein’ der Fall zu sein, die auch B ronn m eist verw endet. D arw in u n te r­schied zw ischen ‘struggle’ au f der einen und ‘fig h t’ oder ‘w a r’ au f der an­deren Seite und geb rauch t in der Regel den Begriff ‘Struggle fo r L ife’.Die A usdrucksw eise D arw ins und insbesondere die Ü bersetzung durch ‘K am pf um s D asein’ w urde nach 1945 von verschiedenen Biologen als “ unglücklich” und “ d ras tisch” bezeichnet und durch d ie Begriffe ‘K on­ku rrenz’, ‘W ettbew erb ’, ‘W etts tre it’ e rs e tz t.30

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Der A usdruck ‘N atu ral S elec tion ’, der von B ronn n u r teilw eise31 und später in der Regel du rch ‘natürliche Z u ch tw ah l’ w iedergegeben w urde, schreib t d e r N atur, w enn m an ihn w örtlich n im m t, B ew ußtsein und Wahl zu — er w äre eine V erbindung sem antisch unverträg licher B estandteile. Man h a t diesen A usdruck in England sehr bald k ritis iert, und D arw in an t­w o rte t in d e r d r itte n A uflage:

“ Es un terlieg t allerdings keinem Zweifel, daß buchstäb lich genom m en ‘N atural S elec tion ’ ein falscher A usdruck ist; w er h a t aber je den C hem i­ker ge tade lt, w enn er von einer W ahlverw andtschaft u n te r seinen chem i­schen E lem enten gesprochen ? und doch kann m an n ich t sagen, daß eine Säure sich die Basis ausw ähle, m it der sie sich vorzugsweise verbinden w olle. Man h a t gesagt, ich spreche von ‘N atural S e lec tion ’ w ie von einer thä tigen M acht oder G o tth e it; w er aber e rh eb t gegen andere einen E in­w and, w enn sie von der A nziehung reden, w elche d ie Bewegung d e r Pla­ne ten regelt? Jederm ann w eiß, w as d am it gem ein t, und ist an solche b ild­liche A usdrücke gew öhnt; sie sind ihrer Kürze w egen no thw end ig . Ebenso schw er ist es, eine Personifizierung der N atu r zu verm eiden; und doch ver­stehe ich u n te r N atu r b loß die verein te T hätigkeit und Leistung d e r m an­cherlei N aturgesetze. Bei ein b ißchen B ekann tschaft m it d e r Sache sind solche oberfläch liche E inw ände bald vergessen .” 32

A uch für den L inguisten w ürde gelten: bei B ekanntschaft m it der Sache defin ie rt sich der Inhalt eines Begriffs von den R ealzusam m enhängen her. Die m otiv ierte Bildung w ird dann n ich t m eh r aus den B edeutungen ihrer B estandteile erschlossen, sie verliert ihre D urchsich tigkeit zugunsten der in ihr in tend ie rten Sache .33 Die Begriffe ‘Struggle fo r L ife’ und ‘N atu ra l Selec tion ’ haben sich — d arau f w eisen Peters und T op itsch h in — in der E volutionslehre von ihrem ursprünglichen Bildgehalt abgelöst und verselbständig t.34

A ber die Sachsteuerung des V erstehens, die Bühler h e rv o rh eb t35, fu n k ­tio n ie r t nur, solange und sow eit d ie Sache bek an n t ist, und auch dann nur halb. D er Sozialdarw inism us w ar n ich t nu r eine Sache des b reiten , unw issenden Publikum s, w as die D arstellungen von Peters und T opitsch überbetonen , sondern du rchaus auch der Fachbiologie. A llerdings, je w e­niger d ie Sache b ek an n t ist, um so m ehr gew innt ein w ortgesteuertes V er­stehen die O berhand . Es w ird besonders durch m etapho rische T erm ini begünstigt. Sie knüpfen ja an b ek an n te V orstellungen an und en th a lten dam it einen Hinw eis au f die gem ein ten begrifflichen Inhalte , m an ver­s teh t sie halbwegs und w ird sehr leicht zu der vorschnellen M einung ver­führt, sie ganz zu verstehen , d ie Sache in dem W ort zu haben . Die b reite und verzerrende W irkung Darwins hängt, glaube ich, u n m itte lb a r m it sei­

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ner Begriffsbildung zusam m en — auch die aufsch lußreichen A usführun­gen von Peters legen dies n ahe . 36

D arwins F orm eln w urden sehr bald von anderen w issenschaftlichen Dis­ziplinen aufgenom m en, u .a. von A. Schleicher in d e r Sprachw issenschaft u nd von Carl du Prel au f dem G ebiet der A stronom ie. V or allem w urden D arwins Begriffe schlagartig in den Bereich d e r Politik und S ozialtheorie übertragen, zunächst in England. Schon im Jah r des E rscheinens von Darwins H aup tw erk verö ffen tlich te W alter B agehot eine Schrift über N a­tu r und Politik , in der er das Prinzip d e r natürlichen A uslese au f d ie Be­ziehungen der N ationen u n te re inander anw and te und in Krieg und U n ter­drückung ein V ehikel des F o rtsch ritts sah. Spencer übertrug das Prinzip der ‘natürlichen A uslese’ und ‘E rhaltung begünstig ter R assen’ au f die m enschliche G esellschaft — u n te r d e r w irksam en Form el ‘survival o f the f i tte s t’ — deu tsch ‘Ü berleben der T üch tigsten ' .37

Ebenso w urde Eferwins Lehre in D eutsch land sehr bald zu einem belieb­ten D enkm odell au f dem G ebiet der m enschlichen, sozialen, po litischen B eziehungen, und seit dem le tz ten D ritte l des 19. Jah rh u n d erts erschien eine um fangreiche sozialdarw inistische L ite ra tu r. D er Biologe O scar H ertw ig, ein Schüler Erich Haeckels, verö ffen tlich te 1918 eine große S tre itsch rift ‘Z ur A bw ehr des e th ischen , des sozialen, des po litischen D arw inism us’. Die S chrift b re ite t das S ch rifttum aus, in Z ita ten von N ietzsche, Tille, Schallm ayer, P loetz, A m m on, W agner, Schriften m it dem T itel ‘G rundlin ien einer R assenhygiene’ (P loetz), ‘D er Krieg als schaffendes W eltprtnzip’ (W agner) usw.

Hertw ig k ritis ie rt n ich t n u r diese Folgerungen, sondern die Begriffsbil­dung D arw ins selbst, und zw ar im einzelnen:1. ihre vieldeutige U nbestim m the it, d er A usdruck ‘K am pf um s D asein’ w erde derartig w eit geb rauch t, daß sein Inhalt ganz u n b estim m t w erde;2. ihren b ild lichen , m etaphorischen C harak te r — er sei die U rsache der U nbestim m theit. Das gelte auch für die Begriffe der ‘K onk u rren z’ und den an th ro p o m o rp h en A usdruck ‘natürliche A uslese’. In d ie nüch terne sachliche Sprache der W issenschaft w erde eine ‘d ich terische L izenz’ h ineingetragen; 3. en th a lten d ie Begriffe D arw ins nach H ertw ig w issen­schaftlich n ich t vertre tbare W erturteile , so in den ‘S ch lagw orten’ ‘Ü ber­leben des Passenden, des N ützlichen, des T üchtigen, des Z w eckm äßigen’. Hertw ig k ritis ie rt also d ie term inologische U nschärfe der Begriffe D ar­wins und das V orhandensein eines ‘em otiven K o n n o ta ts’. Die U nbestim m t­heit sei die U rsache dafür, daß diese Begriffe so vielseitig verw endbar seien und als ‘M ädchen für alles’ d ie n te n .38

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Bei ihrer Ü bertragung in andere Bereiche — außerhalb des Z usam m en­hangs, w ie ihn die T heorie verlange — verlören sie noch m eh r an Be­stim m the it und w ürden zu abgegriffenen Scheidem ünzen, d ie zu häufigen Irrtüm ern A nlaß gäben. Ü ber deren öffen tliche W irkung schrieb H ertw ig 1917: “ M an glaube doch n ich t, daß die m enschliche G esellschaft ein hal­bes Jah rh u n d e rt lang R edew endungen , wie un e rb ittlich e r K am pf um s Dasein, Auslese des Passenden, des N ützlichen, des Z w eckm äßigen, V er­vollkom m nung durch Z uchtw ahl usw. in ihrer Ü bertragung au f die ver­schiedensten G ebiete w ie tägliches B rot gebrauchen kann , ohne in der ganzen R ichtung ih rer Ideenbildung tie fer und nachhaltiger b ee in fluß t zu w erd en .” 39

Die A usbreitung der Begriffe D arw ins in den W issenschaften und in der G em einsprache ist u .a. auch ein sprachgeschichtlicher V organg. Wie läß t er sich erklären?

ln der G eschichte der W issenschaftssprache läß t sich häufiger beobach ten , daß d e r B egriffsapparat einer D isziplin in eine andere übertragen w ird. Beispiele w ären d ie naturw issenschaftliche Sprache F reuds oder d ie der L inguistik in verschiedenen Z e itab schn itten . Ein au f einem S ek to r e n t­w ickeltes D enkm odell w ird zum Schlüssel für einen neuen S ek to r. Das in der Sprachgeschichte so p roduk tive Prinzip der A nalogie ist auch in der D enkgeschichte sehr p roduk tiv . T rier sp rich t von W ortfeldern “ m it be­w äh rte r K raft der W eltaufschließung” , die sich in b estim m ten Zeiten über andere Sachbereiche analogisch ausbreiten , sich “ als M ittel anb ieten , auch andere Bereiche analogisch zu e rk lären” .40 Die G efahr dieser Ü ber­tragungen, w enn sie unkritisch und uneingeschränkt vorgenom m en w er­den , kann darin liegen, daß sie den Zielbereich verzerren , seine u.U . sehr viel kom plexere S tru k tu r vereinfachen. Es ergibt sich das Problem der, wie es bei C arnap heiß t, ‘Sphärenverm engung’41 .

Die m öglichen G ründe für die A usbreitung der Begriffe D arwins sollen n ich t im einzelnen ausgeführt w erden — ich halte es für w ahrscheinlich , daß an diesem V organg die Sprache D arw ins beteilig t w ar. Die Ü bertra­gung der Begriffe aus der Biologie in den Sozialbereich w ar eine R ück­übertragung. D arw in h a tte sie von d o rth e r en tleh n t. Die vorherige P rojek­tion begünstigte eine R ückpro jek tion . Ihre schlagartige A usbre itung ist vielleicht ein Indiz dafür. Die Ü bereinstim m ung in der Sprache legte eine K ongruenz in der Sache nahe — der suggestive, b ildkräftige und w enig scharf gebrauchte Begriff vom ‘K am pf um s D asein’ ten d ie rte von vorn­herein dazu, die Bereiche zu verklam m ern, w ieder au f den Sozialbereich angew andt zu w erden. Er w ar von d o rth e r, von M althus, en tn o m m en — füllte sich im biologischen Bereich m it einem vielfach beleg ten Inhalt, die V orstellung: F o rtsc h ritt du rch K am pf um s E&sein und Z uch tw ah l

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k o n n te nun, als ein biologisches G esetz, zurückübertragen w erden in den m enschlichen Bereich, in dem die A llgem einform en dieser Begriffe exi­stierten , und sich hier als V orstellung eines allgem einen L ebensprinzips ausw irken. Die Begriffe D arwins bew irk ten eine b iologische T erm inologi- sierung von B egriffen d e r G em einsprache, d ie, im Sozialbereich vo rhan­den, im sozialw issenschaftlichen Bereich eine Z eitlang üblich w urden .

Die Frage, w ie w eit eine an th ro p o m o rp h e Zoologie um schlägt in eine zoom orphe A nth ropo log ie , w ird in le tz te r Zeit anläßlich des S tre its um K onrad L orenz und die V erhaltensforschung d isk u tie rt. Es geh t dabei um das gleiche P roblem der richtigen A nalogie, d e r Ü bertragung und R ückübertragung .42

Wir haben zu le tz t von P rob lem en der W irkung gesprochen , d ie sich aus einer gem einsprachlichen Term inologie ergeben k ö nnen — ich kom m e abschließend au f einen sozusagen gegenteiligen A spekt der G esch ich te der W issenschaftssprache — au f ihre E n tfernung von d e r G em einsprache.

6 . E n tfe rnung der F achsprachen von der G em einsprache und ihre Ü b e r Setzung durch popu lärw issenschaftliche L ite ra tu r

L inne führte in seinen S chriften noch den T itel ‘D o k to r d e r M edizin’ — erst durch ihn w urde aus d e r B otanik eine selbständige D isziplin. Dieser Vorgang h a t sich vielfach w iederho lt. Die A uffächerung der W issenschaf­ten in zahlreiche E inzeldisziplinen und deren A ufspaltung in T eild iszip li­nen ist bek an n t.

Diese besonders im 18. Jh . e insetzende D ifferenzierung — W üster rechne t für die G egenw art m it 300 F achsprachen , w obei er verm utlich g roße F ä­cher m ein t43 — ist beg le ite t von einer exp losionsartigen A usw eitung des W ortschatzes der F achsprachen . In der ers ten A uflage von L in n is ‘Syste- m a N a tu rae ’ (1 7 3 5 ) sind 549 T iera rten e rfaß t, in der zehn ten A uflage (1766) sind es 5897 , gegenw ärtig rechne t m an (lau t F ischer-L exikon) m it 1 1 /4 M illionen T iera rten , d a ru n te r m eh r als 750 000 In sek tenar­te n .44 Die le tz te latein ische A usgabe von L innes ‘System a N a tu rae ’ schätzt die Zahl der Pflanzen au f 10 0 0 0 4 5 , h eu te geh t m an von 370 000 bis 380 00 0 A rten aus (F ischer-L exikon), die w issenschaftlich abgegrenzt w erden müssen und d ah er s tehender B enennungen bedü rfen .46 D er W ort­schatz der C hem ie w urde 1964 au f 2 M illionen W örter geschätzt, d erjen i­ge der E lek tron ik au f 50 00 0 Spezialausdrücke — diese Liste ließe sich verlängern .47

H inzu ko m m t in F ächern w ie z.B. d e r C hem ie oder au f den G eb ie ten der Physik eine w achsende Zahl von A bkürzungssym bolen , F orm eln , G lei­chungen.

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M it dieser W ortschatzerw eiterung geh t in den Fachsprachen eine Term i- nologisierung gem einsprachlicher A usdrücke einher. E ine erheb liche Zahl von A usdrücken der G em einsprache haben z.B. in der Biologie eine gere­gelte Spezialisierung erfahren : ‘N ischen’, ‘G renzfälle’ z.B.; von einem ‘G esetz d e r B la ttb ildung’ und ‘geregelten E rbänderungen ’, die in ä lteren D arstellungen m öglich w ären, kann m an n ich t m eh r ohne w eiteres spre­chen, weil ‘G esetz’ und ‘geregelt’ einen engeren, geno rm ten Sinn haben.

E rw eiterung des W ortschatzes und Spezialisierung der gem einsprachli­chen A usdrücke führen also in den zahlreichen Disziplinen zu e iner zu­nehm enden E n tfernung von d e r G em einsprache, so daß die G ruppen , die sich über ein Teilgebiet verständigen können , zunehm end kleiner w erden und die Zahl d e r von d e r K om m unikation A usgeschlossenen g rößer w ird.

D er geschilderte V erlau f erschein t als typ isch und unverm eidlich . Man kann b eo bach ten , daß die Begründer einer w issenschaftlichen D isziplin relativ allgem einverständlich schreiben — am Beginn der b iologischen E vo lu tionstheorie , der Psychoanalyse o d e r d e r V erhaltensfo rschung ste­hen w eitgehend gem einsprachliche D arstellungen. Das erk lä rt sich daraus, daß D arw in, F reud , L orenz sich noch n ich t an ein Fachpub likum im en­geren Sinne w enden kö n n en ; sie müssen die E insicht in neu en td eck te Zusam m enhänge und eine en tsp rechende T erm inologie erstm alig verm it­te ln und können in dieser H insicht n ich ts voraussetzen . Das bed ing t eine Sprache, die einführt und erk lä rt, an das B ekannte an knüp ft, von hier aus die neuen T heorien en tw icke lt.

V ielleicht spielt hier auch ein besonderes V erhältn is des w issenschaftli­chen E rneuerers zur Sprache eine Rolle. Die Begründer einer neuen wis­senschaftlichen R ich tung haben ein unabhängiges V erhältn is zur überlie­fe rten Sprache. D aß sie sich ihre Begriffe n ich t von der überlieferten Sprache vorschreiben lassen, sondern sich den Sachen neu gegenüberstel­len, ist eine V orbedingung ih rer neuen Begriffe. Das sprachunabhängige, u n m itte lb are V erhältn is zur Sache ist sehr auffallend bei e iner R eihe von Beispielen.

Dem en tsp rich t au f der anderen Seite das aktive, um gesta ltende H and­haben d e r Sprache: N euprägung von Begriffen, Schaffung von T erm ini und N om enkla tu ren , eine neue G esetzgebung sozusagen.

Ihre N achfolger in der gleichen D isziplin haben bei jedem w eiteren S ch ritt von einem zunehm enden V orra t an Wissen und an Term inologie auszugehen und können ihn beim F achpub likum voraussetzen , tu n es auch in der Regel. Sie arbeiten in der du rch die Begründer des Faches vorgezeichneten Bahn w eiter, überliefern ihre Begriffe, bestre iten und d isku tieren sie, defin ieren sie neu. So erg ib t sich fast au tom atisch ein

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ständiger Zuw achs an M etasprache; gem einsprachliche A usdrücke, die der V orgänger noch in tu itiv zu verstehen g laubte , w erden term inologi- s iert; vor allem erw eitern sich ständig die E insicht in Z usam m enhänge und die K enn tn is der G egenstände und d am it die Term inologie und N om en­klatur.

Man k ö n n te h ier an T hom as S. K uhns d e r N aturw issenschaftsgeschichte abgew onnene V orstellung von der S tru k tu r w issenschaftlicher R evo lu tio ­nen anknüpfen — ein Paradigm a, ein einm al en tw orfenes Denk- und Er­fahrungsm odell, w ird von den N achfolgern ausgearbeite t, du rch b re ite , ins D etail gehende Forschung eingeholt und e rw eitert; G eschichte der N aturw issenschaftssprache ist dem entsp rechend V ervielfältigung, V aria­tion und M odifika tion eines einm al en tw orfenen sprachlichen M usters und seine E rw eiterung. Beides b ed eu te t unverm eidlich , w o rau f K uhn ein­geht, Spezialisierung der F achsp rachen .48

G egenüber d e r E n tfernung der F achsprachen von der G em einsprache g ib t es gegenläufige A nstrengungen: zunächst au f Seiten der W issenschaft­ler die Bem ühung um eine gem einverständliche Sprache, ln der neueren Physik und Biologie g ib t es zahlreiche Beispiele dafür, daß W issenschaft­ler sich gem einsprachlich ausdrücken oder ihre w issenschaftlichen Ergeb­nisse einm al fachsprachlich und dann in d ie G em einsprache übersetzt verö ffen tlichen .

F reud u n te rsch e id e t im ‘A briß der Psychoanalyse’ zwei “ M ethoden oder T echn iken” der D arstellung, d ie er jed erze it für m öglich hält, und nenn t sie die “genetische” und “ dogm atische” D arstellung. Die erste , d ie gene­tische, m ach t kaum V oraussetzungen , sondern geh t vom allgem ein Be­kan n ten aus und e rw eite rt dessen Bezirk schrittw eise , sie beteilig t “ den ändern an dem A ufbau einer neuen T heorie des G egenstandes” . Die an­dere, d ie dogm atische, “ ste llt ihre Ergebnisse voran, verlangt A ufm erk ­sam keit und G lauben für ihre V oraussetzungen , g ib t w enig A uskünfte zu deren Begründung” .49 Die beiden un tersch ied lichen M ethoden des d ed u k ­tiven Lehrvortrags oder d e r den Leser an d e r E ntw icklung eines neuen Ergebnisses beteiligenden genetischen D arstellung un terscheiden sich auch, zum indest graduell, du rch ihre N ähe zur term inologischen bzw. zur G em einsprache.

Eine andere gegenläufige A nstrengung liegt vor in den Ü bersetzungen d er w issenschaftlichen E rkenntn isse du rch Z eitungen, Z eitsch riften , Bü­cher. Es g ib t seit dem 18. Jh ., in dem das G eleh rten la te in überse tz t w ur­de, seit G o ttscheds deu tsch e r Fassung von ‘H errn B ernhards von F on te- nelle G espräche(n) von m eh r als e iner W elt zw ischen einem F rauenzim ­m er und einem G eleh rten ’ (1725 ), einen zw eiten Ü bersetzungsvorgang,

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der von dem gleichen aufk lärerischem Im puls getragen w ar w ie der Ü ber­gang der W issenschaftssprache in d ie V olkssprache. W etzel h a t der p o p u ­lärw issenschaftlichen Prosa in den N aturw issenschaften einen in teressan­ten A ufsatz g ew id m et50; es w äre lo hnend , d iesen S trang von T ex ten n ich t n u r stilistisch, sondern auch sprachhisto risch zu un tersuchen . Die V erbreitung der na tu rw issenschaftlichen E rkenntn isse d u rch Z eitungen, R u n d fu n k , Fernsehen , im U n terrich t, du rch Z eitsch riften oder d u rch das ‘S achbuch’ — Sachbücher sind ja w eitgehend Ü berse tzungslite ra tu r — ist d er O rt, w o die Fachsprachen in die G em einsprache übergehen.

7. Schlußbem erkung. H inw eis au f außersprach liche Fak to ren der Sprachentw icklung

Es w ar d ie A bsicht, au f einige A spekte einer G eschichte der N aturw issen­schaftssprache hinzuw eisen: dabei w urden außersprach liche F ak to ren d ieser G eschichte fast ganz außer A ch t gelassen. Es w ürde zu w eit führen, au f diese Frage noch einzugehen. N ur einige Beispiele seien erw ähn t: der po litische F ak to r w ird u .a. w irksam , w enn ein S taa t ein b estim m tes Fach zur Leitdisziplin e rheb t und andere F ächer u n te rd rü ck t; de r ö k o n o m i­sche F ak to r , w enn w irtschaftliche U nternehm en eine b estim m te Diszi­plin w egen der V erw ertbarkeit ih rer Ergebnisse fö rdern oder w enn die “ Ü bersetzungs” instanzen (V erlage, Z eitungen) eine b estim m te w issen­schaftliche R ich tung innerhalb eines Faches begünstigen; der w issen­schaftsorganisatorische F ak to r, w enn eine w issenschaftliche L ehre durch d ie A u to ritä t e iner fes t e tab lie rten Schule über lange Zeit am L eben ge­h a lten w ird, obw ohl sie längst w iderlegt ist.

M an w ird n icht leugnen, daß sich solche F ak to ren au f die G eschichte der W issenschaftssprache ausw irken. Ihre A usw irkung läß t sich h ier viel­leicht sogar besonders gu t beo b ach ten , weil die V ersuchsanordnung etw as übersichtlicher ist als in der allgem einen Sprachgeschichte.

Anm erkungen

1 L. Drozd, W. Seibicke (1973): Deutsche Fach- und Wissenschaftssprache. Wiesbaden, S. 4; zum Thema Fachsprachen vgl. außerdem E. Barth (1971): Fachsprache. Eine Bibliographie. In: Germanistische Linguistik 3, S. 209- 363, und H. Fluck (1976): Fachsprachen. Einführung und Bibliographie. München.

2 Zitiert nach C.A.M. Lindman (1909): Carl von Linné als botanischer For­scher und Schriftsteller. In: Carl von Linnés Bedeutung als Naturforscher und Arzt. Hrsg. v. Königl. Schwedischen Akademie der Wissenschaften. Jena, S. 101.

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3 C. v. Linné (1735): Caroli Linnaei, Doctoris Medicinae, Systema Naturae, sive Régna Tria Naturae systematice proposita per Classes, Ordines, Genera & Species. Lugduni Batavorum.

4 J. Asimov (1968): Geschichte der Biologie. Frankfurt/M ., S. 37.

5 W. Troll (1926): Goethes Morphologische Schriften. Ausgewählt und einge­leitet von W. Troll. Jena, S. 41.

6 H. Goerke (1966): Carl von Linné. Arzt - Naturforscher - Systematiker. Stuttgart, S. 115, 117.

7 C. v. Linné (1751) (1770): Philosophia Botanica in qua explicantur Funda- m enta Botanica cum Definitionibus Partium, Exemplis Terminorum, Observa- tionibus Rariorum, Adiectis Figuris Aeneis. Vindobonae. Kap. VII: Nomina und Kap. VIII: Differentiae.

8 S. Strugger, O. Härtel (1970): Biologie 1 (Botanik) = Das Fischer-Lexikon. Frankfurt/M . Erstausgabe 1962, S. 284.

9 J. Asimov [Anm. 4 ], S. 37 f.

10 R. Burckhardt, H. Erhard (1921): Geschichte der Zoologie und ihrer wis­senschaftlichen Probleme. Teil I und II. Berlin und Leipzig. 2. Auflage, S. 89.

11 Zu diesem Abschnitt vgl. auch U. Pörksen (1975): Zur Wissenschaftssprache und Sprachauffassung bei Linné und Goethe. In: Freiburger Universitäts­blätter. Heft 49, S. 43-63.

12 Zu diesem A bschnitt vgl. J. Asimov (1965): Kleine Geschichte der Chemie. München, S. 58 ff.; H. Kelker, F. Klages, R. Schwarz, U. Wannagat (1969): Chemie = Das Fischer-Lexikon. Erstausgabe 1961, S. 98 ff.; H.-R. Fluck [Anm. 11, S. 83 ff.; R. Wolff (1971): Die Sprache der Chemie. Zur Entwick­lung und S truktur einer Fachsprache. Bonn (= Math.-Nat.wiss. Taschenb. 11); M.P. Crosland (1962): Historical studies in the language of chemistry. London.

13 J. Habermas (1970): Erkenntnis und Interesse. Frankfurt/M ., S. 322 f.

14 H. Paul (1970): Prinzipien der Sprachgeschichte. Studienausgabe der 8. Auf­lage 1968 (= Konzepte der Sprach- und Literaturwissenschaft 6). Tübingen,S. 87, 89.

15 Zu diesem Abschnitt vgl. U. Pörksen (1973): Zur Terminologie der Psycho­analyse. In: deutsche spräche. Heft 3, S. 7-36.

16 L. Drozd, W. Seibicke [Anm. 1], S. 31.

17 Vgl. den kurzen Abschnitt in E. Agricola, W. Fleischer, H. Protze (1970):Die Deutsche Sprache. Kleine Enzyklopädie in 2 Bänden. Leipzig, 2. Band 6.8.7. (S. 749 ff.).

18 Vgl. die Angaben bei A. Bach (1965): Geschichte der deutschen Sprache,8. stark erweiterte Auflage. Heidelberg, § 150 (S. 309), § 166 (S. 331).

19 Vgl. H. Bräuning-Oktavio (1956): Vom Zwischenkieferknochen zur Idee des Typus. Goethe als Naturforscher in den Jahren 1780-1786. In: Nova Acta Leopoldina. NF Band 18. Nr. 126.

20 Deutsches W örterbuch (Grimm) Bd. XIII, Sp. 597.

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21 Vgl. das Gespräch m it Riemer vom 24. Juli 1809.

22 Vgl. Pörksen [Anm. 15], S. 22 f.

23 Vgl. A. Bach [Anm. 18], § 166 (S. 331); G.W. Leibniz (1916): Ermahnungan die Deutschen, ihren Verstand und ihre Sprache besser zu üben, samt beigefügtem Vorschlag einer deutschgesinnten Gesellschaft. In: G.W. Leibniz: Deutsche Schriften. Erster Band. Leipzig (= Philosophische Bibliothek. Band 161), S. 13 ff.; ders. (1916): Von deutscher Sprachpflege. Unvorgreifliche Gedanken betreffend die Ausübung und Verbesserung der deutschen Spra­che, §§ 8 ff. (ebd. S. 26 ff.); reprographischer Nachdruck der beiden Schrif­ten durch die Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Ebrmstadt, in der Reihe‘Libelli’, Band CCXVI.

24 C. Darwin (1863): Über die Entstehung der Arten im Thier und Pflanzen-Reich durch natürliche Züchtung, oder Erhaltung der vervollkommneten Rassen im Kampf um ’s Daseyn. Nach der 3. englischen Auflage und m it neueren Zusätzen des Verfassers für diese deutsche Ausgabe aus dem Engli­schen übersetzt und m it Anmerkungen versehen von Dr. H.G. Bronn, 2. ver­besserte und sehr vermehrte Auflage. Stuttgart. Vgl. besonders das erste Kapitel, S. 41 ff., vgl. S. 73: “ Ich habe dieses Prinzip, wodurch jede solche geringe, wenn nützliche Abänderung erhalten wird, m it dem Namen ‘Natür- liehe Züchtung’ belegt, um dessen Beziehung zur Züchtung des Menschen zu bezeichnen.”

25 S.F. Mason (1961): Geschichte der Naturwissenschaft in der Entwicklung ihrer Denkweisen. Deutsche Ausgabe besorgt von B. Sticker. Stuttgart,S. 488 f., 492 f.

26 Darwin [Anm. 24], S. 75, vgl. S. 15.

27 Vgl. Mason [Anm. 25], S. 497; vgl. zu dieser Frage H.M. Peters (1960): Soziomorphe Modelle in der Biologie. In: Ratio. 3. Jg., S. 22-37, besonders S. 30 ff.

28 E. Topitsch (1962): Das Verhältnis zwischen Sozial- und Naturwissenschaf­ten. In: Dialéctica 16, S. 211-231, besonders S. 213 ff.

29 Darwin [Anm. 24], S. 75.

30 Vgl. E. Mayr (1967): Artbegriff und Evolution. Hamburg und Berlin. Ü b er setzt von G. Heberer, S. 60 f.; Heberer im Nachwort zu C. Darwin (1963):Die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl. Stuttgart, S. 685;Vgl. auch R. Denker (1975): Aufklärung über Aggression, S tuttgart, Berlin, Köln, Mainz (= Urban-Taschenbücher 80). 5. Auflage, S. 19 ff., 29 f.; Vgl.K. Lorenz (1963): Das sogenannte Böse. Zur Naturgeschichte der Aggression. Wien, Beginn des dritten Kapitels.

31 Vgl. die Anmerkung Bronns in seiner Übersetzung Darwins [Anm. 24],S. 14.

32 Darwin [Anm. 24], S. 94.

33 Vgl. W. Fleischer (1969): W ortbildung der deutschen Gegenwartssprache. Leipzig, S. 12.

34 Peters [Anm. 27], S. 33; Topitsch [Anm. 28], S. 216 f.

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35 K. Bühler (1965): Sprachtheorie: Die Darstellungsfunktion der Sprache.2. unveränderte Auflage, Stuttgart, S. 171 f.; Vgl. Fleischer [Anm. 33],S. 53.

36 Peters [Anm. 27], S. 37: “Wenn innerhalb der kritischen Forschung Denk­modelle nur im Hinblick auf ihre Funktion bei der Entschlüsselung des Problemgebiets interessant sind, auf das man das Augenmerk gerichtet hält, so wendet sich das Interesse des großen Publikums gerade um gekehrt an dasModell als solches. Dem vielschichtigen, schwer zu handhabenden Materialder Wissenschaft fernstehend, an den Umgang m it ihren Methoden nicht ge­wöhnt, hält es sich vor allem an die Analogie. Diese ist so viel leichter zu­gänglich als die Realzusammenhänge es sind, auf welche die Analogie abzielt, und m it dem Bilde glaubt man schon die Sache selbst zu haben. Die U n te r schiede zwischen den sachlichen Aussagen der Lehre und den Bildern, unter denen diese in mühevoller Forschung erst gewonnen wurden, tauchen wieder unter in banalen Gleichsetzungen.” Vgl. auch Pörksen [Anm. 15], S. 29.

37 Mason [Anm. 25], S. 497 ff.

38 O. Hertwig (1918): Zur Abwehr des ethischen, des sozialen, des politischenDarwinismus. Jena, S. 2, 10 f., 13, 15, 21.

39 Hertwig, ebd., S. 2.

40 J. Trier (1934): Deutsche Bedeutungsforschung, ln: Germanische Philologie. Ergebnisse und Aufgaben. Festschrift für O. Behaghel. Hg. A. Goetze, W. Horn, F. Maurer (= Germanische Bibliothek, Abt. I, Reihe 1, 19). Heidelberg,S. 196.

41 R. Carnap (1931): Überwindung der M etaphysik durch logische Analyse der Sprache. In: Erkenntnis 2, S. 235 ff.

42 Dieses Problem von ‘Übertragung und Rückübertragung’ habe ich in meiner Antrittsvorlesung in Freiburg (29.6.76) näher untersucht, die demnächst ver­öffentlicht werden soll: ‘W ahlverwandtschaften’, ‘Natürliche Zuchtwahl’, ‘Psychoanalyse’— zur M etaphorik in der naturwissenschaftlichen Sprache Goethes, Darwins und Freuds.

43 L. Drozd, W. Seibicke [Anm. 1], S. IX.44 B. Rensch, G. Dücker (1968): Biologie II (Zoologie) = Das Fischer-Lexikon.

Veröffentlicht 1963, S. 284.

45 Vgl. F. Dinnemann (1962): Grundriß einer Geschichte der Naturwissen­schaften. I. Band. Erläuterte Abschnitte aus den Werken hervorragender Na­turforscher aller Völker und Zeiten. 2. Auflage, Leipzig, S. 129.

46 S. Strugger, O. Härtel [Anm. 8 ], S. 288.

47 A. Bach [Anm. 18], S. 411.48 Th. S. Kuhn (1973): Die S truktur wissenschaftlicher Revolutionen = Suhr-

kamp Taschenbuch Wissenschaft 25. Frankfurt/M ., S. 40 f.

49 S. Freud (1940 ff.): Gesammelte Werke. London. Bd. XVII, S. 141 f.

50 W.D. Wetzel (1971): Versuch einer Beschreibung populärwissenschaftlicher Prosa in den Naturwissenschaften, ln: Jahrbuch für Internationale Germani­stik III, S. 76-95.

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FR IED H ELM DEBUS

Soziale Veränderungen und Sprachwandel.M oden im Gebrauch von Personennamen*

I

V or nu n m eh r 150 Jah ren erschien eine S chrift m it dem T ite l “ Die M oden in den T au fnam en” von M. Jo h a n n C hristian D olz .1 D er V erfasser sprich t darin von der “ H errschaft de r M ode” bei der N am engebung2 , und es ist dies auch der T en o r in vielen der zahlreichen nachfo lgenden A rbeiten über dieses T hem a o der auch über das T hem a M ode allgem ein — bis hin zu R ené Königs “ M acht und Reiz der M ode. V erständnisvolle B etrach­tungen eines Soziologen” .3 W eniger verständnisvoll, v ielm ehr m ißbilli­gend bis deu tlich ab lehnend sind gem einhin Ä ußerungen zur M ode im Zusam m enhang m it dem G ebrauch von Personennam en (PN ). E n tsp re­chendes gilt auch für die sprachpflegerisch b e to n ten A ussagen über die sogenannten M odew örter.4 — In der Regel w ird von den A u to ren der Be­g riff “ M ode” ohne genauere E rläu terung verw endet. Eine gewisse A us­nahm e davon, auch in der E inschätzung des Phänom ens, b ilde t jedoch der vor genau vier Jah ren in M annheim gehaltene V ortrag “ Sprachm oden und ihre gesellschaftliche F u n k tio n ” von H erm ann B ausinger.5 N am en freilich spielen darin überhaup t keine R olle.

W enn in der jüngeren G egenw art nun auch der Bereich d e r nom ina propria s tärker in d ie linguistische B ehandlung solcher Fragen einbezogen w ird, so g ib t es dafür insbesondere zwei G ründe, näm lich einerseits die in ten ­sivere Beschäftigung m it P rob lem en der N am entheorie und andererseits das allgem ein stärkere Interesse — ich m öch te n ich t sagen: das zur M ode gew ordene Interesse — für den sozialen A spekt der Sprache. Bevor w ir uns an H and k o n k re ten M aterials V orgängen der N am engebung und

'D as hier gebotene Material wurde teilweise verwendet in des Verfassers Vortrag “ Soziolinguistische Aspekte der Namengebung. Zur Sammlung und Analyse von Personennamen in N orddeutschland”, gehalten am 7. Febr. 1976 in Amsterdam auf dem Symposion der “ Commissie voor Naamkunde en Nederzettingsgeschiedenis van de Koninklijke Nederlandse Akademie van W etenschappen”. — Für die Rein­zeichnung der Abbildungen habe ich Herrn cand. phil. Volker Holm zu danken.

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N am enverw endung w idm en, ist es w ichtig , durch einige theo re tische V orüberlegungen w enigstens in groben Zügen den R ahm en für d ie A naly­se abzustecken .

II

Die Zeichen einer natürlichen Sprache lassen sich synchronisch nach der D ichotom ie geschlossen : o ffen klassifizieren. W ährend z.B. die F lex ions­oder die D erivationsm orphem e geschlossene Klassen darste llen , m u ß der lexikologische Bereich als prinzipiell n ich t geschlossen bezeichnet w er­den. Insbesondere die Substan tive sind als ausgesprochen o ffene Klasse einzustufen . Die täglich begegnenden N eubildungen oder E n tlehnungen aus anderen Sprachen einerseits und d e r U ntergang von W örtern anderer­seits belegen dies zu r Genüge. D er W ortschatz einer Sprache erw eist sich so “ als ein Spiegel d e r G eschichte — in w eitestem Sinne: po litisch , ö k o n o ­misch, soziologisch, geistes-, ku ltu r- und sittengesch ich tlich” , w ie Hans Eggers es fo rm u lie rt h a t .6 Das nun b e d e u te t n ich t, daß sich das L exikon lediglich durch außersprach liche E inw irkungen verändert. V ielm ehr g ib t es auch hier T eilbereiche, die sich sy stem in tern w an d eln .7 D em gegenüber sind der phonolog ische, m orphologische und syn tak tische Bereich auch diachronisch gesehen eher geschlossen. D am it ist gesagt, daß diese Berei­che n ich t nu r sy stem in ternen V eränderungsm echanism en unterliegen.

Diese notw endig fragm entarischen B em erkungen können durch eine vereinfachende S k i z z e noch einm al veranschaulich t w erden , d ie zu­gleich die Position des uns in teressierenden onom ato log ischen Bereichs in dem dam it um schriebenen R ahm en verdeu tlich t (s. “ Skizze des sy­stem in tern und -extern bed ing ten Sprachw andels” ). D er onom ato log ische Bereich ist h ier, vom Z entrum aus gesehen, dem lexikologischen nachge­o rd n e t. M it J . Kury+owicz k ö n n te m an die nom ina p rop ria zur “M argi­nallex ik” rech n en .8 Sie tragen M erkm ale — auch sem antische —, d ie V er­bindungen m it den nom ina appellativa aufw eisen. Das ist durch neuere U ntersuchungen genauer herausgearbeite t w o rd e n .9 Das w esentliche K ennzeichen des N am ens indessen ist seine iden tifiz ierende F u n k tio n , seine spezifische E ins-zu-E ins-Relation. G oe the h a t das b ild h a ft so um ­schrieben: “ ...d e r E igennam e eines M enschen ist n ich t etw a wie e in M an­tel, der b loß um ihn her hängt und an dem m an allenfalls noch zupfen und zerren kann , sondern ein vollkom m en passendes K leid, ja w ie die H aut selbst ihm über und über angew achsen, an der m an n ich t schaben und schinden darf, ohne ihn selbst zu verle tzen” .10 Nach Jo s t T rie r er­greift der N am e “ ohne das D azw ischentreten des Begriffes u n m itte lb a r das E inzelne; d e r G attungsnam e bezeichnet n u r au f dem Weg über den

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S k i z z e

des

systemintern und-extern bedingten Sprachwandels

W I R K U N G E N

Ia P honolog ischer Bere ich n Lex iko log ischer Bereichb M orpholog ischer Bereich I Onomatologischer Bere ich c S y n ta k t isc h e r Bereich FD.

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Begriff, oder anders gesagt: der E igennam e bezeichnet nur, der G a ttu n g s­nam e bezeichnet, indem und nur indem e rb e d e u te t” .11 Dies ist — ohne hier au f die T erm inologie im einzelnen eingehen zu k ö n n e n 12 — der G rund dafür, daß w ir nom ina propria e tw a n ich t “verstehen” w ie nom i- na appellativa, daß w ir sie prinzipiell n ich t übersetzen ; sie sind n ich t e in ­gebunden in ein B egriffsnetzw erk wie die W örter. A uf G rund ih rer gerin­geren d eno ta tiven , jedoch beherrschenden ko n n o ta tiv en K om ponen te haben E igennam en keine in tersubjek tive G ültigkeit w ie die A ppellative und stehen in H insicht ih rer Sem antik eher an der Peripherie des Sprach­system s . 13

Die G renze zw ischen lexikologischem und onom ato log ischem Bereich ist also n ich t starr. Sie ist vielm ehr durchlässig, w ie im übrigen auch d ie ­jenige zw ischen den B ereichen II und I (s. Skizze). M it anderen W orten:Es g ib t nom ina appellativa, die zu nom ina p rop ria w erden bzw . deren F un k tio n en übernehm en und um gekehrt. In diesem S tadium k ö nnen dann N am en auch zu einer sozialen Barriere w erden , obw ohl — w o rau f O do Leys kürzlich hingew iesen h a t 14 — dies im G egensatz zum übrigen Sprachschatz bei den N am en norm alerw eise n ich t der Fall ist. E inzelne N am en k ö n n en durch einen o d e r viele T räger regional und auch überregio­nal in der Sprachgem einschaft sozusagen ein bestim m tes G esich t erhalten . In der Regel sind solche N am enphysiognom ien schichtenspezifisch rele­vant. 15

Soviel sei gesagt, um die O ffenheit des onom ato log ischen Bereichs vom C harak te r des nom en p roprium her zu begründen. Diese Q ualitä t k o m m t vornehm lich der Klasse der A n th ro p o n y m e, insbesondere der Teilklasse der V ornam en (V N ) zu, n ich t zu le tz t deshalb , w eil gerade in diesem Be­reich der “ B e d a r f ’ an N am en außero rden tlich g roß ist; denn jedes Ind i­viduum m uß seinen eigenen N am en, seinen E igennam en, erhalten . Das führt zur Frage nach d e r N am enw ahl bzw . N am engebung.

Die Wahl eines VN erfolg t nach anderen G esich tspunk ten als die Wahl eines nom en appella tivum im K om m un ikationsp rozeß . Dem einzelnen N am engeber ist zw eifellos ein hohes M aß an F re iheit bei der W ahl eines bestim m ten N am ens aus der g roßen Fülle der m öglichen gegeben. Daß dies n ich t “ die völlige F re iheit der W ahl” ist, w ie z.B. d e r poln ische N a­m enforscher T. M ilewski m e in t16, h a t V .A . N ikonov au f G rund um fang ­reicher sta tistischer A usw ertungen russischen P ersonennam enm ateria ls zu R ech t b e to n t. Sein E rgebnis tr if f t w esentlich auch au f d ie deu tschen und en tsp rechende w estliche V erhältn isse zu; es sei daher teilw eise zi­tie rt: Die D aten bew eisen “ u nbestre itbar, in w elch engem Spielraum sich die Wahl d e r Personennam en sogar beim Fehlen religiöser und juri-

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stischer V erbo te bew egt, bed ing t durch den gesellschaftlichen G eschm ack, du rch die gegenw ärtige an th roponym ische N orm , obgleich sich d e r N a­m engeber ih rer n ich t b ew uß t w ird ” . 17 E bensow enig g ilt, daß h eu te , nachdem eher m echanisch fu nk tion ie rende V erfahrensw eisen (w ie z.B. die verschiedenen Form en der N achbenennung) stark abgebaut w orden sind, N am enw ahl bzw . N am engebung w illkürlich seien . 18 ln d e r Regel w ählt der N am engeber b e w u ß t nach ganz b estim m ten G esich tspunk­ten einen N am en für sein K ind aus. Häufig sind es m ehrere M otive, die — m it g leicher oder un tersch ied licher G ew ichtung — bei diesem Prozeß eine R olle spielen. D aß der N am engeber dabei n ich t selten u n b e w u ß t allgem einen E n tw ick lungstendenzen , T rends, N orm en fo lg t, ist ein Phä­nom en , das m it u n te r den B egriff der “ M ode” fä llt . 19 B ew ußte und u n ­bew u ß te N am enw ahl lassen sich begreifen und erk lären als A usdruck der M e n t a l i t ä t des N am engebers. Ü ber die M en ta litä t w irken d ie system ­ex te rnen F ak to ren (vgl. Skizze), d .h . auch die sozialen V eränderungen , in vielfältiger Form au f den onom ato log ischen Bereich e in .20 D abei ge­hen Hans W alther und Johannes S ch u lth e is21 davon aus, daß d ie “ spezi­fisch sozial de te rm in ie rte N am engebung und N am enw ahl (Z eichenw ahl)... ihrerseits dazu be i[träg t], das G ruppenbew ußtse in als en tscheidendes ko n stitu ie rendes G ruppenm erkm al zu en tw icke ln und zu verstärken ...Die G ruppenzugehörigkeit des einzelnen w irk t stä rker als seine subjektive Ind iv idua litä t” . Die U n tersuchung all dieser B eziehungen ist A ufgabe der pragm atischen N am enkunde ,22 — Die M en ta litä t des einzelnen M enschen w ird geprägt du rch individuelle und gesellschaftliche F ak to ren , sie ist nach T h eo d o r G eiger “ geistig-seelische D isposition , ist unm itte lb a re Prä­gung des M enschen durch seine soziale L ebensw elt und d ie von ih r aus­strah lenden , an ih r gem achten L ebenserfah rungen” .23 D iese sozialpsycho- lögische K ategorie h a t G eiger 1932 als G rundlage für seinen soziographi- schen V ersuch, die Schich tung des deu tschen V olkes zu beschreiben, herangezogen 24 , und R alf D ah rendo rf greift sie w iederum au f für einen en tsp rechenden neueren V ersuch .25

W enn w ir also davon ausgehen, daß die M enta litä t den N am engebungs­prozeß w esentlich steu e rt und daß ferner die M en ta litä t soziale Schich­ten d e te rm in ie rt, so e rh eb t sich von unserem T hem a her d ie Frage, ob ta tsäch lich die aus diesen Präm issen abgele itete A nnahm e einer sch ich ten ­spezifischen N am engebung auch noch für die G egenw art verifiz iert w er­den kann. D aß für die frühere ständisch gegliederte G esellschaft solche deu tlichen U nterschiede und zudem eine p restige-orien tierte E ntw icklung von “ o b en ” nach “ u n te n ” festgestellt w u rden , sei h ier lediglich e rw äh n t. 26 Die gestellte , auch allgem ein-soziolinguistisch w ichtige Frage berüh rt das v ield isku tierte P roblem , au f G rund w elcher k o n k re ten V orgaben über­

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haup t soziale S chich tung e rfaß t w erden kann — w obei w ir grundsätzlich davon ausgehen, daß es auch in der m odernen G esellschaft soziale Schich­tung g ib t. 27 S ind sozioökonom ische D aten allein h inreichend o d er müs­sen soziokulturelle einbezogen w erden? W elche F ak to ren sind bei einem m ehrd im ensionalen M odell zu berücksichtigen? Wie w ird am besten eine b loße K asuistik verm ieden? Ist überhaup t ein der sozialen R ealitä t adä­qu a te r Sch ich tbegriff m öglich? — Solche und ähnliche Fragen w erden sehr un tersch ied lich b ean tw o rte t. Die D iskrepanz der b isher vorgelegten M odelle und Lösungsversuche bew eist, daß es keinen verbind lichen , neu­tralen S ch ich tbegriff g ib t, sondern eher nach je verschiedenen G esich ts­punk ten und Fragestellungen statistisch d efin ie rte G ru p p en .28 Für das von uns e ra rbe ite te Schich tenm odell ( T a b e l l e 1 ) ste llt d e r Beruf des V aters den vorgegebenen ob jek tiven F a k to r dar, von dem her in A n­lehnung an R alf D ah ren d o rf die Auswahl- bzw . E in teilungskriterien ge­w onnen w u rd en .29 Dieses e indim ensional angelegte M odell ergab sich einerseits aus den V orgefundenen D aten der hauptsäch lich als M ateria l­basis d ienenden S tandesam tsun terlagen , andererseits aber ha t die em piri­sche Sozialforschung auch gezeigt, daß der B eruf als das w ich tigste M erk­mal überhaup t im Z usam m enhang m it sozialer S tratifiz ierung bezeichnet w erden m uß — w eshalb dieses n ich t selten allein oder vorw iegend heran ­gezogen w ird . 30 Das gilt generell auch noch für die jüngste Z eit tro tz der zunehm enden B erufsm obilitä t. 31 Zu bedenken ist freilich im m er, daß jedes einzelne Indiv iduum n ich t einförm ig, ein-schichtig und in seinem R ollenverhalten e indeutig festgelegt ist. R alf D ah rendo rf h a t das treffend gekennzeichnet, indem er sagt: “ S ch ich tm en ta litä ten sind nie völlig ein­heitlich. A uch zeigt n ich t jeder Schichtangehörige zu jed e r Zeit d ie erw ar­te te M enta litä t; es g ib t h ier w ie bei anderen R ollen A bw eicher, A ußensei­ter, R andgestalten und F rem d e” .32

N otw endig sind schließlich einige B em erkungen zum Begriff “M ode” . Bezogen au f N am engebung und N am enverw endung w erden in d e r Regel zwei charak teristische M erkm ale für sie genann t, näm lich: H äufigkeit bzw . B eliebtheit und kurzfris tiger W echsel.33 Beide M erkm ale sind zw ei­fellos typ ische K ennzeichen jeglicher M ode, sie sind nur m it dem eine exak te D efin ition erschw erenden N achteil b eh a fte t, daß sie n ich t e indeu ­tig quan tifiz ie rbar sind. “ M ode und d am it auch S p rachm ode” , sagt H erm ann Bausinger m it R ech t, “ g eh ö rt zu den G egenständen , d ie sich w esensgem äß jed e r engeren D efin ition en tz ieh en .” 34 W enn m an z.B. einen M odenam en so charak terisiert, daß er “ die Menge der übrigen N a­m en hoch überragen” m u ß 35 , so k o m m t m an in Schw ierigkeiten , w enn eine N am enliste solche “ S p itzen re ite r” n ich t aufw eist, aber den n o ch der Z e itfak to r zeigt, d aß die N am en in ku rzer Z eit hohe P rozen tw erte erreich-

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T a b e l l e 1 : S ch ich tenein teilung(in A nlehnung an R alf D ahrendorf)

Schich t A usw ahlkriterium

■1 i ........9 J E liten

i

Führungsaufgaben in in s titu tio n e i­len B ereichen w ahrnehm end

8 1 D ienstklasse III H ochschulabschluß

7 D ienstklasse IIi

A b itu r ohne H ochschulausbildung, F achhochschulausb ildung

6 D ienstklasse Iii

V orw iegend geistige A rbeit, Schul­abschluß, kein A b itu r, “ M ach tte il­h abe”

5 1 A lter M ittelstand Selbständig

4 ' “ Falscher M itte ls tand”111

U ntergeo rdnete A ngestellte , deren soziales Selbstverständnis du rch den d irek ten P ub lik u m sk o n tak t über­h ö h t w ird ; L ehre erforderlich

3 , A rbeiterelite

1

A usbildung zum M eister, T echn iker, oder Polier in einem der B erufe von Schich t 2

2 1 A rbeiter IIi

V orw iegend n ich t geistige A rbeit, “ ech te ’ L ehrzeit ist erfo rderlich

1 1 A rbeiter Ii1i

V orw iegend n ich t geistige A rbeit; b estim m ter Schulabsch luß und längere “ ech te” , d .h . vertraglich ge­regelte L ehrzeit sind n ich t e rfo rd e r­lich (angelern te A rbeiter)

0 1 U n tersch ich ti' . . . . . .

D auererw erbslose, U nstete (“ sozial V erach te te” )

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ten . Das d em o n strie rt beispielsweise T a b e l l e 3 (s.d .): Die G ruppe der V N -Form en M arc(o)/M arkus e rre ich te in Kiel 1970 4,9% , und die V ergleichspositionen in der K lam m er davor m achen sehr deu tlich , daß die N am engruppe von Position 25 im Jah r 1959 über d ie P osition 8 im Jah r 1967 rasch diese S p itzenposition erreichen k o n n te . Es ist auch d e u t­lich, daß der A bstand zu den beiden nachfo lgenden N am engruppen n ich t g roß ist, jedenfalls k leiner als d e r zw ischen Position 2 und 3. — U nsere A ufm erksam keit w ird h ierbei auch au f die p rozen tua l besonders gekenn­zeichneten N am enform en M arc(o), A n d re und M ike gelenkt. D iese F o r­m en sind au f d ie G esam ten tw ick lung hin gesehen für unsere G egenw art sehr bezeichnend . Sie gehören zur Fülle der VN, die wegen ihres frem den C harak ters gew ählt w erden . Die vorliegenden F orm en sind au f G rund ih­rer durchw eg niedrigen P rozen tw erte sicher keine M odenam en, sie k en n ­zeichnen aber einen deu tlichen M odetrend . E ntsp rechendes gilt auch für andere B ildungen, w ie etw a die sogenannten B indestrichnam en vom Typ Hans-Georg o d e r d ie D oppelnam en vom T yp A nnem arie, die in e iner b e ­stim m ten Z eitspanne üblich w u rd en .36 Ich m ö ch te solche E rscheinun­gen u n te r dem Begriff “ N am enm ode” zusam m enfassen. D abei g eh t es also n ich t um den E inzelnam en, sondern um B ildungsm uster oder M oti­vationen, die durch m ehrere oder auch zahlreiche N am en rep räsen tie rt w erden können . 37

Der Begriff “ M odenam e” hat — ähnlich w ie der ebenfalls der O b jek tsp ra­che en tnom m ene Begriff “ U m gangssprache” — eher heuristischen W ert. Man kann ihn als so lchen zu präzisieren versuchen, indem m an d ie E n t­w icklung derartiger N am en in ihrem Phasenverlauf fo lgenderm aßen ge­nauer beschre ib t 38 : E ine erste Phase u m faß t die I n n o v a t i o n , d .h . die Phase des langsam en A nstiegs, die n ich t bei N ull beginnen m uß . Die zw eite Phase ist die du rch rapides A nsteigen gekennzeichnete D i f f u ­s i o n . Als d r itte Phase sch ließ t sich die A d a p t a t i o n an, d .h . die Phase der relativ g röß ten V erbreitung . Die v ierte Phase rep räsen tie rt die R e s t r i k t i o n , also das A bgleiten , den Rückgang. Für die R estrik ­tionsphase ist zu bedenken , daß sich ein VN du rchaus m it hohen P ro zen t­w erten an der Spitze der B eliebtheitsliste länger halten kann — w ie das früher durchw eg bei sogar rech t h ohen P rozen tw erten zu beo b ach ten ist. 39 Solche N am en w erden in diesem S tad ium n ich t m ehr als M odena­m en em pfunden , da ihnen der C harak te r des A uffälligen, N euen fehlt.Es w äre also für diese Phase zu un terscheiden eine real relativ kurze D auer und eine zw ar real längere, aber m en ta l en tsp rechend kurze Z eit­spanne .40 Phase 3 w äre dann diejenige des eigentlichen M odenam ens; Phase 2 die, in der ein N am e den C harak te r eines M odenam ens gew innt; Phase 1 w ürde die Vor-, 4 die N achphase darstellen . A n Hand von eini­

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gen Beispielen soll dies später verdeu tlich t w erden.

Es ist auch ohne besonderen Hinw eis evident, daß für all solche B eobach­tungen ein m öglichst um fangreiches, jedenfalls q u an tita tiv h inreichendes M aterial unbed ing te V oraussetzung is t.41 Das gilt n ich t w eniger für die U ntersuchung einzelner Param eter.

III

Der em pirische Teil stü tz t sich im w esen tlichen au f M aterial aus d re i Teil­bereichen Schleswig-H olsteins (s. A b b i l d u n g 1): Die S tad t Bad Segeberg als altes M arkt-, V erw altungs- und S chu lzen trum m it einem hö ­heren A nteil gew erblicher B etriebe h a tte 1970 rd. 13 000 E inw ohner.Der zugehörige L andkreis w ird w esentlich durch die Land- und F o rs t­w irtschaft geprägt. B erücksichtigt sind alle im S tandesam t Bad Segeberg reg istrierten G eburten zw ischen 1940 und 1970.42 N eben diesem ersten U ntersuchungsbereich ste llt d e r zw eite ein in vielerlei H insicht eigenstän­dig-geschlossenes und darum für d ie an stehende Fragestellung besonders aufschlußreiches G ebiet dar. Die sog. P robstei w urde d u rch ihre Z ugehö­rigkeit zum K loster P reetz seit 1226 in Sprache, S itte und R ech t spezifisch geprägt, n ich t zu le tz t durch ihren von A nfang an w eitgehend freien B auernstand .43 Z ur e igentlichen P robstei gehören der alte länd liche Zen­tra lo rt S chönberg m it 18 k leineren B auerndö rfe rn44 und d ie Förde-Bade- s tad t Laboe, die noch heu te neben einer g rößeren neuen W ohnsiedlung m it vorw iegend im D ienstleistungsgew erbe Tätigen das ursprünglich bäuerliche O b erdo rf und das als F ischersiedlung im 19. Ja h rh u n d e rt ge­gründete U n te rd o rf deu tlich erkennen läß t. Als w eiterer g rößerer O rt ist das bis zur F ö rde hin sich e rstreckende H eikendo rf m it berücksichtig t, das besonders gekennzeichnet ist du rch seine F ischerbevö lkerung45 und durch zahlreiche in der G roßstad t Kiel jenseits d e r F ö rd e Tätige, vorw ie­gend aus höheren S ch ich ten . Ein kon trastiver Vergleich m it der N am en­gebung in der durch d ie F ö rde g e tren n ten L an d esh au p tstad t Kiel als d r it­tem U ntersuchungsbereich b ie te t sich h ier a n .46

Für die E inzelanalyse sei unm itte lb a r an das zu T a b e l l e 3 G esagte angeknüpft und nu n m eh r auch T a b e l l e 2 in die B etrach tung m it einbezogen. V ergleicht m an beide T abellen m ite inander, so fallen sogleich einige U nterschiede zw ischen den w eiblichen und m änn lichen VN-Ver- hältn issen einerseits und dem städ tischen und ländlichen B efund anderer­seits auf. Es sei h ier n u r au f weniges hingew iesen: A uffällig ist z.B. in der Liste d e r w eiblichen VN (Tab. 2), daß 1970 au f den beiden vorderen P lätzen in Kiel N am en erscheinen, d ie sich nach A usweis d e r V ergleichs­positionszah len in kürzester Z eit an die Spitze geschoben haben , näm lich

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T a b e l l e 2

Namengebung in K ie l und im Bereich der Probste i — w e ib liche V N

(Zah len in K lam m ern = Positionen im /in den vorausgehenden Vergleichs- jahr/en)

1959 1967 1970

K ie l (nach F. Rast)

1 Sabine 4,6% (6) A ndrea 3,9% (-/12) N icole 4,6%2 Susanne 3,8% (2) Susanne 3,2% ( - /17) Tanja 3,8%

3 Birgit 3,4% (21) A nja 3,0% (4/3) Christi(a)ne 3,7%(4) Christi(a)ne(8) M artina(5) Petra

4, Christi(a)ne 3,2% (1) Sabine 2,9% (21/3) A nja 2,9%

5. Gabriele 3,0% (20) Claudia 2,7% (20/5) Claudia 2,4%

Petra

Bereich der Probste i (nach P. Wenners)

1. Birgit 5,2% (7) A nja 5,4% (7/10) Tanja 5,0%

2. Susanne 3,9% (6) Sabine 4,9% <-/5)(-/8)

Claudia 4,2% N icole

3. Maria 3,2% (4) Petra 4,4% (-/5)(6/8)

B ritta 3,3% M artina

4. A ndrea 2,6% (4) A ndrea 3,4% (-/-) A lexandra 2,5%A ngelika (6) Maren (7/1) A njaA n k e (2) Susanne (5/9) G abrieleBärbel (-19) KarenE lke (4/6) K athrinK atharina/ (-/-) KatjaK athrin (1,3%) (-19) M eike/M aikePetra (6/4) M arenSilke (-/10) SandraUte (-/8)

(2/4)S te fa n ieSusanne

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Bereich der P robstei (nach P. W enners)

5. Angela 1,9% (-) B ritta 2,9%C hristi(a)ne (-) ClaudiaE lisabethGabrieleLuiseW iebke

(4 /4 ) A ndrea 1,7%(6 /9 ) A n n e tte(-/-) B eke(*/7) B irte( - /10) D örte(-/-) Gesa(-19) H eidi(-/-) H elene(-/-) Ilka(7/-) M arianne(-/-) M iriam(4 /3 ) Petra(-/-) R u th(6 / 2 ) Sabine

T a b e l l e 3

N am engebung in Kiel und im Bereich der P robstei — m ännliche VN (Z ahlen in K lam m ern = P ositionen im /in den vorausgehenden Vergleichs- jah r/en )

1959 1967 1970

Kiel (nach F . R ast)

1. M ichael 4,9% (6 ) A n d rea s/ 5,0% (2 5 /8 ) M arc(o) 4,9%A ndré (3 ,3% )/(0,5% ) M arkus

2 . Thom as 4,6% (13) S te fa n 4,6% (6 /1 ) A n d rea s/ 4,4%A n d re( 1,8%)

(1 /3 ) M ichael/M ike(0 ,8%)

3. Jo h a n n es/ 4,1% (1) M ichael/ 4,4% (1 3 /2 ) S te fa n 3,7%Hans M ike

(0,5% )

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Kiel (nach F. R ast)

4. Peter 3,7% (2) Thom as 4,1% (714 ) Oliver 2,9%5. J o a c h im / 2,5% (13) Frank 3,7% ( \H \2 )M a r tin 2,7%

J o c h e n / ( W lS W a t th i a sA ch im

Bereich d e r P robstei (nach P. W enners)

1. Hans 4,9% (6) A n d rea s/ 4,4% (8/4) M ichael 6,3%A n d re(0,5%)

(7) Dirk(-) T (h)orsten

2. Peter 4,4% (-) Jörg 3,9% (2/2) Thom as 4,4%Thom as (8) S te fa n

(2) Thom as3. H einrich / 3,8% (8) K arsten 3,4% (-/7) S w » 3,8%

H einz(2,7%)

4. Christian 3,3% (8) Frank 2,9% (8/6) J o a c h im / 3,1%

(6) Jens J o c h e n /(6) Klaus A ch im(8) M ichael (8/2) S te fa n

5. G ünther 2,7% (-) O la f 2,5% (6/1) A n d rea s/ 2,5%Ulrich (2) Peter A n d ré

(1,3%)(8/3) K arsten(-/7) Lars(-/6) Marcus(6/7) M artin<-/7) M atth ias(-/-) Oliver

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Nicole m it 4,6% und Tanja m it 3 ,8%.47 Es sind bezeichnenderw eise Na­m en aus Sprachbereichen , die insgesam t in d e r jüngeren G egenw art ganz erheblich an B eliebtheit gew onnen haben . So betrug d e r rom anische VN- A nteil bei den M ädchen in Kiel 1959 = 3%, 1967 = 11,2% und 1970 =15,9%, der slawische A nteil 1959 = 1,2%, 1967 = 5,6% und 1970 =11,1%.48 Bei den Jungen-V N haben dagegen in dieser Zeit die n o rd i­schen N am en ihre Sp itzenposition h a lten können . Das zeigt im übrigen bereits, daß der Wechsel bei den M ädchen-VN signifikant stärker, vielfäl­tiger und dah er auch in p rozen tua le r V erteilung niedriger ist, was durch w eitere D aten au f beiden T abellen belegt w erden kann und w as auch von anderen A u to ren — häufig u n te r dem S tichw ort “ g rößere M odeanfällig­keit der M ädchennam en” — n ich t nu r für d ie G egenw art bezeugt w ird .49

Dieselbe E ntw icklung vom A nteil d e r d eu tschen VN her gesehen verdeu t­lichen für den S tandesam tsbereich Bad Segeberg die A b b i l d u n g e n 2 und 3 (s.d .). Diese zeigen, daß bei den Jungen der p ro zen tua le A nteil der deu tschen VN ganz erheblich ist, näm lich um m eh r als das D oppelte höher als bei den M ädchen. Bei beiden aber zeigt sich eine insgesam t fal­lende Linie — freilich m it teilw eise auffälligen Schw ankungen. Bei den M ädchen steig t A nfang der 40er Jah re der deu tsche V N -A nteil (bis etw a 1943), um dann jäh zu sinken; nach 1945 steig t der deu tsche N am enan­teil noch einm al an. Bei den Jungen-V N ist ein en tsp rechendes Bild zu b eobach ten , die K urve steig t allerdings nach dem 2. W eltkrieg deu tlich stärker an.

H ier ste llt sich zunächst d ie Frage, ob sich im A nsteigen des d eu tsch ­stäm m igen N am enanteils bis rd . 1943 die P ropagierung einer b ew uß t deu tschen N am engebung w iderspiegelt. Die V ersuchung zu unverzüglicher Bejahung dieser Frage liegt nahe, w enn m an einerseits z.B. in einer S chrift von L. A ndresen aus dem Jah re 1937 liest, daß die N am engebung eines V olkes als “ geleb ter und gew ollter A usdruck seiner rassisch und geistig-seelischen K räfte und seiner E rlebn isinhalte” verstanden w u rd e 50, w enn m an andererseits aber vor allem den R underlaß des R eichsm inisterium s des Innern vom 18. A ugust 1938 zur K enntn is n im m t: “ K inder d eu tscher S taatsangehöriger sollen grundsätzlich nu r deu tsche V ornam en erhalten .Es d ien t d e r Förderung des Sippengedankens, w enn bei der Wahl der V ornam en au f in der Sippe früher verw endete V ornam en zurückgegriffen w ird. D abei w erden besonders auch solche V ornam en in Frage kom m en , die einem b estim m ten deu tschen L andesteil, aus dem die Sippe stam m t, eigentüm lich sind (z.B. D ierk, M einert, Uwe, W iebke).” 51 G ew iß ist es übereilt, w ie H ans Berger festzustellen , dieser E rlaß “ verlangt und erre ich t w eitgehend die U m gestaltung des deu tschen V ornam engutes im national deu tschen Sinne. Die Schw eiz, solchem D ruck n ich t ausgesetzt, folgt

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Jah rg an g

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Abb. 3: Deutsche Jungenvornamen im Standesamtsbereich

Jahrgang

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D eutschland n ic h t.” 52 D enn es g ib t h ierzu noch keine um fassenderen U ntersuchungen. Lediglich E inzelbeobachtungen bzw . ö rtlich begrenzte S tudien liegen vor; und diese bestätigen eine solche B eurteilung n ich t oder n u r teilw eise . 53

Im Bereich der P robstei erg ib t sich bei den deu tschen m ännlichen und w eiblichen VN, daß in Schönberg m it den B auerndörfern wie im S tandes­am tsbere ich Bad Segeberg die fallende Linie 1941-43 noch einm al ansteigt, in L aboe bere its 1933-35 bis 1941-43 der A nteil w ächst, jedoch in H eiken­d o rf insgesam t ab 1930 die T endenz fallend ist. Für Kiel s te llt Inge Lüpke- M üller54' zusam m enfassend fest, daß nach dem E rlaß sow ohl bei den w eib­lichen als auch bei den m ännlichen VN insgesam t eher das G egenteil von dem im E rlaß G efo rderten e in tra t. E n tsprechendes geschah d o r t angesichts eines Erlasses des R eichsm inisterium s des Innern vom 14. A pril 1937, in dem ausdrücklich nordische VN wie Björn, K n u t, Sven o d e r R agnhild als n ich tdeu tsch beze ichne t und d am it geäch te t w urden ; den n o ch aber w urde z.B. K n u t noch 1939 und 1941 je zw eim al vergeben . 55 D aß dane­ben in Kiel, w ie auch a n d e rn o r ts56 , in der H itlerzeit eine gewisse V orliebe für germ anisch-altdeu tsche VN festzustellen ist — u.a. auch durch eine verm ehrte Wahl von N am en aus dem N ibelungenlied , d e r K udrun oder der E dda — w idersp rich t dem G esagten n ic h t . 57 A uch ist es n ich t w eiter verw underlich , daß das K riegsgeschehen seine Spuren in der N am enge­bung h in terlassen ha t. So w urden in Kiel w ährend dieser Z eit häufiger VN m it dem B estandteil Sieg oder Fried vergeben; ein M ädchen erh ie lt 1941 den sprechenden N am en B ringfriede .58 — Ob die stärkere B eliebt­heit d e r n iederdeu tschen und friesischen N am enform en m it dem ja auch regional-eigenständiges N am engut befü rw ortenden Erlaß in V erbindung zu bringen ist, kann höchstens verm u te t w erden . Im m erhin w urden eini­ge dieser VN in der m inisteriellen V erlau tbarung ausdrücklich positiv er­w ähn t, und in Kiel sind en tsp rechende N am en gerade w ährend d e r Zeit des D ritten R eiches zeitw eise häufig gewesen. Das veranschaulich t A b - b i 1 d u n g 4 (s.d.): E lke und H eike w erden im D uden-L exikon der V ornam en als “ M odenam en” ap o stro p h ie rt 59, und in der T at zeigen ja auch die K urven den vorhin sk izzierten Phasenverlauf rech t d eu tlich ; die A dap ta tionsphase w ürde bei e iner vollständigen Erfassung des M aterials sicher besser hervo rtre ten . Bezogen au f den E rlaß m uß hier aber festge­ste llt w erden , daß sich die E ntw icklung aller d re i N am en 1938 bere its in der D iffusionsphase b efin d e t, diejenige von E lke sogar schon an deren Ende. Zu beach ten ist auch, daß m it diesen N am en du rchaus alte T rad i­tionen fo rtgefüh rt sein kö n n en . D er A nteil der n iederdeu tschen und frie­sischen F orm en betrug z.B. in d e r P robstei bei Jungen- und M ädchen-VN im:

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Abb. 5: Vorkommen der Rufnamen Horst und Adolf in Kiel

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17. Ja h rh u n d e rt = 56,3 %18. ” = 4 0 ,8 %19. ” = 13,0 % 6 0 .

In diesem Z usam m enhang sei auch kurz au f d ie VN H orst und A d o l f e in ­gegangen ( A b b i l d u n g 5 ) . H orst — o ffen b ar allgem ein im 20. Ja h r­hu n d ert be lieb t g ew orden 61 und über längere Zeit hin m it relativ hohen , w enngleich n ich t im m er m it höchsten P rozen tw erten au sges ta tte t — w ird gelegentlich m it d e r N achw irkung des 1930 erm o rd e ten H orst Wessel in V erbindung g eb rach t.62 Ob dies w irklich zu tr iff t, läß t sich schw er au f in­d irek tem Wege feststellen . A uch hier be fin d e t sich die V erlaufskurve im ­m erhin bere its in d e r D iffusionsphase, w ie A bb. 5 zeigt. Eine e rw eite rte M aterialerfassung w ürde insbesondere die erste Phase klarlegen und dabei auch festste llen lassen kö n n en , ob d ieser ursprünglich nu r im N ied erd eu t­schen vorkom m ende seltene N am e ta tsäch lich durch K lopstocks “ H er­m anns S ch lach t” b e k an n t w u rd e .63 — D er N am e A d o l f jedenfa lls ist, das gilt o ffen b ar auch für andere O rte und G ebiete , nie über geringere W erte im D ritten R eich h inausgekom m en, w enn in d e r L ite ra tu r zuw eilen auch anderes b e h a u p te t w ird .64 V on A d o l f abgele ite te w eibliche VN blieben ebenfalls vereinzelt: 1933 w urde zw eim al und 1934 einm al A d o lfin e in Kiel jew eils als D rittnam e vergeben .65

Ein w eiterer, s tarken W andlungen u n te rw o rfen e r K om plex ist die Ein- bzw . M ehrnam igke it.66 A b b i l d u n g 6 veranschaulich t die E n tw ick ­lung im S tandesam tsbereich Bad Segeberg, die bei den M ädchen- und Jungen-V N e tw a gleich verläuft und d ah er zusam m engefaßt ist. Es ist deu tlich , daß innerhalb von 30 Jah ren die M ehrnam igkeit insgesam t ab- und die E innam igkeit zun im m t. Eine d eu tliche G egenentw icklung läßt sich allerdings w ährend des ersten Jah rzeh n ts festste llen . Ab 1944 geh t ab ru p t die E innam igkeit zurück, die Z w einam igkeit und auch die Drei- nam igkeit w erden dem gegenüber be lieb te r, um dann ab 1947 /48 den al­ten E ntw ick lungstrend fo rtzu se tzen . E he nach dem G rund für diese E n t­w icklung gefragt w ird , soll zum V ergleich M aterial aus L aboe herangezo­gen w erden , das zeitlich w eiter zurückgreift: A b b i l d u n g 7 zeigt, daß die Z unahm e der E innam igkeit e inerseits und die A bnahm e der M ehrnam igkeit andererseits hier ganz erheblich sind. Die E ntw icklungs­linien zeigen auch den deu tlichen K nick in den 40er Jah ren und zusä tz ­lich einen solchen in den Jah rzeh n ten 1915-17 und 1920-22. H ier frei­lich w ird der V erlust d e r E innam igkeit du rch den besonderen A nstieg der D reinam igkeit sozusagen kom pensiert. — Dieses Bild g ib t uns nun auch die E rklärung für diese E ntw ick lung an die H and, näm lich: jew eils um das E nde d e r be iden W eltkriege haben offensich tlich rech t viele E ltern

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----------- 1 Vorname----------- 2 Vornam en—------- 3 V ornam en............... 4 V ornam en

Abb. 7 : A n zah l d e r V ornam en f ü r M ädchen und Ju n g e n i n Laboe (n a c h P . W enners)

Jahrgani1 9 4 6 -4 8 1 9 5 8 -6 0 1 9 6 4 -6 6 1 9 6 9 - 7 11910-12 1915-17 1920-22 1955-55 1941-45

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ihren K indern in E rinnerung an nahverw andte K riegsto te deren R ufna­m en als Zweit- oder D rittnam en gegeben. Wir haben es dabei also m it e iner besonderen A rt der N achbenennung zu tu n . Diese D eutung läß t sich durch Befragungen e rh ä r te n . 67 Es w ird d am it zugleich noch einm al ein Bogen zurückgeschlagen zu den A bbildungen über den A nte il der d eu tschen VN (A bb. 2 und 3). D ort h a tte sich nach dem Kriege ein A n­stieg der deu tschen VN gezeigt im G egensatz zur im ganzen rückläufigen T endenz. Dabei w irk t sich u n m itte lb a r aus, daß d u rch diese B enennun­gen nach der älteren G enera tion eben noch vorw iegend oder eher deu tsche VN b e tro ffen w aren.

Für den Bereich der P robstei insgesam t kann festgestellt w erden , daß von 1910 an im m er die E innam igkeit bei den M ädchen d eu tlicher als bei den Jungen ausgeprägt e rsche in t.68 Das zeigt sich auch, w enn m an die d u rch ­schn ittliche VN-Zahl je Kind errechne t. T a b e l l e 4 , für die alle Na­m envarian ten einzeln m itgezäh lt w urden , verdeu tlich t über den in Frage stehenden F ak to r h inaus, daß bei den M ädchen — tro tz d e r niedrigeren V N -D urchschnittszahl je Kind — die Zahl der verschiedenen N am en (= V N -Schatz) bedeu tend h öher ist. Die B un theit und die V ielfalt d e r

T a b e l l e 4 : V erteilung der V ornam en (V N ) au f M ädchen und Jungen im Bereich d e r P robstei, 1910-1971 (n.P . W enners)

M ädchen Jungen

Zahl der G eburten 3 783 4 116

V N -N ennungen 6 264 7 245

V N-Zahl je Kind 1,66 1,76

V N -Schatz 510 390

M ädchennam en scheint d am it das zu bestä tigen , w as W ilhelm H ester- k am p 69 bei en tsp rechendem Befund sagt: “ H ier zeigt sich deu tlich die A uffassung, daß gerade für das M ädchen der V ornam e ein w esen tlicher Teil seiner S chönheit ist, der du rch eine individuelle G estaltung den per­sön lichsten Bereich des e inzelnen M enschen b ild e t.” — Die V erteilung der M ehrnam igkeit bei M ädchen und Jungen ist aber o ffen b a r n ich t über­all gleich. So zeigt sich in Kiel eine stärkere A ngleichung; d ie M ehrnam ig­ke it bei M ädchen ist h ier nach den ausgew erteten Jahrgängen nur wenig geringer.70 Im S tandesam tsbereich Bad Segeberg ist nach den F ests te l­lungen von R ainer F ra n k 71 bei d en M ädchen die M ehrnam igkeit sogar

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häufiger. Insgesam t n im m t jedoch auch hier die M ehrnam igkeit stark ab. D am it u n te rsch e id e t sich diese E ntw ick lung deu tlich von derjenigen, w ie sie G erhard Koss in W eiden/O pf. m it U m gebung für d ie Jah re 1 9 69 /70 festgestellt h a t .72 D ort zeigt sich ein b e träch tliches Ü berw iegen der Z w einam igkeit sow ohl bei den M ädchen als auch bei den Jungen : von insgesam t 193 K indern tragen 145 zwei VN, 24 drei und ebenfalls nu r 24 einen. O b sich m it der starken T endenz zur E innam igkeit im N orden die V orliebe für den sch lich ten , unkom pliz ie rten VN in einen u n m itte l­baren Z usam m enhang bringen läß t, kann v erm u te t w erden. Bei e iner M o­tivbefragung im Bad Segeberger Bereich stand d e r als schlicht un d un ­kom pliz iert em pfundene VN m it 23,24% w eit an der Spitze, danach erst folgte m it 15,93% der als w ohlklingend bzw . zum Fam iliennam en passen­de V N .73

Wie nun verhalten sich d ie einzelnen sozialen S ch ich ten d e r Ein- und M ehrnam igkeit gegenüber? L äßt sich etw a bei den für den Bereich der Probstei so bedeu tsam en G ruppen der Bauern und F ischer ein spezifi­sches V erhalten festste llen? A b b i l d u n g 8 zunächst zeigt im Prin­zip die gleiche T endenz wie sie au f A bb. 7 sich tbar w ird , doch ist in der A nfangsphase deu tlich die Zw einam igkeit h ö h e r und en tsp rechend die D reinam igkeit niedriger. Ferner sind die E in schn itte um das E nde der beiden W eltkriege viel stärker ausgeprägt. — Bei den F ischern als schon im m er rech t geschlossener B erufsgruppe m it ausgeprägtem G em einschafts­geist t r i t t gegenüber den B auern ein d eu tlich e r U nterschied auf. N ach A b b i l d u n g 9 ha t insgesam t die E innam igkeit n ich t die B edeutung wie bei den B auern und bei der übrigen Bevölkerung, w iew ohl nach 1946- 48 auch ein rapides A nsteigen derselben zu beo b ach ten ist. Sie erre ich t aber längst n ich t den A nteil w ie bei den B auern. D em gegenüber ist die M ehrnam igkeit stärker, anfänglich insbesondere d ie D reinam igkeit. Das bestä tig t die B eobachtungen von B ernhard Becke in V orpom m ern , wo zw ischen den beiden W eltkriegen jedes 3. F ischerm ädchen und je d e r 2. F ischerjunge sogar 4 VN e rh ie lten .74 A bb. 9 zeigt, daß zunächst o ffen ­bar die D reinam igkeit zugunsten der Z w einam igkeit abgebaut w urde und diese dann nach dem Zw eiten W eltkrieg zugunsten der E innam igkeit. Die un tersch ied liche V N -E ntw icklung bei B auern und F ischern soll noch ein­m al in einer Synopse festgehalten w erden , w obei die VN von drei Z eitab ­schn itten jew eils zusam m engestellt sind ( T a b e l l e 5 ). Die teilw eise großen U nterschiede tre te n hier deu tlich zutage.

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80

70

60

50

40

30

20

10

01S

Abb. 9: Anzahl der Vornamen für Fischerkinder im Bereich der Probstei

(nach P. Wenners)

1 Vorname -------- 2 Vornamen

3 Vornamen ................ 4 Vornam en

i> , i | | m . | ■ — | | i T '«

12 1915-17 1920-22 1933-35 1941-43 1946-48 1958-60 1964-66 1969-71Jahrgang

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T a b e l l e 5 : Zahl der V ornam en (in %) für Bauern- und F ischerk inder im Bereich der P robstei (n. P. W enners)

1910-1922

Bauern 1 Fischer i

1933-1948

Bauern 1 F ischer

1958-1971

Bauern l Fischer 1

1 V ornam e 9,3 1 8,4 39,3 18,4 73,1 '6 5 ,5j_

2 V ornam en 73,9 49,6 50,9 58,5 24,6 •29 ,9i

3 u .m ehr VN 16,8 1 i

42 ,0 9,8 23,1 2,3 ' 4 ,6 i

Prüft m an das VN-M aterial aus dem S tandesam tsbereich Bad Segeberg nach dem Schich tenm odell (Tab. 1), zeigt sich ebenfalls eine sch ich ten ­spezifische V erteilung. Die M ehrnam igkeit k o m m t vorw iegend in den obe­ren Sch ich ten vor, deu tlich w eniger aber in Schich t 5. E n tsp rechend läß t sich in den oberen Schich ten auch eine V orliebe für den längeren R ufna­m en k o n sta tie ren .75 Im übrigen zeigt gerade die N am enlänge eine ganz auffällige O pposition zw ischen w eiblichen und m änn lichen R ufnam en.Das verdeu tlich t T a b e l l e 6 . Es scheint, daß einerseits die Präferenz d e r M ehrsilbigkeit ebenfalls zur genann ten K ategorie des Schm ückenden gerechnet w erden kann und andererseits die V orliebe für das S ch lich t/U n­kom pliz ierte eher zur “ E insilb igkeit” neigt. H ierzu sollten noch w eitere U ntersuchungen angestellt w erden .

T a b e l l e 6 : V erteilung der N am enlänge, au f G rund einer Zufallsaus­wahl von M ädchen- und Jungen-R uf-(E rst)nam en im S tandesam tsbereich Bad Segeberg

(n.

Einsilber

R. F rank)

Zweisilber D reisilberV ier- (und M ehr-)silber

M ädchen - 777=69,81% 201 = 18,06% 135=12,13%

Jungen 756=51,60% 180=12,29% 459=31,33% 70= 4,78%

Schichtenspezifische U nterschiede ergeben sich im m er w ieder bei einzel­nen VN. Hier können sich örtliche bzw . regionale oder S t a d t : Land-Be­sonderheiten herausbilden. So zeigt sich etw a zeitw eise eine ganz deu tli­che V orliebe für n iederdeu tsche und friesische N am enform en in der Bauern- und F ischerbevölkerung der P robstei, dem gegenüber finden frem dsprachige M odenam en in diesen G ruppen teilw eise keine o d e r nur

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geringe B erücksichtigung; z.B. sind d ie besonders für Kiel so beze ichnen ­den M odenam en N icole und Tanja (s. T ab. 2 ) bei den F ischern b is 1970 (noch) kein einziges Mal vergeben w o rd en .76

Solche sch ichtenspezifisch verte ilten V orkom m en lassen sich einfach und übersichtlich durch N a m e n s o z i o g r a m m e darste llen . Sozio- gram m e sind fo rm alisierte graphische D arstellungen . 77 N am ensoziogram ­me w erden erste llt, indem die e inzelnen N ennungen eines VN jew eils m it der zugehörigen Sch ich tzah l und dem U ntersuchungszeitraum n o tie rt w erden . Das sei an w enigen e in fachen Beispielen aus dem Bad Segeberger S tandesam tsbereich d em o n s trie rt:78

E ditha(1940-1970) 88 /81

Dieses Soziogram m 79 zeigt also, daß d ie “ exklusivere” N am en-V ariante fast nu r in der sehr hohen Schich t 8 v o rk o m m t. 80

Telse(1940-1970) 6 5 5 5 5 5 /5 5 5 3 1

Telse, eine speziell n iederdeutsch-regionale V arian te des insgesam t häufi­gen VN E lisabeth m it unorganischem i-V orsch lag81, k o m m t n u r als R u f­nam e vor, und zw ar hauptsäch lich in der Sch ich t der Selbständigen, die als vorw iegend A lteingesessene o ffen b ar den regional verw urzelten Na­m en bew ußt gew ählt haben . Eine A ufschlüsselung nach S tadt-L and-V or- kom m en zeigt außerdem , daß n u r zwei Belege aus der S tad t s tam m en .82

E ntsprechendes gilt auch für die n ich t so zahlreichen V orkom m en der R ufnam en-V arian ten E lsbeth und Lisa von derselben G rundform Elisabeth. An einer gegenüber dem N am ensoziogram m aufw endigeren T abelle, die aber zugleich S ch ich tzuo rdnung und S tad t-L and-V erteilung fes th ä lt, sei das verdeu tlich t ( T a b e l l e 7 ). Das daraus ablesbare d eu tliche Ü ber­gew icht von Schicht 5 im ländlichen Bereich vergleicht sich dem jenigen von Telse und ließe sich w eiteren Beispielen zur Seite s te llen .83

H orst-D ieter(1940-1970) 8 6 5 2 2 2 /1 1 1 1 1 1

Dieser 1953 zu le tz t vergebene R ufnam e ist m it 75% in A rbeiterfam ilien v e rtre ten . 84

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T a b e l l e 7 : Schichtenspezifische Z uordnung d e r R ufnam en E lsbeth (1940 -1970 ) und Lisa (1940-1970) im S tandesam tsbe­reich Bad Segeberg

(n. R. F rank)

Sch ich t StadtE lsbeth

LandLisa

Stadt Land

9 - - - -

8 - - - -

7 - - - -

6 - - - -

5 - 5 2 4

4 - - - -

3 1 - - -

2 - 1 1 2

1 - 1 - -

0 - - - -

Die Frage nun, ob sich die Schich tzugehörigkeit des N am engebers für den W andel in der N am engebung, für die E ntw ick lung auch eines N am ens zum M odenam en als w ichtig erw eist und ob Begriffe w ie “ M ehrw ert” , “ psychologisches Ü bergew icht” oder “ Prestige” zur E rklärung dieser V orgänge angebrach t s in d 85 , läß t sich für die G egenw art n ich t endgültig b ean tw o rten . E inzelbeobach tungen und -Studien, d ie du rch sys tem ati­sche U ntersuchungen au f b re ite r Basis zu vertiefen w ären, d eu ten auf eine positive B eantw ortung dieser Frage h in .86 Nach einer de ta illie rten A nalyse des Bad Segeberger M aterials ste llt R ainer F rank fest: “ Die R ich tung der M odenam enausbreitung in ih rer soziologischen D im ension h a t sich auch in d e r n ich t ständischen G esellschaft n ich t verändert. Die In itia to reng ruppen von M odenam enw ellen sind aber in der M oderne n ich t m ehr e indeutig fix ierbar, ebensow enig die A usbildung und A us­strah lung von N am en von irgendw elchen städ tischen Z en tren aus ...

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Der soziologische S tellenw ert der In itia to reng ruppe liegt zum eist über ... der A rbeitersch ich t, also in den D ienstklassen und vor allem in d e r A ka­dem ikersch ich t” .87

Es sollte h ier am Beispiel der P ersonennam en gezeigt w erden , daß der onom ato log ische Bereich system ex ternen W irkungen gegenüber beson ­ders o ffen ist. D er W andel im N am engebrauch, w ie er im 20. Jah rh u n d e rt und insbesondere nach dem Z w eiten W eltkrieg zu beobach ten ist, h a t w esentliche U rsachen in den tiefgre ifenden sozialen V eränderungen d ie­ser Zeit. D urch den A bbau a lte r N am engebungstrad itionen b ie ten sich dem einzelnen N am engeber viele M öglichkeiten der Wahl. Er w äh lt nach bestim m ten G esich tspunk ten , doch er folgt dabei — n ich t selten unbe­w uß t — E ntw ick lungstendenzen , Z eitström ungen , M odetrends. Die eigen t­lichen M otive der N am enw ahl im einzelnen ex ak t zu erfassen, ist freilich m it besonderen Schw ierigkeiten v e rb u n d en .88 D er Weg, dies über ein Interview zu tu n , ist sehr aufw endig und ze itraubend , da ein m öglichst um fangreiches, nach sozialen Sch ich ten gestaffeltes M aterial zu erfragen w ichtig w äre, um au f der Basis der vielfältigen E inzelgründe übergreifen­de M otivationen festste llen zu können . Ein anderer Weg ist die F ragebo­generhebung. D ieser ist in Schleswig-H olstein besch ritten w orden . Eine erste A k tion in allen Schulen der S tad t Kiel füh rte zu einem quan tita tiv gu ten Ergebnis; die A usw ertung der D atenm enge au f den rd. 7 500 aus­gefüllt zu rückerhaltenen Fragebögen ist noch n ich t abgeschlossen. Sie ist nu r durch ED V -V erfahren m öglich. Das gilt auch für die In fo rm ationen , die du rch ein en tsp rechendes U n ternehm en m it dem überarbeite ten F ra ­gebogen au f den sprachlich in teressan ten nordfriesischen Inseln m it ihrem zunehm enden F rem denverkehr du rchgeführt w ird . Es s teh t zu ho ffen , daß d am it für einen b estim m ten Z e itab schn itt exem plarisch ein um fassen­deres Bild über das N am engebungsverhalten im Bereich der VN gew on­nen w ird, als dies b isher m öglich w a r.89

A nm erkungen

1 M.J.Chr. Dolz, Die Moden in den Taufnamen; m it Angabe der W ortbedeu­tung dieser Namen. Leipzig 1825.

2 Ebd. 3.

3 Düsseldorf und Wien 1971. Vgl. auch dens., Mode; in: W. Bernsdorf (Hrsg.),W örterbuch der Soziologie, 2. Aufl. S tu ttgart 1969, 717 f.

4 Hierzu vgl. zuletzt G. Storz; nach einer Mitteilung in: Der Sprachdienst 20(1976), H .l, 13. — Zur Frage vgl. besonders J. Stave, Modewörter — Lieblinge oder S tiefk inderder Sprache? in: M uttersprache 72 (1962), 79-84.

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H. Bausinger, Sprachmoden und ihre gesellschaftliche Funktion; in: Ge­sprochene Sprache, Jahrbuch des Instituts für deutsche Sprache 1972 (= Sprache der Gegenwart 26), Düsseldorf 1974, 245-266.

H. Eggers, Deutsche Sprache der Gegenwart im Wandel der Gesellschaft; in: Sprache — Gegenwart und Geschichte. Probleme der Synchronie und Dia­chronie. Jahrbuch des Instituts für deutsche Sprache 1968 (= Sprache der Gegenwart 5), Qisseldorf 1969, 9-29, daraus 14.

Hinzuweisen ist hierzu auf bestim m te W ortfeldstrukturen. Vgl. z.B. J. Goossens, Strukturelle Sprachgeographie. Eine Einführung in M ethodik und Ergebnisse (= Sprachwissenschaftliche Studienbücher, Zweite Abteilung), Heidelberg 1969, 70 ff.

J. Kuryiowicz, La position linguistique du nom propre; in: E.P. Hamp e.a. (Hrsg.), Readings in Linguistics II, Chicago, London 1966, 362-370.

Vgl. hierzu und zum folgenden besonders: V.D. Belen’kaja, Die Toponoma­stik als soziolinguistisches Problem; in: E. Eichler, W. Fleischer, A.V. Superanskaja (Hrsg.), Sowjetische Namenforschung, Berlin 1975, 43-49; ders., Über die Kategorien der Toponom astik; in: E. Eichler e.a., a.a.O. 51- 58; V. Blanär, Das spezifisch Onomastische; in: Der Name in Sprache und Gesellschaft. Beiträge zur Theorie der Onom astik (= Dt.-Slaw. Forschungen 27), Berlin 1973, 31-51; F. Grucza, Beiträge zu einer stratifikationellen Theorie der Eigennamen. Demonstriert anhand der Transpositionsprozesse; ebd. 89-103; W. van Langendonck, Zur semantischen Syntax des Eigenna­mens; in: Namenkundliche Inform ationen 23 (1973), 14-24; ders., Über das Wesen des Eigennamens; in: Onoma 18 (1974), 337-361; A.A. Reformatskij, Zur Stellung der Onomastik innerhalb der Linguistik; in: E. Eichler e.a., a.a.O. 11-32; A.V. Superanskaja, Sprachliches Zeichen und Eigenname; in:E. Eichler e.a., a.a.O. 33-41; H. Walther, J. Schultheis, Soziolinguistische Aspekte der Eigennamen; in: R. Grosse, A. Neubert (Hrsg.), Beiträge zur Soziolinguistik (= Ling. Studien), Halle/Saale 1974, 187-205 (hier S. 189 über “ semantische Grundwerte (semantische Universalien)” der nomina propria); R. Wimmer, Der Eigenname im Deutschen. Ein Beitrag zu seiner linguistischen Beschreibung (= Ling. Arbeiten 11), Tübingen 1973 (darin viele weitere einschlägige Titel).

J.W. v. Goethe, Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit, Zehntes Buch; in: Goethes sämtliche Werke in fünfundvierzig Bänden, Leipzig: Reclam o.J., 23. Band, S. 143, daselbst auch das Zitat aus Herders scherzhaft-höhnischem Brief, der Goethes Bemerkung provozierte:Wenn des Brutus Briefe dir sind in Ciceros Briefen,Dir, den die Tröster der Schulen von wohlgehobelten Brettern, Prachtgerüstete, trösten, doch mehr von außen als innen, der von Göttern du stammst, von Goten oder vom Kote,Goethe, sende m ir sie.VgL auch B. Boesch, Die Eigennamen in ihrer geistigen und seelischen Be­deutung für den Menschen; in: Der D eutschunterricht 9 (1957), H. 5, 32-50; R. Katz, Psychologie des Vornamens (= Beih. z. Schweizerischen Zs. f. Psychologie u. ihre Anwendungen 48), Bern und Stu ttgart 1964, passim.

Nach A. Bach, Deutsche Nam enkunde I: Die deutschen Personennamen 1,2. Aufl. Heidelberg 1952, § 1; vgl. hierzu auch A.V. Superanskaja, a.a.O. (Anm. 9).

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12 Vgl. F. Debus, Aspekte zum Verhältnis Name — Wort. Groningen 1966, bes. 6 ff.

13 Hierzu vgl. allgemein bes. H. E. Brekle, Semantische Analyse von Wertadjek­tiven als Determ inanten persönlicher Substantive in William Caxtons Prolo­gen und Epilogen, Diss. Tübingen 1963, 31; ders., Semantik. Eine Einfüh­rung in die sprachwissenschaftliche Bedeutungslehre (= UTB 102), München 1972, bes. 65; H. Geckeier, Strukturelle Semantik und W ortfeldtheorie, München 1971, 70 ff.

14 O. Leys, Sociolinguistische Aspekten van de Zuidnederlandse Persoonsnaam- geving. Vortrag, gehalten am 7. Febr. 1976 in Amsterdam, Mskr.; s.o. Fuß­note*); ders., Sociolinguistic Aspects o f Namegiving Patterns; in: Onom a 18 (1974), 448-455.

15 Vgl. hierzu m it einschlägigen Literaturhinweisen R. Krien, Namenphysiogno­mik. Untersuchungen zur sprachlichen Expressivität am Beispiel von Personen­namen, Appellativen und Phonemen des Deutschen. Tübingen 1973; fernerM. Willberg, Abgewertete Vornamen; in: M uttersprache 75 (1965), 330-342.

16 Vgl. V.A. Nikonov, Die russischen Personennamen der Gegenwart; in: E. Eichler e.a. (Hrsg.), a.a.O. (Anm. 9), 117-133, darin 133.

17 Ebd. 133; vgl. hierzu auch H. Walther, Soziolinguistisch-pragmatische Aspekte der Namengebung und des Namengebrauchs; in: Namenkundliche Inform a­tionen 20 (1972), 49-60.

18 Hierzu vgl. F. Debus, a.a.O. (Anm. 12) 9; ders., Deutsche Namengebung im Wandel, dargestellt am Beispiel Schleswig-Holstein; demnächst in: BNF NF.

19 Nicht selten geben Eltern an, “ zur Zeit der Namengebung geglaubt zu haben, mit den gewählten Namen im näheren Umkreis allein zu sein. Mangelnde Kommunikation von Bewohnern gleicher Häuser hat also abnehm enden Individualismus in der Namengebung zur Folge, oder um gekehrt ausge­drückt: die A nonym ität m oderner Massensiedlungen hat einigen Einflußauf die Namengebung, ganz besonders auf die Bildung von Modenamen, auf Namen also, die sich an einem Ort mangels Verbindung der Einwohner unter­einander überdurchschnittlich stark verbreiten können” ; L. Bosshart, Motive der Vornamengebung im Kanton Schaffhausen von 1960 bis 1970, Diss. Freiburg i.d. Schweiz 1973, 79. - Diese Angaben sind durch eigene Befra­gungen mannigfach bestätigt worden.

20 H. Berger beton t im Blick auf die Namengebung m it Recht: “ Politische, wirtschaftliche, konfessionelle und soziale Umwälzungen bleiben wirkungs­los, wenn sie nicht von einem entsprechenden Mentalitätswandel, also einem psychologischen Umbruch, gefolgt sind” ; H. Berger, Volkskundlich­soziologische Aspekte der Namengebung in Frutigen (Berner Oberland)(= Sprache und Dichtung NF 14), Bern 1967, 326.

21 A.a.O. (Anm. 9) 188.

22 Vgl. dazu auch: Namenforschung heute. Ihre Ergebnisse und Aufgaben in der Deutschen Demokratischen Republik. Von einem Autorenkollektiv,Berlin 1971, 46.

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23 Th. Geiger, Die soziale Schichtung des deutschen Volkes. Soziographischer Versuch auf statistischer Grundlage (= Soziologische Gegenwartsfragen 1), Stuttgart 1932, 77; vgl. hierzu auch R. König (Hrsg.), Soziologie (= Das Fi­scher Lexikon 10), Frankfurt 1962, 180 ff.; K. Mannheim, Mensch und Ge­sellschaft im Zeitalter des Umbaus. Darmstadt 1958. Mannheim weist darin auf die Schwierigkeit hin, die Zusammenhänge zwischen seelischem Wandel des Menschen und gesellschaftlichem Strukturwandel darzustellen.

24 “ Cts Element der M entalität ist im Begriff der Schicht schon enthalten, denn die Schicht i s t ein Bevölkerungsteil, dem eine typische M entalität zuge­schrieben w ird ...: der M entalität entspricht die Schicht (oder Klasse) a .a .0 . (Anm. 23) 78 f.

25 R. Dahrendorf, Gesellschaft und Demokratie in Deutschland, 2. Aufl. Mün­chen 1972, bes. 86 ff.

26 Vgl. dazu F. Debus, Soziologische Namengeographie. Zur sprachgeographisch- soziologischen Betrachtung der Nomina propria; in: W. Mitzka (Hrsg.), Wort­geographie und Gesellschaft (= Festgabe f. L.E. Schm itt), Berlin 1968, 28- 48; E. Pulgram, Historisch-soziologische Betrachtung des modernen Familien­namens; in: BzN 2 (1950/51), 132-165, bes. 146; W. Will, Deutsche Namen­forschung; in: Germanische Philologie. Ergebnisse und Aufgaben (= Fest­schrift f. O tto Behaghel), Heidelberg 1934, 137-154, darin 153 f.; H. Wolf, Sprachwandel in soziolinguistischer Sicht; in: Germanistische Linguistik 6 (1970) 696-716.

27 Vgl. R. Dahrendorf, a.a.O. (Anm. 25) 88: “es gibt soziale Schichtung; sie ist eine harte Tatsache der modernen wie jeder anderen Gesellschaft” . Dagegen H. Naumann, Entwicklungstendenzen in der m odernen Rufnamengebung der Deutschen Demokratischen Republik; in: Der Name in Sprache und Ge­sellschaft. Beiträge zur Theorie der Onomastik (= Dt.-slaw. Forschungen 27), Berlin 1973, 147-192, darin 187: “ Nach der großen historischen Wende von 1945 wurde nicht nur die Kluft zwischen Arbeitern und Angestellten in der Namengebung sehr rasch überwunden, sondern es kam in unserer Republik überhaupt zur Überwindung der sozial differenzierten Namengebung, weil sich die Gesellschaftsstruktur grundlegend verändert h a tte”.

28 Aus der umfangreichen L iteratur zu dieser Them atik sei besonders hervorge­hoben: P. Atteslander, M ethoden der empirischen Sozialforschung, 4. Aufl. Berlin, New York 1975; K.M. Bolte, K. Aschenbrenner, R. Kreckel, R. Schultz-Wild, Beruf und Gesellschaft in Deutschland. B erufsstruktur und Berufsprobleme (= S truktur und Wandel der Gesellschaft, Reihe B der Beitr. z. Sozialkunde 8), Opladen 1970; H. Daheim, Soziologie der Berufe; in:R. König (Hrsg.), Handbuch der Empirischen Sozialforschung II, S tuttgart 1969, 358-407; N. Dittm ar, Soziolinguistik. Exemplarische und kritische Darstellung ihrer Theorie, Empirie und Anwendung. Mit kom m entierter Bibliographie (= FAT 2013), Frankfurt 1975, bes. 290 ff.; F. Fürstenberg,Die Sozialstruktur der Bundesrepublik Deutschland (= UTB 191), Opladen 1972; F. Hager, H. Haberland, R. Paris, Soziologie + Linguistik. Die schlech­te Aufhebung sozialer Ungleichheit durch Sprache, S tu ttgart 1973, bes.185 ff.; D.V. Glass, R. König (Hrsg.), Soziale Schichtung und soziale Mobi­lität (= Kölner Zs. f. Soz. u. Sozialpsychologie, Sonderheft 5), Köln und Opladen 1961 (darin besonders: K.M. Bolte, Einige Anmerkungen zur Proble-

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m atik der Analyse von "Schichtungen” in sozialen Systemen, S. 29-53;E.K. Scheuch un ter M itarbeit von H. Daheim, Sozialprestige und soziale Schichtung, S. 65-103; L. Rosenmayr, Soziale Schichtung, Bildungsweg und Bildungsziel im Jugendalter, S. 268-283); S. Jäger, J. Huber, P. Schätzte, Sprache — Sprecher — Sprechen. Probleme im Bereich soziolinguistischer Theorie und Empirie (= Forschungsberichte des Instituts für deutsche Spra­che 8), Mannheim 1972; Th. Luckmann, Soziologie der Sprache; in: R.König (Hrsg.), Handbuch der Empirischen Sozialforschung II, S tu ttgart 1969, 1050-1101; H. Moore, G. Kleining, Das soziale Selbstbild der Gesell­schaftsschichten in Deutschland; in: Kölner Zs. f. Soz. u. Sozialpsychologie 12 (1960), 86-119; G. Myrdal, Objektivität in der Sozialforschung (= ed. suhrkamp 508), Frankfurt 1971; J. Schlee, Sozialstatus und Sprachverständ­nis. Eine empirische Untersuchung zum Instruktionsverständnis bei Schul­kindern und Vorschulkindern aus unterschiedlichen Sozialschichten (= Spra­che und Lernen 30), Düsseldorf 1973.

29 Vgl. hierzu ausführlicher: F. Debus, J. Hartig, H. Menke, G. Schmitz, Namen­gebung und soziale Schicht. Bericht über ein Projekt zur Personennam enkun­de; in: Naamkunde 5 (1973), 368-405. Die Schichteneinteilung ist nunm ehr gegenüber 1973 vervollständigt. Zu bedenken ist dabei, daß die beiden Ex­trem schichten “ Eliten” und “ U nterschicht” unterrepräsentiert sind und auch keine eindeutigen M entalitätsmerkmale besitzen; vgl. R. Dahrendorf, a.a.O. (Anm. 25) 97. 105. - W. Hesterkamp, Einflüsse sozialer Verhältnisse auf die Namenwahl (dargestellt an der Vornamengebung in Essen-Werden seit der Jahrhundertwende); in: M uttersprache 75 (1965), 33-40 geht eben­falls von der Berufszugehörigkeit des Vaters aus, unterscheidet aber nur drei Schichten. L. Bosshart, a.a.O. (Anm. 19) 5 differenziert lediglich in zwei Schichten. Demgegenüber arbeitet auch W. Labov m it zehn sozioökonomi- schen Schichten; vgl. z.B. dens., Zum Mechanismus des Sprachwandels; in:D. Cherubim (Hrsg.), Sprachwandel. Reader zur diachronischen Sprachwis­senschaft (= Grundlagen der Kom m unikation), Berlin, New York 1975, 305- 334.

30 Vgl. z.B. L. Rosenmayr, a.a.O. (Anm. 28) 272, der sein eindimensionales Schichtenmodell durch die Beobachtung begründet, “ daß ein Merkmal, das stellvertretend für ein Maß des sozialen Status dienen kann, nämlich der Be­ruf des Familienerhalters, m it einer Reihe von anderen sozial-ökonomischen und kulturellen Merkmalen in engstem Zusammenhang stand”. K.M. Bolte, Zum Verhältnis von Mensch, Arbeit und Gesellschaft; in: K.M. Bolte e.a., a.a.O. (Anm. 28) 226-248; darin S. 239 stellt er fest, “ daß die Berufsposition ein entscheidender Faktor ist, der in unserer Gesellschaft das ‘Prestige’ eines Menschen (seinen gesellschaftlichen Status und seine Schichtzugehörigkeit) m itbestim m t”. J. Schlee, a.a.O. (Anm. 28) 49: “ Die Berufsbezeichnung ... scheint, sofern sie die berufliche Tätigkeit scharf definiert, das für eine soziale Klassifizierung am besten zu verwendende Einzelsymbol darzustellen ...” .Es wird öfters betont, daß Berufe bzw. Berufsgruppen sich durch je spezifi­sche M entalitäten und Verhaltensweisen auszeichnen; so in: K.M. Bolte e.a., a.a.O. (Anm. 28) passim.

31 Noch heute gilt, “ daß die Berufswahl in hohem Maße schichtgebunden er­folgt, also tro tz der ... Veränderungen immer noch primär bestim m t wird von der sozio-ökonomischen H erkunft des Berufswählers” ; K. Aschenbrenner,

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Aspekte und Probleme der Berufswahl; in: K.M. Bolte e.a., a.a.O. (Anm. 28), 168-199, Zitat 175. Zur Berufsmobilität vgl. bes. K.M. Bolte, Berufsstruktur und Berufsmobilität; ebd. 150-167; ders., Die Berufsstruktur im industriali­sierten Deutschland - Entwicklungen und Probleme, ebd. 32-149.

32 R. Dahrendorf, a.a.O. (Anm. 25) 96.

33 Vgl. etwa: Namenforschung heute, a.a.O. (Anm. 22) 23. 96; Die deutsche Sprache. Kleine Enzyklopädie in zwei Bänden, Leipzig 1970, 658 f.; R. Frank, Zur Frage einer schichtenspezifischen Personennamengebung. Na- m enkundliche Sammlung, Analyse und M otivuntersuchung über den Kreis und die S tadt Bad Segeberg. Diss. (Masch.) Kiel 1976; R. Katz, a.a.O. (Anm. 10) 75 ff.; G. Kettm ann, Zur Rufnamengebung bei Jungen in Halberstadt und Aspenstedt (Krs. Halberstadt) vom Ende des 19. Jahrhunderts bis in die Gegenwart; in: M uttersprache 74 (1964), 237-240; G. Koss, M otivationen bei der Wahl von Rufnamen; in: BNF NF 7 (1972), 159-175; W. Seibicke, Wie nennen wir unser Kind? Ein Vomamenbuch, Lüneburg 1962, 34 ff.; ders., Modenamen; in: Der Sprachdienst 14 (1970), 51-55. Vgl. auch V. Kohlheim, Namenmode und Selektionsprinzipien. Zur Terminologie der Sozio-Onomastik; demnächst in BNF NF.

34 H. Bausinger, a.a.O. (Anm. 5) 246.

35 W. Seibicke, Wie nennen ..., a.a.O. (Anm. 33) 41. Seibicke unterscheidet im übrigen zwischen “ M odenamen” und “ modischen Namen” : “ Als modisch kann man allgemein solche Namen bezeichnen, die, bisher unbekannt oder ungewöhnlich, plötzlich irgendwo auftauchen und sich verhältnismäßig rasch und stark verbreiten, ohne deswegen an Häufigkeit aus der Menge der gebräuchlichsten Namen hervorzutreten” (ebd. 42); ähnlich auch G. Koss, a.a.O. (Anm. 33) 173 ff.

36 Vgl. z.B. Th. Herrle, Die Mode in den Vornamen; in: M uttersprache 66 (1956), 18-21, darin 21; W. Hesterkamp, a.a.O. (Anm. 29) 34 f.

37 Vgl. hierzu die Unterscheidung Seibickes zwischen “M odenamen” und “ mo­dischen Namen” ; s.o. Anm. 35.

38 Ich stütze mich hierbei auf R. Frank, a.a.O. (Anm. 33) 13 ff.; 120 ff. Wichtig ist vor allem das Werk von T. Hägerstrand, The Propagation o f Innovation Waves, Lund 1952. — Auch H. Bausinger, a.a.O. (Anm. 5) 259 f. bringt die­sen Ansatz.

39 Vgl. z.B. W. Hesterkamp, a.a.O. (Anm. 29) 36 oder Chr. Andersen, Namen­gebung in Nordfriesland. Dargestellt am Beispiel der Bökingharde, 1760- 1970. Diss. (Masch.) Kiel 1976.

40 Vgl. H. Bausinger, a.a.O. (Anm. 5) 247 zu den Modewörtern.

41 Darauf weist auch H. Naumann, a.a.O. (Anm. 27) 150 hin.

42 Hierzu vgl. näher R. Frank, a.a.O. (Anm. 33).

43 Vgl. P. Wenners, Die Entwicklung der Namengebung im Bereich der Probstei seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts. Staatsexamensarbeit Kiel 1975. Für Heikendorf sind in dieser Arbeit sämtliche Geburtsjahrgänge von 1910-1971 berücksichtigt, für die eigentliche Probstei eine Auswahl von 27 Jahrgängen (vgl. Abb. 7 ff.). Vgl. ferner W. Mitzka, Die Probstei bei Kiel und die Bezie-

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hung des Holsteinischen zum Ostfälischen; in: Korrespondenzblatt des Vereins f. nd. Sprachforschung 55 (1942), 82-86.

44 14-18 % aller Erwerbstätigen sind hier Selbständige, vorwiegend Bauern.

45 Ihr Anteil wurde durch die Zuwanderung preußischer, pom merscher und mecklenburgischer Fischer nach dem Zweiten Weltkrieg verstärkt.

46 Ober die 1972/73 durchgeführte Fragebogenaktion zur modernen VN-Ge- bung vgl. F. Debus e.a., a.a.O. (Anm. 29) m it Angaben zur ökonomischen Struktur. Als Basis für die folgenden Erörterungen dienen besonders: I. Lüpke-Müller, Namengebungspolitik und -praxis in der Zeit des D ritten Reiches am Material der S tadt Kiel. Staatsexam ensarbeit Kiel 1974; F. Rast, “ M odenamen” . Merkmale heutiger Vornamengebung, dargestellt am Beispiel der Stadt Kiel. Seminararbeit Kiel 1971. Durch diese Arbeiten sind aus Stan­desamtsunterlagen die Jahrgänge 1928, 1933, 1934, 1939, 1941, 1946, 1959, 1967 und 1970 erfaßt.

47 Vgl. zum Einfluß der Massenmedien in diesem Zusammenhang F. Debus, Namengebung. Möglichkeiten zur Erforschung ihrer Hintergründe; in: Onoma 18 (1974), 456-469, darin 461 ff.

48 Vgl. dazu näher F. Debus, ebd. 460.

49 Vgl. z.B. A. Bach, Deutsche Namenkunde I: Die deutschen Personennamen 2,2. Aufl. Heidelberg 1953, § 454; L. Bosshart, a.a.O. (Anm. 19) 88; G. Koss, a.a.Q (Anm. 33) 174; H. Naumann, a.a.O. (Anm. 27) 169 f.; W. Seibicke, M odenam en... (Anm. 33) 54; H. Walther, J. Schultheiss, a.a.O. (Anm. 9),197. Vgl. aber auch W. Seibicke, Wie nennen ... (Anm. 33) 42. — Zum ent­sprechenden Befund im Standesamtsbereich Schleswig vgl. F. Debus, Deut­sche Namengebung im W andel... (Anm. 18).

50 L. Andresen, Von Volkstum und Namengebung im Schleswigschen (=Schriften zur Volkstumsarbeit, H. 5), Kiel 1937, 3.

51 Zs. f. Standesamtswesen 18 (1938), 339; vgl. dazu I. Lüpke-Müller, a.a.O. (Anm. 46) 41.

52 H. Berger, a.a.O. (Anm. 20) 327; vgl. auch ebd. 328.

53 Vgl. W. Hesterkamp, a.a.O. (Anm. 29) 35 f.; B. Link, Die Rufnamengebungin Honnef und Wermelskirchen von 1900 bis 1956, Diss. Köln 1966, 38. 48; bes. 1. Lüpke-Müller, a.a.O. (Anm. 46) passim m it weiterer Literatur.

54 A.a.O. (Anm. 46) 171.

55 Vgl. ebd. 43. 46 m it weiteren Beispielen.

56 Dazu W. Seibicke, Wie nennen ... (Anm. 33) 30. 43.

57 Material hierzu bei I. Lüpke-Müller, a.a.O. (Anm. 46) 123 ff. 172.

58 Ebd. 25. 117. 120 f.

59 G. Drosdowski, Duden. Lexikon der Vornamen. Herkunft, Bedeutung und Gebrauch von mehr als 3 000 Vornamen. Mit 75 Abbildungen (= Duden- Taschenbücher 4), Mannheim, Wien, Zürich 1968, 70. 105.

60 Nach P. Wenners, a.a.O. (Anm. 43) 30.

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61 Vgl. bes. G. Drosdowski, a.a.O. (Anm. 59) 113; W. Hesterkamp, a.a.O.(Anm. 29) 38; H. Naumann, a.a.O. (Anm. 27) 166 f.

62 I. Lüpke-Müller, a .a .0 . (Anm. 46) 172; “ Die einzig bekanntere Person der NS-Zeit, die möglicherweise nachhaltiger auf die Namenwahl einwirkte, war der zum Märtyrer stilisierte SA-Führer Horst Wessel, dessen Name in den dreißiger Jahren zu den beliebtesten überhaupt gehörte”.

63 Vgl. hierzu G. Drosdowski, a.a.O. (Anm. 59) 113.

64 Vgl. hierzu m it Literaturhinweisen I. Lüpke-Müller, a.a.O. (Anm. 46) 128 f.; ferner R. Katz, a.a .0 . (Anm. 10) 58. 67; H. Walther, a.a.O. (Anm. 17), 197 f.

65 Durch einen Runderlaß des Reichsinnenministeriums vom 3. Juli 1933 wurden frühzeitig die Möglichkeiten zurückgewiesen, Kinder nach Hitlers Familien­namen zu benennen; “ Wird bei einem Standesbeamten der Antrag gestellt, den Namen des Herrn Reichskanzlers als Vornamen, sei es auch in der weib­lichen Form Hitlerine, Hitlerike oder dergl. einzutragen, so hat er dem An­tragsteller nahezulegen, einen anderen Vornamen zu wählen, da die Annah­me des gewählten Vornamens dem Herrn Reichskanzler unerwünscht ist.” Zeitschr. f. Standesamtswesen 13 (1933), 230; dazu vgl. I. Lüpke-Müller, a.a.O. (Anm. 46) 35.

66 Vgl. hierzu allgemein W. Seibicke, Wie nennen ... (Anm. 33) 13 ff.

67 Sie wird ferner bestätigt durch eine geschlechterspezifische Auffächerung der Linien. Dabei zeigt sich, daß der Knick bei den Jungen-VN wegen der zahlreichen Gefallenen deutlich ausgeprägter ist als bei den Mädchen-VN; vgl. P. Wenners, a.a.O. (Anm. 43) Abb. 2a.

68 Vgl. Abb. la, 2a, 3a bei P. Wenners, a.a.O. (Anm. 43).

69 A.a.O. (Anm. 29) 34.

70 I. Lüpke-Müller, a.a.O. (Anm. 46) 154 ff., bes. 160.

71 A.a.O. (Anm. 33) 217 ff., bes. 219.

72 A.a.O. (Anm. 33) 162. Die Befragung wurde in der Geburtshilflich-gynäkolo­gischen Abteilung des Städtischen Krankenhauses Weiden/Opf. durchgeführt. Vgl. entsprechend auch H. Schönbrunner, Namengebung und soziale Schicht in Kötzting und Umgebung. Staatsexamensarbeit Regensburg 1973, 44.

73 Nach R. Frank, a.a.O. (Anm. 33) 235 f.; dagegen vgl. z.B. G. Drosdowski,a.a.O. (Anm. 59) 20.

74 B. Becke, Volkskundliche Untersuchungen zu Wesen und Wandel der deut­schen Vomamengebung (Mskr.) 1947, 110.

75 Nach R. Frank, a.a.O. (Anm. 33) 217 ff. 208 ff. Frank hat diese Ergebnissedurch Auswertung einer Zufallsauswahl aus seinem Gesamtmaterial gewon­nen. — “ Rufnam e” wird durchgehend im Sinne von “ Erstnam e” gebraucht.

76 Vgl. m it weiterem Material P. Wenners, a.a.O. (Anm. 43) 102 f.

77 Hierzu vgl. z.B. P. Atteslander, a.a.O. (Anm. 28) 257 f.

78 Nach R. Frank, a.a.O. (Anm. 33).

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79 Der Schräg-Mittelstrich dient als Orientierungshilfe, insbesondere bei länge­ren Reihen und auch deshalb, um daran bereits grob den soziologischen M ittelwert abzuschätzen.

80 Allerdings wird sie nur einmal als Rufname (in Schicht 8) gemeldet, sonst nur als Nebenname, was darauf hinweist, daß hier wohl eine besondere Tra­ditionsform vorliegt.

81 Vgl. J. Hartig, Die münsterländischen Rufnamen im späten M ittelalter (= Nd. Studien 14), Köln, Graz 1967, 61.

82 Nach K. Frank, Anhang und S. 181.

83 Z.B. Hanne/Johanne oder Dirk; vgl. R. Frank, a.a.O. (Anm. 33) 178. 193.

84 Auch Horst wird deutlich von Schicht 1 (38,94%) und Schicht 2 (17,84%) bevorzugt. Die Stadt : Land-Relation ist beim Rufnamen Horst-Dieter aus­geglichen, was zeigt, daß dieser Aspekt und Schichtzugehörigkeit n icht korres­pondieren müssen.

85 Vgl. z.B. W. Labov, a.a.O. (Anm. 29); H. Wolf, a.a.O. (Anm. 26); dazu J.A. Fishman, Soziologie der Sprache. Eine interdisziplinäre sozialwissenschaftli­che Betrachtung der Sprache in der Gesellschaft (= hueber hochschulreihe 30), München 1975, bes. 136 ff.; J.J. Gumperz, Zur Ethnologie des Sprach­wandels; in: D. Cherubim (Hrsg.), Sprachwandel. Reader zur diachronischen Sprachwissenschaft (= Grundlagen der Kom m unikation), Berlin, New York 1975, 335-355.

86 Vgl. hierzu etwa H. Bausinger, a.a.O. (Anm. 5) 255; W. Hesterkamp, a.a.O. (Anm. 29) 39 f.; O. Leys, Sociolinguistic Aspects ..., a.a.O. (Anm. 14) 452;W. Seibicke, Wie nennen ..., a.a.O. (Anm. 33) 35 ff.; H. Walther, J. Schultheis,a.a.O. (Anm. 9) 188; siehe auch o.S. 171 f.

87 R. Frank, a.a.O. (Anm. 33) 158 f. Vgl. hierzu auch W. Hesterkamp, a.a.O. (Anm. 29) 40; W. Seibicke, Wie nennen ... (Anm. 33) 35 ff.

88 Vgl. F. Debus, a.a.O. (Anm. 47).

89 Als Beispiel für eine offenbar gruppenspezifische und nachzuprüfende Na­mengebungsmotivation bei Germanisten wurde im Vortrag abschließend hingewiesen auf Karl Müllenhoff, von dem Wilhelm Scherer, Karl Müllenhoff. Ein Lebensbild. Berlin 1896, 129 berichtet: “ In dem dritten [Sohn], den er in humoristischer Anknüpfung an die Nibelungenfehde nach Bischof Piligrims angeblichem Schreiber und Holtzmanns Nibelungendichter Konrad nannte, hatte er anfangs seinen Nachfolger und Fortsetzer gesehen.”

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R O L F C AS PARI

Beobachtungen zur Thematisierung der Kommunikation in deutschen Strafprozeßordnungen des 19. und 20. Jahrhunderts

Inhaltsübersicht

1. Sprachgeschichtsschreibung und Kom m unikationssituationen2. Sprachgeschichtliches Material und Fragestellung3. Entstehungsgeschichte und Publikationsrahmen4. Verhaltens- und Sprachseite5. Thematisierung der Kommunikation

a) Bezeichnung der Kommunikationssituationb) Sprecheranwesenheit und Sprechem ennungc) Sprechaktbezeichnungend) Textsortenbezeichnungen

1. Sprachgeschichtsschreibung und Kom m un ika tionss itua tionen

Fragt m an nach der G eschichte des Sprachverhaltens als kom m unikativen V erhaltens, w ird es unerläß lich sein, nach K om m un ika tionssitua tionen zu un te rsch e id en .1 E rst eine D ifferenzierung nach z.B. V erkaufsgespräch, po ­litischer V erhandlung, Predigt, Fam iliengespräch, Polizeiberich t, B eicht­gespräch, Salonkonversation w ird eine G eschichte des so konzip ierten S prachverhaltens sinnvoll m odellieren können.

Die K om m un ikationssitua tion “ G erich tsverhand lung” eignet sich für eine en tsp rechende U ntersuchung besonders gu t

a) wegen der sozialen S treuung der beteilig ten Sprecher,b) wegen der relativ hohen K onstanz seit den A nfängen der deu tschen

Sprachgeschichte, w ie sie sonst n u r im religiös-kultischen Bereich an ­zu treffen ist, einer K onstanz, die — anders als vielleicht in der Presse, dem fachw issenschaftlichen Sprechen o d er d e r po litischen R ede — eine gu te V ergleichbarkeit d e r jew eiligen synchronen S chn itte erm ög­licht,

c) wegen der ö ffen tlichen R elevanz dieses Sprachverkehrs, de r in der neue­ren V erfassungsgeschichte im Bereich der d ritten G ew alt au f die G estal­tung des Soziallebens E influß hat. (S ta tt von einer “ E ffek tiv itä t des R ech ts” , wie ein T ite l eines rechtssoziologischen Jah rb u ch s h e iß t2 , ließe sich in diesem Zusam m enhang von einer “ E ffek tiv itä t” der K om ­m un ika tionssitua tion “G erich tsverhand lung” sprechen.)

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Wegen der für einen N ich t-Juristen n ich t leicht du rchschaubaren V ielfalt von P rozeßarten ist es sinnvoll, sich au f einen V erhandlungstyp zu be­schränken. Ich m öch te die S trafverhandlung herausgreifen, da sich durch das 19. Jh . h indurch bis heu te die ju ristische Ö ffen tlichkeit im m er w ieder m it ihr auseinandergesetzt hat, was im H inblick au f die Zivilverhandlung n ich t im selben M aße der Fall ist.W enn m an von der gegenw ärtigen M öglichkeit von T onbandaufnahm en und deren genauer T ransk rip tion absieht, so sind uns sprachliche Q uellen zur G eschichte der S trafverhandlung greifbar in un tersch ied lichen schrift­lichen T ex tso rten :

1. Strafprozeßordnungen

2. G erich tsak ten

3. Gerichtsreportagen und Veröffentlichungen von Anwaltsreden

4. verfahrensrechtliche Literatur (z.B. Lehrbücher zum Strafprozeß)

5. verfahrenskritische Literatur (z.B. Veröffentlichungen zur Debatte um Mündlich­keit, Öffentlichkeit, Geschworenengericht und Anklageprinzip im 19. Jh . oder- gegenwärtig - um die Benachteiligung des Unterschichts-Angeklagten und die Gefährdung des rechtlichen Gehörs im Strafprozeß)

6. Literatur zur praktischen Juristenausbildung (z.B. Anleitungen zur Abfassung von Urteilen, zur Durchführung der Hauptverhandlung).

A us diesen M aterialgruppen m öch te ich die P rozeßordnungen herausgrei­fen, da sie die Beziehungsgrundlage für das V erstehen jed e r anderen Dar­stellung einer G erichtsverhandlung und außerdem leicht zugänglich sind und schließlich exp liz it das kom m unikative G eschehen them atisieren durch die V erw endung von sp rechak tbezeichnenden A usdrücken, wie sie in kei­ner der anderen M ateria lgruppen so k o n zen trie rt Vorkom m en.

A ufgrund dieser M ateriallage w ird der — sozusagen — “ sem asiologische” Weg3 d e r E rschließung des K om m unikationsgeschehens eingeschlagen:V on den sprachlichen A usdrücken ausgehend, w ird versucht, zu den kom ­m unikativen E inheiten und deren Sequenzierung und V ariation vorzu­stoßen . Selbstverständlich ist w ie für alle sem asiologischen A rbeiten ein onom asiologisches te r tiu m com paration is no tw end ig4 , das in diesem Falle m it der K o m m u n ika tionssitua tion “ G erich tsverhand lung” als gegeben an ­gesehen w ird und n ich t w eiter p rob lem atisiert w erden soll. P rob lem atisiert w erden m uß dem gegenüber die B innengliederung der K om m unikationssi­tu a tio n . N euere A rbeiten zur Sprache der G erich tsverhandlung5 lassen er­kennen , daß geeignete A nalyseeinheiten feh lten , die über äußere M erkm a­le w ie z.B. phonolog ische oder lexikalische (z.B. G ebrauch von b itte ) h inausgehen, andererseits aber genügend gehaltvoll, sachangem essen und

2. Sprachgeschichtliches Material und Fragestellung

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überprüfbar zugleich sind und n ich t nu r innerhalb eines bestim m ten , eigen­willigen K om m unikationsen tw urfs G eltung haben sollten , wie z.B. bei T ausch /L anger6.

Im F olgenden soll an H and von S tra fp rozeßo rdnungen über die darin vor­genom m ene T hem atisierung der K om m unikation au f die K om m unikations­s tru k tu r der S trafverhandlung geschlossen w erden. B ehandelt w erden sollen dabei die badischen P rozeßordnungen des 19. Jh ., die R eichsstrafp rozeß­o rdnung und die gegenw ärtigen S tra fp rozeßo rdnungen d e r B undesrepu­b lik und der D D R. D er Beginn dieser R eihe um ca. 1800 ist dadu rch ge­rech tfe rtig t, daß nach der F ranzösischen R evolu tion sich auch in D eutsch­land eine allm ähliche, aber g rundlegende U m gestaltung des S trafverfahrens zu seiner noch heu te gültigen F o rm vollzogen ha t.

Die H eranziehung badischer P rozeßordnungen für die Z eit vor der R eichs­gründung ist zw ar w illkürlich, aber auch insofern exem plarisch , als der h isto rische P rozeß in den anderen deu tschen T eilstaa ten m it geringer Pha­senverschiebung ähnlich verlaufen ist (z.B. in P reußen).

3. E ntstehungsgesch ich te und P ub likationsrahm en

Seit der Peinlichen G erich tso rdnung Karls V. von 1532 herrsch te im D eu t­schen R eich das S trafverfah ren des G em einen Prozesses, so auch in den badischen M arkgrafschaften .7 Nach deren V ereinigung zum K urfü rsten tum 1803 w urde auf der G rundlage der “ C aro lina” von K urfürst Karl F riedrich am 4 .4 .1803 das 8. O rganisations-E dikt, “Die V erw altung d e r Strafge- rechtigkeitspflege b e tre ffe n d ” , erlassen .8 Es erschien zunächst nu r im Re­g ierungsblatt, zw anzig Jah re später m it Z usätzen9 auch in B uchform . Die 100 Paragraphen des S tra fed ik ts en th a lten w ie die H alsgerichtsordnung von 1532 m aterielles un d form elles S tra frech t (d .h . A usführungen über D elikte und ihre B estrafung wie auch V erfahrensvorschriften) und sollten die “ herköm m lich m ildere A nw endungsart der ä lte ren G esetze” (gem eint sind die “ C aro lina” und regionale Strafgesetze) sichern .10 Das S traf-E dik t von 1803 sollte ein “ provisorisches N orm ativ”11 sein, blieb aber bis 1851 in K raft.

Dem gegenüber w urde seit dem ersten badischen L andtag 1818 /19 die F o r­derung lau t nach T rennung der Ju s tiz von der V erw altung und A blösung des geheim en und schriftlichen V erfahrens d u rch das ö ffen tliche und m ünd­liche . 12 Das Ergebnis dieser D eba tten w ar 1819 die E insetzung einer R echts­gesetzgebungskom m ission, die bis 1837 tag te und schließlich 1835 d e r R e­gierung den E n tw urf einer neuen S tra fp rozeßo rdnung vorlegte. N ach ver­schiedenen M odifikationen und K om prom issen w urde 1845 dieser E n t­w urf von beiden K am m ern angenom m en. Die neue S trafp rozeßo rdnung

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w urde am 6 .3 .1845 vom G roßherzog “ m it Z ustim m ung U nserer getreuen S tän d e” “beschlossen und v e ro rd n e t”. 13 D iese S trafp rozeßordnung , die wegen der revo lu tionären Ereignisse der Jah re 1848 /49 n ich t in K raft ge­tre ten ist, w ar die fo rtsch rittlich ste in den S taa ten des D eutschen Bundes, insofern sie das Inquisitionsverfahren des G em einen Prozesses durch eine R eform in R ich tung au f das A nklageverfahren gem äß französischem M uster ablöste.

E rst 1851 tra te n diejenigen B estim m ungen, die o h n e V eränderung der G e­richtsverfassung durchgeführt w erden k o nn ten , in K raft. Die Prinzipien der S tra fp rozeßo rdnung von 1845 w urden ohne E inschränkungen G esetz erst in der S tra fp rozeßo rdnung von 1864, die d e r G roßherzog am 18.3.1864 m it einer nahezu g le ich lau tenden P ublikationsverordnung wie 1845 und 1851 verkünden ließ . 14

Die R eichsstrafp rozeßordnung von 1877, verkündet m it der F orm ulierung “Wir W ilhelm von G o ttes G naden D eutscher Kaiser, K önig von Preußen e tc . verordnen im N am en des D eutschen R eichs, nach erfo lg te r Z ustim ­m ung des B undesrathes und des R eichstags, was fo lg t” 15, zeigt starke Ä hn­lichkeiten m it der badischen S tra fp rozeßo rdnung von 1 8 6 4 .16 Der G rund­gehalt d e r S tra fp rozeßo rdnung ist bis zur gegenw ärtig für die B undesrepu­blik D eutsch land gültigen Fassung gleichgeblieben; seit der W eim arer Zeit ist allerdings die m onarchische P ub likationsverordnung weggefallen.

Im G egensatz zur B undesrepublik h a t die DDR seit 1952 und verstärk t nach dem R echtspflegeerlaß von 1963 ihre S trafp rozeßo rdnung in w esen t­lichen T eilen , d a ru n te r auch in dem A bschn itt über die H auptverhandlung, geändert und dem S trafverfah ren einen neuen Sinn zu geben versucht, was sich — im U nterschied zur B undesrepublik — auch dadu rch äu ßert, daß dem eigentlichen T ex t eine Präam bel vorangestellt w ird. In der S tra fp rozeßo rd ­nung der D D R von 1952 h e iß t es darin in § 2: “ Die erzieherische A ufga­be des S trafverfahrens. Das S trafverfahren soll zur A chtung vor dem sozia­listischen G esetz, zur A ch tung vor dem sozialistischen E igentum , zur A r­beitsdisziplin und zur dem okratischen W achsam keit e rz iehen .” In der ge­m äß dem R echtspflegeerlaß refo rm ierten S tra fp rozeßo rdnung von 1963 ist exp lizit von “ erzieherischer A ufgabe” des S trafverfahrens n ich t m ehr die R ede. Es he iß t d o rt in § 2 (3) vorsichtiger: Das S trafverfahren “ träg t ... bei ”“ - zum Schutze d e r sozialistischen G esellschaftsordnung und ihres S taates und der R ech te und gesetzlich geschützten Interessen der Bürger vor S tra f­ta ten ;

- zur G estaltung der sozialistischen B eziehungen der Bürger zu ihrem Staat und im gesellschaftlichen Z usam m enleben,

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— zur E ntw icklung der schöpferischen K räfte des M enschen und der ge­sellschaftlichen V erhältn isse .”17

Für alle hier zu behandelnden S trafp rozeßo rdnungen seit 1803 gilt, daß der A dressat n ich t genann t w ird, w ährend als Sprecher bis 1918 der je ­weilige M onarch a u f tr it t . Da die S trafp rozeßo rdnungen jedoch ein Ver­fahren regeln, sind die A dressaten die V erfahrensbeteilig ten : R ich ter, S taatsanw alt, V erteidiger, Schöffe, A ngeklagter. V on der R egelung ihrer Beteiligung am V erfahren hängt es ab, ob und in w elchem U m fange sie als A dressaten in Frage kom m en.

4. V erhaltens- und Sprachseite

Die U ntersuchung der gesam ten S trafverhandlung m it all ihren V eräste­lungen soll n ich t A ufgabe dieses Beitrags sein. Ich w ähle deshalb die Schluß­teile der G erichtsverhandlung zum Vergleich aus: Diese Teile sind für ei­nen N ich t-Juristen überschaubar — anders als die u n m itte lb a r vorhergehen­de B ew eisaufnahm e, in die h isto risch jew eils un tersch ied liche B ew eistheo­rien h ineinspielen — und zeigen in der G ru n d stru k tu r die A bfolge von “S ch lußvorträgen” , “ U rte ilsbera tung” , “ U rteilsverkündung” (um m it den gegenw ärtig gebräuchlichen T erm in i zu sprechen).

Prüft m an, w elche D aten aus der K om m unikationsbeschre ibung für die K ennzeichnung von V erhaltensseite und Sprachseite im Sinne des F rei­burger Sprachverhaltensm odells18 gew onnen w erden können , so ergibt sich folgendes Bild (w obei nu r die m ündlichen K om m un ika tionsak te be­rücksichtig t w erden):

In dem vorliegenden M aterial der S tra fp rozeßo rdnungen sind die redekon- stellativen M erkm ale Ö ffen tlichke it, Sprecherzahl, Rang der Sprecher und le itende In ten tio n d o k u m en tie r t. V ergleicht m an die G erich tsverhand lun­gen un te re inander, so stellen sich die S tra fp rozeßo rdnungen ab 1845 als eine geschlossene G ruppe heraus gegenüber dem V erfahren nach dem Straf- E d ik t von 1803. A b 1845 sind die Schlußvorträge (in der Regel) ö ffen tlich und haben m ehrere S precher; die U rteilsberatung w ird n ich t-ö ffen tlich durchgeführt, m it e inem o d er m ehreren Sprechern (den R ic h te rn );d a s Ur­teil w ird ö ffen tlich verkündet von einem Sprecher, dem V orsitzenden R ich­ter. Der Vorsitzende R ich te r ist es auch , der in allen drei R edekonste lla­tionen privilegiert ist.

D em gegenüber sind 1803 das S chlußverhör, d ie Fassung d e r U rteile wie auch die im H a u p ttex t des S traf-E dik ts n ich t erw ähn te E rö ffnung des Ur­teils n ich t-ö ffen tlich . D ie drei R edekonste lla tionen sind 1803 n ich t Teile e iner größeren K om m un ika tionssitua tion “ S ch lußverhand lung” o d er

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“ H aup tverhand lung” , sondern sind als selbständig in bezug au f K om m u­n ik a tio n so rt und -te ilnehm er anzusehen: D ie Fassung der U rteile w ird n ich t vom U ntersuchungsrich ter vorgenom m en, sondern vom H ofgerich t aufgrund der A k te n ; bei der E röffnung des U rteils ist w iederum keine K o n tin u itä t zu den voraufgegangenen R edekonste lla tionen gew ahrt, denn das U ntergericht, das aber n ich t m it dem U ntersuchungsrich ter identisch sein m uß, liest den B etroffenen das vom H ofgericht übersandte U rteil vor.

Die beiden G ruppen von R edekonstella tionsfo lgen , die m it H ilfe der M erk­m ale Ö ffen tlichkeit, Sprecherzahl und R ang der Sprecher bere its deu tlich voneinander g e tren n t w erden können , un terscheiden sich auch in ihren le itenden In ten tio n en “ Inqu isitionsp rinz ip” vs. “ A nklageprinzip” , wie sie z.B. im S traf-E dik t auch verbalisiert sind: § 6 “ Ein A nklageprozeß (P ro­cessus accusatorius) finde t in unseren L anden nirgends s ta tt . . .” und § 7 “M ithin m uß alles was in der peinlichen H alsgerichtsordnung über den Prozeß vo rkom m t, n u r so wie es auf den U ntersuchungsprozeß anw end­bar ist, verstanden un d angew andt w erd en ” .

H insichtlich der S prachseite m achen die K om m unikationsbeschreibungen der P rozeßordnungen kaum A ngaben; lediglich bei den A usführungen des S taatsanw alts w erden 1845 und 1864 V orschriften h insichtlich d e r Ver- sprachlichung gem acht (B egründung der A nträge 1845 und 1864, Bezeich­nung des G esetzes 1864) und ebenfalls bei der B estim m ung über die U rteils­verkündung in allen P rozeßordnungen . D ie F orm ulierung des U rteils ist in allen P rozeßordnungen an bestim m te R egeln gebunden : N ennung des E r­gebnisses, des V erbrechens, d e r S trafe, der K ostenentscheidung . D arüber h inaus w erden ab 1845 die E ntscheidungsgründe für das U rteil verlangt, ab 1877 w ird zw ischen U rteilsform el und U rteilsgründen un tersch ieden , und ab 1950 in der B undesrepublik D eutsch land und ab 1952 in der D D R ist in die P rozeßordnung aufgenom m en w orden , daß die U rteile m it dem A us­d ruck “ Im N am en des V olkes”abgefaß t und verkündet w erden sollen.(O hne daß dieser A usdruck in der S tra fp rozeßo rdnung e rw ähn t w orden ist, ist er bereits nach dem 1. W eltkrieg, w enn auch n ich t in allen L ändern des D eutschen R eiches, bis 1934 verw endet w orden , von 1934 bis 1945 in der V ersion “ Im N am en des D eutschen V olkes” und nach dem 2. W elt­krieg bis zur N euregelung der A usdruck “ Im N am en des R ech ts” . Die F o r­mel h a t ihr V orbild in dem A usdruck “ Im N am en des K önigs” , m it dem in P reußen seit 1850 die U rteile bis 1918 verkündet w u rd e n ; daneben verw en­d e te das R eichsgericht bis 1918 den A usd ruck “ Im N am en des R eichs”. ) 19

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S. T hem atisierung der K om m unikation

1. Straf-Edikt Baden 1803 (“Schlußverhör” )

§ 17 ... die ... nochmalige Vernehmung der Inquisiten über kurze Fragen, welche das Geständnis derselben oder sonst das Hauptsächlichste ihrer Aussagen über das Verbrechen und über die erschwerenden und mildernden Umstände enthalten und auf welche die Antwort durch Urkundspersonen bezeugt wird; sodann die Befra­gung: ob der Verbrecher etwas zu seiner Rechtfertigung anzuführen wisse — und er einen Rechtsfürsprecher verlange, der schriftlich seine Verteidigung führe — oder ob er sich allein dem gerechten Erkenntniß der obrigkeitlichen Entscheidungsbehörde überlassen wolle...§ 18 Die Fassung der Urtheile...

2. Strafprozeßordnung Baden 1845 (“Schlußverhandlung”)

§ 235 Am Schlüsse der Verhandlung werden die Partheien, und zwar zuerst der Staatsanwalt mit seinen Anträgen und deren Begründung, sodann der Angeschul­digte und sein Anwalt mit der Vertheidigung gehört. Dem Angeschuldigten und seinem Anwalt gebührt in jedem Falle das letzte Wort.§ 241 Am Schlüsse der Verhandlung ... schreitet das Gericht alsbald zur Berathung in geheimer Sitzung und zur Fällung und Verkündung des Urtheils.§ 243 Mit dem Urtheil eröffnet der Präsident zugleich in Kürze das Wesentliche der Entscheidungsgründe, deren nähere Ausführung der schriftlichen Ausfertigung Vor­behalten bleibt.

3. Strafprozeßordnung Baden 1864 (“Hauptverhandlung”)

§ 244 Nach geschlossener Beweiserhebung wird der Staatsanwalt mit seinen Anträgen und deren Begründung, sodann der Angeklagte und sein Anwalt mit der Vertheidi­gung gehört.Dem Angeklagten und seinem Anwälte gebührt in jedem Falle das letzte Wort.Der Staatsanwalt hat in seinem Antrage das Gesetz, dessen Strafandrohung in An­wendung kommen soll, zu bezeichnen; es steht ihm frei, auch hinsichtlich der Strafausmessung einen Antrag zu stellen.§ 2 5 2 Das beschlossene Urtheil wird mit den Entscheidungsgründen sofort in öffent­licher Sitzung verkündet.§ 300 Mit dem Urtheil eröffnet der Vorsitzende zugleich in Kürze das Wesentliche der Entscheidungsgründe, deren nähere Ausführung der schriftlichen Ausfertigung Vorbehalten bleibt.

4. Reichsstrafprozeßordnung 1877 (“Hauptverhandlung”)

§ 257 Nach dem Beschlüsse der Beweisaufnahme erhalten die Staatsanwaltschaft und sodann der Angeklagte zu ihren Ausführungen und Anträgen das Wort.Der Staatsanwaltschaft steht das Recht der Erwiderung zu; dem Angeklagten ge­bührt das letzte Wort.Der Angeklagte ist, auch wenn ein Vertheidiger für ihn gesprochen hat, zu befragen, ob er selbst noch etwas zu seiner Vertheidigung anzuführen habe.§ 259 Die Hauptverhandlung schließt m it der Erlassung des Urtheils.

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§ 267 Die Verkündung des Unheils erfolgt durch Verlesung der Urtheilsformel und Eröffnung der Urtheilsgründe am Schlüsse der Verhandlung. Die Eröffnung der Ur- theilsgründe geschieht durch Verlesung oder durch mündliche Mitteilung ihres wesent­lichen Inhalts.

5. Strafprozeßordnung BRD 1975 (“Hauptverhandlung”)

§ 258 (1) Nach dem Schluß der Beweisaufnahme erhalten der Staatsanwalt und sodann der Angeklagte zu ihren Ausführungen und Anträgen das Wort.(2) Dem Staatsanwalt steht das Recht der Erwiderung zu ¡dem Angeklagten gebührt das letzte Wort.(3) Der Angeklagte ist, auch wenn ein Verteidiger für ihn gesprochen hat, zu befra­gen, ob er selbst noch etwas zu seiner Verteidigung anzuführen habe,§ 260 (1) Die Hauptverhandlung schließt m it der auf die Beratung folgenden Ver­kündung des Urteils.§ 268 (1) Das Urteil ergeht im Namen des Volkes.(2) Das Urteil wird durch Verlesung der Urteilsformel und Eröffnung der Urteils­gründe verkündet. Die Eröffnung der Urteilsgründe geschieht durch Verlesung oder durch mündliche Mitteilung ihres wesentlichen Inhalts.

6. Strafprozeßordnung DDR 1968 (“Hauptverhandlung”)

§ 238 (1) Nach dem Schluß der Beweisaufnahme erhalten der gesellschaftliche An­kläger, der gesellschaftliche Verteidiger, der Staatsanwalt, der Angeklagte oder sein Verteidiger zu ihren Ausführungen und Anträgen das Wort.(2) Der Angeklagte ist, auch wenn ein Verteidiger oder ein gesellschaftlicher Vertei­diger gesprochen hat, zu befragen, ob er selbst noch etwas zu seiner Verteidigung auszuführen habe.(3) Dem Staatsanwalt steht das Recht der Erwiderung zu; Verteidiger oder Ange­klagter können hierauf ihrerseits erwidern.(4) Für den gesellschaftlichen Ankläger und den gesellschaftlichen Verteidiger gilt Absatz 3 entsprechend.§ 239 Dem Angeklagten gebührt das letzte Wort.§ 240 (1) Der Beweisaufnahme und den Schlußvorträgen folgt die Beratung des Gerichts.(2) Die Hauptverhandlung schließt mit der Verkündung1. eines Urteils oder2. eines Beschlusses über die vorläufige oder die endgültige Einstellung des Verfah­rens oder über die Verweisung der Sache an ein anderes Gericht.§ 246 (1) Das Urteil wird im Namen des Volkes öffentlich verkündet.(2) Die Verkündung erfolgt durch Verlesung der Urteilsformel und der Urteilsgründe.

Bei der A nalyse der T ex te u n te r dem G esich tspunk t der K om m unikations- them atisierung h ä tte es auch nahegelegen, B eschreibungsverfahren heran ­zuziehen, die den A nspruch erheben , eine sachadäquate M etasprache be­re itzustellen : so z.B. die B eschreibungsverfahren von R . F. Bales oder neuerdings H. S teger. A bgesehen davon, daß das T ex tm ateria l aus den S tra fp rozeßo rdnungen n ich t die reale K om m un ika tion , sondern eine K om ­m unikationsbeschreibung bzw . -norm ierung darste llt, erschein t die Inter-

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aktionsanalyse von Bales w egen ihrer B ezogenheit au f “ K onferenzgrup­p e n ”20 und ihres rigoros funk tionalistischen A nsatzes w enig geeignet, das h isto rische M aterial zu erfassen und ist der V orschlag zur In ten tio n en an a­lyse bei H. S teger21 gegenw ärtig m .E . noch zu sehr der um gangssprachlichen U m schreibung verhafte t, als daß dieses V erfahren ohne A bsicherung der In­te rp re ta tio n durch P ara lle ltex te w ie z.B. G erich tsreportagen , S e lb s tin te r­p re ta tio n en der B eteilig ten in der K om m unikation usw. zu einer n ich t zir­kelhaften A nalyse führen würde.

Aus diesen Ü berlegungen heraus soll in diesem Zusam m enhang nur auf B eobachtungen aufm erksam gem ach t w erden, die es lohnen w ürden, sy­stem atischer u n te rsu ch t zu w erden , als es gegenw ärtig geschehen kann.

a) B ezeichnung der K om m un ika tionssitua tion

In den herangezogenen T ex tste llen kom m en folgende B ezeichnungen für die K om m un ika tionssitua tion vor:

“ Schlußverhör” 1803“ S chlußverhandlung” 1845“ H auptverhand lung” 1864, 1877, 1968, 1975

In diesem B ezeichnungsw andel spiegelt sich d e r W andel vom Inqu isitions­verfahren zum A nklageverfahren .22 F riedrich H ecker, der badische H of­gerich tsadvokat und R evo lu tionär von 1848 /49 , sprach als A bgeordneter des Landtages vom “ heim lichen K riegsverfahren der In q u is itio n ” 23. Zwar ex is tie rt in der ers ten H älfte des 19. Jah rh u n d e rts bere its der T erm inus “ V erhandlung” im Zusam m enhang m it dem S trafverfahren , aber n ich t als kod ifiz ierter N am e für einen bestim m ten A bschn itt dieses V erfahrens.So schreib t der bedeu tende H eidelberger R echtsgelehrte und L andtagsab­geordnete C .J.A . M itterm aier in seinem L ehrbuch zum deu tschen S traf­verfahren 2 1832/3 3 von der “A ufnahm e von V erhandlungen zu den A k­te n ” und von “erschöpfender V erhand lung” 24, n en n t aber das K apitel über den b e tre ffenden V erfah rensabschn itt “ von d e r H aupt U n t e r s u ­c h u n g ” 25. V erbunden m it diesem term inologischen R ahm en “ U nter­suchung” , die gegen den A ngeklagten geführt w ird , ist eine charak teristi­sche V erteilung des A usdrucks “ V erh ö r” im G egensatz zu “ V ernehm ung” : ln der eben erw ähn ten Schrift von M itterm aier ist im Zusam m enhang m it dem A ngeschuldigten überw iegend von “ V erhö r” die R e d e 2^, im Zusam ­m enhang m it Zeugen dagegen von “ V ernehm ung” 27. D ieselbe D istribu ­tio n läß t sich in H.A. Zachariaes S trafp rozeß leh rbuch 1 8 6 1 /68 fes ts te l­len .28M it dem Übergang vom T erm inus “ S ch lußverhör” zu “ Schlußverhandlung ist außerdem der Übergang vom Schriftlichkeitsp rinzip zum M ündlichkeits-

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prinzip 29 verbunden . D abei ist u n te r S ch riftlichke itsp rinz ip30 n ich t eine ausschließlich schriftliche K om m unikationsfo rm zu verstehen, sondern durchaus ein m ündliches V erhandeln, das aber w ie beim A ngeklagtenver­hör und der Z eugenvernehm ung in vo rfo rm ulierten und du rch n u m erie rten Fragen und der A ufzeichnung der en tsp rechenden A n tw orten in den P ro­zeßak ten m inu tiös festgehalten w ird nach dem M otto “quod non est in actis, non est in m u n d o ” . Das sog. m ündliche V erfahren dagegen kom m t ohne schriftliche Teile n ich t aus: so ist die A nklage schriftlich n iederge­legt, d er U rte ilstenor vor V erkündung schriftlich fix iert und auch ein P ro­toko ll abgefaßt. Dieses P ro toko ll en th ä lt aber in der Regel keine W ieder­gabe des Dialogs.

Zwei T extbeisp iele können aus P ro zeß ak ten 31 vor und nach Einführung des Anklage- und M ündlichkeitsprinzips dies verdeu tlichen:

Stühlingen d. l l r Septbr. 1847 vor

grhl. Bez. Oberam tmann Frey.In dieser Untersuchungssache

gegen [...] et Cons. v. Obereggingen

wegenStraßenraubs und Teilnahme

hat man zur Vornahme des feierlichen Schlußverhörs m it den Inquisiten Tagfahrt auf heute anberaum t und dazu die beyden verpflichteten Urkundspersonen

Bgrmstr. Ignatz Würth u.G. Rath Jakob Stadler

von hier beygezogen, sofort den Inquisiten [...] vorführen lassen welchem man all­vorderst sämtliche in dieser Untersuchungssache mit demselben vorgenommenen Verhöre vorlas, sofort ihn nach deren Vorlesung befragte, wie folgt:

Fr.Erkennt ihr die euch so eben vorgelesenen Antw orten auf die an euch während der jüngsten Untersuchung dahier wegen Straßenraubs gestellten Fragen als die eurigenu. als richtig zu Protokoll genommene oder was findet ihr an denselben noch beyzu- fügen, oder abzuändem?

Ich erkenne die so eben vorgelesenen A ntw orten auf die während der jüngsten Untersuchung dahier wegen Straßenraubs gestellten Fragen nach vollem Inhalte als die meinigen, und als richtig zu Pro­tokoll genommen u. an welchen ich nichts abzuändern oder beyzufügen finde. —

[...]

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Fr.

Verlangt ihr einen Anwalt der eure V erte id igung schriftlich führe, oder w ollt ihr euch nach Lage der Untersuchungsacten vertrauensvoll dem gerechten Urtheile des höhern Richters unterziehen?

Ja; ich verlange einen Anwalt, der meine Vertheidigung schriftlich führe; da ich aber keinen Advokaten kenne, so bitte ich das hochpreisl. Hofgericht einen solchen für mich zu ernennen u. zwar um so mehr als ich auch die M ittel nicht besitze einen solchen zu bezahlen indem meine Frau erst auf A bsterben ihrer noch lebenden Eltern das von mir angegebene Vermögen erhält.

[...]

Oeffentliche Sitzung des Schwurgerichts für den Oberrheinkreis

Freiburg, den 18ten Dezember 1856 vormittags 9 1/4 Uhr.

Anwesend:[ 5 Richter, 1 Staatsanwalt, 1 Protokollführer]

In A nklagesachen gegen

[...] von Breisach wegen

Mords.

Der Präsident eröffnete die Sitzung, ließ durch den Protokollführer den Gegenstand der heutigen Tagesordnung ausrufen und die Angeklagte von der Wache begleitet vorführen [_. Nach Vernehmung zur Person, Bildung der Geschworenenbank, Ver­lesung der Anklageschrift:]Hierauf vernahm der Präsident die Angeklagte ausführlich über den Inhalt der An­klage. Die zur heutigen Verhandlung vorgeladenen 4 Sachverständigen waren von Beginn der Sitzung an zugegen.

[ ...]Seinen G rund ha t dieser V erzich t au f genaue P ro toko llierung der einzelnen Ä ußerungen darin , daß das G erich t aus dem un m itte lb aren E indruck der G erichtsverhandlung sein U rteil fällen soll w ie im sch riftlichen Prozeß aus der K enntn is der A k ten . Dies ist der heu tigen S trafp rozeß lehre sog. “ G rundsatz der U n m itte lb ark e it” 32. Er fand bere its in der badischen S tra fp rozeßo rdnung von 1845 seinen N iederschlag zu § 241, Satz 2: “Das G erich t ha t bei der U rteilsfällung n u r a u f d a s R ücksicht zu nehm en, was i n d e r S c h l u ß v e r h a n d l u n g vorgekom m en is t.”33

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D ennoch sind die heutige “H aup tverhand lung” und die “Schlußverhand­lung” in der S tra fp rozeßo rdnung von 1845 in d e r Berücksichtigung des G rundsatzes der U nm itte lbarke it n ich t identisch , ln dem m aßgeblichen K om m entar zu r S tra fp rozeßo rdnung von 1845 he iß t es bei Bekk 1 8 4 6 34: “Alle B ew eism ittel sollen schon in der V o r u n t e r s u c h u n g benü tz t, und was dadurch e rm itte lt w ird, s c h r i f t l i c h gem acht w erden , so daß in der Schlußverhandlung, w enn gleich dabei m anche frühere Aussage erst näher au fgeklärt und vervollständigt w ird , in der H auptsache doch nur das­jenige, was in der U ntersuchung bere its e rhoben ist, d u rch den A ngeschul­d ig ten , die Zeugen und Sachverständigen, vor dem u rte ilenden R ich te r w i e d e r h o l t und b e s t ä t i g t o d e r b e r i c h t i g t w ird .” D ieser K om m en tar zeigt, daß tro tz der eben z itierten B estim m ung aus § 241 der S trafp rozeßo rdnung 1845 die V orstellung einer abschließenden “ R ekon­s tru k tio n ” 35 aus der Zeit des Inquisitionsprozesses noch lebendig ist. In ­sofern spiegelt auch der T erm inus “ S ch lußverhandlung” in seiner W ort­bildung die M ittelstellung zw ischen Schlußverhör und H auptverhandlung, zw ischen Inqu isitionsp rozeß und A nklageprozeß w ider.

b) Sprecheranw esenheit und S prechernennung

B etrach te t m an die Auszüge aus den S tra fp rozeßordnungen , w ie sie am A nfang von Teil 5 u n te r dem G esich tspunk t der S prechaktabfo lge von den Schlußvorträgen bis zur U rteilsverkündung w iedergegeben w orden sind, nun u n te r dem A spekt der Sprechernennung, so erg ib t sich folgende Ü ber­sicht, w enn m an der S prechernennung in der S trafp rozeßo rdnung die ta t­sächliche Sprecheranw esenheit gegenüberstellt:

StPO Spre cheranwesenheit3^ Sprechernennung

1803Schlußverhör R

(2 Urkundspersonen)37 A

(Urkundspersonen) Inquisit, Verbrecher Rechtsfürsprecher, Hof­gerichtsadvokat

Fassung der Urteile

m indestens 4 R Hofgericht, obrigkeitliche Entscheidungsbehörde

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StPO Sprecheranwesenheit Sprechernennung

1845Schlußverhandlunga) Schlußvorträge 1 - 6 R —

S StaatsanwaltA Angeschuldigter fParteieV Anwalt

b) Urteils­ 1 - 6 R Gerichtberatungc) Urteils­ Vorsitzender R Präsidentverkündung

1864Hauptverhand­lunga) Schlußvorträge 1 - 5 R —

S StaatsanwaltA AngeklagterV Anwalt

b) Urteils­ 1 - 5 R —

beratungc) Urteils­ Vorsitzender R Vorsitzenderverkündung

1877Hauptverhand­lunga) Schlußvorträge 1 - 5 R -

S StaatsanwaltschaftA AngeklagterV Vertheidiger

b) Urteils­ 1 - 5 R —

beratungc) Urteils­ Vorsitzender R —

verkündung

BRD 1975Hauptverhand­lunga) Schlußvorträge 1 - 5 R -

S StaatsanwaltA AngeklagterV Verteidiger

b) Urteils­ 1 - 5 R —

beratungc) Urteils­ Vorsitzender R —

verkündung

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StPO Sprecheranwesen heit Sprechemennung

DDR 1968Hauptverhand­lunga) Schlußvorträge 1 - 3 R —

gesellsch. Ankläger gesellsch. Anklägergesellsch. V gesellsch. VS StaatsanwaltA AngeklagterV Verteidiger

b) Urteils­beratung 1 - 3 R Gerichtc) Urteilsver­kündung Vorsitzender R -

Im A nschluß an das u n te r 5 a) zur B ezeichnung der K om m unikations­situa tion G esagte fällt auf, daß parallel zu der R eihe

Schlußverhör (1 8 0 3 ) — Schlußverhandlung (1 8 4 5 ) —H auptverhandlung (1864 )

die R olle des A ngeklagten bezeichnet w ird m it Inqu isit/V erb recher (1803) — A ngeschuldigter (1845 ) - A ngeklagter (1864 ). U n ter “ V erb recher” w ird um 1800 verstanden “ eine Person, w elche ein V erbrechen begangen, m uth - willig w ider ein m it schw erer S trafe verbundenes G esetz gesündigt h a t” 38. A bgesehen von dem M erkm al “ Sünde” ist dies die auch heu te noch gültige B edeutung. Im S traf-E dik t von 1803 wie in anderen In qu isitionsp rozeßo rd ­nungen wie der “C o n stitu tio C rim inalis T heresiana” von 1768 o d e r der Josephin ischen “ A llgem einen K rim inal-G erich tsordnung” von 1788 kom ­m en die A usdrücke “ V erb recher” , “ In q u isit” , “ U n te rsu ch te r” , “ B eschul­d ig te r” , “ beschuld ig te Person” vor, und zw ar synonym , vorausgesetzt, d ie S tra fta t ist gleich schw erw iegend. Diese sorglose Synonym ie, bei der der zu V erurteilende vor dem Urteil bereits als V erbrecher gilt, w ar für die R eform bestrebungen des 19. Jah rh u n d e rts u n ha ltbar, besonders im V er­gleich zum französischen und englischen K rim inalprozeß. 39 Um die G leich­setzung Inqu isit/V erb recher vor der V erurteilung zu verstehen , m uß m an beach ten , daß aus der C arolina von 1532, auf d ie sich das S traf-E d ik t b e ­ru ft, als Ziel des Inquisitionsprozesses das G eständnis des Inquisiten über­nom m en w orden ist. Insofern kö n n te eine gewisse A bsich t darin liegen, den T erm inus “ V erb recher” in unserem T ex t erst zu verw enden, nachdem der Inquisit sein G eständnis abgelegt h a t (bzw . ein gleichw ertiger E rsatz­beweis geliefert w orden is t); gegen diese m öglicherw eise bew uß te Term i- nologisierung sprechen aber die vielen S tellen m it den oben angeführten Synonym a.

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Diese K onzep tion des Inquisiten h a t eine K onsequenz für die Sprecher­anw esenheit bzw . Sprechernennung. A uf den V erteidiger, den “ R ech ts­fü rsp recher” , w ird zw ar im Schlußverhör verw iesen, er ist aber n ich t an­w esend. Bei le ich teren V erbrechen kann der Inqu isit e inen R ech tsfü r­sprecher erst n a c h der U rteilsfällung verlangen, w ie es in einem Zusatz zu diesem Paragraphen des S traf-E dik ts festgelegt w ird .40

Streng in der T erm inologie sind dagegen die späteren S tra fp ro zeß o rd n u n ­gen. Nach der S tra fp rozeßo rdnung der B undesrepublik D eu tsch land von 1975, § 157, w ird zw ischen “ A ngeschuld ig ten” und “ A ngeklag ten” un ­tersch ieden: “ Im Sinne des G esetzes ist A ngeschuldigter d e r B eschuldigte, gegen den die ö ffen tliche Klage e rhoben w orden ist, A ngeklagter der Be­schuldigte o d e r A ngeschuldigte, gegen den die E rö ffnung des H auptver­fahrens beschlossen is t.” D ie S tra fp rozeßo rdnung von 1845, § 207, dage­gen sp rich t von “ V ersetzung des A ngeschuldigten in den A nk lagestand” nur, w enn das B ezirksstrafgericht wegen der Schw ere der S tra fta t oder der zu verhängenden S trafe das H ofgericht für zuständig hält. D er T erm i­nus “ A ngeklagter” ta u c h t in bad ischen S tra fp rozeßo rdnungen zum ersten ­m al in dem “ G esetz vom 5. F eb ruar 1851, die E inführung des S trafgesetz­buches, des neuen S trafverfahrens und die Schw urgerichte b e tre ffe n d ” au f .41 Erst über das In s titu t des nach angelsächsischem und französischem M uster u n te r dem D ruck der revo lu tionären Ereignisse um 1848 eingeführ­ten Schw urgerichts w ird der A usdruck “ A ngeklag ter” in d eu tschen S traf­prozeßordnungen gebräuchlich .42 M it der E inführung des N am ens ist zu­gleich eine S tärkung der Position des R ollenträgers verbunden : D er p rozeß­rech tliche S ch ritt d e r V ersetzung in den A nklagestand erm öglich t ab 1851 die E röffnung einer “ H aup tverhand lung” im m odernen Sinne, als welche die S chw urgerichtsverhandlung des 19. Jah rh u n d e rts gelten kann, bei der die G rundsätze der M ündlichkeit und U nm itte lbarkeit zum erstenm al in der deu tschen S trafverfahrensgeschichte des 19. Ja h rh u n d e rts verw irklicht sind. D er A ngeschuldigte der S tra fp rozeßo rdnung von 1845 ist dagegen noch sehr stark in ein inquisito risches V erfahren e ingebunden , was darin zum A usdruck kom m t, daß — wie bereits gesagt — die “ S chlußverhand­lung” nur als eine W iederholung der voraufgegangenen U ntersuchung ver­standen w ird. In dieser U n tersuchung ha t der A ngeschuldigte kein R ech t, die Aussage zu verw eigern, ohne G efahr zu laufen, daß dies “die W irkung einer für seine Schuld sprechenden A nzeigung hab en ” kann (§ 200).

Dem noch verhältnism äßig sta rken inquisito rischen A nteil in der S traf­p rozeßordnung von 1845 schein t zu w iderspechen, daß die R ollen des A nklägers und des A ngeklagten als “ P arthe ien” bezeichnet w erden wie 1803 noch n ich t und ab 1864 n ich t m ehr. D er A usdruck “P arth e ien ” d e u te t darau f hin, daß das neue A nklageprinzip m it einem T erm inus ver-

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deu tlich w erden soll, d er aus dem Zivilprozeß stam m t, bei dem zwei w i­ders tre itende P arteien einer u rte ilenden Instanz gegenüberstehen . 43 D aß dieses neue V erfahrensprinzip m it e inem n ich t ganz zu tre ffen d en , aber bereits anderw eitig b ekann ten T erm inus e rläu te r t w erden m ußte , w ird ind irek t dadu rch bestä tig t, daß der schon erw ähn te Ju ris t M itterm aier vor einer n u r äußerlichen N achahm ung der “A nk lagefo rm ” w arn t, bei der die G efahr besteh t, daß R ich ter u n d S taatsanw alt lediglich “ zwei Inqu iren ­te n ”44 sind. D er Sinn des A nklageprozesses sei der, daß von den Parteien “ Eine gegen die A ndere B ehauptungen au fs te llt, aus diesen gewisse Fol­gerungen un d A nträge ab le ite t und sich bem üht, diejenigen, von denen die E ntscheidung über die A nträge abhängt, von dem D asein der B ehaup­tungen und der R ich tigkeit der Folgerungen zu überzeugen”.45

D aß der S tra fp rozeß als re iner Parteien-Prozeß nach angelsächsischem M uster im d eu tschen S tra fp rozeß rech t n ich t heim isch gew orden ist, kom m t auch zum A usdruck in der S tra fp rozeßo rdnung von 1877, in der n ich t von “ S taa tsanw alt” , sondern von “ S taa tsanw altschaft” die R ede ist. H ierm it w ird auch im sprachlichen A usdruck deu tlich gem acht, daß der S taa tsan ­w alt n ich t Partei sein soll, sondern V ertre te r eines “ R echtspflegeorgans” 46, dem es aufgetragen ist, “ n ich t nur die zur Belastung, sondern auch die zur E ntlastung d ienenden U m stände zu e rm itte ln ”47. D aß in den S tra fp rozeß ­ordnungen nach 1877 der A usdruck “ S taa tsan w altsch aft” in den h ier her­angezogenen Paragraphen w ieder aufgegeben w orden ist, kann d a rau f zu ­rückgeführt w erden , daß die In s titu tio n als R echtspflegeorgan im allgem ei­nen B ew ußtsein genügend e tab liert w ar und m an aus diesem G runde au f den kürzeren und konkre teren T erm inus zurückgreifen konnte.

G egenüber d e r au f dieser Basis noch heu te in der B undesrepublik D eutsch­land gültigen S trafp ro zeß o rd n u n g h a t die D D R seit dem R echtspflegeer­laß von 1963, w ie aus d e r Ü bersicht über Sprecheranw esenheit und Sprech­ernennung ersich tlich ist, das Parteien-Prinzip im deu tschen S trafp rozeß w iederbeleb t du rch Einführung eines gesellschaftlichen A nklägers un d ge­sellschaftlichen V erteid igers .48 Das Parteien-Prinzip in der D D R -Strafpro- zeßordnung s teh t aber anders als 1845 im D ienste einer ausgesprochenen “ E rziehung der R ech tsverle tz te r”. 49 Dabei sind die gesellschaftlichen A n­kläger und V erteid iger verp flich te t auf die seit e tw a 1955 gültige S tra fp ro ­zeßm axim e von der sozialistischen G esetz lichkeit50, defin ie rt als “d ialek­tische E inheit von G esetzlichkeit und P a rte ilich k e it” 51, N eben der ideo­logischen F ixierung des Prozeßziels, die zu belegen ist und der h ier n ich t w eiter nachgegangen w erden soll 52, w ird h ier im Kern ein P roblem zur Sprache gebracht, das auch in der B undesrepub lik D eutsch land die ju s tiz ­kritische L ite ra tu r beschäftig t: Wie kann die R ech tsfindung bei neuen sozialen Fällen noch ra tional bleiben? D. H orn h a t bereits 1966 u n te r

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kom m unikationskritischem A spekt die deskrip tive, iden tifiz ierende und logisch subsum ierende V erfahrensw eise in der ju ristischen Praxis beleuch­te t und dagegen die These von der im perativen K om m un ikationssitua tion gestellt, die durch eine flexible G esetzesanw endung besonders in neuartigen sozialen Fällen m ehr R a tio n a litä t gew ährleistet.53

Die sprachkritische und sprachgeschichtliche P o in te dieser Ü berlegungen ist folgende: D ie gegenw ärtige Ü berbetonung d e r syn tak tischen und se­m an tischen A spekte der R echtssprache u n te r V ernachlässigung der prag­m atischen ist ein C harak te ris tikum en tw ick e lte r G esellschaften, in denen es d e r V erständigung wegen um Präzisierungen geh t bis hin zur e in d eu ti­gen B ezeichnung eines G egenstandes. D iese Präzisierungs-Tendenz en t­w ickelt eine E igengesetzlichkeit, so daß z.B. von H aus aus w eniger präzise V orschriften wie z.B. die sog. unbestim m ten R echtsbegriffe 54 w ie “Treu und G lauben” , “billiges E rm essen” , “g u te S it te n ” fälschlicherw eise ver­standen w erden als N am en für erkennbare S achverhalte und n ich t in ihrer ausschließlich im perativen F u n k tio n .

Die U m orien tierung der S tra fp rozeßo rdnung in d e r D DR schein t, w enn die T hese H orns richtig ist, ein V ersuch zu sein, die seit den R efo rm be­strebungen des 19. Jah rh u n d e rts verlorengegangene im perative O rien tie­rung über d ie E inbeziehung neuer V erfahrensbeteilig ter (gesellschaftliche A nkläger und V erteidiger), d .h . über die K o m m u n ika tionsstruk tu r, in der S tra fp rozeßo rdnung zu verankern .

c) S prechaktbezeichnungen

W elche A usw irkungen die V erschiebung in der S p recherkonste lla tion für die S p rech ak tk o n zep tio n en haben kann, zeigt sich in der S tra fp ro zeß o rd ­nung der D D R am Beispiel der Sprechak tbezeichnung der V erteidigung. H eißt es in der S tra fp rozeßo rdnung 1877 und der S trafp rozeßo rdnung BRD 1975 gleich lau tend: “D er A ngeklagte ist, auch w enn ein V erteid i­ger für ihn gesprochen h a t, zu befragen, ob er selbst noch etw as zu seiner V erteidigung auszuführen h ab e” , so ist in dem en tsp rechenden Satz der S tra fp rozeßo rdnung D DR 1968 der A usdruck fü r ihn gestrichen. Das Feh­len dieses A usdrucks m ag unb ed eu ten d erscheinen, w enn im L ehrkom m en- ta r zur S tra fp rozeßo rdnung zu dieser S telle fo rm u lie rt w ird : “ Es s teh t dem A ngeklagten frei, ob er von seinem R ech t au f einen S ch lußvortrag auch d ann G ebrauch m achen will, w enn sein V erteidiger f ü r i h n bere its ge­sprochen h a t” 55. A llerdings ist der W ortlau t der S trafp ro zeß o rd n u n g ge­genüber dem K om m entar der P rim ärtex t und h a t deshalb h ö h eren Rang.Aus der Z ielbestim m ung der T ätigkeit der gesellschaftlichen A nkläger und V erteidiger wie der gesam ten S trafverhandlung läß t sich schließen, daß die

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Ä nderung der Sprechak tbezeichnung “ für den A ngeklagten sp rechen” in “sp rech en ” beabsich tig t w ar, zum al es in einer für d ie DDR rep räsen ta ti­ven ju ristischen Pub likation von K.-H. B eyer über das S trafverfahren zur A ufgabe der V erteid igung h e iß t: “ Im sozialistischen S trafverfahren be­steh t kein W iderspruch zw ischen den Interessen der G esellschaft und den gesetzlich geschützten In teressen des einzelnen Bürgers. D er V erteidiger m uß den A ngeklagten n ich t vor dem S taa t d e r A rbeiter und B auern schüt­zen, denn dieser S taa t ist auch der S taa t des A ngeklagten. D er V erteidiger w ahrt seine R ech te und be rä t ih n .” 56 Die s ta rk trad itio n so rien tie rte deu tsche R ech tssp rach e57 schein t sich, was die D DR b e tr iff t, in diesem Punkt von d e r h in te r dieser F orm ulierung stehenden älteren In s titu tio n des “ F ürsp rechers/V orsprechers” 58 gelöst zu haben.

D ie S tellung des A ngeklagten , die m it E inführung des A nklageprozesses um die M itte des 19. Ja h rh u n d e rts gestärk t w orden ist, fin d e t ihren Aus­druck in der Institu tionalisierung des S prechakts “ L etz tes W ort” . Diese Sprechak tbezeichnung erschein t in deu tschen S tra fp rozeßo rdnungen zum erstenm al in d e r bad ischen S trafp rozeßo rdnung von 1845. Die S p rech ak t­bezeichnung, die im deu tschen W ortschatz m indestens seit dem 16. J a h r­hu n d ert vo rhanden w a r59, fand A ufnahm e in d ie S tra fp rozeßo rdnung in A nlehnung an den T ex t des Code d ’in s tru c tio n crim inelle von 1808, A rt. 335: “ ... m ais l’accusé ou son conseil au ro n t to u jo u rs la paro le les der­n iers” 60. A uffällig ist, daß zunächst nur die H älfte von 10 L ändern m it deu tschsprachigen S tra fp rozeßo rdnungen um die Jah rh u n d e rtm itte den R ech tssta tus dieses S prechakts des A ngeklagten m it dem Verb “gebüh­re n ” b eze ich n en 61, d aß aber dann seit der R eichsstrafprozeßgesetzgebung von 1877 d e r A usdruck unverändert bis h eu te beibeha lten w orden ist, o b ­w ohl er heu te als archaisierend verstanden w erden m uß.

Die Erklärung für diesen Sachverhalt liegt m .E . darin , daß m it der S tra f­prozeßordnung von 1877 eine stärkere E xplizierung des R ech tss ta tu s der Sprechakte vorgenom m en w ird und daß dabei ein so feierlicher A usdruck, besonders im H inblick au f die vo rher schw ache R ech tsposition des Ange­klagten, au f keinen Fall aufgegeben w ird . Diese T endenz soll ku rz ve rd eu t­licht w erden.

Bei den A bschn itten “ Sch lußverhör” (1803 ) bzw . “ S ch lußvorträge” (1845 und später) w erden die jew eils syn tak tisch und auch pragm atisch überge­o rd n e ten S prechak te un tersch ied lich fo rm u lie rt. D er rech tliche S ta tu s des jew eiligen Sprechak ts kann durch exp liz ierte F orm ulierungen abge­sichert w erden , seien es solche, die einen obligatorischen oder einen fak u l­ta tiven Sprechaktvo llzug bezeichnen . Z ur ersten G ruppe (faku lta tiver Sprechaktvollzug) sind zu zählen: gehört -werden m it, gebühren, es s te h t fre i, das W ort erhalten zu , das R e c h t s te h t zu , können . In die zw eite G ruppe

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(obligatorischer Sprechaktvollzug) fallen: haben zu , is t zu . Bezogen au f die S trafp rozeßo rdnungen läßt sich fo lgende V erteilung e rm itte ln :

StPO faku lta tiv obligatorisch

1803 Baden 0 01845 Baden 2 01864 Baden 3 11877 D eutsch.R eich 3 11975 BRD 3 11968 DDR 5 1

D am it erw eist sich auch hier d e r Übergang zum re fo rm ierten P rozeß um die M itte des 19. Jah rh u n d e rts als starke Zäsur. In teressan t ist der Beginn dieser Zäsur m it der S tra fp rozeßo rdnung von 1845. Diese S tra fp rozeß ­o rdnung en th ä lt für diesen A bschn itt d er G erichtsverhandlung keine obli­gatorische S p rechak tfo rm ulierung (bei den folgenden S tra fp ro zeß o rd n u n ­gen beziehen diese sich übrigens nur au f das G erich t und die S taa tsanw alt­schaft). Dagegen hat die S tra fp rozeßo rdnung von 1845 den A usdruck “die P artheien w erden g eh ö rt” . Im G egensatz zu den anderen A usdrücken, die alle sprecherbezogen sind, w ird h ier ausdrücklich hörerbezogen fo rm u­liert. Als S p rechak tkonzep tion s teh t h in ter diesem A usdruck der sog. Par- te ien-Prozeß nach dem V orbild des Z ivilverfahrens bzw . des angelsächsi­schen S trafprozesses. In Teil 5 b w urde bereits d a rau f hingew iesen, daß diese K onzeption im deu tschen S trafverfahren w ieder zurückgedrängt w orden ist: A blesbar ist dies am V erschw inden des A usdrucks “gehört w erden” ab 1877 un d am Wegfall des T erm inus “P a rte ien ” ab 1864.

d) T ex tso rtenbezeichnungen

Zum Schluß dieser Ü berlegungen soll noch einm al au f d ie w ohl w ichtigste R eform d e r neueren S trafp rozeßgesch ich te , die A blösung des Inqu isitions­prozesses durch den A kkusationsprozeß eingegangen w erden. Die In terfe­renz der S p rechak tkonzep tionen als E rscheinung des sprach lichen W andels ist bereits am Beispiel der B ezeichnungen der K om m unikationssitua tion wie der S prechernennung zur Sprache gekom m en. A uch im Bereich der T ex tso rtenbezeichnungen läß t sich dieses Phänom en belegen: So h a t z.B. M itterm aier vor einer b loß oberfläch lichen P rak tiz ierung des A nklagepro­zesses u n te r B eibehaltung der überkom m enen Inqu iren ten ro llen gew arn t.62 Von der en tgegengesetzten , konservativen Seite w ird andererseits die R e­form als b loß oberfläch liche V erkleidung der alten Praxis ve rsp o tte t. So schreib t der H eidelberger R ech tsgeleh rte C .F . R o ß h irt über den E n tw urf zur badischen S tra fp rozeßo rdnung von 1845 : “Wir haben in der T hat

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keinen A nklageprozeß, w enn er auch je tz t so h e iß t. In unserem Prozesse h a t m an n u r die R e 1 a t i o n s - M ethode verändert. ... Ein S taa tsanw alt... g ib t die A nschuldigung: der V ertheid iger g ib t die E ntschuldigung, das G e­rich t fängt in dem w ahren R eferen ten m it dem vo to desselben seine U rtheils fassung an. D ie beiden ersten also geben die species facti. N atürlich feh lt etw as an der Sache: die e inheitliche A rbeit in der ganzen R ela tion , aber es schadet n ich ts für das D ram a: d iesjecta su n t m em bra poetae , d am it eine neue D arstellung in d ram atischer F orm erfolge .” 63 D iese Ä ußerung ist zw ar in sich w idersprüchlich , insofern sie den A nklageprozeß grundsätzlich für möglich hält, andererseits aber dessen konstitu tive M om ente, die R ollen­verte ilung in dem E n tw u rf d e r S tra fp rozeßo rdnung von 1845, g laub t ab ­lehnen zu m üssen. D ennoch kann sie als A usd ruck eines w ohl verb re ite ten R essen tim ents d ieser Z eit angesehen w erden : R o ß h irt fo rm u liert h ier n ich t eine V erteid igung der geschriebenen T ex tso rte R ela tion gegen gesprochene T ex tso rten w ie A nklage und V erteidigung, die z.B. w ie die A nklage n u r verlesen w ird, sondern sp rich t sich aus für die B eibehaltung der ep ischen G attung der R ela tion gegenüber der “dram atischen F o rm ” des S trafp rozes­ses m it den Plädoyers. D arin spiegelt sich eine K om m unikations- u n d K on­senserw artung im H inblick au f das S trafverfahren , deren U rsachen in der R ech tstheo rie und besonderen ju ristischen P rofessionalisierung zu suchen sind. D ies ist aber eine Frage, deren B ehandlung speziell für die R ech tsp fle ­ge des 19. Ja h rh u n d e rts w eiterer U n tersuchung V orbehalten b leiben m u ß .64

A nm erkungen

1 Die Situationsbedingtheit des Sprachverhaltens ist insbesondere durch die schichtenspezifisch orientierte Soziolinguistik — sozusagen gegen ihr ursprüng­liches Programm — hervorgehoben w orden: Vgl. C.B. Cazden 1971, S. 290 f.;W .P. Robinson 1965¡G . Schulz 1973, S. 55;K .-H . Deutrich/G . Schank 1974,S. 1046 - 1056.

2 M. R ehbinder/H . Schelsky (Hg.) 1973.

3 Wunderlich 1976 b, S. 464, unterscheidet zwei verschiedene Wege für die Be­stimmung der fundam entalen Sprechakte einer Sprache, die — ohne daß Wunderlich so form uliert — im Grunde m it einer “onomasiologischen” und einer “ semasiologischen” Verfahrensweise übereinstimmen.

4 Henne 1972, S. 129 ff.; Püschel 1972, S. 115 - 121.

5 Tausch/Langer 1971 unterscheiden tro tz fruchtbarer Ansätze nicht zwischen sprachlicher Ausdrucks-und Inhaltsseite; W inter/Schumann 1973 arbeiten tro tz plausibler Ergebnisse m it nicht leicht operationalisierbaren kom m uni­kativen Einheiten wie z.B. Suggestivfragen; Leodolter 1975 stellt bei der Ma­terialuntersuchung den Bezug zur m.E. interessanten Pointe ihres eigenen

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theoretischen soziolinguistischen Rahmens (S. 136 ff. Verbalisierung von “ interaktionsbezogenen Motiven sozialen Handelns” ) merkwürdigerweise nicht her, sondern benutzt einerseits phonologische andererseits dem jewei­ligen Interpretationsansatz ausgesetzte interaktionelle Kriterien.

Bei Tausch/Langer 1971 scheint die Strafverhandlung durch die ausschließ­liche Anwendung des Kriterium der Reversibilität als reine Nettigkeitsveran­staltung verharmlost zu werden.

Mackert 1947, S. 2.

Ebd. S. 5. Anm. 2.

Der badische Jurist. Karl Junghanns hat das Straf-Edikt unter dem Pseudonym Rhenanus (Hg.) 1823 veröffentlicht. Zum A utor vgl. Fr. v. Weech (Hg.): Ba­dische Biographien, Vierter Teil, Karlsruhe 1891, S. 205 f.

Straf-Edikt 1803, S. 3; vgl. auch ebd., S. 4.

Ebd., S. 3.

Müller 1900 - 1902, Teil 1, S. 63 - 66.

Haeberlin 1852, S. 370.

StPO Baden 1864, S. XVII.

StPO Deutsches Reich 1877, S. 4.

Mackert 1947, S. 139.

StPO DDR 1969, S. 30.

Vgl. Steger u.a. 1974.

Weinmann 1930, S. 127 f.; Erstes Gesetz zur Überleitung der Rechtspflege auf das Reich vom 16.2.1934, RGBl. I, S. 91; Allgemeine Anweisung an die Richter Nr. 2, 1946, S. 6, Ziffer 5 (für die Zeit von 1946 - 1950); StPO BRD 1950, § 268 (1), StPO DDR 1952, § 246 (1).

Bales 1968, S. 149.

Steger 1975a und b.

Vgl. Henkel 1968, S. 52 ff.

Protokolle der II. Kammer 1834/44, Bd. 6, S. 313.

Mittermaier 1832/33, Teil II, S. 132, 135.

Ebd., S. 125 (Hervorhebung von mir).

Ebd., Teil I, S. 408 ff., 412, 424 ff., II, S. 144. Ausnahmen: II, S. 82 (“ summarische Vernehmung mit dem Angeschuldigten” ), II, S. 87 (“ sum­marisches Zeugenverhör” ), ebenso in der 4. Auflage, Heidelberg 1845/46.

Ebd., Teil II, S. 87, Teil I, S. 387, 390, Ausnahme: Teil II, S. 87 (“ summa­risches Zeugenverhör” ), ebenso in der 4. Aufl., Heidelberg 1845/46.

Zachariae 1861/68, Bd. II, S. 231 (“ Verhör des Beschuldigten” ), S. 232 ff. (“ Verhör ... oder Vernehmung des Beschuldigten"), S. 201, 240 (“ Verhöre des Beschuldigten” ) S. 240 (“ Vernehmung des Verdächtigten” ), S. 243 (“Verhöre mit dem Angeschuldigten” ), S. 197, 199, 200 (“ Vernehmung

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der Zeugen” ), S. 201 (“gerichtliche Zeugenvernehmung” ), S. 206 (“ Zeugen­verhör” ), S. 362 (“ Vernehmung der Zeugen” ). Im Register (Bd. II. S. 724 f.)tauchen nur die Stichw örter auf: “ Verhör des Beschuldigten” , “ Zeugenver­nehmung” .

29 Repräsentative zeitgenössische Schriften sind: Feuerbach 1821, M ittermaier 1845.

30 Vgl. Kip 1952 und Fezer 1970.

31 Bad. Generallandesarchiv Karlsruhe, Abt. 303, Zugang 1908, Nr. 34 und A bt.241, Nr. 12 3. Auf ein Schwurgerichtsprotokoll m ußte im zweiten Beispiel zu­rückgegriffen werden, da die Archive nur bemerkenswerte Strafprozesse auf­bewahren. In der Protokollierung besteht aber kein Unterschied zu unterge­richtlichen Prozessen.

32 Baumann 1972, S. 493 f.

33 Sperrungen im Original.

34 Bekk 1846, S. 19. Sperrungen im Original.

35 Mackert 1847, S. 64.

36 Als Quellen wurden benutzt für 1803: § 16 des Straf-Edikts, für die Gerichts­verhandlungen ab 1845 die Gerichtsverfassungsgesetze, die in den Ausgaben der Strafprozeßordnungen (s. Literaturverzeichnis) enthalten sind. Die Auf­stellung bezieht sich nur auf die erste Instanz und nur auf die Beteiligung der Berufsrichter. Als Abkürzungen wurden verwendet: R = Richter, S = Staats­anwalt, A = Angeklagter.

37 Die Urkundspersonen sind nicht ausdrücklich als Sprecher ausgewiesen. Sie bezeugen die Vorgänge des Schlußverhörs durch ihre Unterschrift.

38 Adelung 1801, 4. Theil, Sp. 1003.

39 M ittermaier 1832/33.

40 Straf-Edikt 1803, § 17. “ Zus. Ein in Untersuchung befindlicher Verbrecher kann vor g e f ä l l t e m Urtheil eine Vertheidigung durch einen Rechtsfür­sprecher nur verlangen, wenn es auf eine mehr als einjährige Zuchthaus- oder eine andere dem gleichgeltende oder höhere Strafe ankom m t.” Vgl. auch Mackert 1847, S. 22 ff.

41 Z.B. § 86 in Haeberlin 1852, S. 435.

42 Vgl. die Sammlung von Strafprozeßordnungen der Mitte des 19. Jahrhunderts bei Haeberlin 1852.

43 Bei der Untersuchung der Sprechaktbezeichnungen unter 5 c) wird dies be­stätigt.

44 M ittermaier 1856, S. 279.

45 Ebd.,S. 285.

46 Baumann 1972, S. 487.

47 StPO BRD 1975, § 160 (2)

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48 Erlaß des Staatsrats der DDR über die grundsätzlichen Aufgaben und die Arbeitsweise der Organe der Rechtspflege vom 4. April 1963, Teil IV, C 2, in: Aufgabe und Arbeitsweise der Rechtspflegeorgane, hg. v. Ministerium der Justiz, Berlin 1963:“Vornehm ste Aufgabe des gesellschaftlichen Anklägers und des gesellschaft­lichen Verteidigers ist es, die Meinung ihres Kollektivs über die S traftat und den Täter darzulegen, dem G ericht bei der Erforschung der W ahrheit und der Findung einer gerechten Entscheidung zu helfen und bei der Mobilisierung der gesellschaftlichen Kräfte zur Verhütung weiterer Straftaten und der Er­ziehung der Rechtsverletzer m itzuwirken.”

49 Siehe Anm. 48.

50 Bechthold 1967, S. 58.

51 Benjamin 1958, S. 365.

52 Vgl. die affirmative Sprache in “ Beschluß des Plenums des Obersten Gerichts zu Fragen der gerichtlichen Beweisaufnahme im sozialistischen Strafprozeß” vom 30. O ktober 1970, in: StPO DDR 1968, S. 437:

“ Die sozialistische Parteilichkeit gewährleistet die objektive und allseitige Erkenntnis jeder S traftat. Sie liegt bei der Wahrheitsfindung im Strafprozeß in wissenschaftlich fundiert, die sozialistische Gesetzlichkeit strikt achtender, unvoreingenommener Beweisführung.”

5 3 Horn 1966, S. 159 ff. Ähnliche Überlegungen liegen m.E. auch folgenden Arbeiten zugrunde: Lautm ann 1972; R ottleuthner 1973a;Seibert 1972; Rödingen 1972.

54 Müller-Tochtermann 1959, S. 88.

55 Strafprozeßrecht der DDR 1968, S. 278.

56 Beyer 1967, S. 71.

57 Vgl. z.B. die auch in der StPO der DDR noch vorhandene, heute archaisierendklingende Wendung “ Dem Angeklagten gebührt das letzte W ort.”

58 Vgl. Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Bd. 1, Sp. 185 f. und 1336. Vgl. auch “ Rechtsfürsprecher” im Straf-Edikt Baden 1803, § 17.

59 Grimm: Deutsches W örterbuch, Bd. XIV 2, S. 1502.

60 Haeberlin 1852, S. 40.

61 Vgl. Haeberlin 1852: Österreich 1850, S. 140, § 285 ; Preußen 1852, S. 232 o, Art. 79; Bayern 1848, S. 259, Art. 170; Baden 1845, S. 399, § 235; Sachsen- Weimar 1850, S. 801, Art. 249.

Braunschweig 1849 (S. 732, § 56) und Preußen 1849 (S. 221, § 136) verwen­den den Ausdruck m it Bezug auf die Prozeßleitung des Vorsitzenden, und 5 Länder formulieren den Sprechakt “ Letztes W ort” des Angeklagten m it fol­genden Ausdrücken:

“Stets m uß jedoch dem Beschuldigten oder seinem Rechtsbeistande das letzte Wort gegeben werden” (Hannover 1850, S. 318, § 137);“ ... erhält stets der Angeklagte das letzte W ort” (Kurhessen 1848, S. 473,§ 109);

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sind hinwiederum der Angeschuldigte und sein Vertheidiger in gleicher Weise zu entgegnen befugt. Mit dieser Erwiderung soll die Verhandlung ge­schlossen sein” (W ürttemberg 1843, S. 570, A rt. 276);“ ... Der Angeklagte und dessen Vertheidiger hat allemal das letzte W ort” (Württemberg 1848, S. 620, A rt. 152);

“ Der Angeklagte oder dessen Vertheidiger hat aber jedesmal das letzte W ort” (Hessen-Nassau 1848/49, S. 679, Art. 162).

62 Siehe oben Anm. 44.

63 Roßhirt 1844, S. 23. Zum Autor vgl. ADB, Bd. 29, Leipzig 1889, S. 260 - 262.

64 Für die gegenwärtige Situation hat z.B. R ottleuthner 1973a, S. 196 f. und 1973 b, S. 177 f., 265 ff. das Problem form uliert.

Q uellen- und L iteraturverzeichn is

1) Quellen

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Beschluß des Plenums des Obersten Gerichts zu Fragen der gerichtlichen Beweisauf­nahme und W ahrheitsfindung im sozialistischen Strafprozeß vom 30. Oktober 1970, in: StPO DDR 1968, S. 436 - 448.

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Erstes Gesetz zur Oberleitung der Rechtspflege auf das Reich vom 16. Februar 1934, RGBl. I, S. 91.

C.F.W.J. Haeberlin (Hg.) 1852: Sammlung der neuen deutschen Strafprozeßord­nungen, Greifswald.

Straf-Edikt Baden 1803: Das großherzoglich-badische Straf-Edikt m it seinen Er­läuterungen und Zusätzen, hg. v. Rhenanus, Mannheim 1823.

StPO Baden 1845: Strafprozeßordnung für das Großherzogthum Baden nebst Gesetzen über die privatrechtlichen Folgen von Verbrechen, die Gerichts­verfassung, den Strafvollzug im neuen M ännerzuchthaus zu Bruchsal, Karls­ruhe 1845 (StPO und GVG auch in Haeberlin 1852, S. 355 - 421).

StPO Baden 1864: Gerichtsverfassung und Strafprozeßordnung für das Großherzog­thum Baden, hg. v. K. Ammann, Karlsruhe 1865.

StPO Deutsches Reich 1877: Die Strafprozeßordnung für das Deutsche Reich vom 1. Februar 1877 und das Gerichtsverfassungsgesetz vom 27. Januar 1877 mit den Erläuterungen des Reichsgerichts, hg. v. P. Daude, Berlin 1886.

StPO BRD 1950: Strafprozeßordnung und Gerichtsverfassungsgesetz in der vom 1. O ktober 1950 an geltenden Fassung, hg. v. W. Dallinger, S tuttgart/K öln 1950.

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GVG DDR 1974: Gerichtsverfassungsrecht, hg. v. Ministerium der Justiz, Berlin 1975.

StPO BRD 1975: Strafprozeßordnung m it Einführungsgesetz und Gerichtsverfassungs­vorschriften, hg. v. C. Roxin, 19. Aufl., München 1975.

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H. BACH

Sprachwandel und Interferenz

ö ffe n t lich e r Vortrag

V or dem anfang des 19. Jah rhunderts beschäftig te die Sprachforschung sich kaum m it den V eränderungen der sprachen. A n tike und m itte la lte r sind geprägt von sprachphilosophie und Spekulationen über die ph ilo ­sophisch-sprachlichen kategorien . Als gew inn b le ib t vor allem das latei­nische a lp h ab e t; außerdem die e in te ilungen der schulgram m atik , d ie zw ar durch m echanische Übertragung auf sprachen ganz anderer S truk tur als die der klassischen m anchen schaden angerich te t haben, dennoch bis heu te als gerüst ihre gültigkeit bew ahren.

Das arbeitsfeld e rw eiterte sich vom 16. bis zum 18. jah rh u n d e rt au f die orientalischen und die m odernen eu ropäischen sprachen. Es erschienen gram m atiken und um fangreiche W örterbücher. D ie von patrio tischem geist getragenen bestrebungen rich te ten sich au f re inhe it der spräche und au f die herausbildung einer gem einsprachlichen norm . G erade des­halb lag der Sprachw andel außerhalb des b lickfeldes.

M it der en tdeckung des sanskrit verloren die klassischen sprachen ihre Sonderstellung. Ein gem einsam er ursprung w ar augenfällig, und für die je tz t erb lühende vergleichende Sprachw issenschaft w urde die beschäfti- gung m it den lau tlichen und m orphologischen änderungen das hauptan- liegen.

Z urückblickend kann m an festste llen , daß die von 1810 bis ungefähr 1920 alleinherrschende sprachgeschichtliche fo rschung ganz hervorragendes ge­leistet ha t. Sie h a t ein riesiges m ateria l zusam m engetragen, g eo rdne t und erk lärt. Sie h a t ihre m e th o d en verbessert und abgesichert. Sie h a t inschrif- ten in längst untergegangenen sprachen en tz iffe rt. Sie h a t unser gesch ich t­liches wissen um sehr vieles erw eitert, ln den ersten genera tionen w urde die schnell en tfa lte te Sprachgeschichte fast ausschließlich von großen for- scherpersön lichkeiten aus D eutsch land , den Ö sterreichisch-U ngarischen ländern und aus Skandinavien getragen. V on 1870 an w urde sie gemein- gu t der europäischen und am erikanischen hum anistischen faku ltä ten .

Die V ertreter der sprachgeschichtlichen forschung des 19. jah rh u n d erts w aren sto lz auf ihre tüch tigkeit, ihre ergebnisse — und das m it rech t. Man kann ihnen bestim m t n ich t verdenken, daß sie au f die überw undene sp rach­philosophie der vorhergehenden jah rh u n d e rte bem itle idend oder m it Ver­ach tung zurückschauten . B edenklicher — w enn auch verständlich — w ar es,

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daß die se lbstbew ußten V ertreter der dam als herrschenden rich tung m it n ich t geringer skepsis den unzeitgem äßen spekulativ-philosophischen ein- zelgängern des 19. jah rh u n d erts begegneten , obw ohl diese je tz t au f einer solideren sprachlichen grundlage fu ß ten , d an k eben den g länzenden ergeb- nissen der Sprachgeschichte des 19. jah rh u n d erts .

D er Schw erpunkt der Sprachforschung der le tz ten zwei genera tionen hat sich von der sprachgeschichtlichen diachronischen b e trach tu n g .au f die synchronische analyse der sprachsystem e verschoben. Dies ha t zu neuen Zielsetzungen geführt, vor allem zu theo rien über das w esen der spräche als solcher, zu den kom m unikativen aufgaben, deren m öglichkeiten und be- grenzungen, zu den sozialen Schichtungen in der sp rachkom petenz und deren politischen und ku ltu rellen folgeerscheinungen. Zw eifellos haben diese intensiven bem ühungen zu in teressan ten und hochw ich tigen erkennt- nissen geführt, w enn auch m anches n ich t ganz so neu ist, wie es sich Ver­tre te r dieser schulen zuw eilen vorstellen . Jedenfalls, d ie Sprachvergleichung und die Sprachgeschichte und dam it auch der Sprachw andel sind in den hin- te rg rund getreten . Als reak tion gegen teils ganz m echanische rek o n s tru k ­tionsverfahren , teils eine o f t perspektiv lose sto ffreud igkeit, geschieht eine bew uß te abkehr von der h istorischen dim ension , dies w iederum im einklang m it dem herrschenden Zeitgeist. Es feh lt n ich t an abschätzigen u rte ilen über die Sprachw issenschaft des 19. jah rhunderts, die ironisch genug an den ton erinnern , in dem das 19. jah rh u n d e rt die frühere Sprachforschung verspot­te te . Es w äre sicher angem essener, von zwei o d e r drei un tersch ied lichen und g leichberechtig ten w issenschaftlichen disziplinen zu sprechen: der Sprachgeschichte, der linguistik und der sprachphilosophie . T ro tz der be- g renz the it behalten die ergebnisse der Sprachgeschichte ihren w ert.

Im großen jah rh u n d e rt der Sprachgeschichte b o t das arbeitsfeld so reiche aufgaben, daß theo re tische be trach tungen zurückgestellt w urden . Der Sprachw andel als so lcher w ar ja eine sonnenklare ta tsache . M an konzen­tr ie rte sich deshalb au f beobach tung und system atisierung der festste llba­ren V eränderungen in lau t/fo rm /sy n tax und W ortschatz, und dem en tsp re­chend au f die vorgeschichtlichen lautlichen und m orphologischen korrespon- denzen.

Die allgem eine Sprachw issenschaft und noch m ehr d ie sprachphilosophie standen ganz im scha tten . A ber es gab natürlich m ethodologische Überle­gungen; u n te r den allgem ein-theoretischen handbüchern nehm en Pauls “Prinzipien der S prachgesch ich te” zu rech t eine zentrale Stellung ein. Im Vordergrund stehen hier n ich t wie früher die logischen beziehungen, son­dern die allgem einen erklärungen w erden zum groß te il der dam als ganz neuen w issenschaftlichen psychologie en tnom m en . Paul fo rd e rt überall

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m ethoden , die in d irek tem Verhältnis zum ta tsachenm ateria l stehen . Z ita t aus der V orrede zur 2. auflage: “ Ich erkläre ein für alle m al, daß ich nur für diejenigen schreibe, die m it m ir der Überzeugung sind, daß die Wissen­schaft n ich t vorw ärts gebrach t w ird du rch kom plizierte hypo thesen , mögen sie auch m it noch so viel geist und scharfsinn ausgeklügelt sein, sondern durch einfache g rundgedanken , die an und für sich evident sind, d ie aber erst fru ch tb a r w erden, w enn sie zu k larem bew ußtsein gebrach t und m it strenger konsequenz durchgeführt w erden”.1 — Wie so viele Zeitgenossen hegte Paul eine tie fe abneigung gegen zu geistreiche oder gar m e tap h y ­sische b e trach tu n g en . Sein w issenschaftliches g laubensbekenntn is, scheint m ir, tr if f t eine fru ch tb a re m itte zw ischen der völlig sto ffgebundenen und der nur abstrah ie renden einstellung.

Die “P rinzip ien” behandeln eingehend auch nicht-geschichtliche sprach­liche problem e. T ro tzd e m verteid ig t Paul den tite l seines buches: “Prinzi­pien der Sprachgesch ich te” . D er fo lgende passus ist im m er w ieder z itie rt w orden — in der ersten generation m it beifall, später als abschreckendes bew eisstück für die engstirn igkeit der sprachh isto rischen rich tung , als diese au f ihrem h ö h ep u n k t stand . Es lau te t: “ Ich habe m ich noch kurz zu rech t- fertigen, daß ich den tite l “ Prinzip ien der S prachgesch ich te” gew ählt habe. Es ist eingew endet, daß es noch eine andere w issenschaftliche b e trach tu n g der spräche gäbe als die geschichtliche. Ich m uß das in abrede stellen. Was m an für eine n ich t-geschichtliche und doch w issenschaftliche b e trach tu n g der spräche erk lä rt, ist im gründe n ich ts als eine unvollkom m en gesch ich t­liche, unvo llkom m en teils du rch die schuld des b e trach te rs , teils d u rch die schuld des beobach tungsm aterials. Sobald m an über das b loße k o n sta tie ­ren von einzelheiten h inausgeht, sobald m an versucht den Zusam m enhang zu erfassen, die erscheinungen zu begreifen , so b e tr i t t m an geschichtlichen boden , w enn auch vielleicht, ohne sich klar darüber zu sein”.2 — M an m uß zugeben: im lichte der späteren en tw ick lung der allgem einen linguistik kann diese fo rm ulierung Pauls nu r kom isch erscheinen. R ichtig verstanden ist das z ita t v ielleicht n ich t ganz so abwegig, wie es einem au f den ersten b lick V orkom m en mag.

Die klassischen darstellungen des sprachw andels, bei W hitney, Paul oder Sandfeld und anderen , schildern den m echanism us der änderungen au f dem gebiet der lau tlehre , der m orphologie , der W ortbildung, des W ort­schatzes, der syn tax . Diese beschreibungen der Vorgänge halten sich vor­zugsweise an ein geschichtliches m aterial. G rundlage für die erk lärungen sind ein um fassendes w issen, scharfe beobachtungsgabe und vor allem eine rationale , ta tsachennahe betrachtungsw eise. Die kodifizierungen in den sprachgeschichtlichen handbüchern und e tym ologischen W örterbüchern sind im großen und ganzen unangefoch ten u n d u n an fech tbar. Sehen wir

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vorerst von den frem den einflüssen ab, sind die Verschiebungen in der syn tax und im W ortschatz am le ich testen zu erk lären . Sie hängen eng m it der geschichtlichen en tw ick lung und den zahllosen ku ltu rellen W andlun­gen, großen wie k leinen, in den verschiedenen m ateriellen und geistigen bereichen zusam m en. A ndere innersprach liche änderungen sind m eist durch analogiebildungen zu erklären .

B ekanntlich h a t die m oderne linguistik auf dem gebiet der syn tax eine völlige um w älzung der analysen herbeigeführt. G erade h ier h an d e lt es sich jedoch ausschließlich um synchronische, eventuell panchronische gesichts- p u n k te , so daß der Sprachw andel n ich t berührt w ird . — Für die w ortge- sch ich te b ed eu te te die w ortfe ld th eo rie eine en tsch iedene und auch p rin­zipiell w ichtige bereicherung. Die früheren erk lärungsm ethoden w erden durch diese theorie n ich t au fgehoben , aber das Verständnis der Verschie­bungen e rfäh rt eine neue und w ertvolle perspektive. P raktisch anw endbar ist sie allerdings n u r in begrenzten — h och in te ressan ten — bezirken.

Die änderungen in den gram m atischen /m orpho log ischen ausd rucksm itte in und dann auch die e inschränkung, eventuell erw eiterung oder jedenfalls Um w andlung der gram m atischen paradigm en beginnen o ft m it lautlichen entw ick lungen , W enn dadurch das system ins schw anken gerät, spielen analogiebildungen und ausg leichstendenzen, sowie k o n zen tra tio n en eine erheb liche rolle. H ier gilt, daß die hervorhebung des system begriffs in der m odernen linguistik dazu geführt ha t, diese änderungen in den gram m ati­schen ausd rucksm itte in vor allem als system änderungen aufzufassen . In ­dessen ist auch dies keine prinzipielle neuschöpfung — in der fo rm en leh re d rängte sich die aufstellung von beinah e indeutigen paradigm en wie von selbst auf. Es ist kein zufall, daß sich eben diese kategorien , als erbe aus der sonst w enig ergiebigen an tiken sp rachphilosophie, bis h eu te lebendig e rh a lten haben, und das n ich t b loß in der schule. D och haben die m oder­nen rich tungen gerade in der kategorien lehre großes geleiste t: das gilt so­w ohl für eine allgem ein-sprachtheoretische e rkenn tn is als für neue katego- riebildungen, die in der synchronen und sogar in der p rak tischen gram m a- tik m it vorteil verw endet w erden . A ber für das Verständnis o der die be- schreibung des sprachw andels sind sie kaum von W ichtigkeit.

Da die änderungen in syn tax , w ortvo rra t und fo rm en leh re sich gew öhnlich rein pragm atisch erk lären lassen, h a t sich die theorie des sprachw andels ganz überw iegend m it den lau tveränderungen b e faß t. H ier b ie ten sich keine ku ltu rellen oder po litischen no tw end igkeiten — wie beim w o rtv o rra t — auch kein stilw ille o der analog ie tendenzen — wie in der sy n tax — als Vor­aussetzung für die neuerungen an. Die lau tlichen änderungen ziehen, wie w ir w issen, au f lange sich t radikale folgen nach sich, indem sie im laufe

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der jah rh u n d e rte so große Umwälzungen in den sprachen hervorrufen , daß ein unm itte lbares Verständnis zw ischen zwei stu fen derselben spräche n ich t m öglich w äre — wie z.b. zw ischen italienisch und lateinisch. O der daß m ehr oder w eniger einheitliche sprachen sich so s ta rk auseinanderen tw ickeln , daß eine synchrone Verständigung erschw ert oder ausgeschlossen ist — z.b.: e r­schw ert zw ischen dänisch/norw egisch /schw edisch — unm öglich zw ischen diesen drei skandinavischen sprachen einerseits und dem isländischen an d er­seits, obw ohl die un tersch iede vor 1 0 0 0 jah ren geringfügig w aren. Dasselbe Verhältnis, s ta rk ak zen tu ie rt wegen der größeren Zeitspanne, gilt zw ischen den germ anischen sprachen, ganz zu schw eigen von den indoeuropäischen .

Dem u m stritten en problem des lautw andeis näh e rt m an sich am zw eckm äs- sigsten, indem m an zunächst eine bedeu tsam e kategorie ausscheidet. Ich denke an die lautübergänge, die sich durch b estim m te fak to ren in der Struk­tu r einer spräche erklären lassen, bzw . die du rch andere änderungen her­vorgerufen w erden . — W enn ich im folgenden ein paar ganz banale beispie- le heranziehe, b it te ich die fachkollegen zu bedenken , daß es sich um die schwierige te x tso rte “ ö ffen tlicher vo rtrag” handelt! — Die w ichtigste von säm tlichen neuerungen in den germ anischen sprachen w ar die Verlegung des (druck) akzen ts au f die erste silbe. D ie neue akzen tu a tio n h a tte die durch zwei jah rtau sen d e zu beobach tende folge für säm tliche germ anischen sprachen, daß die nachstehenden Silben reduz ie rt w urden , in sehr vielen fäl­len ganz geschw unden sind. Dies b ed eu te te n ich t nur eine völlig veränderte w o rts tru k tu r, sondern auch eine starke Schrum pfung der prim ären gram ­m atischen fo rm elem en te — dam it auch eine neue gram m atische Oberflä­chenstruk tu r, d .h . daß die w eiter bestehenden beziehungen zw ischen den ko n stitu en ten neue ausd rucksm itte l finden m ußten . O b m an die akzen t- verhältnisse dieser sprachgruppe als “ ursache” oder als “ bed ingung” des wandels bezeichnen will, dü rfte wenig relevant sein. Jedenfalls sind die redu k tio n en und die radikale S truk turänderung keine “ p rim äre” entw ick- lung, sondern eben abhängig von der germ anischen ak zen tu a tio n — deren ursprung w iederum en tw eder p rim är oder sekundär sein kann.

Zu den vielen sekundären , und deshalb erk lärbaren lautveränderungen ge­hö rt die m enge der um lau te , assim ilationen, d issim ilationen, erleichterun- gen von konsonan teng ruppen , analogie- un d ausgleichserscheinungen.

G anz anders verhält es sich m it den p rim ären , unabhängigen, “ sp o n tan en ” lautveränderungen . Da, w o sie au fkom m en , sind sie im prinzip unerklärlich . Als klassisches beispiel u n te r zahllosen k ö n n te m an die nhd .d iph thong ie- rung nennen — m hd. lu th /hüs/fiu r zu nhd. w ein /haus/feuer. Der m echa- nism us dieses Vorgangs b ie te t für den ph o n e tik e r keine Schwierigkeit, und parallelen für d iph thong ierungen langer vokale — n ich t nu r die der hoch-

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gestellten — gibt es eine unm enge in vielen sprachen und m undarten . Das ist das w i e — aber das w e s h a l b / w e s h a l b n i c h t b le ib t schw ie­rig. W arum heiß t es w ein /h aus/feuer im deu tschen , im engl, w in e /h o u se / fire , w enn das nd. das ursprüngliche w in /h u s/fü r b ew ahrt, und genau so dän ./schw ed. v in /h u s/fy r? Wir können h eu te n ich t ausführlich au f diese problem e eingehen: verzeichnen b loß , daß m an früh den un tersch ied be­to n te zw ischen dem ersten en ts teh en im ursprungsherd e iner lautlichen änderung und deren annahm e in angrenzenden landschaften , even tuell im ganzen Sprachgebiet. Diese V erbreitungsprozesse, und das gilt sow ohl für sekundäre als für prim äre lau tänderungen und auch für d ie übrigen kate- gorien des sprachw andels, spielen sich im einzelnen sehr verschieden ab ; sie sind vor allem durch die sprachgeographischen m e thoden erfolgreich b e leu ch te t w orden , und diese gesich tspunk te haben auch ein tieferes Ver­ständn is der sprachbew egungen in a lte r zeit erm öglicht.

Für die lautlichen änderungen haben die phonologischen schulen den w ich­tigen un tersch ied hervorgehoben zw ischen der en tw ick lung von lautvarian- ten innerhalb eines phonem system s und dem en ts tehen neuer phonem e und dam it auch eines neuen phonem system s, le tz teres eventuell auch durch Zusam m enfall zw eier phonem e oder phonem reihen . Das beispiel von vorher: d ie d iph thong ierung von i /u /ü im nhd ., ausgehend vom südosten des Sprach­gebiets, b ed eu te t natürlich anfangs b loß eine d iph thong isch anklingende neuerung der aussprache (ähnlich wie die engl, norm alaussprache kein o : sondern nur ein o “ kenn t) . Das w ar zw ar rein fak tisch eine änderung der aussprache, aber verglichen m it ändern d ia lek ten b loß eine aussprache-va- riante. Als in der nächsten phase die d iph thong ierung voll durchgeführt w urde, und als daneben neuen tw ickelte lange i /u /ü en ts tan d en , m uß m an m it einer neuen phonem reihe rechnen . D en ers ten te il dieses prozesses n en n t m an o ft lau tänderung (Paul: lau tw echsel3), im gegensatz zu dem vollzogenen lautw andel. Schon Paul un tersch ied zw ischen lau tnuancen einerseits, und “ d ifferenzen von fu nk tione llem w e rt”4 andererseits. Diese Vorstellungen w urden erst von den Prager phonologen konsequen t ausge­arbe ite t. P rinzipiell w ichtig ist vor allem, daß die nhd. sch riftliche und m ündliche Standardsprache die neu en ts tan d en en d iph thonge n ich t von den alten Zwielauten e i/o u /ö u un te rsche ide t: also w ein /haus/neu klingen genau wie bein /laub /heu . Das b ed eu te t eine um w älzung des phonem sy­stem s, die besonders bem erkensw ert ist, weil säm tliche m u n d arten und m anche U mgangssprachen des deu tschen Sprachgebiets die zwei m hd. phonem reihen bis heu te auseinanderhalten , und schon dadu rch ein von der Schriftsprache durchaus verschiedenes Vokalsystem besitzen .

Die en tstehung der spon tanen lau tänderungen — egal ob zu Varianten oder neuen phonem en — h a t den th eo re tik em viel m ühe gem acht, ln der Saus-

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sure-nachfolge b e to n te m an, daß die aufgabe n ich t in der beschreibung der einzelnen en tw ick lungen b esteh t, sondern darin , nachzuw eisen, w ie das e ine system durch das andere abgelöst w ird. Diese behaup tung führte zu m anchen fehlschlüssen, weil der system vergleich die 1 a n g u e, die s p r a c h e , also eben das sprachsystem be tr iff t. Die änderungen dagegen gehen in der rea litä t des s p r e c h e n s , in der p a r o 1 e , in den sp rechak ten vor sich. Es ist das g roße verd ienst Coserius, nachdrücklich und überzeu­gend b e to n t zu haben, daß sich die Saussuresche an tinom ie s p r a c h e ­r e d e n ich t au f die ob jek tsebene, sondern au f die be trach tungsebene be­zieht. Die U nterscheidung g eh ö rt n ich t zur theorie der spräche, sondern zur theo rie der Sprachw issenschaft.5 Coseriu tr if f t auch etw as sehr zen tra ­les, w enn er es ab lehn t, nach den Ursachen der sprachveränderungen zu fragen, sondern b e to n t, daß d ie spräche als rea litä t du rch ihre fu n k tio n bestim m t w ird . Sie m uß sich w andeln , weil sie n ich t ein fertiges p ro d u k t, sondern ein Vorgang ist, weil sie im sp rechak t ste ts neugeschaffen w ird. Wenn m an b e h au p te t h a tte , die W andlung w iderspräche der n a tu r der sprä­che, sagt Coseriu gerade um gekehrt, die V eränderlichkeit gehö rt zur “ seins­weise der sp rachen”.6 D ies ist d e r springende p u n k t — und es ist erfreulich , daß dogm atische P ositionen allgem ein überw unden erscheinen. Schon R o­m an Jakobson sagt (1953 ), polem isch gegen Saussure: “ Der große fehler und die kon fusion b e ru h ten au f der scharfen U nterscheidung von synchro- nisch und d iachron isch , die m it statisch un d dynam isch gleichgesetzt w ur­den. Der sp rachzustand ist synchronisch , aber n ich t s ta tisch ” . — Wie so o ft w örtlich identisch m it H um bold ts fo rm ulierung : “ N ichts in der sprä­che ist statisch , alles dynam isch” .

M ehrfach b e ru ft sich C oseriu in positivem sinn au f Pauls “ P rinzip ien” , was n ich t ausschließt, daß er in vielem eingehender analysiert, geschult durch die die diskussion der neueren linguistischen schulen. D ie Überein­stim m ung in den kern p u n k ten zw ischen C oseriu und M artinet einerseits und Paul anderseits geh t in der ta t e rs taun lich w eit. Schon der junggram - m atiker Paul b e to n t, daß die lautgesetze keine gesetze im naturw issen­schaftlichen sinne sind, sondern festste llbare, regelm äßige en tsprechun- gen . 9 Er lehn t es ab, nach den Ursachen der sprachveränderungen zu fra­gen. D ie W andlungen finden in der sp rech tä tigkeit der einzelnen individúen s t a t t10 : Das psychische e lem en t ist der w esen tliche fa k to r in aller kultur- bewegung, und die ku ltu rw issenschaft ist im m er gesellschaftsw issenschaft.11

Schon nach Paul liegt d e r e igentliche grund zu den Veränderungen des usus som it in der sp rech tä tigkeit. V oraussetzungen des sprachw andels sind die individuellen Varianten, vor allem die U nvollkom m enheiten bei der sprach- erlernung der neuen genera tio n en . 12 — Ich glaube, m an kann diese Vorstel­lung m it vorteil dahin ergänzen: kein k ind, oder kaum ein kind, w ächst

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u n te r genau denselben sprachlichen bedingungen au f wie seine eitern . In den m eisten fällen sind diese bedingungen sogar sehr verschieden — jed e r kann sich selbst zum beispiel nehm en. R ein sta tistisch m uß eine ad d ition d ieser Verschiebungen zu k leinen oder größeren änderungen in der norm führen. —

D ie ta tsachen des sprachw andels ließen sich am geschichtlich überlieferten m ateria l ohne Schwierigkeit ablesen. Für W ortgeschichte und syn tax konn ­te m an auch den e n t s t e h u n g s p r o z e ß in vielen fällen ö rtlich / ze itlich / nach sozialgruppen oder individuell nachw eisen. G erade für den s p o n t a n e n l a u t w a n d e l b o t eine d irek te beobach tung unüber­w indbare Schw ierigkeiten, schon wegen der großm aschigkeit und beharr- lichkeit der O rthographie. E rst in jüngster zeit ist d u rch die tonbandauf- nahm en die m öglichkeit gew onnen, eine ob jek tive grundlage für die Unter­suchung der lautlichen neuerungen zu erarbeiten . Bald w erden aufnahm en vorliegen, die in gewissen ze itab ständen die genaue erfassung der gespro­chenen sp rachfo rm in einer bestim m ten gegend und sozialschicht erm ög­lichen. H ervorzuheben sind die über 8000 to n b an d au fn ah m en deu tscher m u n d arten , Umgangssprachen und regionaler hochsprachen in E. Zw irners D eutschem Spracharchiv, die U ntersuchungen der gesprochenen G ebrauchs­hochsprache u n te r leitung von H. S teger und die g ründlichen und m etho ­disch bedeu tsam en U ntersuchungen der Tübinger A rbeitsste lle . 13

W ünscht m an, die spon tanen lau tänderungen im en ts tehungsp rozeß zu er­fassen, ist es eine Voraussetzung, daß eine hom ogene Sprachgem einschaft vorliegt, deren norm ein igerm aßen abgeklärt ist. Da gerade die m ündliche S tandardnorm des deu tschen große, vor allem landschaftliche un tersch iede aufw eist, sind spon tane lau tänderungen in ih r w ohl schw er abzugrenzen.Ich b in deshalb versuch t, auf eine vor einigen m onaten erschienene, sehr um fangreiche U ntersuchung hinzuw eisen, w elche eben das prob lem der schrittw eisen lau tänderungen b e leuch te t. Zwei junge K openhagener lin- guisten, Lars B rink und Jdrn Lund, haben anhand des gram m ophonar- chivs des dänischen N ationalm useum s die lautlichen V erschiebungen in der K openhagener spräche u n te rsu c h t. 14 Sie finden zwei sprachliche sch ich ten , die sich grob nach sozialem sta tu s un terscheiden . Viele sprach- träger verw enden ihren sozio lek t m it einm ischung von e lem enten aus dem ändern , ohne daß es m öglich schein t, m eh r als die zwei “ ideal ab strah ie r­te n ” sprachfo rm en abzugrenzen.

Die K openhagener realisa tion in der höheren sp rachsch ich t h a t die norm gebildet für die m ündliche S tandardsprache des ganzen landes in den Städten, und h a t auch in deren strahlungsgebieten die m u n d art völlig verdrängt. D ie­se m ündliche norm ist w eitgehend unabhängig von der Schriftsprache: für

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das dänische gilt w ie für das englische oder französische, daß eine ausspra- che genau nach der sch rift kaum verständlich sein w ürde. Ich kann h inzu ­fügen, daß die sp rach träger gegen abw eichungen von der no rm im allge­m einen sehr in to le ran t sind, und daß der lautliche nuancen re ich tum so groß und so unsystem atisch erschein t, daß ein ausländer, selbst bei g röß tem kräfteaufw and, geringe chancen hat, sich diese norm ganz k o rrek t anzueig­nen. D ie m ündliche dänische S tandardsprache h a t dabei viele der positiven cigenschaften, w elche die großen deu tschen landschaftssprachen charak te­risieren: sie ist bequem im m ündlichen verkehr, und in der ö ffen tlichen k om m un ika tion sehr w enig sozial d iskrim inierend.

Zurück zu dem Sprachw andel. Die U ntersuchung von Brink und Lund zeigt deutlich , daß die aussprache in d e r oberen sozialsprachschicht der h au p ts tad t in den le tz ten 120 jah ren große änderungen erfah ren hat. Sie w iderlegt ein­deutig die auch bei uns früher verb re ite te annahm e, daß die W andlungen nur sehr langsam, fast unm erkbar, von genera tion zu generation fo rtsch re iten . Das gilt also für die zeit von 1855 bis 1975: aber die perspektive e rw e ite rt sich, w enn ein z ita t des berühm ten junggram m atikers Karl V erner h inzugezogen wird. In einem brief 187 3 an den jungen Studenten J ulius H offory , später ein b ekann te r ph o n e tik e r und philologe, prof. in B erlin , schreib t V ern e r:“ In einem dänischen buch aus dem vorigen jah rh u n d e rt [also dem 18.] zeigen sich sprachliche un tersch iede [also vom dänisch 1873], abgesehen vom nur o rthograph ischen , b loß in e inzelnen a ltertüm lichen ausdrücken und syn tak ­tischen W endungen. Die phonetische seite ist ganz eine terra incognita... D er untersch ied in der aussprache vor 100 jah ren und heu tzu tage ... wie sie prak- tice im gespräch von m ann zu m ann le b t , ... ist unglaublich groß, besonders für diejenigen, w elche die spräche für ewig und unveränderlich h a lten ”.15 — Karl V erner ha tte klare bew eise für diese behaup tung , weil er die au fsch luß­reichen phonetischen angaben des gram m atikers Jens Htfysgaard m it seiner eigenen aussprache vergleichen k onn te . Alle drei, Karl V erner, Ju lius H offory und Jens Htfysgaard h a tten kinder- und Schulzeit in ihrem geburts- o rt A arhus verb rach t, so daß die Vergleichsbasis zuverlässig war.

Karl V erners aussage stim m t ganz zu den deta illie rten und dok u m en tie rten festste llungen von B rink und Lund, so daß w ir fak tisch die schnellen aus- spracheänderungen in der führenden sozialschicht der dänischen h au p ts tad t über m ehr als zwei jah rh u n d e rte rech t genau verfolgen können . D ie neue U ntersuchung k om m t zu dem überraschenden ergebnis, daß über die hälfte aller W örter in einem norm alen te x t w ährend der le tz ten 120 jah re die aus­sprache geändert ha t. B esonders beach tensw ert ist: die gedruck te/geschrie­bene norm spielt h ierbei eine un b ed eu ten d e rolle — die m eisten entw ick- lungen führen die aussprache noch w eiter von der sch rift weg, als das schon vorher der fall w ar. In te ressan t ist auch, daß die n iedere sozial-sprachschicht

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die en tw ick lung stärker zu bestim m en scheint als d ie obere — alles dies w idersp rich t den herköm m lichen theo re tischen erw ägungen .16

*

In dem hurtigen panoram a über die erscheinungsform en des sprachw an- dels habe ich b isher die von außen kom m enden fak to ren ausgeschlossen.Es h ande lt sich ja da vor allem um w o rten tlehnungen : die frem dw Ö rter und deren anpassung verschiedenen grades an das laut- und fo rm ensystem der au fnehm enden spräche. Und um die m indestens ebenso w ichtigen Übertragungen der phraseologischen m uster, um die lehnbedeutungen , lehnübersetzungen, lehnbildungen und lehnschöpfungen nach der eintei- lung von W erner B etz .17 S tarke beeinflussungen m achen sich in syn tax und stil und vor allem deren grenzzonen geltend. Die forschung h a t sich von je m it Vorliebe m it diesen gegenständen beschäftig t, schon weil sie so eng m it der po litischen geschichte, wie auch m it der en tw ick lung der ma­teriellen und geistigen ku ltu r Zusam m enhängen. E in reiches m ateria l ist zu­sam m engetragen, klassifizierungen sind aufgestellt, verfeinert und allgemein akzep tiert. Es hande lt sich um offene system e und ganz klar um geschicht­liche Vorgänge, die sich örtlich und zeitlich festlegen lassen. Prinzipielle prob lem e b ie te t diese — ungeheuer w ichtige — seite des sprachw andels eigentlich n icht.

In den le tz ten zwei jah rzeh n ten hat m an beeinflussungen zw ischen zwei, even tuell m ehreren , sprachen m it dem term inus “ i n t e r f e r e n z ” (IF ) bezeichnet. D er au sd ruck s tam m t aus der physik , und w urde übertragen in der assoziationspsychologie verw endet. H eute verbinden die konno ta tio - nen das w o rt sehr ad äq u a t m it der ru n d fu n k tech n ik . Zum linguistischen term inus w urde IF vor allem d u rch Uriel W einreichs buch “ Languages in C o n ta c t”.18 W einreich be leu ch te t die IF-problem e ganz überw iegend aus d e r S ituation des zwei- oder m ehrsprachlers. Er defin iert IF als die Störun­gen im system oder der no rm in der spräche 1 oder der spräche 2 , w elche bei dem Ü bertritt aus der einen Sprachgem einschaft in die andere Vorkom­m en. Das gleiche gilt, w o die Zweisprachigkeit n ich t au f einem solchen Wechsel (z.b . bei der im m igration) b e ru h t, sondern w o der zw eisprachler von kind an m it zwei sprachen aufw ächst: sei es, daß vater und m u tte r je ihre spräche verw enden ;se i es du rch Zugehörigkeit zu einer sprachlichen m in o ritä t als g renzbew ohner o der sonstw ie.

W einreich besaß persönliche V oraussetzungen für die behand lung des the- m as: A ufgew achsen m it y iddisch in po ln isch /ukra in isch /litau ischer um ­w eit, als 14-jähriger um gesiedelt nach New Y ork , w o er sein y iddisch in Verflechtung m it dem am erikan ischen erleb te , d .h . in einer gesellschaft, wo der bilinguism us in vielen anderen und andersartigen einw andererg rup­pen herrsch t.

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Die abgrenzung des begriffs IF h a t geschw ankt: abzu lehnen ist die rad i­kale auffassung, daß jede beeinflussung von e iner spräche au f die andere als IF zu verstehen sei — die Übernahme von z.b. b loß einem oder einigen frem dw örte rn b eru h e ja auf irgend einem grade der kenn tn is d e r frem den spräche, d .h . au f irgend einem grad von “ Z w eisprachigkeit” — und die an- leihe bew irke eine, w enn auch noch so geringe, Störung in der en tlehnen ­den spräche. — Eine solche auffassung b ed eu te t eine Verwässerung des fru ch tb aren begriffs IF , der du rch d ie g leichsetzung m it “ frem deinw ir- kung” überflüssig w ürde. E benso d a rf m an den un tersch ied n ich t verwi­schen zw ischen der Situation des zw eisprachlers, und desjenigen, der als e insprachler eine frem dsprache lern t oder ge lern t ha t. Es läß t sich aller­dings n ich t leugnen, daß alle nur denkbaren Übergangsstadien zw ischen diesen beiden ty p en V orkom m en. A ber die IF en in der frem dsprache des schülers sind pädagogische problem e — ungeheuer w ichtige — jed o ch ge­hören sie n ich t in die Sprachgeschichte, abgesehen von den fällen, w o die e rlern te frem dsprache so dom in iert, daß die ausgangssprache, die lebendi­ge, ihre m uster übern im m t.

A m d eu tlich s ten lassen sich die IFen w ahrnehm en, w o es sich um eine durchkreuzung zw eier k lar un tersch iedener sprachen handelt, w ie z.B. französisch und d eu tsch , o d e r russisch und am erikanisch . — Jed o ch hat m an allgem ein auch den Zusam m enstoß zw ischen Standardsprache und m undart oder sozio lek t, wie auch von landschaftlicher Umgangssprache einerseits und S tandardsprache bzw . d ia lek t anderseits hierher gezogen. A uch hier g ib t es verschiedene grade einer “ Zw eisprachigkeit” , die viele parallelen zu dem eigentlichen bilinguism us b ie te t — allerdings d a rf m an die un tersch iede n ich t bagatellisieren. G erade für den Sprachw andel sind die IFen bei dieser “ in te rnen Z w eisprachigkeit” von hervorragender Wich­tigkeit.

Sprachm ischungen, wie sie in sprachlichen grenz- o d e r m ischgebieten Vor­kom m en, w aren früher u n te rsu ch t — m an denke an S chuchard t oder Sand­feld. W einreichs buch kann sich n ich t m it den fo rschungen dieser m eister m essen. Es ist jed o ch sein verdienst, die sprachlichen IF en m it den ergeb- nissen der um fassenden bilinguism us-forschung verbunden zu haben. Das neue ist, daß es ihm n ich t — wie den Vorgängern — au f das p r o d u k t der m ischung ankom m t, sondern au f den p r o z e ß . Wie geh t der Zusam­m enstoß zweier oder m ehrerer sprachen vor sich? Wie erleb t ihn das einzel- individuum oder die gruppe? W elche folgen h a t der k on flik t — sprachlich, psychologisch, sozial? E xtralinguistische fak to ren spielen deshalb eine w ichtige rolle.

Der sp rach k o n tak t ist häufig identisch m it einem k u ltu rk o n tak t. Das pre- stige der ersten bzw . zw eiten spräche w ird en tscheidend für die erhaltung

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der erstsprache bzw . für den teilw eisen oder vollständigen Übergang zur zw eitsprache. E ntgegengesetzt w irk t die loyalitä t einer sprachlichen mino- r itä t im w iderstand gegen eine dom in ierende spräche — vor allem w enn ein politischer d ruck ausgeübt w ird. E inbezogen w erden persönliche vor­teile und nachteile der Zweisprachigkeit.

Wie b e to n t, ist für W einreich der Vorgang des sp rachkon tak tes und die in der sp rech tä tigkeit en ts teh en d e IF das eigentliche anliegen. Ä hnliches gilt für die anschließende w issenschaftliche diskussion. D ie W ichtigkeit dieser forschung für eine reihe von d iszip linen ist unbestre itbar: für die e thno- graphie, die Soziologie und Sprachsoziologie, die ind iv idual-/g ruppen -/und Sprachpsychologie, und n ich t zum w enigsten für die frem dsprachenpäda- gogik. W ertvoll für die Sprachw issenschaft ist vor allem die d irek te beob- ach tung und die eingehende analyse der individuellen und g ruppenbe­stim m ten prozesse, da gerade die Situation der zw eisprachler und die da­m it verbundenen IF -problem e einen günstigen ausgangspunkt für erkennt- nisse im bereich der sp rech tä tigkeit bilden.

ln unserem Zusam m enhang frag t es sich, wieviel diese IFen in der spräche der g renzbew ohner oder der zw eisprachigen m in o ritä ten und einzelfam i- lien oder einzelpersonen für das hau p tth em a , den Sprachw andel, bedeuten? Da wo es sich um fest e tab lierte sprachen handelt, h ie run te r m it gewissen einschränkungen auch landschaftliche Umgangssprachen o d er m undarten , ist der e influß solcher IFen sehr gering einzuschätzen . Als typ isches bei- spiel kann m an die sprachliche anpassung der rückw anderer und ostver­triebenen anführen: es g ib t vielfache Zeugnisse dafür, daß ihre sprachliche angleichung an die neue sprachliche um gebung, u.U. auch zur dorfm und- a rt, sehr gelungen erschein t. 19 Jedenfalls w urde um gekehrt die “ au fn eh ­m ende spräche” d u rch den sprachlichen frem dkörper n ich t oder nur in­d irek t berührt.

Ich k ö n n te aus m einer persön lichen Sphäre fo lgendes anführen: 1920 kam en bei der W iedervereinigung N ordschleswigs m it D änem ark 170.000 m enschen in d irek te Verbindung m it dem m u tte rlan d (3 m illionen). Die ganz überw iegende m ehrzahl der N ordschlesw iger b ed ien te sich der loka­len dänischen m undart, bei vielen S tadtbew ohnern m it gewissen hoch ­deu tschen einw irkungen, die du rch schulgang, so ldatend ienst usw. zustan ­degekom m en w aren. D ie N ordschlesw iger h ielten auch nach 1920 zäh an ihrer Umgangssprache fe s t; tro tzd em haben w eder diese stark m undartlich gefärb te Umgangssprache noch die hochdeu tschen einschläge den gering­sten e in fluß auf die fes t e tab lie rte schriftliche oder m ündliche dänische S tandardsprache ausgeübt. Das gilt für lautgebung wie für syn tax und Wort­schatz. Dies ist um so auffälliger, als der e influß des hochdeu tschen und des n iederdeu tschen au f das dänische — wie au f die anderen skandinavischen

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sprachen — durch die Jah rhunderte und bis in die neueste zeit einen unge­heuren um fang gehab t hat. A ber die IF-erscheinungen in der spräche der g renzbew ohner oder der vielen privaten ausländer im dänischen Sprachge­b ie t ist anscheinend ohne jegliche bedeu tung für die realisa tion der h eu ti­gen dänischen Standardsprache. A uch die zahlreichen gastarbeiter, d ie na­türlich — ähnlich w ie die g renzbew ohner — selbst m it den prob lem en der IF schw er zu käm pfen haben, üben keinerlei e influß au f die dänische sprä­che aus. Ich kann mir schlecht vorstellen, daß dies in D eutsch land oder F rankreich anders sein sollte. H at die spräche der bilingualen Elsässer, nach 1918, irgendw elchen e influß au f das standard-französisch gehabt?Hat die spräche d e r zahlreichen frem darbe ite r in D eutschland die deu tsche gram m atik vereinfach t oder kom pliziert oder die aussprache m odifiz iert? S icher n ich t.

Es g ib t in unserm Zeitalter m illionen von m enschen, die du rch freiw illige oder zwangsweise um siedlung, individuell oder in g ruppen , m it anderen sprachen in allerengste berührung kom m en und in die läge des zw eisprach- lers gebrach t w erden. H inzu kom m t die sp rachsitua tion der vielen, d ie in adm in istra tion , W issenschaft, industrie und handel in in te rna tiona len gre- mien sem iperm anen t im ausland arbeiten . D .h. es h a t in unserem teil der erde noch nie so viele IF-erscheinungen gegeben wie heu te . Und tro tzd em können w ir festste llen , daß diese IF en kaum einfluß au f die norm en der ku ltu rsp rachen ausüben.

Das b ed eu te t ja n ich t, daß diese sprachen — m an kö n n te sie die w o h le tab ­lierten nennen — sich frem den einflüssen en tz iehen . Im gegenteil. Wie schon im m er ist dre e in fuh r an frem dw örte rn oder frem dausdrücken be­stim m t durch die en tw ick lung der m aterie llen und geistigen ku ltu r. Die g leichschaltung der ziv ilisationsm uster ist in unserem jah rh u n d e rt global und prägt alle lebensbereiche. Das deu tsche , das skandinavische und andere sprachen w erden deshalb heu te so stark wie noch nie überschw em m t durch frem des sprachgut au f allen geb ieten der techn ik , der natur- und geistes- w issenschaften, der m ode, der gastronom ie, des sports, der jazz- und beat- m usik usw. Die neuen ausdrücke springen m it ers taun licher Schnelligkeit von k u ltu rzen trum zu k u ltu rzen tru m und verb re iten sich sogleich bis in die abgelegensten w inkel. Es ist klar, daß diese entw ick lungen von aller­größ te r bedeu tung für den Sprachw andel sind. W ortschatz und phraseolo- gie w erden e rw eite rt und um gesch ich tet, frem de lau te und lautverbindun- gen dringen ein und können zu änderungen des phonem system s führen. Es handelt sich ganz überw iegend um eine Übernahme, die von der IF der zwei- sprachler zu tren n en ist.

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Scheiden dem nach in der gegenw art die eigentlichen IFen zw ischen ver­schiedenen sprachen als bedeu tsam er fak to r beim Sprachw andel aus, so verhält es sich ganz anders m it den IFen innerhalb einer Sprachgem ein­schaft. W ohl die w ichtigste erscheinung in der heu tigen sprachsitua tion der eu ropäischen länder sind die gegenseitigen beeinflussungen zw ischen den geographischen und sozialen sprachsch ich ten , d a ru n te r auch die völ­lige Verdrängung der m undart aus stad t und um gebung. Diese ausgleichs- prozesse führen zu IF en jeglichen grades, und sie sind en tscheidend für die neubildungen und V erschiebungen in usus und norm . A usgangspunkt und bedingungen für diese um lagerungen sind in den ländern unseres kul- tu rkreises grundverschieden. Wo eine h au p ts tad t seit jah rh u n d erten po li­tisch und kulturell dom in iert, hat sich eine m ündliche norm gebildet, die — in der lau tfo rm o ft ganz vom Schriftbild abw eichend — für die sogenann­ten geb ilde ten kreise, aber auch für jede öffen tliche k o m m un ika tion , den m aßstab abgibt. Das b e re ite t denjenigen, die diese sprachform n ich t vom eiternhause m itbringen , g roße anpassungsschw ierigkeiten, in der schule, im beruf, im täglichen leben. Schw ierigkeiten, m it denen viele fertig w er­den, und dann verschw inden die IF en ganz oder beinahe g an z ;fü r andere bleiben sprachliche barrieren bestehen .

Es g ib t von spräche zu spräche große untersch iede in der to le ranz gegen abw eichungen von der S tandardnorm — auch das s teh t im Zusam m enhang m it der gesch ich tlichen en tw ick lung und der ku ltu re llen und sozialen Struk­tu r des landes. Bei g roßer to le ranz — die zur dem okratischen gesinnung ge­hören sollte — e n tfa lte t sich ein harm onisches Verhältnis zw ischen m ündli­cher Standardsprache und landschaftlicher Umgangssprache. Der d isk rim i­nierende soziale d ru ck w ird geringer, weil eine g roße V ariationsbreite allge­m ein ak zep tie rt w ird. Das deu tsche befindet sich, m einer auffassung nach, in dieser glücklichen läge. Die IFen bestehen und sind relativ groß, anglei- chungen geschehen langsam, doch fin d e t zw eifellos ein andauernder stan- dardisierungsprozeß sta tt.

Ein w eiterer Vorzug des deu tschen dürfte darin bestehen , daß d ie m ündliche S tandardsprache der sch riftno rm verhältnism äßig nahesteh t. G erade weil kein unangefoch tener ku ltu re ller m itte lp u n k t eine sp rach ty rann ie hat aus­üben können , h a t das Schriftbild die deu tsche m ündliche Standardsprache en tscheidend geform t. Das b ed eu te t, daß die o rthograph ischen problem e geringfügig sind und in gem äßigter fo rm leicht zu lösen w ären. Man darf n ich t übersehen, daß feste Sprachnorm en im m odernen leben nützlich und no tw end ig sind. G erade für die sozial benach teilig ten bevölkerungsschich­ten b ie te t eine sch riftnahe m ündliche norm große vorteile. Die Schatten­seite besteh t in der gefahr der “ papierenen sp räche” — sie ist aber keine eigenschaft der norm , sondern eine frage des stils, d .h . des sprachw illens.

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In dieser h insich t wage ich es n ich t, für das deu tsche ein ebenso positives u rteil zu fällen wie vorher.

*

Ich habe versucht, in knapper fo rm einige haup tlin ien zu zeichnen, die für Sprachw andel und IF in den heutigen ku ltu rsp rachen m aßgebend sind. Zum Schluß noch ein kurzer hinw eis darauf, daß die einw irkung der IFen au f den Sprachw andel sich in früheren epochen u n te r ganz anderen bedin- gungen en tfa lte te . Sprachm ischung w ar in vielen fällen die Voraussetzung für tiefgre ifende sprachliche änderungen, ja für d ie en ts tehung neuer spra­chen.

Dafür, daß die Vorgänge sich anders abspielten , g ib t es m ehrere gründe, w ovon ich die zwei w ichtigsten anführe, indem ich gew isserm aßen die frühere argum en ta tion um drehe. E rstens so llte m an bedenken , daß die sehr dünne besiedlung in a lter zeit die Vermischung der ursprünglichen e inw ohner m it frem den einw anderern oder eroberern erle ich terte . Das m uß te zu w eitgehenden IFen zwischen zwei o d e r m ehreren sprachen führen, und le tz tlich zur aufgabe der spräche des einen oder anderen be- völkerungsteils. So m uß m an sich in vorgeschichtlicher zeit die indoger- m anisierung von beinah ganz E uropa und großen landstrecken des südlichen Asiens vorstellen. — In viel k leinerem m aßstab kö n n te ich noch einm al auf Skandinavien verw eisen: w enn das n iederdeu tsche und später das hoch­deutsche im sp ä tm itte la lte r und bis ins 18.jh. m ächtigen e influß au f die dänische spräche ausübte, gab es politisch und ku ltu rell viele Ursachen da­für — besonders w ichtig w ar es aber, daß die dänischen S tädtchen dam als so klein w aren. D eutsche kaufleu te , handw erker, eventuell gu tsbesitzer und m ilitärs, k o n n ten sich deshalb so stark geltend m achen, daß d ie däni­sche spräche auß ero rd en tlich stark von der verw and ten frem dsprache ge­prägt w urde.

Die zw eite V oraussetzung für die geringere abw eh rk raft der Volkssprachen und dam it für die e ingreifendere in teg ra tion in früheren jah rh u n d erten w ar der um stand , daß es in den europäischen sprachen bis zur renaissance außer dem lateinischen keine S tandardnorm en gab, die einer Überlagerung h ä tten w iderstand leisten können. So w aren schon die Volkssprachen in Gallien, Spanien, Italien dem po litisch /ku ltu re ll überlegenen latein gew ichen. Zw ei­fellos h a t die Verdrängung jah rhundertlange IFen verursacht, und m an d a rf annehm en, daß die g roßen un tersch iede zw ischen den heutigen rom an i­schen sprachen jedenfalls zum teil au f solche substratw irkungen zurückzu­führen sind.

A uch au f die germ anischen sprachen übte das lateinische, vor allem durch die kirche, über ein jah rtau send einen überw ältigenden e influß aus. W enn die D eutschen , im gegensatz zu ih ren w estlichen und südlichen nachbarn ,

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an ih rer spräche fes th a lten k o n n ten , lag es daran , daß sie ihre politische Selbständigkeit beh au p te ten , ja d u rch jah rh u n d erte selbst d ie politische führung inneha tten . T ro tzd em drangen die sprachlichen einflüsse vom la­te in ischen und französischen nach norden und osten .

Das lateinische als allgem eine schriftliche am tssprache und als m ündliche Umgangssprache in k loster, schule und kirche hat du rch jah rh u n d e rte b i­linguale milieus au frech te rh a lten — und zu den en tsp rechenden IFen ge­führt. Wir dürfen dan k b ar sein, daß diese IFen bew irk t haben , daß das heutige E uropa zw ar eine ku ltu re ll fru ch tb a re sprachliche vielfalt besitz t, daß aber die zahlreichen parallelen entw ick lungen in den rom anischen und germ anischen sprachen so viele gem einsam keiten in W ortschatz, phraséo­logie und sy n tax /stil hervorgebrach t haben, daß durch die un tersch iede ein gem einsam es m uster hervorleuch te t.

Anm erkungen

1 H. Paul: Prinzipien der Sprachgeschichte, 4. Aufl. Halle 1909, s. III.

2 Ebd. s. 20.

3 Ebd. s. 68.

4 Ebd. s. 374.

5 E. Coseriu: Synchronie, Diachronie und Geschichte. Das Problem des Sprach­wandels, München 1974, s. 9 und 21.

6 Ebd. s. 9 und 94.

7 R. Jakobson: International Journal o f American Linguistics, vol.19, suppl. no. 2, Baltimore 195 3, s. 17 f.

8 W .v.Humboldt: Über die Verschiedenheiten des menschlichen Sprachbaues[1827-29], in: W.v.H.: Werke in fünf Bänden, hgg. v.A. Flitner und Kl. Giel,

Darmstadt 196 0 ff, Bd. III, s. 184.

9 Paul, Prinzipien, s. 68.

10 Ebd. s. 32.

11 Ebd. s. 6 f.

12 Ebd. s. 63.

13 A. R uoff: Grundlagen und Methoden der Untersuchung gesprochener Sprache, Tübingen 1973.

14 Lars Brink og ¡<trn Lund: Dansk Rigsmàl. Lydudviklingen siden 1840 med særligt henblik pà sociolekterne i Kébenhavn, 1-2, Kébenhavn 1975.

15 Ebd. s. 49 f.

16 Ebd. s. 735 ff.

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17 W. Betz: Deutsch und Lateinisch, Bonn 1949, s. 11-28, besonders s. 27 f.

18 U. Weinreich: Languages in Contact. Findings and Problems, New York 1953.

19 Z.b. A. Ruoff (anm. 13), s. 50.

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GÜNTER BELLMANN

Slawisch-deutsche Mehrsprachigkeit und Sprachwandel

1. Slaw isch-deutscher S p rach k o n tak t

Die slawische W estausbreitung und die nachfolgende en tgegengerich tete Bewegung deu tscherseits haben in der zw eiten H älfte des M itte la lters ein nahezu tausend K ilom eter tiefes e thnisches M ischgebiet en ts teh en lassen .1 D avon in teressiert hier — gem äß dem m ir aufgetragenen T hem a — n u r der m ittle re und nörd liche Teil, in dem die D eutschen zusam m engetroffen sind vor allem m it Sorben, Polen und Polaben.

Wir müssen annehm en, daß es besonders in den G renzzonen zw ischen ä lteren slawischen und jüngeren deu tschen S iedelgebieten und in den Ge­b ie ten m it M ischsiedlung zunehm end zu e thn ischem K o n tak t gekom m en ist. Eine B egleiterscheinung dieses e thn ischen K on tak tes w ar der Sprach­ko n tak t. S p rach k o n tak t fo lg t aus der D ivergenz von Sprachgem einschaft und K om m unikationsgem einschaft.2 Über die E rscheinungsform en des frühen slaw isch-deutschen S p rachkon tak tes haben w ir kaum d irek te Zeug­nisse. Wir sind daher gezw ungen, aus der E ntw ick lung dieses K on tak tes und aus seinen jüngsten b eo bach tbaren S tad ien Schlüsse zu ziehen. So dürfen w ir annehm en, daß es sich um d irek ten K o n tak t handelte , der sich im täglichen Umgang vollzog. Es d e u te t auch alles d a rau f h in , daß sich die­ser K o n tak t vor allem in einem verb re ite ten Bilingualism us äußerte . U nter Bilingualism us oder M ehrsprachigkeit verstehe ich die F ähigkeit von Spre­chern, in m indestens einer w eiteren als der P rim ärsprache S prechhand lun ­gen zu vollziehen, und zwar jew eils in dem Umfange, in dem die soziale S itua tion des Sprechers es nötig m acht. Wie der linguistische Umfang des Bilingualism us, so w urde auch sein un tersch ied licher zeitlicher Beginn d u rch die Z ugehörigkeit der Sprecher zu einzelnen sozialen und arealen G ruppen bestim m t. Da die S täd te des w estlicheren K on tak tgeb ie tes früh­zeitig oder schon von A nfang an deutschsprachig-unilingual w aren , blieb der Bilingualism us au f die L andbevölkerung ko n zen trie rt. 3 Und hier war er bis in das 19. Jah rh u n d e rt ein spon taner, ungesteuerter B ilingualism us.4 A ußerdem w ar er zunehm end ein einseitiger Bilingualism us. Das h e iß t: Die außersprachlichen F ak to ren des K o n tak tes (Q u an titä t der e thn ischen G rup­pen, soziales, politisches, ku ltu relles Ü bergew icht usw .) führten allen thalben zur D om inanz einer Seite, ln den w estlichen und m ittle ren K on tak tgeb ie­ten w urde das D eutsche dom inan t. Bilingual w aren h ier nu r die Slawen.Für sie w urde der einseitige Bilingualism us zum D urchgangsstadium neuer

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E insprachigkeit, indem , von der indom inan ten Sprache aus gesehen, ein Sprachw echsel s ta ttfan d , zugunsten des D eutschen oder — im O sten — zu­gunsten des S law ischen .5 D azw ischen ko n n te sich zum indest tendenziell die Sprachgrenze herausbilden, als L inie des G leichgew ichtes der D om inanz­fak to ren . ö s tlic h dieser Linie verblieben, hauptsäch lich bis 1945,einige kleine deu tsche sog. Sprachinseln als R este d e r bilingualen G roßfläche. Westlich der Sprachgrenze, die erst du rch die Folgen des 2. W eltkrieges m it der O stgrenze eines deu tschen S taates, der D DR, zur D eckung gebrach t w urde, e rh ielten sich in d e r uns überschaubaren Zeit zwei g rößere inselhafte F lächen des slaw isch-deutschen Bilingualism us: das D ravänopolabische im h anno ­verschen W endland und das Ober- und N iedersorbische um B au tzen /C o tt­bus.

Für das D ravänopolabische liegen aus dem 17 ./1 8. Jah rh u n d e rt verschiede­ne B ezeugungen vor, die diese slawische Sprache zu der Zeit schon beglei­te t erscheinen lassen von einem w eit fo rtgesch rittenen , einseitigen, zum Sprachw echsel tend ie renden B ilingualism us. Sie w ar zu le tz t reduziert in ihrer F u n k tio n und kom m unikativen R eichw eite au f die Sprache der F a­milie und der A lten auf niedrigster P restigestufe. Sie erlosch — und dam it auch der sie begleitende Bilingualism us — in der M itte des 18. Jah rh u n d e rts .6

Das Sorbische, die andere w estslaw ische Sprachinsel, hat dem gegenüber eine ungleich größere W iderstandskraft gezeigt. Zwar h a t es ständig von der es um gebenden Sprachgrenze her E inbußen e rlitten , das S tad ium des d u rch ­gängigen Bilingualism us w urde indessen erst in der 2. H älfte des 19. Ja h r­hunderts erreich t. Inzw ischen ist deu tlich gew orden , daß n ich t nur d ie auf A ssim ilation gerich te te Politik früherer d eu tscher R egierungen die Unilin- gualisierung zugunsten des D eutschen ständig näher gebrach t ha t, sondern daß die vielseitigeren kom m unikativen V erw endungsm öglichkeiten des D eutschen es vor allem sind, die dazu führen . Die jüngsten B eobachtungen haben ergeben, daß die junge G enera tion u n te r den E inheim ischen des Sorbengebietes heu te sta rk zur deu tschen E insprachigkeit ten d ie rt.7 Die nach dem le tz ten Kriege e insetzenden s tü tzenden M aßnahm en zugunsten der sorbischen K u ltu r und der sorbischen Sprache erw eisen sich also o ffen ­sichtlich n ich t in dem zu erw artenden M aße als S tü tze eines ta tsäch lichen sorbisch-deutschen Bilingualism us im Sinne der eingangs gegebenen D efi­n ition . A uf die U m stände der R eduzierung der bilingualen F lächen, die bis 1945 im N ordosten bestanden z.B. in W estpreußen, und derjenigen in O berschlesien kann ich hier n ich t eingehen.

2. A usw irkung des B ilingualism us au f die Sprachverw endung

Bilinguales S prachverhalten füh rt in aller Regel zu einer gegenseitigen Be-

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einflussung der beteilig ten Sprachen. Diese B eeinflussung einer Sprache durch eine andere u n te r den Bedingungen des Bilingualism us w ird als In­terferenz bezeichnet. In terferenz erschein t zu näch t in der Sprachverw en- dung von Individuen und G ruppen , dann aber auch , w enn ihre A usw irkun­gen usuell w erden, im Sprachsystem (C ode). (Es ist üblich gew orden, zwi­schen In terferenz und T ransferenz zu un terscheiden : E lem ente und R e­geln w erden aus Sprache L j in Sprache L 2 tran sfe rie rt. A ber die Sprache L j in te rfe rie rt die Sprache L2 .) D urch den T a tbestand der In terferenz w ird d e r Bilingualism us für die L inguistik im engeren Sinne in besonderem M aße wichtig.

Prinzipiell bew irk t der Bilingualism us In terferenz in beiden R ichtungen.Es g ib t also z.B. ein sorbisch in terfe riertes D eutsch und ein deu tsch in te r­feriertes S orbisch .8 Ich gehe im F olgenden au f die In terferenz ein, die das D eutsche typischerw eise durch die w estslaw ischen K o n tak tsp rach en er­fah ren hat und konzen triere m ich au f das sorbisch in te rfe rie rte D eutsch, da das D eutsche den G egenstand dieser Tagung b ilde t und d a fü r den sor­bisch-deutschen K o n tak t am besten vorgearbeite t ist, w ofür ich vor allem au f die zwei Bände “ S tudien zur sprachlichen In te rfe ren z” von S. M ichalk/ H. P ro tze verweise. Für das sorbisch in terfe rierte O stm itte ld eu tsch ist von H. Becker die B ezeichnung “ N eulausitzisch” geprägt w orden .9 Das Neu- lausitzische d ien t der K om m un ikation der bilingualen S orben m it unilin- gualen D eutschen. D arüber hinaus w ird es o ffensich tlich zunehm end auch von den bilingualen Sorben u n te re inander verw endet, z.B. in techn isch fach ­sprachlicher und in ö ffen tlicher K om m unikation . Es zeigt sehr charak te ri­stische phonetische, phonologische, m orphologische, syn tak tische , sem an­tische u.a. T ransferenzen , die darin begründet sind, d aß bestehende in te r­linguale K on traste der O berfläch en stru k tu r oder aus der N ähe der O ber­fläch en stru k tu r als solche n ich t au frech te rha lten sondern zur K onvergenz gebrach t w erden.

N eben sehr häufigen Fällen phonetischer In terferenz des S orbischen au f das D e u tsc h e 10 gib t es auch E inw irkungen au f das P honem system des D eutschen . Das Sorbische k en n t keine phonem isch relevante O pposition zw ischen langen und kurzen V okalphonem en. Diese Q uan titä ts ind iffe renz w ird von den bilingualen Sorben au f das D eutsche übertragen, und zwar in der Weise, daß einer h istorischen Vokallänge des D eu tschen im Neulau- sitzischen Länge o d er Kürze oder eine dazw ischenliegende, m eist als “ H alblänge” bezeichnete Q u an titä t en tsp rechen k an n .11 G enau dasselbe gilt für die h istorische V okalkürze des D eutschen .M inim alpaare w ie Rate: R a tte sind som it außer G ültigkeit gesetzt. A n die S telle d e r D istink tiv itä t der V o k alq u an titä t ist im N eulausitzischen als phonologische U nterd iffe­renzierung die freie V arianz ge tre ten :

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d (V * V :) -> (V , V -, V :) \ s (V, v - , V :)12

D .h. der d is tink tive G egensatz V okalkürze/-länge des D eutschen erschein t u n te r In terferenzw irkung des Sorbischen im N eulausitzischen als freie V arianz.

Ich will zwei Beispiele im engeren Sinne gram m atischer In terferenz folgen lassen. Das Sorbische ist eine artikellose, das D eutsche eine A rtikelsprache. A uch dieser K o n tras t füh rt zur In terferenz . M ichalk /P ro tze 1974 haben für den bestim m ten A rtikel an H and von neulausitzischen T o n b an d tex ten eine A bw eichung von bis zu 25 % festgestellt, in der Weise, daß der be­stim m te A rtikel, um nur diesen hier zu erw ähnen , in 25 % d e r Fälle feh lt, in denen er im D eutschen gram m atisch no tw endig stehen m üßte: [Er ist gefahren a u f Kreisrat ].13 A uch hier liegt eine T endenz zur in te rfe ren zb e­d ingten U nterd ifferenzierung vor.

Es g ib t auch in terfe renzbed ing te g ram m atische Ü berdifferenzierungen. Das Sorbische hat ein vollausgebildetes A spektsystem , von dem aus bestim m te R eflexe als sehr w ahrscheinliche T ransferenzen im N eulausitzischen vor­gefunden w erden. Insbesondere w erden in verschiedenen Fällen präfig ierte V erben aspektuell um in te rp re tie rt. So en ts te h t im N eulausitzischen eine aspektuelle O pposition , nachdem z .B .[(Speck) auslassen ] perfek tiv aufge­faß t und das unpräfig ie rte lassen (in der lexikalischen B edeutung ‘(Speck) auslassen’) die F u n k tio n des Im perfek tivum s übernom m en h a t .14 Es läge som it in diesem speziellen Falle eine T ransferenz der sorbischen O pposi­tion vor, die d o rt rep räsen tie rt ist du rch w uskr?c : sk r tc , verallgem einert:

d [S/e hat den S p eck ausgelassen] ->

n) [S/V hat den S p eck ausgelassen] =£ [Sie hat (den ganzen Tag) (perfek tiv ) S p eck gelassen]

(im perfektiv)

ys( [ . . . l * [ . . . ] )\ (perf.) (im perf.)

Ä hnliche B eobachtungen h a t V. Schw änzer in der Slow akei gem acht: Der bilinguale S precher des D eutschen w erde “ aspek tem pfind lich” , indem er m it den sprachlichen M itteln des D eutschen zw ischen vo llendeten und u n ­vo llendeten H andlungen zu un terscheiden beg inne.15 G anz dieselbe E n t­w icklung schien sich nach U. W einreich u n te r polnischer In terferenz auch im Jidd ischen angebahn t zu h ab en .16

S yn tak tische In te rfe renz äußert sich beispielsweise in typ ischen A bw ei­chungen von der Satzgliedstellung des D eu tschen , insbesondere durch

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M eidung des S atzrahm ens und der E ndstellung des verbum fin itum im e ingeleiteten N eb en sa tz .17

Was die lexikalisch-m orphologische In terferenz b e tr iff t, so ist zu sagen, daß das aus anderen K o n tak ten viel beschriebene C ode-sw itching n icht im N eulausitzischen vorkom m t, sondern , um gekehrt, im deutsch-in ter- ferierten Sorbisch, für das es h öchst charak teristisch is t .18 D er sorbische E influß au f das D eutsche ist dagegen stark im Bereich dessen, was m an nach Betz im w eiteren Sinne als “ L ehnprägung” b e z e ic h n e t.19 Hier aller­dings ist dieser A usdruck n ich t zulässig, w orau f ich noch zu sprechen kom ­me. Es gehören hierher T ransferenzen m orphologisch durchsich tiger Syn- tagm en, w ie der V erbindung von Verb + abhängiger P räposition und id io­m atische W endungen jeder A rt.

W ichtig ist die sem antische T ransferenz. E inzelsprachen un terscheiden sich voneinander n ich t nu r d u rch gram m atische Regeln und durch ihren B estand an L ex ikoneinheiten sondern auch durch bestim m te S tru k tu rie ­rungen des Lexikons, insbesondere durch die spezifischen Z uordnungs­s tru k tu ren der B edeutungen polysem er Lexem e (sem asiologischer Para­digm en). Ich bringe ein Beispiel aus dem polnisch-deu tschen K on tak t. In das D eutsch des bilingualen Sprach inselortes W ilmesau ist aus dem Polni­schen bei dem Lexem Freude die w eitere B edeutung ‘H ochze it’ tran sfe ­riert w o rd en .20 Das ist ein T ransfer des Polnischen wesele, das diese bei­den B edeutungen hat:

A(F reude ‘F reu d e’) ->•

Es ist dabei zu sehen, w ie die sem asiologische Parad igm atik durch die T ransferenz von B edeutungen — teilbereichsw eise — zur K onvergenz ge­b rach t w ird. Es ist des w eiteren o ffensich tlich , daß n ich t nu r im Lexikon sondern auch durch die von m ir bereits angedeu te ten gram m atischen T rans­ferenzen dieselbe W irkung zum A usdruck kom m t, die darin b esteh t, be­stim m te gegebene stru k tu re lle A bstände, die jew eils zw ischen T eilsyste­m en zw eier E inzelsprachen bestehen , tendenz ie ll zu verringern. Wir haben diese K onvergenz am D eutschen des S orbengebietes b eo b ach te t, das auf diesem Wege dem Sorbischen angenähert w ird. Für das deutsch-in terfe- rie rte Sorbische ist dieselbe B eobachtung zu m achen. L.V. Scerba h a t schon 1925 au f diese besondere F orm der “ Sprachm ischung” , w ie er es nannte, h ingew iesen.22 D em nach w ürden, übertragen in F. de Saussures T erm ino ­logie, Sorbisch und die deu tsche U m gangssprache des Sorbengebietes nur e i n e Sprache darste llen , m it der B esonderheit, daß es zu einer e inheit­lichen Inhaltsseite zwei e inzelsprachliche (eine deu tsche und eine sorbische) A usdrucksseiten gäbe.

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Ä hnliche A uffassungen sind in jüngster Z eit auch von denjenigen F o r­schern vertre ten w orden , die den Bilingualism us von E inw andererspra­chen in Ü berseeländern u n te rsu ch t haben . H ierher gehö rt H augens V or­stellung eines graduellen Überganges von zwei C odes in einen und sein Begriff des “ Code convergence” . H asselm o n im m t für den bilingualen Sprecher an, daß er über ein E iner-System (single system ) aus sozialdeter­m in ierten bilingualen V arian ten verfüge.24 Das ist sicherlich eine A uffas­sung, die die B ilingualism usforschung w eite r verfolgen w ird. Wir fühlen uns dabei an die Prager T heorie des Sprachbundes erinnert. Es sind dies übrigens G edanken , die schon durch H. S ch u c h a rd t25 und noch vorher, w enn ich rech t sehe, zuerst 1829 durch J.B . K op ita r in Bezug au f die Bal­kansprachen vorbere ite t w orden s ind .26

Und doch ist hier ein w ichtiger U nterschied zu beach ten , ln dem Falle des Sprachbundes hande lt es sich um system in tegrierte , stabilisierte In te rfe ­renzerscheinungen. Das N eulausitzische zeigt dem gegenüber eine solche T endenz der S tabilisierung seiner typ ischen sorbischen T ransferenzen n ich t. D em zufolge finden au f diesem Wege im allgem einen auch keine eigentlichen E n tlehnungen s t a t t .27 U nter dem D ruck der h ochdeu tschen S tandardsprache und der g roßräum igen allgem einen o s tm itte ld eu tsch en U m gangssprache verm ögen die Sorben n ich t nu r das Sorbische in der bis­herigen Weise n ich t au frech tzuerha lten , sondern sie geben auch ihre spe­zifische sorbisch in terfe rierte V arian te des D eutschen au f zugunsten eines allgem eineren in terfe renzfre ien , standardsp rachenahen O stm itte ldeu tsch . Sorbisch in terfe riertes N eulausitzisch sprechen die älteste und allenfalls die m ittle re G enera tion der Sorben, im m er w eniger aber die Jugend .7 Es b ed eu te t dies: Das D eutsche e rfäh rt nu r vorübergehend, solange die b i­linguale S itua tion anhält, eine B eeinflussung, n ich t aber darüber hinaus.Die In terferenzw irkung , du rch die in G estalt der sorbischen T ransferenzen ein besonderer V arian tenappara t zunächst au fgebau t w ird, t r i t t w ieder zurück. Sie überdauert n ich t den bilingualen Z ustand. Es g ib t also im H in­b lick au f das D eutsche au f diesem Wege keinen Sprachw andel. Es handelt sich — um an H errn F ou rque ts B em erkung von heu te vorm ittag anzu­knüpfen — , um Sprachveränderungen, die (au f die D auer) n ich t akzep ­tie rt w erden.

3. S ystem in tegrierte T ransferenzen (In teg ra te)

Und doch g ib t es Fälle, in denen slawische T ransferenzen den Sprachw ech-sel überdauert haben , und zw ar dadurch , daß sie (w ahrschein lich) schonvor dem Sprachw echsel durch In teg ra tion System bestand te ile des dom i­nan ten D eutschen w urden . Man bezeichnet diese A rt von In teg ra ten als

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R e lik te .28 Am häufigsten sind die lexikalischen R elik te , u n te r ihnen oben­an die nach T ausenden zählenden slawischen T oponym e. B eachtlich ist auch die A nzahl appellativer lexikalischer R elik te .29 Sie zeichnen sich d u rch k leinräum ige G eltung aus und dadu rch , daß sie m eist sachlich un­bedeu tende, kaum zu schriftlicher F ixierung A nlaß gebende D en o ta te be­zeichnen. V or allem zeichnen sie sich durch ausschließliche Z ugehörigkeit zur d ialek talen Sch ich t des D eu tschen und zur inform ellen Sprache aus. D azu gehören B ezeichnungen von volkstüm lichen Speisen, von Beeren, Speisepilzen, von kleinen T ieren , von A rbeitsgeräten einer vera lte ten T ech­nik usw . D iese In teg ra te sind B estandteile des D eutschen gew orden. Sie haben an der lau tgesch ich tlichen E ntw icklung des D eutschen teilgenom ­m en, so daß m an daraus die Zeit ihrer Ü bernahm e ablesen kann. Sie zeigen o f t auch eine postin teg ra tive sem antische E ntw icklung. N ur ausnahm sw eise ist ihre E ntw icklung zugleich auch eine d iastratische, w enn sie näm lich aus der u n te ren , d ia lek talen S ch ich t der Sprache in S ch ich ten überlandschaft­licher G eltung und sogar in die S tandardsprache führt, w odurch die areale V erbreitung (D iffusion) über das übrige deu tsche Sprachgebiet gew ährlei­s te t ist. Das ist der Fall z.B. bei Peitsche, Q uark, Jauche. Insgesam t ver­b le ib t jedoch die nach einigen H underten zählende Masse der lexikalischen R elik te des W estslaw ischen im D eutschen an der Peripherie des Lexikons. D och handelt es sich im m erhin bei ihnen um L ex ikonelem en te des D eu t­schen, die zur Zeit ihrer In teg ra tion eine Innovation und d am it eine Sprach- veränderung dargestellt haben.

Sehr selten sind phonische und syn tak tische In tegrate . Die phonischen vor allem sind schw er m it S icherheit als solche auszum achen. Sie tre te n aus­schließlich in den D ialek ten au f: W. M itzka und H. T eu ch ert haben in te­g rierte In terferenzen des pom oran ischen K onsonan tensystem s festgestellt.30 Es b le ib t also dabei: D er sp rachverändernde, b ilingualism usbedingte E in­fluß des W estslaw ischen au f das D eutsche ist insgesam t vergleichsweise gering und er ist peripher. V erm utlich spielt dabei eine R olle, daß es sich — vor allem in jüngerer Zeit — um einen d u rch soziale U ntersch ich ten re­p räsen tie rten S p rach k o n tak t gehandelt hat.

E inen b edeu tenden R eflex haben dem gegenüber die slaw ischen S iedel­gebiete au f der deu tschen Sprachkarte h in terlassen: Das A real des sor­b isch-deutschen B ilingualism us um B au tzen-C ottbus t r i t t als um gangs­sprachliche Fläche au f der deu tschen D ia lek tkarte h e rv o r .31 A uch ältere Teilgebiete des w estlicheren , im M eißnischen gelegenen Sorbischen, die um 1400 bere its den Sprachw echsel vollzogen haben und zw ar dam als bere its zu einer höheren , ausgeglicheneren S chicht des sp ä tm itte la lte rli­chen O stm itte ld eu tsch h in , fallen nach R. G rosse heu te noch durch ihre geschlossene Sprachfläche und ihre spezifischen hochsprachenahen Sprach-

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fo rm en a u f .32 Diese areale, raum distribu tive N achw irkung des W estslaw i­schen au f das D eutsche ist ebenfalls im Auge zu behalten .

A nm erkungen

1 Hierzu Herrmann u.a. 1970.

2 Mitzka 1928, S. 58 Sprachgemeinschaft vs. Verkehrsgemeinschaft

3 Herrmann u.a. 1970, S. 381.

4 z.B. Schönfeld 1963, S. 5.

5 Beilmann 1971, S. 13 ff.

6 Olesch 1962, S. 299 ff.

7 Protze 1974, S. 415.

8 z.B. Michalk/Protze 1974, S. 33 ff.

9 Becker 1939, S. 111 ff.

10 Michalk/Protze 1967, S. 25.

11 Michalk 1969, S. 128 f.; Protze 1974, S. 400 ff.

12 V = Vokalkürze, V- = Halblänge, V : = Länge, d = deutsch, nl = neulausitzisch, s = sorb isch ,\ = “ unter Interferenz von”

13 M ichalk/Protze 1974, S. 89 f.

14 Michalk 1969, S. 134 f.

15 Schwänzer 1968, S. 94: Er ist zu seinem Freund gegangen Er ist zu seinem Freund hingegangen

16 Weinreich 1953, S. 40.

17 Michalk/Protze 1974, S. 96.

18 M ichalk/Protze 1967, S. 29 f.

19 M ichalk/Protze 1974, S. 90 ff; Protze 1974, S. 413.

20 Mojmir 1930/36, S. 136.

21 p = polnisch, wilm = Wilmesau

22 S& rba 1925, S. 12.

23 Haugen 1973, S. 521.

24 Hasselmo 1975, S. 247 ff.

25 Schuchardt z.B. 1884, bes. S. 125. 130. 135; Übertragung “der innern Sprachform ” einer Sprache auf eine andere.

26 Kopitar 1829, S. 86: “ eine Sprachform .„ mit dreyerlei Sprachmaterie” . - Von Michalk/Protae 1974, S. 7 f. wird die These der “ langue mixte a deux term es” (Scerba) allerdings abgelehnt.

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27 Michalk/Protze 1927, S. 29 f. unterscheiden Lehnwörter und W ortsubstitu­tionen.

28 Beilmann 1971, S. 23 ff. 49 f. m it L iteratur; K. Müller 1972.

29 Hierzu und zu dem Folgenden Bielfeldt 1963. 1965. 1967; Eichler 1965.

30 Mitzka 1928, z.B. S. 12; Teuchert 1969, S. 244 - 251.

31 Deutscher Sprachatlas 1927 - 1956, z.B. Karten 60 ‘hint(en)’, 65 ‘alt(e)’,91 ‘Schwest(er)’.

32 Grosse 1961, S. 24 f.

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EMIL SKALA

Der deutsch-tschechische Bilinguismus

EINGANG

Wer du auch seist: Am Abend tritt hinaus aus deiner Stube, drin du alles weißt; als letztes vor der Ferne liegt dein Haus:Wer du auch seist.Mit deinen Augen, welche müde kaum von der verbrauchten Schwelle sich befrein, hebst du ganz langsam einen schwarzen Baum und stellst ihn vor den Himmel: schlank, allein. Und hast die Welt gemacht. Und sie ist groß und wie ein Wort, das noch im Schweigen reift. Und wie dein Wille ihren Sinn begreift, lassen sie deine Augen zärtlich los ...

R.M. Rilke, Das Buch der Bilder

Seit Jah rtau sen d en gehen M ehrsprachigkeit und K ultu r Hand in H and. Sprachen- und V ölkerkreuzungen w aren schon im m er b ed eu ten d e G ebie­te vo llende te r S ynthese d e r m aterie llen und geistigen W erte. B ereits in C hattuschasch — d er H au p ts tad t des H eth iterre ichs in K leinasien — er­schein t vor m eh r als 3 .000 Jah ren im riesigen A rchiv der h e th itischen K önige das H eth itische neben der baby lon ischen Sprache. Das in teressan­te N ebeneinander und D urcheinander von Sprachen und K ultu ren , die für E u ropa von besonderer B edeutung w aren und sind, sch ildert B. H rozny . 1 A uch in E uropa sind die P roblem e d e r M ehrsprachigkeit in dia- ch roner und synch roner S icht sehr m annigfaltig . Die bisherige L ite ra tu r d eck te eine g roße A nzahl von S tu fen und V aria tionen der Sprachm ischung und d e r M ehrsprachigkeit auf, je nach d e r b e tre ffenden ku ltu re llen und po litischen S itua tion , in der die M ehrsprachigkeit zustande k o m m t.2

Das G ebiet des europäischen H erzlandes — d er Tschechoslow akei — ver­sprich t in bezug au f B ilinguismus eine in teressan te A usbeute . Die G e­schichte der T schechoslow akei b ie te t ein reiches M aterial zu den Fragen der Z w eisprachigkeit. Sprachliche M inderheiten in der V ergangenheit und G egenw art, tschech ische Sprachinseln im deu tschen Sprachgebiet und deu tsche im tschechischen und slow akischen Sprachgebiet, B eein­flussung des Tschechischen und Slow akischen durch andere Sprachen und um gekeh rt, G renzm undarten , Fachsprachen , U m gangssprachen und Jargons sind zu un tersuchen .

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Den Bilinguismus sprechen w ir n ich t nur zw eisprachigen Individuen zu, die für W einreich “ th e u ltim ate locus o f c o n ta c t” sin d 3 , sondern vor al­lem ganzen G em einschaften , die u n te r bestim m ten ku ltu r- und sprachge- sch ich tlichen A spekten leben und d ie in Frage stehenden Sprachen be­nützen. U n ter B ilinguismus im w eiteren Sinne verstehen w ir natürlich auch die Z w eisprachigkeit von U m gangssprache und M undart, d ie im be­handelten R aum überall vo rhanden w ar und zum Teil noch ist. Im Tsche­chischen und auch im D eutschen se tz te der Ausgleich d e r M undarten schon im M itte la lter ein, n ich t jedoch im S low akischen, das seine eigene Schriftsprache erst im vorigen Jah rh u n d e rt e rh ielt. Bis dah in w ar auch in der Slow akei das T schechische m it bodenständ igen S low akism en die eigentliche Schriftsprache der S low aken im ungarischen S taa t.

N och im 20. Jah rh u n d e rt gab es viele deu tsche L ehnbezeichnungen in der tschechischen und slow akischen U m gangssprache, besonders im Ja r­gon d e r H andw erker. A uf der anderen Seite leb ten tschechische und slo­w akische L ehnw örter in den deu tschen B auernm undarten . Ich belege aus B öhm en: B rabenze bzw . W awrenze ‘A m eise’, W onischen ‘H opfen­ran k en ’, Sch m etten , S ch m e ttich ‘Sahne’, Pifanka ‘P fingstrose’, Malina ‘H im beere’, Tragatsch ‘S chubkarren ’, (S)tarisw art, Pla:npatsch, Drusch- m a ‘H o chze itsb itte r’, Tschischka ‘T an nenzap fen ’, K rin itz , K rim s ‘K reuz­schnabel’, K retscham ‘G asthaus’, Baba, Waba, Wawa ‘G ro ß m u tte r’, Wuch- ta, W uchtei ‘S chm alzkuchen’, K ola tscben ‘runder, flacher K uchen’ u .a.m ., außerdem freilich noch L ehnw örter, die auch die S chriftsprache übernom ­m en h a t, z.B. Peitsche, Zeisig, S tieg litz , Schöps. E rnst Schw arz h a t diese E rscheinungen als ers ter system atisch au fg ea rb e ite t.4 Er irrt jedoch , w enn er m eint, die tschech ische W issenschaft h ä tte sich nie um deu tsche L ehnw örter im Tschechischen bem üht. Die A rbeiten von J . G ebauer,A. Beer, J. Janko , nach dem Kriege S. U teseny, B. H avranek u.a. lassen diese T rad ition deu tlich e rkennen , w as übrigens auch die Beiträge in den beiden Bänden “ D eutsch-tschechische B eziehungen im Bereich d e r S pra­che und K u ltu r” nachw eisen5 .

In der V ergangenheit verstand m an u n te r Zw eisprachigkeit häufig den G ebrauch von zwei verschiedenen Sprachen au f einem b es tim m ten T erri­to rium , das eine h isto rische E inheit b ilde te , vor allem in den S prachen­käm pfen der österreichisch-ungarischen M onarchie im vorigen und in un­serem Ja h rh u n d e rt. Diese Fragen spielten in d e r böhm ischen G eschichte eine bed eu ten d e R olle, da hier näm lich schon im 12. Jh . die Sprache zum Träger außersprach licher In teressen w urde. V om rech tsw issenschaftlichen S tan d p u n k t h a t sich m it dieser P rob lem atik vor allem J . K apras beschäf­t ig t .6 Schon 1125 tr i t t uns in d e r latein ischen C hronik des V ysehrader K anonikus Cosm as G ehässigkeit gegen “ A usländer” entgegen, d .h . gegen

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deu tsche A nsiedler in B öhm en, die w irtschaftliche S onderrech te b esaß en .7 ln Prag bestand im 12. Jh . neben dem kleinen vicus T h eu ton ico rum an der Peterskirche au f dem Poric außerhalb der S tad tm au er bere its eine bedeu tendere deu tsche und jüdische kaufm ännische Siedlung im oder am T ey n h o f in d e r A lts tad t.

Die M ehrheit d e r a lts täd te r Bürger w aren im 12. Jh . noch T schechen.Die Prager A lts tad t w ar eine s t ä d t i s c h e S iedlung bere its vo r der deu tschen K olon isation . Die deu tsche B evölkerung w uchs in d e r Prem ys- lidischen K olon isation in vielen S täd ten b edeu tend an. Diese B evölke­rungsverschiebung g ipfelte in den böhm ischen L ändern , z.T. auch in der Slow akei am A nfang des 14. Jah rh u n d erts . Die M ehrheit der Prager Zünf­te h a tte eine deu tsche V erw altung und auch in d e r S tad tverw altung saßen deu tsche Patrizier. Die Prager A lts tad t w urde zu einer zw eisprachigen S tad t, das D eutsche besaß sozialen V orrang. Am A nfang des 14. Ja h r­hunderts h a tte n viele bis dah in einsprachige S täd te bere its eine deu tsche M inderheit, z.B. K olin, Cäslav, C hrudim , D om azlice (Taus) in B öhm en, 2ilina (Sillein), T rnava (T yrnau) in d e r Slow akei, ln diesen K le instäd ten gab es tschech ische Z ünfte, z.B. M älzer, Bäcker, B ierbrauer, neben d e u t­schen Z ünften . Das Tschechische w ar am A nfang des 14. Jah rh u n d erts in m anchen S täd ten m it dem D eutschen n ich t g leichberech tig t: die deu tschen Patriz ier w aren selten zw eisprachig. Die H andw erkerschaft un te re in an d er w ar sicher b ed eu tend stä rk er bilingual. Die sozial m inder­berech tig ten Schich ten w aren zum g röß ten Teil einsprachig tschechisch . Das Ergebnis der d eu tschen K olon isation , die am A nfang des 14. Ja h r­hunderts abgeschlossen w ar, verschob das sprachliche V erhältn is zugun­sten des D eutschen: in Böhmen sprach dam als fast ein D ritte l d e r Bevöl­kerung deu tsch , ln M ähren und in O berschlesien w ar der G esam tanteil des D eutschen kleiner, in der U m gebung von L eobschütz , R a tib o r und Cosel w urde noch tschechisch gesp rochen .8 In d e r Slow akei w ar der Bilinguismus in dieser Z eit w ohl m eist in g rößeren S täd ten verb re ite t.Das slow akische E thn ikum reich te dam als in das heutige N ordungarn , bis südlich des M atra- und T okayergebirges. Z ur M agyarisierung kam es in diesen G ebieten erst nach dem T ürkeneinfall.9 In d e r Slow akei w ar die deu tsche M inderheit schw ächer als in den böhm ischen L ändern , w o sie w ichtige w irtschaftliche und kirch liche Schlüsselstellungen inneha tte . D aneben gab es die bed eu ten d e Schicht des alteingesessenen tschech i­schen L andadels, d e r seine Positionen gegen das deu tschsprach ige S tad t­p atriz ia t hartnäck ig und m it Erfolg verte id ig te . Das typ ische Zeugnis dieser S itua tion ist die tschechische R eim chron ik des sogenannten Dalimil aus der 1. H älfte des 14. Ja h rh u n d e rts .10 In der d eu tschen Fassung des Dalimil, d ie um 1345 en ts tan d , sind d ie deu tsch fe ind lichen S tellen natür-

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lieh weggelassen, vgl. die A usgabe von H anka in d e r BLV, Band 48 , S tu ttg a rt 1859. V on besonderer B edeutung für die w eitere E ntw icklung des deu tsch-tschechischen Bilinguism us w ar, daß sich schon 1318 König Jo h an n von Luxem burg v o rd e m böhm ischen Adel eidlich verpflich ten m ußte , alle R hein länder und G äste aus dem L ande zu en tfe rn en , keinem A usländer ein A m t zu verleihen und in allen Fällen sich nu r des R ates der B öhm en zu bed ien en . 11 In B öhm en kam es zum regelrech ten Spra­chenkam pf, der im dam aligen E uropa n ich t seinesgleichen h a tte . Der G rund dafür liegt auch in der sich rasch en tw icke lnden W irtschaftsstruk ­tu r, in der beide V ölker engagiert w aren. Die R egierungszeit Johanns von L uxem burg, 1310-1346, b ed eu te te eine erheb liche E rstarkung der M acht des tschechischen Adels, d e r au f d e r E insprachigkeit des Landes bestand . Als Beispiel die S tiftungsu rkunde des B ischofs Jo h an n v. Prag für das A ugustinerk loster in R audn itz an d e r E lbe, in das nu r T schechen aufgenom m en w erden sollten , deren beide E ltern tschechisch w aren, denn “ ebenso wenig, als zwei G egensätze in einem Wesen vereinbar seien, k ö n n ten auch zwei en tgegengesetzte N ationen in dem selben K loster sein” 12.

U nter Karl IV., 1346-1378, kam es in B öhm en zur w eite ren S tabilisie­rung des Tschechischen. D urch die E rrich tung des E rzb istum s in Prag, 1344, w urde B öhm en vom M ainzer E rzb istum unabhängig . Karl IV. er­reich te im Jah re 1347 tro tz heftigen W iderstandes in R om , daß in Prag das K loster zu Em aus gegründet w urde , in dem der G o ttesd ien st in kir- chenslaw ischer Sprache abgehalten w urde. Die Lücken in d e r B evölkerung Böhm ens, die vor allem in den S täd ten durch einige Pestep idem ien erheb­lich w aren, w urden n ich t m eh r du rch K olonisation , sondern durch Zuzug aus den ländlichen Bezirken geschlossen; au f diese Weise kam en im m er m ehr T schechen nach Prag, w o auch die W irtschaft des Landes zen trali­siert w urde. 1348 kam es zu r G ründung der Prager N eustad t, d er U niver­sität, d e r Burg K arlstein , später zum Bau der K arlsbrücke. N ach der G ründung d e r N eustad t zäh lte Prag über 30 .000 E inw ohner und w ar be­deu ten d größer als die w ichtigsten S täd te D eutsch lands — N ürnberg, F ran k fu rt a.M. und Köln. In der G oldenen Bulle von Sizilien verfügte Karl IV., daß die vier R eichssprachen das L atein ische, das Italienische, das D eutsche und das T schechische sein sollen; auch seine Söhne und Erben sollten sie erlernen . E r selber sprach sie alle.

Seit 1378 n im m t die E ntw icklung d e r Z w eisprachigkeit in B öhm en ein noch schnelleres T em po an. Die T schechen w erden im m er häufiger in die S tad trä te gew ählt, das T schechische w ird als die einzige rechtm äßige Sprache in B öhm en bezeichnet. Kaiser W enzel IV. w ird im m er m ehr für diese A nsichten gew onnen. Die ganze E ntw ick lung g ipfelte 1409 in der

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U nterzeichnung des K u ttenberger D ekrets du rch W enzel IV ., das den Tschechen an der Prager U niversität 3 S tim m en sicherte , allen A usländern dagegen n u r eine. M an a rgum entierte so, d aß die natio saxonica, d ie na tio bavarica und die na tio po lon ica, d e r dam als m eistens Schlesier angehör­ten , sowieso eine N ation b ilden . Die ganze E ntw icklung gipfelte in d e r P ersönlichkeit und dem Werk von Jo h an n es Hus.

D urch die hussitische E ntw ick lung geh t d e r Bilinguism us vor allem in Böhm en und der Slow akei zurück. D eutsche b lieben in der Regel K a th o ­liken, und m an ging radikal gegen sie vor. D urch den H ussitism us w urde z.B. K u tnä H ora (K u ttenberg ), N em ecky Brod (D eutsch B rod) und C hrudim einsprachig.

T ro tz der starken D urchsch ich tung der beiden V ölker ist es in B öhm en nie zu e iner w eitgehenden Sprachm ischung gekom m en, die die Substanz der einen o der d e r anderen Sprache ange taste t h ä tte . Die einzige A usnah­me b ilde t die tschechisch-polnische M ischung m it d eu tschen Einschlägen— das Schlonsakische in Teschen-Schlesien. Die P rozen tzah l d e r d eu tsch en L ehnw örter im A lttschechischen ist zw ar h öher als im heutigen T schech i­schen (S chriftsp rache), aber deu tsche Einflüsse verm och ten w eder die g ram m atische S tru k tu r, noch die phonem ische S tru k tu r, noch den W ort­schatz m aßgebend zu beeinflussen . E ine andere und k om pliz iertere P rob le­m atik ste llt sich in den gem einsam en E rscheinungen au f der Basis des m itte leu ropäischen S prachbundes dar.

Früher nahm m an an, daß die D iph thongierung und M onoph thong ierung im A lttschech ischen m it ähnlichen E rscheinungen im M itte lhochdeu tschen Zusam m enhänge. M. K om arek lehn t in seiner h isto rischen tschech ischen G ram m atik m it T ravnicek die A nnahm e G ebauers ab, daß die a lttschech i­sche D iph thongierung von o zu uo, o zu uo von der a lthochdeu tschen D iphthongierung ö zu uo b ee in fluß t w urde, die sich schon im 8.-10. Ja h r­h u n d ert vollzog. Den G rund für seine B ehauptung sieht K om ärek in i n n e r e n V oraussetzungen des a lttschech ischen L autsystem s und in analogen D iphthongierungen in ost- und südslaw ischen S prachen, w o kein d eu tscher E influß anzunehm en ist. A uch das Phonem r, das von al­len slaw ischen Sprachen nur im T schechischen vorhanden ist, ist n ich t als P roduk t der Berührung des T schechischen m it dem D eutschen zu erk lä­ren, sondern aus inneren V oraussetzungen des a lttschechischen L autsystem s: die altslaw ische G ruppe rj ergab im A lttschech ischen f, z.B. orati ‘ackern ’— o \u ‘ich ackere’. 13

Dasselbe gilt vom Zusam m enfall des h arten und des w eichen /, das heu te noch die poln ische und die slow akische S chriftsprache besitz t, jedoch nicht alle slow akischen M undarten . Im A lttschech ischen kam es im Laufe

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des 13. und 14. Ja h rh u n d e rts zum Z usam m enfall w eicher und h arte r K onsonan tenpaare. Die w eichen K onsonanten b \ p \ v ' , f \ m \ d ’, t \ n \ z \ s ' verschm olzen m it den h arten b, p, v, f , m , d, t, n, z, s. Im P a a r / — / ’ schm elzen beide / in ein “ m ittle res” / zusam m en. K om árek n im m t d e u t­schen E influß beim U ntergang d e r w eichen K onsonan ten als sehr w ahr­scheinlich an. Schon Jan Hus schrieb den Z usam m enfall d e r be iden l im A lttschech ischen dem deu tschen E influß zu. Die A rtiku la tion des harten und w eichen l b eschre ib t Hus in seinem T rak ta t “ De o rth o g rap h ia bohé­m ica” , den er zw ischen 1406 und 1412 schrieb. D ieser T rak ta t ist die früheste m itte leu ropäische w issenschaftliche B eschreibung einer M u tte r­sp rache . 14 Die U nterscheidung von / und I und von hartem y und w ei­chem i, d ie Hus im z itie rten T rak ta t ebenso fo rd e rt und besch re ib t, hat er w ohl aus seiner engeren H eim at nach Prag m itgebrach t. In der O rth o ­graphie w erden beide / und beide j im 14. Jah rh u n d e rt m eist n ich t u n te r­schieden. In A nlehnung an die O rthograph ie von Hus w erden sie jedoch s tr ik t in der O rthograph ie der S chriften und D rucke der Böhm ischen Brüdergem eine im 15. und 16. Jah rh u n d e rt auseinandergehalten . A uch im F rühneuhochdeu tschen gab es bekann tlich in teressan te o rth o g rap h i­sche R ückschläge im 16. J a h rh u n d e rt. 15 W enn deu tsch e r E influß auf die A ufhebung des G eg en sa tzes / — I w irklich vorläge, b liebe zu erk lären , w a­rum die a lttschechischen Palatale t, d, n von diesem E influß unberührt b lieben ; in d e r deu tschen Sprache sind diese L au te n ich t vorhanden .

Es kom m en noch w eitere V eränderungen in Frage, die auffällige Ä hnlich­keit m it der deu tschen D iphthongierung u zu au, T zu ei und der M ono- ph thong ierung ie zu i , uo zu ü aufw eisen, näm lich die a lttschechische Di­ph thong ierung von ú zu ou, y zu ej und die M onoph thong ierung von ie zu ?, uó zu ü. Als erster h a t die M öglichkeit e iner deu tschen B eeinflussung A. Kraus b es tritten . In seiner B esprechung des A ufsatzes von A. Beer “ Über die Spuren deu tschen E influsses im A lttschech ischen” 16 w iederho lt A. Kraus seine k ritischen B em erkungen, die er bere its 1888 in seiner H abi­lita tionssch rift “ Jan z M ichalovic” e rh o b .17 K raus geh t kon seq u en te r vor als Beer. Er s tre ite t deu tschen E influß bei folgenden a lttschechischen V eränderungen ab: der deu tsche U m laut von a zu e und d e r tschechische von a zu é ergeben L aute verschiedener Q ualitä t. Der tschechische Um­lau t von u zu i hängt m it dem deu tschen U m laut von u zu ü n ich t zusam ­m en. Die a lttschechische V eränderung von o zu uo und u erschein t im D eutschen später und m it anderen Zw ischengliedern: ö zu oa zu ua zu uo. Im A lttschechischen gib t es keine Paralle ld iph thongierung von e zu ea und ie. W ahrscheinlicher erschein t K raus der deu tsche E influß au f die a lttschechische D iphthongierung v o n y zu aj und ej, er s te llte sich jedoch zugleich m it R ech t d ie Frage, w arum das a lttsch ech isch ey von dieser

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V eränderung e rfaß t w urde, f jedoch n ich t. A nnehm bar erschein t Kraus der deu tsche E influß von ü zu au au f d ie a lttschechische D iph thong ie­rung von u zu au und ou. D och kom m en w ir heu te auch in diesem Falle zu anderen Ergebnissen. A uch K om arek ist bei der B eurteilung dieser V eränderung anderer M einung. Er n im m t an , daß d e r Im puls zur Di­ph thong ierung von ü zu ou von der ähnlichen D iphthongierung v o n y zu ej ausging, die d am it zw eifellos zusam m enhäng t. 18 Diese A nnahm e dürfte stim m en, d a y zu ej im Tschechischen ta tsäch lich schon im 12. Jh . b e ­legt ist: Teinez ON ‘T y n ec’, w ährend u zu ou erst im 13. Jh . e rschein t.Im D eutschen ist das V erhältn is der D iph thongierung von 7 zu e i und von u zu ou gerade um gekehrt, da d ie V eränderung von ü zu ou schneller vor sich ging als diejenige von 7 zu ei. Som it d a rf auch angenom m en w erden , daß die D iphthongierungen in beiden Sprachen parallel verliefen; es ist anzunehm en, daß die D iph thongierung um 1500 in d e r gesprochenen deu tschen und tschech ischen Sprache b een d e t w ar. L indgren h a t bew ie­sen, daß kein U nterschied in der D iphthongierung zw ischen W örtern b e ­steh t, die der A pokope ausgesetzt sind und den anderen Fällen. Bei ein­silbigen W örtern ist jedoch im m er ein höherer P rozentsatz von D ip h th o n ­gierungen festzustellen , w as verm uten läßt, daß h ier d ie D iphthongierung zuerst und am stärksten e in se tz te . 19

Parallelität zw ischen dem D eutschen und Tschechischen ist auch bei an ­deren V eränderungen anzunehm en , z.B. bei d e r alttschechischen Mono- ph thong ierung von ie zu t, uo zu u und bei d e r m itte lhochdeu tschen Mo- noph thong ierung von ie zu i, uo zu u, oder bei d e r V eränderung des bila­bialen w in lab iodentales v, die ebenfalls beiden Sprachen gem einsam ist. In diesen Fällen w ird kein d eu tscher E in fluß angenom m en, obw ohl er chronologisch genauso m öglich sein sollte.

Man w ird annehm en kö n n en , daß beide S prachen für diese und andere lautlichen Ü bereinstim m ungen ähnliche i n n e r e V oraussetzungen p a r a l l e l en tw icke lt haben müssen. Am schw ersten ist natürlich der A nfang der K ette von V eränderungen zu fassen. Für das Tschechische sieht K om ärek diesen A nfang in V eränderungen , die zur A ufhebung des G egensatzes d e r w eichen und h arten K onsonan ten re ihen führten , und in d e r U nterscheidung d e r langen und ku rzen V okale. Im D eutschen w ird die D iph thongierung o ft physiologisch e rk lä rt, so von Paul b is M itzka .20 Nach Sievers beg inn t die D iphthongierung im tiefen F allton . Ü ber die U rsachen d e r M onoph thong ierung e rfah ren w ir in d e r S tan d ard lite ra tu r noch w eniger. N .S. T ru b e tzk o y e rkann te , daß sich d e r Zug zur D ip h th o n ­gierung n ich t als W irkung des stark zen tralisierenden A kzents erw eist, sondern der S ilbenschn ittko rre la tion . In diesem Sinn w ird d ie D ip h th o n ­gierung auch von P. T rost e rk lä rt.21

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W ährend im Bereich d e r L autungen beider Sprachen völlige A u tonom ie anzunehm en ist, erg ib t die V erteilung d e r L ehnw örte r ein anderes Bild.Im Bereich der L ehnw örte r und L ehnübersetzungen berüh rten sich beide Sprachen in einigen E pochen d e r E ntw icklung sehr intensiv. V on beson­derem Interesse sind die Fragen des L autersatzes der L ehnw örter, m it denen sich vor allem die A rbeiten von G ebauer, T räv n itek , H avränek, K om ärek, Sm ilauer, V ondräk , Lessiak, E. Schw arz, E. K ranzm ayer, Lehr-SpJaw inski, A. M ayer, R. T rau tm ann und E. E ichler beschäftig ten . Bei d e r Ü bernahm e w urden ste ts die G esetze d e r A rch itek to n ik des W ort­schatzes der übernehm enden Sprache re sp ek tie rt.22

Wie g roß w ar eigentlich die Zahl d e r deu tschen L ehnw örte r im A lttsche­chischen? Im a lttschech ischen D ifferenzw örterbuch von F. S im ek zählen w ir n u r 387 G erm anism en, abgesehen von lau tlichen V arian ten , aber m it A b le itungen .23 Insgesam t ist im A lttschechischen bis zum Jah re 1500 nach dem M aterial des vo rbere ite ten akadem ischen W örterbuchs d e r a lt­tschech ischen Sprache von rund 7 0 .000 W örtern m it e tw a 1500 G erm a­nism en zu rechnen , vor allem im Bereich der Peiorativa, der “ h ö h eren ” G esellschaftsw örter und der H andw erkersprache, das sind rund 2% des G esam tw ortschatzes. Die b isher um fangreichste U ntersuchung der d e u t­schen L ehnw örter im Tschechischen von A. M ay e r24 ist wegen m angeln­der D ifferenzierung und E inbeziehung von einer R eihe la te in ischer E ty ­m ologien von S law isten m it R ech t k ritisie rt w orden . Präziser, aber eben­falls ergänzungsbedürftig ist die U ntersuchung der slaw ischen L ehnw örter in der neuhochdeu tschen S chriftsp rache von Ph. W iek .25 In teressan t w äre auch eine U ntersuchung der L ehnübersetzungen im A lttschechischen — sow ohl aus dem L atein ischen als auch aus dem D eutschen . G erm anism en en th ä lt auch das für seine Z eit g roße W örterbuch von M eister K laret (C laretus de Solencia), das um 1365 en ts tan d . Es e rfaß t e tw a 7 .0 0 0 a lt­tschechische W örter. V on rund zwanzig M itarbeitern an diesem Werk lassen sich 7 - 8 iden tifiz ieren , d a ru n te r auch so w ichtige Persönlichkeiten wie Karl IV., E rzb ischof E rnst (A rnost z P ardubic), Johannes von N eu­m ark t, der berühm te K anzler Karls IV., dessen T eilnahm e an K larets W örterbuch für seinen Trilinguism us sprich t, d e r W eihbischof A lbert von Prag, d e r A b t N eplach von O patovice u .a .26 Die G ebildeten w aren ohne Zweifel zwei-, o f t auch dreisprachig . Das tr if f t auch für die Spitze der Feudalgesellschaft zu. Wie es aber in den m ittle ren S ch ich ten aussah, läß t sich schw er generalisieren. Die S täd te w aren E nklaven im F euda l­system , und es gab viele M odalitä ten der sprachlichen Praxis. Die S tad t­arm en w aren sicher ö fte r zw eisprachig als die D orfarm en.

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Schon im 12. Jah rh u n d e rt w erte te m an das D eutsche als höfische Sprache am P iem yslidenhof. Im 13. Jah rh u n d e rt verfaß te König W enzel II. d e u t­sche M innelieder, und deu tsche D ich ter standen im D ienst der b ö h m i­schen K önige und einiger g roßer F eudalen . Im 14. Jah rh u n d e rt w ar das tschechische E lem ent in den S täd ten in Z unahm e begriffen . Es g ib t S täd te , w ie z.B. Saaz, die an der late in ischen K anzleisprache fes th ielten , um keine R eibungsflächen en ts teh en zu lassen. Im Jah re 1412, ku rz vor A usbruch der hussitischen R evolu tion , w endet sich Hus in seiner A usle­gung der Zehn G ebo te sehr scharf gegen die Sprachm enger u n te r den T schechen: “ Es verd ien ten je tz t auch d ie Prager und andere T schechen, die halb tschechisch und halb deu tsch reden, ausgepeitsch t zu w erden , indem sie sagen: to b o lka für tobo+ka (‘G eld tasche’), liko s ta tt fy k o (‘Bast’), han tuch s ta tt ubrusec, sorc s ta tt zästerka, kn ed lik s ta tt iiska, renlik s ta tt trerozka (‘T iegel’, ob e rd t. ‘R e ind l’), pancier s ta tt krun ie t, hu n sko p s ta tt k o n sk y nahlavek, m arstale s ta tt konnice , m azhaus s ta tt svrchnt sieh, tr e p k y s ta tt ch ö d y (‘Schuhe’), hauzsknech t s ta tt d o m o v n i pacholek , fo rm a n s ta tt vozataj (‘F u h rm an n ’). Und w er k ö n n te all das schildern, w ie sie schon die tschechische Sprache verw irrt haben? So daß , w enn ein richtiger T scheche sie so sprechen hö rt, er n ich t versteh t, w as sie sprechen; und daher k o m m t Ä rger, H aß, Z ank, H ader und Schm ach der T schechen” . 27 Die lexikalischen Paare d e r tschechischen U m gangs­und S chriftsprache zu Beginn des 15. Ja h rh u n d e rts sind h ier d o k u m en ­tarisch festgehalten . D ieser D ualism us b es teh t übrigens im T schechi­schen zum Teil bis h e u te . 28

V or der H ussitenzeit ist das w ich tigste D enkm al der deu tschen L ite ra tu r in Böhm en vor A dalbert S tifte r en ts tanden — “ D er A ckerm ann aus B öh­m en” , 1401-1404. Im anderen Zusam m enhang haben w ir gezeigt, daß der A u to r dieses W erkes, Johannes de S itbo r, alias T epl, alias Saaz, ein Trilinguist w ar, dessen L ebenslauf m it den zw eisprachigen O rten S itbo r, Teplä, 2 a tec und zu le tz t Prag verbunden ist. S pä te r finden w ir ihn in einer hussitischen G esandtschaft nach Basel.29 O b er tatsäch lich Tsche­che von G ebu rt w ar, w ie K. D oskofil m e in te 3 0 , ist n ich t erw iesen. Noch w eniger gesichert ist, daß er auch das tschechische — vierm al längere — Gegenstück zum “ A ckerm ann” , den sogenannten “ T kadlecek” , d .h . ‘W eberlein’,schrieb , der bald nach 1407 en ts tan d .

Die H ussitenkriege bedeu ten w ichtige V erschiebungen zugunsten des T schechischen und Slow akischen. Das deu tsche Patriz ia t ist auch in vie­len S täd ten in der Slow akei bedeu tend reduziert w orden . Das T schech i­sche w urde im 15. Jah rh u n d e rt zur d ip lom atischen Sprache auch in Po­len und U ngarn. U nter M atthais Corvinus, 1458-1490 , w urde von der königlichen K anzlei in O fen (B uda) m it slow akischen S täd ten tschechisch

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k o rrespond iert. Nach d e r Sch lach t bei M ohäcs, 1526, nahm jed o ch diese E ntw icklung in der Slow akei ein rasches E nde. Die T ürken bese tz ten das G ebiet des heutigen Ungarn. D er S chw erpunk t des ungarischen S taates verschob sich von O fen nach P reßburg in die Slow akei.

A uch in B öhm en ist das Jah r 1526 für die sprachliche E n tw ick lung von B edeutung, da von diesem Jah r an d ie nun regierenden H absburger die Zw eisprachigkeit u n te rs tü tz ten , indem sie alle w ichtigen S tellen m it k a th o ­lischen Ö sterreichern zu besetzen begannen. Diese B estrebungen der H absburger führten freilich erst nach 1620, nach der S ch lach t au f dem W eißen Berg bei Prag, w o die oppositionellen tschech ischen U traqu isten und deu tschen L u th eraner eine völlige N iederlage e rlitten , zum Erfolg.Das ganze 15. und 16. Ja h rh u n d e rt w ar eine Z eit, in d e r sich das T sche­chische qualita tiv und q u an tita tiv w eite r festig te. Die böhm ischen H um a­nisten schrieben zuerst lateinisch, z.B. die Schüler des A eneas Silvius P iccolom ini Jan H uska, M ikuläs K onäc z H odiskova und vor allem Bohus- lav H asistejnsky z L obkovic, später tschech isch . Die tschechisch schrei­benden H um anisten sind für die E ntw ick lung des Bilinguism us b edeu tend w ichtiger, da sie p rogram m atisch die tschechische Sprache in den V order­grund rückten . Im 16. Jh . kam es näm lich zum neuen Zuzug d eu tscher L u theraner nach B öhm en, und deren zahlenm äßige E rstarkung führte w ieder zur A ktualisierung der Sprachenfrage. Bei V ik to rin K ornel ze VSehrd (1460-1520) finden sich w ieder dieselben T öne w ie in d e r C hro­nik des sog. Dalim il. N eu w ar in d ieser E poche des tschechischen H um a­nism us d ie bew uß te Sprachpflege und die positive Beziehung n ich t nu r zur A ntike, sondern auch zum einheim ischen sprachlichen und k u ltu re l­len Erbe. In teressan t ist, daß im Vergleich m it dem älteren tschechischen R echtsbuch von O ndrej z D ube bei VSehrd d ie A nzahl der deu tschen L ehnw örter abgenom m en hat: e tw a 60% griechisch-lateinische L ehnw ör­te r neben 40% deu tschen L eh n w ö rte rn .31

In den F ußstap fen V sehrds sch ritten auch andere tschech ische H um ani­sten , näm lich R ehor H ruby z Jelen i, Vaclav Pisecky und vor allem der philologisch gebildete Z ikm und H ruby z Je len i, d er Sohn des E rstgenann­ten . Sein “ L exikon sym p h o n u m ” , 1537, ist d e r erste V ersuch eines ver­g leichenden etym ologischen W örterbuchs der griechischen, latein ischen, deu tschen und tschechischen Sprache. V on g roßer T ragw eite für die E ntw icklung des B ilinguismus in B öhm en w ar der von den tschechischen H um anisten inspirierte B eschluß des böhm ischen L andtags vom 13. März 1495, nach dem künftighin alle E intragungen in die böhm ischen L and­tafeln ausschließlich in tschechischer Sprache zu erfolgen h a tten . Für das T schechische w ar im 16. Jh . die B öhm ische Brüdergem eine von außero rden tlicher B edeutung. In F o rtse tzung der hussitischen G edanken

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legte sie besonderen W ert au f die Bildung und au f d ie Predigt und den Gesang in d e r N ationalsprache und en tw icke lte ein im dam aligen E uropa einm aliges N etz von G rundschulen , vor allem in M ähren. Die sechsbändige K ralitzer Bibel, 1579-1593 , nach K ralice bei Brünn, vo llendete d ie E in­heit d e r tschech ischen S chriftsprache, d ie schon im 14. Jh . zen tra lisierter und ausgeglichener w ar als d ie frühnhd . S chriftsprache.

Die gesteigerten A nstrengungen der B öhm ischen Brüdergem eine um ver­tie fte Bildung fanden auch in d e r in tensiven Sprachpflege A usdruck , vor allem in der Person des geb ildeten B ischofs Jan Blahoslav, 1523-1571. Er w and te sich gegen diejenigen deu tschen L ehnw örter, die gegen den bis­herigen Usus neu erschienen. Wie schon anderthalb Jah rh u n d erte zuvor Hus, k ritis ie rt auch Blahoslav neue deu tsche L ehnw örte r im T schechi­schen seiner Zeit: “ U nd deshalb , w o die heim ische Sprache eigene und schöne W örter besäße, gehö rt sich n ich t, F rem d w ö rte r ins Tschechische h ineinzu tragen . A ber dagegen s te llt sich o f t d ie G ew ohnheit. D enn m an­che T schechen, die o f t m it D eutschen reden , ja neben oder u n te r ihnen w ohnen , gew öhnen sich daran , deu tsche W örter zu benützen . Und so sprechen sie: Dej sem ban tuch ‘Gib das H and tuch h e r’, Masli han tlik?‘H ast du eine H andhacke?’, Zac to fa rk le? ‘Was k o ste t das F erke l? ’, ln L andskron (O stböhm en) sp rich t m an näm lich au f diese Weise. W enn es so w eiter gehen sollte, k ö n n te es denjenigen T schechen , d ie au f diese Weise sprechen , w ie den Sorben in früheren Z eiten ergehen, daß sie näm ­lich w eder tschechisch , noch deu tsch , noch lateinisch sprechen, sondern ihre Sprache verw orren und irregem acht haben , um nur von jenen ver­standen zu w erden , die von ihnen gezeugt w erd en .”32 In höfischen Krei­sen kann m an nach Blahoslav fo lgende deu tsche L ehnw örter gebrauchen: ko r fy r lt , marSalek, heytm an , truksas, Ito lm istr , bo fm istr, kuchm istr , m usterherr ‘M usterungsoffiz ier’, m u stro w a ti ‘m u s te rn ’, in S o lda tenk re i­sen k y ry s ‘Küraß, B rustharn isch’, V acbtordnung , d ie schon eingebürgert seien. Man sollte es auch den H andw erkern n ich t übelnehm en, w enn sie deu tsche L ehnw örte r gebrauchen , doch solle m an es auch n ich t nachah­m en.

Im gesam ten eu ropäischen H um anism us g ib t es nirgends eine Parallele für die zen tra le R olle, die die Sprachpflege bei den tschech ischen H um a­nisten spielte . Diese E igenart erg ib t sich aus der besonderen Lage, in der sich die böhm ischen L änder nach 1526 w ieder befanden . Fast ein D ritte l der B evölkerung sprach deu tsch (in M ähren w ar der deu tsche Bevölkerungs­anteil bed eu ten d niedriger), und das tschechische Sprachgebiet sprang halbinselartig 4 0 0 km in das deu tsche Sprachgebiet vor, nachdem die deu tsche Sprache in Schlesien w eite r an Boden gew innen k o n n te . Dazu kam en der zum Teil germ anisierte A del und die österreichischen Habs-

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Die g röß te Persönlichkeit des tschech ischen H um anism us w ar Jan Ä m os K om ensky, 1592-1670, la tin isiert zu Johannes A m os C om enius. K om ensky ist der b edeu tendste tschechische m ehrsprachige S chrifts te ller. Als le tz te r B ischof der Brüdergem eine p red ig te er die G leichheit aller, auch aller V öl­ker, vor G o tt. A uf dieser G rundlage bau te er seine pädagogischen, sittli­chen und politischen R eform vorschläge auf. Seine m ethod isch-d idakti- schen Prinzipien w irken bis in unsere Zeit. “ Jan u a linguarum resera ta” , lateinisch und deu tsch 1631, tschechisch 1633 u n te r dem T itel “ Dvere jazyküv o tev ten e” , und “ M ethodus linguarum novissim a” , 1649, fo rdern die V erbindung des S p rachun terrich ts m it dem Sachw issen. Eine w eltw ei­te V erbreitung fanden seine im Jah r 1657 erschienenen W erke “ O rbis sensualium p ic tus” und “ D idactica M agna” . Ein Jah r zuvor verb rann te in Leszno (Lissa) sein “ T hesaurus linguae bo h em icae" , das bis dah in g röß te W örterbuch einer N ationalsprache, an dem er über 40 Jah re gearbeite t hat. K om enskys Stil ist in d e r gesprochenen Sprache verankert. Er p ran ­gerte die “ W erksta ttsp rache” n ich t an w ie Blahoslav . 33 Bei K om ensky erscheinen deu tsche L ehnw örter, die Blahoslav ein halbes Jah rh u n d e rt früher n ich t gedu ldet h ä tte , sogar in den T ite ln seiner berühm ten Werke: “ L abyrin t sveta a lusthauz srdce” (L aby rin th d e r Welt und Paradies des H erzens), 1623; “ K saft um irajic i m atk y je d n o ty b ra trsk e” (G eschäft, d.i. V erm ächtn is der sterbenden M u tte r d e r B rüdergem eine), 1648; w eniger b ek an n t ist seine S tre itsch rift gegen die Jesu iten “ R etu n k p ro ti A nti- k ristov i” (R e ttu n g vor dem A n tich rist), 1617.

Der G erm anisierungsprozeß, der im 16. Ja h rh u n d e rt e inse tz te , und vor allem in N ord- und W estböhm en F o rtsch ritte verm erken k o n n te , w urde nach 1620, nach der N iederlage der P ro testan ten au f dem W eißen Berg, du rchgreifender. Er vollzog sich in m ehreren E tappen und G enerationen .Am gründlichsten w urde die Z usam m ensetzung der herrschenden F eudal­sch ich t verändert. D er bodenständ ige tschechische A del b ilde te in seiner Klasse nur noch eine M inderheit, d ie am W iener H of tro tz A npassungs­bere itschaft m it M iß trauen b eh an d e lt w urde . Im 17. Jah rh u n d e rt w urde durch die E rneuerte L andesordnung (1 6 2 7 ) zuerst d ie deu tsche Sprache der tschechischen gleichgestellt, aber d ie p ro testan tisch e M assenem igra­tion und d e r Z ustrom ausländischer ka tho lischer A deliger und Beam ten, die des T schechischen unkund ig w aren, führten bald zur Bevorzugung des deu tschen E lem ents. Dazu kam noch ein relativer B evölkerungsüber­schuß in den R andgebieten B öhm ens und N ordm ährens sow ie Südschlesiens, die zum g rö ß ten Teil deu tschsprach ig w aren. Bald kam es zur A bw ande­rung ins fru ch tb a re Landesinnere, besonders im ganzen S treifen zw ischen L iberec (R eichenberg) und T achov (T achau ).34 D och w urden auch die

burger auf dem böhmischen Thron.

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D ruckerzeugnisse der D ruckereien tschech ischer E m igranten in Z ittau und Pirna w ährend d e r ganzen G egenreform ationszeit nach B öhm en ge­schm uggelt und die K ralitzer Bibel w urde benü tz t. U nter den Jesu iten verbreite te Bohuslav Baibin sein 1672 en ts tandenes H auptw erk “ Disser- ta tio apologética pro lingua slavonica, p raecipue bohém ica” , das freilich erst 1775 erscheinen d u rf te . Die H aup tbedeu tung gew ann es erst in der A ufklärungszeit. Für M ähren errang dieselbe B edeutung das Werk “ Mora- vopis” (M ährenkunde) von T om ás Peäina z te c h o ro d u , 1629-1680 , des­sen H aup tquelle d ie “ H istorie cirkevni” des L u theraners Pavel Sk'ala ze Zhore, 1583-1640, w urde . Um die 10 Bände der H andschrift dieses Wer­kes stud ieren zu k ö n n en , ging Pesina dreim al zu den tschech ischen E xu­lanten nach Schlesien. Für sprachliche Zusam m enhänge ist in teressan t, daß sich Pesina für den tschech ischen G o ttesd ienst in tschech ischen und gem ischten G em einden einsetzte .

In d e r Slow akei w ar die S itua tion insofern günstiger, als sich d o rt das Tschechische in d e r evangelischen K irche u n u n te rb ro ch en halten k o nn te . Besonders seit 1781, nach dem T o le ran zp a ten t, gab es eine enge Z usam ­m enarbeit d e r tschechischen und slow akischen P ro testan ten . Es liegt au f der H and, d aß sich au f dieser Basis d ie O pposition der Intelligenz gegen den Z entra lism us der S taatsverw altung in Wien zu form ieren begann. Das Deutsche w urde in der A ufklärungszeit im H absburgerreich zur e inheitli­chen A mts- und B ildungssprache erhoben . Die sprachliche U m schichtung w ar um so g rößer, als auch das Lateinische von d ieser E ntw icklung b e tro f­fen w urde.

Der um fassende gesellschaftliche P rozeß d e r sogenannten nationalen W iedergeburt w urde durch die B auernbefreiung und die Industrialisie­rung ausgelöst. Das tschechische und slow akische Landvolk und d ie nie­dere H andw erkerschaft w ar keineswegs um fassend bilingual, sondern de facto einsprachig. Um 1750 e rre ich te d ie tschechische Schriftsp rache ih­ren T ie fpunk t. In dieser Zeit gab es S tim m en , daß die tschechische Spra­che un tergehen w erde. M eistens hande lte es sich um deu tsche Adelige oder Bürgerliche, die ähnliche A nsich ten vertra ten . A uch dem Begründer der w issenschaftlichen B ohem istik Jo se f D obrovsky, 1753-1829, h afte te noch Skepsis gegenüber dem T schechischen als L itera tu rsp rache an. Sein “ A usführliches Lehrgebäude der böhm ischen S prache” , die erste w issen­schaftliche G ram m atik des T schechischen, schreib t er noch 1809 in d e u t­scher Sprache. In der ersten Phase d e r tschech ischen W iedergeburt e n t­stand das erste und le tz te Mal in jah rhunderte langen deu tsch -tschech i­schen literarischen Beziehungen eine S itu a tio n , in der m an die d eu tsch ­sprachigen W erke als Teil d e r tschechischen K ultu r und L ite ra tu r, die auch von T schechen z.T. deu tsch geschrieben w urde , ansehen k a n n . 35

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Eine ähnliche S itua tion en ts tan d in der Zeit des Josefin ism us auch in an­deren ko m p ak t katho lischen L ändern , z.B. in K rain, K ärn ten , d e r S teier­m ark und K roatien . D er G rund für gerade diese E ntw ick lung in den drei e rw ähn ten Sprachen liegt in der besonders in tensiven G egenreform ation , die eine zähe la tein ische und außerdem noch eine zusätzliche staa tsk irch ­lich bed ing te deu tschsprach ige T rad ition en tw ick e lte . 36

Diese erste Phase des W iederaufstiegs der tschechischen Sprache bed eu ­te te eine Belebung der sprachlichen W erte des 16. Jah rh u n d e rts , au f das auch der b ed eu ten d ste G ram m atiker dieser Zeit — D obrovsky — zurück­griff. In der zw eiten Phase d e r A ufw ertung der tschechischen Sprache kam es zur A uffüllung des feh lenden W ortschatzes in allen Fachbereichen . An der Spitze dieser B estrebungen standen Jo se f Jungm ann (1773-1847), Jan Svatopluk Presl (1791 -1849 ) und sein B ruder Karel Borivoj (1794- 1852). Jungm ann lieferte m it seinem fünfbändigen T schechisch-deutschen W örterbuch (1835 -1838 ) und m it seinen anspruchsvollen Ü bersetzungen M iltons, C hateaubriands, G oethes und Schillers den th eo re tischen und prak tischen Beweis für d ie E benbürtigkeit der tschechischen L ite ra tu r­sprache m it der deu tschen . Die Brüder Presl be te ilig ten sich m aßgebend an der Schaffung d e r tschech ischen naturw issenschaftlichen T erm ino lo ­gie, w obei sie au f die Sprache des V olkes und die anderen slawischen Sprachen zurückgriffen. T ypisch für diese N eologism en ist der Purism us, der u n te r den gesellschaftlichen B edingungen der E m anzipation des tschechischen V olkes und seiner Sprache bis zum Jah r 1918 auch ein starkes ideologisches M om ent besaß. Die E ntw ick lung des nationalen B ew ußtseins und die A g ita tionsm itte l d e r T schechen u n te r den einspra­chigen S chichten des Landvolks, d e r H andw erkerschaft und des K lein­bürgertum s im V ereinsw esen und der Jou rna lis tik sch ildert sehr anschau­lich A n to n Springer. Er d efin ie rt auch das tschechisch-slow akische V er­hältnis, das durch die Schaffung der slow akischen Schriftsp rache im Ja h ­re 1844 in neue B ahnen gelenkt w urde. Die V ersch iedenheit der h is to ri­schen E ntw icklung und die U nterschiede zw ischen d e r österreich ischen und ungarischen R eichshälfte führten dazu. Für unser T hem a ist auch Springers Scharfblick für die e igentlichen Träger des österreich ischen Patrio tism us von In teresse — die D eutschen und die R u th e n e n .37 Das D eutsch der W iener B eam tenschaft w ar für die B eam ten und O ffiziere in d e r ganzen M onarchie m ustergültig, aber das in den böhm ischen Län­dern und in der Slow akei gesprochene Deutsch w ar sehr m annigfaltig .Die U m gangssprache in den S täd ten w ar im d eu tschen Sprachgebiet m undartlich gefärb t. Die e inzelnen deu tschen M undarträum e der böhm i­schen L änder w iesen große U nterschiede au f und w aren n ich t im m er eine b loße F o rtse tzung der M undartverhältn isse im b enachbarten D eutsch­

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land; besonders zum O bersächsischen gab es ostfränk isch ausgerich tete M undarten in N ordw estböhm en. Als ausgeprägteste deu tsche M u ndart­landschaft galt das Egerländische. A ber auch die M undartverhältn isse in den Sprachinseln d e r Slow akei w aren stark d iffe renz ie rt, z.B. das Zipse- rische, das G ründlerische (M undarten d e r Z ipser G ründe im G ölln itz ta l), das M antakische in M edzev (M etzenseifen) und § to s (S toß). Die m äh ri­schen und böhm ischen deu tschen Sprachinseln w aren ebenfalls individuell abgestuft, am m eisten w ohl die Schönhengster M undart. Nach d e r G rün­dung der Tschechoslow akei w urde die D ialektologie zum S ch w erp u n k t­gebiet der G erm anistik an d e r deu tschen U niversität in Prag. E ine große A rbeit w urde geleiste t, du rch die die d eu tschen M undarten der T sche­choslow akei zu den am gründlichsten erfo rsch ten sch lech th in g eh ö ren .38 Zu den tschechischen N achbarn an d e r Sprachgrenze gab es enge Bezie­hungen w irtschaftlicher A rt, m an leb te m ite inander im F rieden . In dieser K on tak tzone haben die deu tschen M undarten zahlreiche tschechische L ehnw örter und Phrasen übernom m en. D er b ek an n te A usspruch A. Brückners — “ W enn m an zeitgenössisches Tschechisch und insbesondere die Tagespresse liest, so m uß m an erst das G eschriebene ins Deutsche übersetzen, um es auch w irklich zu verstehen” 39 — gilt für den lexikali­schen und phraseologischen Bereich. T ypisch für die tschechische S ch rift­sprache um die Jah rh u n d ertw en d e , von der d ieser A usspruch stam m t, w aren L ehnübersetzungen. D eutscherseits sind neben L ehnw örtern auch L ehnübersetzungen aus dem Tschechischen in der deu tschen U m gangs­sprache der böhm ischen L änder b e k a n n t.40 Bei der deu tschen Bevölke­rung w ar der B ilinguismus im großen und ganzen w eniger verb re ite t, aber er nahm seit d e r Jah rh u n d ertw en d e laufend zu, besonders bei der deu tschen Intelligenz. V iele deu tsche B ilinguisten e rkann te m an an der lenierten A ussprache der stim m haften tschechischen K onsonan ten b, d, g als lenierte V ersch luß lau te p, t, k und des stim m haften E ngelautes z als stim m losen E ngelaut s, an der unvollkom m enen B eherrschung des tschechischen System s d e r V erbalaspekte und an G enusin terferenzen .Den tschechischen Zw eisprachlern gebrach es o f t an gerundeten V okalen im D eutschen, am U nverm ögen, lenierte V ersch luß lau te zu b ilden und den vollen S atzrahm en zu setzen. N atürlich gab es au f beiden Seiten er­hebliche U nterschiede nach der gesellschaftlichen Schichtung.

Ein besonderes Idiom w ar das Prager D eutsch, das im m er noch rech t untersch ied lich bew erte t w ird . Als sicher g ilt, d aß sich im Prager D eutsch der deutsch-tschech ische B ilinguismus rech t bescheiden ausgew irkt hat.An anderer S telle haben w ir gezeigt, daß d ie P rob lem atik des Prager D eutsch kein geschlossenes G anzes und kein K on tinuum d a rs te llt, wie o ft angenom m en w ird , sondern daß sie in w enigstens vier E pochen zer­

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fä llt.41 In d e r le tz ten E poche des Prager D eutsch en ts tand in Prag eine deutschsprach ige L ite ra tu r ers ten Ranges. Bei d e r V olkszählung im Jahre 1920 gab es in Prag 30.429 D eutsche und 6 2 4 .7 4 4 T schechen . Bei der le tz ten V olkszählung im Jah re 1970 gab es in Prag n u r noch 936 D eutsche sowie 1.053.315 T schechen.

Wie sieht es m it dem Bilinguismus in der T schechoslow akei in d e r G egen­w art aus? Die zahlenm äßig s tarke deu tsche M inderheit g eh ö rt d e r V er­gangenheit an. Im Jah re 1930 gab es in d e r T schechoslow akei 3 .231 .688 D eutsche — 22% der G esam tbevölkerung. Die P rozen tzah l der D eutschen sank bere its in den le tz ten D ezennien d e r österreichisch-ungarischen M onarchie. N ach dem zw eiten W eltkrieg b lieben in der T schechoslow a­kei nu riR este der bodenständ igen deu tschen B evölkerung, besonders in W estböhm en und in N ordböhm en . Es h an d e lt sich dabei g röß ten te ils um F acharbeiter, Bergleute, A ntifasch isten und A ngehörige von M ischehen. W ährend es zum 1.3 .1961 in d e r Tschechoslow akei noch 140.402 D eut­sche gab, sank deren Zahl zum 1.12. 1970 au f 85 .663 u n d b e träg t zum 1 .1 .1976 rund 79 .0 0 0 , davon 7 5 .0 0 0 im tschechischen und 4 .0 0 0 im slo­w akischen L andesteil. Die jäh rliche A bnahm e b e träg t über 1 .000. Es gibt h eu te in der T schechoslow akei keinen O rt m ehr, in dem über 50% D eu t­sche leben. Den höchsten A nteil der deu tschsprach igen Bevölkerung w ei­sen heu te vier O rte im Erzgebirge auf: M id fn ec (K upferberg) 44,1% , M ikulov (N iklasberg) 43,5% , Bo4i D ar (G ottesgab) 40,8% und ¿ e sk £ H am ry (Böhm isch H am m er) 40,4% — alles sehr k leine O rte . Zum 1.12. 1970 gab es in der CSR 142 O rte m it m eh r als 10% D eutschen . V on 11 O rten , w o im Jah r 1961 m ehr als 1 .500 D eutsche leb ten , b lieben im Jah r 1970 nur zwei: Jab lonec n.N . (G ablonz a.N .) m it 1584 D eu tschen und T eplice (T eplitz) m it 1527 D eutschen . Es g ib t heu te zwei K reise m it m ehr als 5% D eutschen: Sokolov (F alkenau) 9% und Jab lonec n.N . (G ablonza.N .) 5 %.42 V on den heu te in d e r T schechoslow akei lebenden D eutschen sind alle A ngehörigen der jungen und m ittle ren G enera tion zw eisprachig, die ä ltere G enera tion b le ib t m eistens bei der angestam m ten M undart.Im V erkehr m it n ich t bodenständ igen D eutschen w ird die m undartlich gefärb te H ochsprache b en ü tz t. In d e r in ternen K om m un ikation inner­halb der Fam ilie und im F reundeskre is herrsch t nach w ie vor die M und­art. M it den T schechen in den gem ischten G ebieten , die h eu te in der Regel über 90% der E inw ohner ausm achen, w ird tschechisch gesprochen, von jüngeren Jahrgängen ohne A kzent.

K ürzlich verö ffen tlich te J . PovejSil eine U ntersuchung über das V erhä lt­nis zw ischen dem deu tschen D ialekt und “ frem d er” H ochsprache bei Z w eisprachlern, die überw iegend die R andgebiete B öhm ens ins Auge faß t. Es g ib t d o rt viele M odalitä ten d e r Z w eisprachigkeit, aber im großen

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und ganzen en tsp rich t seine B eschreibung der S itu a tio n .43 Es stim m t, daß tschechische L ehnw örte r für gesellschaftliche E inrich tungen wie rekreace ‘E rho lungsau fen tha lt’, R O H ‘G ew erkschaftso rgan isation ’,(n&rodni) vybor ‘N ationalausschuß , d .i. G em eindeam t’, Eingang in die deu tschen M undarten und in d ie U m gangssprache fanden , aber geographi­sche B ezeichnungen gebrauch t m an n ich t in d e r tschech ischen F orm ,“ weil m an es so in der Schule h ö r t” , sondern in der deu tschen , w obei die m itu n te r schw ierige K onsonantenfo lge bei tschech ischen B enennungen auch eine R olle spielt, also Sp indelm ühle ‘Spindlertiv M lyn’, Erzgebirge ‘Kruäne h o ry ’ o der Riesengebirge ‘K rkonose’, M arienbad ‘M arianske L a z n t’, weil sie auch von den deu tschen T ouris ten aus d e r DDR und d e r BRD um ­gangssprachlich in d e r deu tschen Form gebrauch t w erden . A uch die T sche­chen benützen sie, w enn sie m it D eutschen sprechen , abgesehen davon, daß die T schechen um gangssprachlich S p in d l für Spindleriiv M lyn , M ariänky für Marienbad, Vary für K arlovy Vary sagen, um zw eigliedrige B enennun­gen zu verm eiden. Die Prager V olkszeitung b en ü tz t bei O rtsnam en nur die tschechischen N am en, bei Berg- und G ebirgsnam en die deu tschen .

Die Zw eisprachigkeit w ird in der heutigen F orm , w o noch die M undarten bestehen , w ahrscheinlich n ich t erhalten b leiben , aber die geographische Nähe zum d eu tschen Sprachgebiet, T ourism us, W irtschaft, R u nd funk und Fernsehen w erden einen neuen M odus der Z w eisprachigkeit en ts te ­hen lassen, ln dem Zusam m enhang sei e rw ähn t, daß d ie vielfältige, Jah r­hunderte andauernde deu tsch-tschech ische W echselseitigkeit im T sche­chischen dazu führte , daß es von allen slaw ischen Sprachen die m eisten E xonym a für deu tsche Orts- und F lußnam en besitz t, d ie z.T. bis in die Zeit d e r C hristianisierung zurückgehen, z.B. Cachy ‘A achen’, K oltn nad R y n e m ‘K öln’, M o h ü t ‘M ainz’, 'kezno ‘R egensburg ', D rä idany ‘D resden’, Zhorelec ‘G örlitz ’, R y n ‘R hein ’, M ohan ‘M ain ', Salice ‘Salzach’, M hla ‘Mühl’, Litava ‘L eitha’ und viele andere im ganzen deu tschen Sprachge­biet.

In der S low akei, w o es noch heu te viersprachige O rte g ib t — südlich der D onau bei Bratislava (P reßburg) — erscheinen n ich t n u r viersprachige O rtsnam en, so R usovce — Oroszv&r (ungarisch) — Karlburg (deu tsch ) — Rosvär (k roatisch ), o d e r tu n o v o — D ünacsün (ung.) — S a n d d o r f (d t.) — tü n o v o (k roatisch ), sondern auch F lu rnam en . Synchron und d iachron g ib t es in d e r T schechoslow akei ein um fangreiches, nu r w enig e rfo rsch tes M aterial.

Das E rgebnis des B ilinguismus in d e r T schechoslow akei ist eine strenge struk tu re lle und eine ziem lich scharfe geographische A bgrenzung des T schechischen und Slow akischen zum D eutschen und U ngarischen. N ur

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zum Polnischen hin g ib t es einen U bergangsstreifen im Schw ingungsfeld von Teschen-Schlesien und einigen verkehrsfreundlichen A bschn itten der N ordslow akei, nam entlich beiderseits der H ohen T atra . In Teschen- Schlesien w irk te sich die nahe V erw and tschaft und die besondere soziale Entw icklung so aus, daß A nsätze für eine M ischsprache, das Schlonsaki- sche, vorhanden w aren , sie kam en jedoch nie zur schriftsp rach lichen G el­tung. Der lachische D ialekt Schlesiens — im W esten durch die deu tsche K olonisation im G esenkegebirge von den m ährischen M undarten im 13.Jh . abgeschnürt — blieb dennoch ein fester B estandteil d e r tschechischen Sprache. Eine tschechisch-deutsche M ischsprache gab es vor dem Krieg auch in O pava (T roppau ). A uf dem M arkt sollen die V erkäufer (nach per­sönlicher M itteilung) im Jah re 1930 fo lgenderm aßen gesprochen haben: Pojcfte döhar. T u t m s m ene \én e blaun p u n to c h y o k u p te si. ‘K om m en Sie heran. K aufen Sie sich m eine schönen b lauen S trüm pfe’. A uch dieses Idiom w ar sozial eng abgegrenzt und überdauerte n ich t den Krieg.

Die gegenseitigen B eziehungen zw ischen der d eu tschen und tschech ischen bzw . slow akischen Sprache b rach ten gegenseitig im G runde nur L ehnw ör­te r hervor, vor allem in den M undarten und in der U m gangssprache. Alle anderen sp rachw andelnden K on tak tw irkungen un terlagen in der Regel dem System zw ang d e r em pfangenden Sprache und fielen dann m eist dem Ausgleich zum O pfer.

A nm erkungen

1 B. Hroznÿ, Die älteste Geschichte Vorderasiens und Indiens. 2. Aufl., Prag 1943, S. 124- 183.

2 Vgl. W.F. Mackey, International Bibliography on Bilingualism. Quebec 1972.H. Kloss, Research Possibilities on Group Bilingualism. Quebec 1969. E.A. Afendras, Sociolinguistic History, Sociolinguistic Geography and Bilingualism. Quebec 1969. W.F. Mackey, Interference, Integration and the Synchronie Fallacy. Quebec 1970. P. Trost, Deutsch-tschechische Zweisprachigkeit. In: Deutsch-tschechische Beziehungen im Bereich der Sprache und Kultur,Berlin 1965, S. 21 - 28. E. Skala, Die Entwicklung des Bilinguismus in der Tschechoslowakei vom 13.-18. Jahrhundert. In: Beiträge zur Gesch. d. dt. Sprache und L iteratur, Bd. 86, Halle 1964, S. 69 - 106. V. Vildomec, Multilingualism. Leyden 1963.

3 U. Weinreich, Languages in Contact. Findings and Problems. New York 1953.

4 E. Schwarz, Probleme der sudetendeutschen Lehnwortgeographie. In: Zs.f. M undartforschung, Jg. 26 (1958), S. 128 - 150.

5 Abhandlungen der Sachs. Akad. d. Wiss. zu Leipzig, Phil.-hist. Klasse, Bd. 57, Heft 2, Berlin 1965 und Bd. 59, Heft 2, Berlin 1968.

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6 J. Kapras, Historicky vyvoj ieskeho programu jazykoviho, Praha 1911.

7 Cosmas, Chronica Bohemorum. Fontes rerum bohemicarum II, 88; tschech. Übersetzung von K. Hrdina, Prag 1929.

8 J. Kapras, K otäzce uredni reci. In: Pokrokova Revue, Praha, ro i. 4, f .6, str. 4.

9 Prehled teskoslovenskych d ijin , Bd. I, Prag 1958, S. 360 f.

10 B. Havranek — J. Dahhelka, Nejstarsi ceska rymovana kronika tak receneho Dalimila. Prag 1957, S. 123.

11 Königsaaler Geschichtsquellen, hrg. v. Loserth, zit. nach R. Wolkan, Gesch. d. dt. L iteratur in Böhmen bis zum Ausgange des 16. Jh.s, Prag 1894.

12 J. Emler, Regesta diplomatica nec non epistolaria Bohemiae et Moraviae,Pars III (1311-1333), Prag 1890, S. 782.

13 M. Komarek, Historicka mluvnice Ceska, I, Praha 1958, S. 104, 108, 137.

14 J. Hus, De orthographia bohemica. Zit. nach Komarek (Anm. 13), S. 90.Die erste Ausgabe nach der einzigen erhaltenen Handschrift im Archiv Treboh von A.V. Sembera in Miklosichs Slawischer Bibliothek II, 1857.

15 E. Skala, Die Entwicklung der Kanzleisprache in Eger 1310 bis 1660. Berlin 1967, S. 2 9 7 - 302.

16 A. Beer, O stopäch vlivu nfcmeckeho v teS tini stare. In: Sitzungsberichte der Königl. böhm . Gesellschaft der Wiss., Kl. f. Philosophie, Geschichte und Philologie, Prag 1905, Heft VII, S. 1 - 25.

17 A. Kraus, Jan z Michalovic. Nim eckü biseh trinacteho veku. Prag 1888,S. 47; ders. in: Listy filologicke XXXII, Prag 1905, S. 475 - 476 und ebenda, Jg. XXXIII, 1906, S. 62 -6 3 .

18 M. Komarek (Anm. 13), S. 149.

19 K.B. Lindgren, Die Ausbreitung der nhd. Diphthongierung bis 1500. Helsinki 1961, S. 54.

20 H. Paul — H. Moser — I. Schröbler, M ittelhochdeutsche Grammatik, 21. Aufl. Tübingen 1975, S. 49.

21 N.S. Trubetzkoy, Grundzüge der Phonologie. Göttingen 1967, S. 176, 196 f.P. Trost, Bemerkungen zum deutschen Vokalsystem. In: TCLP 8, Prag 1939,S. 319 - 326; ders., Der Zusammenfall der Diphthongreihen in der nhd. Schriftsprache. In: Philologica Pragensia I, 1958, S. 15 - 16.

22 E. Skala, Zur kontrastiven W ortschatzarchitektonik im Deutschen und Tschechischen. Beiträge zur konfrontativen Sprachwissenschaft, Leipzig 1976, im Druck.

23 F. §imek, Slovniiek Stare ie itiny . Praha 1947.

24 A. Mayer, Die deutschen Lehnwörter im Tschechischen. Reichenberg 1927.

25 Ph. Wiek, Die slawischen Lehnwörter in der neuhochdeutschen Schriftspra­che. Elss. Marburg 1939.

26 J. Jakubec, Dfcjiny literatury teske, Bd. I, Prag 1929, S. 189.

27 J. Hus, Vyklad desatera boiieho piikazanie. In: Husovy Üeske spisy I, hrg. von K.J. Erben, Prag 1865, I, S. 133 f.

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E. Skala, Deutsche Lehnwörter in der heutigen tschechischen Umgangsspra­che. In: Deutsch-tschechische Beziehungen im Bereich der Sprache u. Kul­tu r II, Berlin 1968, S. 127 - 141.

Deutsch-tschechische Beziehungen (Anm. 28), I, S. 63 - 72.

K. DoskoCil, K pramenum “ Ackerm anna”. In: Sbom ik historicky 8, Prag 1961, S. 67 - 102.

E. Michalek, O jazykovÿch otâzkâch v dilech ïeskÿch narodnich buditelü.In: Slovo a slovesnost, Jg. 22, Prag 1961, S. 12.

Jan Blahoslav, Cramm atika ieska dokonana léta 1571, hgg. von Hradil- Jiretek, Wien 1857, S. 227 f.

J. Jakubec (Anm. 26), I, 828 - 829.

Vgl. E. Skila, Die Entwicklung der Sprachgrenze in Böhmen von 1300 bis etwa 1650. In: Germanistica Pragensia V (1968), S. 7 - 16.

J. Hrabàk, Zu den deutsch-tschechischen literarischen Beziehungen im Mit­telalter. In: Wiss. Zeitschr. der E.-M.-Arndt-Univ. Greifswald, Jg. 9, 1962,S. 4 1 7 -4 2 0 .

H. Peukert, Slawische Nationalsprachen in der Wiedergeburtszeit. In: Wiss. Zeitschr. der E.-M.-Amdt-Universität Greifswald, Jg. IX, 1962, S. 367 - 377.

A. Springer, Geschichte Österreichs seit dem Wiener Frieden 1809. Leipzig 1865, Bd. II, S. 1 - 35.

Vgl. die Bibliographie bei E. Schwarz, Sudetendeutsche Sprachräume, 2. Aufl. München 1962.

A. Brückner, Dzieje jçzyka polskiego. Lwow (Lemberg) 1906, S. 161.

F.J. Beranek, Atlas der sudetendeutschen Umgangssprache, I, Marburg 1970.

Zeitschrift für deutsche Sprache, Jg. 22, Berlin 1966, S. 8 4 -9 1 .

Narodnostni slo ïen i obyvatelstva podle pïedbêznÿch vÿsledkü sïitân i lidu k 1.12.1970. Federàlni statisticky ufad, Praha 1971.

J. Povejsil, Deutscher Dialekt und fremde Hochsprache bei zweisprachiger Bevölkerung. In: Philologica Pragensia XVIII (1975), S. 108.

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KARL MOLLAY

Deutsch-ungarische Sprachkontakte

1. Im “ L exikon der G erm anistischen L inguistik” g ib t es in der A b te i­lung VII (“ K ontrastive und In terferenzaspek te d e r S prache” ) ein einziges, kurzes K apitel über “ D eutsche T ransferenzen in anderen S p rachen”(S. 5 10-512).1 In vier vorangehenden K apiteln w erden näm lich griechische, latein ische, germ anische, rom anische und slawische T ransferenzen im D eutschen b ehande lt. Es b leibe je tz t dah ingestellt, ob deu tsche T rans­ferenzen (bzw . In teg ra te) in anderen Sprachen für die germ anistische Linguistik n ich t geradeso lehrreich sind wie frem de T ransferenzen im D eutschen. Die S telle des LGL, w o deu tsche T ransferenzen im U ngari­schen zu W ort kom m en , heiß t: “ O ft geh t die au fnehm ende Sprache von der phonolog ischen Substanz des d t. W ortes aus und gib t es in e iner sei­ner eigenen L autung und Schreibung angeglichenen Form w ieder.” D ann folgen einige englische und polnische Beispiele, endlich he iß t es: “ Dt. habt A c h t e rschein t im Ungar, als haptäk, Busserl als puszi, N udel als nudli, G u g e lh u p f als kug l 'o f ' .

Die hier z itie rte S telle w ie auch das ganze K apitel sind für m ein T hem a in m ehrfacher H insicht lehrreich. In der A usw ahlbibliographie w ird in bezug au f das Ungarische ein einziges Werk (Eva M artins: S tud ien zur Frage der linguistischen In terferenz . L ehnprägungen in der Sprache von F ranz von K azinczy 1759-1831. S tockho lm 1970) erw ähn t (die angeführten Beispie­le stam m en jedoch n ich t aus dieser A rbeit). K eines der angeführten Bei­spiele ist ä lte r als die von Eva M artins b ehande lte Periode. Beim Leser kann daher d e r E indruck en ts tehen , es handle sich in deutsch-ungarischer R elation um 200 Jah re S p rach k o n tak te , außerdem um eine R anderschei­nung in der G eschichte des D eutschen. D em gegenüber m uß m an be to n en , daß es seit m eh r als 1000 Jah ren ku ltu re lle und ethn ische K o n tak te als G rundlage sprach licher K o n tak te g ib t, ähnlich w ie im T schechischen, das im erw ähn ten K apitel überhaup t n ich t g enann t w ird. D em entsprechend gib t es eine ziem lich reiche L ite ra tu r über die a lthochdeu tschen , m itte l­hochdeu tschen , frühneuhochdeu tschen und neuhochdeu tschen T ransfe­renzen im U ngarischen. D iesbezüglich verw eise ich nur au f das seit 1967 erscheinende “ H istorisch-etym ologische W örterbuch der ungarischen Sprache” 2 , sow ie au f die A rbeit von G udrun K obilarov-G ötze: Die d e u t­schen L ehnw örte r d e r ungarischen G em einsprache (W iesbaden 1972).

A ußerdem sind d ie angeführten Beispiele genauer genom m en n ich t d e u t­sche, sondern ausnahm slos bairisch-österreichische: haptäk ‘stillgestanden!;

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Stillstehen’ (seit 1872); nud li (seit 1894) n ich t aus N u d el, sondern riüdl ~ n ü T ,p u sz i (seit 1747) n ich t aus Busserl, sondern aus bussi; k u g lö f (seit 1835) n ich t aus G ugelhupf, sondern a u sgugltyf. ln keinem A bschn itt der m eh r als 1000jährigen deutsch-ungarischen S p rach k o n tak te t r i t t das gan­ze A real des D eutschen in Erscheinung: im M itte la lter das Bairische bzw. B airisch-Ö sterreichische, w eniger das A lem annische und M ittelfränkische; seit der R efo rm ation auch das O stm itte ldeu tsche ; doch h a t das Bairisch­ö ste rre ich isch e bis in das 20. Jh . den V orrang. D .h. der in tersystem ische A realaspekt d a rf n ich t außer ach t gelassen w erden , und zw ar n ich t nu r in bezug au f das geschlossene A real des D eutschen , sondern auch au f das iso lierte A real des D eutschen im jew eiligen U ngarn selbst.

2. Die frühere L ite ra tu r (sie ist in den oben angeführten W erken verzeich­net) h a t diese A spekte ungenügend berücksichtig t. In einer abgeschlosse­nen A rbeit (“ D eutsch-ungarische S p rach k o n tak te bis 1600” ) habe ich die ä ltere Zeit, eine m einer gew esenen S tu d en tin n en , M aria H orvath , das 17.Jh . (“ D eutsche E lem ente in der ungarischen Sprache des 17. Jah rh u n d erts”)3 bearbeite t.

Die Zeit bis zum Ende des 17. Jah rh u n d erts habe ich fo lgenderm aßen period isiert: 862-1060: A nfänge der deutsch-ungarischen S prachkon tak te ; 1061-1342: E rste E inw anderungsw elle des D eu tsch tum s nach U ngarn; 1343-1686: E n tstehung der ungardeu tschen S chriftlichkeit. In d ie erste Periode fallen die a lth o ch d eu tsch en T ransferenzen bzw . In tegrare (ap'at ‘A b t’, apaca ‘Ä btissin ’ -> ‘N onne’, érsek ‘E rzb ischof’, pohár ‘Becher;K elch; T rinkgefäß’, pü n kö sd ‘P fingsten’, püspök ‘B ischof’, usw .), alle aus dem höfisch-kirchlichem Bereich, sow ie die A nfänge der ungarischen und der ungarländischen latein ischen Schriftlichkeit. In die zw eite P eriode ge­hören die m itte lh o ch d eu tsch en T ransferenzen bzw . In teg rate (z.B. keh e ly ‘K elch’, g esz ten ye ‘K astanie’, usw .), aus dem k irch lichen und dem w elt­lichen Bereich. Die d r i tte Periode liefert d ie g roße Zahl der frühneuhoch ­deu tschen T ransferenzen (borbély ‘B arbier’, hoher ‘H enker’, zsinbr ‘S chnu r’, usw .). Man kann die B edeutung der 1000jährigen S p rach k o n tak ­te auch daran erm essen, daß z.B. K obilarov-G ötze in ih rer A rbeit 1116 deu tsche T ransferenzen d e r ungarischen G em einsprache zusam m enstellte ', dabei ist d ie A ufzählung noch gar n ich t vollständig, und es fehlen die T ransferenzen der Sozio lek te . Die B edeutung d e r 1000jährigen d eu tsch ­ungarischen S p rach k o n tak te w ird auch dadu rch e rh ö h t, daß diese Sprach­k o n ta k te in ihren ersten zwei erw ähn ten Perioden noch m it den A nfängen bzw . d e r A usgestaltung der ungarländischen late in ischen S chriftlichkeit verbunden sind, so daß m an o f t — w enigstens bis zur M itte des 13. Jh . — außer den deu tschen auch m it deu tsch-la tein ischen T ransferenzen rech-

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nen m uß (z.B. ung. aposto l [äpostol] ‘A poste l’ aus ahd . aposto lo oder aus d t.-la t. apoStolui, usw .).

3. Nach diesen B em erkungen, die wegen d e r n ich t allzu großen B ekann t­heit des T hem as w ohl no tw endig w aren, m uß m an sich im Sinne unserer Jahrestagung fragen, ob diese S p rach k o n tak te einen S ystem charak ter haben? Seit W ilhelm B raune ist es üblich, im Z usam m enhang m it dem L autw ert des ahd. G raphem s < s > als [s] au f das U ngarische h inzuw eisen, w o das G raphem < s > — einzig in E u ropa — in jed e r S tellung d en L au t­w ert [5] b e s itz t.4 Im A ltungarischen gab es näm lich den S ibilan ten [s] und den Schib ilan ten [§], doch n ich t [s]. Dieser ahd . L aut w urde dah er vor stim m losen K onsonan ten anfänglich durch [s] e rse tz t (vgl. ung. szekreny-, ahd. scrint ~ la t. scrin ium ‘Schre in ’; szoba: ahd. stuba ~ lat. stuba ‘S tu b e ’); sonst jedoch durch [s] (vgl. ung. sajtär: ahd. sehtäri ‘Sech­te r’; ung. safrany-, m hd. saffran ‘Safran’; ung. m ise: ahd. m eisa ~ lat. m iiia ‘Messe’; u n g ./a n s : m h d . / a m ‘K am pfroß ’). Diese A ussprache w ird dann auch in d e r ungarländischen L a tin itä t vorherrschend (vgl. ung. sors-. lat. sors ‘Schicksal’; ung. v o k s■■ lat. vo x ‘S tim m e’). W eitere Forschungen ergaben, daß d ie latein ischen bzw . ungarischen B uchstabennam en und dam it d ie late in ische A ussprache ebenfalls aus dem D eutschen stam m en (Jot, Vau, Wau, Z e t w u rden nachträglich aufgegeben, w eil die en tsp re­chenden Phonem e d e r geltenden phone tischen T heorie gem äß zu den M utae gerechnet und ung . je , ve, ze g enann t w urden ). So ist es w oh l ver­ständlich , d aß das A ltungarische im w esentlichen m it einer d eu tschen G raphem ik a rb e ite t, w enn diese auch eine K onkurrenz m it der französi­schen und d e r italienischen G raphem ik bestehen m u ß .5 Die graphem ische

iz e rs treck t sich also n ich t au f ein einziges G raphem , sondern au f ein ganzes System von G raphem en.

4. D urch S p rach k o n tak te w ird das altungarische phonolog ische System abgerundet. Um das Ja h r 1000 ta u c h t im ungarischen das [i] als A llophon des /$/ vor s tim m haften K onsonan ten , bzw . in slawischen T ransferenzen auf: deu tsche T ransferenzen w erden in dieses System eingefügt (vgl. das bereits e rw ähn te ung. p iinkösd ‘P fingsten’: [p ü n k ö id ]) . Da die p h o n o lo ­gische O pposition der stim m losen : stim m haften K onsonan ten vom A lt­ungarischen an relevant ist und im U ngarischen die A rtiku la tion im allge­m einen m it einem b ed eu tend g rößeren D ruck vor sich geh t als im D eu t­schen, sind von d e r allgem einen T endenz des S tim m haftw erdens auchdie deu tschen T ransferenzen ergriffen und verm ehren dadurch die F re­quenz des A llophons [z] (ung. zsäk ‘Sack’, zsinör ‘S ch n u r’, usw .), das im 13. Jh . phonem isiert w ird (dazu kom m en noch die Fälle, w o das d t. [s]

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au f ahd. [sk] zurückgeht: ung. zs in d e ly ‘S ch indel’, usw .). D am it ist das ungarische K onsonan tensystem k o m p le tt.

D urch die S p rach k o n tak te w ird noch ein Mangel des ungarischen phono- logischen System s behoben . Das / f / ist ursprünglich n u r im W ort- bzw . S ilbenanlau t vertre ten und w ird deshalb in anderen Stellungen d u rch /p / e rse tz t (vgl. die deu tschen T ransferenzen: ung. püspök ■. ahd.-bair. piscof; ung. kaptär: ahd. cha ftere ‘K äfte r’). In in tervokalischer und auslau tender Stellung w ird es dann durch T ransferenzen aus anderen Sprachen , d a ru n ­te r auch deu tschen eingebürgert (vgl. die deu tschen T ransferenzen : d ö f ‘stechen ’, g r b f ‘G r a f , das bere its e rw ähn te k u g lö f usw .). So e rh ä lt das ung. /v / in allen S tellungen seine stim m lose phonologische O pposition /fl.

5. In der ungarischen m orphologischen Forschung h a t m an bislang keine Erklärung dafür gefunden , daß in einem Teil der latein ischen T ransferen­zen des U ngarischen die latein ischen E ndungen -us, -ius, -um, -tum aufge­geben w urden . Bei m ännlichen T aufnam en (M arion < M artinus, E lek < A lex iu s) nahm m an an , daß die latein ische E ndung als ein ungarisches D em inutivsuffix au fgefaß t w urde; das s tim m t jedoch n ich t bei ebenfalls verkürzten w eiblichen T aufnam en au f -a (Margit, E rzsebet < E lisabetha).6 U n tersuch t m an die late in ischen T ransferenzen des D eutschen, d ie ins U ngarische in la te in ischer und auch in deu tsch e r F orm w eitergegeben w urden (z.B. a p o sto lu s: ung. apostol; m onasterium : ung. m onosto r), so d räng t sich einem unw illkürlich d ie Erklärung auf, daß m an — w enigstens in den ersten zwei Perioden der deutsch-ungarischen S p rach k o n tak te — m it einer deu tschen m orphologischen T ransferenz zu tu n ha t, d ie m an dann in Ungarn analogisch auch au f n ich t unbed ing t aus d e r deu tschen L a tin itä t stam m ende E lem ente übertrug. In den ältesten latein ischen T ransferenzen des U ngarischen, d ie sicher n ich t aus der deu tsch en L atin i­tä t stam m en (z.B. plebanos ‘P farrer’ < .plebanus) finde t m an näm lich diese E rscheinung n ich t. E rst m it d e r E rstarkung der L ateinkenn tn isse w erden latein ische T ransferenzen ungekürzt übernom m en (z.B. apparatus ‘A p p ara t’).

6 . In lexikologischer H insicht ist zu bem erken , daß die d eu tsch en T rans­ferenzen im U ngarischen in e rs ter Linie aus S ubstan tiven bestehen ; A d­jek tive (z.B. barna ‘b ra u n ’) und V erben (z.B. k ö s to l ‘prüfend schm ecken, kosten , p rob ie ren ’) erscheinen erst seit d e r m itte lh o ch d eu tsch en Zeit, doch in geringer Zahl. Die Sachbereiche der deu tschen T ransferenzen w erden in der A rbeit von K obilarov-G ötze aufgezählt. H ier w eise ich nur

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darau f hin, d aß d u rch die deu tschen T ransferenzen n ich t nu r viele Sach­bereiche aufgefüllt, sondern auch innerhalb eines Sachbereiches sy n o n y ­me B edeutungen genauer abgegrenzt w erden . Diesbezüglich führe ich nur zwei Beispiele an. E ine ahd. T ransferenz ist poh a r ‘Becher; K elch; T rin k ­gefäß’: d ie m hd. T ransferenz keh e ly g renzt davon die zw eite B edeutung ab, serleg ‘S cheuerbecher’ die erste B edeutung, so b le ib t pohar als allge­m eine B ezeichnung für das T rinkgefäß. Die F ru ch t der E iche, B uche, E delkastanie, L inde, des H aselstrauches w urde im A ltungarischen m it e iner T ransferenz aus einer unb ek an n ten Sprache m a kk genann t: die u n ­garische Bildung m ogyoro ‘H aselnuß’ (eig. ‘E ie rfru ch t’) g renzte davon die F ruch t des H aselstrauches ab, die deu tsche T ransferenz g esz ten ye ‘K astanie’ (aus m hd.-bair. kestene) d ie d e r E delkastanie, für die anderen blieb die ursprüngliche B enennung bis au f den heutigen Tag erhalten .

7. Keine deu tsche T ransferenz ist festste llbar in den suprasegm entalen E inheiten (In to n a tio n , A kzen t) und in der S yn tax . A uf den anderen E be­nen s teh t jedoch das U ngarische seit m ehr als 1000 Jah ren aufgeschlossen und einbürgernd den K o n tak ten m it dem D eutschen gegenüber. Ein großes Stück ungarischer u n d zugleich deu tsch e r Sprachgeschichte!Hier bew ahrhe ite t sich G oethes W ort: “ Die G ew alt e iner Sprache ist n ich t, daß sie das F rem de abw eis’t, sondern daß sie es versch ling t” 7 .

A nm erkungen

1 Althaus, Peter — Henne, Helmut - Wiegand, Herbert Ernst (hg.): Lexikon der Germanistischen Linguistik. Studienausgabe. Tübingen 1973.

2 Benkö, Loránd (hg.): A magyar nyelv törteneti-etimologiai szótára. Budapest 1967 ff.

3 Nfcmet elemek a XVII. szazad magyar nyelvében. Budapest 1973. Maschinen- schriftl. Dissertation.

4 Vgl. je tz t Penzl, Herbert: Lautsystem und Lautwandel in den althochdeut­schen Dialekten. München 1971, S. 72.

5 Vgl. Kniezsa, István: Helyesírásunk törtenete a könyvnyom tatas koráig (Geschichte der ungarischen Orthographie bis zum Zeitalter des Buchdruckes). Budapest 1952, S. 61 ff.

6 Vgl. Fludorovits, Jolán: A magyar nyelv latin jövevenyszavai (Die lateini­schen Lehnw örter der ungarischen Sprache). Budapest 1937.

7 Werke. Sophienausgabe 422. Maximen und Reflexionen über L iteratur und Ethik. Weimar 1907, S. 238.

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GUSTAV K O R LEN

Niederdeutsch-schwedische Lehnbeziehungen

Ich habe das ursprünglich vorgesehene T hem a — skandinavisch-deutsch — au f Schw eden eingeengt, und zw ar n ich t nu r aus zeitlichen G ründen, sondern auch w eil ich die spezifisch dänische und norw egische Perspek ti­ve, von der finnischen ganz zu schweigen, nu r unzulänglich beherrsche.

E inleitend m uß aber doch b e to n t w erden, daß es sich um eine gesam t­nordische P rob lem atik hande lt, die sich auch in der F orschungstrad ition w iderspiegelt. S ieht m an von einigen no rddeu tschen U niversitä ten ab, wie H am burg, Kiel, M ünster, G ö ttingen und R o s to c k 1, dann galt und gilt w ohl für die deutschsprach ige G erm anistik w eitgehend der Satz: Saxonica sun t, non leguntur. Das ist auch der G rund, w arum ich m einem V ortrag einen überw iegend in form ativen und referierenden C harak te r gegeben habe.

G anz anders ist die Lage in Skandinavien, w o in allen L ändern die n ieder­deu tsche Philologie von A nfang an eine zen trale R olle gespielt ha t. Ich brauche, ste llvertre tend für viele, hier nu r an N am en zu erinnern wie C hristian Sarauw in D änem ark, V erfasser der g rundlegenden N iederdeu t­schen Forschungen in zwei B änden (1921-24), die neben A gathe Laschs M itte ln iederdeu tscher G ram m atik v. J. 1914 zu den G ründungsurkunden der nd. Philologie gehören, ferner an Erik R o o th in Schw eden, Begründer und A ltm eister der v ielzitierten L under Schule, an Olav B rattegard in N orw egen, E rforscher der m nd. hansischen G eschäftssprache in B ergen2 , und schließlich an Pekka K atara in F inn land , der u .a. — in der N achfolge einer spezifisch finn ischen F orschungsrich tung — dem französischen E in­fluß au f das M itte ln iederdeu tsche nachgegangen is t3 .

A ber am stärksten w ar die T rad itio n zw eifellos in S chw eden4 , w o seit 1945 eine eigene Z eitschrift, d ie N iederdeutschen M itteilungen, bis vor kurzem diesen Fragen gew idm et war. D aß die Z eitsch rift im vorigen Jah r eingegangen is t5 , w ar bedauerlich und m .E . auch n ich t no tw endig , hängt aber z.T . natürlich m it der m ark an ten N euorien tierung zusam m en, die seit einigen Jah ren nun auch die schw edische G erm anistik ch arak te ri­siert. Sie b ed eu te t aber n ich t, w ie einige zu befü rch ten scheinen, daß das N iederdeutsche in der schw edischen Forschung nun gänzlich ausgespielt h ä tte .6 O der frei nach M ark Tw ain: Das G erücht vom A bsterben der n iederdeu tschen Philologie in Schw eden ist erheblich übertrieben .

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A ber wie ist nun diese starke T rad itio n zu erk lären? N un, eine A n tw ort bringt schon eine D issertation , die vor genau 70 Jah ren in Schw eden er­schien, und wo der V erf. — übrigens in Ü bereinstim m ung m it der Jacob G rim m schen T rad itio n ein A nhänger der K leinschreibung — im V orw ort die kom m ende E ntw ick lung schon voraussah und die folgende, ze itbe­dingte program m atische Erklärung abgab:

“ Es w ird vielleicht deu tsche leser w undern , fragen der n iederdeu tschen linguistik von einem ausländer e rö rte rt zu sehen. Jeder sollte doch zu­nächst im eigenen hause Ordnung schaffen.

A ber die schw edischen gesetze verlangen für die anstellung als O berlehrer im deu tschen an den gym nasien eine d isserta tion über ein them a inner­halb der deu tschen philologie. D abei ist der nordische zweig ausgeschlos­sen, weil er bei uns die Stellung eines selbständigen faches hat. So b leib t uns n ich ts anderes übrig, als den deu tschen au f ihrem eigenen gebiete konku rrenz zu m achen. Diese dürfte, denke ich, am w enigsten unange­nehm em pfunden w erden, w enn w ir das arbeitsfeld ausw ählen, w o ohne frage noch der m eiste Schutt liegt. E inheim ische a rbe ite r m elden sich d o rt auch deshalb in geringerer zahl, w eil das n iederdeutsche doch auch m anchem deu tschen im gründe genom m en eine frem de spräche ist und bleibt.

Übrigens h a t auch die schw edische philologie ein eigenes interesse daran, daß das m itte ln iederdeu tsche baldigst du rch fo rsch t w ird. V on d o rt her ist zu uns eine unm enge sprachgut gekom m en, dem der laie freilich das “ m ade in G erm any” n ich t m ehr ansieht. Um in jedem falle die richtige U rsprungsbezeichnung ansetzen zu können , müssen w ir am en ts tehungs­o rte selbst nachfrage halten.

Jedenfalls haben sich in der le tz ten zeit jüngere germ anisten in Schw e­den fast einm ütig dem n iederdeu tschen zugew endet. W enn es zu einer w irklichen Z usam m enarbeit dieser be teilig ten , also zur bildung einer “ n iederdeu tschen schule” in der schw edischen ph ilo logenw elt kom m en k önn te , sind m .e. daraus nur vorteile zu erw arten — für die arbeit w ie für die a rb e iten d en .”

Ich habe dieses V orw ort so ausführlich z itie rt, n ich t nu r weil der V erfas­ser m ein V ater, A rtu r K orlen w ar7 , sondern vor allem , w eil hier schon aus einer b ildungsgeschichtlichen und sprachhistorischen Perspektive die g rundsätzliche P rob lem atik au ftau ch t.

S eitdem ist die Frage nach dem n iederdeu tschen E influß au f die schw e­dische Sprache ein zen trales T hem a der sprachgeschichtlichen Forschung in Schw eden. Ich stelle zunächst einige neuere A rbeiten zusam m en und

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berücksichtige dabei vor allem deutschsprach ige Beiträge.

1. au f schw edisch:

Erik R o o th , T ill frägan om de lägtyska länorden i svenskan, särskilt i N ya T estam en te t 1526. In: D onum G rapeanum (F estsch rift für A nders G rape, U ppsala 1945).

Elias Wessen, O m d e t ty ska in fly tan d e t pS svenskt spräk u n d er medel- tiden , 1. A ufl. 1954, 3. A ufl. 1970.

Kjell K um lien, Sverige och hanseaterna, 1953 (m it d eu tscher Z usam ­m enfassung ).8

2. au f deutsch:T o rsten D ahlberg, Das N iederdeu tsche im skandinavischen R aum . In: W irkendes W ort 6 , 1955 /56 .

Tage A hlden, Der A usklang des n iederdeu tschen Einflusses au f die nord ischen Sprachen. In: S pätze iten und S pätze itlichke it. V orträge gehalten au f dem II. In te rna tiona len G erm anistenkongreß 1960 in K openhagen, 1962.

T ure Johann isson , D eutsch-nord ischer L ehnw ortaustausch . In: W ort­geographie und G esellschaft, hrsg. von W alter M itzka, 1968.

V on den schw edischen S chriften ist die von Wessen schon ein Klassiker. A uf E rik R o o th kom m e ich noch zurück. K um lien ist eine großangelegte hansehistorische A bhandlung, die aber vorw iegend die rein po litischen A spekte und die w irtschaftlichen B eziehungen berücksichtig t und daher für unser T hem a n ich t ganz so ergiebig ist, w ie m an h ä tte w ünschen kön­nen. V on den deu tschsprach igen B eiträgen ist der von D ahlberg ein K urz­referat, gehalten au f dem ersten In te rn a tio n a len G erm an istenkongreß in Rom . A hlden behande lt in Ü bereinstim m ung m it dem K openhagener K ongreß them a die spätze itlichen A spekte. Am ehesten für deu tsche Le­ser zu em pfeh len ist w ohl die jüngste zusam m enfassende Ü bersich t des G öteborger N ordisten , T ure Johann isson , der zudem auch spätere (hoch)- deu tsche Einflüsse registriert, w ie z.B. die auch im Schw edischen außer­o rden tlich freq u en ten A djektive au f -mäßig*. Johann isson berücksichtig t ferner die um gekehrte Perspektive, d .h . d ie w enigen schw edischen L ehn­w ö rte r im D eutschen wie etw a K näckebro t und M oped, neuerdings auch O m budsm an(n), w obei fraglich b le ib t, ob le tz teres das S tad ium des Zi­ta tw o rts 10 schon verlassen hat.

Zu beach ten ist überhaup t, daß es sich bei dem n iederdeu tschen E influß um eine P rob lem atik handelt, die in ers ter L inie die schw edische N ordistik

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angeht. T orsten D ahlberg hat das in dem angeführten A ufsatz fo lgender­m aßen begründet:“ Die E rforschung des N iederdeu tschen ist gew iß für N ord isten von g röße­rer W ichtigkeit als für die hochdeu tschen Sprachgeschichtler. Ich m öch te die Sache so ausdrücken: Es w ird zur N ot m öglich sein, g roße A b schn itte der hochdeu tschen Sprach- und K ultu rgesch ich te ohne eingehendere Be­rücksichtigung des N iederdeu tschen zu behandeln — für die N ord is ten aber n im m t das N iederdeu tsche geradezu eine zen tra le S tellung ein. Fast au f allen G ebieten der N ord istik spürt und ah n t m an d irek t oder ind irek t das n iederdeu tsche S ubstra t, ln Skandinavien k önnen wir an dem N ieder­deutschen nie vo rbeikom m en” .

Das W ort Substra t ist hier natürlich fehl am Platze, gem eint ist o ffenbar Superstra t oder gegebenenfalls A d stra t — ich kom m e d arau f noch kurz zurück — aber davon abgesehen g ib t dieses Z ita t doch w ohl eine rech t klare V orstellung von der N o tw endigkeit in terd iszip linärer Forschung. Diese wird freilich n icht im m er im erw ünschten A usm aß p rak tiz ie rt. Ein besonders ärgerlicher Fall ist, daß die N ord is ten bei der A nsetzung der nd. U rsprungsw örter so o ft den U m laut — dessen V orhandensein schon A gathe Lasch in ihrer m nd. G ram m atik nachgew iesen und Sarauw dann e rh ä rte t h a tte — unberücksich tig t lassen . 11 D abei ist einer der Beweise für die E xistenz des U m lauts gerade die in frühen m nd. T ex ten n ich t ganz seltene nordische O rthograph ie <b für ö .12 E in m arkan tes Beispiel: das schw edische W ort für ‘H undstage’ (lat. dies caniculares) heiß t rötm anad. K.G. Ljunggren (A lm anackorna och d e t svenska o rd fö rrad e t, 1944) führt dies au f m nd. rode zurück, das dann volksetym ologisch m it röta ‘F äu ln is’ in V erbindung gebrach t w orden sei. Diese D eutung w ird dem Leser natür­lich w esentlich e in leuch tender, w enn m an m nd. röde (hd . Rüde) ansetzt.

Die Erforschung des n iederdeu tschen Einflusses se tz t aber n ich t nu r einen engen K on tak t zw ischen G erm anistik und N ord istik voraus. Sie ist auch ein em inent hansehistorisches P roblem , w ie ja denn überhaup t der beson­dere Reiz der m nd. Philologie — die Nils T örnqvist einm al n ich t zu U n­rech t eine “ scienta am abalis” genann t h a t13 — gerade darin b esteh t, daß sie von A nfang an, w eit stärker als die m itte lhochdeu tsche , soziologisch, rechtsgeschichtlich und städ teh isto risch o rien tie rt w ar. Die L ite ra tu r, d o rt G rundlage, ist hier m ehr Ergänzung des M aterials: “ Diese engen W echselbeziehungen zum ö ffen tlichen L eben m achen nun aber gerade die n iederdeu tschen S p rachbetrach tungen so besonders reizvoll, w eil wir überall die Sprachgeschichte als lebendig erfassen, bed ing t durch p o liti­sche und geistesgeschichtliche V orgänge und w iederum diese b ed ingend” . So A gathe Lasch in einer erstaunlich m odernen Feststellung aus dem Jahre 1925 .14 Es ist daher auch sym ptom atisch , daß der H am burger

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V erein für n iederdeu tsche Sprachforschung seine jäh rlichen Pfingsttagun- gen fast im m er m it dem L übecker H ansischen G eschichtsverein abgehal­ten h a t . 15

Das M itte ln iederdeu tsche als no rdeuropäische G eschäfts- und V erkehrs­sprache der H anse ist m it anderen W orten ein en tsche idender F ak to r.Ich skizziere ganz kurz die E n tw ick lung . 16 In N orddeu tsch land führte der lebhafte V erkehr der H ansestäd te , au f jeden Fall im schriftlichen Be­reich, zu einer Ü berw indung der m undartlichen U nterschiede. A llerdings darf m an sich keine übertriebenen V orstellungen von der g raphem atischen E inheitlichkeit dieser geschriebenen Sprache m achen: “ E in m itte la lte r­licher Schreiber h a t nun einm al keine so unerschü tte rlich feste O rthog ra­phie, w ie sie der Schem atism us des m oderenen Philologen von ihm er­w a rte t” , heiß t es in e iner schönen F orm ulierung von A gathe Lasch in ihrem bere its z itie rten klassischen A ufsatz vom W erden und Wesen des M itte ln iederdeu tschen .

A ber im m erhin: eine m itte ln iederdeu tsche G eschäfts- und V erkehrsspra­che, w esentlich L übecker Prägung, tr i t t , nachdem anfangs verschiedene S tröm ungen nebeneinander bestanden h a tten , seit d er zw eiten H älfte des 14. Jah rh u n d erts deu tlicher hervor. D abei sind besonders d ie R ech ts­verhältnisse des nd. G ebiets von B edeutung gew esen. D er füh rende Hei­delberger H anseh isto riker A hasver v. B randt h a t für das S tad trech t von Lübeck in einem eindrucksvollen V ortrag die Parallele m it L u thers S chriften gezogen. Das lübische R ech t habe, so m ein t er, für das n o rd o s t­deu tsche G ebiet eine ähnlich en tscheidende R olle gespielt w ie später für G esam tdeutsch land die lu therischen B ibelübersetzungen und K ate­chism en: “ die R olle einer geistigen K lam m er, die das V o lkstum zusam ­m enhielt, n ich t nur in der H eim at, sondern besonders in der F rem de und im K olon isationsgebiet” 17 — w obei ich freilich m it B recht das W ort V o lkstu m gerne durch B evö lkerung e rsetzt sehen m öchte .

Der S chriftverkehr der hansischen S täd te un te re inander, wie m it ihren H andelsniederlassungen in England, den N iederlanden, Skandinavien, den O stseeländern und R uß land — die deu tschen K aufleu te in N ow gorod besaßen schon im 13. Jh . eigene S ta tu ten in m nd. S p rach e18 — h a t also zu einer A rt S chriftsprache geführt, die bis in die K on to re der K aufleu te von Bergen und W isby, von S tockho lm und Riga gelangte und so zur d o ­m inierenden G eschäftssprache des europäischen N ordens w urde.

Dies ist der eine A spekt. D er zw eite F ak to r ist d ie starke d irek te E inw an­derung n iederdeu tscher K aufleu te und H andw erker nach den nord ischen L ändern. Ein erstes Z en trum dieser E xpansion ist W isby au f G otland , das schon im 12. Jh . im Zuge der O stko lon isa tion zu einer fast re in deut-

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sehen S tad t w ird. Das m itte la lterliche S tad trech t von Wisby, in e iner voll­ständigen Hs. des 14. Jhs. und in zwei B ruchstücken des 13. Jhs. überlie­f e r t19, ist daher in m nd. Sprache abgefaß t. Im L aufe des 13. Jhs. über­nim m t Lübeck die führende Rolle, und gleichzeitig n im m t die Zahl d e u t­scher E inw anderer gew altig zu. D er erste nam entlich bek an n te Bürger­m eister von S tockho lm 1297 w ar ein D eutscher. B ezeichnend ist, daß die A ngst vor der deu tschen D om inanz dazu führte , daß das S tockho lm er S ta d tre c h t20 um die M itte des 14. Jhs. vo rsch reib t, daß höchstens die H älfte der R a tsherren D eutsche sein dürfen; von den 6 B ürgerm eistern w aren 3 Deutsche, 3 Schw eden.

“ Im Jah re 1363 gelang es dem deu tschen Fürsten A lb rech t von M ecklen­burg, den schw edischen K önig zu vertre iben und die K rone zu erobern . W ährend seiner 25jährigen R egierung siedelten Scharen von A dligen und K riegern nach Schw eden über. Ä hnlich ging es in D änem ark: die O ber­schicht w ar zw eisprachig. W ährend der sog. U nionszeit h errsch ten nach­einander zwei D eutsche über den ganzen N orden: Erich von P om m ern und C hris toph von B ayern”.21

Es liegt au f der H and, daß die hier knapp skizzierten sozialen, po litischen und w irtschaftlichen H intergründe schw erw iegende sprachliche Folgen haben m ußten . In der T a t g ib t es w ohl in der G eschichte der eu ropäischen Sprachen nur eine Parallele, näm lich die U m struk tu rierung des angel­sächsischen W ortschatzes als Folge der norm annischen Eroberung.

Die fo lgende Belegsam m lung e rheb t keinesw egs A nspruch darau f, alle Bereiche zu erfassen, verm ag aber im m erhin w ohl eine rech t kon k re te V orstellung zu verm itte ln von dem ganzen A usm aß des n iederdeu tschen Einflusses au f W ortschatz und W ortbildung. Die Beispiele sind so gew ählt, daß in der M ehrzahl der Fälle die deu tsche E n tsprechung einigerm aßen durchsichtig ist. Es handelt sich h ierbei um fast alle A spekte des ö ffen t­lichen Lebens:

S t a d t v e r w a l t u n g : radhus, borgm ästare, fogde , borgare, bödel H a n d e l : bandel, köpm an, vikt, tull, fra k t, m y n t H a n d w e r k : bantverk(are), skom akare, skräddare ( ‘S chne ider’, vgl. den P ersonennam en Schröder), snickare ( ‘T isch ler’, nd. sn iddeker, sn itker) V on dem starken E influß des hansischen Z unftw esens zeugt der U m stand , daß bis au f d re i A usnahm en (Schm ied, Bäcker, Schornsteinfeger — beim le tz teren freilich neben dem einheim ischen sotare auch skorstensfejare) alle H andw erkerbezeichnungen au f m nd. V orb ilder zurückgehen.

R i t t e r w e s e n : herre, fru , fr ö k e n (vröuw eken ‘F räu le in ’), riddare

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A l l t a g s w ö r t e r nd . U rsprungs sind Legion, d a ru n te r z.B. ein für m ein Sprachgefühl so em inen t schw edisches W ort w ie kalas (durch nd. V erm ittlung aus lat. collatio), w o die lexikalischen E ntsp rechungen Fest, Schm aus nur unzulänglich die spezifischen K onn o ta tio n en verm itte ln können . W eitere m arkan te Beispiele w ären och (‘u n d ’), bra (‘g u t’), sadan (‘solch, nd. so dan ‘so g e tan ’), m en (‘aber’), bliva (‘b le ib en ’ und ‘w erd en ’), usw ., usf.

Die S tärke des nd. Einflusses erw eist sich n ich t zu le tz t in d e r W o r t ­b i l d u n g , w ie die fo lgende Z usam m enstellung zeigt:

M ovierte Fem ina: lärartnna, s tu d en tska — S ubstan tivsuffixe: fa lskh e t, b lin d h e t — vetande (nd . ( to )w e ten d e ‘W issen’), m eddelande ( ‘M itte ilung’) — In teressan t ist, daß zahlreiche m nd . A bleitungen au f -nisse im Schw edi­schen m it der S u b stitu tio n -eise erscheinen, einem Suffix , das in d e r e in­heim ischen Sprache in e iner begrenzten Zahl von W örtern schon vorhan­den w ar. W enn — als ein T ypenbeispiel — nun das m nd . vengenisse als fängelse (‘G efängnis’) übernom m en w ird , so hängt d ies o ffen b ar d am it zusam m en, daß die sprechsprach liche F orm m nd. vengense w ar (so m ehr­fach in U rkunden belegt, vgl. Nd. M itt. 10, 1954, S. 79 ) und m an also leicht ein vertrau tes -eise heraushören k o n n te . — A djektivsuffixe: kostbar - lögnaktig (‘lügenhaft’) - V erbalpräfixe: angripa - betala - fö r s ta - undgä — um bära (m nd. u n tberen) — erinra.

A uch aus S yntax , O rthograph ie und A ussprache ließen sich unschw er Beispiele anführen. Alles in allem : Es kann kein Zweifel besteh en , daß für das Schw edische die G oethesche M axim e zu triff t: “ Die G ew alt einer Sprache ist n ich t, daß sie das F rem de abw eist, sondern , daß sie es ver­schlingt” . D aher w aren auch die puristischen Bem ühungen zum S cheitern veru rte ilt, d ie einen unserer b ek an n te sten D ich ter des 19. Jhs., V ik to r R ydberg , u .a. in seiner F austübersetzung dazu veran laß ten , nach M öglich­keit die nd. L ehnw örter auszum erzen .22 Man h a t errechne t, daß fast die H älfte des schw edischen W ortschatzes in d e r einen oder anderen Weise, als L ehnw ort, L ehnübersetzung, L ehnbedeu tung o der in d e r W ortbildung, irgendwie n iederdeutsch geprägt ist, w obei derartige sta tistische F estste l­lungen vorläufig natürlich h öchst unsicher b leiben müssen.

Ü berhaupt b le ib t noch m anches zu erforschen . Mein K ollege, L ennart Elm evik, n eu ernann te r Professor für N ord is tik an der U niversität S tock ­holm , ist gerade dabei, ein P ro jek t au fzubauen , das die ungelösten Fragen in A ngriff nehm en will. D aß das M odew ort in terd iszip linär h ier unver­m eidlich ist, liegt, nach dem w as ein leitend sk izziert w urde , au f d e r H and. G enerell und m it einiger V ereinfachung d a rf m an vielleicht b eh au p ten , daß bisher m eh r das Was als das Wie in der Forschung d o m in ie rt ha t, daß

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m ehr reg istriert als e rk lärt und analysiert w orden ist. Um hier w eite rzu ­kom m en , b ed a rf es o ffen b ar der M itw irkung von S prachsta tistik , m o d er­ner In terferenz- und Z w eisp rach igkeitsforschung2 3 , Sprachsoziologie und G eschichtsw issenschaft.

Die w ich tigsten P roblem e sind aber im G runde schon von Erik R o o th ge­ste llt w o rden in seinem oben verzeichneten A ufsatz zur Frage d e r nd. L ehnw örter im Schw edischen, besonders im N euen T estam en t von 1526: E rstens eine e rneu te Ü berprüfung einer alten These von der “ dän ischen Brücke” , d .h . die Frage, ob und inw iefern der E influß über D änem ark zu uns gekom m en ist. Z w eitens die grundsätzliche Frage in einer F o rm u lie ­rung von E rnst W indisch: “ E inheim ische Sprache im M unde d e r F rem den oder frem de Sprache im M unde d e r E inheim ischen?” Dies tr if f t w ohl den w ich tigsten kom m unikativen A spek t, aber zugleich auch die schw ie­rigste P rob lem atik . Und d ritten s: w as ist literarisch , w as über d ie gespro­chene Sprache en tlehn t? Am w enigsten erfo rsch t ist hier das Zeugnis der M undarten . M an sollte m einen, daß d ies bei e iner p rim är so em inen t städ teh isto rischen P rob lem atik geringfügig sein w ürde, aber eigene F o r­schungen von Elm evik erw eisen schon, d aß die M undarten w eit s tärker nd. du rch se tz t sind, als m an verm uten k ö n n te . 24

Es b le ib t n u r noch zu w arnen vor allzu übertriebenen E rw artungen h in­sichtlich der M öglichkeit der schw edischen Forschung. Professor Inger R osengren h a t vor zwei Jah ren h ier in M annheim ein etw as dep rim ieren ­des Bild von der Lage d e r schw edischen U niversitäten gegeben, d ie ge­zw ungen sind, D eutsch lehrer im Schnellverfahren von 2-3 Sem estern aus­zubilden. 25 D er F eu ille to n red ak teu r der H am burger “ Z e it” , R u d o lf W alter L eonhard t, h a t nach eingehenden S tud ien an O rt und S telle vor zwei Ja h ­ren die S itua tion in seinem “ S ch w ed en rep o rt” (1 9 7 4 ) sehr zu treffend fo lgenderm aßen charak terisiert: “ Die L inken in der B undesrepublik , d ie so gerne vom V orbild Schw eden reden, leiden o ffen b ar an einem erheb li­chen In fo rm ationsrückstand , denn sonst m üßten sie wissen: Z ustände wie an schw edischen U niversitäten sind das L etzte ,w as sie sich w ünschen” .26

Seitdem sind die Z ustände gew iß n ich t erfreu licher gew orden. Wir stehen unm itte lb a r vor einer neuen U niversitä tsreform , die gerade für d ie sprach­w issenschaftlichen In s titu te schw erw iegende Folgen haben w ird . Eine reine B erufsschule w ird m it einem H öchstm aß an technok ratischem Per­fek tion ism us und einer R iesenbürokratie au fgebaut, w obei der w issen­schaftliche N achw uchs zu verküm m ern d ro h t. Ich k ö n n te m ir vorstellen , daß unser trad itione lles Fach N ordistik an schw edischen U niversitäten sich nach einigen Jah ren in einer Lage b efin d e t, die zu charak terisieren w äre m it dem Satz: “ N ord istica sun t, non leg u n tu r” .

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A ber noch ist die R efo rm ja bis in die le tz ten K onsequenzen n ich t d u rch ­geführt. N och h a t L ennart Elm evik also einige Jah re Z eit, und es b leib t abzuw arten , w as dabei herauskom m t.

A nm erkungen

1 Ein wichtiges Zentrum war auch Marburg, wo der vor kurzem verstorbene Altgermanist Ludwig Wolf, langjähriger Herausgeber des Niederdeutschen Jahrbuchs, der Erforschung des Altsächsischen und M ittelniederdeutschen stark verpflichtet war.

2 Olav Brattegard, Die m ittelniederdeutsche Geschäftssprache des Hansischen Kaufmanns zu Bergen, Bd. 1-2 (1945-46), vgl. dazu die Bespr. von Erik Rooth, in: Nd. Mitt. 2, 1946, S. 183 f.

3 Pekka Katara, Das französische Lehngut in den m ittelniederdeutschen Denk­mälern von 1300-1600 (1966), dazu meine Bespr. in: Nd. M itt. 23, 1967,S. 107 ff.

4 Vgl. Gustav Korlen, Germanistik in Schweden, in: Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung, Jahrbuch 1973 (1974), S. 23 ff. Kritisch dazu Erik Rooth, Die schwedische Germanistik der Gegenwart in historischer Perspek­tive, in: Nd.Mitt. 30, 1974, S. 81 ff.

5 Vgl. Torsten Dahlberg, Schlußwort beim Aufhören der Niederdeutschen Mitteilungen, in: Nd.Mitt. 30, 1974, S. 86 f.

6 Dabei sollte man meiner Meinung nach auch die neuniederdeutsche Litera­tur berücksichtigen, vgl. einstweilen G. Koriin, Zur Rezeption der nieder­deutschen L iteratur des 19. Jahrhunderts in Schweden (in: Germanistische Beiträge, Gert Mellbourn zum 60. Geburtstag am 21.5.1972, dargebracht von Kollegen und Schülern des Deutschen Instituts der Universität Stock­holm), neuerdings auch Ingeborg Nilsson, Niederdeutsches Theater der Ge­genwart (= Schriften des Deutschen Instituts der Universität, Stockholm , 4, 1976).

7 Artur Korlen, Statwechs gereimte Weltchronik, Uppsala 1906.

8 Vgl. von historischer Seite auch Ahasver v. Brandt, Die Hanse und die nordi­schen Mächte im M ittelalter, 1962.

9 Vgl. dazu neuerdings Göran Inghult, Die semantische S truktur desubstanti- vischer Bildungen auf -mäßig. Eine synchronisch-diachronische Studie (Diss. Stockholm 1975).

10 Zum Begriff vgl. Manfred W. Hellmann (Hrsg.), Zum öffentlichen Sprachge­brauch in der Bundesrepublik Deutschland und in der DDR (= Sprache der Gegenwart 18), 1973, S. 257 und dort angeführte L iteratur.

11 Vgl. dazu G. Korlen, Die mnd. Texte des 13. Jhs. (Diss. Lund 1945), S. 186.

12 Schon 1932 schrieb der Hamburger Germanist Conrad Borchling (zusammen m it Agathe Lasch der eigentliche Begründer der modernen mnd. Philologie) folgendes: “ Es geht wirklich nicht an, daß der Bearbeiter eines mnd. Glossars bei der Ansetzung seiner Stichw örter auf die Bezeichnung der Umlaute ver­zichtet” . Vgl. NcLMitt. 1952, S. 70.

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Von Törnqvist, der sich in mehreren kleineren Arbeiten m it dem m nd. Ein­fluß beschäftigt hat, erscheint demnächst eine größere zusammenfassende Abh. m it dem Titel “ Das niederdeutsche und niederländische Lehngut im schwedischen W ortschatz” . Fatalerweise verzichtet Törnqvist in der neuen Arbeit auf die Ansetzung des Umlauts (vgl. Conrad Borchling, Anm. 12).

A. Lasch, Vom Werden und Wesen des M ittelniederdeutschen, in: Nieder­deutsches J ahrbuch 51, 1925, S. 55 ff.

Siehe hierzu Gerhard Cordes, Verein für niederdeutsche Sprachforschung 1874-1974, in: Nd. Jb. 97, 1974, S. 7 ff.

Das folgende z.T. in enger Anlehnung an Adolf Bach, Geschichte der deut­schen Sprache, 9. Aufl. 1970, § 121.

A.v. Brandt, Lübeck in der deutschen Geistesgeschichte, in: Zeitschrift des Vereins für lübeckische Geschichte und Altertum skunde 31, 1949, S. 31.

Zur sog. Nowgoroder Schra — das Wort Schra eine der wenigen mnd. Ent­lehnungen aus dem Nordischen (skra = ‘Zunftordnung’) — vgl. G. Korlena.a.O. (Anm. 11), S. 189 ff.

Vgl. G. Korlen, a.a.O. (Anm. 11), S. 183 ff.

Es handelt sich um "Magnus Erikssons stadslag” , ein Gesetz, wo übrigens Beziehungen zum Lübecker Stadtrecht in der Fassung von 1348 m.E. nicht ganz ausgeschlossen sind, vgl. zuletzt Kumlien, Sverige och hanseaterna,S. 230.

Johannisson, Deutsch-nordischer Lehnwortaustausch, S. 608 (Erich von Pommern regierte 1396-1439, Christoph von Bayern 1441-1448).

Vgl. Hans-Peter Naumann, Goethes “ Faust” in schwedischer Übersetzung (1970), dazu Werner Koller in: Moderna sprak 1972, S. 258 ff.

Vgl. neuerdings etwa Eis Oksaar, Sprachkontakte als sozio- und psycholin- guistisches Problem (in: Festschrift für Gerhard Cordes, 1976).

Vgl. auch eine Bestandsaufnahme des nd. Einflusses auf die Estlandschwedi­schen Mundarten von Herbert Lagman, Tyska lanord i estlandssvenska mal (in: Svenska Landsmäl och Svenskt Folkliv, 1973).

Siehe Inger Rosengren, Das Gram matikstudium auf der Grundstufe der Uni­versität (Schwedisch > Deutsch), in: Sprachwissenschaft und Sprachdidaktik. Jahrbuch 1974 = Sprache der Gegenwart 36, 1975, S. 297 ff.

Siehe dazu vor allem die eindringliche Analyse von Ludwig Fischer, Die Produktion von Kopfarbeitern. Spätkapitalistische Bildungspolitik am Bei­spiel des schwedischen Hochschulwesens, Berlin (West) 1974.

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Zur vergleichenden Phonologie des Deutschen und des Nieder­ländischen

In diesem Beitrag w ird eine in der vergleichenden Phonologie verw andter Sprachen anw endbare M ethode d em o n strie rt. Sie b e ru h t zw ar n ich t auf dem Prinzip, d aß d ie U ntersch iede zw ischen solchen Sprachen durch Sprachw andel en ts tan d en sind, verw endet aber R egeln, d ie m anchm al Form alisierungen lau th is to rischer V orgänge nahekom m en o d e r m it ih­nen identisch sind. V erm utlich ist der b ehande lte A uszug aus der ver­g leichenden Phonologie der beiden un te rsu ch ten Sprachen zugleich als die B ehandlung einer A ufspaltung innerhalb des G erm anischen nach dem S tam m baum prinzip zu b e trach ten ; die w ellenartige V erbreitung bestim m ­ter N euerungen über beide Sprachgebiete nach dem Spaltungsbeginn re­su ltie rt dann in einigen V ereinfachungen der B eschreibung, die bei einer rein h isto rischen B ehandlung n ich t e rlaub t gew esen w ären.

V ergleichende Phonologie des D eutschen (D) und N iederländischen (N) se tz t eine M ethode voraus, die es erm öglicht, Ü bereinstim m ungen und U nterschiede in der Phonologie be ider Sprachen in adäqua te r Weise zu e rm itte ln . Z unächst m uß geklärt w erden , ob der V ergleich au f typologi- scher E bene oder au f der G rundlage einer gewissen Id en titä t im lexikali­schen B estand durchgeführt w erden soll.

Typologisch ist ein V ergleich, in dem die Fragen u n te rsu ch t w erden , in­w iefern beide Sprachen aus dem universellen phonolog ischen M erkm alin­ven tar die gleiche A usw ahl tre ffen und inw iefern diese A usw ahl verschie­denartig ist, inw iefern in beiden Sprachen bei der V erb indung von Seg­m en ten dieselben K om binationsregeln gelten und inw iefern diese K om ­binationsregeln voneinander abw eichen; inw iefern sie iden tische und in­w iefern sie un tersch ied liche zyklische Regeln haben usw. Dabei w ird die Frage außer ach t gelassen, ob die sich au f der sem antischen E bene e n t­sprechenden F orm ative und F o rm ativ k e tten form al in irgendeiner Weise m ite inander identisch sind oder n ich t. Ein typo log ischer V ergleich ist n ich t nu r möglich bei Sprachen, die eine gewisse Ä hn lichkeit m ite inander aufw eisen, w ie D und N, sondern auch bei S prachen, zw ischen denen überhaup t keine form ale Ä hn lichkeit zu finden ist, w ie D und Baskisch,N und Zulu. Ein typo log ischer V ergleich von D und N w äre n ich t sinn­los. V on den typo log ischen M erkm alen, die in be iden Sprachen Vorkom­m en, s teh t per defin itionem schon fest, daß sie n ich t einm alig sind. Ob ihnen — im G egensatz zu den anderen — U niversalcharakter zukom m t,

JAN GOOSSENS

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kann durch E inbeziehung w eiterer Sprachen w ahrscheinlich gem acht oder falsifiziert w erden . Solche V ergleiche k ö nnen nützlich sein im D ienst der phonologischen T heorie .

ln diesem Beitrag ist jedoch ein anderer Vergleich beabsich tig t, und zwar auf der G rundlage einer gewissen Id en titä t im lexikalischen B estand, die au f Id en titä t im U rsprung b e ru h t. D. Haus und n. huis sind in irgendeiner Weise identisch . Das erste und das le tz te Segm ent haben in beiden Spra­chen die gleiche M atrix; die A bw eichung im zw eiten Segm ent kann m it einer Regel beschrieben w erden (d. [+ h in ten] 4? n. [ — h in ten ]), d ie o f­fenbar für eine ganze R eihe von F orm ativen gilt (vgl. M aus/m uis, H a u t/ buid, D aum en /du im , aus/u it, lau t/lu id , B aucb /bu ik usw .), so daß m an sagen kann, daß d. au und n. ui auf irgendeine Weise ebenfalls identisch sind. Diese Id e n titä t ist natürlich n ich t zufällig, sondern die Folge des ge­m einsam en U rsprungs beider Sprachen. W enn m an die TG G -Term inolo- gie in h isto rischem Sinne übertragen anw endet, kann m an sagen, daß eine gem einsam e phonologische T ie fen stru k tu r be ider Sprachen an der O ber­fläche jew eils teilw eise verschieden realisiert w ird .

Der gleiche U rsprung bzw . die V erw and tschaft ist n ich t der einzige G rund für die Ä hn lichkeit von D und N. In einem Teil des L exikons b e ru h t diese auf E n tlehnung aus d e rg le ich en D rittsp rache (Radio/radio , T unnel/tunnel), in einem k leineren au f E n tlehnung von N aus D (frisch/fris, S p itze /sp its), in einem noch k leineren au f E n tlehnung von D aus N (M atje/m aatje, K abeljau/kabeljauw ), in einem sehr k leinen m ag sie au f Zufall beruhen , ln diesen le tz ten vier Fällen läßt sich jedoch die Ä hnlichkeit n ich t für G ruppen von lexikalischen E inheiten form alisieren . N ur bei gem einsam en E ntlehnungen aus D rittsp rachen ist eine System atisierung in sehr b e ­sch ränktem U m fang m öglich, z.B. in G ruppen w ie F aku ltä t/facu lte it, M ajestä t/m ajesteit, Q ua litä t/kw a lite it, S exu a litä t/seksua lite it usw ., elem en- tar/elem entair, linear/lineair, nuklear/nucleair usw . Davon un terscheidet sich grundsätzlich die Ä hn lichkeit, d ie au f Id en titä t im U rsprung b eruh t:Sie kann in Regeln gefaß t w erden , die für R eihen von lexikalischen Ele­m en ten gelten .

Bevor w ir uns m it der F orm ulierung so lcher Regeln befassen, ist eine V er­ständigung no tw end ig über 1) die zu berücksich tigenden M erkm ale, 2) die Weise, in d e r diese M erkm ale zu berücksichtigen sind, 3) die Segm ente, d ie für eine vergleichende A nalyse in Frage kom m en . Das geschieht m it Hilfe der M atrix au f Seite 297. Es ist n ich t m öglich, diese h ier eingehend zu besprechen o der auch n u r jedes angenom m ene M erkm al zu defin ieren . Ich beschränke m ich au f einige für das V erständnis der M atrix unbed ing t notw endige A nm erkungen .

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1) Die D iph thonge w erden n ich t w eiter segm entiert; es w ird angenom ­m en, daß sie ein M erkm al ‘sich v e rfä rbend ’ besitzen , das die anderen vokalischen Segm ente n ich t haben.

2) a, j und t) w erden als selbständige Segm ente in te rp re tie rt.3) w w ird als v e ingeordnet, d .h . als ko n tin u ie rlich er s tim m hafte r n ich t

ko ronaler an te rio re r O bstruen t.

Für D gilt außerdem :

1) e: w ird n ich t als eigenes Phonem gew erte t, sondern es w ird von einem Subsystem ausgegangen, in dem die V okale von w ählen und geben identisch sind.

2) Die A ffrika ten w erden n ich t w eite r segm en tiert; es w ird angenom m en, daß sie ein M erkm al ‘sich verfä rbend ’ besitzen , das die anderen kon so ­nantischen Segm ente n ich t haben.

Für N gilt außerdem :

1) Die sog. L ehnphonem e e :, ce: und d : w erden n ich t berücksichtig t.2) Es w ird von einem Subsystem ausgegangen, in dem v (vel) und f (fei)

identisch sind, ebenso w ie g (waggelen) und ch (lachen).

Bei dem A ufbau d e r M atrix ist beabsich tig t w orden , jedes n. Segm ent als E n tsprechung eines d. Segm ents zu b e trach ten , obw ohl le ich t fes tzu ste l­len ist, daß bei fast jedem d.-n. Segm entpaar k leinere oder g rößere p h o ­netische U nterschiede vorhanden sind. Die spezifisch d. bzw . n. p h o n e ti­sche R ealisierung m uß durch zusätzliche Regeln erzeugt w erden . D abei sind verschiedene M öglichkeiten denkbar: 1) M an kann den E lem en ten einer universellen M atrix , von denen d. und n. E n tsprechungen angenom ­m en w erden , spezifisch d. und spezifisch n. phonetische M erkm ale h inzu­fügen; 2) M an kan n , von den E lem enten d e r d . M atrix ausgehend, die en tsp rechenden n. E lem en te m it zusätzlichen phone tischen M erkm alen versehen; 3) M an kann , von den E lem enten der n . M atrix ausgehend, die en tsp rechenden d. E lem ente m it zusätzlichen phonetischen M erkm alen versehen. Wir nehm en D als A usgangspunkt; A bw eichungen in der p h o ­netischen R ealisierung der en tsp rechenden n. Segm ente sind durch d ia­kritische Z eichen au f der u n te ren Zeile s ich tbar gem acht. Die d u rch Dia- k ritika angegebenen n. Regeln dürfen n ich t als sog. “ phonetische R egeln” in der le tz ten S tu fe der phonologischen K om ponen te aufgefaß t w erden ; sie sind o ffen b ar tie fe r anzusetzen . So g ib t es in N eine Regel, w odurch die Segm ente i:, y: und u: in bestim m ten U m gebungen gekürzt w erden (vgl. n. l i e f [ lif] m it d. lieb [ l i :p ] ). W enn m an zunächst die K ürzung durch-

Für beide Sprachen gilt:

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führt und erst nachher die du rch das D iakritikon angegebene Ö ffnung, so bekom m t m an [lif] w ie [g if] ‘g i f s ta tt [ l i f ] , w as o ffen b ar falsch ist.

Da die Zahl der d . Segm ente g rößer ist als die der n ., kann m an zw ar je ­de Spalte des n. Inventars einer d . zuordnen , aber n ich t um gekehrt.

A uf eine R eihe von in der phonologischen K om ponen te du rchzu füh ren ­den P rozeduren w ird hier n ich t eingegangen. Das gilt für die sog. zyk li­schen Regeln, die für die richtigen A kzentverhältn isse veran tw ortlich sind, w eiter für die m erkm alverändernden n ich tzyk lischen Regeln, durch die au f den Form ativgrenzen die richtigen A ssim ilationen en ts teh en , und schließlich auch für die m erkm alm odifiz ierenden n ich tzyk lischen Regeln, die eine “ akzen tfre ie” R ealisation sprachlicher Ä ußerungen erm öglichen. Wir beschäftigen uns dagegen ausschließlich m it den sog. phonologischen M erkm alen der L exikonein träge, die bekann tlich in F orm von M atrizes dargestellt w erden.

Es lassen sich verschiedene A usgangspunkte für die B eschreibung des d.-n. V erhältnisses annehm en. M an kann erstens die d . R eihen als u n te r den n. S tru k tu ren liegend be trach ten , ln der genann ten R eihe H aus/huis, M aus/ m uis usw. ergäbe das eine Regel D [+ h in ten] -> N [— h in te n ] ; in der Reihe B ein /been , S te in /s teen , K le id /k leed , be iß en /b e ten usw. eine Regel D [+ s. verfärbend] -*■ N [— s. verfärbend] usw . M an kann zw eitens auch das um gekehrte V erfahren w ählen ([— h in ten] -*■ [+ h in ten ], [— s. ver­färbend] -v [+ s. verfärbend]). Die Wahl der tie feren und die der abgelei­te ten S tru k tu r erschein t h ier arb iträ r. Übrigens w äre ein solches V erfah ­ren m it p rak tischen Schw ierigkeiten verbunden . N eben der R eihe H aus/ huis, M aus/m uis usw . g ib t es die R eihe B aum /boom , ta u b /d o o f, A uge/oog , H a ufen /hoop usw ., die sich zw ar in N, n ich t aber in D von der vorigen un terscheidet. Eine Regel, die die H erleitung beider n. R eihen aus der en tsp rechenden einen d. darste llt, h a t fo lgende G estalt;

D+ s.verfärbend

+ h in ten N ■Tl[+ s.verfärbend — h in ten J ¡>

r— s.verfärbend]| + h in ten

Hier kann aufgrund d e r Segm entverkettung n ich t vorhergesagt w erden, in w elchen Fällen in der abgele ite ten S tru k tu r N die erste , und in w elchen Fällen die zw eite M öglichkeit gew ählt w erden m uß. Das b ed eu te t, daß in jedem Fall eine vollständige A ufzählung der in Frage kom m enden Wör­te r no tw endig ist. Es k o m m t h inzu, daß die abgele ite ten S tru k tu ren auch au f andere als in der Regel angegebene Weisen en ts teh en können (vgl. e tw a to t/d o o d , B ro t/b rood , b loss/b loo t, in denen Ein- und Ausgabe

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identisch sind; das ist auch der Fall in heu len /hu ilen , D eutsch /D uits, K reuz/kru is usw .). Aus alledem ergibt sich, daß bei aller Ä hn lichkeit D und N zu stark voneinander abw eichen, als daß ih r V erhältn is m it Hilfe des skizzierten V erfahrens dargestellt w erden kö n n te .

A däquater schein t ein V erfahren zu sein, in dem n ich t versucht w ird , die phonologische S tru k tu r der einen Sprache aus der anderen herzu le iten , sondern sie be ide au f eine d ri tte zurückzuführen. M ethoden , das V erhä lt­nis zw eier Sprachen zueinander m it H ilfe einer d r itte n Sprache d arzuste l­len, sind schon im vorigen Jh . in der vergleichenden G ram m atik en tw icke lt w orden . In d ieser D isziplin ist in der Regel von älteren Sprachstu fen die Rede. Als D rittsp rache w ird eine G röße gew ählt, d ie es n ich t nu r erlaub t, die erste und die zw eite m ite inander zu vergleichen; sie w ird außerdem so ko n stru ie rt, daß es gelingt, die beiden anderen vergleichend daraus ab ­zuleiten . Das führte zu K o n stru k tio n en (in der Praxis au fgefaß t als R e­k o n stru k tio n en ) von Sprachen, die n ich t in Form schriftlicher D okum en­te überliefert w aren. A uf diese Weise ist es der vergleichenden G ram m atik gelungen, in eine im m er w eite r zurückliegende sprachliche V ergangenheit vorzudringen. P raktisch ha t die U ntersuchung ihren E n d p u n k t, d .h . h i­storisch ihren B eginnpunkt erre ich t bei einer k o n stru ie rten U rsprache, aus der die g roße M ehrheit der Sprachen E uropas und eines Teils von Asien hergele ite t w erden kann: dem Indogerm anischen .

U nser Ziel ist n ich t, eine gem einsam e V orstu fe von D und N zu suchen , sondern eine M ethode zu en tw ickeln , die es erm öglich t, die Phonologie beider Sprachen in adäqua te r Weise vergleichend darzuste llen . D abei er­scheint es vernünftig , eine D rittg röße in die U ntersuchung einzubeziehen . Diese w ird als Bezugsgröße in te rp re tie r t, w as n ich t identisch ist m it “ ge­m einsam er U rsprache” , obw ohl selbstverständlich infolge des h is to rischen Fak tum s, d aß D und N aus einer gem einsam en V orstu fe en ts tan d en sind, die Bezugsgröße eine ziem lich w eitgehende Ä hn lichkeit m it dieser U rspra­che aufw eisen m uß . Sie b rau ch t aber d am it n ich t identisch zu sein und ist es faktisch auch n ich t. N achdem die divergierende E ntw icklung schon angefangen h a tte , k ö n n en näm lich b estim m te N euerungen sow ohl D als auch N ergriffen haben . In solchen Fällen ist es sinnvoll, das Ergebnis der gem einsam en N euerung bei der K onstruk tion des Bezugssystem s zu be­rücksichtigen, weil dadurch der V ergleich vereinfach t w ird . Beispiel: Im A hd. w ar am Ende des 10. Jhs. das Segm ent m it dem M erkm al [+ vok.], das sich aus wg. eo en tw icke lt h a tte (liop ‘lieb ’), im m er noch n ich t zu­sam m engefallen m it dem Segm ent, das aus wg. langem e en ts tan d en w ar (bria f ‘B rief’). V or der Kollision dieser beiden vokalischen Segm ente h a t es jedoch gew iß schon eine R eihe von U ntersch ieden gegeben zw ischen der S prachfo rm , aus der D, und jener, aus der N en ts tan d en ist. T ro tzdem

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ist d ie K ollision von eo und e eine gem einsam e d.-n. Erscheinung. Die K on stru k tio n einer Bezugsgröße, in d e r die W örter m it ursprünglichem eo und solche m it ursprünglichem e eine G ruppe m it identischem V oka­lism us b ilden , vereinfach t die vergleichende D arstellung (eine gem einsa­m e Regel von D und N kann en tfa llen ) und e rlaub t tro tzd em eine richtige B ehandlung des d.-n . V erhältnisses. Sie ist deshalb gerech tfe rtig t, w enn m an vereinbart, d aß d ie Bezugsgröße n ich t als V orstu fe au fgefaß t w erden darf.

Wir b rauchen je tz t ein V erfahren , das einerseits einen d irek ten und syste­m atischen Vergleich von D und N erm öglich t und andererseits das V er­hältn is des gem einsam en E ingabesystem s zum d o p pelten O u tp u t m ög­lichst stark vereinfach t. Das erschein t m öglich m it H ilfe des K onzepts “ D iasystem ” . D arun te r versteh t m an in d e r taxonom ischen vergleichen­den Phonologie eine Form el, die das V erhältn is von zwei oder m eh r ver­w and ten Sprachsystem en m it Hilfe eines B ezugssystem s b estim m t. Bei­spiel: Drei M undarten A, B und C haben fo lgende System e der ungerun- de ten palatalen K urzvokale (um die R eihe abzu runden , ist auch d e r o ffe ­ne K urzvokal / a / m it au fgenom m en): A: i, e , a ; B: i, e, e , a ; C: i, e, e , a . Bezugssystem : i j , e 2 . ¿ 3. ¿ 4 . a y

i'i : dick, sitzen , m it, H itze...e 2 ■■ B ett, setzen , decken , N e tz...e 3 : K necht, Speck , schlecht, weg...a 4 : m ächtig, Bäcker, Schlächter, W ächter...a 5 : M acht, backen, schlachten, W acht...

In der A nnahm e, daß die K orrespondenzen zur Bezugsgröße fo lgender­m aßen gesta lte t sind: A: i=l, e=2 ,3 , a= 4 ,5 ; B: i=l, e=2, c= 3 , a= 4 ,5 ; C: i=l, e=2, e= 3 ,4 , a= 5 , bekom m en w ir fo lgendes D iasystem :

Der B egriff “ D iasystem ” ist jedoch n ich t unabd ingbar m it einem ta x o n o ­m ischen M odell verbunden . Eds V erhältn is der M undarten A , B und C imgegebenen Beispiel ließe sich auch w ie folgt form alisieren:

R I. 1 - + / i /R II. 2 -» / e /

R li la ) . 3 - * / e /

b). ( / e / -► / e / t A)

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R IVa). 4 - + / a /

b). ( / a / ->• / e / , C)

R V . 5 - > - / a /

Man bek o m m t dann folgendes D iasystem , in dem die R eihenfolge der Regeln III, IV, V und deren V erteilungen obligatorisch sind:

Es ist im R ahm en dieser A usführungen n ich t m öglich, die vollständigen Segm entinventare von D und N m it ihren lexikalischen K orrespondenzen zu un tersuchen . Wir beschränken uns au f den V okalism us und w ählen daraus die Segm ente m it den M erkm alen [— lang] und [— s. verfärbend] im Bezugssystem , w as prak tisch h e iß t: die w estgerm . K urzvokale.

Unser Bezugssystem kann nach herköm m licher A rt fo lgenderm aßen d a r­gestellt w erden: i u T tu u

In der M atrix müssen die E lem ente dieses System s m it folgenden Spalten iden tifiz iert w erden: t = 1, u = 3, e = 4 , o = 6 , a = 7 , f = 8 , iu = 9 , ö = 10, e = 1 1 ,3 = 1 3 ,3 = 1 4 , = 15, au = 17.

Die Tabelle au f S. 303 en th ä lt eine taxonom ische D arstellung des V er­hältnisses D /N bei den K urzvokalen des B ezugssystem s, m it Hilfe von 5 + 4 + 9 + 1 5 + 6 = 39 K orrespondenzen (jeweils m it einem Beispiel ver­d eu tlich t) und einem D iasystem . Die V erzw eigungen in den B äum en ge­ben an, w elche K orrespondenzen enger zusam m engehören und w elche w eiter auseinanderliegen, ohne daß d am it w ieder unbed ing t eine h is to ri­sche R eihenfolge von L autgesetzen angegeben w äre. Die A bkürzungen bezeichnen M arkierungen, die den Schlüssel zur In te rp re ta tio n der K or­respondenzen en tha lten .

Lauthistorische Erläuterungen:1. Zu i: Korrespondenz 4 enthält auch Fälle wie Riß/reet, B iß/beet usw., d.h.

hauptsächlich Verbalabstrakta zu starken Verben der ersten Reihe, die in vorahd. Zeit das i (ggf. u) der zweiten Silbe verloren haben. In N konnte dieses i/u sich länger halten, bis nach der Dehnung in offener Silbe. Historisch stehen sich hier zwei nachwestgerm. Formen gegenüber: vorahd. *rit und voranl. *riti. Der Un­terschied braucht jedoch nicht berücksichtigt zu werden, weil die d. Form auch dann kurzes i enthalten würde ('R isse), wenn sie auf *riti zurückginge. Hier zeigt sich wieder einmal der Unterschied zwischen Bezugssystem und Protosystem.

e O e o at au

a

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303

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D,

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2. Zu a : Der Typ Sekundärumlaut mit Dehnung (D e : —Na : ) ist nicht aufgenom­men. Der Fall Mägde — maagden belegt zwar diese Korrespondenz; da jedoch auch im Falle der Wirkung eines Sekundärumlauts in N das Pendant zu Mägde durch Analogie hätte um lautlos werden müssen, ist diese Korrespondenz nicht berücksichtigt.

3. Zu u: Korrespondenz 7 enthält im Prinzip Fälle, in denen D keine Dehnung hat, weil die ausp, t, k durch die zweite Lautverschiebung entstandene geminierte Spirans das verhinderte, wie auch in den Korrespondenzen i 4 , c 3 , a 10, 11 und 12, o 4. Ich habe jedoch kein sicheres W ortpaar finden können. Der in Klammern angeführte Fall N uß — noot (siehe auch weiterhin Guß — goot) ist zu vergleichen mit Riß/reet usw. un ter i 4: In vorahd. Zeit verlor das Wort auslautendes u der zweiten Silbe; in N konnte hieraus entstandenes tonloses e sich bis nach der Deh­nung des Vokals der ersten Silbe behaupten.

4. Zu o: Diese Gruppe enthält im Prinzip keine Fälle m it Umlaut. Es lassen sich jedenfalls keine befriedigenden Korrespondenzen konstruieren, weshalb wir Fäl­le wie B öcke/bokken und mögen/mogen n icht berücksichtigen.

Im D iasystem ist eine D reiteilung (K ürzen, Längen, D iphthonge) aufgrund der beschriebenen V erhältn isse bei den Kürzen des Bezugssystem s in den zwei verglichenen Sprachen durchgeführt w orden . Das vollständige voka- lische D iasystem m uß sich aus der A ddierung der R ep räsen tan ten der Kür­zen, Längen und D iphthonge des Bezugssystem s in beiden S prachen er­geben. Was die D arstellung der Kürzen b e tr if f t, so sind außer der Eingabe der 5 E lem ente des Bezugssystem s, w ie b em erk t, 39 Regeln notw endig , um das V erhältn is D-N zu beschreiben; 14 davon sind A nalogieregeln.Es ist deu tlich , daß m ehrere dieser Regeln einander w iederho len , näm lich in allen den Fällen, die m it der gleichen M arkierung versehen sind. Man m uß sich deshalb fragen, ob es n ich t m öglich ist, d ie [E rstellung zu ver­einfachen, indem m an sie in w eniger Regeln faß t, und den inneren Zusam ­m enhang der V erhältn isse k larer herauszustellen , indem m an die V orgänge, die zusam m engehören, m it Hilfe derselben Regel beschre ib t. Das w erden w ir je tz t m it Hilfe der T G G -R egeltechnik versuchen (vgl. die D arstellung5. 305).

D urch die Regeln I - V w erden die Spalten 1, 3, 4, 6 , 7 e ingeführt, d .h . die K urzvokale i, u, e, o und a des Bezugssystem s.

D urch die B lockierungsregel a w erden die Segm ente m it den M erkm alen [— kons], [+ hoch] und [— h in ten ], d .h . die der Spalten 1, 2, 8 , 9 und 38 in N in einer bestim m ten U m gebung ihres um lau tverursachenden C harak­ters en tled ig t, näm lich nach einem O bstru en ten k lu s te r, von dem das erste Segm ent die M erkm ale [+ hoch] und [+ k on t] b esitz t (d .h . p r a k t i s c h / / / u n d /a c / , Spalte 29 und 30) und das zw eite das M erkm al [+ k o r]. N ha t m.a.W . keinen S ekundärum lau t (vgl. D m ä ch tig / N m ächtig). E ine rich­tige D&rstellung des dadurch en ts teh en d en d .-n . V erhältn isses w ird erre ich t,

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Segm ente m it den M erkm alen+ vok — s. verf, - l a n g

im Bezugssystem

I - V: E inführung der Spalten 1, 3, 4, 6 , 7

a. B lockierungsregel

— ko ns + hoch— h in ten

OL hoch / + ob str f f o b strlN * [ - « h in ten / + hoch 1 + k o r J/ + k o n t L J

b. Blockierungsregel

+ kons"— k o n t— sth

1. U m lautregel

D * [+ kons] [+ k o n 0 / (+ vo k ] ------ [+ vok]

[ + h in ten] ^ [ ] - h in ten ] / ------- [+ kons] ( [ + k o n s ] )

2. D ehnungsregel

[ - lang] - 5 [+ lang] / -------- [+ kons) [ - kons]

3. Senkungsregel

—kons '+hoch—hin ten

+ lang— h in ten+ hoch

+ hin ten+ hoch

N| — hoch "1

niedrig]

4. D iphthongierungsregel

4.1.+ h in ten!

r l a n ë J N

4.2.

[+ lat]N

[+ s. v e rf ] / ___ [+ latj

0 / [+ s .v e r f ] -----

— nas + kor— k o n t

— nas + kor— k o n t

DIASYSTEM : D, N / / 1, II, III, IV, V , - , 1, - , 2 , ------ / /a 3 ,4

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indem verh indert w ird, daß der sog. U m lau tfak to r in der genann ten Um­gebung in N zugleich die M erkm ale [+ hoch] und [— h in ten ] besitz t. Es ist deu tlich , daß diese Blockierungsregel d e r U m lautregel 1 vorangehen m uß, weil bei der um gekehrten R eihenfolge ein falsches O u tp u t zu s tan ­dekom m t.

Die zw eite B lockierungsregel läß t in D eine V erdoppelung der K onsonan­ten m it den M erkm alen [— kon t] und [— sth] in in tervokalischer Stellung en tstehen , w as der B eobachtung der h istorischen G ram m atik en tsp rich t, daß die du rch zw eite L autverschiebung en ts tan d en en Spiran ten zunächst D oppelsp iran ten w aren. D adurch w ird die Silbe m it dem ersten V okal ge­schlossen, und für D und N w erden un tersch ied liche D ehnungsbedingun­gen geschaffen, die für den un tersch ied lichen V okalism us etw a in A ffe /aap , essen/eten, m achen /m aken veran tw ortlich sind. N ebenbei sei bem erk t, daß die L autverschiebung selbst für die B eschreibung des V erhältnisses der Segm ente m it dem M erkm al [+ vok] in be iden Sprachen irrelevant ist. Es ist deu tlich , daß Regel b der D ehnungsregel 2 vorangehen m uß , um zu einem richtigen O u tp u t zu kom m en.

Nach den durch beide B lockierungsregeln zustandegekom m enen R estrik ­tionen , d ie für jew eils eine Sprache gelten , k önnen für beide S prachen die U m lautregel 1 und die D ehnungsregel 2 e ingeführt w erden . W eitere Spe­zifizierungen sind dann für D n ich t m eh r no tw endig , w oh l aber für N, das gedehn tes i : und e; im G egensatz zu D zusam m enfallen läß t, und zw ar du rch Senkung von i: (vgl. D sieben und geben m it N zeven und geven), ebenfalls gedehntes y-, senk t (vgl. D Bügel/N beugel) und außer­dem sow ohl n ich t gedehn tes als auch gedehn tes « ( :) senk t, w odu rch u m it o und u : m it o: zusam m enfällt (vgl. D H und m it N bond und D S tu b e m it N stoo f). Das alles w ird durch die Senkungsregel 3 ausgedrückt, in der die obere H älfte des Inpu ts sich au f die vorderen Längen i: und y : , die un tere au f die h in te ren V okale u und u: bez ieh t.

Schließlich ist eine D iphthongierungsregel für N notw endig , die den U n­terschied zw ischen D kalt, Salz und N ko u d , zo u t, D Gold, H olz und N goud, b o u t zustandebring t. Die h in te ren K urzvokale a, o b ekom m en hier vor dem L ateral / + koronalem , n ich tkon tinu ie rlichem , n ichtnasalem K onsonanten d o d e r t das M erkm al [+ s.verf] in Regel 4 .1 , w onach in R e­gel 4.2 der L ateral nach D iphthong und vor d oder t getilg t w ird.

In dem D iasystem , das au f S. 305 un ten m it Hilfe der besprochenen R e­geln k o n stru ie rt w urde, ist die Regelfolge teilw eise beliebig (z.B. die der Regeln I - V), zum Teil obligatorisch (außer dem genann ten Fall der B lockierungsregeln, d ie den U m laut- und D ehnungsregeln vorangehen müssen, ist e tw a zu erw ähnen, daß die D iphthongierungsregel 4 au f jeden

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Fall nach der U m lautregel 1 kom m en m uß, w eil sonst ihr A nw endungsbe­reich zu g roß w äre).

Es b leiben je tz t noch die 14 Fälle übrig, die au f S. 303 die M arkierung A b ekom m en haben . Im G egensatz zu King b in ich der M einung, daß die h isto rische Phonologie au f den Begriff “ A nalog ie” n ich t verzich ten kann. Das g ilt auch für die vergleichende Phonologie verw and ter Sprachen auf der Basis der Id en titä ten im L exikon. A uf S. 308 sind die 14 A nalogiety­pen gesondert aufgeführt. A ngegeben ist, w elcher V okal bei A nw endung d er Regeln des D iasystem s bei jedem T yp sow ohl in D als auch in N er­zeugt w erden m üßte (E rw arte te A usgabe) und w elcher V okal ta tsäch lich realisiert w ird (T atsäch liche A usgabe). In den beiden Spalten m it der Ü berschrift “ A nalog ie typ” ist der V ersuch un te rn o m m en w orden , die A nalogien zu gliedern. Die d. A nalogiefälle gehören zum T yp A (= Aus­b re itung), d .h . daß der V erw endungsbereich eines V okals, d e r d u rch rich­tige A nw endung einer Regelfolge bei einer R eihe von W ortform en erzeugt w ird, in einem m orpho log ischen Paradigm a ausgebreite t w ird au f die an­deren W ortform en, die bei rich tiger A nw endung einer R egelfolge einen anderen V okalism us haben m üßten . Die angegebenen d . Fälle 2, 3, 8 und 13 w erden von einer solchen A usbreitung e rfaß t. Ihr ta tsäch licher V oka­lism us m uß durch eine Zusatzregel erzeugt w erden können .

Die n. A nalogiefälle dagegen gehören dem T yp E (= E inschränkung) an, d .h . d aß der V erw endungsbereich eines V okalism us, der d u rch richtige A nw endung einer R egelfolge bei einer R eihe von W ortform en erzeugt w ird , in einem m orphologischen Paradigm a e ingeschränkt w ird nach dem M uster der anderen W ortform en, die du rch richtige A nw endung einer R egelfolge einen anderen V okalism us bekom m en haben. Die angegebenen n. Fälle 4 , 5, 6 , 7, 9, 10, 1 1 ,1 2 und 14 w erden von solchen E inschrän­kungen erfaß t. B lockierungsregeln müssen hier dafür sorgen, daß die R e­geln, die zu erw arte ten , aber falschen V okalism en führen, n ich t angew en­d e t w erden können .

In der d. Zusatzregel müssen die V erbindungen aufgezeigt w erden , in de­nen die D ehnungsregel 2 über ihren “ lau tgese tz lichen” A nw endungsbereich h inausgeht. A ußerdem sind die m orphologischen K ategorien anzugeben, au f die diese A usdehnung z u tr iff t. Die Regel lau te t (e infacher Schräg­strich g ib t die U m gebung an, d o p p e lte r Schrägstrich die m orphologische K ategorie):

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In den n. B lockierungsregeln brauchen nur die m orphologischen K atego­rien angegeben zu w erden , au f die in den Fällen 4, 5, 6 , 7 , 11 un d 12 die U m lautregel und in den Fällen 9, 10, 14 d ie D ehnungsregel n ich t anw end­bar ist. Diese Regeln lauten:

N [ " Regel 2] II £ flJ k t]

+ s u b s t l+ P1 J+ st. V + Präs + Sg

l.P e rs

p -A d j L+ Steig .

[+ subst 1+ dim J

Es b le ib t schließlich der Fall D h ilft / N help t übrig (Fall 1). Er w äre zu ergänzen m it den T ypen n im m t/n e e m t, s tieh lt/s te e lt usw ., die in d e r Liste n ich t aufgeführt sind, weil du rch A nw endung der Dehnungsregel und der Senkungsregel in N ohneh in langes e: herausgekom m en w äre. In h elp t liegt sprachhistorisch A nalogie vor; in n eem t und stee lt en ts teh t m it und ohne A nnahm e der A nalogie d ie gleiche A usgabe als Folge von Regel 3. Diese A nalogie läß t sich n ich t elegant fo rm ulieren , w eil m an dann ge­zw ungen ist, eine V ersch iedenartigkeit in den einzelnen zum Paradigm a gehörenden F o rm en anzunehm en und die dann w ieder rückgängig zu m achen (obw ohl das natürlich sprachhisto risch geschehen ist: aus einer vorw estgerm . G leichheit des V okalism us en ts tand eine U ngleichheit, die nachher in N w ieder au fgehoben w urde). Eine einfachere Lösung scheint zu sein, daß m an in diesen Fällen überall in der T ie fe n s tru k tu r ein e an ­n im m t, das in D an der O berfläche in der 2. und 3. Pers. Sg. Ind . Präs. und im Im perativ als i erschein t. Also:

D hoch "1niedrig j

[+ hoch]

’+ St. V+ Präs

+ Sg< 1. Pers >

"+ st. V+ Imp_+ Sg .

Ich b in am Ende m einer A usführungen. Wie die K urzvokale des Bezugs­system s h ä tte ich auch die anderen Segm ente un tersuchen kö n n en . Jede

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B ehandlung eines A usschnitts aus der M atrix des Bezugssystem s h ä tte eine Reihe von Regeln m it einem D iasystem ergeben. Diese Teildiasyste- me hä tten au feinanderbezogen und ineinandergeschoben w erden müssen. Das h ä tte vielleicht eine R eihe von K orrek tu ren und U m form ulierungen bei m ehreren Regeln zur Folge gehab t. Die R eihenfolge in der V erzah­nung der Regeln w ürde bei einem solchen V erfahren m anches O bligatori­sche en th a lten , was in den T eild iasystem en noch beliebig sein kan n . D och w ürde das alles den en tw icke lten A rbeitsprinzip ien n ich t viel N eues m ehr hinzufügen. Ich d a rf deshalb ho ffen , daß d e r vorgetragene A usschn itt eine m ögliche M ethode verdeu tlich t h a t, d ie bei der vergleichenden Pho­nologie verw and ter S prachen verw endet w erden kann.

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JO HA NN KNOBLOCH

Donnerhall und Widerhall von Schlagwort und Schlagzeile

Hans Eggers erw ähn t im “ L exikon der G erm anistischen L ingu istik”(S. 442 a) das K lischee-U rteil, das die Zeitungssprache ungerechterw eise als m inderw ertig h inste llt. W enn es richtig ist, dass der schriftsprach liche S tandard seit Beginn des 20. Jah rh u n d erts im m er w eniger durch die Li­te ra tu r bestim m t w ird (ders., S. 441 b), so ist dies zw eifellos au f einen Wechsel der L esegew ohnheiten zurückzuführen , au f ein V ordringen des in fo rm ierenden Sachbuchs und au f den Einfluss d e r Tagespresse, der tro tz der k o n ku rrie renden M assenm edien ungebrochen ist. Im folgenden soll vom W ert und der A usstrahlung d e r sprachlichen T ätigkeit g u te r Jo u rn a ­listen die R ede sein und diese insbesondere an d e r V erb re itung von “ Schlagw örtern” und “ Schlagzeilen” aufgezeigt w erden .

Eine schärfere K ategorisierung dieser beiden Begriffe soll dem k o m m en ­den A rtikel im “ Sprachw issenschaftlichen W örte rbuch” V orbehalten blei­ben. Für die nachfolgenden E rörterungen genügt die E inteilung W. D ieck­m an n s1, der das positiv b ew erte te “ L e itw o rt” und das “ R e izw o rt” m it negativem V orzeichen u n te rsche ide t. A uch m öch te ich h ier die G renze zum kurzlebigen “ M o dew ort” n ich t ziehen, n ich t zu le tz t aus dem G runde, dass sich das M aterial aus dem Z eitraum der le tz ten Jah re zusam m enge­se tz t und n ich t vorauszusehen ist, w elche M odew örter ihren W ert als d y ­nam isierte In fo rm ationse inheiten bew ahren (w enngleich dies m it inhalt­lichen V eränderungen verbunden zu sein p flegt) und w elche m it der M o­de, die sie erzeugte, auch w ieder verschw inden müssen.

Wer h ä tte e tw a dem po litischen Schlagw ort frz. b l o c , das zunächst in der Innenpo litik den ‘Z usam m enschluss verschiedener po litischer Parte i­en ’2 bezeichnet h a t und 1907 ins D eutsche übernom m en w urde , den F o rtb estan d über zwei W eltkriege hinw eg und das H inüberw echseln in die W eltpo litik* Voraussagen kö n n en , w o m an h eu te , und zw ar seit der U m gruppierung der M ächte nach dem Z w eiten W eltkrieg vom O stb lock und den b lockfre ien S taa ten spricht.

D er N o s t a l g i e als M odew ort d a rf m an ein langes L eben Voraussagen, wie m an dies von einm al T otgesag ten ann im m t. In einem B ericht der FAZ (2 8 .6 .75 ) w ird es als verm isst gem eldet: “ M odew örter sterben einen un ­bek an n ten T o d ..” , was m ich dazu veranlasste, ihm m eine A ufm erksam ­keit zu w idm en. Es ist überraschend, w ie stark gerade dieses W ort in der A usdrucksw eise d e r G egenw art verankert ist. Im französischen U rsprungs-

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land gilt es als E ntsp rechung zu d t. H eim w eh und ist als solche auch zu­erst in der d eu tschen Schw eiz künstlich geschaffen w orden . Im erw ähn ­ten FA Z-B ericht w ird die d am it b ezeichnete T endenz als “ Bedürfnis nach einem neuen G esch ich tsbew usstsein” charak terisiert.

Die auffa llendste Ä uszerung dieses Bewusstseins w ar in den le tz ten Ja h ­ren der Hang zu alten D ingen, der den V erb raucherverbänden auffallen m usste; vgl. eine M eldung aus der Schw eiz in der K undenzeitsch rift “ G e­w inne dein L eben neu” Nr. 11 (1975 ): “ N ostalgie ist vielleicht das Be­streben , die Ä ngste vor der gegenw ärtigen Welt zu verringern, indem D in­ge bevorzugt w erden , die die G roszeltern in ruhigeren Z eiten b e n u tz t ha­ben. U nd vielleicht ist im Begriff der N ostalgie auch eine Spur S ehnsuch t nach der a lten Q ualitä t, nach m ehr H altbarkeit, en th a lte n ? ” — A nlässlich des N ürnberger C hris tk ind lm ark ts 1975 charak terisiert W olfgang Paul (FA Z 2 4 .1 2 .7 5 ) eine solche H altung: “ Dieses C hristfest b es teh t aus einer nun w ieder selbstbew usster w erdenden B eständigkeit, am A lten fes tzu ­halten , es m it ihm zu versuchen, sich von ihm für eine kurze Zeit einhüllen zu lassen. V ielleicht ist dies Luxus, aber ein L uxus, den sich jeder leisten k an n .” U nd “ S chaufenster” (B onn, 1 8 ./1 9 .6 .7 5 ) schw ärm t: “ A ltbau , stro tzend voll bürgerlicher N ostalgie. Das w äre gelebtes Bonn in R einku l­tu r .” U nter e iner Ü berschrift “ N ostalgisches an der Schw elle eines neuen Jah res” beschlieszt d e r GA von Bonn (3 1 .1 2 .7 5 ) das Jah r, das w oh l noch n ich t den H ö h epunk t für dieses Schlagw ort geb rach t ha t. H ier e ine kurze C hronologie d e r Belege-,

14.2.75 (Zeit): “ und dass auch drüben [in der DDR] die ‘Nostalgie’ grassiert”

9.5.75 (GA): “ ‘Früher war überhaupt alles gemütlicher und nicht so gefähr­lich’, unterbrach er mich und bekam Nostalgie in den Blick.‘Da ist man m it der Bahn gereist, und nur die wirklichen feinen Leute hatten A utos.’ ”

25.6.75 (FAZ): “Mehr auf Nostalgie scheint die Galerie Brockstedt zu spekulie­ren, wenn sie Max Klinger offeriert.”

26.6.75 (FAZ): “ Die nostalgischen Gefühle, die solche Veränderung in Italienauslösen muss... (Der letzte Lauf der Bersaglieri in Mailand, vor ihrer M otorisierung).”

26.6.75 (FAZ): “ Nächtliche Fahrt quer durch die DDR — das im Westen längstgeschwundene R atatata ungeschweiszter Schienen singt in den Schlaf. Nostalgie-Träume via Stendal, Wittenberge, Neubranden­burg, Pasewalk."

28.6.75 (FAZ): “ Was noch vor kurzem m it Nostalgie angemessen bezeichnetschien, hat sich inzwischen als die Spitze eines Eisbergs erwie­sen, der tief hinabreicht in den Ozean der Geschichtlichkeit.”

28.6.75 (Furche): [Hans Werner] “ Henzes nostalgische M oderne”

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10.7.75 (FAZ): “ Wenn wir Älteren immer auf die menschlichen Dimensionengeachtet hätten, wäre sicherlich keine ‘Nostalgiewelle’ ausge­brochen. Sie ist unter anderem eine Reaktion auf die Stupidi­tät m oderner Stadt- und vor allem Verkehrsplanung.”

28.7.75 (FAZ): “ Deutschlands Nostalgie-Liebling Doris Kunstm ann"

7.8.75 (GA): [ Südtirols] “ Nostalgie nach Wien”

7.8.75 (GA): “ Daheimgebliebene entdecken im Zeichen der Nostalgie, dassim Rheinland ein Spaziergang durch 60 000 Jahre Geschichte auf engstem Raum möglich ist.”

17.8.75 (Welt): “ Für Bahn-Nostalgiker gibt es in Neuauflage eine kom pletteÜbersicht über alles, was von Opas Eisenbahn in Deutschland und Österreich noch übriggeblieben ist.”

8.11.75 (FAZ): [Bericht vom Kölner Kunstmarkt] “Auch Nostalgiker findenhier Nahrung: zwei grosze bildmäszige Beards-Entwürfe und zwei Klinger-Büsten in Bronze..”

29.11.75 (GA): Einen geradezu “ nostalgischen Drang nach eigenem Grund undBoden, der dem Städter nach Feierabend die Flucht ins Grüne erlaubt” , sieht das Hessische Landesamt für Landwirtschaft.

20.12.75 (GA): “ ...will die Möbelindustrie das breite Normalangebot zeigen,das aber zu einem groszen Teil nostalgisch gestim m t ist.”

6.1.76 (FAZ): “ Nostalgie als Lebenshilfe. Das Londoner Publikum und dieLieder aus dem Zweiten Weltkrieg.” [Als Überschrift eines Feuilleton-Artikels, der m it den Worten schlieszt:] “ Beschwert mit einer schier überwältigenden, gerade zu Ende gegangenen Geschichte, will und glaubt man nicht, dass diese zu Ende ist. Nostalgie nicht als Design, sondern als Lebenshilfe! Was ist Schlimmes daran, wenn sie nützt?"

22.1.76 (Kurier): [Glosse über ein angebliches Fernseh-Zukunftsprogramm]“Wird das eine Nostalgiewelle geben. Erinnern Sie sich noch an das gute Programm von 1976?”

31.1.76 (FAZ): “ Die gute alte Zeit der M ondrakete” [als Überschrift zu einemBericht über Cape Canaveral]. “ Unm ittelbar nach den Ereignis­sen selber fängt die Geschichte an, und ihr erstes Anzeichen ist die sentim entale Erinnerung. ‘Nostalgie mag das richtige Wort dafür sein’, sagt Mister Lavender vom Inform ationsbüro der Nasa...”

3.2.76 (GA): “ Nostalgie und Taktik: In Australien singt man wieder ‘Godsave the Queen’.”

7.2.76 (GA): “ Nostalgie am Beethovenplatz. Der Beethovenplatz wird seinenhistorischen Uhrenkandelaber zurückbekomm en.”

9.2.76 (FAZ): [Landwirtschaftsm inister Josef Ertl in seiner Aachner Bütten­rede] “ hat auch vermeintlich Witziges auf Lager....wenn er... von der ‘Mauerlook-Unionsnostalgie’ spricht.”

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19.2.76 (FAZ): “ Nostalgische Mahlzeiten” [Überschrift zu einer Besprechungder ‘Physiologie des Geschmacks’ von Brillat-Savarin].

20.2.76 (FAZ): [Zum Streit um Traditionen in der katholischen Kirche]“ Nicht allein museale Nostalgie erb ittert die traditionsbewussten Katholiken.”

1.3.76 (GA): “ Auch das Damenkomitee ‘Rot-Weisz Mehlem’ schwelgte inder Nostalgie. ‘Ach wat wor dat froher schööön’, weinten sie von ihrem M ottowagen herab.”

15.3.76 (GA): “ Gut besucht war der ‘Nostalgieabend’ der Oberkasseler Pfad­finder.”

26.3.76 (GA): “ Beim VfL verdrängt man die aktuellen Sorgen [um den Euro­papokal] durch Nostalgie” [Erinnerung an frühere Rückspiele],

27.3.76 (GA): “ Nostalgie hin, Nostalgie her — bei der Bahn pfeifen die letztenDampfloks dem Neben- oder Abstellgleis entgegen.”

13.4.76 (GA): [Leserbrief] “ Auch ich gehöre zu den nostalgiebesessenenStadtverschönerem, die für den Brunnen am Dreieck gefochten haben.”

9.6.76 (GA): [Kleine Anzeige] “ Attraktives Nostalgiehaus...”

Aus dieser Z usam m enstellung lässt sich einiges über d ie im m er w eiteren Kreise der W ortverw endung u n m itte lb a r ablesen, so dass ein eigener K om m entar sich erübrigt. In Zusam m enhang m it der B eliebtheit des Schlagw ortes kann au f eine A llensbach-U m frage verw iesen w erden , aus der hervorgeht, dass der F ortsch rittsg laube erheblich an R aum u n te r der Bevölkerung d e r B undesrepublik eingebüsst ha t. 1975 g laub ten n u r noch 48 P rozen t von 2000 B efragten über 16 Jah ren daran , “ dass die M ensch­heit einer im m er besseren Z u k u n ft en tgegengeh t.” Die gleiche Frage w urde 1967 von 56 P rozen t, 1972 von 60 P rozen t der B efragten bejaht.

Eine B eschäftigung m it dem “ B ezeichneten” des B estandes an typ ischen Schlagw örtern kann so einm ünden in eine G eschichtsschreibung d e r G e­genw art, w ie diese aus sprachlichen N euprägungen als einem w ichtigen Zeugnis für das D enken der S prach te ilhaber e rs te llt w erden kann . Das T hem a k ö n n te dabei ze rfla tte rn w ie d ie losen B lätter einer Z eitung; die nachfolgenden A usführungen lassen sich n ich t zu einem geschlossenen Bild zusam m enfügen, da hier verschiedene B lickrichtungen eingenom m en w urden. V or allem sollte die A rbeit des Jo u rna lis ten als eine anspruchs­volle L eistung gew erte t w erden , die alle B eachtung durch die unserer G egenw artssprache zugew andte Forschung verd ien t.4 G alt doch (m it einem älteren Schlagw ort gesagt) die Presse als die F ünfte G roszm acbt, w obei dies w ieder au f den A usspruch N apoleons I. zurückgeht, d e r den von Joseph G örres gegründeten “ R hein ischen M erkur” 1814/« cinquièm e puissance g enann t h a t te .5

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Am 4 .2 .76 k o n n te m an in der FA Z u n te r der Ü berschrift W ieder eine Sche ibe lesen, dass die DDR in ihrem Bem ühen, die B indungen Berlins an d ie B undesrepublik zu lockern , w ieder einen S ch ritt vorangekom m en sei. Für die F orm ulierung in d e r T itelzeile w ar aus dem A rtikel selbst ke ine w eitere V erständnishilfe zu gew innen. Die B rockhaus-Enzyklopä- d ie k en n t S c h e i b e als einen flachen, o f t ru nden G egenstand , der be im E ishockey, in der Festigkeitslehre und beim S chieszsport e ine Rolle sp ielt. Es gehört doch w ohl einiges an sprachlichem V orw issen dazu , um au f das S tichw ort Sa lam itaktik zu kom m en , das h ier unausgesprochen blieb .

E ine inhaltbezogene linguistische B etrachtung der Z eitungssprache w ird dem R eich tum an Bezügen und A nspielungen nachgehen müssen, die sich bei gu ten L eitartikeln in fast jed e r Zeile finden und d ie von den e r­s ten Seiten d e r führenden O rgane d e r W eltpresse aus ihre W irkungen au f das D enken einer E lite ausüben.

D er B onner GA beklag te sich in einem E igenbericht am 2 3 .2 .7 4 über die ka tas tro p h a len Z ustände in d e r B undesw ehr (“ Die Präsenz ist u nzu re i­c h e n d ” ) u n te r der Schlagzeile: D er B und r ie f un d einige R eservisten ka ­m en auch... “ D er Bund h a tte geru fen , aber viele b lieben am heim ischen H erd, w as im m er die G ründe gew esen sein m ögen. Das Soll an M annschaf­te n b e trug 107, es kam en nur 78, w as einem Fehl von 27 v.H. en tsp rich t...” D ie Ü berschrift “ Der Bund rief und einige Reservisten kam en au ch ” will als “ W iderhall” verstanden w erden , aber kann sie dies h eu te noch? Man m uss w eit zurückgehen, um den R uf, der da am 24. Ju n i 1813 erscholl, zu hö ren : D er K önig r ie f un d alle, alle kam en, so lau te te ein G ed ich t von H einrich C lau ren .6 N och im ers ten W eltkrieg k o n n te es heiszen: D er Kai­ser rief, un d alle, alle kam en....

E ine Illu stra tion zu dem W andel im L eitb ild , der sich zw ischen 1914 und 1974 vollzogen hat, b o t die genann te Z eitung ungew ollt in den ersten W ochen dieses Jahres. Es erschien eine Todesanzeige eines verd ien ten O ffiz iers, “ Träger des R itterk reuzes zum E isernen K reuz, In h ab er des E isernen K reuzes I. und II. Klasse aus dem 1. und 2. W eltkrieg und vieler w e ite re r A uszeichnungen” und d a ru n te r eine andere: “ U nser lieber Sohn ... h a t uns [22jährig] verlassen... Er starb als überzeugter G egner des Mili­tä rs einen sinnlosen T od bei der B undesw ehr.” — Sicher auch im h eu ti­gen D eutschland eine singuläre Form ulierung . A ber w as w eck t sie doch an M itgefühl gegenüber der gew ohn ten ste reo ty p en Phrase im Z w eiten W eltkrieg von der “ sto lzen T rau e r” .

D er W iderhall der Schlagzeile “ Der Bund rief und einige R eservisten ka­m en au ch ” w eckte ein w eiteres E cho. Am 16.6.75 h ö rte m an Frau M ildred

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r ie f u n d alle kam en. Die G ründerin d e r “ D eutschen K rebshilfe” lud ein in d ie K ölner Sporthalle . — Am 5.8.75 gab es w iederum eine Schlagzeile; diesm al r ie f der B T H V — die Journalisten kam en. Man m uss dabei wissen, dass BTHV der B onner Tennis- und H ockeyverein ist. D am it w ar die Schlagzeile re if für w eitere S portm eldungen: in der FA Z hiesz es am 8 .12 .75 : D er S p o rt rief, un d viele kam en (näm lich zur F eierstunde des D eutschen S po rtbundes in der F ran k fu rte r Paulskirche). Eine w eitere V erw endung führt h inab in die U nterw elt W ashingtons: Die P olizei bat zu m fe s tlich en E m pfang un d alle G anoven kam en. (E ine gew agte O pe­ra tion des am erikan ischen B undeskrim inalam tes FBI h a tte einen vollen Erfolg: w eit m ehr als hu n d ert V erhaftungen: B ericht der FA Z vom 2 .3 .76). Sechs W ochen später hiesz es eb en d o rt (FA Z 2 2 .4 .7 6 ) in einem B ericht über das G erm an Sem ester der Südkalifornischen U niversität in Los A nge­les: Der G eneralkonsul der B undesrepublik , W ilhelm Fabritius, r ie f zu einem Sonntag-N achm ittag-C ocktail, u n d alle, alle kam en.

Ein brisan tes Schlagw ort w arf die O pposition in die B undestagsdebatte über die Finanzlage des B undes (GA 21 .6 .7 5 ): d ie d ram atische Z uspitzung der Lage der S taatsfinanzen beschw öre die G efahr einer sozialen D em o n ­tage herauf. Das Substan tivum selbst s teh t in unlösbarem zeitgesch ich t­lichen Zusam m enhang m it der D e m o n t a g e d eu tscher In d ustriean ­lagen, einer A usw irkung des M orgenthau-Plans, die au f der K onferenz von Ja lta (F ebr. 1945) beschlossen w urde.

Am 12.7.75 w arn te die FA Z: H elm ut K ohls W ort über H elm ut Schm idt als den K anzler der sozialen D em ontage w ird dieser n ich t unerw idert las­sen, am gleichen Tag h a tte der GA einen A rtikel von R o b ert S trobel: D em ontage sozialer Illusionen. “ E in Schlagw ort geh t um , das die M en­schen ängstigen und au fpu tschen soll: Das W ort von der D em ontage des sozialen B esitzstandes.” Ä hnlich schreib t E rnst G ünter V e tte r (FA Z17.7.76): “ Ein böses W ort ist in d ie W elt gesetzt w orden: soziale f tm o n - tage. Es h ö rt sich so an, als ob im V erlau f einer A bbruchak tion eine so­ziale E rrungenschaft nach der anderen v ersch ro tte t w erden solle .” Am gleichen Tag las m an im GA: “ W ährend überall im L ande das G espenst von d e r “ sozialen D em ontage” den Bürger sch reck t...” und am 22 .7 .76 : “ Sozial-D em ontage heiszt die d iskrim in ierende E tik e tte , die jen e ange­he fte t bekom m en, die n ich t alle Sozialpflanzen unseres S taats als nötig und richtig ansehen .”

O ffenbar seit d e r V orlage eines p arte iin te rn en A rbeitspap iers der SPD ist auch die “ Sozialstaatskam pagne d e r CDU /CSU und der A rbeitgeber­verbände” versachlicht und der “ D iskussion über den Sozialstaat und den A bbau sozialer L eistungen eine neue S to szrich tung” gegeben w orden.

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Vgl. FA Z 23 7 75. H atte doch diese Z eitung schon am 4 .7 .75 gew arnt: “ Beide Seiten w ären gu t bera ten , au f das Schlagw ort von der ‘sozialen D em ontage’ zu verzichten . M it diesem W ort w ird n u r verschleiert, dass es in W irklichkeit darum geh*. die staa tlichen Leistungen, auch sogenannte Sozialleistungen, so zu beschneiden , dass die d ringendsten sozialen A uf­gaben noch zu finanzieren sind .” Und am 24 .7 .75 heiszt es im GA: “ C&s W ort von der ‘sozialen D em ontage’ w ird der S itua tion n ich t g e rech t.” (P eter J. V eite).

A uch w eiterh in w ird der G eltungsbereich des Schlagw orts in Frage gestellt (L eserzuschrift über d ie Selbstbeteiligung an d e r K rankenversicherungs­leistung FA Z 9 .8 .76): “ Das Schlagw ort von d e r ‘sozialen D em ontage’ ist gerade hier fehl am P latze.” O der es w ird in seiner B erechtigung über­h au p t angezw eifelt: “ Das G erede von der ‘sozialen D em on tage’ (W alter K annengieszer FA Z 18.8 .75). Die gem ein te Sache w ird von der veran t­w ortlichen R egierungspartei m it ‘A bbau von Privilegien’ w iedergegeben .7 N och einm al t r i t t das W ort (als “ W ohlfah rtsstaa tsdem ontage?” ) in der U n­te rsch rift zu einer K arikatu r (FA Z 19 .8 .75) au f, um dann nach d e r Som ­m erferienzeit n ich t m ehr aufgenom m en zu w erden.

B ezeichnenderw eise leb t es aber in anderen K o n tex ten w eiter. Das Bon­ner A nzeigenblatt (1 0 .1 2 .7 5 ) bek lag t in einer F ern sehk ritik einen K ünst­ler: der einstm als B rillante d em on tiere sich selbst. In Nr. 12 (1975 ) der K undenzeitsch rift “ N eufo rm K urier” ist von d e r “ D em ontage d e r N ah­rung” die R ede; sicherlich eine neue und ungew öhnliche B ezeichnung für die V erdauung, die nu r aus dem oben aufgezeigten Z usam m enhängen stam m en kann . FA Z k o m m en tie rt die innenpo litischen Z ustände in Italien am 8 .1 .76 u n te r der Ü bersch rift “ D em ontage in R o m ” ; am 10 .2 .76 w ird in e iner L eserzuschrift eb en d o rt über d ie “ D em ontage des Faches D eutsch” Klage geführt. Aus S tu ttg a r t w ird im GA vom 14.2 .76 von einer “ D em on­tage der T h ea te rk u ltu r” berich te t, w ährend am 2 2 .1 .7 6 der W iener K urier zu den E nthüllungen über d ie T ätigkeit der CIA sagt: “ Die D sm ontage der CIA scheint p e rfe k t.” In der S üddeutschen Z eitung liest m an am 3.3. 76: “ Ä rz tebund w arn t vor D em ontage des G esundheitsw esens” , ein le tz ­te r R eflex des alten , schon ausrangierten Schlagw orts, das in der T hea te r­k ritik m it “ D em ontage des Sp ielp lans” (GA 15 .3 .76 ) o ffen b ar an Boden gew innt. GA vom 30 .3 .76 w irft einem A m sterdam er B latt eine “ radikale D em ontage des Prinzen B ernhard” vor. O ffenbar ein E rsa tzw ort für d ie­ses Schlagw ort liegt bei G eneral Johannes S te in h o ff vor, d e r von einer “ E rosion d e r N a to ” sprach (FA Z 15 .3 .76). A ber im gleichen Sachbereich heiß t es unverhohlen über d ie deu tsche B undesw ehr: “ D em ontage der V erte id igungsbereitschaft verh indern” (GA 14 .4 .76).

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Wie D onnerhall k lingt auch (m it gew olltem S tabreim ) d ie Ü berschrift A m R osenm on tag rollt der R ubel. G em ein t w ar jedoch n ich t, dass m an hierzulande an diesem und am folgenden Tag alles Geld ausgibt, um dann am A scherm ittw och die G eldbörse im R hein auszuw aschen (ein B rauch, der auch 1976 w ieder geübt w urde) sondern m it der anspruchsvollen Schlagzeile8 w urde lediglich an die R entenzah lung bei den Postäm tern erinnert. Der S tabreim M eeresm onstrum m o rd e t M enschen stand als Schlagzeile über einem A rtikel, d e r eine F ilm rezension des “ W eiszen Haies” b rach te . A ndere A ssoziationen w eck t die gleiche L autfo lge in der R eklam e für einen m agenm ilden M unterm acher.^ A uch in der Ü ber­schrift “ Bund bed räng t B onner B oosthäuser” (GA 13.4 .76) ist die F reu ­de am G leichklang hö rbar, ebenso wie in der Schlagzeile “ Kühn will um K ohle k äm p fen ” in der ‘R undschau ’ vom 9.1 .73 oder in dem Slogan “ Die lässige L eder-L inie” der Süddeutschen Z eitung (3 .3 .76).

A uf Zusam m enhänge zw ischen W yhl und Wahl (FA Z 2 .2 .7 6 ) m ach te die enge A ssonanz aufm erksam : der Bau des u m stritten en K ernkraftw erks w ird vor dem 1 .11 .76 n ich t aufgenom m en. E in ähnliches M inim alpaar läd t als Ü berschrift in eine österreichische D onaustad t ein: L enz in L inz (FA Z 14 .4 .76), für einen Bäderbesuch w irb t: F it s ta tt F e tt (FA Z 11.3. 76).

A lle reden vom W etter — w ir n ich t hiesz es vor Jah ren au f einem ein­drucksvollen und erfo lgreichen P lakat der D eutschen B undesbahn. Das Klischee hielt sich in den Z eitungen. In der T iro ler Tageszeitung vom 9 .12 .75 w ar zu lesen: “ B undesrepublik : Alle reden vom A ufschw ung. N och ist d e r W irtschaftsaufschw ung wie ein Schlossgespenst: alle reden von ihm , aber noch niem and h a t es gesehen .” H euer gab es schon zwei w eitere Belege: “ Alle reden vom M itte lstand , aber n iem and h a t b isher ein w irksam es R ezep t für dessen Ü berleben g e funden .” (GA 8 .2 .76 ).Und: “ Alle sprechen vom G esetz w ie von einem d rohenden U nw etter am R eiseh im m el.” (FA Z 12 .2 .76). G em ein t ist ein E n tw u rf für ein ‘Ge­setz über den R eiseveranstaltungsvertrag’.

Die Sprache der W erbung h a t alle M assenm edien für sich, w as der V er­b re itung g u te r “ Slogans” in andere Bereiche zu s ta tten kom m t.

G esetzesübertre ter w erden gern als S ü n d e r b ezeichnet; in den le tz ten M onaten schrieb m an über: Verkehrssünder, A nabolika-Sünder (L e ich t­ath le ten , denen die E innahm e von A nabolika nachgew iesen w urde), Kartellsünder (ihre Sünden: V erstösze gegen das K artellverbot, Z uw ider­handlungen gegen unan fech tb a re U ntersagungsverfügungen d e r K artell­behö rde sow ie Subm issionsabsprachen: FA Z 16 .12 .75 ), A lkoho lsünder (im A utoverkehr), O lym pische Sünder (D oping), A bfa llsünder (verstoszen

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gegen das A bfallbeseitigungsgesetz); m an k en n t auch U m w eltsünden: der N R W -L andw irtschaftsm inister h a t jedoch “ n ich t die A bsicht, m it einem nord rheinw estfälischen Sündenfall” anderen L ändern ein Alibi zu geben (GA 16 .12 .75), und die B unte Illu strierte frag t am 4 .3 .76 : “ K ann sparen Sünde sein?” Eine früher in F ilm tite ln belieb te P rofan ierung des religiö­sen Begriffes h a t einen anderen V erw endungsbereich erhalten .

M it dem Sünder t r i t t d er M u f f e l in K onkurrenz . “ D er M uffel tra t ins Leben, als die W erbung einm al alle Superlative und K auf-A rgum ente er­schöp ft h a tte . Da g riff sie zu r List, zum Scheinm anöver, lock te den K un­den aufs G latte is; sie erfand eine Figur, die genau das G egenteil von dem m ein t, tu t und ist, was der K äufer m einen, tu n und sein so llte ... So kam es zum K raw atten-, G ardinen-, T apeten-, B adem uffel..” (C lara M enck FA Z 11.4 .74). Wie die A u to rin zeigt, ist daraus die Idee des ‘A llround- M uffels’ A lfred im F ernsehen en ts tanden . Es folgen die m ir b ek an n t ge­w ordenen M uffel in chronologischer R eihe: H eira tsm uffel, W eltraum ­m u ffe l, A b fa llm u ffe l (der A bfall aus dem A u to w irft), W ahlm uffel (S tu ­den t, der n ich t w ählen geh t), S tu lle n m u ffe l (S tu d en t, der m itgebrach te B rote verzehrt), V ereinsm uffe l (G egensatz zu einem V ereinsm eier), F rühstücksm uffe l (die D eutschen m it ihrem 08 /15-F rühstück : B rötchen, M arm elade, K affee), B ildungsm uffe l, K reu zu n g sm u ffe l (fahren in b lock ier­te K reuzungen), G ebührenm u ffe l (S chw arzhörer und Schw arzseher), K onsum -M uffe l (GA 5 .6 .71 , satir. K urzgeschichte von W olfgang Ebern: K onsum verw eigerung), U m w eltm u ffe l, S p ie lp la tzm u ffe l (B auherr, der keine anlegen lässt), P ilzm u ffe l (w er preisgünstige Pilze verschm äht), L ic h tm u ffe l (A u to fah rer, der L ich t n ich t rech tze itig e inschalte t), B en zin ­m u ffe l (FA Z 2 3 .1 .74 : A utos, die sparsam im V erbrauch sind), M orgen­m u ffe l (S pätau fsteher, m orgendliche Spätzünder), G u rtm u ffe l (die sich n ich t angurten), B lin k m u ffe l (versäum t B linken beim A usfahren aus ei­ner Parklücke), P olitik-M uffel (in der W ahlpropaganda einer P artei), T rik o tm u ffe l (w er das neue N atio n a ltr ik o t der L e ich ta th le ten n ich t an ­zieht, FA Z 22 .7 .7 5 ), L o b m u ffe l (w er als C hef niem als lob t: W eltbild6 .8 .75 ), E in ka u fsm u ffe l (lassen ihre F rauen e inkau fen ), L ite ra tu rm u ffe l (W issenschaftler, d ie w enig z itieren), K o c h m u ffe l (die in der Küche den Hilflosen m im en (GA 2 1 .1 1 .7 5 )), K arnevalsm uffel (M ainzer sind es n icht: FA Z 5 .11 .75 ), S p o r tm u ffe l (haben für S po rt n ich ts übrig).

Der im Jah re 1964 erfundene K raw a ttenm u ffe l h a tte einen statistisch nachgew iesenen Erfolg: der U m satz der K raw atten industrie stieg um 25 v.H .10 Die B eschim pfung des K äufers zu Zw ecken der B edarfssteigerung trieb m itte der sechziger Jah re noch andere Blüten: “ Sie! T riefnase!” sollte den B etro ffenen zu einem Schnupfenspray greifen lassen; “ Bist du ein Kamel, bleib zu H ause, w illst du mal eins sehn, kom m nach Ma-

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ro k k o ” [1967 ]. — “ D er M ann m it dem S chnu ller” , dieser “ D aum en­lu tscher” , dieser “ Schw ächling” , d ieser “ Sklave der Z igare tte” w arb für ein neues P räparat, sich das R auchen abzugew öhnen . Diese W erbeslogans müssen im Z usam m enhang m it der T hea te rm ode der P ub likum sbeschim p­fung gesehen w erden . Ihnen w ar kein langes Leben besch ieden , w ie auch dem M uffel in der W erbung. H eute setzen die W erbefachleute andere, positive A kzente: Chic und Eleganz als A ppell an den Snobism us oder das andere E x trem , näm lich N üchternheit und b lanke In fo rm atio n (G los­se ‘W erbetricks’ d e r FA Z vom 4 .3 .76 ).

A uch für das V erhalten des M uffels gab es zu g leicher Z eit das lobensw er­te G egenteil, das du rch die K om posita m it - b e w u s s t ausgedrückt w u rd e .11 H ier ist die A usbeute , zeitlich geo rdne t.

Am 16.9.67 m eldete die T iro ler T ageszeitung: “ Pelikane leben kalo rien ­bew usst” 12, aber schon früher, im A pril des Jah res gab sie b ek an n t: “ In D eutschland h a t m an das Fehlen eines neuen Bewusstseins en td eck t. Bei d er E röffnung einer K äseschau in N ürnberg sagte der Sprecher: ‘Die N achbarländer haben ein gröszeres K äsebew usstsein als die B undesrepu­b lik .’ ” S icher ist d am it noch n ich t der A nfang d e r B ew usstseins-K om po- sita gefunden . Es gab jedenfalls schon im A ugust 1967 den h itzeb ew u ss­ten A u to fah rer, der sich bei allen längeren F ah rten nach je zwei S tunden F ah rt im S cha tten en tspannen sollte. 1971 m usste m an die K inder u n ­fa llbew usst erziehen, sich durch Vergleich des A ngebots preisbew usst verhalten und g esundheitsbew usst in R efo rm häusern e inkaufen . Das A n­g ebo t in der T ex tilb ranche w urde qua litä tsbew usst ebenso wie d ie A nfor­derung an H andw erksbetriebe, von denen m an auch erw arte te , dass sie term ingerech t arbeiten . E inen deu tlichen G ipfel w eist die G ebrauchshäu­figkeit im Jah re 1973 auf: m an ist um w eltbew usst, d ie “ H ausherren im fre ifinanzierten W ohnungsbau w erden w ieder rend itebew usste r” , die Be­völkerung ist stabilitä tsbew usst, die Sparer w urden o ffen b ar zinsbew uss­ter, die V erbraucher im Schw abenland sind überdurchschn ittlich pfennig- bew usst, w ie eine U m frage ergab, ob m an sich noch nach einem herabge­fallenen Pfennig bücken w ürde. Das schöne G eschlecht w ar w ohl schon früher sch lankheitsbew usst: d er Begriff w ar eher da als seine B enennung. A uf dem 7. W eltkongress der In te rn a tio n a l R oad F edera tion (M ünchen1973) erklang die M ahnung, das geschw ind igkeitsbew usste V erhalten der A u to fah rer zu fö rdern . Seitdem sind (zum indest in B onn) die A u to fah re r sparsam er u n d viel ko sten b ew u sster gew orden (GA 23 .1 .74 ). D ies gehe aus einer A bnahm e d e r R epara tu r- und W agenpflege-A ufträge hervor.E ine negative A usw irkung dieser Sparsam keit ist das m angelnde R e ife n ­bew usstsein (FA Z 25 .9 .74 ).

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Im folgenden Jah r k o n n te m an lesen (GA 11 .3 .75), dass das G ros der bundesdeu tschen A u to fah re r sicherheitsbew usster gew orden sei, w ie sich aus d e r gesunkenen U nfallziffer für 1974 ergebe. 1975 ste ig t auch das Preisbewusstsein d e r K unden in d e r M öbelbranche w eiter; vor allem der Schw eizer V erb raucher s teh t in dem R uf, ein besonders qua litä tsbew uss­ter und anspruchsvoller K unde zu sein (FA Z 2 0 .1 2 .7 5 ). “ Die G esundheit ha t im Bewusstsein der M enschen von h eu te zw ar einen sehr h ohen W ert, aber ... es feh lt w eitgehend an gesundheitsbew usstem V erha lten” , tad e lt W olfgang C yran (FA Z 14 .7 .75). Aus dem Interesse für d ie W ärm edäm m ung ist zu erkennen , dass das E nergiebew usstsein beim Bauen zun im m t (GA18.1 .75). “ E nergiebew usstes Bauen — h eu te besonders a k tu e ll” (Das W üstenrotheim , A pril 1975). A uch das W eihnachtsgeschäft 1975 ergab:Die K äufer sind qualitä tsbew usster gew orden (GA 2 2 .1 2 .7 5 ). T endenzen also, die w irtschaftliche H in tergründe haben und deren W alten sich aus der H äufigkeit des G ebrauches so lcher L eitw örter erg ib t.

Das Jah r 1976 beg inn t m it der Festste llung der D eutschen B undesbank in ihrem M onatsberich t, dass der deu tsche T ou ris t W echsel- und preisbe­w usst w ar. Eine dpa-U m frage h a t (lau t GA vom 2 9 .1 1 .7 5 ) ergeben, dass d er W unsch nach einem eigenen G arten in le tz te r Zeit sehr viel stärker v erb re ite t ist: das E rnährungsbew usstsein ist gestiegen, zw eifellos als Aus­w irkung eines M isstrauens gegenüber techn ischer M an ipulation im G em ü­seanbau. E ine N euerscheinung so lcher W ortbildung ist auch das k o s te n ­bew usste K rankenhaus (FA Z 2 4 .2 .7 6 ) und die sicherheitsbew usste S ta d t [Bonn] im GA 26 .4 .76 . G esucht w urde (FA Z 2 4 .4 .7 6 ) ein pädagogischer M itarbeiter: leistungsbew usst, dynam isch , k o n tak tfäh ig , k o o p era tio n sb e ­reit und pädagogisch befähigt.

Wie es überhaup t d a rau f ankom m t, dass ein Schlagw ort als gelungene sprachliche Bildung einem A usdrucksbedarf auch in N achbarbereichen abzuhelfen verm ag — das lässt sich gerade an dem G egensatzpaar M u ffe l : -bew usst zeigen, auch w enn die w örtlichen G egenüberstellungen sich (in m einen Sam m lungen) au f U m w eltm u ffe l : u m w eltb ew u sst b eschrän ­ken . A ber vielleicht g ib t es bald den * K leinschreibem uffe l, d er eine N eue­rung ab lehn t, für die sich nach w ie vor viele e insetzen. Jedenfa lls fragte schon im Jah re 1974 G. Z w eren z13: “ Sind w ir genügend k leinschre ibe­bew usst?”

Es ist auffällig, w enn das ‘W ochenb la tt der B u n d esh au p ts tad t’, das “ Schau­fen s te r” , in einem A rtikel über das ‘m odische B ew usstsein’ d e r A bgeord­ne ten d ie strenge K ritik der B undestagspräsidentin F rau A nnem arie R enger w iederg ib t und sich dabei die G elegenheit en tgehen lässt, den M odem uffel in die Schlagzeile zu bringen. W enn es sich dabei n ich t um ein Zeichen

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w ünschensw erter E hrerb ie tung hande lt, kann m an aus dem Fehlen viel­leicht den Schluss ziehen, dass die M uffel-K om posita als typ ische “ R eiz­w ö rte r” einen Ü berdruss hervorgerufen haben , d e r einer w eiteren V er­w endung oder zum indest Expansion n u n m eh r G renzen gesetzt h a t. Das positiv w ertende ßfnyassfseiH -K om positum hingegen scheint ein d au e rn ­der G ew inn für den deu tschen W ortschatz gew orden zu sein.

Zeigte sich in diesen W ortb ildungen der E influss der R eklam e au f die Zeitungs- und P o litikersprache, so ko m m t auch die um gekehrte R ich tung der E xpansion von Schlagzeilen vor. Im vergangenen Jah r gab es anläss­lich der W ahlen in Ö sterreich ein P lakat m it dem Bild des B undeskanzlers K reisky, dazu die U nterschrift: K reisky — w er denn sonst? Diese knappe F orm ulierung k ennze ichne te die innenpolitische V orw ahl-S ituation (die ich h ier als b e k an n t voraussetzen darf). Sie fand sich w ieder in d e r R ekla­me anlässlich des W interschlussverkaufs 1976, w o eine hübsche B londine m it strah lendem A ugenaufschlag verriet: Ich k a u f bei ***, w o sonst?! E rst au f diesem H intergrund w ird eine B em erkung aus dem B ericht über d ie Z w eihundertjah rfe ier des B urg theaters von H ilde Spiel (FA Z 6 .4 .7 6 ) verständlich: “ Ewald Baiser — w er sonst — sprach G oethes ‘U rw orte or- phisch’.” “ K reisky m it H ut — was so n st?” w ar das “ Bild der W oche” in den "S alzburger N ach rich ten ” (2 0 .5 .76 ), ein Schnappschuss von der Ju ­b iläum sfeier d e r W iener Synagoge.

D er nächste W inter k o m m t b estim m t, d ieser R eklam e-Slogan für Heiz­m aterial ist — bei gleicher T hem atik — hinübergew echselt in die D iskus­sion um das 3. V erstrom ungsgesetz. Die FA Z b e rich te te darüber am 16.2. 76 m it der Frage “ W oher das Geld für die K ohle nehm en? D er nächste K onflik t k o m m t b e s tim m t.” Er sei schon w egen d e r H altung der E lek tri­z itä tsw irtschaft vo rp rog ram m iert.14 S e ither erschien (FA Z 1 6 .3 .76 ) die a larm ierende Schlagzeile “ Dis nächste F ischsterben k o m m t b e s tim m t” , da in D eutschland w enig H offnung au f saubere Flüsse bestehe; ferner (in Dingi, der K inderbeilage der “ N euen illu strierten W ochenschau” , 4 .4 . 76) die A nkündigung “ Im nächsten dingi w erden w ieder Preise verlost, und im übrigen kom m t das nächste grosze P reisausschreiben bestim m t bald w ieder.” In Nr. 6 (1976 ) kündigte der “ Spiegel” an: “ Der lokale T elephon-T ak t k om m t b e s tim m t” ; und au f dem R osenm ontagszug 1976 in M ainz las m an au f dem Wagen des M ainzer T iefbauam tes das M otto : “ Die K o n ju n k tu r k o m m t ganz gewiss, dann w e rd ’ alles w ieder uffgeriss” .

V on der K oh len industrie her k o m m t ein anschauliches Bild, das w ohl den H ö h epunk t seiner A nw endung noch n ich t erreich t hat. Es geh t aus von den w irklich vorhandenen K o h l e n h a l d e n im R uhrgebiet.Dies Bild h a t sich von seinem A usgangsbereich wegen der vielen Halden-

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P roblem e (FA Z 5 .3 .76 ) w eith in ausgebreite t. Der Boom im W ohnungs­bau der Jah re 1971 bis 1974 h a t zu einer W ohnungshalde (FA Z 12 .7 .75) geführt, die Ende 1974 au f 2 0 0 .000 W ohneinheiten geschätzt w urde. “ D roh t je tz t auch eine R eihenhaus-H alde?” frag t die gleiche Z eitung am5.3 .76 , die am 25 .3 .76 au f die g röszte Bürohalde D eutsch lands in F rank­fu rt hinw eist. Die Lage in der B auindustrie gab Anlass zur G ründung des H aldenkränzchens, eine V ereinigung der S p itzenvertre ter aus K red itw irt­schaft sow ie der Bau- und W ohnungsw irtschaft (vgl. FA Z 16.8 .75).

D urch den m etaphorischen G ebrauch scheint es bed ing t, dass m an im R ückgriff au f die H aldenw irtschaft als eine sinnvolle R eserve bei der S te inkoh len fö rderung diese ech ten H alden nunm ehr m it K oppelung als K ohle-H alden bezeichnet (GA 10.7 .75).

Aus irgendw elchen G ründen dürfte sich H alde n ich t dazu eignen, au f den M enschen selbst angew andt zu w erd en .15 Da spring t das w eniger anschau­liche B e r g ein. Es h a t o ffen b ar vom B utterberg seinen A usgang genom ­m en, dem sich im gleichen Sachbereich leicht der Z uckerberg (FA Z 11.6.75) und der w achsende M ilchpulverberg 16 (1 .1 2 .7 5 ) anschlieszen lässt.Als eine Folge der V erknappung ö ffen tlicher M ittel w ird ein Lehrerberg e rw arte t; der Schülerberg soll 1982 allm ählich durch ein “ m indestens eben­so bedrückendes Schülerta l” (FA Z 2 0 .2 .76 ) abgelöst w erden . “ Allerdings ist noch nich t abzusehen, ob nach dem Lehrerberg w ieder ein L ehrertal k o m m t” , w arn te die FA Z schon am 31 .7 .75 . A u f der K undgebung des H ochschulverbandes, B onn 14.2 .76 , fiel das W ort vom S tu d en ten b erg ; den A rch itek ten b erg aus der Z eit des B auboom s finde ich erstm als am8 .3 .76 (B ericht über den A rchäologentag in W ürzburg, FA Z) gew ortet.Für die N um erus-clausus-Fächer an den H ochschulen b ed eu te t eine Delle im Bew erberberg (750 .0 0 0 S chulentlassene s ta tt 8 0 0 .000 im V orjahr) eine m ögliche E n tlastung (FA Z 26 .5 .7 6 ). Z eichen der Zeit ist auch der städ tische Schuldenberg (GA 5 .3 .76 ).

Es w ar w ohl die nahe A ssoziation zw ischen S c h w e m m e und Über­schw em m ung , die das erstere W ort dazu geeignet m ach te , als K onkurren t von -balde und -berg in E rscheinung zu tre ten . Im Bilde b le ib t die eu ro ­päische M ilchschw em m e (FA Z 19 .5 .76). Ein B ericht über d ie B edarfs­prognose im F ran k fu rte r B atte lle-Institu t s teh t u n te r der Schlagzeile:“ Nach dem B utterberg je tz t die L ehrerschw em m e.” Ihr s teh t aber ein Lehrerm angel an Sonderschulen entgegen (GA 2 6 .7 .7 5 ). In der Frage einer d rohenden Ju ris ten sch w em m e sind die L änderjustizm in isterien pessim istisch, n ich t so das B undesjustizm inisterium (GA 21 .2 .7 6 ), doch g ib t es keine Theo logenschw em m e (GA 25 .3 .7 6 ).

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N ebenbei gesagt: von einer Z uckerschw em m e zu sprechen, w ie es schon geschah (FA Z 11 .6 .75), w idersp rich t den G esetzen der Physik. Berg und Halde m alen tre ffend die unbew eglichen L agerbestände einer Ü b erp ro d u k ­tion . Die B ew eglichkeit von M enschen, d ie zu den A rbeitsäm tern s trö ­m en oder in die vollen H örsäle, w o ihnen der N um erus clausus eine S tau ­m auer e rrich te t, all d ies k o m m t als K o n n o ta tio n d e r stilistischen E in­d ring lichkeit d e r K om posita au f -schw em m e sehr zu sta tten . Die L iquid i­tä t (auch hierin liegt ein Bezug au f das nasse E lem ent) der K red itin s titu te ist du rch eine anha ltende Sparein lagenschw em m e (FA Z 12 .4 .76) gesichert. Das beste B ankenjahr (1 9 7 5 ) der N achkriegszeit b rach te eine Ertrags­schw em m e (ebd .) m it sich.

Die zeitgesch ich tliche B etrachtungsw eise, die hier im Sinne einer d ynam i­schen W ortforschung angestreb t w ird , e rfo rd e rt ein R ückblenden au f die Zeit, als in d e r B undesrepublik die N o t s t a n d s g e se tze17 b e ra ten w urden (1965-68). Die dagegen P ro testierenden b ilde ten ein K uratorium N o tsta n d der D em okra tie (1968). Zu gleicher Zeit fand ein W andel des studen tischen Selbstverständnisses s ta tt , d er von den spö ttisch -tadelnden S tim m en dam als als A ufm üpfigkeit beze ichne t w urde , sachlich jedoch als ein E ngagem ent der bis dah in apo litischen S tuden tenschaft charak terisiert w erden m uss. Damals kam auch das W ort vom B ildungsno tstand au f. 18 Die M asznahm en zur A bhilfe b rach ten es m it sich, dass sich der A nteil an S tuden ten von 13.v.H. des A ltersjahrgangs, der 1965 neu inskrib ierte , auf 21 v.H. im Jah re 1975 e rh ö h t h a t (FA Z 3 0 .10 .75 ): der “ B ildungsnot­stand en tw icke lt sich zur K a tas tro p h e” lau te t eine Schlagzeile (GA 8.3.76), “ B ildungsnotstand oder N o tstand d e r G eb ilde ten?” heiszt es in einer anderen.

Solchen A larm m eldungen en tsp rich t eine w eitere Steigerung des gew ähl­ten Bildes, das den gleichen Sachverhalt neu schildern soll. “ Bald eine ‘Law ine’ arbeitsloser L ehrer?” lau te t die Frage der FA Z vom 8 .3 .76 an ­lässlich der B erich tersta ttung über eine Erklärung des V orsitzenden des D eutschen Philologenverbandes. Schon im Ju n i 1975 tau ch t die B ildungs­law ine als tre ffen d e r A usdruck auf, der in einem L eserbrief zur Bildungs­exp losion übersteigert w ird , um dann u n te r einem als H albbildungsexp lo­sion abqualifiz iert zu w erden . (FA Z 16 .6 .75).

ln der vo rw eihnachtlichen Zeit 1975 w ar m an in Bonn besorg t w egen der Postlaw ine und wegen der Verkehrslaw ine au f den Straszen in die Innenstad t. Die F lu t von w issenschaftlichen P ub likationen , als In fo rm a ­tionslaw ine (vgl. FA Z 2 7 .3 .74 ) b ek an n t, w ird w ohl in Z u k u n ft n u r durch au tom atische Indizierung bew ältig t w erden können . Die “ Papierlaw ine überrollt B onner V o lksvertre te r” (S chau fenster 19 .5 .76): eine “ A rt poli-

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tischer Torschlusspanik beschert den A bgeordneten eine w ahre Lawine an D rucksachen, V orlagen, S itzungspro toko llen und anderen Papieren .”

Negative A usw irkungen des w irtschaftlichen A bschw unges w urden im N ovem ber 1975 als B ildungsruinen und F orschungsruinen aufgezeigt; die Bauruinen stehen — ein vielsagendes Z usam m entreffen der A usdrücke — m it der K ostenexp losion (GA 19 .7 .74 ; FA Z 11 .7 .75 , dafür in anderer S icht K o sten k lem m e FA Z 12 .4 .76 ) in ursächlichem Z usam m enhang.

M alen L a w i n e und E x p l o s i o n eine K atastrophe, der d ie M ensch­heit ohne R ettung ausgeliefert ist, so stim m t das Bild der W e l l e über­all d o rt, wo sich d e r M ensch einer S tröm ung an v ertrau t. Die K om posita au f -welle ergeben daher in ihrer zeitlichen A bfolge ein B ilderbuch der V ergangenheit seit dem Ende des Z w eiten W eltkrieges.

Der N achho lbedarf der kargen Z eiten w ar zw eifellos die U rsache der er­sten Fresswelle. Laut “ Bild” vom 9 .7 .66 , das sich au f das am erikanische M agazin “ T im e” b e ru ft, haben die D eutschen nach der Fress-, A u to -, W ohnungs- und R eisew elle als le tz te W ohlstandssteigerung die Edelfress­welle für sich in A nspruch genom m en. Bis (2 1 .12 .62 registrierte “ Der V o lksw irt” ) (F ran k fu rt a.M .), S. 103, aus der W irtschaft die A u to m a tio n s ­welle, die Begabtenförderungsw elle und die F lu k tu a tio n sw e lle ; d ie letzte W ellenbewegung sei nun die Q ualitätswelle, m an könne aber auch das H erannahen einer G esundheitsw elle ausm achen. Zwei Jah re später schrieb der W iener K urier (2 0 .3 .6 4 ) über die G esundheitsaufklärungsw elle. Die G esundheitsw elle w ar schon früher von J. Eick in der FA Z vom 5 .5 .60 erw ähnt w orden.

K onrad W ünsche gab im ersten H eft der Z eitsch rift “ Praxis D eu tsch” (1973 ) einen R ückblick au f die religiöse Welle nach dem Krieg, die an ti­ko m m u n istisch e Welle, dann die R eform w elle , o ffen b a r in der Pädagogik, dann die A ngst-vor-der-R eform -W eile, die G anzheitsm ethode-W elle und die Synthetik-M ethode-W eile . 1966 w ird aus A m erika die astrologische Welle gem eldet, doch will m ir scheinen, dass diese bei uns schon m it den ersten D ruckerzeugnissen nach dem Krieg begonnen h a t, noch bevor die Bekleidungsw elle und die Bildungsw elle eingesetzt ha t.

Die M odeprägung d ring t auch in die W issenschaftssprache ein: 1968 no­tie rte ich m ir aus einem einschlägigen V ortrag , dass das linke U fer des R heines schon im ersten nachchristlichen Jah rh u n d e rt von einer ersten Urbanisierungswelle e rre ich t w urde. — Zurück in die G egenw art: als N achw irkung früherer Ereignisse gab es 1969 in Südtiro l eine ondata di arrestii, eine Verhaftungsw elle; die FA Z vom 9 .3 .76 b e rich te t über eine solche aus Südkorea, am 15.3 .76 fo lg te eine solche in G udscharat.

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1970 will m an in N iedersachsen m it audiovisuellen M itteln gegen die Fresswelle a rbe iten ; im gleichen Jah r geh t eine W eg-mit-den-alten-M öbeln- Welle du rch D eutsch lands W ohnungen: m an w ird ihnen bald im Z eichen der Nostalgiew elle (FA Z 10 .7 .75) nach trauern . Die Wellen haben es an sich, dass sie n ich t so bald abschw ellen und sich im m er w ieder d u rch d rin ­gen und übersch ich ten . So kam die D rogenw elle, und 1974 frag te m an (FA Z 25 .9 .7 4 ), ob die Fresswelle nun zu E nde gehe. W eit gefeh lt, auch w enn beinahe ein Jah r später w ieder dieselbe M eldung k o lp o r tie rt w ird (“ Fressw elle lässt n ach ” , GA 4 .7 .7 5 ). Am 21 .1 .76 k o n n te m an eine neue Welle aus d e r gleichen R ich tung registrieren:

“ Nach der Sexw elle, die schon w ieder a b lä u f t19, ohne d ie versprochene Befreiung von den V erk lem m theiten gebrach t zu haben20, ist je tz t, heiszt es, die grosze ‘Fressw elle’ über uns gekom m en .” Da diese M eldung in ei­ner K undenzeitsch rift “ küche & keller” die E inleitung b ilde t, k ö n n te der V erdach t au fkom m en , dass h ier pro d om o (oder besser: pro pop ina) ge­redet w ird. A ber am 19.5 .76 w eisz das “ S chau fenste r” zu berich ten :“ Die neue Fressw elle, eine von ausgesprochenem L uxuscharak ter, ist un ­gebrochen .” Ü ber die “ Ess- und E in rich tungsw elle” in der DDR gab es am 13.3 .74 eine Fernsehreportage aus Leipzig.

S turm w arnungen im Finanzw esen, doch auch u n te r dem gew ohn ten und vielleicht dafür zu harm losen Bild d e r Welle: “ B urns w arn t vor n eu er In­flationsw elle” (FA Z 28 .7 .75 ). “ P leitew elle ungeb rochen” ist die Schlag­zeile für die M eldung “ Die Welle von F irm enzusam m enbrüchen in der B undesrepublik ist noch ungeb rochen” (G A 11 .12 .75), aber die “ Spar- w elle flau t zum Jahresende ab ” (GA 30 .12 .75).

E rfreulicher ist die N ostalgiew elle (FA Z 2 8 .7 .7 5 ) au f der Bühne, die sich m it der D esasterw elle im Film (FA Z 6 .8 .7 5 ) überk reuzt. Der N u­m erus clausus an den H ochschulen löst schon bei den A bc-S chü tzen (in Bonn und U m gebung “ I-D ötzchen” geheiszen) eine Streberw elle aus (GA 14 .2 .75) und im M ärz ‘sch w ap p t’ die Ölwelle über, da die F u rch t vor einem Ö lem bargo zu einer Ü b erp ro d u k tio n geführt ha t. Für den 28 .6 . 75 w ird die erste R eisew elle d er U rlauber e rw arte t; w er daheim geblie­ben ist, sorgt in S p o rts tä tten und B äderanlagen, d ie eine Fitnessw elle ins Leben gerufen hat, für seine G esundheit. In der japan ischen A u to p ro ­d u k tio n ist d ie w eiche Welle ins R ollen gekom m en (FA Z 2 5 .6 .7 5 ), aber die H eroin-Schm uggler haben in diesem Ja h r m it der harten Welle zu rechnen (GA 14 .1 .1976), und für den M öbelm ark t w ird die englische Welle e rw arte t. “ D eutsche A u to fab rik a te s toppen A usländerw elle '' ist d ie Bi­lanz 1975 des A utom obilgeschäfts in d e r B undesrepublik (FA Z 18 .2 .76). A uch in A frika “ ro llt d ie M otorisierungsw elle" (M annheim er M orgen

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12.3 .76), aber bei B estecken “ ro llt d ie K eram ikw elle” : “die N ostalgie­w elle h a t sie w ieder hochgespült — Bestecke m it K eram ikgriffen ..” (T iro­ler Tageszeitung 23 .3 .76 ).

D er Scheidungs-“ R ek o rd ” im “ verflix ten 7. J a h r” e iner Schlagzeile am3.3 .76 verd ich te t sich schon am kom m enden Tag zum Schlagw ort von d er A lte-E hen-Scheidungsw elle , aber für d ie “ Welle der in te rna tiona len A nerkennung des N eto-R egim es” in A ngola (GA 19 .2 .76) lässt sich ein en tsp rechendes verkürztes Schlagw ort n ich t finden ; es w ird w ohl auch n ich t b enö tig t. “ N eu für die Post sind B otschaften aus den U rlaubsorten ... es schw appt eine ‘neue Telegram m -W elle’ in die P o stäm te r..” 21 (GA2 4 .1 2 .7 5 ). “ Der M ünchener SPD -Streit löst A ustrittsw elle aus” (GA2 7 .3 .7 6 ); die “ W elt” b rach te am 13.3 .76 die M eldung über fo rtgese tz ten B o y k o tt W est-Berlins u n te r d e r Schlagzeile “ Die B oykottw elle b ran d e t h ö h e r” .22

A ndere E inbettungen des b ild h aften A usdrucks in seine ursprünglichen w esenhaften B eziehungen finden sich im F eu ille ton -A rtike l von Jochen Schm id t d e r FA Z vom 19 .5 .76 : “ W ellenreiten au f der M ahler-W oge”[des K om ponisten G ustav M ahler], in dem von Kitsch die R ede ist und ein “ vages, sen tim entales Baden in der Woge m usikalischer N ostalg ie” ge­tad e lt w ird.

Eine M eldung des W iener “ K uriers” vom 22 .1 .76 über ein H ochstap ler­paar m ach t stu tzig : “ Falsche Prinzen au f K losterw elle” . Sollte hier ein b o d e n s tä n d ig e s« « /K losterw alz (zu w allen = ‘w an d ern ’) falsch verhoch- sp rach lich t w orden sein? H at m an hier die ‘W alz(e)’m it einer hom onym en ‘Welle’ gleichgesetzt?

Dreiszig Jah re F rieden in E uropa haben das W ort K r i e g verharm losen helfen . Schlagzeile: “ Ein K affeekrieg m it U hren und L ö ffe ln” (FA Z 18.11.75). Der A rtikel w en d e t sich gegen die K opplungsangebote von ‘Mit- geh-A rtikeln ’ in zwei konk u rrie ren d en K affeegeschäften in d e r B undes­republik . Das W eihnachtsgeschäft führte zum “ S tollenkrieg zw ischen Ost und W est” , ausgelöst du rch ein B illigstangebot von C hriststo llen aus D resden (GA 23 .1 2 .7 5 ). M it dem S ch lach tru f ‘H ygiene’ w urde im ver­gangenen S ep tem ber in der B undesw ehr der Sockenkrieg en tfesselt, der aber durch eine Ä nderung der B ekleidungsrichtlinien beigelegt w erden ko n n te . “ Preiseinbrüche an allen F ro n te n ” in d e r E isen industrie — die Schlagzeile (FA Z 16 .7 .75) e rinnert n u r noch die ä ltere G enera tion u n te r uns an den b lu tigen E rnst der K riegsjahre. “ Preiskrieg der Ö lländer” ist beunruh igender, s teh t aber noch im W irtschaftsteil (FA Z 2 .8 .75 ). E rnste­re M eldungen gab es am 5.3 .76 aus F rankre ich : Zwei T o te im französi­schen Weinkrieg. Die E ntscheidung im “ B ocksbeutelkrieg” (FA Z 6 .5 .75)

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fällte der B undesgerichtshof: portugiesischer Wein d a rf dem nach n ich t in B ocksbeutelflaschen verkauft w erden. A uch “ an d e r Bier- und B ock­w u rs tfro n t w ird w eite rg ek äm p ft” (FA Z 8 .7 .75 ). “ Der Fischereikrieg zw ischen Island und G roszbritann ien ist w ieder voll im G ange” (Welt15 .5 .76): “ Island b ring t F ischkrieg23 vor die N A T O .” Fach leu te aus der B aubranche w issen um den “ Z w eiten W estfälischen Z em entk rieg” der Jah re nach 1973. “ Einen D ritten W estfälischen Z em entkrieg w ird es freilich n ich t m ehr geb en ” , weisz FA Z vom 5 .6 .76 im voraus. A ber der “ S trum pfhosenkrieg geh t w e ite r” : das H am burger L andgericht h a t eine E ntscheidung in dem S trum pfkrieg gefällt und eine einstw eilige V erfü­gung bew irk t, w odurch einige W erbeaussagen un tersag t w erden , FA Z13.4 .76. Der “ S chnakenkrieg” am O berrhein ist m it der B efürchtung ver­bunden , dass biologische Schäden en ts teh en k ö n n ten (FA Z 7 .4 .76 ).Beim “ H ähnchenkrieg” geh t es um den m axim alen W assergehalt in tie f­gekühlten H ähnchen (GA 2 7 .2 .7 6 ). Aus betrieb lichen und po litischen W ahlkäm pfen stam m en die Schlagzeilen: “ A bnu tzungssch lach t m it neuen M ännern” (FA Z 10 .7 .75) und “ Z w eifron tenkrieg gegen Spaniens G ew erk­schaftsbü rok ra ten” (FA Z 7 .7 .75 ), aus dem G erichtssaal die “ juristische A rdennen-O ffensive” im B ader-M einhof-Prozess (Welt 24 .8 .75 ).

M anche W örter und A usdrücke aus d e r K riegszeit haben sich in der S p o rt­sprache gehalten . V ergessen ist das E lend d e r K ellerkinder in den Bom­bennäch ten ; K ellerk inder sind o ffen b ar im S portjargon V ereine, die bei M eisterschaften au f d e r Liste u n ten an stehen (FA Z 25 .8 .7 5 ; GA 26 .1 .76 ). Ein A bstieg au f der Liste w ird als G ruben-U nglück angesehen (GA 6.4.76). Da gingen die L ich ter aus.. (GA 2 6 .1 .7 6 , vgl. GA 2 3 .7 .75 ) h a t in e iner Sportm eldung den Sinn einer W ende des Spielerglücks; n ich t jeder jugendliche K äm pfer au f dem Fussballp latz d en k t bei dieser R edensart an die V erdunk lung als erste M asznahm e gegen Fliegerangriffe. A m B o­den zerstört..., gleichfalls eine M eldung im Z usam m enhang m it dem L u ft­k rieg 24 , ist für den Fussballspieler A usdruck der E n ttäuschung des T o r­w arts , der über ein T o r niedergeschlagen, dep rim iert, vern ich te t ist.

D ieser gleichen, g lücklicheren Jugend h a tte T h eo d o r Heuss, als er einem M anöver be iw ohn te , zugerufen: N un siegt m al sch ö n \, was, w ie J . S tave25 es darste llt, “ für die anw esende G enera litä t schock ierend” w ar. D ieser A usspruch, o f t v a riie rt26 , ist selbst im Sinne des V aters geäuszert, der seine K inder in den G arten schickt: N un spielt m an schön l Die V erkleine­rung der M aszstäbe des M anöver'geschehens’ au f das Spiel im S andkasten zusam m en m it dem väterlichen T on , der d a m itschw ang, w aren dazu an ­getan , diesem W ort des B undespräsidenten den W ert einer C harak te ris tik seiner Person und seiner Ä ra zu verleihen, der jede m issbräuchliche w ortsp ie lende V erw endung nur A bbruch tu n muss.

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J. Stave h a t das “ übertragene Z ita t” , das o f t zu r Parodie füh rt, als “ eine bezeichnende E igenart des gegenw ärtigen S prachgebrauchs” h ingestellt und au f dieses “ beziehungsreiche Spiel m it W orten und Z ita te n ” als H au p tm itte l der Ironie, w ie sie im “ Spiegel” dom in ie rt, h ingew iesen. Er hat auch die S prachkunst des K abare tts als d ie Q uelle solcher stilistischen K ünste erkann t. A uf das rech te Masz einer w eiterw irkenden Sprachschöp- fung gebrach t, erw eist sich das Spiel m it sem antischen A ssoziationen und die Variation von Schlagw ort und Schlagzeile als ein M itte l, im Z eitungs­stil einer E rstarrung zu Pap ierdeutsch entgegenzuw irken.

A nm erkungen

A bkürzungen für die Q uellen FA Z (F ran k fu rte r A llgem eine Z eitung),GA (G eneralanzeiger, B onn).

1 W. Dieckmann, Sprache in der Politik. Heidelberg 1969, S. 101. Vgl. zur negativen Bewertung der Zeitungssprache auch Hans Eich, Sprache und Stil der deutschen Presse. München 1956. Man hat sich, soweit ich sehe, zwar m it der Sprache in der “ Bildzeitung” , nicht aber in den führenden Organen der bundesdeutschen Presse befasst.

2 O. Ladendorf, Schlagwörterstudien, in: Zs.f.d.dt.U nterricht 24 (1910), 473-481; zuerst a\s Bülowblock (gegen Zentrum und Sozialdemokraten), den 1909 der Schwarzblaue Block (Zentrum und Konservative) ablöste.

3 Auch hier geht es nicht um eine zufällige Bedeutungserweiterung, sondern um die sinnvolle Ausweitung auf die politischen Verhältnisse in einer kleiner werdenden Welt wechselseitiger Abhängigkeiten, deren politische Aktivitäten man m it Hans August Lücker als Weltinnenpolitik bezeichnen kann (s. den Artikel “ W eltinnenpolitiker” in der FAZ v. 20.2.1976).

4 Hinzuweisen ist hierfür auf die Sammlungen von W. Wannemacher: Vivisek­tion der Schlagwörter, 1969, auf das 1968 nachgedruckte Historische Schlagt Wörterbuch von O tto Ladendorf (1906) und auf das noch ältere Werk von R.M. Meyer, 1400 Schlagworte (1900). Ernst-Günther Geyl verlangt (Sprach- dienst 19, 1975, 16) nach einem “ umfassenden, monographisch angelegten W örterbuch politischer Leerformeln und Schlagwörter” .

5 O. Ladendorf [Anm. 2]. Die vorwiegend kritische Einstellung gegenüber der Ausdrucksweise in der Presse wird als Nachwirkung des auf die hohe Litera­tu r festgelegten Normbewusstseins der früheren Germanistik angesehen, ln den nachfolgenden Ausführungen soll aber gerade auf die brauchbaren und manchmal sogar vorbildlichen Sprachneuerungen verwiesen werden, die bei der Experim entierfreudigkeit m oderner Literaten vielleicht für künftig einen besseren Rückhalt guter Ausdrucksformen darstellen können. Gegen Vorwürfe an die Adresse des Rundfunks wendet sich m it guten Gründen F. Brühl (Sprachdienst 19, 1975, 105 f.): “ Gewohnt, als Journalist vielfach von vornherein zu den Sprachverderbern gerechnet zu werden, meine ich doch wenigstens auf ein paar Bedingungen hinweisen zu sollen, unter denen unser

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Beruf angetreten ist, um schnelle, zuverlässige und farbige Inform ationen liefern zu können.”

6 Diesen Hinweis verdanke ich meinem Schüler Dr. Armin Ader (Bonn).

7 Laut einem “ Neuen Bonner W örterbuch” (hektogr.), S. 4, auf den SPD- Bundesgeschäftsführer Börner zurückgehend. Für die Zusendung danke ich Herrn Prof. Dr. Ulrich Crämer.

8 Beziehungsreicher verwendet die gleiche Schlagzeile Der Rubel rollt der “ Spiegel” vom 4.8.75.

9 Unter der Überschrift Mao-Make-up macht M ode (aus “Marianne” , Beilage zum Wiener “ Kurier” vom 27.3.76) ist zu lesen: “ Die tonangebenden Visa­gisten jedoch sind auf den Fernen Osten eingestellt — eine Modelinie, die bei der Damenbekleidung vor einem Jahr Schlagzeilen m achte” .

10 Nach Heinz Küpper, Handliches W örterbuch der deutschen Alltagssprache. Hamburg 1968, s.v. — “ Die grosz angelegte ‘Krawattenm uffel’-Aktion und der Übergang vom schmalen Kulturstrick zur breiten Krawatte brachte der Branche zwar vorübergehend einen Absatzboom, doch fehlen je tz t neue Impulse” , charakterisiert die GA am 11.6.76 die heutige Marktlage unter der Überschrift: “ Die Krawattenindustrie m uffelt. ”

11 Alt ist selbstbewusst, als self-conscious im Englischen schon 1697 belegt (OED, s.v.). Ob die Mode der Wortbildung aus dem Englischen kommt, konnte ich nicht feststellen. Jedenfalls findet sich der jetzige Sinn schon in “ the teaching profession became m ethod-conscious” , das ich mir aus C.J. Dodson: The bilingual m ethod. Aberystwyth 1962, S. 6, notiert habe. Soll­te die Existenzphilosophie mit ihrer Reflexion des Selbstbewusstseins letzt­lich diese Neubildungen ins Leben gerufen haben?

12 In der “ Frau im Spiegel” (25.3.76) sind die Frauen kalorienbewusst.

13 Gerhard Zwerenz, in: Vernünftiger schreiben, hg. v. Ingeborg Drewitz und E. Reuter. Frankfurt (M.) 1974, S. 127.

14 Die Verwendung des Slogans für Konfliktsituationen kom mt nachweislich auf dem Umweg über die Sportreportage zustande: Der nächste Reiterkrieg kom m t bestim mt, hiesz es schon am 2.1 .TS in der FAZ.

15 Nur in loser Verbindung ist dies möglich, vgl. die Schlagzeile “Joumalisten- ausbildung für die ‘Halde’?” (FAZ 24.3.76).

16 Er umfasst in den staatlichen lnterventionslägern der Europäischen Gemein­schaft an der Wende von 1975/76 schon 1,2 Millionen Tonnen, und diese “Magermilchpulverhalde” (FAZ 28.2.76) schwillt jede Woche um weitere12.000 Tonnen an. Für die Entwicklungsländer haben neuere Erkenntnisse keine “ Eiweiszlücke” sondern vielmehr eine Eiweiszüberversorgung, jedoch ein Energiedefizit durch unzureichende Zufuhr von Kalorien erm ittelt (FAZ 27.8.75). — Zum Thema Berg vgl. auch Sprachdienst 20 (1976), 83 f.

17 Der Rechtsausdruck Notstand hat seinen Vorläufer in Talhoffers Fechtbuch (1467), wo in Tafel 77 der “ recht stand in der N o tt” (die in der Abwehr eingenommene Haltung) gezeigt wird und in Tafel 42 "Ain N otstand für den Stich oben und vnden” (die Garde gegen den oberen und unteren Stosz).

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18 Im weiteren Umkreis des gleichen Sachbereichs noch: Beratungsnotstand (FAZ 5.11.73), “ Kein Lesenotstand während der Ferien” (da zahlreiche Büchereien geöffnet sind: GA 25.7.75) und Ausdrucks-Notstand (Sprach- dienst 19, 1975, 167 a), dies von Ausdrucksnot weiter abgeleitet. — Aus GA vom 8.7.75 erfährt man, dass der Telefon-Notstand m it dem N otstand der Straszenplanuug zusammenhängt: die Einrichtung von Anschlüssen ist teils von Straszenbaumasznahmen abhängig.

19 Vgl. auch die Meldung im Wiener “ Kurier" vom 23.4.74: “ Pornowelle verebbt”.

20 Eine sprachliche Auswirkung ist es, wenn eine Meldung über die Pflicht zum Tragen von Sturzhelm en und die Anlegepflicht für Sicherheitsgurte m it “ Kein Buszgeld bei ‘oben ohne’ ” (FAZ 14.8.75) überschrieben wird.

21 “ Spiegel" Nr. 6 (1976) lässt auch eine “W interwelle” von den Alpen bis Ameri­ka schwappen. Es handelt sich um eine Darstellung der Geschichte der jüng­sten Olympischen Winterspiele.

22 Den Hinweis verdanke ich Prof. Gustav Korlen.

23 Er wurde auch “ Kabeljau-Krieg” genannt (GA 19.3.76).

24 Sie hat im Sechstage-Krieg eine Aktualisierung erfahren: “ Am Boden zer­stört: drei ägyptische Düsenjäger auf einem Flugplatz in der Nähe von Kairo. Schon am zweiten Tag war die Luftwaffe der arabischen Staaten ausgeschal­te t .”

25 Joachim Stave, Wo der Büchmann aufhört. In: M uttersprache 77 (1967), 216 ff.

26 Beispiele bei Stave, ebd., dazu neuerdings: “ Nun prügelt euch mal schön” , sagte Regisseur Christian-Jaque zu Brigitte Bardot (36) und Claudia Cardinale (33). Der Zweikampf der Busenstars ist der H öhepunkt des Wildwestfilms..” (Stern 10.10.71), ferner: “ Nu gewinnen Se mal schön, Herr Schön" (Fuszball- m eldungGA 19.5.76) und: “ Dann zahlt man schön” : für die Leistungen des Staates müsse der Bürger zahlen (FAZ 5.6.76).

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LUDWIG JÄ G E R

Erkenntnistheoretische Grundfragen der Sprachgeschichts­schreibung

Thesen1

1. Die E rö rterung epistem ologischer P roblem e einer einzelw issenschaft­lichen D isziplin in ten d ie r t gem einhin die K lärung solcher theo re tischer G rundkategorien , die im ‘norm alw issenschaftlichen’ Forschungsverlauf dieser D isziplin im m er schon als gek lärte u n te rs te llt w erden. D ie N otw en­digkeit der K lärung th eo re tischer G rundbegriffe einer E inzelw issenschaft erg ib t sich im m er dann, w enn das Paradigm a, in dessen system atischen R ahm en sie defin iert sind, in eine K rise2 gerät, u n d dam it diese Begriffe selbst p rob lem atisch w erden. Insofern ich h ier im Folgenden für die N o t­w endigkeit einer e rkenn tn is theo re tischen D iskussion d e r theo re tischen V oraussetzungen der Sprachgeschichtsschreibung argum entieren m öch te , beh au p te ich also zugleich, daß sich die Sprachgeschichtsschreibung in einer tiefgre ifenden Krise befindet.

2. V ersucht m an sich den w issenschaftstheoretischen und epistem ologi- schen O rt der neueren Sprachgeschichtsschreibung vor dem H in tergrund der aktuellen S itua tion des geschichtlichen D enkens überhaup t nach ihrem Selbstverständnis zu vergegenw ärtigen, so sieht m an sich einem eigentüm ­lichen W iderspruch k o n fro n tie r t: W ährend sich d ie allgem eine H isto rio ­grafie in einer G rundlagenkrise w e i ß und diese d u rch eine “ system ati­sierte Selbstreflex ion der G eschich tsw issenschaft”3 in einer zu rek o n s tru ­ierenden H isto rik4 w iederaufheben will, ist die Sprachgeschichtsschreibung in ihrere Selbsteinschätzung von K risenb e w u ß t s e i n und S e l b s t - reflexionszw ang unberührt.

3. Dieses unkritische Selbstbew ußtsein der neueren H istoriografie derSprache m uß aber anchron istisch anm uten , w enn m an sich vor A ugen hält,daß die Krise des geschichtlichen D enkens n ich t nur, w ie e tw a T roeltschm einte, eine Krise lediglich der G eschichtsp h i 1 o s o p h i e is t5 , sonderneine, die gerade auch die technisch-h isto rische F o r s c h u n g e rfaß t h a t6 . Mit dem Z usam m enbruch sow ohl d e rh i s t o r i s t i s c h e n G eschichts­idee — in deren R ahm en die G eschichtsw issenschaft allgem ein k o n stitu ie rt war —, als auch der n a t u r a l i s t i s c h - d e t e r m i n i s t i s c h e n Ge­sch ichtsauffassung7 , die als erkenn tn is theo re tisches Paradigm a der h is to ­rischen L inguistik un d der Sprachgeschichtsschreibung in d e r zw eiten

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H älfte des 19. Jah rh u n d erts u n d zu Beginn des 20. Jah rh u n d erts fungier­te 8 , w urde die neuere S prachgeschichtsschreibung jen e r gesch ich tstheore­tischen G rundlage beraub t, die, obgleich sie n ich t au f e iner eigenständigen geschichtsphilosophischen R eflex ion beruh te , gleichw ohl als eine Logik der Forschung die m ethod ischen V erfahren der h is to rischen A rbeit der ä lte ren Sprachgeschichtsschreibung m ethodologisch legitim iert ha tte .

4. T ro tz dieses V e r l u s t e s e i n e r g e s c h i c h t s t h e o r e t i ­s c h e n F u n d i e r u n g , der d u rch den U m stand noch verschärft w u r­de, daß, m it dem zu Beginn dieses Jah rh u n d e rts e insetzenden A useinan­d e rtre ten von S prach theorie un d T heorie d e r Sprachgesch ich te9 , diese den A nschluß an die sp rach theo re tische D iskussion verlor und dam it auch über k e i n e e x p l i z i t e s p r a c h t h e o r e t i s c h e G r u n d l a g e m ehr verfügt, s teh t die neuere H istoriografie der Sprache bei H ir t10, Bach11, M oser12, T sch irsch13, E ggers14 und v. P o lenz15 m e t h o d i s c h in der— durch keinerlei epistem ogische R eflex ion gebrochenen — K o n tin u itä t der Sprachgeschichtsschreibung des 19. Jah rh u n d e rts . O bgleich also das erkenn tn istheo re tische Paradigm a des Positivism us an seinen A porien ge­scheitert ist, hält die neuere H istoriografie der Sprache an den f o r ­s c h u n g s p r a k t i s c h e n M a x i m e n der in diesem Paradigm a k o n stitu ie rten Sprachgeschichtsschreibung fest und ignoriert den U m stand, daß d ie d o rt zugrundegelegte Sprach- und G eschichtsidee ihre norm ative V erb ind lichkeit längst verloren hat.

5. Es sind vor allem drei M om ente, in denen sich d ie expliz ite m ethodische und die im plizite e rk en n tn is theo re tische A bhängigkeit der neueren H isto­riografie der Sprache von der ä lteren S prachgeschichtsschreibung o ffen b art: a) in ih rer allgem einen A u f g a b e n s t e l l u n g , b) in ihrem historio- grafischen S t r u k t u r p r i n z i p und schließlich c) in ih rer sprach- und gesch ich tstheoretischen B e g r i f f l i c h k e i t .

a) In ihrer A ufgabenbestim m ung übern im m t sie den im w eitesten Sinne geistes- bzw . sozialw issenschaftlichen A n sa tz16, w ie er bei J . G rim m 17 un d in dessen N achfolge bei Scherer und den Ju n g g ram m atik ern 18 en t­w ickelt w orden w ar, ohne allerdings den sich w andelnden geschich tsph i­losophischen K o n tex t zu b each ten , in dem dieser A nsatz bei G rim m und bei Scherer je defin iert w ar, un d o h n e ihrerseits den S i n n e i n e r E r ­z e u g u n g s p r a c h g e s c h i c h t l i c h e n W i s s e n s geschichts­theo re tisch zu klären.

b) Als Periodisierungsprinzip der Sprachgeschichte übern im m t sie explizit die an “ lau tlichen G esich tspunk ten” o rien tie rte “ herköm m liche E intei-

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lung” 19der ä lteren Sprachhistoriografie und b eh au p te t deren N e u t r a ­l i t ä t gegenüber jedw edem gesch ich tstheore tischen A n sa tz20 , o h n e sich zu B ew ußtsein zu bringen, daß sich erst im H orizon t e iner expliziten Ge­sch ich tstheorie die h istorischen D aten als solche konstitu ie ren und in einen s tru k tu rie rten zeitlichen Zusam m enhang bringen lassen 21.

c) Der M angel einer eigenen expliz iten Sprach- u n d G esch ich tstheorie und die im plizite und dam it u n reflek tie rte B ezogenheit au f das an seinen A po- rien gescheiterte E rkenntnis-Paradigm a des ä lteren Positivism us m ach t sich für die neuere Sprachgeschichtsschreibung besonders gravierend in ihrer theo re tischen B egrifflichkeit bem erkbar, die durch einen w illkürlichen E klektizism us charak terisiert ist. So geh t sie bei der theo re tischen E rfas­sung des B e d e u t u n g s w a n d e l s noch w eith in von d e r sp rach theo- re tisch un h a ltb aren A nnahm e “e i n e r G ru n d b ed eu tu n g ” 22, bzw . einer “ a lten ” und “ursprünglichen” B edeu tung23 aus, d ie als “ kon k re te A us­gangsbedeu tung”24 noch durch einen “ sa tten B ildgehalt” und durch “ sinnliche A nschauungsk raft” 25 b estim m t sei. V on hier aus w ird dann Be­deu tungsw andel in so fragwürdigen K ategorien w ie “ V erengerung” , “ V er­sch lech terung”26 bzw . “ W ertm inderung”27 der B edeutung e rfaß t, K ate­gorien, die d ie “ U rb edeu tung” als ü b e r - u n d a u ß e r g e s c h i c h t ­l i c h e V e r g l e i c h s n o r m un te rste llen müssen. H ier liegt auch das M otiv für die ku lturpessim istisch-konservative Klage über den ‘V erschleiß’ der Sprache durch die “M assenhaftigkeit der sprachlichen K om m unika­tio n ” 28. A uf gesch ich tstheore tischem G ebiet ist der A nsatz der neueren Sprachhisto riografie w eitgehend d u rch einen la ten ten D e t e r m i n i s ­m u s bestim m t, der en tw eder in bio logischer o d e r in kausalistischer, bzw . te leologischer F orm a u ftr it t. So b esteh t e tw a für H irt kein Zw eifel daran , “ daß auch der B edeutungsw andel n ich t regellos e in tr itt , daß er vielm ehr G esetzen g eh o rch t” 29. T schirsch u n te rs te llt der G eschichte der Sprache eine teleologische “ S innhaftigkeit ihres A blau fs” und eine “ Z ielgerich tet­heit ihrer dauernden W andlungen” 30. Und A. Bach begreift in seinem reak tionär-vo lkskundlichen A n sa tz31 den “d t. G eist” als geschichtsm äch­tige K raft, d er sich die deu tsche Sprache “ als in sch icksalerhafter E n t­w icklung gew achsene F ru c h t” 313 verdank t, w obei der “deu tsche G eist” als ein in “ G eschichte und R au m ” sich en tfa lten d es “biologisches Erbge- füge” 32 gedacht ist. Am ek la tan tes ten t r i t t die begriffliche und th eo re ­tische U nreflek tie rthe it da auf, w o die neuere Sprachgeschichtsschrei­bung g laubt einen ‘ s o z i o l o g i s c h e n ’ bzw . ‘sozialgesch ich tlichen’ A nsatz zu vertre ten 33 in W ahrheit aber lediglich jene “ v o l k s k u n d ­l i c h e ”34 P o s i t i o n perp e tu ie rt, die nach der Pervertierung d e r ro ­m antischen V olks-Idee in der w ilhelm inischen Ä ra w ährend des deu tschen Faschism us in eine “ H errenm enschen-T heorie” 35 m ündete. So u n te rsch e i­

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den etw a Bach und Eggers im A nschluß an H. N aum anns “Prim itive G em einschaftsku ltu r” und die d o rt v ertre tene “ Z w eisch ich ten theo rie”36 zw ischen “geistlicher und w eltlicher F ü h r e r s c h i c h t ” einerseits und den geführten “b re iten M assen” 37 andererseits. E benso aporetisch ist die — auch in der T rad itio n der V olkskunde s tehende — A nnahm e einer ein tausendzw eihundertjäh rigen Id en titä t des “unverfälsch te(n) D eu tsch ” als einer N a t i o n a l spräche, d ie sich “ in ungebrochenem F luß k o n ti­nuierlich und organisch en tw icke lt h a t” 38. G erade u n te r sozialgeschicht­licher Perspektive zeigt sich näm lich, daß d ie “ N a tio n ” im m odernen Sinne “eine h isto rische E rfindung der le tz ten zw eihundert Ja h re ” ist 39 und daß deshalb der B egriff der N ation n ich t e infach n a i v - r e p r o j e k - t i v dazu verw endet w erden kann, der Sprachgeschichtsschreibung die Id en titä t ihres G egenstandes N ationalsprache zu sichern.

6 . Der desolate Z ustand des theore tischen R ahm ens der Sprachgeschichts­schreibung, der ein A usdruck ihrer Krise ist, m ach t die e rk en n tn is th eo re ­tische R eflex ion ih rer G rundbegriffe unum gänglich . Ehe deshalb, w ie dies etw a H. Isenberg versucht, eine “T heorie d e r S prachgesch ich te” en tw icke lt w erden kann, die eine A nalyse ‘in te rn e r Sprachw andlungsprozesse’ in ihrer B eziehung zu ‘ex te rnen Sprachentw ick lungsprozessen’ erm öglichen soll4 0 , m uß eine epistem ologische R eflexion vorgängig vor allem den Begriff der G e s c h i c h t e selber klären und von hier aus die K ategorie der G e - s c h i c h t l i c h k e i t d e r S p r a c h e 41 e inerseits und den S i n n e i n e r E r z e u g u n g s p r a c h g e s c h i c h t l i c h e n W i s s e n s und d am it die A ufgabe der Sprachgeschichtsschreibung andererseits näher bestim m en.

7. Wie J. R it te r42, H. Schelsky 43 Th. N ip p erd ey 44 und vor allem R. Kosellek in verschiedenen A nalysen gezeigt hab en 45, h a t sich das neuzeit­liche G eschich tsbew ußtsein und -Verständnis im Zuge des fundam enta len Bruchs k o n stitu ie rt, m it dem sich die m oderne bürgerlich-industrielle G e­sellschaft “ aus den ihr vorgegebenen geschichtlichen H erk u n ftsw e lten ”46 em anzip iert hat. Im Zuge dieser sozialgeschichtlichen Bewegung, die m it der A uflösung der ständischen W elt und m it dem Z usam m enbruch tradi- tionaler m etaphysischer und religiöser D ogm en verknüpft w ar, verlor die a lte “ H isto ria” als “ M agistra V itae” 47 und m it ihr eine “ n a tu ra le” und “ chronologische” Z e iterfah rung48 ihre norm ative, hand lungsorien tierende V erbindlichkeit und e rö ffn e te dam it den R aum für eine ‘den a tu ra lis ie rte ’ Z eiterfahrung, für ein “ neues Z eitbew ußtsein , das B ew ußtsein einer o ffenen und der H errschaft des M enschen überan tw orte ten Z u k u n ft” 49. M it dem V erlust jedoch einer trad itiona l ungebrochenen V erknüpfung von V ergan­

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genheit und Z u k u n ft du rch eine m a g i s t r a l e H i s t o r i e verlor die G eschichte zugleich ihren naturw üchsig-kontinu ierlichen Zusam m enhang, ja sie ist als G e s c h i c h t e gerade dad u rch bestim m t, daß ih r Z usam m en­hang n ich t gegeben ist, sondern der R ek o n stru k tio n b ed arf: G eschichte k o n stitu ie rt sich erst im transzenden ta len R ahm en des Wissens von ih r50.

8 . D am it ist auch der system atische O rt b en an n t, an dem die neuzeitliche W issenschaft ihre B estim m ung erhält: als eine von einer dogm atisch in der G egenw art fo rtw irk en d en V ergangenheit fre igesetzte V ernun ft, rek o n ­stru ie rt sie die m it der “ E n tzw eiung” 51 von G egenw art und V ergangen­he it verlorengegangene T o t a 1 i t ä t der G eschichte als “ K o n t i n u i - t ä t ” 52 im Interesse einer vernunftbegründeten H andlungsorien tierung innerhalb des nun prinzipiell o ffenen Z ukun ftsho rizon tes. N un h a t aller­dings die neuzeitliche W issenschaft die ihr m it dem Z usam m enbruch der m agistralen G eschichte zugefallene A ufgabe durchaus n ich t e inheitlich in A ngriff genom m en: W ährend näm lich die szientifische V ernun ft die ver­lorene E inheit der G eschichte u n te r dem transzenden ta len G esich tspunk t m öglicher t e c h n i s c h e r V e r f ü g u n g als kausalm echanischen Z u­sam m enhang rek o n s tru ie rt und sich m ethodo log isch als e r k l ä r e n d e S c i e n c e k o n stitu ie rt, w ird die verlo rene E inheit der G esch ich te von der gesch ich tlichen V ernun ft u n te r dem transzenden ta len G esich tspunk t e iner m öglichen I n t e r s u b j e k t i v i t ä t h a n d l u n g s o r i e n ­t i e r e n d e r S e l b s t v e r s t ä n d i g u n g als verstandene K o n ti­nu itä t rek o n s tru ie rt; d ie geschichtliche V ern u n ft k o n stitu ie rt sich inso­fe rn m ethodolog isch als h e r m e n e u t i s c h e G e i s t e s - bzw . S o ­z i a l w i s s e n s c h a f t .53

9. V or dem H in tergrund dieser geistes- und sozialgeschichtlichen Bewe­gung h a t sich nun die S prachgeschichtsschreibung des späten 19. Jah rh u n ­derts im paradigm atischen R ahm en der szientifischen V ernun ft als erk lä­rende W issenschaft k o n stitu ie rt. Sie faß te d ie G e s c h i c h t l i c h k e i t der Sprache als deren k a u s a l - g e n e t i s c h e E n tw ick lungsstruk tu r auf, u n d sie sah den S i n n e i n e r E r z e u g u n g s p r a c h g e - s c h i c h t l i c h e n W i s s e n s in der induk tiven G ew innung der Ge­setze, d u rch die jene E n tw ick lungsstruk tu r b es tim m t ist.

10. E ine erk en n tn is th eo re tisch e R eflexion des der Sprachgeschichts­schreibung zugrundeliegenden Begriffes der G e s c h i c h t e und eine von hier aus vorgenom m ene K lärung der K ategorie der G e s c h i c h t ­l i c h k e i t d e r S p r a c h e einerseits und des S i n n e s e i n e r E r z e u g u n g s p r a c h g e s c h i c h t l i c h e n W i s s e n s anderer­seits m uß, w ill sie n ich t den A porien eines szientifischen G esch ich tsbe­

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griffes aufsitzen , das P roblem der G eschichte w ieder d a aufnehm en , w o es zum ersten Mal in p rinzip ieller Weise herm eneu tisch fo rm u lie rt w orden ist: in W ilhelm von H um bold ts A bhandlung “ Über die A ufgabe des G eschichts­schreibers” von 1821 54. H um bo ld t h a t h ier sow ohl das P roblem der Ge­sch ich tlichkeit geistesw issenschaftlicher G egenstände, als auch das tran s­zenden ta le Interesse h isto rischer E rkenn tn is in e iner Weise d isk u tie rt, w ie sie noch h eu te der Logik der S prachgeschichtsschreibung zugrundegelegt w erden kann: zum einen exp liz iert H um bo ld t den Z usam m enhang der G eschichte w eder — w ie C om te — als A usdruck ih rer kausalgesetzlichen D e term in ie rthe it, noch — wie Hegel — als E rgebnis ih rer te leologischen S tru k tu r, sondern er rek o n s tru ie rt ihn in ih ren G esta ltungen als P ro d u k t der A rbeit derer, die im R aum der G eschichte diese frei, d .h . unabhängig von jeder kausalen, teleologischen oder sonstigen determ in istischen B estim ­m ung hervorbringen. Als solche K o n tin u itä t ku ltu re ller E n täußerungen m enschlicher A rbeit ist sie G egenstand der G eistesw issenschaften . Im R ah ­m en dieser allgem einen B estim m ung der K ategorie der G esch ich tlichkeit faß t H u m b o ld t auch die G esch ich tlichkeit der Sprache als eine h isto risch­gesellschaftlich verm itte lte , freie Synthesis von Sinn.

Zum zw eiten sind diese ku ltu rellen bzw . sprachlichen E n täußerungen als G egenstände h is to rischer E rkenn tn is n ich t in re iner B eobachtung gegeben. Sie bedürfen vielm ehr, um in ih rer K o n tin u itä t ergriffen zu w erden , m it Hegel zu reden, der A nstrengung des Begriffs, allerdings n ich t eines Be­griffes, d e r — so H u m b o ld t — “ der G eschichte, w ie eine frem de Zugabe, ge liehen” w ird 55 . Sie bedürfen der — m ethod isch d iszip lin ierten — A n­strengung des V erstehens.

A nm erkungen

1 Die hier abgedruckten Thesen zu erkenntnistheoretischen Grundfragen der Sprachgeschichtsschreibung stellen die leicht ausgearbeitete Fassung des The­senpapiers dar, das ich zu dem Vortrag gleichen Titels am 11.3.1976 auf der Jahrestagung des Instituts für deutsche Sprache ausgeteilt habe. Eine ursprüng­lich intendierte grundlegende Überarbeitung des Vortrags für den Druck konnte ich leider nicht rechtzeitig fertigstellen. Sie wird in Kürze, so hoffe ich, an anderer Stelle erscheinen. Den Vortrag in der gehaltenen Form zu publizieren, konnte ich mich nicht entschließen. Die hier gewählte Thesen­form scheint mir der Vorläufigkeit der Argumentation am angemessensten.

2 Zu den Begriffen “ Paradigma" und “ Krise” vgl. Th. S. Kuhn, Die S truktur wissenschaftlicher Revolutionen, Frankfurt 1973.

3 Vgl. J. Rüsen, Ursprung und Aufgabe der Historik, in: H.M. Baumgartner/J. Rüsen (ed.), Geschichte und Theorie, Umrisse einer Historik, Frankfurt 1976 ,63 .

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4 Vgl. hierzu die Beiträge in Baumgartner/Rüsen [A nm .3],

5 Vgl. E. Troeltsch, Der Historismus und seine Probleme, Aalen 1961, 4.

6 Vgl. J. Rüsen [Anm .3] , 61f.

7 Zur Unterscheidung von “ historischem Relativismus” (Historismus) und“naturalistischem Determinismus” vgl. E. Troeltsch, zit. n. J. R itter (ed.). Historisches W örterbuch der Philosophie, Darmstadt 1974, Bd.3, Artikel “ Historismus, Historizismus” , 1142.

8 Nach den genuin geschichtsphilosophischen Begründungsversuchen von Sprach- theorie und Sprachgeschichtsschreibung bei Humboldt und J. Grimm verlor die historische Linguistik im 19. Jahrhundert im Zuge der Expansion des szientifischen Denkens und eines naturwissenschaftlichen Erkenntnisideals ihre erkenntniskritische Autonom ie. Linguistische Theorie und Sprachge­schichtsschreibung vollzogen deshalb die drei Phasen der Entwicklung des positivischen Geschichtsbegriffes im 19. und im beginnenden 20. Jahrhundert kritiklos m it: den anthropom orphistischen Evolutionismus J. Müllerscher Provenienz bei Becker und Schleicher, den kausalgenetischen Mechanizismus Comtescher und Bucklescher Provenienz bei Scherer, Paul und den Junggram­m atikern und schließlich den strukturellen Diachronismus im Prager Kreis.Alle drei positivistischen Geschichtsauffassungen stimmen darin überein, daß man sie als “ subjektlosen Determinismus” bezeichnen kann.

9 In der Tat besteht ja im sensualistisch-induktionistischen Erkenntnisprogram m der Junggrammatiker ein systematischer Zusammenhang zwischen Sprachtheo- rie und Sprachgeschichte, insofern nämlich als die S p r a c h t h e o r i e als eine L o g i k d e r S p r a c h g e s c h i c h t e (vgl. etwa H. Pauls “ Prinzi­pien der Sprachgeschichte” , Halle 1920, die sich ja als Sprachtheorie verstehen) aufgefaßt wird. Die Sprachtheorie glaubt das ‘Wesen’ der Sprache zu rekonstru­ieren, i n d e m sie die “ Bedingungen des geschichtlichen Wesens” (H. Paul, ebd., 4) der Sprache rekonstruiert. Umgekehrt ist also die Sprachgeschichte sowohl auf einer (kausalgenetischen) Geschichtstheorie, als auch auf einer (sensualis- tisch-induktionistischen) Sprachtheorie fundiert. Während nun die neuere Sprachgeschichtsschreibung m e t h o d i s c h dem positivistischen Ansatzder Junggrammatiker verhaftet bleibt, o h n e deren sprach- und geschichts­theoretische Grundannahm en m itübernehmen zu können, hat um gekehrt die neuere Sprachtheorie aus dem Scheitern des sensuaüstisch-induktionistischen Erkenntnisprogramms und der in diesem implizierten kausalgenetischen Ge- • schichtsidee einen falschen generellen Schluß gezogen: sie geht nämlich da­von aus, daß die Aporien des p o s i t i v i s t i s c h e n V e r s u c h e s , das Wesen der Sprache aus ihrer historischen Genesis zu rekonstruieren, Aporien einer historisch fundierten Sprachtheorie überhaupt seien, und sie hat hieraus die ihrerseits aporetische Folgerung abgeleitet, die Sprachtheorie müsse ahistorisch sein. Insofern kann die neuere Sprachgeschichtsschreibung nach dem Verlust ihrer sprachtheoretischen Grundlage auf die neuere Sprachtheo­rie auch gar nicht zurückgreifen.

10 H. Hirt, Geschichte der deutschen Sprache, München 1919.

11 A. Bach, Geschichte der deutschen Sprache, Heidelberg 9 1970.

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12 H. Moser, Deutsche Sprachgeschichte der älteren Zeit, in: W. Stammler (ed.), Deutsche Philologie im Aufriß, Bd.I, Berlin 2 1957, 621ff.

13 F. Tschirsch, Geschichte der deutschen Sprache, 2 Bde, Berlin 1966.

14 H. Eggers, Deutsche Sprachgeschichte, 3 Bde, Hamburg 1963 - 66.

15 P.v. Polenz, Geschichte der deutschen Sprache, Berlin 7 1970.

16 Vgl. hierzu etwa A. Schirokauer, Frühneuhochdeutsch, in: Deutsche Philo­logie im A ufriß [Anm. 12] , 855 ff, hier 8 5 8 f f .:F . Tschirsch [Anm . 13], 13; H. Hirt [Anm . 10], 1 ; H. Eggers [Anm. 14], 260; A. Bach [Anm. 11], 22;P.v. Polenz [Anm .15] , 6.

17 Vgl. etwa J. Grimm, Geschichte der deutschen Sprache, 1. Bd., Leipzig 1848, XIII.

18 Vgl. etwa W. Scherer, Jacob Grimm, Berlin 1921, 329.

19 Vgl. H. Eggers [Anm. 14], Bd. 1, 21f.

20 Ebd. ; diskutiert, ohne daß sich allerdings an der Neutralitäts-These etwas änderte, wird das Problem der Periodisierung bei H. Moser [Anm .12], 621 ff.; vgl. ebenso ders. Probleme der Periodisierung des Deutschen, in: GRM, N.F. 1(32), 1951, 296 ff. ; auch P.v.Polenz hat die Problematik der Periodisierung ernst genommen und versucht, “ sprachsoziologische Kriterien” (P.v.Polenz[Anm .15], 85 f.) zugrundezulegen, wobei diese jedoch nicht in einem sprach-

soziologischen und sozialgeschichtlichen Rahmen fundiert sind.

21 Vgl. hierzu etwa F. Braudel, Geschichte und Sozialwissenschaften — Die “ longue durée” , in: H.-U. Wehler (ed.), Geschichte und Soziologie, Köln 1972, 189 ff., hier 191, 209 ; ebenso R. Kosellek, Ober die Theoriebedürftig­keit der Geschichtswissenschaft, in: W. Conze (ed.), Theorie der Geschichts­wissenschaft und Praxis des Geschichtsunterrichts, S tu ttgart 1972, 10 ff, hier 14.

22 Vgl. etwa H. Hirt, Etymologie der neuhochdeutschen Sprache, München 1921, 401.

23 Ebd.

24 F. Tschirsch [A nm .l 3], 2. Bd., 215.

25 Ebd., 213.

26 H. Hirt [Anm .22], 407 ff; H. Eggers [Anm.14] , Bd. 2, 72 ff.; A. Bach [Anm. 11], 6 0 ff., 135 ff.

27 F. Tschirsch [A nm .l 3], 216 ff.; vgl. hierzu etwa die Paulsche Klassifikation der “Arten des Bedeutungswandels” in H. Paul [Anm .9], 87 ff.; zur Kritik der gemeinhin angenommenen Ursachen des Bedeutungswandels vgl. W. Dieckmann, Linguistik und Sozialgeschichtsforschung, in: R. Bartsch/Th. Vennemann, Linguistik und Nachbarwissenschaften, Kronberg 1973, 141 ff., hier 145.

28 F. Tschirsch [A nm .13], 214;ebenso H. Eggers [A nm .14], Bd. 2, 72; “ Unsere Sprache ist seit langem schon durch den alltäglichen und o ft zu leichtfertigen Gebrauch verschlissene..)” .

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29 H. Hirt [Anm . 22], 404.

30 F. Tschirsch [Anm. 13], B d .l, 12.

31 Vgl. hierzu W. Emmerich, Zur Kritik der Volkstumsideologie, Frankfurt 1971.

31a A. Bach [A nm .l 1] , 470.

32 Ebd., 476.

33 Dies beanspruchen vor allem H. Eggers [Anm .14] und A. Bach [A nm .l 1] ; allein P. v. Polenz jedoch kann diesen Anspruch m it einigem Recht erheben (vgl. P. v. Polenz [A nm .l 5] ).

34 Vgl. vor allem W. Emmerich [A nm .31], 95 ff.

35 Vgl. ebd., 102.

36 Diese ist referiert bei W. Emmerich, ebd., 101 f.

37 A. Bach [A nm .l 1], 159; vgl. ebenso Eggers’ Unterscheidung in “ führende Schichten” , die eine “ feinere geistige S truktur besitzen” , und “geführte Menge” in H. Eggers [Anm .14], 16, 220 ;d aß die Bachsche Sprachgeschichte seit der 1. Auflage 1938 in der Hochzeit des Faschismus im systematischen Aufbau und in ihrem rassistisch-biologistischen Ansatz unverändert in 9 Auf­lagen, die letzte 1970, erscheinen, und dabei nach Bachs eigener Bekundung100.000 Benutzer (vgl. Vorwort zur 9. Auflage) erreichen konnte, ist ein Skandalon der Sprachgeschichtsschreibung.

38 Vgl. F. Tschirsch [A nm .12], Bd. 1,12.

39 Vgl. E.J. Hobsbawm, Von der Sozialgeschichte zur Geschichte der Gesell­schaft, in: H.-U. Wehler [Anm .21], 331 ff., hier 350.

40 Vgl. H. Isenberg, Diachronische Syntax und die logische S truktur einer Theo­rie des Sprachwandels, in: D. Cherubim (ed.), Sprachwandel, Berlin, New York 1975, 208 ff.

41 Grundlegende Vorarbeiten hierzu finden sich bereits bei E. Coseriu, Syn- chronie, Diachronie und Geschichte, München 1974.

42 J. R itter, Die Aufgabe der Geisteswissenschaften in der m odernen Gesell­schaft, Münster 1963.

43 H. Schelsky, Einsamkeit und Freiheit, Hamburg 1963, insbesondere 222 - 228 und 2 7 8 -2 9 5 .

44 Th. Nipperdey, Die Funktion der Utopie im politischen Denken der Neuzeit, in: Archiv für Kulturgeschichte, Bd. 44, Köln 1962, 358 - 377.

45 R. Kosellek, Historia Magistra Vitae. Über die Auflösung des Topos im Hori­zont neuzeitlich bewegter Geschichte, in: Löwith-Festschrift “N atur und Geschichte", S tuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1967, 2 0 0 -2 0 9 ; ders., Über die Theoriebedürftigkeit der Geschichtswissenschaft, ebd .;ders., Einleitung zu: Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, ed. v. O. Brunner, W. Conze, R. Kosellek, S tuttgart, Bd.l (1972) 1974, Bd. 2, 1975.

46 J. R itter ebd., 25.

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47 Vgl. R. Kosellek, Historia [Anm .45] .

48 Vgl. etwa ders., Ober die Theoriebedürftigkeit [Anm.45], 14; ebenso ders.. Historia [A nm .45], 206 ff.

49 Th. Nipperdey [Anm .44], 365.

50 M. Riedel, Positivismuskritik und Historismus. Über den Ursprung des Gegen­satzes von Erklären und Verstehen im 19. Jhd., in: J. B lühdorn/J. R itter (ed.), Positivismus im 19. Jhd., F rankfurt 1971, 89.

51 Vgl. zum Hegelschen Begriff der “ Entzweiung” J. R itter [A nm .42], 25 f.52 Vgl. zu Droysens K ontinuitätsbegriff M. Riedel, ebd., 81 - 91.

53 Vgl. J . Habermas, Erkenntnis und Interesse, Frankfurt 1973, 221, 241;ebenso M. Riedel [Anm. 51], 91.

54 W. v. Humboldt, Über die Aufgabe des Geschichtsschreibers, in: ders., Werke, ed.v. A. Leitzmann, Bd. IV, 35 f.

55 Ebd., 46.

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LEOPOLD A U B U R G ER

Bericht der Arbeitsstelle für Mehrsprachigkeit (AMS) 1976zur S itua tion der M ehrsprach igkeitsforschung und interlingualen S oz io lin gu is t ik

Inhalt i

1. Aufgabenbereich der AMS2. Überblick über den Stand der Mehrsprachigkeitsforschung und der interlin­

gualen Soziolinguistik2.1. Mehrsprachigkeitsforschung2.2. Soziolinguistik2.3. Wissenschaftsgeschichtliches zur interlingualen Soziolinguistik3. Arbeits- und Forschungsergebnisse der AMS

1. Aufgabenbere ich der A M S

Die F orschungsaufgaben der A rbeitsstelle für M ehrsprachigkeit (AMS) am In s titu t für deu tsche Sprache (M annheim ) liegen derzeit im Bereich der G ruppenm ehrsp rach igkeit, der in terlingualen Soziolinguistik und der A usbaukom paratistik . Forschungsgegenstand ist die deu tsche Sprache als M uttersp rache m it kodom inan tem und indom inan tem S ta tu s; h ierbei sind sow ohl standardsp rach liche V erhältn isse als auch S prachvarian ten zu berücksichtigen. (D en T erm ini dom inan t, indom inan t, a lle indom inant, k o d o m in a n t liegt eine in d e r AMS verw endete ju rido linguistische U n ter­scheidung zugrunde: “ d o m in an t” ist eine Sprache, w enn sie rechtsgültig Sprache der höchsten legalen po litischen E ntscheidungsinstanz eines S taates ist, “ in d o m in an t” , w enn n ich t; “ a lle in d o m in an t” ist eine Sprache, w enn sie die einzige d o m in an te Sprache ist, “ k o d o m in an t” , w enn es w enigstens eine w eitere d om inan te Sprache g ib t. Indom inan tes D eutsch ist vielfach zugleich (relativ) a lloch thon (so z.B. in S üdosteuropa o d er in Ü bersee).) Zu diesen Forschungsaufgaben kom m en noch zen trale w issen­schaftliche D ienste.

Die Forschungsbeiträge der AMS sollen in der H auptsache im R ahm en einer S ch riften re ihe “ D eutsche Sprache in E uropa und Ü bersee” p u b li­ziert w erden . Bis je tz t liegen die T y posk rip te eines Sam m elbandes zur S itua tion in K anada sowie von M onographien zum Sprachgebrauch bei Schülern in O st-L othringen , zur Sprachenfrage in der Schw eiz vo r 1914 und über die deu tsche Sprache in N atal (Südafrikanische R epub lik ) vor. Fertiggestellte A rbeiten zur Z w eisprachigkeit in Südtirol und über die

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M ittelw est-S taaten der USA (von N o rddako ta und Kansas im W esten bis O hio im O sten) stehen ebenfalls zur Verfügung und bedürfen nur noch einer abschließenden redak tionellen B earbeitung und Ergänzung.

In diesen A rbeiten w erden sow ohl unen tbeh rliche F ak ten als auch A na­lysen und T heoretisierungsversuche dargebo ten . Z ur A nsam m lung einer ausreichenden em pirischen Basis ist eine langfristig kon tinu ie rliche F o r­schungstätigkeit nötig . Dies gilt sow ohl im H inblick au f d ie V ielzahl der S p rach k o n tak te des indom inan ten und ko d o m in an ten m u ttersp rach lichen D eutsch, als auch au f die K om plex itä t der linguistischen Fragestellung. Eine program m atische B eschränkung des M ateria lob jek ts erschein t bei der derzeitig schm alen zu r V erfügung stehenden em pirischen Basis n ich t sinnvoll; d .h . w o sich M öglichkeiten e iner zuverlässigen E rw eiterung der­selben anb ie ten , so llten sie aufgegriffen w erden . Bei diesen M aterialien sind zwei A rten zu un terscheiden : Zum einen h ande lt es sich um Aus­schn itte der jew eiligen O bjek tsprache, die im R ahm en e iner T ex td o k u ­m en ta tio n (w orun te r h ier auch d ie L exikographie verstanden w ird) ge­speichert w erden , vgl. z.B. die B estände auslandsdeutscher Presse in der B iblio thek des “ In s titu ts für A uslandsbeziehungen” in S tu ttg a r t o d e r das “ M ikrofilm A rchiv der deutschsprach igen Presse e .V .” in D o rtm u n d , fe r­ner die einschlägigen B estände in der “ L au tb ib lio thek d e r europäischen Sprachen und M undarten . D eutsche R eihe” (B earbeitung in der S ch riften ­reihe Phonai, hg. v. D eutschen Spracharchiv im In s titu t für deu tsche Spra­che u n te r d e r w issenschaftlichen Leitung von G. U ngeheuer). Zum ande­ren h ande lt es sich um einschlägige F ak tenbeschre ibungen . Die T e x td o ­k u m en ta tio n ist n ich t d irek t A ufgabe der AMS, w ohl aber die V erö ffen t­lichung von relevanten B erichten , w ozu insbesondere d ie S am m elbände der Schriften re ihe der AMS d ienen sollen.

Was die w issenschaftliche Erhellung dieses M aterials anbelangt, so bedarf es w eiterer A bsprachen und K oord ination u n te r den in teressierten Wissen­schaftlern .

Die Forschungsvorhaben der AMS sind zum großen Teil sow ohl d u rch die personelle Besetzung als auch durch die O rien tierung am G esam tin stitu t für deu tsche Sprache bestim m t. E n tsprechend sind als S chw erpunk te im R ahm en der soziolinguistischen S p rachkon tak tfo rschung

1) T ran sfe ren z -u n d In terferenzphänom ene,2) P roblem e der S prachgebrauchssituationen , sowie3) Fragen sprach licher N orm und des System charak ters der un te rsuch ten

Sprachvarianten

anzusetzen.

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Bei den T r a n s f e r e n z - u n d I n t e r f e r e n z p h ä n o m e n e n sind die verschiedenen linguistischen E benen zu berücksichtigen, w obei die jew eils w eitere A usw ahl und Spezifizierung von Fall zu Fall zu b e ­stim m en ist. D er P roblem kreis, der m it diesem zw eiten S chw erpunk t an­gesprochen ist, berüh rt auch Fragen d e r Sprachm ischung, des Sprachpu- rismus, der P idginbildung und K reolisierung. P unktuell w ären für Fragen

", D eutschen als F rem dsprache A nalysen durchzuführen .

Die S p r a c h g e b r a u c h s s i t u a t i o n e n w erfen Fragen der Sprachgem einschaft und S prachschaft* , der Polyglossie m it dem H aup t­fall der Diglossie, der A ssim ilation und jew eiligen Sprachbeherrschung auf; ferner ist der ju rido linguistische A spekt des S prachenrech ts zu be­rücksichtigen.

Die F r a g e n s p r a c h l i c h e r N o r m u n d d e r S y s t e m - h a f t i g k e i t sind ebenfalls nach den verschiedenen linguistischen E benen zu d ifferenzieren ; im Ergebnis w ären aufsch lußreiche Beiträge z.B. auch zur S prach typolog ie zu erreichen . A uf jeden Fall ist ein V er­gleich zu den en tsp rechenden V erhältn issen in der deu tschen do m in an ten S tandardsprache zu ziehen. Z usam m en m it diesen U ntersuchungen zum system atischen und asystem atischen C harak te r von Sprachvarian ten sind relevante E in fluß fak to ren wie z.B. die B edingungen des Spracherw erbs und des M u tte rsp rachenun te rrich ts , das ge ltende S prachenrech t und die A rten d e r Sprachpflege darzustellen .

Da sprachliche N orm und System haftigkeit, In terferenz und T ransferenz sowie die K onfiguration der Sprachgebrauchssitua tionen als vielfach inter- dep enden t vo rauszusetzen sind, ist auch die E rhellung dieser K orre la tio ­nen Forschungsziel der AMS.

Insgesam t sind solche in terlingualen S tud ien zum indom inan ten o d e r ko- do m in an ten D eutsch für das V erständnis sow ohl der Sprachgeschichte als auch der G egenw artssprache w ertvoll: ersteres insbesondere von einem linguistisch h is to riographischen S tan d p u n k t aus, le tz teres u .a. bei B ehand­lung dieser sprachlichen G egebenheiten als F ak to ren in einem “ linguisti­schen L ab o ra to riu m ” (wie sich W issenschaftler aus den USA ausdrücken). Die G ew innung von korrespond ierend tä tigen W issenschaftlern aus In- und A usland für so lche Forschungen dürfte nach den bisherigen E rfah ru n ­gen der AMS auch in Z u k u n ft keine e rn s th a ften Schw ierigkeiten bere iten ,

* Mit dem Terminus Sprachschaft bezeichnet H. Kloss den Begriff einer durch Verwendung einer bestim m ten Subsprache (funktionalen Sprachvariante) abge­grenzten Untergruppe einer Sprachgemeinschaft.

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zum al ein Teil der F orscher ja gerade m it solchen Sprachbedingungen leb t und au f Interesse im W ohnland rechnen kann.

M it dem T erm inus A u sbaukom para tis tik w ird au f den von H. K loss k o n ­zip ierten Begriff “ A usbau einer S prache” Bezug genom m en (vgl. Kloss H. 1952), den Kloss dann später in zahlreichen A rbeiten nach A rt und G rad d ifferenziert h a t (vgl. z.B. Kloss H. 1967).

Der Sache nach handelt es sich h ierbei um eine kom plexe Typologisierung der Sprachen, insbesondere nach deren sozioku ltu re ller L eistungskraft (realisierte sprachliche F u n k tio n en , vo rhandene Subsprachen , sta tistische D aten die Sprachgem einschaft b e tre ffen d , P rob lem e d e r V erschriftungu.dgl.). Die K om paratistik soll auch andere als deu tsche S prachen und Sprachvarianten berücksichtigen (andere germ anische Sprachen u n te r E inschluß von Pidgin- und K reolsprachen au f englischer und n iederländ i­scher G rundlage). V orrangiges P ro jek t ist derze it die Ü berarbeitung und N euauflage von Kloss H. 1952. W eitere P ro jek te w erden zu gegebener Zeit in itiiert w erden.

Die AMS w ird im R ahm en ihrer Schriften re ihe in A bständen auch eigene und frem de Beiträge zu T heorie und M ethode der soziolinguistischen S p rachkon tak tfo rschung und der A usbaukom paratistik publizieren . Die ausbaukom para tistischen S tud ien sollen sich dabei insbesondere m it dem Problem der Sprachvarian ten , der S prachstandard isierung und Sprachplanung, der V erschriftung und D ialektisierung, sow ie nach Mög­lichkeit daneben später auch m it supra- und in terlingu istischen Fragen befassen, d .h . m it den o rtho lingu istischen P roblem en der fu nk tiona len Spezialisierung historisch-natürlicher Sprachen (D eutsch als A rbeitssp ra­che in in ternationalen In s titu tio n en , als “ K ongreßsprache” u.dgl.).

Die zentralen w issenschaftlichen D ienste um fassen, außer d e r S ch riften ­reihe “ D eutsche Sprache in E uropa und Ü bersee” , B iblio thek , Archiv, B ibliographie und in ternationale K orrespondenz. (Z um T ite l der R eihe vgl. die dem K atalog der A ufnahm en des D eutschen S pracharchivs zu­grundegelegte E inteilung: G ruppe 9: “ Sprachinseln (E u ro p a )” , G ruppe 10: “ D eutsche M undarten außerhalb E uropas” , vgl. M onum enta G erm aniae A custica 1965, 254-256).

Die B ibliothek ist als Sonderbücherei zur in terlingualen Soziolinguistik des D eutschen gedacht und als solche auch für das “ V erzeichnis von Spe­zialbeständen in deu tschen B ib lio theken” , das von der U niversitä tsb ib lio ­th ek T übingen erste llt w ird, angem eldet. Da die B iblio thek B estandteil der ehem aligen “ Forschungsstelle für N ationalitä ten - und S prachfragen” (1956-71 , seit 1964 in M arburg) w ar, h a tte sie bis 1971 als them atischen

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S chw erpunk t Fragen d e r N ationa litä ten und sprachlichen oder e thn ischen M inderheiten in E uropa und Ü bersee. Ab 1971 liegt dieser S chw erpunk t bei soziolinguistischen und S p rachkon tak tfragen der deu tschen Sprache in E uropa und Ü bersee. Die B iblio thek e n th ä lt z .Z t. ca. 5500 B ände; es existieren ein A u to ren - und ein Sachkatalog.

Im A rchiv w ird Info rm ationsm ateria l, insbesondere durch A usw ertung von regelm äßig bezogenen Z eitsch riften gesam m elt.

Der A ufbau einer einigerm aßen rep räsen tativen B ibliographie für die F o r­schungsschw erpunkte der AMS ist vorläufig nur sehr begrenzt m öglich , da es aus finanziellen G ründen an den nö tigen M itarbeitern feh lt.

Die AMS g ib t A u sk u n ft zu Fragen aus ih ren Forschungsbereichen ; gleich­zeitig s treb t sie die K oordinierung von einschlägigen Forschungsvorhabenan.

2. Ü berblick über den S tand der M ehrsprachigkeitsforschung un d der in terlingualen Soziolinguistik

2.1. M ehrsprachigkeitsforschung

M ehrsprachigkeits- und S p rachkon tak tfo rschung w ird u n te r verschiede­nen A spekten b e trieben , vgl. die F orschungsberich te bzw . B ibliographien Kuhn W. 1934; W einreich U. 1953; H augen E. 1956; O ksaar E. 1970; M ackey W.F. (Hg.) 1972; Haugen E. 1973; R udnycky j J.B . 1973; C lyne M. 1975; insbesondere sind eine inter- vs. in tralinguale Forschung und eine sprecherindividuelle vs. sprechergruppenbezogene Forschung zu u n ­terscheiden . W ährend die interlinguale und sprecherindividuelle Forschung im R ahm en der V ergleichenden Sprachw issenschaft und der E rforschung von L ehnbeziehungen (allerdings u n te r w eitgehender A bsehung vom Spre­cherbezug und dam it gegebenen Sachverhalten) bzw . durch F rem dspra­chend idak tik und Ü bersetzungstheorie bere its eine gewisse längere T rad i­tion haben, sind in tralinguale und G ruppenm ehrsprach igkeitsforschung sehr viel jünger, näm lich im w esen tlichen eine E ntw ick lung seit d en 50-er Jah ren (an früheren A rbeiten w ären u.a. zu nennen die S p rachkon tak t- stud ie S chuchard t H. 1971 (Original 1884), die A rbeit zur Sprachinsel­forschung K uhn W. 1934, sowie d ie verschiedenen Beiträge zur T heorie der funk tio n a len Stile aus der Schule des Prager S truk tu ra lism us: A no n y ­m us 1929, H avranek B. 1932, V ancura Z. 1936, V achek J. 1939, u.a.; zur G ruppenm ehrsp rach igkeit vgl. u.a. Kloss H. 1969). S prach theore tisch und m ethodolog isch w irft die M ultilingualism usforschung zwei G ru n d ­prob lem e auf: ein altes und ein neues; zum einen gilt es auch h ier, die von Saussure in d ie Sprachw issenschaft eingeführte U nterscheidung der

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Begriffe “ langage” , “ langue” und “ paro le” zu berücksichtigen; zum an­deren aber s teh t m it der Sprachvariantenfrage der linguistische System ­begriff neu zur D iskussion: “ T andis que le langage est heterogene, la langue ainsi délim itée est de na tu re hom ogene: c ’est un systèm e de signes où il n ’y a d 'essen tie l que l’un ion du sens e t de l’image acoustique , e t où les d eu x parties du signe son t égalem ent p sych iques.” (Saussure F. de 1967, 32). Entgegen dieser P osition Saussures und vergleichbaren S tel­lungnahm en aus der stru k tu ra len (einschließlich der generativen) Lingui­stik ist die A blehnung eines derartigen H om ogen itä tspostu la tes und die F o rderung einer Berücksichtigung der sprachlichen W irklichkeit in deren H eterogen itä t und M annigfaltigkeit ein G ru n d to n in den A rbeiten aus der M ehrsprachigkeitsforschung (und S oziolinguistik), vgl. z.B. W einreich U., Labov W., H erzog M .J. 1968, 106 f.; 121-123; 125; Bright W. 1966, 11 f.; G um perz J.J . 1968, 461 ; G rim shaw A.D. 1971, 116 A nm . 11; Labov W. 1971, 155; H augen E. 1973, 510 ; 541 ; O ksaar E. O .J./1976 und o .J ./1 9 7 6 a . Die P rob lem atik eines derartigen H om ogen itä tspostu la tes h a tte im übrigen auch bere its B loom field e rkann t, da er d ie N otw endigkeit e iner K orrek tu r d er struk tu ra listisch durch eine (n ich t w eiter e rö rte rte ) “ A b s trak tio n ” gew onnenen Forschungsergebnisse b e to n te ; freilich zog er selbst daraus keine p rak tischen Folgen (vgl. B loom field L. 1933, 42-45).

Die em pirische und theo re tische A ufarbeitung d e r H ete rogen itä tsp rob le ­m atik erfo lg te en tsp rechend den beiden großen T ypen von Sprachvarian- ten ,

1) den geschichtlich-natürlich bed ing ten D ialekten (R egio lek te , E thno- lek te und andere id iom atische Sprachvarian ten), und Sprachvarianten , die im Zuge des (m u ttersp rach lichen oder frem dsprach lichen) Sprach- erw erbs bzw . Sprachverlusts (A phasie) au ftre ten (vgl. z.B. den Begriff eines “ learner sy s tem ” für den jew eiligen Z ielsprachstand eines Sprach- schülers bei N em ser W.J. 1969; zur A phasie vgl. das klassische Werk Jak o b so n R. 1941), d .h . insgesam t den geschichtlich-natürlich bed ing­ten phylo- o der on togenetischen id iom atischen S prachvarian ten , und

2) den in ten tio n a l fun k tio n a len Subsprachen (F achsprachen , D ichtung, e tc .) und sonstigen L ek ten (z.T . S ozio lek te , R egister, e tc .) ,

du rch D ialekto logie bzw . Spracherw erbs- und A phasieforschung einer­seits und durch Subsprachenforschung und “ L ek to log ie” andererseits.

W ährend die D ialektologie z.B. in D eutsch land “ ...so a lt w ie die E rfo r­schung der deu tschen Sprache übe rh au p t...” ist (L öffler H. 1974, X I), n im m t die S ubsprachenforschung (nach ersten A nsätzen in der Stilistik von Bally (z.B. Bally Ch. 1913)) im w esen tlichen ihren A nfang m it den Ü berlegungen zu einer T ypolog ie fu n k tio n a le r Stile in den A rbe iten des

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Cercle L inguistique de Prague (d .h . m it A nonym us 1929) und w ird auch in der G egenw art in p u n c to T heorie und M ethodologie (abgesehen von der U S-am erikanischen L inguistik, die h ier n ich t zu le tz t du rch die E in­w anderung von R ep räsen tan ten der T rad ition des Prager L inguistenkrei­ses nachhaltig b e fru ch te t w urde (R om an Jak o b so n !)) besonders von Lin­guisten aus der C echoslovakei gepflegt; die em pirische S ubsprachenfo r­schung ist eine D om äne der L inguistik in den V erein ig ten S taa ten . Aus und zusätzlich zu der in O ksaar E. 1970; M ackey W.F. (Hg.) 1972; Haugen E. 1973; R udnyckyj J.B . 1973 und C lyne M. 1975 referierten hier einschlägigen L ite ra tu r sei noch insbesondere au f folgende A rbeiten hingew iesen: als E inführung in die D ialektologie L öffler H. 1974; als Ü berblick über die am erikanische D ialektologie G regory M. 1967; zur d ialek to log ischen Phonologie m it einem Beispiel für scheinbar asystem a- tischen W echsel zw ischen S tan d ard artik u la tio n und V arian tenartiku la tion V eith W.H. 1971; als m ethodologisch in teressan te A rbeit zum Problem von S prachvariante und Bedingungen der S prachgebrauchssituation Rein K.L., Scheffelm ann-M ayer M. 1975; zur soziolinguistischen Sprachvarian- ten th em atik vgl. d ie Sam m elbände F ishm an J.A . (Hg.) 1971 und 1974, die S tud ie zur Englischvariante der Neger und P uerto ricaner von New Y ork (C ity) Labov W., C ohen P., R obins C., Lewis J. 1968, die A rbeit zu In terferenz und T ransferenz im R ahm en einer soziolinguistischen T heorie der In te rak tio n m it durch le tz te re bed ing ten , nach In terferenz-/ T ransferenzgrad und -art verschiedenen Sprachvarian ten O ksaar E. o .J ./ 1976, sow ie O ksaar E. o .J ./1 9 7 6 a m it e iner w eiteren Spezifizierung der In terferenz- und T ransferenzbedingungen; eine zusam m enfassende Be­schreibung eines größeren P ro jek ts zur soziolinguistisch o rien tie rten K on tak tlingu istik g ib t O ksaar E. 1972a: in dem P ro jek t soll die W echsel­w irkung sprach licher und sozialer F ak to ren im In teg ra tionsprozeß von A usw anderern und U m siedlern sow ie deren A usw irkungen au f die E rst­und Z w eitsprache (E stn isch vs. Englisch, D eutsch vs. Schw edisch) u n te r­sucht w erden . E ine insbesonders term inolog isch inform ative S tud ie zur deutschsprach igen V arian ten fo rschung ist Rossipal H. 1973. E inen guten Ü berblick über die in der b ritischen Linguistik übliche U nterscheidung “ register” vs. “ d ia lec t” (“ variety according to users” vs. “ varie ty accor- ding to use” (H alliday M .A.K. 1968, 141)) g ib t H ess-Lüttich E.W.B.1974. E ine w ichtige B ereicherung d e r S prachvarian ten theorie und der einschlägigen em pirischen Forschung b ring t Kloss H. 1952 m it dem Be­k i f f einer “ A usbausprache” , d e r insbesondere au f die soziokulturelle L eistungskraft e iner Sprache Bezug n im m t; eine D ifferenzierung nach A rt und G rad dieses “ A usbau” -Begriffes fin d e t sich in Kloss H. 1967, eine w eitere theo re tische D iskussion des Begriffs einer “ A usbausprache”

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rnit seiner A nw endung in d e r em pirischen Forschung b ring t A uburger L. 1976. U nter den Subsprachen sind neben Sozio lek ten noch am besten bearb e ite t die F achsprachen , vgl. die B ibliographien B arth E. 1971 und W üster E. 1974. E inen kn ap p en Ü berblick über d ie Fachsprachen them a- tik b ie ten M öhn D. 1973 und H ahn W. v. 1973; die T heorie der fu n k tio n a ­len Stile in d e r T rad itio n des Prager S truk tu ra lism us w ird , w as Fachspra­chenprob lem e anbelangt, insbesondere von Benes gepflegt, vgl. z.B. Benes E. 1971 und , verknüpft m it P roblem en der F rem dsp rachend idak tik ,BeneS E. 1969. Die defin ito rische A bgrenzung von F achsprachen gegen Sozio lek te b e to n t A uburger L. 1975. Ein verhältn ism äßig w enig erfo rsch ­te r T yp von Subsprache ist die religiöse Sprache, vgl. Biser E. 1972; K owalski J.W. 1973; G rabner-H aider A. 1975. Zum Problem der Sprach- variation durch soziologische F ak to ren im Zuge des Spracherw erbs vgl. B ernstein B. 1964 und 1967 m it den popu lär gew ordenen T erm in i ela­bora ted code vs. restric ted code; zum Spracherw erb in zw eisprachiger Um gebung vgl. O ksaar E. 1971; 1972; 1973.

Die M ehrsprachigkeitsforschung ist so gu t w ie jed e andere linguistische D isziplin m it dem Problem einer B erücksichtigung des Saussureschen B egriffstripels “ langage, langue, paro le” k o n fro n tie r t. D ies zeigt sich b e ­reits bei einem der zen tralen Begriffe, näm lich jenem d er “ In te rfe ren z” :“ In speech in terfe rence is like sand carried by a stream ; in language, it is th e sed im ented sand deposited on th e b o tto m o f a lake. T he tw o phases o f in terfe rence should be d istinguished . In speech, it occurs anew in the u tte ran ces o f th e bilingual speaker as a result o f his personal know ledge o f th e o th e r tongue. In language, we find in terfe rence phenom ena w hich, having frequen tly occured in th e speech o f bilinguals, have becom e habi- tua lized and established. T heir user is no longer d ep en d en t on b ilingualism .” (W einreich U. 1953, 11). W einreichs U nterscheidung zw ischen “ in terfe rence in speech” vs. “ in terfe rence in language” term ino log isierte C lyne M.G.1967 m it in terference vs. transference bzw . In terferenz vs. Transferenz (C lyne M.G. 1975, 16). A uf zwei für die em pirische In terferenzfo rschung w ichtige m ethodolog ische P unk te m ach te O ksaar E. 1969, 148 au fm erk ­sam: erstens, ebenso wie bei einem m onolingualen Sprecher k ö n n en auch bei einem bilingualen Sprecher sprachliche Fehlleistungen in außersp rach­lichen F ak to ren ihre U rsache haben , also n ich t d irek t du rch die M ehr­sprachigkeit ausgelöst sein; zw eitens, die em pirische B estim m ung einer In terferenz im U nterschied zu einem Sprachsystem w echsel (code sw itching) dü rfte in gewissen Fällen erhebliche m ethodolog ische Schw ierigkeiten be­reiten . A n derselben S telle w irft E. O ksaar auch ein m it dem Begriff einer T ransferenz zusam m enhängendes w ichtiges theo re tisches P roblem auf, das au f die G enese eines T ransferenzphänom ens zielt: d ie transferen tie lle

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Ü bernahm e einer linguistischen E inheit aus einer Sprache A in eine Spra­che B se tz t für den ersten transferen tie llen G ebrauch dieser E inheit in Sprache B eine “ Q uasi-E xistenz” d ieser linguistischen E inheit in B voraus. Für die D iskussion dieses Problem s ist zunächst festzustellen , daß Trans- ferenz nur p o st fac tum e rk an n t w erden kann (so, w ie die “ langue” -Wis- senschaft ja generell eine “ ergon-” W issenschaft im Sinne jen e r berühm ten U nterscheidung von W.v. H um bold t zw ischen Sprache als “ energeia” und Sprache als “ ergon” ist). D er G ebrauch e iner tran sfe rie rten , linguistischen Einheit ist dann , nach vollzogener T ransferenz, ein anderes P roblem . Die Frage nach dem A nfang in der G enese tran sfe ren tie lle r P hänom ene ist prinzipiell u n b ean tw o rtb a r, weil die prospek tive Frage einer G enese hier generell n ich t au ftr itt. A ndererseits w ird m an sicher im H inblick au f w ich­tige pragm atische Bezüge der In terferenz verschiedene G rade e iner solchen, m it verschieden starker H abitualisierung, sowie h insichtlich der T ransfe­renz ein sprachschöpferisches M om ent in R echnung stellen und en tsp re ­chende S itua tionsanalysen , insbesondere sozio- und psycholinguistischer bzw . h isto rischer A rt durch führen müssen. Die Frage nach der G enese von T ransferenz berührt eines der perm anen ten V exierprob lem e der L in­guistik , näm lich das V erhältn is von Sprachgebrauch und S prachbrauch zur Sprachnorm als im m anen ter Regel (vgl. hierzu M oser H. 1967, 18-21).

In der englischsprachigen L ite ra tu r w ird die D iskussion solcher P roblem e noch dadurch kom pliz iert, daß der T erm inus language n ich t nu r im Sinne der Saussureschen T erm ini langue und langage (en tw eder alleine für erste- ren oder für beide gem einsam ) verw endet w ird , sondern auch zur Bezeich­nung eines sow ohl sp rachkorpusbezogenen als auch sprachstatusbezoge- nen Begriffes, w ie etw a H ochsprache in der germ anistischen T erm ino lo ­gie; language w ird dann dialect u .a. zur B ezeichnung eines “ h o h e n ” S ta tus vs. “ n iederen” S ta tus gegenübergestellt (zu den Begriffen “ S p rachko rpus” und “ S prachsta tu s” vgl. die durch Kloss H. 1969, 81 eingeführte U n ter­scheidung zw ischen “ language corpus p lann ing” und “ language sta tus p lann ing” ; diese U nterscheidung w urde z.B. auch von F ishm an J.A . 1974, 18 f. aufgegriffen). E ine w eitere term inolog ische B esonderheit bei diesem G ebrauch von language und dialect b es teh t darin , daß sie leicht m it kon- notativen B edeu tungskom ponen ten gebrauch t w erden , w obei dialect m eh r oder w eniger pejorativ ist. H augen E. 1966, 68 lehn t dialect als w issenschaftlichen T erm inus daher ab. H augen E. 1966a, 47 sieh t in der language vs. i/m /ecf-D ichotom ie ein P seudoproblem , da das eigentliche Problem die Sprachvariantenfrage, angefangen bei “ th e individual speech” bis “ th e speech o f a n a tio n ” und “ th e speech o f a w o rld ” ist. E inen gu ten Ü berblick über diese T erm inologiediskussion g ib t F ishm an J.A . 1971a, 226-228: ebenso wie Haugen fo d e rt F ishm an m it N achdruck k o n n o ta tions-

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freie T erm ini: variety generell für Sprachvarian ten , regional variety, social variety (socio lect) für regional bzw . soziolinguistisch abgrenzbare Sprach­varian ten ; die A usdrücke dialect und language als k o n n o ta tiv s ta tu sbezo ­gene T erm ini will F ishm an hingegen nur insow eit sie zu r O b jek tsp rache gehören berücksichtigen: “ T he sociology o f language is in terested in them (den beiden A usdrücken d ialect und language (L .A .)) on ly in so fa r as m em bers o f speech com m unities con tend over w hich is w hich , and w h y .” (F ishm an J.A . 1971a, 228).

U nerläßlich für die M ehrsprachigkeitsforschung ist die K lärung des Be­griffes "M ehrsp rach igkeit” selbst; d ie W ichtigkeit einer ausgew ogenen D efin ition ergib t sich sow ohl aus E rfordernissen der T heorie als auch der Praxis, le tz teres sow ohl h insich tlich der individuellen als auch d e r G rup­penm ehrsprach igkeit, w o d ie T estverfahren zur S itua tionsbestim m ung von der B egriffsdefinition abhängen (vgl. O ksaar E. 1976a).

“ B i l i n g u a l i s m is n o t a p h enom enon o f language; it is a charac­te ristic o f its use. It is n o t a fea tu re o f th e code b u t o f th e m essage. It does n o t belong to th e dom ain o f ‘langue’ b u t o f ‘p aro le ’ ” (M ackey W.M. 1968, 554). Diese D efin ition ist unbefried igend , da sie Fragen nach den Sprachsystem verhältn issen ausschließt. M ackey W.F. 1968, 555 f. führt sodann für die sprecherindividuelle B ilingualism usforschung fo lgende P roblem stellungen an: 1) G rad der Sprachbeherrschung; 2) Sprachfunk- tio n en und S prachgebrauchssitua tionen ; 3) A rt und B edingungen des Sprachw echsels; 4 ) In terfe renzphänom ene . N un ist aber gerade bei F ra­gen des Sprachw echsels auch die U ntersuchung der S prachsystem verhält­nisse von Interesse und dies sow ohl bei in ter- als auch bei in tralingualem Sprachw echsel; insbesondere ist zu k lären , ob und inw iew eit die b e tre f­fenden Sprachen bzw . S ubsprachen selbst sprachsystem atisch ko rre lie rt sind (vgl. den Begriff eines “ hypersystem s” in Pike K.L. 1967, 583 ff., eines “ in te rconnec ted system o f subcodes” in Jak o b so n R . 1960, den H inw eis au f die R elevanz eines m etasprach lichen V erhältn isses zu Aus­gangs- und Zielsprache in Jakobson R. 1956 (“ Loss o f a po lyg lo t ability and confinem en t to a single d ialectal variety o f a single language is a sym p tom atic m an ifesta tion o f th is d iso rd e r.” , näm lich des “ loss o f m etalanguage” (ebd., 6 8 )) oder den Begriff einer “ ...‘code m a trix ’ as the set o f codes and subcodes fu n c tiona lly related to th e com m unication m a trix ” in G um perz J.J . 1968, 464 (Original 1962); der T erm inus code m atrix w urde dann in G um perz J ,J . 1964 e rse tz t du rch verbal repertoire für “ ...th e to ta li ty o f linguistic fo rm s regularly em ployed in th e course o f socially significant in te rac tio n ...” (ebd., 137); (im gleichen Sinn in G um perz J .J . 1966, 31))-

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Eine Berücksichtigung der Fragen nach dem sprachlichen System ist auch bei G ruppenm ehrsprach igkeit unerläß lich : P roblem stellungen der kon trastiven Linguistik , der O rtho- und In terlinguistik , d e r Ü bersetzung und generell d ie A ufgaben eines M ultiku ltu ralism usprogram m s m it den durch S p rach loyalitä t, F orderung nach in terlingualem Sprachw echsel und sprecherindividuelle M ehrsprachigkeit gegebenen Schw ierigkeiten verlangen eine linguistische V orabklärung der sprachlichen S ystem ver­hältnisse nach A rt und G rad, da nu r u n te r V oraussetzung einer solchen sprachaxiologische F ragen sinnvoll d isk u tie rt w erden können (über w ich­tige V ariablen d e r Sprachaxiologie in fo rm iert Kloss H. 1974).

A uf G rund der K om plex itä t der m it dem Begriff “ M ehrsprach igkeit” e rfaß ten P hänom ene läß t sich dieser, was das Saussuresche B egriffstripel anbelangt, am b esten “ langage” zuo rdnen und ist dann analog zu “ langue” und “ p aro le” w eite r zu d ifferenzieren . Was den w issenschaftstheoretischen S tatus des Begriffes “ M ehrsprach igkeit” anbelangt, so ist er sicher n ich t k lassifikatorisch , sondern typologisch und stu fb a r zu behandeln (vgl.Haugen E. 1973, 507 f.).

Was die m ethodo log ische Seite der M ehrsprachigkeitsforschung anbelangt, so gilt h ier im H inblick au f d ie dargelegte K om plex itä t der zugehörigen Phänom ene ganz besonders die Feststellung von F ishm an J.A . 1971a,256 ; 258: “ It w ould be foo lhardy to claim th a t one and th e sam e m ethod o f da ta co llec tion and d a ta analysis be u tilized fo r such a variety o f problem! and purposes. It is one o f th e hallm arks o f scientific social inqu iry th a t m ethods are selected as a r e s u l t o f p rob lem specifications ra th e r than independen tly o f th e m .” S p rach k o n tak tp h än o m en e verlangen, w enn es sich um T ransferenz hande lt, eine genauere stru k tu ra le B etrach tung des S prachkorpus (so sind die S tudien der kon trastiven Linguistik gerade für Transferenz-, n ich t aber ohne w eiteres für In terferenzp rob lem e von R ele­vanz), h ande lt es sich um In terferenz , so sind insbesondere M ethoden der Psycholinguistik und Spracherw erbsforschung anzuw enden , h an d e lt es sich um absich tlichen Sprachw echsel, so ist eine deta illie rtere A nalyse der S itua tion , in w elcher der Sprachw echsel s ta ttf in d e t, zu geben (G e­sp rächspartner: persönliche M erkm ale, In ten tio n en , V orbere itung auf und für das G espräch, Sprecherzahl, H äufigkeit und A rt des Sprecher­w echsels (zu den In ten tio n en vgl. die U nterscheidung eines “ n o rm ativen” und eines “ ra tio n a len ” Sprecherverhaltens (“ norm ative ac tio n ” vs. “ ra­tional a c tio n ” ) in O ksaar E. O .J./1976 , w obei im ersten Fall der Sprecher die N orm en einer bestim m ten Sprache zu beach ten tra c h te t , im zw eiten Fall m it R ücksicht au f die S prechsitua tion auch verschiedene A rten von Sprachw echsel p rak tiz ie rt) , G esprächsthem a, In terak tions- und In te rp re ­tationsregeln (z.B. bezüglich des Ö ffen tlichkeitsgrades des G esprächs),

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sonstige äußere U m stände (zum elfteiligen K atalog von M erkm alen zur Beschreibung von S prachgebrauchssituationen , den d ie F reiburger F o r­schungsstelle des IdS verw endet, vgl. D eutrich K .H., S chank G. 1973, und Bausch K.H. 1973; Rein K .L., Scheffelm ann-M ayer M. 1975, 263 f. ergänzen diesen K atalog um ein M erkm al, das den “ form alen C harak te r der S itu a tio n " erfassen soll); h an d e lt es sich um G ruppenm ehrsprach ig­keit, so ist insbesondere auch m it interlingual sozio linguistischen M etho­den zu arbeiten : es sind der sprachenrech tliche und sp rachpo litische R ah­m en, In s titu tio n en der Sprachverm ittlung (Schulw esen) und des ö ffen t­lichen Sprachgebrauchs (M assenm edien, B uchm ark t) darzuste llen , d em o ­graphische D aten der fraglichen Sprechergruppe sind zu erheben , Sprach­gebrauchssitua tionen sind zu analysieren , A ngaben zur Sprach loyalitä t sind zu m achen, u .a .m . (vgl. auch Haugen E. 1953, 319-336, w o u.a. auf die N o tw endigkeit einer V ariierung der Dialekte bei gleichen soziologi­schen und geschichtlichen V erhältn issen in der S prechergruppe, sow ie einer V ariierung le tz te re r V erhältn isse bei gleichem D ialekt hingew iesen w ird , w enn die A usw irkungen von S p rach k o n tak t bestim m t w erden sol­len (ebd., 320)).

Bei all d iesen qualita tiven , re la tionalen und q u an tita tiv en V erfahrens­w eisen ist d a rau f zu ach ten , d aß im R ahm en von spezifisch sprachw issen­schaftlichen U nternehm ungen die Sprachverhältn isse die abhängigen V ariablen b leiben: G egenstand der Forschung sind Sprachen (langage) in ihren system atischen und asystem atischen Zügen, d .h . insbesondere als “ langue" und als “ p aro le” , h insich tlich ihrer L eistungen und F u n k tio ­nen, sow ie schließlich in ih rer vielfältigen B edingtheit. E ine unum gäng­liche K om plizierung dieser S itua tion ergib t sich w eiterh in daraus, daß die Sprachen au f verschiedenen segm entativen (bzw . “ k o m plek tiven” ) sprachlichen E benen zu erforschen sind: dies sow ohl korpuslinguistisch (Phonologie und P honetik , M orphologie, S yn tax ; Lexikologie; T ex tlin ­guistik , jew eils allgem ein für alle Subsprachen) als auch funk tionslingu i­stisch (Subsprachen und deren Beziehungen zueinander; A usbaukom para­tistik ).

Schließlich w ird M ehrsprachigkeitsforschung in vielen Fällen auch in te r­d iszip linär vorgehen müssen, um zu b rauchbaren R esu lta ten zu gelangen.

2 .2 . Soziolinguistik

“ Sociolinguistics is a hybrid d iscipline w ith a sho rt and largely atheoretical h is to ry .” (G rim shaw A.D. 1971, 135).Ein augenfälliges Sym ptom h ierfür ist die anha ltende D iskussion um die Selbstbezeichnung dieser D isziplin(en): insbesondere k o nku rrie ren die T erm in i Sozio lingu istik (sociolinguistics) und Sprachsozio logie (auch

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Soziologie der Sprachen) (sociology o f langugage); zur T erm inologie vgl. z.B. Bright W. 1966, 11, w o u.a. au f C urrie H.C. 1952 als frühe V erw en­dung von socio-linguistics h ingew iesen w ird ; vgl. ferner Pride J.B . 1970,287 f. und S ieger H. 1973, 245 f.

F ishm an b ew erte t die D ifferenz zw ischen “ sociolinguistics” und “ socio­logy o f language” als gering gegenüber den G em einsam keiten: “ B oth are concerned w ith th e in te rp en e tra tio n betw een societally p a tte rn ed variation in language usage and variation in o th e r societally p a tte rn ed behavior, w h eth er viewed in in tra-com m unal o r in in ter-com m unal perspective .” (F ishm an J.A . 1971, 8). F ishm an lehn t letz tlich diese U nterscheidung, sow eit eine D ifferenzierung in E inzeldisziplinen in ten d ie rt ist, ab und sieht in der “ sociolinguistics” eine Spezialdisziplin der “ sociology o f language” : ‘All in all th en , th e s o c i o l o g y o f l a n g u a g e is con ­cerned w ith language varieties as targets, as obstacles and as fac ilita to rs, and w ith th e users and uses o f language varieties as aspects o f m o r e e n c o m p a s s i n g s o c i a l p a t t e r n s o r p r o c e s s e s . ” (ebd., 9). ln Bezug au f die S egm entation des Forschungsgegenstandes k önnen die U n tersuchungen h ierbei je nach E rfo rdern is zw ischen m ax im aler und m inim aler K om plex ion bzw . Segm enta tion (M akro- vs. M ikrosoziologie; U nterscheidung verschiedener linguistischer E benen) variieren (ebd ., vgl. auch F ishm an J.A . 1971a, 241-250); die Sprachsoziologie ist d am it z.T. auch eine w eitere “ B indestrichsoziologie” , w ie es z.B. “ O rganisationsso­ziologie” , “ W issenssoziologie” , “ B etriebssoziologie” , “ R eligionssoziologie” , “ R echtssozio log ie” , “ G em eindesozio logie” etc. sind. Forschungsgegen­stand sind für F ishm an sow ohl die E inzelsprachen und Sprache als solche, je in A bhängigkeit von soziologischen F ak to ren , als auch soziale Bezie­hungen, G ebilde, V erhaltensw eisen o.dgl. in A bhängigkeit von sprachw is­senschaftlichen u.a. V ariablen. N eben der V ariierung au f der K om plexions-/ Segm entationsskala (M akro- bis M ikrosoziologie bzw . -linguistik) und neben dem W echsel zw ischen Sprache(n) als abhängige vs. unabhängige V ariablen k o m m t als eine d r itte allgem eine V ariable die U nterscheidung zw ischen in tra- vs. in terlingualer F orschung bzw . deren soziologischen E ntsprechungen h inzu , d .h . die B eschränkung au f eine einzige Sprache bzw . Sprechergruppe (zu le tz terem vgl. F ishm an J.A . 1971, 8: in tra-com ­m unal vs. in ter-com m unal) oder die E rforschung m ehrerer Sprachen bzw . Sprechergruppen, die in bestim m ter, soziologisch relevanter Weise k o rre ­liert sind. A uf G rund der zw eiten vorstehend erw ähn ten allgem einen V ariable h a t die “ sociology o f language” F ishm ans einen ausgesprochen in terd iszip linären C harak te r (dies w urde im übrigen auch bere its von W einreich U. 1953, 3-5 für die E rforschung des “ psychological and socio­cultu ral setting o f language c o n ta c t” festgestellt). E ine vierte allgem eine

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U nterteilung der “ sociology o f language", d ie ebenfalls den in terd iszip li­nären C harak te r dieser Forschungen zeigt, erg ib t sich aus F ishm ans Dif­ferenzierung in “ descrip tive sociology o f language” vs. “dynam ic socio­logy o f language” : d e s c r i p t i v e s o c i o l o g y o f l a n g u a g e . ,seeks to answ er th e question ‘w ho speaks (o r w rites) w hat language (or w hat language variety) to w hom and w hen and to w hat e n d ? ’ ” (F ishm an J.A . 1971a, 219). Diese für die “ sociology o f language” program m atische Fragestellung ist gegenüber jen e r in Fishm an J.A . 1965 fo rm u lie rten (“ W ho speaks w hat language to w hom and w h en ?” ) bere its kom plexer, läß t sich aber noch durch d ie beiden V ariablen “w h ere” und “ ab o u t w h a t” ergänzen. Das daraus resu ltie rende allgem eine F orschungsprogram m w äre ein Program m eigentlich für die gesam te Sprachw issenschaft (im Sinne e iner W issenschaft des “ langage” Saussures):

“ w hat language” : V ariable über den Bereich des sprachlichen K orpus (im Sinne von H. K loss); die “ K orpuslingu istik” e n t­spräche etw a der “ eigen tlichen” Linguistik;

“ to w h a t en d ” : V ariable über den Bereich der in ten d ie rten sprachli­chen F u n k tio n en ; E rforschung insbesondere auch d e r in ten tio n a l fun k tio n a len Subsprachen;

“ w ho to w h o m ” : V ariable über den Bereich der Sprecher bzw . Sprecher­g ruppen;

“ w hen and w here” : V ariable über den Bereich der ereignism äßigen bzw.lokalen S prachgebrauchssitua tionen ; E rforschung von R egio lek ten ;

“ ab o u t w h a t” : V ariable über den Bereich des G esprächsthem as; z.T.auch F ragestellungen der “ S tilis tik” .

D er spezifisch soziolinguistische A spek t käm e nun dadu rch zustande, daß diese F ragepronom ina, die kalkü ltheoretisch als G egenstandsvariablen zu b e trach ten sind, m it dem zugehörigen (m ehrstelligen) G rundp räd ika t “ speaks” im R ahm en einer soziologisch o rien tie rten Fragestellung durch K onstan ten e rse tz t w erden und le tz tere durch soziologisch o rien tie rte K ategorien als F u n k tio n sk o n stan ten w eite r bestim m t w erden .

“ . . . d y n a m i c s o c i o l o g y o f l a n g u a g e . . . seeks to answ er th e question w hat accoun ts fo r d iffe ren t ra tes o f change in th e social o rganization o f language use and behavior tow ard language?” (F ishm an J.A . 1971a, 219).

Z usam m enfassend läß t sich die “ sociology o f language” F ishm ans dem ­nach wie fo lg t gliedern:

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1) abhängige G egenstandsvariable (G V ) über den Bereich der S prache(n) und unabhängige G egenstandsvariable über den Bereich soziologisch o rien tie rte r O bjek te vs. unabhängige GV über den Bereich der Spra­che in ) und abhängige GV über den Bereich soziologisch o rien tie rte r O bjek te;

2) M akro- vs. M ikrosprachsoziologie (m it Z w ischenstufen);

3) synchrone (“ desk rip tive” ) vs. d iach rone (“ dynam ische” ) Sprachsozio ­logie;

4) intralinguale vs. interlinguale bzw . Sprechergruppen isolierende vs. Sprechergruppen korrelierende Sprachsoziologie.

Die Soziolinguistik ließe sich dann dah in charak terisieren , daß in obigem P unk t 1 die abhängigen V ariablen in dem au f Seite 353 ausgeführten Sinn über den Bereich der Sprache(n) laufen , d ie P unk te 2 und 3 uneinge­schränk t zu tre ffen und be tre ffs P unk t 4 die A lternative in tralingual vs. interlingual gilt. In den R ahm en einer so lchen Soziolinguistik fügen sich auch die Ü berlegungen von H ym es Dell 1967, 13 ein, w o die in tend ie rte Soziolinguistik “ th e e thnog raphy o f speaking” (H ym es Dell H. 1968) als “ ... a stu d y o f speaking th a t seeks to d e te rm ine th e native system and th eo ry o f speaking; w hose aim is to describe th e com m unicative com pe­tence th a t enables a m em ber o f th e com m un ity to know w hen to speak and w hen to rem ain silent, w hich code to use, w hen , w here and to w hom , e tc .” um rissen w ird . A uch Labovs “ S tu d y o f Language in its Social C on­te x t” (Labov W. 1971) läß t sich in eine so bestim m te Soziolinguistik einordnen: der S chw erpunk t liegt h ier bei einer in tralingualen M ikro­soziolinguistik ; vgl. z.B. d ie exem plarische S tud ie Labov W. 1966, w o bestim m te phonetische M erkm ale au f ihre sozialschichtenm äßig signifi­kan te R ealisation bei einem bestim m ten Teil der S tad tbevö lkerung von New Y ork hin u n te rsu ch t w erden . Labov ha t gewisse Schw ierigkeiten m it der A bgrenzung der “ socio linguistics” von d e r “ general linguistics” , und er hä lt sociolinguistics für “ ... an odd ly red u n d an t te rm ...” (L abov W.1971, 152); der G rund hierfür ist in Labovs These zu sehen, daß “ Language is a form o f social behav io r...” (ebd .). Diese These ist in ih rer A llgem ein­heit, soll sie n ich t als N om inaldefin ition (von language u n d /o d e r social) genom m en w erden , falsch. E inerseits vernachlässigt sie (wegen “ behav io r” ) den “ ergon” -A spekt d e r Sprache, d .h . insbesondere das ob jek tive Sprach­system , andererseits ignoriert sie wegen ihres defin ito rischen C harak ters d ie Fülle sprach licher F u n k tio n en , vgl. h ierzu z.B. K ainz F . 1962, 172- 266, w o an prim ären S p rach funk tionen eine dialogische und eine m o n o ­logische F u n k tio n und an sekundären S p rach funk tionen eine ästhetische, eine eth ische , eine m agisch-m ythisch-religiöse und eine logisch-alethische

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F u n k tio n un tersch ieden w erden ; von den beiden prim ären Sprachfunk- tionen w ird bei einer jed en Sprachäußerung en tw eder die eine o d e r die andere erfüllt. W enn auch K ainz F. 1962, 172 das dialogische M om ent als w ich tigste Leistung der Sprache hervo rheb t, so ignoriert er doch nich t die m onologische F u n k tio n und den Bereich der von ihm so klassifizierten “ sekundären F u n k tio n en ” ; vgl. ferner das “ O rganon-M odell” in Bühler K. 1965, 28, w o dem sprachlichen Zeichen die drei F u n k tio n en “ A usd ruck” (Sender-Zeichen-B ezug), “ A pell” (Em pfänger-Zeichen-B ezug) und “ D ar­stellung” (G egenstand-bzw .Sachverhalt-Z eichen-B ezug) zugeo rdne t sind. Für den gegebenen D iskussionszusam m enhang von en tsche idender Wich­tigkeit ist Bühlers F eststellung, daß diese drei “ Sinnbezüge” w eitgehend unabhängig variabel sind (ebd., 28). Der T erm inus S ozio lingu istik ist d a­her du rchaus n ich t p leonastisch .

2.3. W issenschaftsgeschichtliches zur in terlingualen Soziolinguistik

Es ist sicher kein Zufall, daß gerade in V ielvö lkerstaaten m it G ruppen ­m ehrsprach igkeit soziolinguistische S p rachkon tak tfo rschung gepflegt w ird . N och für die V erhältn isse in der österreichisch-ungarischen D oppel­m onarch ie sei h ier an den G razer R om anisten Hugo S chuchard t (zunächst P rofessor in Halle (1873), dann in G raz (1876 -1900 )) und dessen A b­handlung über slavo-deutsch-italienische S p rach k o n tak te (S chuchard t H. 1884) erinnert; zudem pub liz ierte er zahlreiche S tud ien zur M ischspra­chenbildung und K reolisation (z.B. Indoportugiesisch , M alaioportugie- sisch u.a.). In N ordam erika und der UdSSR sind ausgiebige Forschungen au f dem G ebiet der in terlingualen Soziolinguistik zum indest für d ie Zeit nach dem 2. W eltkrieg eine S elbstverständ lichkeit. A uf d ie bek an n te ren dieser U n ternehm ungen w ird nachstehend kurz hingew iesen. Z ur F o r­schungssituation in F rankreich hoffen w ir später berich ten zu können .

Für die USA sind u .a. F ishm an, Ferguson und G um perz zu nennen (vgl. F ishm an J.A . (Hg.) 1966; 1971; 1974; Ferguson C.A. 1959; G um perz J.J . 1967; G um perz J .J ., H ym es D. (Hgg.) 1972); F ishm an g ib t seit 1974 das In te rna tiona l Jo u rn a l o f th e Sociology o f Language (T he Hague,Paris) heraus (G eneral E d ito r; zu den M itherausgebern g eh ö rt auch H. Kloss), Ferguson ist der G ründer des C enter fo r A pplied L inguistics in W ashington, D.C.; ab 1962 gab er die “ C ontrastive S tru c tu re Series” heraus (die A rbeiten für dieses P ro jek t, das eine B eschreibung d e r Ü berein­stim m ungen und D ifferenzen zw ischen Englisch einerseits und D eutsch, Französisch, Spanisch, Italienisch bzw . Russisch andererseits zum Ergeb­nis haben sollte, w aren bere its 1959 u n te r der Ä gide des C en ter fo r A pplied Linguistics aufgenom m en w orden; d ie e rs ten beiden B ände er­schienen 1962 (E nglisch-D eutsch-K ontrastierung); zur K ritik an diesem

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Projekt vgl. N ickel G., W agner K.H. 1968, 239 ff.: da eine allgem einere T heorie kon trastiver L inguistik feh lte und auch keine b re it durchgeführ­ten D etailstud ien je zu Basis- und Zielsprache Vorlagen, b lieben die Ergeb­nisse unbefriedigend). Für K anada sind insbesondere die Forschungen am C entre in te rna tiona l de recherche sur le bilinguism e (C IR B /IC R B ) in Q uebec zu erw ähnen , das sich u.a. auch m it sprachsoziologischen P roble­m en einschließlich von Sprachenrech tsfragen be faß t; vgl. z.B. die von H. Kloss in itiie rten und m itgele ite ten P ro jek te “ T he w ritten languages o f th e w orld: a survey o f th e degree and m odes o f use” und “ L inguistic com position o f th e na tions o f th e w o rld ” ). Für die U dSSR sei zunächst auf die B ibliographie G irke W., Jachnow H. 1974 hingew iesen. E ine zen­trale soziolinguistische Forschungsstä tte ist der “ S ek to r sociolingvistiki” des “ In s titu t jazykoznan ija A kadem ii nauk SSSR ” (Soziolinguistische A bteilung des In s titu ts für Sprachw issenschaft d e r A kadem ie der Wissen­schaften der U dSSR). A bteilungsleiter ist Ju .D . Deseriev, von den M itar­beitern ist insbesondere A.D. Svejcer zu erw ähnen , der sich auch m it der am erikanischen Soziolinguistik auseinandergesetzt h a t (Svejcer A .D. 1971). DelSeriev ist (1 9 7 5 ) auch P räsident des “ N aufny j sovet po kom pleksnoj p roblem e ‘Z akonom ernosti razvitija nacional ‘nych jazykov v svjazi s razvitiem socialistiiesk ich nacij’” (W issenschaftlicher R a t für das kom plexe Problem “ G esetzm äßigkeiten der E ntw icklung von N ationalsprachen im Z usam m enhang m it der E ntw icklung sozialistischer N a tio n en ” ). Die sozio- linguistischen Publikationsvorhaben des In s titu ts für Sprachw issenschaft der AN SSSR um fassen sow ohl theo re tische als auch em pirische S tud ien (u.a. auch in E ntw icklungsländern). Eine zw eite zen trale Forschungsstel­le für Fragen der Soziolinguistik , speziell d e r in terlingualen R ich tung , ist das N.N. M iklucho-M aklaj-Institu t (der AN SSSR) für E thnographie .Hier w erden speziell N ationalitä ten fragen und d am it zusam m enhängende soziolinguistische P roblem e un te rsuch t. A n in terlingual soziolinguistischen P ub likationen seien für die Sovetun ion DeSeriev Ju .D . 1958; 1966; 1971; De^eriev Ju .D ., Proifenko J .F . 1968; M ladopis’m ennye jazyki 1959, Lewis E.G. 1972 und Russkij jazyk 1974 erw ähn t.

V ergleichbare S tud ien aus der B undesrepublik D eutsch land sind noch verhältnism äßig rech t jungen D atum s; an deu tschsprach igen A rbeiten w ären h ier für d ie S itua tion in E uropa insbesondere D ^csy G y. 1973, H aarm ann H. 1975 und die beiden Bände der “ F estsch rift H einz K loss” (Sprachen und S taa ten 1976) zu nennen.

Was soziolinguistische S p rach k o n tak tstu d ien speziell des D eutschen an­belangt, so sind m it T h ierfelder F. 1956 /57 , Fausel E. 1959 und d e r von H. M oser herausgegebenen Sonderreihe der D uden-B eiträge “ Die Beson­d erheiten der deu tschen S chriftsprache im A usland” , M annheim 1962 ff.,

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bereits gewisse V orarbeiten geleistet. D aß an d e r T hem atik In teresse be­steh t, zeigen auch kleinere Beiträge wie z.B. R oche R. 1973; W ildgen W. 1975 oder PovejäSil J. 1975. Für 1976 ist eine g rößere A rbeit von K. Rein über deu tsche Sprachinseln täuferischen U rsprungs in den USA angekün­digt (R ein K. 1976).

3. A rbeits- und Forschungsergebnisse der AMS

N achstehend w erden die w ich tigsten A rbeiten und Forschungsergebnisse, die von der AMS d irek t oder im Z usam m enhang m it ih r e ra rb e ite t und pub liz iert w orden sind, aufgeführt und in F orm von Zusam m enfassungen dargestellt.

Kloss H. 1971 bring t einen knappen geschichtlichen A briß der deu tschen Sprache als M utter-, Zweit- und F rem dsprache in den USA. D eutsch als M uttersprache w ird h ierbei danach un tersch ieden , ob es M uttersp rache von E inw anderern oder von bere its in den USA G eborenen ist (“ immi- g ran t” vs. “ indigenous” ); der Begriff “ Z w eitsprache” (“ second language” ) w ird so defin iert, daß eine Z w eitsprache keine M uttersp rache ist, aber in einem sehr hohen M aße beherrsch t w ird und in b estim m ten Sprachge­b rauchssitua tionen k o n stan t verw endet w ird ; der Begriff einer “ F rem d­sprache” ist eine R esidualkategorie zu “ M utte r-” und “ Z w eitsp rache” .Am Schluß d e r A rbeit w erden m ögliche F orschungsvorhaben skizziert.

Kloss H. 1971a en th ä lt D iskussionsbeiträge zum T hem a; fo lgende zwei D iskussionspunkte sind h ier besonders herauszuheben: zum einen die Frage nach Sinn und W ert von M ehrsprachigkeit in d e r K om bination M utter- m it Z w eitsprache, im gegebenen Fall S tandarddeu tsch vs. A m e­rikanisch-Englisch bzw . d eu tscher D ialekt vs. S tandarddeu tsch vs. Ameri- kanisch-Englisch, zum anderen der forschungsm äßige S te llenw ert von korpuslinguistischen A rbeiten für den S p rachun terrich t. G .G . G ilbert und H. Kloss sehen für die USA als S taatsw esen und G esellschaft einen G e­w inn darin , daß die gegebenen C hancen, solche m ehrsprachigen A ngehö­rigen zu haben, fru ch tb a r gem acht w erden; zum al da A m erikanisch-E ng­lisch höchstens in Spanisch gebietsw eise eine e rn s th a fte K onkurrenz erfäh rt. Der G ew inn zeigt sich sow ohl im K o n tak t m it anderen N ationen als auch im Z usam m enleben der e thn ischen G ruppen eines m u ltin a tio n a ­len S taates. J. E ichho ff sieh t diesen G ew inn n ich t, da der A ufw and bei der Realisierung g roß sei; sta ttdessen befü rw orte t er den am erikan isch­englisch m onolingualen Sprecher m it D eutsch als F rem dsprache. B. Reeves b e to n t die D ringlichkeit korpuslinguistischer S tud ien über die deu tschen Sprachvarianten in den USA für den D eu tsch u n terrich t in den Schulen und an den U niversitäten m it einer m u ttersp rach lich deu tschen Zielgrup-

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pe, da effek tive linguistische C urricula eine zuverlässige korpuslinguisti­sche E rarbeitung der b e tre ffen d en Sprache no tw endig voraussetzen . M it R ücksicht au f eine b re ite V erw endungsm öglichkeit dieser Forschungser­gebnisse h insich tlich der V ielzahl d eu tscher S prachvarianten in den USA schlägt B. Reeves vor, d ie jew eils u n te rsu ch ten Sprachvarianten von vor- neherein m it dem S tandarddeu tschen zu k o n fro n tie ren , da ein Teil der Forschungsergebnisse dann für alle V arian ten relevant sein w ird und Be­sonderheiten m it geringerem A ufw and berücksichtig t w erden k ö n n en als bei n ich t kom paratistischem V orgehen; eine K orrelierung der S prach­varianten m it dem S tandarddeu tschen ist au f jeden Fall nötig , da le tz te ­res Z ielsprache des U n terrich ts ist.

Kloss H. 1972 ist ein Beitrag zur T ypologie m u ltin a tio n a le r S taa ten und zur m it le tz te ren verbundenen po lito logischen und vö lkerrech tlichen P rob lem atik . Insbesondere w erden auch d ie D ifferenzen zw ischen einem zw eisprachigen und einem m ehr als zw eisprachigen m u ltina tiona len S taa t herausgearbeite t, da diese in der staa tlichen Praxis erhebliches G ew icht haben: bei m eh r als zw eisprachigen S taa ten läßt sich eine to ta le rech tli­che G leichstellung der b e tre ffen d en Sprachen n u r schw er oder gar n ich t m ehr p rak tiz ieren . Im A nhang w erden u.a. die T erm in i A m tssprache (A m tssprache des S taa tes B vs. A m tssprache im S taa te B), N ationalspra­che und A rbeitssprache e rläu te rt: “ A m tssp rachen” sind Sprachen der politischen A dm in istra tion (der zen tra len (“ A m tssprache des S taa tes” : allein- oder k o d o m in an te Sprachen) oder einer regionalen (“ A m tssprache im S ta a t” )). “ N ationalsp rachen” sind indom inan te Sprachen m it einer rechtlich gültigen sym bolischen F u n k tio n in nationa le r bzw . e thn ischer H insicht. Sie k önnen “ A m tssprachen im S ta a t” sein; ein Beispiel ist das indom inan te R äto rom an isch in der Schw eiz, das als vierte “ N ational­sprache” gilt. E benso wie “ A m tssp rache” und “ N ationalsp rache” ist auch “ A rbeitssp rache” ein ju rido linguistischer Begriff, d e r aber, in te rn a tio n a l gesehen, sehr viel uneinheitlicher gefaß t ist als d ie be iden ers teren . Indo ­m inan te “ A rbeitssp rachen” k önnen u.U . in bestim m ten V erw endungs­bereichen d o m in an te r Sprachen eine höhere G ebrauchshäufigkeit haben als die konk u rrie ren d en do m in an ten S prachen.

Kloss H. 1973 g ib t einen dem ographisch-soziolinguistischen Ü berblick über die S itua tion des D eutschen als M uttersp rache im Sprachausland, d .h . d o rt, w o D eutsch n ich t a lle indom inan t, sondern ko- o d e r indom i­n an t ist: k o dom inan t: Belgien, L uxem burg , Schw eiz, Südw estafrika; indom inan t: D änem ark, F rankreich , Italien , sozialistische S taa ten Ost- und Südosteuropas, überseeische S taa ten (sow eit d eu tsch -m u tte rsp rach ­licher B evölkerungsanteil vo rhanden). Als besonders w ichtig für d ie S tel­lung einer (ko- oder) indom inan ten Sprache im S p rach k o n tak t erw eist

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sich deren V erhältn is zu einer linguistisch zugehörigen S tandardsprache, insbesondere, w enn diese in einem anderen Land a lle indom inan t ist: der G ebrauch einer o rtho linguistisch befried igenden S tandardsprache als “ D ach” der b e tre ffen d en (ko- oder)in d o m in an ten V arian te fö rd e rt sta­bile G ruppenm ehrsprach igkeitsverhältn isse und schw ächt den V erdrän­gungseffekt der Sprachum gebung (au f die ko- oder indom inan te V ariante der b e tre ffen d en S tandardsprache) ab (w enngleich u.U . die V arian te zu­gunsten der S tandardsprache verdrängt w ird). Beispiele für deu tsche Sprachvarianten ohne nennensw erte m uttersp rach lich-standardsprach liche S tütze, ohne “ Ü berdachung” , b ie ten u.a. die m eisten sozialistischen Län­der (eine A usnahm e m ach t insbesondere R um änien), Brasilien und F rank­reich (O st-L othringen, Elsaß). (Ko- oder)in d o m in an te M uttersprachen w irken sich au f die Stellung dieser Sprachvarian ten u n d /o d e r der zugehö­rigen S tandardsprache als F rem dsprache in dem b e tre ffen d en Land aus (in den USA w ar z.B. D eutsch ca. 1865-1917 erste F rem dsprache und dies vornehm lich au f G rund der sta rken deu tschen E inw anderung).

Kloss H. 1973a b e rich te t über dem ographisch-soziolinguistische und aus­baulinguistische V erschiebungen innerhalb der germ anischen Sprachen­fam ilie. Für das D eutsche ist h ierbei au f G rund von M assenzwangswan­derungen (in der Zeit nach dem 1. W eltkrieg, w ährend d e r H errschaft der N ationalsozialisten in Deutschland und nach dem 2. W eltkrieg) und da­m it auch verbundener M assentötung, sow ie au f G rund eines Sprachw ech- sels g roßen A usm aßes (z.B. in den USA ab 1917, in der S ovetun ion und in Brasilien) ein s tarker Rückgang als M uttersprache zu verzeichnen. D eut­lich ist auch die Schw ächung des D eutschen als F rem dsprache, und zwar sow ohl in Bezug au f die S precherzahl als auch au f U m fang und Q ualitä t der Sprachkom petenz .

Kloss H. 1974 d isku tie rt sprachaxiologische K riterien . Bei einem bew er­ten d en Vergleich von S prachen ist deren S itua tion sow ohl als M u tte r­ais auch als Zweit- bzw . F rem dsprache zu berücksichtigen. Im le tz teren Fall ist zu un terscheiden zw ischen d e r S itua tion einer Zweit- bzw . F rem dsprache in einem S taat, in w elchem diese Sprache bei einem Teil d er Bevölkerung auch M uttersp rache ist, und in S taa ten w o dies n ich t d er Fall ist. ln fu n k tio n a le r H insicht k o m m t insbesondere dem A usm aß und E influß einer allein-, ko-, o der indom inan ten S tellung, auch im R ah­m en supranationa ler O rganisationen , sow ie d e r V erw endung als “ A rbeits­sprache” in in te rna tiona len G rem ien G ew icht zu. K ultur- und b ildungs­politische A nstrengungen k önnen h ier von beträch tlichem Erfolg sein. E inen E xtrem fall stellen die P idginsprachen dar-, denn solange sie n ich t k reo lisiert sind, w erden sie n ich t als M uttersp rache trad ie r t. D er in te rna­tionale Rang einer Sprache w ird ge fö rd e rt oder bee in träch tig t du rch den

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Grad der E rlernbarkeit von dieser oder jen e r A usgangssprache her, der selbst w ieder von d e r Fülle und F ru ch tb a rk e it von S p rach k o n tak ten ab­hängt. Bei der vergleichenden S prachbew ertung ist w eiterh in das Ü ber­setzungsvolum en in R echnung zu stellen, w obei u .a. A rt und W ert der übersetzten L ite ra tu r sowie der S te llenw ert der Sprachen, aus den en bzw . in die übersetzt w ird, zu berücksichtigen ist. W eitere K riterien beziehen sich au f den A usbaugrad und die sozioku ltu relle L eistungskraft e iner Sprache sow ie au f num erische G röße und soziolinguistische Z usam m en­setzung der m u tte r- oder prim ärsprach lichen Sprechergruppen; h ierbei kann u.U . in einem m u ltina tiona len S taa t sprachplanerisch einer von ei­ner dem ographisch-soziolinguistisch schw achen Sprechergruppe getrage­nen Sprache als lingua franca in diesem S taa t der V orzug gegeben w erden (vgl. Suaheli in T ansania , Tagalog (Philip ino) au f den Philipp inen). A n­dere K riterien sind schließlich geolinguistischer N atu r: Zahl, G röße, G lie­derung und N achbarschaften der Sprachgebiete.

Kloss H. 1976 d isk u tie rt (nach Kloss H. 1952 und 1967) e rn eu t d en k o r­puslinguistischen B egriff einer “ A bstandsp rache” und den fu n k tio n slin ­guistischen Begriff einer “ A usbausprache” . Für den B egriff e iner “ A usbau­sprache” w ird eine neungliedrige S tufung an H and einer d re ifachen D if­ferenzierung des Sachschrifttum s nach dessen T hem atik und e iner eben ­falls d re ifachen D ifferenzierung der Sachprosa nach deren (b ildungsm äßi­gen) “ E n tfa ltu n g sstu fe” (z.T . in te llek tueller Schw ierigkeitsgrad) vorge­schlagen. Im Z usam m enhang m it dieser S tufung w ird als neuer T erm inus A usbaud ia lek t für “ D ialek te” , die einen b estim m ten m axim alen und o p ­tim alen A usbaugrad aufw eisen, e ingeführt. W eiterhin w ird der von W.B. S tew art au fgebrach te B egriff einer “ po lycen tric Standard language” (V a­rian ten der S tandardsp rache , die als solche selbst auch standard isiert sind: S tandardsprachvarian ten ) e rö r te rt. Zum Schluß behande lt K loss H. 1976 P roblem e “ dach loser A u ß en m u n d arten ” (z.B. in dom inan te r D ialek­te ohne sozio- und juridolinguistisch zugeordnete , korpusm äßig nahe (in einem b estim m ten anderen S taat allein- o der k o d om inan te ) S tandardsp ra­che: Pennsilfaanisch, Elsässer D itsch, fränk ische M undarten O st-L o th rin ­gens der jüngeren G enera tion , das H unsrückische in R io G rande do Sulu.a.).

Kloss H. 1976a k lärt G rundprob lem e zw eisprachiger Schulen . E ine defi- nitorisch no tw endige Bedingung für “ zw eisprachige” Schulen ist, daß beide Sprachen auch U n terrich tssp rache (und n ich t nu r U nterrich tsgegen­stand) sind. Das M aß ihrer V erw endung hängt von der A ufgabenstellung und Zielsetzung der Schule ab. N eben der H eranbildung m ehrsprachiger Schüler ist insbesondere die sprach lich-ku ltu relle A ssim ilation m it Sprach- wechsel eine häufige A ufgabenstellung solcher Schulen. Für eine befried i­

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gende A ssim ilation ist am fruch tbars ten die “ organische A ssim ilation” ; der Ü bergang von der M uttersp rache zur Z ielsprache erfo lg t allm ählich im Laufe der gesam ten Schulzeit. In den sog. u traqu istischen Schulen des kaiserlichen Ö sterreichs (in Südkärnten für die Slovenen) h a tte diese Pädagogik bere its einen V orläufer. A ndere A ssim ila tionsm ethoden sind auch wegen ihres gew altsam en E inbruchs in d ie E ntw icklung des K indes abzulehnen. Eine d r itte A ufgabenstellung zw eisprachiger Schulen findet sich d o rt, w o die M uttersp rache n ich t genügend ausgebaut ist, um sie als U n terrich tssprache für alle U n terrich tsfächer und w ährend der gesam ten Schulzeit verw enden zu kö n n en ; dies gilt z.B. für die no rdfriesischen Dia­lek te in Schleswig sow ie für die v ierte “ L andessprache” der Schw eiz, das (indom inan te) R äto rom an isch . Kloss H. 1976a b e to n t im H inblick auf die diversen F unk tio n en der Sprache, daß eine zw eisprachige Schule im ­m er auch eine b iku ltu re lle Schule sein m uß . A n In s titu tio n en , die sich in ternational besonders um zw eisprachige Erziehung verd ien t gem acht haben, w erden das Sum m er In s titu te o f Linguistics in S an ta A na (C al./ USA) und die UNESCO hervorgehoben.

Kloss H. 1976b behande lt E x istenzproblem e k le iner Sprachgem einschaf­ten am Beispiel des R äto rom an ischen in der Schw eiz, des Färingischen au f den F äröer Inseln, des Sorbischen in der DDR und des Irischen auf Irland. Zu den für den B estand solcher Sprachen erstrangig w ichtigen F ak to ren gehören R undfunksendungen in diesen Sprachen (u.a. auch, weil diese sich, verglichen m it anderen M assenkom m unikationsm itte ln , am le ich testen w irtschaftlich realisieren lassen) und S ach lite ra tu r; um die nötige sprachliche L eistungsfähigkeit zu erreichen bzw . zu erhalten , ist eine S tad t als sprachlich-kulturelles Z en trum u nen tbeh rlich . Speziell für das R äto rom anische gilt, d aß den fün f V arian ten des R ä to ro m an i­schen ein S tandard rä to rom anisch zugeordnet w erden m üßte, das den fun k tio n a len A nforderungen in der K onkurrenz m it D eutsch , F ranzö ­sisch und Italienisch in der Schweiz einigerm aßen nachkom m en kann .

Kloss H., M cConnell G .D . 1974 ist der erste Band eines siebenbändigen Publikationsvorhabens des C entre in te rna tiona l de recherche sur le bilinguism e in Q uébec. In d e r E inleitung, die zum g rö ß ten Teil Kloss H. 1973b zur G rundlage ha t, w erden die zugrundegelegten sta tistischen K ategorien dargestellt. Die Schw ierigkeit der E rarbeitung sinnvoller Ka­tegorien d ieser A rt beginnen bere its bei der ex tensionalen B estim m ung des Begriffs “ language” : das m etalinguistische P roblem liegt darin , daß d e r Begriff einer E inzelsprache in Bezug au f seine Spezifizierungen n u ­m erisch bestim m bar sein m uß. D er Lösungsvorschlag der A u to ren arbei­te t au f der Basis einer D icho tom ie “ language” vs. “ d ia lec t” , die u n te r H eranziehung des von H. Kloss in anderen A rbeiten dargelegten “ A usbau-”

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und “ A bstandsk rite rium s” (vgl. Kloss H. 1952; 1967, 1973b , 1976) getro ffen w ird . In dem verw endeten K atalog sta tistischer K ategorien sind (subjektive) S prachbew ertung , Sprachgebrauchshäufigkeit, Sprachge­b rauchssitua tionen m it besonderer Berücksichtigung der M assenkom m u­n ika tionsm itte l, C hronologie des E rw erbs der verschiedenen einschlägigen E inzelsprachen sow ie linguistisch relevante soziologische, ethnolog ische und religionsw issenschaftliche K ategorien (A lters- und B erufsgruppen, G eschlecht, e thn ische Zugehörigkeit, A uto- vs. A lloch thon ie , R eligions­gem einschaft) berücksichtig t.

Die S ta tis tiken sind so erste llt, daß sie vor allem synchron , daneben aber auch d iachron kom paratistische In fo rm ationen für den E inzelsprachen- und für den Staatenvergleich geben.

A uburger L. 1976 gib t im S inne einer “ linguistique ex te rn e” (Saussure) einen Ü berblick über die äußere G eschichte der zwei slavischen S tan d a rd ­sprachen m it spezifisch “ m akedon ischem ” G epräge, näm lich über das A ltkirchenslavische und das m oderne S tandardm akedon ische . H ierbei findet der von H. Kloss eingeführte B egriff einer “ A usbausprache” fru c h t­bare A nw endung. A uf d ie balkanologischen S p rach k o n tak te und deren soziolinguistische A usw irkungen, au f den A ufbau eines z.T . d ia lek ta len , m u ttersp rach lichen Schulw esens, sowie au f die m akedoslavische Sprach- fö rderung bzw . S prachpolitik im 19. und 20. Jh . w ird besonders einge­gangen. Ein eigener A b sch n itt ist der F orm ierung des heutigen S tan d ard ­m akedonischen m it den P roblem en der In teg ra tion und des A usschlusses von D ialekten , der Festlegung der linguistischen C harak te ris tika im Be­reich von L exikologie, P hone tik und G ram m atik , sow ie der S tabilisierung und des w eiteren A usbaus des S tandards gew idm et. In einem theo re tisch und m ethodolog isch o rien tie rten K apitel w erden die Begriffe “ A bstand ­sprache” und “ A usbausprache” , ferner die Begriffe “ D ialek t” und “ S tandardsp rache” d isk u tie rt. Für die d am it verbundenen P roblem e der A bgrenzung von E inzelsprachen (z.B. “ B ulgarisch” vs. “ M akedonisch” ) bzw . von Sprachvarian ten w ird u n te r V erw endung des (linguistisch m e th o ­dologischen) Begriffs einer “ E talon-Sprache” und m it A nw endung eines von dem L ubliner W issenschaftstheoretiker L. Koj vorgeschlagenen D efi­nitionsverfahrens für typologisch-klassifikatorische Begriffe eine allgem ei­ne Lösung angedeu te t. H ierbei w erden auch Fragen der O rtho linguistik (T heorie der Sprachplanung) angeschnitten .

Der erste Band der Schriften re ihe “ D eutsche Sprache in E uropa und Ü bersee” , hg. von H. Kloss, H. R upp und L. A uburger, V erlag F ranz S teiner, W iesbaden, ist ein Sam m elband über K anada: “ D eutsch als M ut­tersprache in K anada. B erichte zur G egenw artslage” . In drei Teilen wird

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u n ter A usw ertung d iffe renz ie rte r S ta tis tiken (1) über die deu tsche Spra­che in e inzelnen L andesteilen K anadas (dem ographische G rund ta tsachen ; Provinzen Q uebec, O n ta rio und Britisch K olum bien , P rärieprovinzen),(2) über die deu tsche Sprache in einzelnen Bereichen des ö ffen tlichen Lebens (sp rachenrech tlicher R ahm en; Presse, R u n d fu n k und Fernsehen; L ite ra tu r und T heater; m u tte r- und frem dsprach licher D eu tsch u n terrich t; V erbandsw esen und K irchen; S tellung des J idd ischen), (3) über linguisti­sche B esonderheiten einzelner kanadadeu tscher Sprachvarian ten (M und­art der H utterischen Brüder; M onoph thonge des kanadischen P lau td ietsch ; Sprache kanadadeu tscher Z eitungstex te ) b e rich te t. Der A nhang en th ä lt eine E inw anderungsstatistik nach K anada aus deu tschsprachigen Ländern seit 1946 und eine vollständige B ibliographie zur E rforschung der d e u t­schen M undarten in K anada. Die Beiträge stam m en von insgesam t 16 A uto ren , die bis au f vier (W. V iereck: G raz, J . E ichhoff: M adison/U SA ,H. Kloss: M annheim , L. A uburger: M annheim ) kanadische G erm anisten sind.

Band 2 der Schriften re ihe ist eine D ok to rd isse rta tion (bei Prof. Dr. M. W andruszka, U niversität Salzburg 1973) über den Sprachw echsel in Ost- L othringen. Es h ande lt sich hierbei um eine soziolinguistische U ntersu­chung über die Sprachw ahl von Schülern in bestim m ten S prechsitua tio ­nen. Die D aten w urden durch Fragebögen e rm itte lt. Die Sprachgebrauchs­situa tionen sind hierbei in fünf G ruppen zusam m engefaßt: Individualbe­reich, Fam ilienbereich , religiöser Bereich, Bereich der Ö ffen tlichkeit, F reizeitbereich ; außer den S prachgebrauchssituationen w urden auch die E instellungen der Schüler zur o ffizie llen S prachgebrauchssituation erfragt. Die Sprachw ahl w urde w eiterh in in ihrer A bhängigkeit von d e r regiona­len H erkun ft der E ltern , vom G eschlecht der S precher sowie von Schul­bildung und B eruf d e r V äter d e r Schüler u n te rsu ch t. Ein eigener A bschn itt ist der C harak te ris tik “ d eu tscher S prachgem einden” gew idm et.

W ichtigere Ergebnisse der U ntersuchung sind u .a.:

1) in S itua tionen des Individualbereichs, des F reizeitbereichs und des religiösen Bereichs en tsche ide t sich die M ehrzahl der B efragten für Französisch;

2) in S itua tionen des Fam ilienbereichs sp rich t m an in S itua tionen Be­frag ter vs. E ltern überw iegend F ranzösisch; in S itu a tio n en B efragter vs. G roßeltern w ird dagegen m ehr D eutsch gesprochen; die G ebrauchs­häufigkeit des D eutschen n im m t h ierbei in R ich tung S taatsgrenze zu, in R ich tung Sprachgrenze ab.

Ein w eiterer Band d e r S chriften re ihe hande lt über A spekte d e r Zw ei­sprachigkeit in Südtiro l m it besonderer B erücksichtigung der Schulsitua-

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tion . Diese M onographie b e ru h t au f einer in Italienisch geschriebenen D ok to rd isse rta tion (M ailand 1969), die für die S chriften re ihe um gearbei­te t und ak tualis iert w orden ist.

U n tersucht w ird h ier die M ehrsprach igkeitssituation in Sterzing m it dem oberen Eisacktal, in Bozen und in N eum ark t. A n S prachw ah lsitua tionen w urden M ischehen (m it besonderer B erücksichtigung des Sprachgebrauchs der K inder), K indergärten , Volks- und M ittelschulen sowie die M assen­k o m m un ika tionsm itte l R u nd funk und Fernsehen u n te rsu ch t.

Ein Band b ring t eine h isto rische U ntersuchung über das V erhältn is zwi­schen “ D eu tsch” und “ W elsch” vor dem E rsten W eltkrieg; der A rbeit liegt eine D ok to rd isse rta tion zugrunde (bei Prof. Dr. Ris, U niversität Bern1974). Das reiche Q uellenm aterial über die sprachpolitischen A useinander­setzungen in der Schw eiz bis 1914 w ird positivistisch zusam m engetragen und in Zusam m enhang gebrach t. Die w ich tigsten Fragestellungen der A r­be it sind folgende:

— Die P ositionen der deu tschen und der französischen Sprache in der Schweiz um 1900 u n te r B erücksichtigung außersprach licher, näm ­lich politischer, konfessioneller und ökonom ischer F ak to ren .

Die sprachenrech tliche S itua tion im Bund und den zw eisprachigenK antonen .

Sprachpolitische A useinandersetzungen im im perialistischen Z eit­alter.

A usländische Einflüsse und au to ch th o n e Bewegungen im sprach­po litischen B ereich; die einzelnen sp rachpolitischen D ifferenzen.

— K ulturelle A bhängigkeit o der Selbständigkeit d e r Schw eiz gegenüber D eutschland und F rankreich ; die Schw eiz im Spannungsfeld zwi­schen französischer (S taa tsn a tio n ) und deu tsch e r (K u ltu rn a tio n ) In te rp re ta tio n des Begriffs “ N a tio n ” .

V ölker- und sozialpsychologische D eutung der V erhaltensw eisenvon “ D eu tsch” und “ W elsch” in der Schw eiz.

In V orbere itung ist schließlich ein Band über das N ataler D eutsch ( I9 6 0 : 6560 Sprecher) und den E influß des Englischen und A frikaansen au f die deu tsche Sprache in N atal (Südafrikanische R epub lik ). Es h an d e lt sich hier ebenfalls um die Ü berarbeitung einer D o k to rd isse rta tion (bei Prof.Dr. F. T schirch , U niversität K öln 1965). Die A rbeit ist synchron ange­legt und basiert m aterialm äßig au f gesprochener Sprache; sie berücksich­tig t sow ohl den lexikologischen als auch den gram m atischen A spek t der S p rach k o n tak tp h än o m en e (S p rach k o n tak t m it Englisch, A frikaans und

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Z ulu). Ein R esu lta t von allgem einerem germ anistischem Interesse aus dem Bereich der M orphologie ist z.B. die T atsache, daß sich die V erben als W ortklasse im S p rach k o n tak t deu tlich anders verhalten als die übrigen W ortklassen m it F lex ion : E n tlehnungen w erden ausnahm slos dem m u tte r­sprachlichen m orpholog ischen System adap tie rt (Paradigm a der schw a­chen K onjugation), was z.B. für d ie Substan tive n ich t zu tr iff t. E in ande­res für die germ anistische S p rachkon tak tfo rschung w ichtiges Ergebnis ist, daß der b estim m te A rtikel und das d u rch ihn nahegelegte fem inine G enus bei aus dem A frikaans en tleh n ten S ubstan tiven n ich t ohne w eiteres m it­übernom m en w erden (das A frikaans selbst u n te rsche ide t ebenso wie das Englische beim bestim m ten A rtikel w eder G enus noch N um erus: der be­stim m te A rtikel lau te t im A frikaans einheitlich [d ie]); vielm ehr w ird d ie­ser A rtikel nach anderen , z.T . gefühlsm äßigen, K riterien gew ählt (die Be­lege zeigen eine deu tliche Bevorzugung des M askulinum entgegen dem vom A frikaans her scheinbar nahegelegten F em ininum ).

“ T ko le li do b ro govoriti, m ora n a t u c a t i ” (Wer gu t sprechen will m uß radebrechen): Hugo Schuchard t, d er Senior d e r S p rach k o n tak tfo r­schung, se tz t dieses serbokroatische S prichw ort seinem etw as eigenw illi­gen Festbeitrag für F ranz M iklosich als M otto voraus (vgl. S chuchard t H. 1971, 6 (= [24]); 128 (= [150])). B estätig t w ird dieses Sprichw ort durch die vielfältige freud- und leidvolle E rfahrung sprachlicher M ischbevölke­rungen und lerneifriger F rem dsprachenschüler. B estätig t w ird dieses Sprichw ort aber auch durch die G eschichte der W issenschaft von der M ehrsprachigkeit, und in d ieser H insicht taug t es w ohl noch eine Zeitlang auch als M otto der A rbeitsstelle für M ehrsprachigkeit.

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HANS-M ARTIN G AU GER

Bericht über das Projekt einer Deutsch-Spanischen Kontrastiven Grammatik

M it den A rbeiten zum P ro jek t einer kon trastiven G ram m atik des D eutschen und Spanischen w urde im Januar 1974 begonnen. Es gab zunächst verschiede­ne Schw ierigkeiten, so daß von einem zügigen A rbeiten erst im Blick auf einen späteren Z e itp u n k t gesprochen w erden kann. Ich brauche in diesem Zusam ­m enhang n ich t zu un terstre ichen , daß wir n ich t von einer schon e rp ro b ten Vor läge, einem einigerm aßen ‘gesicherten ’ M odell ausgehen k o nn ten . A uch das zuvor vom In s titu t für deu tsche Sprache m it einer b e träch tlichen A nzahl von M itarbeitern in A ngriff genom m ene P ro jek t e iner deutsch-französischen G ram m atik , u n te r der L eitung des K ollegen Jean-M arie Zem b (Paris), ko n n te uns n ich t als Vorlage d ienen, und zw ar aus dem einfachen G runde, weil das Er­gebnis dieses P rojekts n ich t vorlag bzw . noch im m er n ich t vorliegt (ich m uß je ­doch M. Zem b für ein langes, m ir sehr nützliches G espräch danken , das ich im Frühjahr 1975 über das deu tsch-französische P ro jek t m it ihm führen konnte). Wir w aren also — sind es noch im m er — im w esen tlichen au f uns selbst gestellt.

Die fünf M itarbeiter am deutsch-spanischen P ro jek t sind Dr. Gerd B reitenbür­ger (F re ibu rg i.Br.), Dr. N elson C artagena (C oncepción , Chile), Francisco García (Tübingen), R aingard Lötscher-B ooz (F re iburg i.Br.), Dr. L eopoldo S iez (V alparaíso, Chile). S te llvertre tender P ro jek tle ite r ist Dr. N elson C arta­gena. Dr. S iez m uß te leider im O k tober 1976 ausscheiden, da ihm ein L ek to ­ra t für Spanisch an der U niversität Bonn angeboten w u rd e ; er s teh t jedoch w eiterhin als freier M itarbeiter zur Verfügung. Die G ruppe b esteh t som it, vom P ro jek tle iter abgesehen, aus zwei (über ausgezeichnete D eutschkenn tn isse verfügenden, w eith in in D eutschland ausgebildeten spanisch Sprechenden und aus zwei deu tsch Sprechenden. Z ur G ruppe gehö rte zuvor auch Frau Dr. Irm gard Vogel, die bereits am deutsch-französischen P ro jek t m itgearbeite t h a tte und je tz t an unserem P ro jek t u n te r einem H onorarvertrag m ita rb e ite t; sie w ird Ende 1976 w ahrscheinlich ganz ausscheiden. Schließlich ist B runo Schneider, A kadem ischer O berrat am R om anischen Sem inar der U niversität Freiburg, in lockerer F orm an dem P ro jek t beteilig t.

Es kann h ier nu r darum gehen, einen kurzen E inb lick in den S tand unserer A rbeit zu geben. Es ist auch sogleich anzum erken , daß dieser S tand vor­läufig ist: w ir sind noch im m er, um einen bekann ten T ite l au fzunehm en , in der Phase des “ R ingens” um eine deutsch-spanische kon trastive G ram m tik . A ndererseits sind w ir nun aber doch ziem lich ans Ende dieser Phase gelangt. Es k o m m t ja unverm eidlich , bei solcher A rbeit, der p rekäre A u­genblick, in dem ‘dezision istisch’ gesagt w erden m uß : so w ie es je tz t ist,

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m uß es b leiben, w enn bei der Sache überhaup t etw as herauskom m en soll: “ sit u t est au t non s it” . Dies gilt erst rech t bei einem P ro jek t, das befri­s te t - allzu kurz befris te t - ist und an dem m ehrere Personen m it ver­schiedener E instellung und verschiedenen In teressen bete ilig t sind.

Die G ram m atik , die ungefähr 800 Seiten um fassen w ird, b es teh t aus fünf Teilen, deren Ü berschriften vorläufig sind:

I. Phonologie und P honetik

II. M orphologisch-syntaktischer Teil

III. Z usam m enstellung der w ichtigsten U nterschiede zw ischen beiden Sprachen

IV. O nom asiologischer Teil

V. A nhänge

D er erste Teil b ring t eine genaue B eschreibung und kon trastive A nalyse der phonologischen System e beider Sprachen, ih rer phone tischen R eali­sierung und graphischen D arstellung; ferner eine knappe B eschreibung und kontrastive A nalyse der w ichtigeren In to n a tio n sm u ste r be id e r Sprachen und ihres V erhältnisses zu den In terp u n k tio n sze ich en ; schließlich stellt dieser Teil die B esonderheiten des am erikanischen Spanischen in Phono­logie, phonetischer R ealisierung und In to n a tio n zusam m en.

D er zw eite Teil — M orphologie und S yn tax in sem asiologischer D arstellung b ring t die G ram m atik im engeren S inn. Er beh an d e lt nacheinander erstens die neun nom inalen und verbalen F lexionskategorien (N um erus, G enus, Kasus, K om para tion , Person, T em pus, A spekt, M odus, V ox), zw eitens die W ortarten in ihrer V erbindung m it den F lex ionskategorien ( 1. N icht- flek tie rte W ortarten , 2. F lek tie rte W ortarten), d ritten s die verschiedenen Phrasen typen , viertens die verschiedenen S a tz typen . In diesem A bschn itt w erden auch Beispiele für ein kontrastives V alenzlexikon gegeben. A uch die V erhältnisse der W ortfolge w erden hier da igestellt. D ie durchsich tigen W örter, also die abgele iteten und die zusam m engesetzten W örter, w erden in ihren w ichtigsten T ypen vorgeführt. D abei geh t es n ich t um die Mög­lichkeit der Bildung ‘n eu e r’ W örter (einen A spekt, den sow ohl die trad i­tionelle als auch die m oderne W ortbildungslehre, wie ich finde , ungebühr­lich in den V ordergrund stellen ), sondern — u n ter B etonung des k o n tra ­stiv R elevanten — um die A rt, w i e die durchsich tigen W örter in den beiden Sprachen geb ildet s i n d .1 A m Schluß dieses Teils w erden die am erikanischen A bw eichungen von der kastilischen N orm im m o rp h o ­logischen und syn tak tischen Bereich zusam m engestellt.

Sow ohl im ersten als auch im zw eiten Teil w erden w ir in d e r Weise Vor­gehen, daß w ir zu jedem einzelnen P u n k t ers t die V erhältn isse im D eu t­

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sehen, dann die V erhältnisse im Spanischen darstellen und schließlich — in einem d ritten S ch ritt — die V erhältn isse in beiden Sprachen k o n tra ­stiv analysieren . Wir bringen also, in ste ts w iederho ltem D reischritt, zwei ‘u n id irek tio n a le ’ G ram m atiken , eine deu tsche und eine spanische, und schließlich die kon trastive A nalyse, die das G em einsam e und besonders natürlich das V erschiedene herausarbeite t.

Für das D eutsche gehen w ir aus von einer gem äßigten H ochsprache. Wir w erden nur gelegentlich regionale oder andere V arianten au fnehm en . Für das Spanische ist unser B ezugspunkt die kastilische N orm . Die am erikan i­schen V arian ten des Spanischen stellen natürlich ein spezifisches Problem . Gäbe es e ine ein igerm aßen einheitliche am erikanische N orm des Spani­schen, w ürden w ir uns — aus G ründen, die au f der H and liegen — kaum für dessen kastilische N orm en tsch ieden haben. D a es eine solche N orm n ich t gibt, ist es nach w ie vor am zw eckm äßigsten, beim sogenannten ‘Kastili- schen’ zu b leiben . D aß dam it keinerlei W ertung verbunden ist, b rau ch t n ich t hervorgehoben zu w erden: die kastilische N orm ist, gegenüber den übrigen, n ich t als solche schon privilegiert. Wir w erden , wie ausgeführt, in je einem A nhang zu Teil I und zu Teil II — also klar abgesetzt — d ie am e­rikanischen V arian ten zusam m enstellen . Im übrigen sind diese V arianten an Zahl und G ew icht, w enn m an vom phonologisch-phonetischen Bereich absieht, n ich t groß.

Der d r itte Teil b ring t — in vollständigem D urchgang — eine kurze, jew eils knapp ko m m en tie rte A uflistung der w ichtigsten U nterschiede zw ischen den beiden Sprachen im m orphologischen und syn tak tischen Bereich. Er ist insofern eine Zusam m enfassung des zw eiten Teils und d ien t vor allem der Ü bersicht und raschen O rien tierung des Lesers.

Der v ierte Teil beansp ruch t g rößere O rig inalitä t. Er sucht, von einem ‘onom asio log ischen ’ A nsatz ausgehend, h insich tlich eines b estim m ten i n h a l t l i c h e n V erfahrens die verschiedenen f o r m a l e n M öglich­keiten in beiden Sprachen aufzuzeigen und zu analysieren. U rsprünglich h a tte n w ir die A bsicht, die G ram m atik durchw eg so anzulegen: was je tz t als v ierter Teil erschein t, ist also gleichsam der R est unseres ursprünglichen generellen A nsatzes. U nsere schlichte, aber, ich glaube, n ich t u n zu tre ffen ­de Ü berlegung w ar die folgende: es geh t um synchronischen Vergleich, oder, w ie ich en tsch ieden vorziehen würde, um den Vergleich zw eier ge­genw ärtiger K opräsenzen2 ; jeder Vergleich se tz t eine Basis, ein W orauf­hin des V ergleichens, voraus: m an m uß wissen, indem m an vergleicht, im Blick au f w a s verglichen w erden soll, es geh t um das “ te r tiu m ” des V er­gleichs; dies “ te r tiu m ” kann nur ein m ehr oder w eniger allgem ein umris- senes bzw . um reißbares I n h a l t l i c h e s sein: ein inhaltliches Ver-

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fahren, wie zum Beispiel V erneinung, H ervorhebung usw .¡d iese inhaltliche V erfahren müssen — von b e i d e n Sprachen ausgehend — in sorgfältiger sem asiologischer A nalyse ( “ from form to m eaning” ) e ra rb e ite t w erden.Wir haben also schließlich zw eierlei: einm al eine R eihe (in so lcher A na­lyse e ra rbe ite te r) inhaltlicher V erfahren, zum anderen bestim m te m aterielle F orm en , die in den beiden Sprachen zum A usdruck jen e r V erfahren zur V erfügung stehen und natürlich — sem asiologisch gesehen — n ich t völlig gleichw ertig sind. Es h ande lt sich nur im G renzfall um to ta le , im N orm al­fall jedoch um partielle fu n k tio n e lle Ä quivalenzen. Es geh t h ier um das, was Mario W andruszka, dessen A rbeiten dieser A nsatz überhaup t nahe steh t, als “ P o lym orph ie” b ezeichnet: zum A usd ruck eines iden tischen Inhaltlichen stehen m ehrere — fu n k tio n e ll äquivalente — fo rm ale M ittel zur Verfügung des S p rechenden . 3 Diese fo rm alen M ittel, d ie natürlich in verschiedenen Sprachen vielfach verschieden sind, b ilden dem nach die O b­jek te des Vergleichs, die inhaltlichen V erfahren dessen jew eilige “ te r tia ” .Es w erden also verschiedene m aterielle F orm en beider Sprachen im Blick au f d ie als “ te r tia ” gedachten vorgängig um rissenen inhaltlichen V erfahren m ite inander verglichen.

D er Plan, die ganze G ram m atik — von b estim m ten B ereichen, zum Bei­spiel W ortfolge und natürlich dem phono log isch-phonetischen Bereich ab­gesehen — so anzulegen, erw ies sich als zu ehrgeizig, zum indest im Blick au f die Kürze der zur V erfügung stehenden Zeit. A uch dü rfte diese A rt der A nlage dem vorgesehenen B enutzerkreis S chw ierigkeiten bringen.So haben w ir uns dazu en tschlossen , in diesem v ierten T eil, nach der sem a­siologisch ausgerich teten D arstellung des zw eiten Teils, w enigstens in einem parad igm atischen Sinn einige Beispiele für diese A rt der D arstellung zu b rin­gen. N icht zu le tz t um d a rzu tu n , daß es, tro tz un leugbarer Schw ierigkeiten prinzip iell m öglich w äre, gesam thaft so vorzugehen. E ine solche D arstel­lung h a t n ich t nu r in kon trastiver H insicht ein besonderes In teresse: sie k o m m t der W irklichkeit d e r Sprache und des Sprechens en tsch ieden näher und h eb t die G renzen zw ischen den verschiedenen B ereichen oder ‘Ebe­n e n ’ der Sprachbeschreibung vielfach au f (dasselbe kann hier lexikalisch, h ier gram m atisch , hier phon isch gele ite t w erden). Wir w erden , w ie w ir die D inge im A ugenblick sehen, die fo lgenden “ te r t ia ” b ehande ln : Form en des Fragens, F orm en des V em einens, F orm en des B efehlens, Form en der H ervorhebung, Form en der lokalen Deixis, F o rm en der tem pora len Dei- xis, Form en der K om poration , F orm en der M odalitä t, F o rm en für die D ar­stellung eines G eschehens von dem jenigen her, an dem es sich vollzieht, F o rm en für die D arstellung eines G eschehens ohne N ennung des T äters, F o rm en für die D arstellung vorgangshaft gesehenen G eschehens, Form en für die D arstellung zustandshaft gesehenen G eschehens, F o rm en der An-

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rede, Form en für w eibliche B erufsbezeichnungen. K riterium für d ie A us­w ahl ist e inm al die le ich te G reifbarkeit des “ te r tiu m ” , zum ändern dessen kontrastive Relevanz. D aß die genann ten “ te r t ia ” uneinheitlich sind, in verschiedener H insicht, scheint m ir kein durchsch lagender E inw and zu sein.

Im H intergrund dieses A nsatzes s teh t übrigens ein W erk, das es verdiente, s tärker in den V ordergrund zu tre ten , näm lich F erd inand B runo ts “ La pensée e t la langue” : “ Il fau t se résoudre à dresser des m éthodes de langage, ou les fa its ne so ien t plus rangés d ’après l’o rd re des signes, mais d ’ap rès l’o rd re des idées” (S. XX). Das Ziel, das er h ierm it verfolge, sei: “d o n n er une idée de ce q u ’est réellem ent le langage” (S. X II). D arum geht es, neben anderem , auch uns.

D er fünfte Teil schließlich b esteh t aus einzelnen, m eist kurzen, n ich t zu­sam m engehörenden A nhängen, die für den Leser in dieser o der jen e r H in­sicht nützlich sein können und in denen der sprachpragm atische A spekt do m in ie rt: V ornam en und N achnam en, A nrede (z.B. D on, Señor, am igo usw .), G rußfo rm eln , Tageseinteilung, U hrzeiten , typ ische W endungen in bestim m ten G esprächsitua tionen , A usrufe, ‘falsche F reu n d e ’ im L exika­lischen.

Wir w ollen, vor allem übrigen, ein nü tzliches Buch zuw ege bringen, das h e iß t ein solches, das den Lesern bei ihrer eigenen A rbeit h ilft, auch da­durch , daß es ihnen eigene A rbe it e rspart. N ützlichkeit soll V orrang haben vor O rig inalität. A n was für Leser ist gedacht? E inm al an solche, die sich für eine der beider o d e r für beide Sprachen in teressieren, an alle, die wis­sen w ollen, was hier der Fall ist und was n ich t. Zum anderen und beson­ders ist natürlich an diejenigen gedach t, die sich für den Erw erb der e i n e n Sprache au f der schon gegebenen G rundlage der jew eils a n d e ­r e n in teressieren: S tu d en ten (spanisch sprechende, die deu tsch lernen, deu tsch sprechende, die spanisch lernen), S prach lehrer (an Sekundarschu­len, V olkshochschulen , H ochschulen), A u to ren von L ehrbüchern . Die A us­sagen über das D eutsche w erden in spanischer Sprache, die Aussagen über das Spanische in d eu tsch er Sprache gem ach t: so mag die G ram m atik auch denjenigen nützlich sein, d ie sich, ohne über ausreichende aktive oder pas­sive S p rachkenn tn is zu verfügen, nu r ü b e r d ie jew eils andere Sprache u n te rrich ten w ollen.

U nter dem G esich tspunk t der N ützlichkeit soll die Term inologie der G ram ­m atik m öglichst zugänglich gehalten w erden: dies h e iß t, daß w ir, wo im ­m er m öglich, bei den hergebrach ten T erm in i b leiben. Am A nfang der G ram m atik w erden die in ih r verw endeten T erm in i a lphabe tisch zusam ­m engestellt und kurz e rläu te r t. A uch die T heorie lastigkeit so vieler gegen­

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w ärtig vorgelegter A rbeiten soll verm ieden w erden . Diese kon trastive G ram m atik des D eu tschen und des Spanischen soll vor allem durch Fak- tenbezogenheit gekennzeichnet sein. Sie will n ich t zeigen, daß ein bestim m ­tes aus diesem oder jenem — m eist äußerlichem , k o n tigen tem G rund — übernom m enes M odell richtig ist o d e r daß m an m it ihm ‘a rb e ite n ’ kann.Wir w ollen hier n ich t, im B lick auf irgendein ‘theo re tisches K o n s tru k t’, R ech t behalten . Es geh t uns vielm ehr um die D arstellung der g ram m ati­schen T atsachen in beiden Sprachen . Eine solche H altung ist n ich t n o t­w endig A usdruck von T heorie fe ind lichkeit oder T heoriedefiz it. Es geht uns allein um V erm eidung jen e r ungu ten , rech thaberischen T heorie lastig ­keit, von der ich sprach. Unsere G ram m atik w ird daher dem V orw urf des ‘E klek tiz ism us’ schw erlich en tgehen . Es w äre jed o ch zu prüfen , ob oder inw iew eit ein solcher V orw urf, den w ir m it G elassenheit tragen, überhaup t sinnvoll ist: w arum sollte m an n ich t, was einem in v e r s c h i e d e n e n M ethoden als richtig erschein t, aus dem übrigen ‘ausw ählen’ können?

Unsere H auptschw ierigkeit liegt darin , daß die uns verbleibende Zeit zu knapp ist. Es erschein t als unm öglich , daß w ir zum vorgesehenen Z eit­p u n k t — Ende 1977 — das fertige M anuskrip t vorlegen können . Wir ho f­fe n , den T erm in jedenfalls n ich t allzu großzügig zu überschreiten . Es ist kein Zweifel, daß es dem P ro jek t qualita tiv sehr zugute käm e, w enn die F rist um ein Jah r verlängert w erden k önn te . V idean t consules.

A nm erkungen

1 Hierzu H.-M. Gauger, Durchsichtige Wörter. Zur Theorie der Wortbildung, Heidelberg 1971.

2 Hierzu H.-M. Gauger, Sprachbewußtsein und Sprachwissenschaft, München 1976, S. 33 ff.

3 M. Wandruszka, Interlinguistik: Umrisse einer neuen Sprachwissenschaft, München 1971, S. 5 6 -7 3 .

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W OLFGANG M EN TRU P

Ober ein geplantes neues Wörterbuch der deutschen Gegen­wartssprache

Ich habe Sie im fo lgenden über den Plan eines neuen großen W örterbuchs der deu tschen G egenw artssprache zu inform ieren . Der Bericht g ib t den vorläufigen S tand von Ü berlegungen w ieder, die in jüngster Zeit angestellt w orden sind; e r ste llt ein “ V orp lanungsstad ium ” dar und ist en tsp rechend allgemein un d w ohl auch Z ukunftsm usik . T ro tzd em g laub ten w ir, diesen Plan schon h eu te in diesem frühen S tad ium hier vorstellen zu sollen. Die B egründung liegt zum einen darin , daß eine Idee der V orjahrestagung K on­sequenzen gehab t hat. Zum zw eiten haben w ir angesichts des hohen G ra­des an K om plex itä t und P rob lem atik des U n ternehm ens die H offnung, durch w eitere Belebung der fach in te rnen und ö ffen tlichen D iskussion einen größeren Kreis von In teressierten zu finden , die in den denkbaren w eiteren S tad ien der E ntw icklung m itdenken und die A rbeit m it w eiter­führen helfen . “D en n ” — so schon C hris toph E rnst S teinbach 1724 —“vor einen ist es ein unm ögliches W erck” .

0. V orgeschichte

In dem im R ahm en der Jahrestagung des In s titu ts für deu tsche Sprache im Frühjahr 1975 (T hem a: W ortsem antik und Lexikographie) gehaltenen V ortrag “ Die W ahrheit der W örterbücher”2 geh t H arald W einrich davon aus, daß das 20. Ja h rh u n d e rt als w issenschaftliche E poche u n te r der H err­schaft der W issenschaften und ihrer spezifischen Fachsprachen s teh t und daß eine V erständigung zwischen den verschiedenen W issenschaften und insbesondere zw ischen d e r G em einsprache und den Fachsprachen n ich t m ehr oder nu r erschw ert m öglich ist. Er fo rd e rt als A bhilfe dieser tie f­gehenden K om m unikationsstö rungen ein großes in terdiszip linäres K om ­m unikationslex ikon , in dem die G em einsprache — der gem einsam e G rund und N enner der F achsprachen — in einem G ru n dw örte rbuch und die w ich­tigsten Fachsprachen in einem K ranz von Sate llitenw örterbüchern beschrie­ben w erden.

Seit dem späten H erbst sind von M itarbeitern des In s titu ts für deu tsche Sprache in V erbindung m it H arald W einrich A rbeitspap iere en tw icke lt w orden , in denen ku ltu re lle A spekte eines solchen W örterbuchs, A rbeits­und T hem enbereiche, d ie sich m it einem solchen W erk stellen, sowie F ra ­gen m öglicher O rganisation zusam m engestellt w erden.

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A uf zwei C olloquien , die von d e r W erner-R eim ers-S tiftung3 und dem In s titu t für deu tsche Sprache veransta lte t und von der S tiftung finanziert w urden , sind au f der G rundlage dieser A rbeitspap iere und flank ierender R eferate erste Bereiche und O rganisationsfragen in einem in terd iszip linä­ren G rem ium von ca. 25 W issenschaftlern4 d isku tie rt w orden . Je ein w ei­teres C olloquium ist für Mai bzw . Ju n i vorgesehen.

G egenstand des W örterbuchs sind die deu tsche S tandardsprache und die Fachsprachen in der BR, der D D R , Ö sterreich , der Schw eiz sowie in an­deren deutschsprach igen G ebieten m it ihren jew eiligen regionalen B eson­derheiten .

Das Ziel der ersten Bem ühungen ist, den zunächst unübersehbaren K om ­plex in eine überschaubare Zahl überschaubarer Bereiche zu gliedern. Diese B em ühungen haben zu der V orstellung von 6 Schw erpunk tsbere ichen ge­führt, die unm itte lb a r von einem solchen U nternehm en b e tro ffen sind und in einer ersten Phase aufgearbeite t w erden m üßten .

Die fo lgenden A usführungen sind das Ergebnis der gesch ilderten gem ein­sam en Ü berlegungen. Es geh t dabei um einen K atalog von Fragen und Problem en, n ich t bereits um Lösungen und A ntw orten .

1.1. Schw erpunkte

S P 1 L e x i k o l o g i e u n d L e x i k o g r a p h i e , G r a m m a t i k u n d P r a g m a t i k : Ü bereinstim m ung herrsch te bei den T eilnehm ern der C olloquien darüber, daß sich das W örterbuch d u rch eine besondere Q ualitä t der lex ikographischen R eflexion auszeichnen soll. Um diese zu erreichen, ist es no tw endig , im R ahm en des SP 1 die A nsätze und M odelle der L exikologie sowie die lex ikographischen E rfahrungen, d ie bei der Er­arbeitung vorhandener oder lau fender W örterbücher gesam m elt w orden sind, auszuw erten . In diesen SP gehört auch die A usw ertung der E rgeb­nisse im Bereich der G ram m atik und Pragm atik, um zu en tsp rechenden K ategorien zur B eschreibung der S tichw örte r zu kom m en. Es sind K rite­rien zusam m enzustellen zur U nterscheidung von W ortklassen und Sub­klassen, es sind Flexions-, Funk tions- und W ortb ildungsm uster zu en t­w ickeln sowie Fragen der D efin ition zu b ean tw orten .

S P 2 F a c h s p r a c h e n : Das W örterbuch soll sich d u rch eine starke B erücksichtigung der fachsprach lichen K om ponen te auszeichnen. A uch hier sind vorliegende th eo re tisch e A rbeiten sowie vorliegende Ergebnisse lexikographischer A rbeiten auszuw erten : so etw a vorliegende W örterbü­cher für Fachsprachen, die Ergebnisse der na tiona len und in ternationalen N orm ungsbem ühungen, vorliegende T erm inologien und N om enk la tu ren .

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Es ist eine A ufstellung der Fachbereiche und deren Klassifizierung d u rch ­zuführen. Es sind die spezifischen E igenheiten , die in terne G liederung und Schichtung der einzelnen F achw ortschätze zu erarbeiten , so wie etw a Uwe Pörksen das gestern für die Sprache der B otan ik und Zoologie, der Chem ie und Psychoanalyse gezeigt h a t oder wie etw a u.a. D ieter M öhn es in seinem S ch ich tenm odell “T heoriesprache, fachliche Um gangssprache und V erteilersprache” vorgeführt hat. ln diesen Bereich fä llt auch das P roblem der E igennam en, die etw a im Fachbereich der G eschichte und G eographie als zur Fachsprache zugehörig angesehen w erden können.

Eine w eitere zen tra le Fragestellung dieses SP b e tr iff t die B edingungen des T ransfers sow ie die B eziehungen zw ischen der G em einsprache und den Fachsprachen und zw ischen den F achsprachen un tere inander. A uf das P roblem der K om plex itä t, das sich vor allem , aber n ich t ausschließ­lich in diesem B ereich stellt, kom m e ich w eiter u n te r zu sprechen.

In den S P 3 S p r a c h d i d a k t i k u n d B e n u t z e r a s p e k t e gehören Fragen der Interessen der B enutzer, so etw a die des Laien, der sich fachlich in form ieren , wie auch des F achm anns, der sich einem Laien verständlich m achen will. H inzuw eisen ist hier au f P roblem e des S prach­u n te rrich ts für D eutsch als M uttersp rache und als F rem dsprache. Es sind Ü berlegungen anzustellen zu verschiedenen F orm en der P räsen tation des W örterbuchs sow ie über M öglichkeiten der R ückkoppelung von vorgesehe­nen B enutzergruppen zu den B earbeitern.

M it S P 4 S t a n d a r d s p r a c h e , S o z i a l - u n d R e g i o n a l ­d i a l e k t e sind einm al die regionalen U nterschiede innerhalb der BR, besonders aber die sprachlichen B esonderheiten in der BR, der D D R , der Schw eiz und Ö sterreichs und anderer deu tschsprach iger G ebiete ange­sprochen sow ie die Sondersprachen , die Sozio lek te , und S prachsch ich ten wie U m gangssprache, V ulgärsprache, S chriftsprache u.ä. M it diesem Be­reich stellen sich Fragen der N orm bezüglich der Schreibung und A usspra­che.

Das W örterbuch ist ein W örterbuch der deu tschen G egenw artssprache.Das C orpus zur lex ikographischen D o k u m en ta tio n beschränk t sich au f T ex te von etw a 1950 an bis zur B earbeitungszeit. Es soll jedoch eine histo rische K om ponen te haben in dem Sinne, daß bei h istorisch relevan­ten W örtern über diesen Z eitraum hinaus w eite r in die G eschichte zurück­gegriffen w erden soll. In den dam it angesprochenen S P 5 — W o r t g e ­s c h i c h t e u n d E t y m o l o g i e — fällt auch die h istorische V er­flech tung von G em einsprache und Fachsprachen .

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Die Erstellung des C orpus ab 1950 ist G egenstand des S P 6 C o r p o r a u n d B e l e g s a m m l u n g e n . H ier ist zunächst zu prüfen, ob und in­w iew eit vorhandene Belegsam m lungen etw a des IdS, des D udens, des G rim m schen W örterbuchs bzw . vo rhandene gespeicherte C orpora etw a im IdS m it seinen N ebenstellen , in Saarbrücken, L und , B onn u.a. für dieses U nternehm en zur Verfügung gestellt und für e ine A usw ertung ver­fügbar gem acht w erden können .

Dieser B estandsaufnahm e m üßte die E rstellung eines Ergänzungscorpus folgen, das w ahrscheinlich vornehm lich fachsprach liche T ex te en th a lten würde.

1.2. A llgem eine Problem e

Das erste P roblem , das der K om plex itä t, erg ib t sich vor allem d u rch die fachsprach liche K om ponen te . Zur Lösung sind M öglichkeiten der R eduk ­tio n zu überdenken. Es m üßte geprüft w erden, ob n ich t innerhalb der Ge­sam tm enge der Fachsprachen nach zu defin ierenden R elevanzkriterien bestim m te Fachsprachen ausgew ählt w erden können -, w eiterh in , ob n ich t bestim m te S ch ich ten der einzelnen Fachw ortschätze vorrangig o d e r aus­schließlich berücksichtig t w erden k ö nn ten . Zum d ritten ergib t sich die M öglichkeit, system hafte E rscheinungen der F achsprachen und der Ge­m einsprache system atisch und d am it ökonom isch zu beschreiben.

Als zw eites allgem eineres P roblem ste llt sich die Frage nach dem B enutzer, nach der Zielgruppe des Werkes. Es m üßte sow ohl für den M uttersp rach ­ler als auch für den A usländer nützlich sein. U nter H inblick au f d ie fach ­sprachliche K om ponen te kö n n te m an in Erw ägung ziehen, den Bereich der Fachsprachen zu berücksichtigen, auf dem der Laie m it F achsprach­lichem k o n fro n tie r t w ird, in dem Fachsprachliches an den jew eiligen N ich t­fachm ann herangetragen w ird. G em ein t ist jene Schicht, die M öhn die V er­teilersprache nenn t, die ich lieber die V erbreitungssprache nennen würde: der Bereich der W erbung und der Propaganda, G ebrauchsanleitungen für den Z usam m enbau von M öbeln und für die eigenhändige Insta lla tion von E lek trogeräten , B eschreibungen von M aschinen, A u tos u .a., vor allem die für den N ich tfachm ann gedach ten popularisierenden Sachbücher und Sach­sendungen (auch schon für K inder), angefangen von D ittfu r th über Habe und C ousteau bis zu S ielm ann, S tern und G rzym ek, R atgeberbroschüren für K leingärtner und H erzkranke.

Eine E ntscheidung in dieser R ich tung hat starke K onsequenzen für die Z usam m ensetzung des E rgänzungscorpus.

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Eine w eitere G rundsatzfrage ist, ob das W örterbuch generell a lphabe­tisch ist oder ob sy stem hafte E rscheinungen auch system atisch beschrie­ben w erden sollen. Zu denken w äre etw a an die system atische D arstel­lung von B egriffsfeldern in Z en tra lartikeln (vgl. die B egriffsleitern, -reihen und B estandsreihen in den D IN -B lättern), an W ortfelder, D istribu tions­m uster, W ortb ildungsm uster, F u n k tio n sm u ste r u.ä.

Eine w eitere Frage b e tr iff t die V erbindung von Fachsprachen und G e­m einsprache. Dem W einrichschen M odell von einem G rundw örterbuch für die G em einsprache und einem K ranz von Satelliten-W örterbüchern für die Fachsprachen und der V ariante, die alle F achsprachen in einem zw eiten W örterbuchteil zusam m en dem G ru ndw örte rbuch gegenüberstellt, diesem trennenden M odell m it seinem notw endig aufw endigen Verweis­system s teh t d ie in tegrierende Lösung gegenüber, die die F achsprachen und die G em einsprache zusam m enhängend beschreiben will.

Als w eiteres, w enn auch n ich t als le tz tes P roblem ist die V eralterung zu nennen, die sich vor allem durch die rap iden A usw eitungen in d en Fach­sprachen ergibt.

2.1. A rbe itsp lan

Die en tw icke lten V orstellungen gehen von zwei Phasen aus. ln der Phase 1 (D auer: 3 Jah re) ist innerhalb der sechs Schw erpunk te eine B estands­aufnahm e durchzuführen . Die Ergebnisse sind zu einer G esam tkonzep tion zusam m enzufassen, in d e r der A ufbau und Inhalt des W örterbuches und der e inzelnen A rtikel festgelegt ist. Im R ahm en der en tw icke lten G esam t­konzep tion w äre in der Phase 2 (D auer: 20 Jah re ) das W örterbuch zu schreiben. D er vorgesehene U m fang be träg t 20 Bände oder äquivalente Publikationsform en.

2.2. Organisation

Die V orstellung geht aus von einem P ro jek tle iter, d er h au p tam tlich an­gestellt ist un d dessen Position angesichts der B edeutung und Langfristig­keit des U nternehm ens m it w ichtigen K om petenzen und nach M öglich­keit m it einigen a ttrak tiv en A ttr ib u ten ausgesta tte t ist.

Eine G ruppe h aup tam tlich angestellter W issenschaftler hat in der Phase 1 u n te r der L eitung des P ro jek tleiters die A ufgabe, nach einer B estandsauf­nahm e des Forschungsstandes der einzelnen Schw erpunk tsbere iche die je ­w eiligen Ergebnisse für ein solches W örte rbuchun ternehm en auszuw erten , aufe inander abzustim m en und zu einer G esam tkonzep tion zu verarbeiten .

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Jedem dieser S chw erpunk te w ird eine kleine B eiratsgruppe, bestehend aus ex ternen E xperten , zugeordnet. D iese haben die A ufgabe, sich gene­rell bera tend an der V orbere itung und im E inzelfall u n m itte lb a r an der A usarbeitung b estim m ter T eilthem en zu beteiligen.

N ach K lärung der G esam tkonzep tion ist von einer erw eite rten W örter­bu ch red ak tio n in der Phase 2 (D urchführung) m it dem A bfassen der W örterbuchartike l zu beginnen. D abei erschein t es nützlich , zwei größere G ruppen m it je einem G ruppen le ite r zu bilden. D iese haben die A rbeit der beiden G ruppen zu organisieren, die M anuskrip te zu redigieren u.ä. D ie G esam torgan isation liegt auch in der Phase 2 beim P ro jek tle iter. Für d ie w ich tigsten F achbereiche sind jew eils F ach leu te als A ußenm ita rbe ite r zu verpflich ten , die für den jew eiligen fachsprach lichen W ortschatz R o h ­artike l liefern und der W örte rbuch redak tion im B ereich d e r Fachsprachen b era tend zur Seite stehen.

Für das P ro jek t in all seinen Phasen ist ein W örte rbuch ra t zu ernennen , der in den Phasen 1 und 2 un tersch ied lich bese tz t sein kann.

D em W örterbuchra t so llten neben M itgliedern der k leinen S chw erpunk ts­beiratsgruppen und w eiteren F ach leu ten auch P ersön lichkeiten des ö ffen t­lichen Lebens angehören. Es ist zu überlegen, ob n ich t zw ischen dem Lei­te r und dem rech t großen W örterbuchra t ein kleineres G rem ium als Lei­tendes Kollegium , bestehend aus 4 Personen, e ingerich te t w erden soll, dessen M itglieder in regelm äßigem engerem K o n tak t m ite inander stehen.

3. K ulturelle A spekte

Ein W örterbuch m it dieser T h em atik und diesem Um fang, ein solches in terd iszip linäres W örterbuch der deu tschen G egenw artssprache, das die kom plexe S tru k tu r der Sprache e rfaß t und beschreib t, g ib t es n ich t.

Wir sind der M einung, daß ein solches W örterbuch ku ltu re ll und k u ltu r­politisch sinnvoll, no tw end ig und tro tz hoher K osten zu rech tfertigen ist.

Es kö n n te verm itte ln zw ischen verschiedenen sozialen und regionalen G ruppen m it ihren spezifischen S pracheigenheiten , zw ischen verschie­denen Lebensbereichen wie Politik , B ehörde un d dem Bürger, zw ischen den V ertre te rn der verschiedenen Fachbereiche un te re in an d er und dem Laien.

B etroffen ist der G esam tbereich d e r Schule als L eh rstä tte für den U nter­rich t von D eutsch als M uttersprache. B erührt ist das V erhältn is zwischen der B undesrepublik , der D D R , Ö sterreich und der Schw eiz.

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Wir glauben w eiterh in , daß es einem führenden w estlichen K u ltu rstaa t gu t an steh t, seine Sprache in angem essener Weise zu dokum en tie ren im Sinne der F örderung ku ltu re ller W erte und Leistungen.

Das D eutsche ist im m ittel- und w esteuropäischen R aum die Sprache m it der g röß ten A nzahl der M uttersprach ler. Als F rem dsprache ist sie w eit verb re ite t. Ein solches W erk ste llt für den U nterrich t von D eutsch als F rem dsprache eine völlig neue G rundlage dar, sow ohl für den U nter­rich t im A usland (19 M illionen D eu tsch lernende) als auch im Inland (über 2 M illionen ausländische A rbeitnehm er).

A uf den N utzen für die Ü bersetzerd ienste ist ebenfalls hinzuw eisen.

Das geplante W erk w ird den A nspruch au f A nerkennung der deu tschen Sprache als A m ts- und K onferenzsprache bei in te rna tiona len V erhand­lungen und als A rbeitssprache in in te rna tiona len O rganisationen u n te r­streichen.

4. Der gegebene B ericht g ib t die erste Phase der V orplanung w ieder, in der es darum ging, den P rob lem horizon t abzustecken . Mit dem näch­sten C olloquium E nde Mai 1976 (T hem a: P roblem e der Fachsprachen in V erbindung m it P roblem en der Lexikologie und L exikographie, der G ram m atik und Pragm atik) beg inn t die de ta illie rte Beschäftigung m it den in den S chw erpunk ten gestellten Fragen.

N atürlich liegt über dem , von dem b e rich te t w orden ist, — um es u n te r­kühlt zu sagen -- ein H auch von U topie. T ro tzd em b le ib t die H offnung, daß sich ein zw eites Z ita t von C hristoph E rnst S teinbach n ich t als P ro­phezeiung für den geschilderten Plan erw eist: “ Man be trach te n u r selber, wieviele zw ar deu tsche Lexica versprochen, aber wenig herausgekom m en is t.” , sondern daß im Jah re 2004 ein füh render M ediziner in Bezug au f das gep lan te W örterbuch das schreiben k önn te , was Schiller 200 Jah re früher an G oethe schrieb: “D en A delung e rb itten w ir, w enn Sie ihn n ich t m ehr b rauchen . Ich habe noch allerhand Fragen an dies O rakel zu tu n .” —

W ahrscheinlich sind Sie unzufrieden , w eil der B erich t nur P roblem e au f­w irft, sie aber n ich t löst. A uch w ir sind d am it n ich t zufrieden. M öglicher­weise ist diese U nzufriedenheit jedoch eine gu te M otivation zum W eiter­denken.

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A nm erkungen

1 Dies Zitat ist wie die beiden Zitate am Ende des Berichts entnom m en:Helmut Henne, Deutsche Lexikographie und Sprachnorm im 17. und 18. Jahrhundert. In: Wortgeographie und Gesellschaft. Festschrift für L. E. Schmitt, 1968, S. 80 - 112.

2 Erschienen im Jahrbuch 1975 des Instituts für deutsche Sprache (Problemeder Lexikologie und Lexikographie = Sprache der Gegenwart 39, Düssel­dorf 1976, S. 347 - 371). Kurzfassung in: “ Die Zeit” , Nr. 27, 27.6.1975,S. 34 - 35.

3 Die 1963 errichtete Stiftung trägt den Namen ihres Stifters Werner Reimers,eines 1965 verstorbenen Industriellen. Vgl. im einzelnen: Die Werner-Rei- mers-Stiftung. Arbeit und Planung 1963 - 1971. Bad Homburg v.d.H. 1972.

4 Teilnehmerliste:H. Baitsch (Universität Ulm), H. Bergenholtz (Forschungsgruppe Limas,Bonn), G. Drosdowski (Bibliographisches Institut, Mannheim), P. Gilbert (Universität Saarbrücken), P. Grebe (Institu t für deutsche Sprache, Mann­heim), M. Hellmann (Institut für deutsche Sprache, Bonn), H. Henne (Se­minar für deutsche Sprache und Literatur, Braunschweig), R. Hoberg (Insti­tu t für Sprach- und Literaturwissenschaft der Technischen Hochschule, Darm- stadt), A. Kirkness (Institut für deutsche Sprache, Mannheim), H. Lippert (Medizinische Hochschule Hannover), W. Mentrup (Institut für deutsche Sprache, Mannheim), P. M ittelstaedt (Physikalisches Institu t der Universität Köln), D. Möhn (Germanistisches Seminar der Universität Hamburg), H. Moser (Universität Bonn; Institu t für deutsche Sprache, Mannheim), K. Müller (Staatssekretär a.D., W erner-Reimers-Stiftung), H. Neumann (Universität Göttingen; Grimmsches W örterbuch, Göttingen), J. Petöfi (Universität Biele­feld), A. Podlech (Juristisches Seminar der Technischen Hochschule Darm­stadt), H. Rupp (Universität Basel), W.H.U. Schewe (DIN, Berlin), H. Spie­gel (VDI, Düsseldorf), E. Ströker (Seminar für Philosophie der Universität Köln), G. Wahrig (Seminar für vergleichende Sprachwissenschaft der Univer­sität Mainz), H. Weinrich (Universität Bielefeld), E. Weis (Wirtschaftsuniver­sität Wien), E. Wüster (Universität Wien).

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Das Institut für deutsche Sprache im Jahre 1976

1. A llgem eines

Die großen w irtschaftlichen Schw ierigkeiten, m it denen das In s titu t im V erlauf des Jah res 1976 zu käm pfen h a tte , schließen einen erfreu lichen G esam tberich t aus.

Die ungünstige Z usam m ensetzung d e r In s titu tsfinanzen aus einem ver­gleichweise kleinen G rundhaushalt und dem großen A nteil von m eist n u r für kurze L aufzeiten gew ährten P ro jek tm itte ln erw ies sich im B erichts­ja h r als besonders p rob lem atisch . N achteilig w irk te sich diese w irtsch a ft­liche S truk tu rschw äche insbesondere au f eine größere A nzahl von M itar­beitern aus, deren A rbeitsp lätze n ich t erha lten w erden k o nn ten .

Die Bem ühungen der O rgane des In s titu ts rich te ten sich deshalb in ers ter Linie au f eine w irtschaftliche und organisatorische K onsolidierung, und zw ar im Z usam m enw irken m it dem B undesm in isterium für Forschung und T echnologie, das w ährend des B erichtsjahres noch die H aup tveran t­w ortung für den G rundhaushalt des In s titu ts h a tte .

E rfreulicherw eise konn te das M inisterium den e rsten S ch ritt des im V or­jah r vereinbarten K onsolid ierungsplans verw irklichen. D em In s titu t w ur­den fünf neue P lanstellen bew illigt. Ein Z ustand , in dem die m eisten M it­arbeiter n ich t den kurzfristigen Wegfall ih rer A rbeitsp lä tze befürch ten müssen und in dem Planung und D urchführung von Forschungsaufgaben n ich t im m er w ieder du rch w irtschaftliche P roblem e b ee in träch tig t w erden, läß t sich jedoch w ohl erst in einigen w eiteren Jah ren erreichen.

W ährend des B erichtsjahrs ergaben sich personelle V eränderungen beim V orstand des In s titu ts . Im März t r a t Professor Paul G rebe aus A ltersgrün­den von seinem D irek to ren am t zurück. Zu seinem N achfolger w urde Dr. G erhard S tickel e rnann t. Im Ju n i legte Professor Ulrich Engel seine Lei­tungsaufgaben n ieder. Am 1. Ju li w urde H err S tickel au f die D auer von fünf Jah ren zu seinem N achfolger als G eschäftsführender D irek to r e rnann t. G leichzeitig b erie f das K urato rium H errn H ans-Joachim Spors zum neuen V erw altungsd irek tor. Im U nterschied zu den V orjahren b es teh t d e r V or­stand nun aus einem w issenschaftlichen D irek to r und einem V erw altungs­d irek tor.

Dr. W olfgang M entrup w urde im März zum L eiter der A bteilung G ram m a­tik und L exik e rn an n t und Professor D r. D ie te r K rallm ann (G esam thoch­schule Essen) zum L eiter der A bteilung L inguistische D atenverarbeitung .

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Mit der kom m issarischen L eitung der Z en tra lab teilung w urde H err W olf­gang T eubert beau ftrag t.

1.1. Personalstärke im B erichtsjahr

15 W issenschaftler au f Planstellen 42 W issenschaftler au f P rojek tste llen23 V erw altungs- und techn ische A ngestellte au f P lanstellen16 V erwaltungs- und techn ische A ngestellte au f P ro jek tste llen 44 studen tische und w issenschaftliche H ilfskräfte

1.2. A nschriften

Z entrale, einschließlich R echenzen trum und A rbeitsstelle für Fragen der M ehrsprachigkeit: F riedrich-K arl-S traße 12, 6800 M annheim ,

Forschungsstellen B onn: Forschungsstelle für ö ffen tlichen Sprachgebrauch in der B undesrepublik und d e r D DR, K aiserstraße 46 , 5300 B onn; D eutsches Spracharchiv, A denauerallee 113, 5300 B onn,

Forschungsstelle Innsbruck: Innrain 52, A -6020 Innsbruck ,

Forschungsstelle F reiburg: B eifortstraße 14, 7800 Freiburg,

S chriftle itung der “G erm an istik” : P frondo rfe r S traße 4, 7400 Tübingen.

1.3. H aushalte des In s titu ts im B erichtsjahr

O rden tlicher H aushalt

E innahm en:

B undesm inisterium für Forschung u nd T echnologie Land Baden-W ürttem berg S tad t M annheim eigene E innahm en

A usgaben :

Personalausgaben Sachausgaben

DM 1 .960 .800 ,- DM 185.000,- DMDM 71.500,-

DM 2 .217 .300 ,-

DM 1 .759 .900 ,- DM 457 .400 ,-

DM 2.217.300,-

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P rojek t “ L inguistische D atenverarbeitung”

Z uschußgeber: B undesm inisterium für Forschung und Technologie Personalausgaben Sachausgaben

DMDM

1.292 .900 ,-667 .400 ,-

DM 1.960 .300 ,-

P ro jek t “ K ontrastive L ingu istik”

Z uschußgeber: A usw ärtiges A m tPersonalausgabenSachausgaben

DMDM

1.215 .700 ,-118.300,-

DM 1.334 .000 ,-

P ro jek t “ F rem d w ö rte rb u ch von Schulz/B asler”

Zuschußgeber: D eutsche Forschungsgem einschaftPersonalausgabenSachausgaben

DMDM

194.320,-5.680,-

L aufzeit 1 .4 .1976 - 31 .3 .1977 DM 200 .000 ,-

P rojekt “ H o ch lau tung”

Zuschußgeber: D eutsche Forschungsgem einschaftPersonalausgabenSachausgaben

DMDM

115.000 ,-5.000,-

DM 120 .000 ,-

Projekt “ V erbvalenz”

Z uschußgeber: D eutsche Forschungsgem einschaftPersonalausgabenSachausgaben

DMDM

250.000 ,-10 .000 ,-

DM 260 .000 ,-

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P rojek t “ O st-W est-W ortschatzvergleich”

Zuschußgeber: D eutsche Forschungsgem einschaftPersonalausgabenSachausgaben

DM 271 .380 ,- DM 103.370,-

L aufzeit 1 .4 .1976 - 1 .4 .1977 DM 374.750,-

G esam tzuschüsse DM 6 .466 .350 ,-

2. F orschungsberich te

2.1. A bteilung G ram m atik und Lexik L eiter: Dr. W. M entrup

U nter V erw ertung der Ergebnisse des 1975 abgeschlossenen Projekts “G ru n d stru k tu ren der d eu tschen S prache” sind folgende A rbeiten d u rch ­geführt w orden.

2 .1 .1 . G eschriebenes D eutsch

2.1 .1 .1 . D ie M onographie “ U ntersuchungen zu r W ortstellung in der ge­schriebenen deu tschen G egenw artssprache, Teil I: Folgeerscheinungen im einfachen S a tz” (U. H oberg) w urde im B erichtsjahr im M anuskrip t abgeschlossen. D er Teil II: S tellungsverhältnisse im kom plexen Satz, w ird im Frühjahr 1977 vorgelegt.

Im w eiteren w erden w eitere B ereiche der deu tschen G ram m atik u n te r­sucht, die für das Fach “ D eutsch als F rem dsp rache” no tw endig sind und in dem abgeschlossenen P ro jek t “ G ru n d s tru k tu ren ” n ich t e ra rbe ite t w er­den konn ten .

Im B erichtsjahr w urde die A rbeit “ System beschreibung und S ta tis tik der A ttr ib u t- und A ngabesätze der geschriebenen und gesprochenen deu tschen Sprache. Teil 1: Die R elativsätze ” (B. H ilgendorf) im M anuskrip t abge­schlossen. D aneben laufen die A rbeiten an den übrigen A ttr ib u t- und A n­gabesätzen w eiter. Die w eiteren Teile der M onographie sollen im nächsten Ja h r fertiggestellt w erden.

W eiterhin w urden die A rbeiten “ V alenz der S ubstan tive” (W. T eubert) und “ U ntersuchungen zum O bjek tsa tz in der geschriebenen deutschen G egenw artssprache” (I. Z int) im M anuskrip t fertiggestellt sow ie das A r­beitspap ier “ Problem s in th e tran sfo rm atio n a l S yn tax o f G erm an nom inali- za tions” (J. T om an).

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T ro tz der zahlreichen im R ahm en des P ro jek ts “G ru n d stru k tu ren der deu tschen S p rache” e rarbeite ten U ntersuchungen sind viele andere T eil­bereiche der G ram m atik n ich t ausreichend beschrieben. Innerhalb der A bteilung w erden Ü berlegungen angestellt, d iese T eilbereiche zunächst system atisch zu erfassen und in einen G esam tzusam m enhang zu stellen. D anach sollen b estim m te T hem en für die w eitere A rbe it ausgesucht w er­den. D ie in A ngriff genom m enen U ntersuchungen sollen die A nalyse eines um fangreichen C orpus m it e inbeziehen. A m 2 8 .9 .1976 fand ein G espräch zw ischen V ertre te rn des G oethe-In stitu ts , M ünchen, und des IdS s ta tt über M öglichkeiten der w eiteren Z usam m enarbeit. Es w urde eine lockere K o­opera tion zw ischen den M itarbeitern des G oeth e-In stitu ts und der A b te i­lung G ram m atik und L exik vereinbart.

2 .1 .2 . G esprochenes D eutsch

2.1 .2 .1 . Zur personellen B esetzung der Forschungsstelle F reiburg:P. S chröder w ird vom IdS bezah lt, ebenso F .-J. Berens, der die u n te r2 .1 .2 .1 .1 . genann ten A ufgaben erledigt, hauptsäch lich aber m it an dem P ro jek t “ D ia lo g stru k tu ren ” a rbe ite t, das als P ro jek t am D eutschen Sem i­nar der U niversität F reiburg von Prof. D r. H. S teger geleite t w ird. Die im März auslaufenden B eurlaubungen der M itarbeiter G. Schank und J. Schw italla ko n n ten vom IdS n ich t verlängert w erden.

2 .1 .2 .1 .1 . Für die V erw altung des F re iburger A rchivs von T ex ten der ge­sprochenen S tandardsp rache des D eutschen sow ie für Serviceleistungen (etw a 200 A nfragen, B eratungen, G u tach ten u.a .) w urden im B erichts­jah r m onatlich 5 M itarbeiterstunden (F .-J. Berens) und 10 H ilfskraft­stunden bzw . 230 M itarbeiterstunden (F .-J . B erens) und ca. 115 Hilfs­kraft- und S ek tre tä rin n en stu n d en im Jah r aufgew endet.

Im B erichtsjahr ist die M onographie von J. D ittm an n : “ Sprechhandlungs­theorie und T em pusgram m atik . F u tu rfo rm en und Z ukunftsbezug in der gesprochenen deu tschen S tandardsp rache” (=H eutiges D eutsch 1/8), er­schienen.

Die für die A rbeit “ U ntersuchungen zur W ortstellung in der gesprochenen deu tschen S tandardsp rache der G egenw art” (P. Schröder) notw endigen H andcodierungen w urden im B erichtsjahr abgeschlossen, in te rp re ta tiv und frequen tie ll nach A spek ten wie “ S a tz fo rm /S a tz fu n k tio n ” , “ V orfeld­besetzung und V o rfe ld funk tion (Inversion )” , “ A usklam m erung/N achfeld- bese tzung” , “ Satzgliedfolge und T e x tk o n s titu tio n ” , “ innerer R ah m en ” oder etw a “ V erbaler R ahm en — T ypen und V ork o m m en ” ausgew ertet. Diese A usw ertungen streben zum einen A ussagen über m ögliche to p o lo ­gische B esonderheiten der gesprochenen Sprache an und zum anderen eine Ü berprüfung m öglicher redekonste lla tiver A bhängigkeiten topo lo -

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gischer E igenschaften von T ex ten . Ein R o h m an u sk rip t ist für E nde 1976 geplant.

U nter V erw ertung der F re iburger Ergebnisse des P ro jek ts “ G ru n d stru k ­tu ren der deu tschen S prache” w urde die U ntersuchung zu “ M odalitä t und K onjunktivgebrauch in d e r gesprochenen deu tschen S tandardsprache. Eine S tud ie zu Sprachsystem , Sprachvariation u n d Sprachw andel im heu­tigen D eu tsch ” (K.-H. Bausch) an der Z entra le M annheim im M anuskrip t abgeschlossen.

2 .1 .2 .2 . Im R ahm en der in der Z entra le M annheim du rchgeführten Un­tersuchung “ S yn tak tische S tru k tu ren der gesprochenen S tandardsp rache” (L eitung: W. M entrup) w urde vor allem der A spek t “ S tru k tu ren außer­halb des V erbalsatzes” von H. G ünther näher u n te rsu ch t und w eitgehend abgeschlossen. Die M aterialbasis dafür w ar d ie für das G esam tun ternehm en zugrundegelegte T extausw ahl aus dem F reiburger C orpus m it e inem Um­fang von ca. 100 .000 W örtern . Der m it diesem T eilthem a angesprochene Bereich w urde in zwei H aup tg ruppen u n te r te ilt:

V erblose Sätze: Hier w urde ein an die V erbvalenzgram m atik angelehntes M odell form aler S tru k tu ren als Beschreibungsbasis zugrundegelegt und versucht, regelhafte S tru k tu ren von verblosen Sätzen au fzufinden und die Belege solchen G ruppen zuzuordnen . Ferner w urde u n te rsu ch t, inw ie­weit solche Sätze b estim m te F u n k tio n en erfüllen und ob und inw iew eit sie sich dadurch von den V erbalsätzen un terscheiden . V erbunden dam it w ar eine sta tistische A usw ertung der beh an d e lten T ex te nach diesem Kri­terium .

Gliederungs- und K om m entarsignale außerhalb des Satzverbandes: Hier w urde der G ebrauch derartiger Partikeln h insichtlich der U m gebung und ihrer kom m unikativen F u n k tio n un te rsuch t. Die Ergebnisse w urden zu einer S ta tis tik zusam m engefaßt und au f die verschiedenen behandelten T ex tty p en projiz iert, w odurch sich deu tlich bestim m te T ex tg ruppen von­e inander abheben . In w eiterer B earbeitung befinden sich die paren these­elliptischen S a tzk o n stru k tio n en und In te rjek tionen .

A ußerdem w urde die K om plex itä t von Sätzen w eiter u n te rsu ch t und sta tistisch im Bezug auf T ex tg ruppen ausgew ertet sow ie das V erbregister der gesprochenen deu tschen S tandardsp rache der G egenw art w eiter be­arbeite t.

2 .1 .3 . Forschungsstelle Innsbruck

Im R ahm en der A rbeiten über die W ortbildung im D eu tschen w urden die bisherigen V orun tersuchungen für den 3. Band (Das A djektiv) ausgew ertet

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Die präfig ierten und suffig ierten A djektive w urden nach F un k tio n en und anschließend im Vergleich m it der G oetheze it dargestellt. Zu den Suffixoi- den , F rem dsuffixen und den abgele iteten A dverbien w urden die M aterial­sam m lungen b eende t und V oruntersuchungen angestellt.

2.1.4. Forschungs^telle für ö ffen tlichen Sprachgebrauch in Bonn

Die Forschungsstelle für ö ffen tlichen Sprachgebrauch (L eiter: Dr. M.W. H ellm ann) hat im Jah re 1976 w eiterh in ihr T hem a — die U ntersuchung von P hänom enen des ö ffen tlichen Sprachgebrauchs, insbesondere der sprachlichen D ifferenzierung zw ischen BRD und D DR — b earbe ite t. W ährend die A rbe it in einzelnen T eilbereichen au f G rund w eiterer R edu ­zierungen bei H ilfskraftstellen w eiter e ingeschränk t w erden m ußte , ko n n ­ten andere A rbeitsbereiche nach der Bewilligung des bei der D FG bean­trag ten P ro jek ts “O st-W est-W ortschatz Teil I ” in der 2. Jah resh ä lfte w ie­der aufgenom m en bzw . neu begonnen w erden.

2 .1 .4 .1 . Archiv, B iblio thek, b ib liographischer Service: Das A rchiv zum öffen tlichen Sprachgebrauch — eine Sam m lung von m ehreren tausend Z eitschriften-, Zeitungs- und sonstigen A ufsätzen — w urde w eitergeführt (B etreuer: Dr. M. K inne); ebenso die spezialisierte H andb ib lio thek (Be­treuer: Dr. G .D. Schm idt). A rchiv und B ib lio thek sowie der au f sie ge­stü tz te lebhafte b ib liographische Service (ca. 100 - 150 A nfragen pro Jah r) gerieten A nfang 1076 in eine sehr schw ierige Lage, da auch die lezte für diese Zw ecke vorhandene H ilfskraftstelle gestrichen w urde.

2 .1 .4 .2 . T ex tausw ertung und m aschineller Service: O bw ohl zusätzliche T ex te bere itgestellt w erden ko n n ten , k o n n te wegen e iner neuen K osten ­regelung bei der B enutzung von H ochschu lrechenzen tren und wegen der S treichung einer H ilfskraftstelle m aschineller Service in g rößerem Umfang nur in 2 Fällen (je 1 in te rner und ex te rn e r In teressen t) geleistet w erden.Es w ird z .Z t. nach neuen organisatorischen Wegen gesucht, den n o tw en ­digen m aschinellen Service w iederaufnehm en zu können .

2 .1 .4 .3 . Das P ro jek t der D eutschen Forschungsgem einschaft “Ost-West- W ortschatz” h a t folgende Ziele:

a) die E rw eiterung der vorhandenen T ex tbasis aus ost- und w estdeu tschen Z eitungstex ten durch A ufnahm e zusätzlicher R egionalzeitungen sow ie durch die A ufnahm e sehr früher und ak tueller Jahrgangs-A usw ahlen (1949 und 1974);

b) die E ntw ick lung von V erfahrensw eisen zur (teil-)m aschinellen V erar­beitung von T ex ten zu W örterbüchern ( “M aschinelles K orpus-W örter­b u ch ” );

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c) die Erstellung vergleichender W örterverzeichnisse zur ost- und w est­deu tschen Zeitungssprache im H inblick au f A rt, A usm aß, S chw erpunkte und E n tw ick lungstendenzen der D ifferenzen.

Im B erichtsjahr w urden , der P ro jek tp lanung fo lgend, die A rbeitsgebie te (1) T ex td o k u m en ta tio n , (2) Sekundäres M aterial, (3) P rogram m ierung intensiv b e a rb e ite t; fe rn er w urden im R ahm en einer (4) P ilo ts tud ie be­stim m te Teilfragen der T ex tverarbeitung , der L exem bearbeitung und der K onzep tion eines “M aschinellen K orpus-W örterbuchs” behandelt.

Das G esam tpro jek t ist au f 4 Jah re veranschlagt und inhaltlich genehm igt. Die finanzielle Bewilligung ist zunächst für 1 Jah r ausgesprochen; zum1.4 .1977 ist ein F o rtse tzungsan trag zu stellen. Säm tliche A rbeiten b efin ­den sich som it noch im A nfangsstadium .

2 .1 .5 . F rem dw örte rbuch

Im R ahm en der Fertigstellung des deu tschen F rem dw örte rbuchs von Schulz/B asler (R — Z und Q uellenverzeichnis) w urde der B uchstabe R abgeschlossen und der B uchstabe S im M anuskrip t zur H älfte b earbe ite t, redigiert und an den Verlag geschickt. Die M ateria larbeiten zu S sind ab ­geschlossen, die zu T in A ngriff genom m en.

2 .1 .6 . G roßes deu tsches in terd iszip linäres W örterbuch der deu tschen Sprache

An den in Bad H om burg s ta ttfin d en d en C olloquien über das “P ro jek t eines großen in terd iszip linären W örterbuchs der deu tschen S p rache” ha­ben von der A bteilung M. H ellm ann, A. K irkness und W. M en trup te il­genom m en. Die C olloquien , die von der W erner-R eim ers-S tiftung und dem In s titu t veransta lte t und von d e r S tiftung finanziert w erden , haben den Sinn, die Ü berlegungen zu dem genann ten P ro jek t zu organisieren und w eiterzuführen . Im B erichtsjahr fanden drei C olloquien s ta tt (7 .2 ., 2 8 .-2 9 .5 ., 2 5 .-2 6 .6 .1 9 7 6 ) .

2 .1 .7 . Zur gegenw ärtigen L exikographie-A nalyse vo rhandener W örter­bücher

Im R ahm en der von der W erner-R eim ers-S tiftung (te il)finanzierten P ilo t­stud ie (zu einem geplan ten neuen W örterbuch der d eu tschen G egenw arts­sprache) w urden von einer k leineren A rbeitsgruppe der A bteilung un ter der L eitung von W. M entrup die ers ten A nalysen vorhandener W örterbü­cher durchgeführt. Im B erichtsjahr w urden A rbeitspap iere zu folgenden W örterbüchern erste llt: “W ahrig, D eutsches W örte rb u ch ” (E. L ink/G . S trauß , “ K lap p en b ach /S te in itz” (I. N ortm eyer), “ E xem plarische G ruppe in vorliegenden W örterbüchern” (G. S trauß). Diese vorliegenden E inzel­

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analysen sollen in einem w eiteren S ch ritt kon trastiv ausgew ertet w erden . Dabei ist angestreb t, für das große W örterbuch E m pfehlungen auszuarbe i­ten .

Im w eiteren sollen Fragen der verschiedenen D efin itionsm öglichkeiten (E . L ink), P roblem e der Z irku laritä t von D efin itionen (G. S trauß ) b e h a n ­delt w erden sow ie eine A nalyse der N eufassung des G rim m schen W örte r­buchs (I. N ortm eyer) du rchgeführt w erden.

2.1.8. A rbeitsbereich Soziolinguistik

2 .1 .8 .1 . Die vom W issenschaftsrat 1971 b efü rw orte te E in rich tung e iner A bteilung Soziolinguistik k o n n te auch im B erichtsjahr n ich t verw irk lich t w erden. Im B erichtsjahr w urden P ro jek tierungsarbeiten für eine künftige A bteilung geleistet, die im nächsten Jah r in den zuständigen G rem ien des In s titu ts d isk u tie rt w erden .

K.-H. Bausch und P. N ik itopou los haben zw ei Positionspapiere zur in h a lt­lichen S tru k tu rie ru n g und S chw erpunk tb ildung künftiger soziolinguisti- scher A rbeiten im R ahm en des IdS vorgelegt.

D arüber hinaus h a t P. N ik itopou los eine D o k u m en ta tio n über sozio- u n d psycholinguistische P ro jek te in der B undesrepub lik in den le tz ten zwei Jah ren vorgelegt.

Eine vorläufige V ersion dieser D o k u m en ta tio n (62 N ennungen) w urde bei den soziolinguistischen A rbeitsgesprächen im R ahm en des 18. D eu tschen Soziologentags vom 29 .9 . — 1 .10 .1976 in Bielefeld vorgestellt.

2 .1 .8 .2 . P ro jek t “ O ptim ierung des L ernangebots zur sprachlichen In te ­g ration von ausländischen A rbeitnehm ern in der B undesrepublik D eu tsch ­land” : Das vom In s titu t vorgesehene P ro jek t “ Zur sprachlichen In teg ra tion von G asta rb e ite rn ” ist in dieses G esam tpro jek t des “ Sprachverbands D eutsch für ausländische A rbeitnehm er e .V .” , M ainz, eingegangen, der den F in an ­zierungsantrag an die S tiftung V olksw agenw erk gestellt hat, und b ilde t nunm ehr den P ro jek tte il I des G esam tpro jek ts. H ierzu hat P. N ik itopou los eine neue e rw eiterte D etailp lanung der Forschungsaufgaben vorgelegt.Über diesen P ro jek tan trag w ird A nfang 1977 en tsch ieden w erden.

Im B erichtsjahr w urde auch eine P ilo ts tud ie von F rau I. Keim angefertig t über das “ S prachverhalten ausgew ählter tü rk ischer A rbeitnehm er im R aum M annheim ” , die als F orschungsberich t des IdS erscheinen soll.

2.2. A bteilung K ontrastive L inguistik (K L)L eitung: Dr. G. S tickel

Die A rbeiten der A bteilung w erden von der K u ltu rab te ilung des A usw ärti-

400

.

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gen A m tes (K ontrastive P ro jek te) und der D eutschen Forschungsgem ein­schaft ( V erbvalenz) finanziell getragen.

W ährend des B erichtsjahres w urden die A rbeiten in drei P rojek tgruppen durchgeführt:

— deutsch-japanische kon trastive G ram m atik (L eitung : D r. G. Stickel, ab 17 .12 .76 Prof. T. K aneko)

— deutsch-spanische kontrastive G ram m atik (L eitung: P rof. D r. Hans- M artin G auger, ab 17 .12 .76 zusam m en m it P rof. D r. N. Cartagena)

— V erbvalenz (L eitung: H elm ut S chum acher).

Die P ro jek tgruppen der A bteilung arbeiten außerdem in untersch ied licher Weise m it W issenschaftlern und Forschungsgruppen anderer Institu tionen zusam m en. H ervorzuheben ist insbesondere die Z usam m enarbeit m it der K openhagener G ruppe “ deutsch-dän ische kon trastive G ram m atik ” .

2.2 .1 . D eutsch-japanische kon trastive G ram m atik

Die G ruppe e ra rb e ite t eine kon trastive D arstellung der d eu tschen und der japan ischen G ram m atik , die neuen L ehrw erken für den D eu tschun ter­rich t in Japan und den Jap an isch u n te rrich t in den deutschsprach igen L ändern als linguistische G rundlage d ienen soll.

Seit M itte des Jahres 1975 w ird an einer um fassenden vergleichenden Ü bersicht über die m o rp hosyn tak tischen S tru k tu ren beider Sprachen ge­arbe ite t. Ziel ist dabei die E rstellung jeweils einer M orphosyn tax für die beiden Sprachen. Im O k to b er 1976 lagen die E inzelun tersuchungen zu den m orphosyn tak tischen S tru k tu ren in fast allen gep lan ten A rbeitsbe­reichen vor. Diese beiden M orphosyn taxen w erden dann typolog isch kon­tra s tie rt , d .h . die fo rm alen U nterschiede der m o rp hosyn tak tischen S truk ­tu ren der beiden Sprachen w erden durch G egenüberstellung festgestellt und zusam m engefaßt. M it dem A bschluß dieses Teils ist im Laufe des Jahres 1977 zu rechnen.

Parallel h ierzu w erden b estim m te syn tak tische S tru k tu ren des D eutschen und des Japan ischen , die sich für den japan ischen bzw . deu tschen Leser als w ichtig und p rob lem atisch herausgestellt haben , jew eils un id irek tio - nal über Ü bersetzungsäquivalenzen k o n tra s tie rt. Es en ts teh en som it zwei V ersionen: 1) für Jap an e r schw ierige syn tak tische S tru k tu ren des D eu t­schen, k o n trastie rt m it ihren japanischen Ü bersetzungsäquivalenzen; 2) für D eu tschsprechende schw ierige syn tak tische S tru k tu ren des Japanischen, k o n tras tie rt m it ihren japanischen Ü bersetzungsäquivalenzen.

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2 .2 .2 . D eutsch-spanische kon trastive G ram m atik

Die G ruppe a rb e ite t an einer kontrastiven G ram m atik des D eu tschen und Spanischen, d ie ebenfalls zu neuen L ehrw erken für den frem dsprach lichen S pan ischun terrich t und den D eu tsch u n te rrich t in den beiden Sprachge­b ieten die linguistischen V oraussetzungen b ie ten soll.

Die G ruppe h a t im B erichtsjahr au f den G ebieten der P honetik , d e r P ho n o ­logie, de r M orphosyn tax und der O nom asiologie gearbeite t.

A uf dem G ebiet der M orphosyn tax ko n n ten K om paration , T em pus,A spekt und V ox ausgearbeite t w erden. D ie U ntersuchungen zum G enus, N um erus und K asus w urden für das D eutsche abgeschlossen. D er e n t­sprechende spanische un d kontrastive Teil w ird bis zum Frühjahr 1977 fertiggestellt. A uf dem G ebiet der W ortb ildung w urde der Bereich K om ­position deu tsch-spanisch kon trastiv fertiggestellt. Im nächsten Ja h r w er­den u.a. die G ebiete K oord ination , D erivation , die N om inalphrase, die A dnom inalphrase e rarbeite t.

Im onom asiologischen Teil sind F orm en des V erneinens, des Befehlens, des H ervorhebens, der lokalen Deixis, der K om paration , der D arstellung eines G eschehens vom O bjek t her und der D arstellung eines G eschehens ohne N ennung des T ä te rs ausgearbeite t w orden .

2 .2 .3 . D eutsch-polnische kon trastive G ram m atik

V erhandlungen über diese G ram m atik w urden seit 1972 m it po ln ischen K ollegen an m ehreren U niversitäten geführt. A us verschiedenen G ründen konn te die A rbeit noch n ich t au fgenom m en w erden , jedoch liegen ver­schiedene V orarbeiten vor.

Die G ram m atik , die au f A nregung des IdS und po ln ischer Kollegen zu­rückgeht, w ird einem von Prof. Dr. U. Engel gem achten E n tw urf folgen.

Die F inanzierung dieses P rojekts w urde von der S tiftung V olksw agenw erk im A pril des B erichtsjahres bew illigt. M it der ko n k re ten A rbeit kann nach A bschluß einer K ooperationsvereinbarung begonnen w erden.

2.2.4. D eu tsch-serbokroatische kon trastive G ram m atik

Die deu tsch-serbokroatische kontrastive G ram m atik w urde au f A nregung jugoslaw ischer G erm anisten an vier H ochschulen (Belgrad, Novi Sad, Sarajevo, Zagreb) im Jah r 1973 begonnen . Sie w ird e ra rb e ite t au f der G rundlage eines P ro jek ten tw urfs von Prof. Dr. U. Engel, der von den jugoslaw ischen K ollegen auch zum K o o rd in a to r beste llt w urde.

Im B erich tsjahr haben zw eim al 2-3tägige Sem inare in Belgrad sta ttgefun-

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den, in denen H err U. Engel in P roblem e der S yn tax ein führte und E inzelfragen m it den M itarbeitern besprach.

Enge Beziehungen bestehen m it H errn P rofessor R u d o lf F ilipovic, Zagreb, dem L eiter des sechssprachigen kontrastiven P ro jek ts der U niversität Zagreb.

Finanzielle U n terstü tzung k o n n te für dieses P ro jek t b isher n ich t gew onnen w erden.

2.2.5. D eutsch-rum änische kon trastive G ram m atik (ab 1976)

Dieses U nternehm en w urde von rum änischer Seite angeregt. G espräche über die A rbeitsau fnahm e laufen seit A nfang 1975. V erhandlungen zw ischen dem IdS und dem L ehrstuh l für deu tsche Sprache an der Uni­versitä t B ukarest haben im Mai zum E n tw u rf e iner V ereinbarung geführt, die vor der R atifiz ierung steh t.

Mit V orarbeiten ist bere its begonnen w o rden .

Die deu tsch-serbokroatische, die deu tsch-po ln ische und die deu tsch -rum ä­nische kontrastive G ram m atik w erden im w esentlichen von ausländischen W issenschaftlern du rchgeführt, w obei das In s titu t für deu tsche Sprache eine K oordinierungs- und B era tungsfunk tion übernim m t.

2 .2 .6 . V erbvalenz

Das P ro jek t V erbvalenz w ird seit A nfang 1975 für den Z eitraum von drei Jah ren durch die D eutsche Forschungsgem einschaft gefö rdert.

Im B erichtsjahr w aren die A rbeiten der P ro jek tg ruppe (L eitung : H. Schu­m acher) auf das Ziel ausgerich tet, d ie bere its 1975 e ra rbe ite ten V orstel­lungen über die S tru k tu r und den U m fang des gep lan ten V erbvalenzw ör­terbuchs auf sem antischer Basis w eiter zu konkretisieren . Zu diesem Zweck w urden einige ausgew ählte G ruppen von V erben nach onom asiologischen K riterien beschrieben . D am it k o n n te gleichzeitig das zugrundegelegte G ram m atikm odell, das den sem antischen Zusam m enhang der V erbgruppen darstellen soll, w eiter ausgearbeite t w erden (J. Ballweg, P. B ourstin ). Die verschiedenen vorhandenen V erfahren zur V erbklassifikation w urden ana­lysiert und h insichtlich ihrer B rauchbarkeit für die G ruppierung von V er­ben ge tes te t (S. Pape).

Für d ie E rarbeitung eines K onzepts zur lex ikographischen D eskrip tion w urden neuere Prinzipien der L exikographie kritisch u n te rsu ch t. In die­sem Z usam m enhang w urden auch K riterien aufgestellt für die Anlage von W örterbuchartike ln und zur B eschreibung der e inzelnen V erben nach kom plem entär-sem asio logischen V erfahren (A. Ballw eg-Schram m ). Da

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das gep lan te W örterbuch im Bereich des D eu tschun terrich ts für auslän­dische S tu d en ten verw endbar sein soll, w erden die für diese Z ielgruppe w ichtigen W örterbücher u n te rsu ch t (H. Schum acher). Das für die gedach­te Zielgruppe relevante V erbvokabular w urde au f G rund der S ichtung einschlägiger W ortlisten und L ehrbücher sow ie der A usw ertung eines C orpus von P rü fungstex ten eingegrenzt (J. K ubczak).

Die A rbeiten der P ro jek tg ruppe w urden bei einem von d e r Fritz-T hyssen- S tiftung finanz ie rten C olloquium über “Problem e der V alenzlexikogra­p h ie” d isk u tie rt, das am 29. — 30.9 .76 im IdS veransta lte t w urde.

Die parallel laufenden A rbeiten am m o rp hosyn tak tischen V alenzlexikon w urden fo rtgese tz t. Im B erichtsjahr k o n n ten ein Forschungsberich t m it E inzelun tersuchungen über P roblem e der V erbvalenz sowie das “ Kleine V alenzlexikon d eu tscher V erben” erscheinen. D ie D atenerfassung für das “ E rw eite rte V alenzlex ikon” w urde abgeschlossen und ein großer Teil der D aten bereits au f D aten träger genom m en (G .A. H am ei, N. T rau tz ).

Die W eiterführung der A rbeiten am T eilp ro jek t “ V alenzregister” litt da­ru n te r, daß die A b locharbeiten nur sehr langsam erledigt w erden k o n n ten und (durch das A usscheiden von zwei H ilfskräften) seit M itte des Jah res keine H ilfskräfte m ehr für die K orrek tu ren zu r Verfügung stehen. D ie D a­ten zur m o rp hosyn tak tischen A nalyse von ausgew ählten Teilen des M ann­heim er C orpus können daher voraussichtlich erst 1977 vollständig auf D aten träger gespeichert w erden.

2.2.7. A rbeitsstelle für Fragen der M ehrsprachigkeit

Diese A rbeitsstelle , die aus zwei w issenschaftlichen M itarbeitern b esteh t, Dr. H. Kloss und D r. L. A uburger, w ird ihre F orschungsberich te in einer S chriftenreihe verö ffen tlichen m it dem T ite l “D eutsche Sprache in E uropa und Ü bersee” , die beim F rank S teiner Verlag, W iesbaden, erschein t. Als erste B erichte sind vorgesehen A rbeiten über den “ Sprachw echsel in Ost- L o th ringen” (H offm eister), in D ruck, über d ie deu tsche Sprache in K ana­da und über d ie schw eizerische Sprachenfrage (H .P. Müller).

Das M anuskrip t der A rbeit von D r. H. Kloss über germ anische K u ltu r­sprachen liegt vor; die K apitel über die E inzelsprachen gingen an Fach­gu tach te r in den b e tre ffen d en L ändern .

2.3. A bteilung Linguistische D atenverarbeitung (LDV)L eiter: Prof. Dr. D. K rallm ann

Die A bteilung Linguistische D atenverarbeitung ist m it A nalysen und O pe­rationalisierungen von B eschreibungen sprachlicher R egu laritä ten für A n­w endungszw ecke im Bereich der D atenverarbeitung befaß t. Ihre A rbeit

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w ird in den Bereichen— Forschung und E ntw icklung— R echenbetrieb— Service und Clearing durchgeführt.

2 .3 .1 . Forschung und E ntw icklung

ln dem durch das d r itte D V -Program m gefö rderten P ro jek t PLID IS (p rob lem ­lösendes In fo rm ationssystem m it D eutsch als In terak tionssp rache) w ird in enger Z usam m enarbeit m it e inem P ilo tanw ender ein Info rm ationssystem erstellt. P ilo tanw ender ist das R egierungspräsidium in S tu ttg a r t, das beab­sichtig t, PLIDIS au f dem G ebiet der Industrieabw asserüberw achung einzu­setzen.

Das System b esteh t aus

— einem linguistisch-logischen Teil, d er die deutschsprach ige Eingabe in eine system in terne , präd ikaten log isch o rien tie rte D arstellung überführt

— einem Problem lösungsteil, der zum einen die üblichen Speicher- und R etrievalaufgaben übern im m t, zum anderen darüber hinaus d ie im A n­w endungsbereich geltenden G esetzm äßigkeiten in d ie P roblem lösung einbez ieh t.

PLIDIS gibt dem B enutzer in jeder A blaufphase d ie M öglichkeit zur In te r­ak tion .

Zusam m en m it dem P ilo tanw ender w urde un ter besonderer Berücksich­tigung des P roblem lösungsaspekts ein “ W eltausschn itt” festgelegt und analysiert. Das System soll, ausgehend von einer natürlichsprach lich e in ­gegebenen Fragestellung, d ie Fähigkeit haben , aus den vorhandenen Da­ten sow ie den im W eltausschnitt geltenden Regeln die A n tw o rt herzu lei­ten . D abei w ird PLID IS im A nw endungsbereich gem äß seiner K onzeption realisiert als

— N orm enkon tro llsystem (z.B. bei der G renzw ertüberw achung von S chad­sto ffk o n zen tra tio n en )

— A uskunftssystem (z.B. bei d e r G iftigkeit von C hem ikalien)— d ifferenziertes C hecklistensystem (z.B. bei der Erstellung von A n­

w eisungen).

PLIDIS w ird in IN T ER L ISP au f d e r A nlage SIEMENS 4 0 0 4 /1 5 1 u n te r B S2000 im plem en tiert.

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2.3.2. R echenbetrieb

Da auch der R echenbe trieb von den E ntlassungen Ende 1975 be tro ffen w urde, m u ß ten die verw aisten F u n k tio n en von den verbliebenen M itar­beitern übernom m en w erden . D arun te r litt natu rgem äß besonders die D o k u m en ta tio n d e r geleisteten A rbeiten .

Neue T ex tverarbeitungsprogram m e w urden überw iegend für den G roß­rechner 4 0 0 4 /151 ers te llt, da die Program m ierung im Dialog schneller und k o m fo rtab le r ist. Für die planm äßige V erlagerung von T ex tverarbei­tungsaufgaben von der k leineren 4 0 0 4 /3 5 au f den G roßrechner w urde eine R eihe von U m stellungsprogram m en geschrieben. A uf der kleinen D atenverarbeitungsanlage w urde die K o rrek tu r des F reiburger C orpus der gesprochenen Sprache abgeschlossen und a lphabetische W ortform en- und H äufigkeitsregister für das gesam te C orpus von über 220 T ex ten er­ste llt. Vom M annheim er C orpus der geschriebenen Sprache (MK 1) w urden nach T ex tso rten aus m ehreren E inzeltex ten gem isch te R egister angefertig t. Nach A bsch luß der K orrek tu ren zum E rgänzungscorpus der geschriebenen Sprache (MK 2) liefen auch für dieses C orpus die en tsp rechenden A ufbe­reitungsprogram m e (Satzzerlegung, Indices).

Um eine w irtschaftliche A uslastung der D V-A nlagen zu sichern, w urde die Zahl der M itbenu tzer e rw eitert. N eben der S tud iengruppe für System ­forschung, die als langjähriger M itbenu tzer der 4 0 0 4 /3 5 nun auch au f dem G roßrechner a rbe ite t, und einigen Industrieun te rnehm en aus dem Rhein- N eckar-R aum , die besonders von unserem L ochstreifen leser G ebrauch m achen oder den E insatz einer eigenen DVA vorbereiten , sei besonders das D okum en ta tio n szen tru m für In fo rm ationsw issenschaften (ZD O K ) e r­w ähnt, dessen M itarbeiter das au f der 4004 /151 im plem en tierte GMD- D atenbanksystem FID A S m itbenu tzen .

2 .3.3. Service und Clearing

2 .3 .3 .1 . Service: Die Servicestelle in fo rm iert w issenschaftliche In s titu tio ­nen über die M öglichkeiten der T ex tausw ertung am IdS. D abei s teh t die B eratung von In teressen ten über die M öglichkeit der B earbeitung eines linguistischen Problem s m it den M itteln der linguistischen D atenverarbei­tung bzw . die D atenbere its te llung für die B earbeitung eines solchen P ro ­blem s im V ordergrund . W enn eine P roblem stellung des In teressen ten m it den der Servicestelle zur Verfügung stehenden M itteln n ich t angegangen w erden kann, w eist die Servicestelle den B enutzer au f andere Stellen der m aschinellen S prachverarbeitung hin. Sie m ach t sich dabei ihre In fo rm a­tionen aus der C learingstelle zunutze .

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Im Jah re 1976 zeigte sich ein T rend in R ich tung bera ten d er T ä tigke it der Servicestelle. B estand früher der g röß te Teil der anfallenden A rbeiten in d er A bw icklung von Service-A ufträgen, so nehm en je tz t die fachspezifi­schen und gezielten In fo rm ationen über M öglichkeiten der EDV einen im m er bre iteren R aum ein.

Im B erich tszeitraum w urden 21 A nträge (bis N ovem ber 1976) au f m aschi­nelle Serviceleistungen entgegengenom m en und ausgeführt. Es w urden außerdem w eiter ins D etail gehende In fo rm ationen an eine R eihe von in- und ausländischen W issenschaftlern gegeben (etw a 30 A nfragen).

2 .3 .3 .2 . C learingstelle: Die C learingstelle (seit de r 2. H älfte des Jahres 1971 am IdS A bteilung LDV für den Bereich des ‘A lteren D eu tsch ’und des ‘N eueren D eu tsch ’ (ab 16. Jh d .) e ingerich te t) ist e ine zen tra le In fo r­m ationsstelle au f kooperativer Basis. Ihre A ufgabe b esteh t darin , in teres­sierten W issenschaftlern im In- und A usland In fo rm ationen über abgeschlos­sene, laufende und gep lan te P ro jek te aus dem Bereich der m aschinellen T ex tverarbeitung des D eutschen zu verm itteln .

Sie ers te llt zu diesem Zw eck jew eils au f den neuesten S tand gebrach te D o­kum en ta tionen bzw . N achträge zu diesen D o k u m en ta tio n en . Die C learing­stelle verö ffen tlich te im D ezem ber 1975 eine neue D o k u m en ta tio n und verschickte sie an alle W issenschaftler, d ie m it der C learingstelle in In fo r­m ationsaustausch stehen, kostenlos. In diesem Jah r führte die C learing­stelle eine großangelegte F ragebogenaktion durch , deren E rgebnis (15 neu e rfaß te P rojek te) in Form eines N achtrages zum B ericht der Clearing­stelle 1975 In teressen ten zugeschickt w ird. Seit Ju n i 1976 ist d ie C learing­stelle offiziell M itglied des LD V -Fittings-V ereins.

2 .4 . Z entra lab teilungK om m issarische L eitung: W. T eubert

Das K urato rium hat au f seiner S itzung am 1 .7 .1976 W. T eu b e rt m it der kom ­m issarischen Leitung und der U m struk tu rierung dieser A bteilung in die A b­teilung “ Zentrale W issenschaftliche D ienste” b eau ftrag t, über deren Leitung das K urato rium erneu t befinden w ird. G leichzeitig hat es den A rbeitsbereich d e r V erw altung aus der Z en tra lab te ilung ausgegliedert und dem V erw al­tu n g sd irek to r unm itte lb a r un te rste llt.

Für diese U m struk tu rierung der A b teilung w urde ein P lanungskonzept e ra rbe ite t, das einen Z eitraum von fünf Jah ren um spann t und e ine sch ritt­weise K oord ination und In tegration der w issenschaftlichen D ienste vorsieht. D iesem K onzept hat das K urato rium seine Z ustim m ung erte ilt.

Zur Zeit gehören dieser A bteilung fo lgende Bereiche an:

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Ständige A ufgaben der Ö ffen tlichkeitsarbeit, d ie vom G eschäftsführenden D irek to r der A b teilung übertragen w urden , die R ed ak tio n des B ibliogra­phie- und R eferatenorgans “G erm an istik” (T übingen), das D eutsche Sprach- archiv (B onn), der B ereich der S chriften re ihen und Z eitsch riften des In ­s titu ts und die In s titu tsb ib lio theken .

2.4.1. D eutsches Spracharchiv

Das D eutsche Spracharchiv ist seit seiner G ründung im Jah re 1932 durch E berhard Zw irner und insbesondere nach 1945 ein gezielt angelegtes D o­kum en ta tio n szen tru m gesprochener d eu tscher Sprache gew orden.Im B erichtsjahr h a t ein Umzug der F orschungsstelle innerhalb Bonns s ta tt­gefunden , der einige V erzögerungen bei der D urchführung der A rbeiten m it sich gebrach t hat.Nach der Pensionierung von W. B ethge am 30 .4 .1976 w echselte F rau Dr. E. K netschke zum 1 .5 .1976 au f die vom Land N ordrhein-W estfalen finanzierte S telle des D eutschen Spracharchivs. D ie ehem alige M itarbei­terin des D eu tschen Spracharchivs, F rau Dr. M. Sperlbaum , füh rt auch im B erichtsjahr 1976 ihre A rbeiten im D FG -Projekt “H o ch lau tung” fo rt. Professor Dr. G. U ngeheuer legte M itte des Jah res die L eitung des D eu t­schen Spracharchivs nieder, die zum O k to b er 1976 F rau Dr. E. K netschke kom m issarisch übertragen w urde.

Frau Dr. E. K netschke h a t die erste Phase der selektiven phonetischen N o ta tionen zu Ende geführt. W eitergeführt w orden sind die A rbeiten an der M anuskrip tkarte i für den nächsten K atalogband (M onum enta Ger- m aniae A custica), deren B earbeiter F rau D r. E. K netschke und F rau Dr.M. Sperlbaum sind. D azu kam en diverse Serviceleistungen wie die B etreuung und In fo rm atio n verschiedener W issenschaftler und S tu d en ten , die das D eutsche Spracharchiv aufsuchten .

2.4.2. R edak tion der “G erm an istik”

Wie 1975 w ar die A rbeit der R ed ak tion auch 1976 durch angew achsene Mengen der zu erfassenden T ite l und durch A usfälle beim ohneh in knap ­pen Personal gekennzeichnet und erschw ert. Diese S itua tion ko n n te nur durch regelm äßig geleistete zahlreiche Ü berstunden bew ältig t w erden.

Die erste S tufe der V orarbeiten für den E insatz von ED V k o n n ten abge­schlossen w erden.

2.4.3. A ndere A ufgabenbereiche

2.4 .3 .1 . In fo rm atio n und D o k u m en ta tio n : In der zw eiten H älfte des B erichtsjahres w urde der E n tw urf eines In fo rm ations- und D okum en-

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ta tio n sp ro jek ts für die germ anistische Sprachw issenschaft e ra rb e ite t. Im R ahm en dieses P rojekts, das sich am IuD -Program m der B undesregierung o rien tie rt, sollen sow ohl d ie G rundlagen für verschiedene D o k u m en ta tio n s­bereiche e ra rbe ite t — wie z.B. L ite ra tu rd o k u m en ta tio n , T e x td o k u m en ta ­tio n , P rojek t-, E xperten - und In s titu tio n en d o k u m en ta tio n en — als auch dringend erfo rderliche In fo rm ationsd ienste geleistet w erden . D ie E rfah run­gen aus diesem P ro jek t w erden bei der P lanung einer IuD -A rbeitsstelle am IdS von großem N utzen sein.

2 .4 .3 .2 . D ie R edak tion der “ M itteilungen des IdS ” und — bis zur end­gültigen Regelung — des Jah resberich ts des IdS übernahm P. N ik itopou los; er b e tre u t auch den F reundeskreis. D ie R edak tion von “ IdS -In te rn” ist F rau H. G ünther übertragen w o rd en ; sie ist auch für die O rganisation der Jah restagung 1977 zuständig.

2 .4 .3 .3 . B iblio theken des In s titu ts : D ie notw endige E rw eiterung der Z en tra lb ib lio thek und der S pezialb ib lio theken ko n n te infolge der K napp­heit der F inanzm itte l n ich t im erfo rderlichen Umfang erfolgen. D ie A bon­nem en ts von einigen Z eitsch riften und Schriften re ihen m u ß ten gekündigt w erden.

3. K on tak te zu anderen In s titu tio n en , L ehraufträge, V orträge außerhalb M annheim s und B esuche von Tagungen

3.1. Kontakte zu anderen Institutionen

Mit folgenden Institutionen bestanden im Berichtszeitraum teilweise enge Verbin­dungen:

American Association of Teachers o f German (AATG), Philadelphia

Arbeitsgemeinschaft “ Sprache und Logik” , Bielefeld

Arbeitskreis Deutsch als Fremdsprache beim DAAD, Bonn

Arbeitskreis der Sprachzentren, Sprachlehrinstitute und Frem dspracheninstitute (AKS)

Arbeitsstelle Deutsches W örterbuch, Göttingen

Centre international de recherche sur le bilingualisme, Quebec Deutsche Forschungsgemeinschaft, Bonn

Deutsche Gesellschaft für Ostasien künde, Hamburg

Deutscher Volkshochschulverband, Pädagogische Arbeitsstelle, Frankfurt/M .

Fachverband Moderne Fremdsprachen (FMF)

Forschungsinstitut für deutsche Sprache, Marburg

Gesellschaft für Angewandte Linguistik (GAL) e.V., S tu ttgart

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Gesellschaft für M athematik und Datenverarbeitung, Bonn

G oethe-Institut, München

Germanistische und sprachwissenschaftliche Institute an nahezu allen Universitäten der Bundesrepublik und viele germanistische Institute in anderen Ländern

Institu t für Angewandte Linguistik an der Universität Warschau

Institut für Kommunikationsforschung und Phonetik, Bonn

Institut für rheinische Landeskunde, Bonn

Japanischer Germanistenverband, Tokyo

Japanisches Kulturinstitut, Bonn

Kontrastive Arbeitsgruppe, Tokyo

Kernforschungsinstitut, Jülich

Modern Language Association (MLA), London

Research Committee on Sociolinguistics in der International Sociological Association

Sprachverband Deutsch für ausländische Arbeitnehmer e.V., Mainz

Staatliches Institu t für japanische Sprache, Tokyo

Westdeutscher Rundfunk, Köln

3.2. Lehraufträge

An der Universität Bonn: Prof. Dr. Ulrich Engel

an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg: Pantelis N ikitopoulos — Deutsch für Ausländerkinder (Vorlesung und Oberseminar)

an der Universität Mannheim: Karl-Heinz Bausch — Einführung in die Linguistik; Francisco Garcia-Lozano — Spanisch; Dr. Wolfgang Mentrup — Syntaktische Struk­turen in der gesprochenen Standardsprache des heutigen Deutsch (Hauptsem inar); Helmut Schumacher — Einführung in die Linguistik;Dr. Gerhard Stickel — WS 1975/76 Einführung in die kontrastive Linguistik (Haupt­seminar), SS 1976 Syntax und Semantik der Negation (Hauptseminar), WS 1976/77 Linguistische Grundbegriffe (Proseminar); Wolfgang Teubert — Einführung in die Linguistik.

3.3. Vorträge

Folgende Mitarbeiter hielten im Berichtsjahr Vorträge außerhalb Mannheims:

3.3.1. Aus der Abteilung Gram matik und Lexik

Dr. W. M entrup sprach am 19.2.1976 an der Universität Tromsd über “ Überlegungen zur Valenzgrammatik” . An der gleichen Universität hielt er vom 23.2. — 4.3.1976 ein Seminar ab “ Einführung in die Dependenzgrammatik” . Am 5.3.1976 sprach er an der Universität Oslo “ Zur Dependenzgrammatik” .

Frau I. Z int sprach im Septem ber 1976 an der Universität Kopenhagen “ Zum Problem der M ehrdeutigkeit der tu-Wörter. Überlegungen zu den Pronominalad­verbien im heutigen Deutsch” .

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Karl-Heinz Bausch sprach am 22.12 3.4.76 an der Universität Kopenhagen zum Thema “ Der Modusgebrauch in Konditionalsätzen" und “ Der Konjunktiv im D eut­schen. Ein Thema für die Linguistik oder für die Soziolinguistik?”

Dr. Manfred Hellmann hielt mehrere Vorträge über verschiedene Aspekte des sprach­lichen Ost-West-Problems auf Veranstaltungen in Berlin, Stockholm , Lund und Lin- gen (England).

M. Kinne hielt am 21.5.1976 einen Vortrag vor der Kommission für Fragen der Sprachentwicklung in Bad Homburg.

G.D. Schmidt hielt Vorträge in Berlin und an der Akademie Senkelmark (Schleswig).

Dr. A. Kirkness sprach am 9.10. 1976 bei der 7. Jahrestagung der Gesellschaft für Angewandte Linguistik (GAL) in Trier “ Zur Stichwortauswahl und Lemmatisierung in einem historisch-diachronen Frem dwörterbuch. Aus der Arbeit am deutschen Frem dwörterbuch von Schulz/Basler” .

P. N ikitopoulos leitete vom 22.11. — 26.11.1976 ein Bildungsurlaubsseminar über “ Probleme der Integration ausländischer Arbeitsnehm er” , das vom hessischen Sozial­m inisterium finanziert und von der Volkshochschule in Frankfurt veranstaltet wurde. Am 9.10.1976 legte er bei der 7. Jahrestagung der Gesellschaft für Angewandte Linguistik (GAL) ein Referat über “ Probleme der sprachlichen Norm ” vor.

3.3.2. Aus der Abteilung Kontrastive Linguistik

Dr. G. Stickel und Prof. T. Kaneko hielten am 22.1.1976 am Japanischen Kultur­institu t in Köln einen Doppelvortrag über “ Deutsch-japanische Sprachkontraste” .

Vom 30.3. — 6.4.1976 hielt sich Dr. G. Stickel zusammen m it Prof. H. Moser zu einer Vortragsreise in Finnland auf. Er nahm als Referent an dem Seminar “ Kon­trastive Linguistik” in Helsinki teil; er hielt außerdem Vorträge über kontrastive Linguistik und andere linguistische Themen an den Universitäten Oulu, Vaasa und Jyväskylä (Unterstützung vom G oethe-Institut).

Vom 6.5. — 15.5. 1976 waren Prof. H. Moser und Dr. G. Stickel zu einer Vortrags­reise in der Türkei; sie hielten Vorträge über Fragen der kontrastiven Linguistik und berichteten über die Arbeit des IdS (Unterstützung von der Deutschen Forschungs­gemeinschaft und vom G oethe-Institut).

Vom 14.10. — 4.11.1976 war Dr. G. Stickel auf einer Vortragsreise in Indien; er hielt eine Vortragsreihe über “ Didaktik und Methodik des Unterrichts in Deutsch als Frem dsprache” während des gesamtindischen Herbstseminars für Deutschlehrer, Universität Poona. Er hielt außerdem Einzelvorträge über Themen der Sprachdidak- tik und der kontrastiven Linguistik an der Universität in New Delhi und Benares (Unterstützung vom DAAD).

Prof, T. Kaneko leitete vom 25.9. — 1.10.1976 ein Seminar über “ Übersetzungs­theorie” an der japanischen Chiba-Universität.

K. Vorderwülbecke hielt am 9.7.1976 bei dem Fortbildungskurs für ausländische Deutschlehrer des G oethe-Instituts in Augsburg ein Referat über “ Kontrastive Analyse und Frem dsprachenunterricht” .

Prof. Dr. N. Cartagena sprach am 27.1.1976 an der Universität Münster über “ Deutsch-spanische Analyse der Pronom inalkonstruktionen” und am 19.5.1976 an der Universität S tuttgart über “ Die Kategorien Tempus und Aspekt im spanischen Verbalsystem”.

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H. Schumacher hielt am 19.3. auf dem “ Kolloquium über dänisch-deutsche Lexiko­graphie” in Kopenhagen einen Vortrag über “ Ein Valenzlexikon auf semantischerBasis” .

Auf dergleichen Veranstaltung sprach Frau A. Ballweg-Schramm zum Thema “ Zur semantischen Beschreibung ausgewählter Verben. Die Verben des Essens und Trinkens” .

Am 9.10.1976 sprach H. Schumacher in Trier auf der 7. Jahrestagung der Gesell­schaft für Angewandte Linguistik (GAL) e.V. “ Zur Valenz von Nominalisierungen und ihrer Erfassung im W örterbuch”.

J. Ballweg hielt am 28.4.1976 auf der Arbeitstagung des DFG-Projekts ‘Kernlexikon’ an der Universität Bielefeld ein Korreferat “ Einige kritische Bemerkungen zum Kon­zept der Argument-Labels”. Er hielt am 28.6. in Groningen auf dem 3rtl Round Table on Mathematical Linguistics einen Vortrag “A m odel-theoretic account o f the concept o f causality in natural language” . Auf dem 11. Linguistischen Kolloquium am 22.9.1976 in Aachen sprach er über "Vorgänge und Vorgangsverben” . Auf einer Vortragsreise sprach er am 21.10.1976 in Oslo: “Wer schläft, sündigt n icht.” “ Probleme der semantischen Analyse von Vorgangsverben am Beispiel eines Wort­feldausschnitts und Skizze eines logisch-semantischen Beschreibungsmodells” . Am22.10.1976 in Oslo: “ Semantische Beschreibung kausativer Verben” . Am 26.10. 1976 in Kopenhagen: “ Generative Semantik versus logisch fundierte Gram m atik".Im Rahmen von Seminaren sprach er am 27.10.1976 in Kopenhagen über “ Seman­tische Analyse der Sprechaktverben befehlen, erlauben, verbieten" und am 27.10. 1976 in Lund über “ X-kategoriale Basissyntax versus prädikatenlogische Basis­syntax” .Dr. H. Kloss sprach am 25.6.1976 an der Universität Trier über “ Die Rechtsstellung der französischen Sprache in Nordamerika” und am 3.8.1976 in Achberg b. Lindau über “ Die M enschenrechte” .

3.3.3. Aus der Abteilung Linguistische Datenverarbeitung

G. Berry-Rogghe: “ Phonol: Phonological conversion program for German Texts” , auf der Tagung ‘ The use o f computers in linguistic and literary research’, Fourth international symposium, Oxford 5 .-9 .4 .1 9 7 6 ; “ Design of PLIDIS” , auf der Tagung 'Advances in natural language processing’, Antwerpen 27.10.1976.

W. Brecht: “ Anwendungsspezifische Einflußgrößen auf ein natürlichsprachliches Inform ationssystem ” , auf der Tagung der Gesellschaft für Angewandte Linguistik (GAL), Trier 7. - 9.10.1976.

W. Dilger: “ Ein Frage-Antwort-System auf der Basis einer prädikatenlogischen Sprache” , auf dem Workshop ‘Dialoge in natürlicher Sprache und Darstellung von Wissen’, Freudenstadt 17.3.—19.3.1976.

3.4. Kongreßbesuche, Tagungen u.ä.

Hellmann nahm am 19.7.1976 an einem Colloquium über Fragen der Inform ation und Dokum entation beim Institut für Dokum entationswesen (IDW )/Dokumentations- zentrum für Informationswissenschaften (ZDOK) in Frankfurt teil.

An den in Bad Homburg stattfindenden Colloquien über das "Projekt eines großen interdisziplinären W örterbuchs der deutschen Sprache” haben Frau A. Ballweg- Schramm, M. Hellmann, A. Kirkness, W. Mentrup und G. Stickel teilgenommen.

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Die Colloquien, die von der W erner-Reimers-Stiftung und dem Institu t veranstaltet und von der Stiftung finanziert werden, haben den Sinn, die Überlegungen zu dem genannten Projekt zu organisieren und weiterzuführen. Im Berichtsjahr fanden drei Colloquien statt (7.2., 2 8 .-2 9 .5 ., 2 5 .-2 6 .6 .1976).

W. Mentrup nahm an der Arbeitstagung über "Das Lexikon in der Grammatik, die Grammatik im Lexikon” teil, die im Rahmen des DFG-Projekts Kernlexikon vom27.4.—29.4.1976 an der Universität Bielefeld veranstaltet wurde.

Frau Kühnast, S. Muraki und J. Rickmayer nahmen an der First International Con­ference of the European Association for Japanese Studies teil, die in Zürich vom 21.9.—23.9.1976 stattgefunden hat.

K. Vorderwülbecke nahm an Sitzungen des “ Arbeitskreises Deutsch als Frem dsprache” teil, die in Bonn am 16./17.2., 18./19.10. und 12.— 14.12.1976 stattgefunden haben.

Vom 12.—15.4.1976 nahm H. Schumacher an dem Kongreß des Fachverbandes Moderne Fremdsprachen (FMF) in Mainz teil. Vom 1.6.—2.6.1976 nahm er an einem W erkstattgespräch der Sektionsleiter der Gesellschaft für Angewandte Linguistik (GAL) e.V. teil, das vom Goethe-Institut in München veranstaltet wurde. Er nahm außerdem teil an mehreren Sitzungen der Arbeitsgemeinschaft ‘Deutsch als Fremd­sprache’ des Deutschen Volkshochschulverbandes in Freiburg (23 .—24.1., 9.—10.4., 15 .-16 .10 .1976).

Frau J. Kubczak nahm vom 17.—19.6.1976 teil an der Jahrestagung Deutsch als Fremdsprache des Arbeitskreises Deutsch als Fremdsprache beim DAAD in Bremen. Vom 1.—2.10.1976 war sie außerdem auf der 7. Jahrestagung des Arbeitskreises der Sprachenzentren, Sprachlehrinstitute und Frem dspracheninstitute (AKS) in Ham­burg.

Vom 15.—20.11.1976 nahm J. Ballweg an einer Sitzung der Arbeitsgemeinschaft ‘Sprache und Logik’ teil, die vom Zentrum für interdisziplinäre Forschungen (ZIF) an der Universität Bielefeld veranstaltet wurde.

Dr. H. Kloss nahm an einem Symposion über “ Pfälzer-Palatines” teil, das von der Heimatstelle Pfalz vom 5.1.—6.1.1976 in Enkenbach veranstaltet wurde.

P. Nikitopoulos nahm teil an den soziolinguistischen Arbeitsgesprächen, die im Rahmen des 18. Soziologentags in Bielefeld vom 29.9. — 1.10.1976 vom Research C om mittee on Sociolinguistics der International Sociological Association veranstaltet wurden. Er wirkte auch bei einer Initiativgruppe mit, die die Bildung einer Sektion für sozio linguistische Fragestellungen innerhalb der Deutschen Gesellschaft für Sozio­logie vorantreiben will. Er nahm ferner am 29.10.1976 teil an der konstituierenden Sitzung einer Arbeitsgemeinschaft zum Problemkreis “ Integration bestehender un­systematisch erworbener Deutschkenntnisse in Lernprogramme” . Sie wurde von der Pädagogischen Arbeitsstelle des Deutschen Volkshochschulverbandes initiiert und finanziert. Ziel dieser Arbeitsgemeinschaft ist es, Empfehlungen für die Sprachenab­teilung der Pädagogischen Arbeitsstelle des DVV zur Herstellung von kursbegleiten­den Materialien im Bereich DaF zu formulieren.

An dem Workshop “ Dialoge in natürlicher Sprache und Darstellung von Wissen” , der vom 17.3.—19.3.1976 in Freudenstadt stattgefunden hat, nahm H. Wulz teil.

Dr. H.D. Lutz nahm vom 20.4.—23.4.1976 am Third International Meeting on Cybernetics and System Research in Wien teil.

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Prof. Dr. D. Krallmann nahm vom 2 8 .6 .-2 .7 .1 9 7 6 an der International Conference on Com putational Linguistics in Ottawa teil.

An der 7. Jahrestagung der Gesellschaft für Angewandte Linguistik (GAL) vom7.10.—9.10.1976 in Trier haben teilgenommen Frau A. Ballweg-Schramm, R. Schulte- Pelkum, H. Schumacher.

An einem internationalen Colloquium über “ Autom atische Lexikographie, Analyse und Übersetzung” , das vom Sonderforschungsbereich 100 an der Universität Saar­brücken vom 22 .9 .-2 5 .9 .1 9 7 6 veranstaltet wurde, nahmen teil Frau A. Ballweg- Schramm, Frau G. Berry-Rogghe, M.W. Hellmann, W. Krause, H. Schumacher,H. Wulz.

4. S tu d ien au fen th a lte ausländischer W issenschaftler im IdS

Auch in diesem Berichtsjahr weilten wieder mehrere ausländische Wissenschaftler, teils über längere Zeiträume, am Institu t,um ihre Forschungen im ständigen Kontakt m it den wissenschaftlichen Mitarbeitern des IdS fortzuführen: V. Beric, M. Bacvanski, M. Dobrenov, M. Lifen (alle aus Novi Sad), Dr. M. Dyhr (Kopenhagen), Dr. Kaniuka (Lodz/Polen), G. Möller (Kopenhagen), Prof. Miyasaka (Osaka/Japan), Prof. Okamura (Chiba/Japan), Dr. N. W itton (Sidney/Australien), Prof. Yoshijma (Tokyc/Japan) u.a.

5. B esondere N achrich ten

5.1. TodesfälleAm 18.6.1976 verstarb in Köln das Mitglied des Wissenschaftlichen Rates Professor Dr. Bruno Colbert und am 8.12.1976 in Zürich das Mitglied des Wissenschaftlichen Rates Professor Dr. Rudolf Hotzenköcherle.

5.2. Ehrungen

Dem Präsidenten des IdS, Professor Dr.Dr.h.c. Dr.h.c. Hugo Moser wurde am4.11.1976 das Große Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland verliehen.

Professor Dr. Paul Grebe wurde am 28.10.1976 die Schillerplakette durch die Stadt Mannheim verliehen.

6 . M itglieder der O rgane des In s titu ts für d eu tsch e Sprache

6.1. Kuratorium

Vorsitzender: Moser, Hugo, Prof. Dr.Dr.h.c. Dr.h.c., Bonn;

Stellvertreter: Rupp, Heinz, Prof. Dr., Basel;

Besch, Werner, Prof. Dr., Bonn; — Eggers, Hans, Prof. Dr., Saarbrücken; — Erben, Johannes, Prof. Dr., Innsbruck; - Glinz, Hans, Prof. Dr., Aachen; — Hoberg, Ursula, IdS Mannheim; — König, Walter, VLR 1. Klasse, als Vertreter des Auswärtigen Amtes,

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Bonn; — Lötscher-Booz, Raingard, IdS Mannheim; - Petersen, Dr., Ministerialrat, als Vertreter des Bundesministeriums für Forschung und Technologie, Bonn-,— Ratzel, Ludwig, Dr., Oberbürgermeister, als Vertreter der Stadt Mannheim, Mann­heim; - Schäfer, Hans, Dr., Präsident des Bundesgerichtshofs, Frankfurt; — Schmitt, Ludwig, Erich, Prof. Dr., Marburg; — Seifriz, Adalbert, Dr. Dr.h.c., Minister a.D., S tu ttgart; - Solte, Dr., Regierungsdirektor, als Vertreter des Kultusministeriums von Baden-Württemberg, Stu ttgart; — Spannagel, Jobst-Mathias, IdS Mannheim; - Steger, Hugo, Prof. Dr., Freiburg; — Zifonun, Gisela, Dr., IdS Mannheim.

6.2. Vorstand

Die Direktoren Stickel, Gerhard, Dr., Mannheim Spors, Hans-Joachim, Mannheim.

6.3. Institutsleitung

Direktoren: Stickel, Gerhard, Dr., M annheim ; — Spors, Hans-Joachim, Mannheim.

Abteilungsleiter: M entrup, Wolfgang, Dr., Mannheim; — Krallmann, Dieter, Prof. Dr., Essen ; — Teubert, Wolfgang, Mannheim.

Vertreter der Mitarbeiter: Bausch, Karl-Heinz, M annheim ;— Vorderwülbecke, Klaus, Mannheim; — Zint, Ingeborg, M.A., Mannheim; - Hellmann, Manfred, Dr. Bonn.

7. M itglieder des W issenschaftlichen R ates

7.1. Ehrenmitglieder

Maurer, Friedrich, Prof. Dr. Dr.h.c., Freiburg; — Neumann, Hans, Prof. Dr., Göttingen; — Storz, G., Prof. Dr., Kultusminister a.D., Leonberg; — Weisgerber, Leo, Prof. Dr. Dr.h.c., Bonn.

7.2. Ordentliche MitgliederBaumgärtner, Klaus, Prof. Dr., S tu ttgart; — Bausch, Karl-Richard, Prof. Dr., Bochum; — Bausinger, Hermann, Prof. Dr., Tübingen; - Betz, Werner, Prof. Dr., München; — Boesch, Bruno, Prof. Dr., Freiburg; — Brinkmann, Hennig, Prof. Dr., Münster; — Bünting, Karl, Prof. Dr., Essen; — Burger, Harald, Prof. Dr., Zürich; — Cordes, Ger­hard, Prof. Dr., Kiel; — Coseriu, Eugenio, Prof. Dr. Dr.h.c., Tübingen; — Drosdowski, Günther, Dr., Mannheim; — Gipper, Helmut, Prof. Dr., Münster; — Grebe, Paul, Prof. Dr., Wiesbaden; — Grosse, Siegfried, Prof. Dr., Bochum; — Gruenter, Rainer, Prof.Dr., W uppertal-Elberfeld; — Hartmann, Peter, Prof. Dr., Konstanz; — Heger, Klaus,Prof. Dr., Heidelberg; — Heilfurth, Gerhard, Prof. Dr., Marburg; — Heinrichs, HAI.,Prof. Dr., Berlin; — Henne, Helmut, Prof. Dr., Braunschweig; — Heringer, H.J., Prof.Dr., Tübingen; — Höfler, O tto , Prof. Dr., Wien; — Horacek, Blanka, Prof. Dr., Wien; — Kaufmann, Gerhard, München; — Knobloch, Johann, Prof. Dr., Bonn; - Köhler,Klaus, Prof. Dr., Kiel; — Kolb, Herbert, Prof. Dr., Neuss; — Korn, Karl, Dr., Bad Homburg; — Krallmann, Dieter, Prof. Dr., Essen; - Langen, August, Prof. Dr., Saar­brücken; - Neumann, Günter, Prof. Dr., Würzburg; — Nickel, Gerhard, Prof. Dr., S tu ttgart; — Oksaar, Eis, Prof. Dr., Hamburg; — Olesch, Reinhold, Prof. Dr., Köln; — von Polenz, Peter, Prof. Dr., Trier; — Rath, Rainer, Prof. Dr., Saarbrücken; — Reiffen­stein, Ingo, Prof. Dr., Salzburg; — Ross, Wemer, Dr., München; — Schnelle, Helmut, Prof. Dr., Bochum; — Schöne, A lbrecht, Prof. Dr., Göttingen; — Schützeichel, Rudolf,

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Prof. Dr., Münster; — Schwarz, Ernst, Prof. Dr., Erlangen; — Seidler, Herbert, Prof.Dr., Wien; — Seiler, Hansjakob, Prof. Dr., Köln; — Sitta, Horst, Prof. Dr., Zürich; — Sonderegger, Stefan, Prof. Dr., Uetikon; — Staclunann, Karl, Prof. Dr., Göttingen; — Stötzel, Georg, Prof. Dr., Düsseldorf; — Ungeheuer, Gerold, Prof. Dr., Bonn; — Vater, Heinz, Prof. Dr., Köln-, - Wahrig, G., Prof. Dr., Mainz; — Wandruszka, Mario, Prof.Dr., Salzburg; — Weinrich, Harald, Prof. Dr., Köln; — Weiss, Walter, Prof. Dr., Salz­burg; — Werner, Otmar, Prof. Dr., Freiburg; — Winkler, Christian, Prof. Dr., Marburg; — Winter, Werner, Prof. Dr., Kiel; — Wunderlich, Dieter, Prof. Dr., Düsseldorf; —Zinsli, Paul, Prof. Dr., B ern; — Zwirner, Eberhard, Prof. Dr. Dr., Münster.

7.3. Korrespondierende Mitglieder in Europa

Admoni, W., Prof. Dr., Leningrad, UDSSR; — Bach, H., Prof. Dr., Arhus, Dänem ark; — Bech, Gunnar, Prof. Dr., Kopenhagen, Dänem ark; — Benes, Eduard, Dr., Prag, C SS R ;- Czochralski, Jan, Prof. Dr., Warschau, Polen; — Dahlberg, Torsten, Prof. Dr., Sävedalen, Schweden; - Dal, Ingerid, Prof. Dr., Oslo, Norwegen; — van Dam, Jan, Prof. Dr., Amsterdam, Niederlande; - David, Jean, Prof. Dr., Metz, Frankreich; - Djukanovic, Jovan, Dr., Belgrad, Jugoslawien; — Draye, Henri, Prof. Dr., Löwen, Belgien; — Erämetsä, Erik, Prof. Dr., Turku, Finnland; — Fourquet, Jean, Prof. Dr., Fresnes, Frankreich; — Goossens, Jan, Prof. Dr., Münster; — Grucza, Franciszek, Prof. Dr. hab., Warschau, Polen; — Guchmann, Mirra, Prof. Dr., Moskau, UDSSR; — Hyldgaard- Jensen, K., Prof. Dr., Kopenhagen, Dänemark; — Isbäsescu, Mihai, Prof. Dr., Bukarest, R u m än ie n ;- Issatschenko, A.V., Prof. Dr., Klagenfurt, Österreich; - Juhäsz, Jänos, Dozent Dr., Budapest, Ungarn; — Keller, R .R., Prof. Dr., Manchester, England; — Kloster Jensen, Martin, Prof. Dr. Dr., Hamburg; — Korlen, Gustav, Prof. Dr., S tock­holm, Schweden; — Lerot, Jacques, Prof. Dr., Löwen, Belgien; — Leys, Odo, Prof. Dr., Löwen, Belgien; - Lindgren, Kaj B., Prof. Dr., Helsinki, Finnland; — Ljungerud, Ivar, Prof. Dr., Lund, Schweden; — Massarik, Zdenek, Dr., Brno, CSSR; — Minis, Cola, Prof. Dr., Amsterdam, Niederlande; — Mironoff, S., Prof., Dr., Moskau, UDSSR; — Mollay, Karl, Prof. Dr., Budapest, Ungarn; — Mrazovic, Pavica, Prof. Dr.phil., Novi Sad, Jugo­slawien; — öhm ann, Emil, Prof. Dr., Helsinki, Finnland; — Philipp, Marthe, Prof. Dr., Straßburg, Frankreich; - Popadic, Hanna, Dr., Sarajevo, Jugoslawien; — Rosengren, Inger, Prof. Dr., Lund, Schweden; - Saltveit, Laurits, Prof. Dr., Oslo, Norwegen; - Schwänzer, Viliam, Prof. Dr., Bratislava, CSSR; — Seiffert, Leslie, Prof. Dr., Oxford, England; - Skala, Emil, Dr., Prag, CSSR; - de Sm et, Gilbert, Prof. Dr. Dr. h.c., Gent, Belgien; — Soetem ann, C., Prof. Dr., Leiden, Niederlande; — Stolt, Birgit, Prof. Dr., Stockholm , Schweden; — Trost, Pavel, Prof. Dr., Prag, C SSR ; — Ulvestad, Bjarne,Prof. Dr., Bergen, Norwegen; — Valentin, Paul, Prof. Dr., Paris, Frankreich; — Wisbey, R.A., Prof. Dr., London, England; — Zabrocki, Ludwik, Prof. Dr., PoznaÄ, Polen; — Zemb, Jean-Marie, Prof. Dr., Paris, Frankreich; — Zepic, Stanislav, Prof. Dr., Zagreb, Jugoslawien.

7.4. Korrespondierende Mitglieder in Übersee

A ntonsen, Eimer H., Prof. Dr., Urbana, 111. , USA; - Bach, Emmon, Prof. Dr.,Austin, Texas, USA; — Clyne, Michael, Prof. Dr., C layton, Victoria, Australien; — van Coetsem, F., Prof. Dr., Ithaca, N.Y., USA; — Eichhoff, Jürgen, Prof. Dr., Madison, Wisconsin, USA; — Folsom, Marvin H., Prof. Dr., Provo, Utah, USA; — Haugen,Einar, Prof. Dr., Cambridge, Mass., USA; — Hayakawa, Tozo, Prof. Dr., Tokyo, Ja­pan; - Iwasaki, Eijiro, Prof., Kamakura, Japan; — King, R obert D., Prof. Dr., Austin, Texas, USA; — Koekkoek, Byron J., Prof. Dr., Buffalo, N.Y., USA; — Kufner, Her­bert L., Prof. Dr., Ithaca, N.Y., USA; — Kuhn, Hans, Prof. Dr., Canberra, Australien; —

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Lehmann, W.P., Prof. Dr., Austin, Texas, USA; — Lloyd, Albert L., Prof. Dr., Philadelphia, Pennsylvania, USA; — Metcalf, Georg J., Prof. Dr., Chicago, 111., USA; — M oulton, William G., Prof. Dr., Princeton, N.Y., USA; — Penzl, Herbert, Prof. Dr., Berkeley, Calif., USA; — Reed, Carroll E., Prof. Dr., Amherst, Mass., USA; — Rosen­thal, Erwin Theodor, Prof. Dr., Sao Paolo, Brasilien; — Springer, O tto , Prof. Dr., Philadelphia, Pennsylvania, USA; — Twaddell, William F., Prof. Dr., Provedence, R.I., USA.

8. M ita rb e ite r d e s In s t i tu ts fü r d e u ts c h e S p ra c h e

8.1. Wissenschaftliche M itarbeiter

Auburger, Leopold, Dr.(Mannheim); — Ballweg, Joachim (Mannheim); — Ballweg- Schramm, Angelika (Mannheim); — Bausch, Karl-Heinz (Mannheim); — Berens, Franz-Josef (Freiburg); — Berry-Rogghe, Godelive, Dr. (Mannheim); — Bourstin,Pierre (Mannheim); — Brecht, Werner, Dr. (Mannheim); Breitenbürger, Gerd, Dr. (Mannheim); - Cartagena, Nelson, Prof. Dr. (Mannheim); - Dilger, Wemer (Mann­heim); — Engel, Ulrich, Prof. Dr. (Mannheim); — Garcia-Lozano, Francisco (Mann­heim ); — Günther, Heide (Mannheim); — Gunterm ann, R olf (Mannheim); — Hagspihl, Aloys (Mannheim); — Hellmann, Manfred, Dr. (Bonn); — Hilgendorf, Brigitte (Mann­heim); — Hoberg, Ursula (Mannheim); — Honda, Yoshiaki (Mannheim); — Hoppe, Gabriele (Mannheim); — Kaneko, Tohru, Prof. (Mannheim); — Keim, Inken (Mann­h e im ) ;- Kinne, Michael, Dr. (Bonn); — Kirkness, Alan, Dr. (Mannheim); — Knetschke, Edeltraud, Dr. (Bonn); — Kolvenbach, Monika (Mannheim); — Krömer, Tilman (Tü­bingen); — Kubczak, Jacqueline (Mannheim); — Kühnast, Ju tta , Dr. (Mannheim);Link, Elisabeth (Mannheim); — Lötscher, Andreas, Dr. (M annheim ); —Lötscher-Booz, Raingard (Mannheim); - Lutz, Hans-Dieter, Dr. (Mannheim); — Mentrup, Wolfgang,Dr. (Mannheim); — Muraki, Shinjiro (Mannheim); — Nikitopoulos, Pantelis (Mann­heim); — Nortm eyer, Isolde (Mannheim); — Pape, Sabine (Mannheim); — Richter, Helmut, Dr. (Bonn); — Rickmeyer, Jens, Dr. (Mannheim); — Saukko, Kaija (Mann­heim); — Spannagel, Jobst-M athias (Mannheim); — Sperlbaum, Margret, Dr. (Bonn); — Schaeder, Burkhard (Bonn); — Schank, Gerhard, Dr. (Freiburg); — Schm idt, Günter, Dr. (Bonn); — Schröder, Peter (Freiburg); — Schulte-Pelkum, R udolf (Mannheim); — Schumacher, Helmut (Mannheim); — Schwitalla, Johannes (Freiburg); — Strauß, Gerhard, Dr. (Mannheim); — Teubert, Wolfgang (Mannheim); — Vorderwülbecke,Klaus (Mannheim); — Wolfangel, Paul J., M.A. (Mannheim); — Wulz, Hanno (Mann­h e im );— Zifonun, Gisela, Dr. (Mannheim); — Zifonun, Iradj, Dr. (Mannheim); —Zint, Ingeborg, M.A. (Mannheim).

8.2. Verwaltungs- und technische Angestellte

Beck, Gerda (Mannheim); — Bernardi, Waltraud (Mannheim); — Bertsch, Wolfgang (Mannheim); - Blum, Ursula (Mannheim); — Brants, Anneliese (Mannheim); —Bride, Liselotte (Mannheim); — Dachsei, Marlies (Mannheim); — Deutscher, Günter (Bonn); — Drogatz, Martha (Mannheim); — Eisinger, Annemarie (Mannheim); —Erbe, Anneliese (Mannheim); — Erbe, Ursula (Mannheim); — Ermer, Matthias (Mann­heim); — Geelhaar, Erika (Mannheim); — Gerstel, Doris (Mannheim); — Henske, Leni (Bonn); — Kadzik, Leonore (Mannheim); — Kaehler, Erna (Mannheim); — Knorpp,Erna (Tübingen); — Kohlhase, Hanni (Mannheim); — Kolb, Dieter (Mannheim); — Krause, Wolfgang (B onn); — Krauß, Rainer (M annheim ); — Kurbel, Iris (Mannheim); —

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Laton, Karin (Mannheim), — Lindauer, Jacqueline (Mannheim); — Lindemann, Stephanie (Mannheim); — Magis, Hildegard (Mannheim); — Maurer, Ruth (Mann­heim); - Mückenmüller, Peter (Mannheim); — Müßig, Waltraud (Mannheim); — Nagele, D orothee (Tübingen); -- Nolden, Heidemarie (Bonn); — Oksas, Willi (Mannheim); — Pfeiffer, Gisela (Mannheim); — Pütz, Ingrid (Bonn); — Rachel,Emma (Mannheim); — Siebenbach, Hans (Bonn); — Sommer, Uwe (Mannheim); — Schuy, Hanns (Mannheim); — Strohm , Herbert (Mannheim); — Teubert, Eva-Maria (Mannheim); — Walter, Anneliese (Mannheim); — Wardein, Marianne (Mannheim); — Wetz, Isolde (Mannheim); — Wetz, Ulrich (Mannheim); — Wolf, Irma (Mannheim); Zipf, Uwe (Mannheim).

9. K om m issionen des In s titu ts für deu tsche Sprache

9.1. Kommission für Rechtschreibreform

Drosdowski, Günther, Dr., Mannheim; - Erben, Johannes, Prof. Dr., Innsbruck; — Glinz, Hans, Prof. Dr., Aachen; — Grebe, Paul, Prof. Dr., Wiesbaden; — Knobloch, Johann, Prof. Dr., Bonn; - Moser, Hugo, Prof. Dr. Dr.h.c. Dr.h.c., Bonn; — Nüssler, O tto, Wiesbaden; — Rupp, Heinz, Prof. Dr., Basel; — Steger, Hugo, Prof. Dr., Frei­burg; - Weisgerber, Bernhard, Prof. Dr., Bonn.

9.2. Kommission für Sprachentwicklung

Betz, Werner, Prof. Dr., München; - Drosdowski, Günther, Dr., Mannheim; — Grosse, Siegfried, Prof. Dr., Bochum; — Sitta, Horst, Prof. Dr., Zürich.

] 0. B eiräte des In s titu ts für deu tsche Sprache

10.1. Beirat “ Deutsch-spanische kontrastive Gram m atik”

Bausch, Karl-Richard, Prof. Dr., Bochum; — Coseriu, Eugenio, Prof. Dr., Tübingen; — Erben, Johannes, Prof. Dr., Innsbruck; — Tovar, A ntonio, Prof. Dr., Tübingen.

10.2. Beirat “ Frem dw örterbuch”

Bahr, Joachim, Dr., G öttingen; - Müller, Wolfgang, Dr., Mannheim; — von Polenz, Peter, Prof. Dr., Trier; - Rupp, Heinz, Prof. Dr., Basel.

10.3. Beirat “ Verbvalenz”

Brekle, Herbert, Prof. Dr., Regensburg; — Heger, Klaus, Prof. Dr., Heidelberg; — Henne, Helmut, Prof. Dr., Braunschweig;— Lerot, Jacques, Prof. Dr., L öw en;— Vater, Heinz, Prof. Dr., Köln.

10.4. Beirat “ Linguistische Datenverarbeitung”

Eggers, Hans, Prof. Dr., Saarbrücken; — Hartmann, Peter, Prof. Dr., Konstanz; — Schaal, H., Ministerialrat, S tuttgart; - Wolters, Martin F., Dipl.Ing., München; - Zimpel, Jörg, Regierungsdirektor, Stuttgart.

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11. V eröffen tlichungen des In s titu ts für d eu tsch e Sprache

11.1. SPRACHE DER GEGENWART

Schriften des Instituts für deutsche Sprache

Gemeinsam m it Hans Eggers, Johannes Erben, Odo Leys und Hans Neumann herausgegeben von Hugo Moser

Schriftleitung: Ursula Hoberg

Pädagogischer Verlag Schwann, Düsseldorf

Band 1: Satz und Wort im heutigen Deutsch. Jahrbuch 1965/66 des Instituts für deutsche Sprache. 1967.

Band 2: Sprachnorm, Sprachpflege, Sprachkritik. Jahrbuch 1966/67 des Instituts für deutsche Sprache. 1968.

Band 3: Hans Jürgen Heringer. Die Opposition von ‘kom m en’ und ‘bringen’ als Funktionsverben. Untersuchungen zur grammatischen Wertigkeit und Aktionsart. 1968.

Band 4: Ruth Römer, Die Sprache der Anzeigenwerbung. 4 1974.

Band 5: Sprache — Gegenwart und Geschichte. Probleme der Synchronie und Dia­chronie. Jahrbuch 1968 des Instituts für deutsche Sprache. 1970.

Band 6: Studien zur Syntax des heutigen Deutsch. 2 1971.

Band 7: Jean Fourquet, Prolegomena zu einer deutschen Grammatik. 4 1973.

Band 8: Probleme der kontrastiven Grammatik. Jahrbuch 1969 des Instituts für deutsche Sprache. 1970.

Band 9: Hildegard Wagner, Die deutsche Verwaltungssprache der Gegenwart. Eine Untersuchung der sprachlichen Sonderform und ihrer Leistung. 2 1972.

Band 10: Empfehlungen zum Gebrauch des Konjunktivs in der deutschen geschriebe­nen Hochsprache der Gegenwart. Beschlossen von der Kommission für wissenschaftlich begründete Sprachpflege des Instituts für deutsche Sprache. Form uliert von Siegfried Jäger. 31973.

Band 11: Rudolf Hoberg, Die Lehre vom sprachlichen Feld. Ein Beitrag zu ihrer Geschichte, M ethodik und Anwendung. 2 1973.

Band 12: Rainer Rath, Die Partizipialgruppe in der deutschen Gegenwartssprache.1971.

Band 13: Sprache und Gesellschaft. Beiträge zur soziolinguistischen Beschreibungder deutschen Gegenwartssprache. Jahrbuch 1970 des Institu ts für deutsche Sprache. 1971.

Band 14: Werner Ingendahl, Der m etaphorische Prozeß. Methodologie zu seiner Er­forschung und Systematisierung. 2 1973.

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Band 15: Leo Weisgerber, Die geistige Seite der Sprache und ihre Erforschung. 1971.

Band 16: Bibliographie zum öffentlichen Sprachgebrauch in der Bundesrepublik Deutschland und in der DDR. Zusammengestellt und kom m entiert von einer Arbeitsgruppe unter der Leitung von Manfred W. Hellmann. 1975.

Band 17: Fragen der strukturellen Syntax und der kontrastiven Grammatik. 1971.

Band 18: Zum öffentlichen Sprachgebrauch in der Bundesrepublik Deutschland und in der DDR. Methoden und Probleme seiner Erforschung. Aus den Refera­ten einer Tagung zusammengestellt von Manfred W. Hellmann. 1973.

Band 19: Linguistische Studien I. 1972.

Band 20: Neue Gram matiktheorien und ihre Anwendung auf das heutige Deutsch. Jahrbuch 1971 des Instituts für deutsche Sprache. 1972.

Band 21: Heidi Lehmann, Russisch-deutsche Lehnbeziehungen im W ortschatz offi­zieller W irtschaftstexte der DDR (bis 1968). 1972.

Band 22: Linguistische Studien II. 1972.

Band 23: Linguistische Studien III. Festgabe für Paul Grebe zum 65. Geburtstag.Teil 1. 1973.

Band 24: Linguistische Studien IV. Festgabe für Paul Grebe zum 65. Geburtstag.Teil 2. 1973.

Band 25: Eis Oksaar, Berufsbezeichnungen im heutigen Deutsch. Soziosemantische Untersuchungen. Mit deutschen und schwedischen experimentellen Kon­trastierungen. 1976.

Band 26: Gesprochene Sprache. Jahrbuch 1972 des Instituts für deutsche Sprache.1974.

Band 27: Nestor Schumacher, Der W ortschatz der europäischen Integration. Eine onomasiologische Untersuchung des sog. ‘europäischen Sprachgebrauchs’ im politischen und institutionellen Bereich. 1976.

Band 28: Helmut Graser, Die Semantik von Bildungen aus über- und Adjektiv in der deutschen Gegenwartssprache. 1973.

Band 29: Deutsche Wortbildung. Typen und Tendenzen in der Gegenwartssprache. Eine Bestandsaufnahme des Instituts für deutsche Sprache, Forschungs­stelle Innsbruck. Erster Hauptteil.

Ingeburg Kühnhold / Hans Wellmann, Das Verb. 1973.

Band 30: Studien zur Texttheorie und zur deutschen Grammatik. Festgabe für Hans Glinz zum 60. Geburtstag. Herausgegeben von Horst Sitta und Klaus Brinker. 1973.

Band 31 : Andreas Weiss, Syntax spontaner Gespräche. Einfluß von Situation und Them a auf das Sprachverhalten. 1975.

Band 32: Deutsche Wortbildung. Typen und Tendenzen in der Gegenwartssprache. Zweiter Hauptteil.

Hans Wellmann, Das Substantiv. 1975.

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Band 33: Sprachsystem und Sprachgebrauch. Festschrift für Hugo Moser zum 65.Geburtstag. Herausgegeben von Ulrich Engel und Paul Grebe, Teil 1. 1974.

Band 34: Sprachsystem und Sprachgebrauch. Festschrift für Hugo Moser zum 65.Geburtstag. Herausgegeben von Ulrich Engel und Paul Grebe, Teil 2. 1975.

Band 35: Linguistische Probleme der Textanalyse. Jahrbuch 1973 des Institu ts für deutsche Sprache. 1975.

Band 36: Sprachwissenschaft und Sprachdidaktik. Jahrbuch 1974 des Instituts für deutsche Sprache. 1975.

Band 38: Theo Bungarten, Präsentische Partizipialkonstruktionen in der deutschen Gegenwartssprache. 1976.

Band 39: Probleme der Lexikologie und Lexikographie. Jahrbuch 1975 des Instituts für deutsche Sprache. 1976.

Band 40: Wolfgang Steinig, Soziolekt und soziale Rolle. Untersuchungen zu Bedin­gungen und Wirkungen von Sprachverhalten unterschiedlicher gesellschaft­licher Gruppen in verschiedenen sozialen Situationen. 1976.

In Vorbereitung:

Sprachwandel und Sprachgeschichtsschreibung. Jahrbuch 1976.

G.S. Süur, Feldtheorien in der Linguistik.

11.2. HEUTIGES DEUTSCH

Linguistische und didaktische Beiträge für den deutschen Sprachunterricht.Veröffentlicht vom Institu t für deutsche Sprache und vom Goethe-Institut.

Max Hueber Verlag, München

11.2.1. Reihe I : Linguistische Grundlagen. Forschungen des Instituts für deutsche Sprache

Herausgegeben von Ulrich Engel, Hugo Moser und Hugo Steger

Schriftleitung: Ursula Hoberg

Band 1: Siegfried Jäger, Der Konjunktiv in der deutschen Sprache der Gegenwart. Untersuchungen an ausgewählten Texten. 1971.

Band 2: Klaus Brinker, Das Passiv im heutigen Deutsch. Form und Funktion. 1971.

Band 3: Bernhard Engelen, Untersuchungen zu Satzbauplan und W ortfeld in der deutschen geschriebenen Sprache der Gegenwart. 1975.

Band 4: Ulrike Hauser-Suida/Gabriele Hoppe-Beugel, Die ‘Vergangenheitstempora’ in der deutschen geschriebenen Sprache der Gegenwart. Untersuchungen an ausgewählten Texten. 1972.

Band 5 : Hermann Gelhaus, Das Futur in der deutschen geschriebenen Sprache der Gegenwart. Studien zum Tempussystem. 1975.

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Band 6: Franz-Josef Berens, Analyse des Sprachverhaltens im Redekonstellations­typ “ Interview”. Eine empirische Untersuchung. 1975.

Band 7: Gisela Schoenthal, Das Passiv in der deutschen Standardsprache. Darstel­lung in der neueren Gram matiktheorie und Verwendung in gesprochener Sprache. 1975.

Band 8: Jürgen D ittm ann, Sprechhandlungstheorie und Tempusgrammatik. Futur­form en und Zukunftsbezug in der gesprochenen deutschen Standardspra­che. 1976.

Band 11: Karl-Heinz Jäger, Untersuchungen zur Klassifikation gesprochener deutscher Standardsprache. Rede konstellationstypen und argumentative Dialogstruk­turen. 1976.

Band 12: Franz-Josef Berens/Karl-Heinz Jäger/Gerd Schank/Johannes Schwitalla, Projekt Dialogstrukturen. Ein Arbeitsbericht. 1976.

In Vorbereitung:

Band 9: Karl-Heinz Bausch, Modalität und Konjunktivgebrauch in der gesprochenen deutschen Standardsprache.

11.2.2. Reihe II: Texte

Herausgegeben von Hugo Steger, Ulrich Engel und Hugo Moser.

Schriftleitung: Forschungsstelle Freiburg

Band 1: Texte gesprochener deutscher Standardsprache I. Erarbeitet vom Institut für deutsche Sprache, Forschungsstelle Freiburg. 1971.

Band 2: Texte gesprochener deutscher Standardsprache II. “ Meinung gegen Meinung”. Diskussionen über aktuelle Themen. Ausgewählt, redigiert und eingeleitet von Charles van Os. 1974.

Band 3: Texte gesprochener deutscher Standardsprache III. “Alltagsgespräche” . Ausgewählt von H.P. Fuchs und G. Schank. 1975.

11.2.3. Reihe III: Linguistisch-didaktische Untersuchungen des Goethe-Instituts

Herausgegeben von Günter Bär, Gerhard Kaufmann und Hans-Peter Krügerin Zusammenarbeit m it Ulrich Engel, Hugo Moser und Hugo Steger

Schriftleitung: Ursula Hoberg

Band 1: Gerhard Kaufmann, Die indirekte Rede und m it ihr konkurrierende Formen der Redeerwähnung. 1976.

In Vorbereitung:

Band 2: Sigbert Latzei, Die deutschen Tem pora Perfekt und Präteritum.Eine Darstellung mit Bezug auf Erfordernisse des Faches “ Deutsch als Frem dsprache” .

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Sammelbände

11.3. FORSCHUNGSBERICHTE DES INSTITUTS FÜR DEUTSCHE SPRACHE

Herausgegeben von Ulrich Engel und Gerhard Stickel

Schriftleitung: Eva Teubert

Verlag Gunter Narr, Tübingen

Band 1: 1968.

Band 2: 1968.

Band 3: 1969.

Band 4: 1970.

Band 5: 1970.

Band 6: 1971.

Band 7: Gesprochene Sprache. Bericht der Forschungsstelle Freiburg des Instituts für deutsche Sprache. 1973.

Band 8: S. Jäger/J. Huber/P. Schätzle, Sprache und Sozialisation. Vorüberlegungen zu empirischen Untersuchungen. 1972.

Band 9: H. Popadic, Untersuchungen zur Frage der Nominalisierung des Verbal­ausdrucks im heutigen Zeitungsdeutsch. 1972.

Band 10: H. Fenske, Schweizerische und österreichische Besonderheiten in deutschen Wörterbüchern. 1973.

Band 11: I. Neumann, Temporale Subjunktionen. Syntaktisch-semantische Beziehun­gen im heutigen Deutsch. 1972.

Band 12: G. Kaufmann, Das konjunktivische Bedingungsgefüge im heutigen Deutsch.1972.

Band 13: P. N ikitopoulos, Statistik für Linguisten. Eine methodische Darstellung.I. Teil. 1973.

Band 14: K. Bayer/K. Kurbel/B. Epp, Maschinelle Sprachbeschreibung im Institut für deutsche Sprache. 1974.

Band 15: H. Gelhaus/S. Latzei, Studien zum Tempusgebrauch im Deutschen. 1974.

Band 16: H. Raabe (Hrsg.), Trends in kontrastiver Linguistik I. Interimsprache undkontrastive Analyse. Das Zagreber Projekt zur angewandten Linguistik.1974.

Band 17: S. Marx-Nordin, Untersuchungen zur Methode und Praxis der Analyseaktueller W ortverwendungen. Aspekte des Gebrauchs der W örter ‘Sozialis­mus’ und ‘sozialistisch’ in der politischen Sprache der DDR. 1974.

Band 18: Arbeitsgruppe MasA: Zur maschinellen Syntaxanalyse I. M orphosyntakti-sche Voraussetzungen für eine maschinelle Sprachanalyse des D eutschea 1974.

Band 19: Arbeitsgruppe MasA: Zur maschinellen Syntaxanalyse II. Ein Lexikon für eine maschinelle Sprachanalyse des Deutschen. 1974.

Band 20: H. Kloss (Hrsg.), Deutsch in der Begegnung mit anderen Sprachen: im Fremdsprachen-W ettbewerb, als M uttersprache in Übersee, als Bildungs­barriere für Gastarbeiter. Beiträge zur Soziologie der Sprachen. 1974.

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Band 21: G. Harlass/H. Vater, Zum aktuellen deutschen Wortschatz. 1974.

Band 22: I. Trancre, Transformationelle Analyse von Abstraktkom posita. 1975.

Band 23: H. Kubczak, Das Verhältnis von Intension und Extension als sprachwissen­schaftliches Problem. 1975.

Band 24: G. Augst, Lexikon zur Wortbildung.Band 24.1: Morpheminventar A - G.Band 24.2: Morpheminventar H - R.Band 24.3: Morpheminventar S - Z.

Band 25: G. Augst, Untersuchungen zum Morpheminventar der deutschen Gegen­wartssprache. 1975.

Band 26: A. Kirkness, Zur Sprachreinigung im Deutschen 1789-1871. Eine histo­rische D okum entation. Teil 1 und II. 1975.

Band 27: A.J. Pfeffer, Grunddeutsch. Erarbeitung und W ertung dreier deutscher Korpora. Ein Bericht aus dem “ Institute for Basic German” , Pittsburgh. 1975.

Band 28: H. Raabe (Hrsg.), Trends in kontrastiver Linguistik II. 1975.

Band 29: G. Stickel (Hrsg.), Deutsch-japanische Kontraste. Vorstudien zu einer kontrastiven Grammatik. 1976.

Band 30: H. Schumacher (Hrsg.), Untersuchungen zur Verbvalenz. 1976.

Band 31: U. Engel/H. Schumacher, Kleines Valenzlexikon deutscher Verben. 1976.

In Vorbereitung:

Band 32: N. Filipovii, Die Partizipialkonstruktionen in der deutschen dichterischen Prosa von heute.

Band 33: L. Siegrist, Bibliographie zu Studien über das deutsche und englische Adverbial.

Band 34: U. Engel (Hrsg.), Deutsche Sprache im Kontrast.

Band 35: H. Droop, Das präpositionale A ttribut. Ein Forschungsbericht.

Band 36: H. Gelhaus, Ober den modalen Infinitiv.

11.4. MITTEILUNGEN DES INSTITUTS FOR DEUTSCHE SPRACHE

Heft 1: 1972. (vergriffen)

Heft 2: 1973.

Heft 3: 1974.

11.5. STUDIEN ZUR DEUTSCHEN GRAMMATIK

In Verbindung mit dem Institu t für deutsche Sprache hrsg. von Werner Abraham, Winfried Boeder, Ulrich Engel, Jacques Lerot, Odo Leys,Heinz Vater.

Verlag G unter Narr, Tübingen

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Band 1: J.P. Calbert/H. Vater, Aspekte der M odalität. 1975.

Band 2: I. Bätori/L.F. Pusch/J.L. Levin/W. Abraham/W. Bublitz/M. von Roncador, Syntaktische und semantische Studien zur Koordination. 1975.

Band 3: H. Pütz, Über die Syntax der Pronominalform ‘es’ im modernen Deutsch.1975.

11.6. DEUTSCHE SPRACHE

Zeitschrift für Theorie, Praxis, Dokum entation

Herausgegeben von Hugo Steger in Zusammenarbeit m it dem Institut für deutsche Sprache, Mannheim

Schriftleitung: Angelika Ballweg-Schramm, Eva Schütz

Erich Schmidt Verlag, Berlin

1976 erschienen: Heft 1/1976, Heft 2 /1976, Heft 3/1976.

11.7. KULA

Kartei unveröffentlichter linguistischer Arbeiten zur deutschen Sprache der Gegenwart

Band 1: Mannheim 1973.

Band 2: Mannheim 1974.

Weitere Folgen erscheinen seit 1974 in der Zeitschrift “ Deutsche Sprache” .

11.8. PHONAI

Lautbibliothek der europäischen Sprachen und Mundarten

Herausgegeben von der Internationalen Vereinigung sprachwissenschaftlicher Schallarchive

Deutsche Reihe

Herausgegeben vom Deutschen Spracharchiv im Institu t für deutsche Sprache

Herausgabe und Schriftleitung: Edeltraud Knetschke, Bonn

Leitung der Herstellung: Margret Sperlbaum, Bonn

Max Niemeyer Verlag, Tübingen

Band 1: Lewis Levin/Walter Arndt, Grundzüge m oderner Sprachbeschreibung.1969.

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Band 2: Edeltraud Knetschke/Margret Sperlbaum, Anleitung für die Herstellung der Monographien der Laut-Bibliothek. S. Karger Verlag, Basel 1967.

Band 3: Helmut Richter, Grundsätze und System der Transkription-IPA(G)-, 1973.

Band 4: M onumenta Germaniae Acustica. Katalog 1965. Bearbeiter: E. Knetschke/ M. Sperlbaum u.a. S. Karger Verlag, Basel 1965.

Band 5; Wolfgang Bethge/Günther M. Bonnin, Proben deustcher M undarten. 1969.

Band 6: Monographien 1.(W. Bethge, Riesenbeck Kr. Tecklenburg; G. Heike, Gleuel Kr. Köln;E. Grubacic, Kriva Bara/Banat; P. Paul, Barossatal/Südaustralien). 1970.

Band 7: Monographien 2.(R. E. Keller, Jestetten Kr. W aldshut;L .G . Zehetner, Freising;H . Schudt, Erbstadt Kr. Hanau). 1970.

Band 8: M onum enta Germaniae Acustica. Katalog 1967. Bearbeiter: E. Knetschke/ M. Sperlbaum u.a. 1969.

Band 9: Monographien 3.(E. Grubafic, Knicanin/Banat; W. H. Veith, Bockwitz Kr. Sprottau). 1971.

Band 10: Monographien 4.(W. W. Moelleken, Niederdeutsch der Molotschna- und Chortitzamennoni- ten). 1972.

Band 11: Monographien 5.(D. Karch, Großbockenheim Kr. Frankenthal/K allstadt Kr. N eustadt a.d. Weinstraße). 1972.

Band 12: M onumenta Germaniae Acustica. Katalog 1970. Bearbeiter: E. Knetschke/ M. Sperlbaum u.a. 1972.

Band 13: Monographien 6.(D. Karch, Gimmeldingen Kr. N eustadt a.d. W einstraße/M utterstadt Kr. Ludwigshafen a. Rhein). 1973.

Band 14: Festschrift für Eberhard Zwirner, Teil I (W. Bethge, Textliste zu 111/50). 1974.

Band 15: Monographien 7. Festschrift für Eberhard Zwirner, Teil II(S. G eräc, Hodschag/Batschka; W.O. Droescher, Puhoi — eine egerländer M undart in Neuseeland). 1974.

Band 16: Monographien 8.(D. Karch, Mannheim. Umgangssprache). 1975.

Band 17: M. Sperlbaum, Proben deutscher Umgangssprache. 1975.

Band 18: Monographien 9.(W. W. Moelleken/D. Karch, Siedlungspfälzisch im Kreis W aterloo.Ontario, Kanada). 1976.

Beiheft 1: Wolfgang Bethge, Beschreibung einer hochsprachlichen Tonbandaufnahm e.1973.

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Page 425: SPRACHWANDEL UND SPRACHGESCHICHTS … · Umstrukturierung des indogermanischen bzw. germanischen ... Welt- oder Landesgeschichte nur davon die ... die man bei der Beschreibung der

Beiheft 2: Festschrift für Eberhard Zwirner, Teil III(H. Richter, Eine anschauliche Interpretation des Korrelationskoeffi­zienten nach Bravais-Pearson; K.H. Rensch, Zur Entstehung romanischer Vokalsysteme; M. Sperlbaum, Isoglossenvergleich aufgrund indirekter und direkter Spracherhebung; E. Knetschke, Die Funktion der Partikel “ja” in Tonbandaufnahm en deutscher Umgangssprache). 1974.

Beiheft 3:D . Karch, Zur Morphologie der vorderpfälzischen Dialekte. 1975.

Beiheft 4: Karla Waniek, Die M undart von Ratiborham m er. 1976.

In Vorbereitung:

Band 19: Monographien 10.(H. Popadic, Deutsche Siedlungsmundarten aus Slawonien/Jugoslawien).

Band 20: Monographien 11.(D. Karch, Braunschweig — V eltenhof — Pfälzische Sprachinsel im Ost- fälischen).

Beiheft 5: Zur gesprochenen deutschen Umgangssprache I.(D. Bresson, Hauptregeln der phonetischen Ellipse im gesprochenen Deutsch; A. Kawashima, Gesprochenes Deutsch — Seine phonetischen und syntak­tischen B esonderheiten; M. Sperlbaum, Ellipse und Anakoluth in der deu t­schen Umgangssprache; H. Richter, Linguistische und statistische Korrela­tion lautlicher Merkmale; W.O. Droescher, Pädagogische Auswertung von Tonbändern des deutschen Spracharchivs).

11.9. PHONETICA

Zeitschrift der Internationalen Gesellschaft für phonetische Wissenschaften

Herausgegeben in Zusammenarbeit m it dem Deutschen Spracharchiv amInstitu t für deutsche Sprache von H. Pilch und G. Ungeheuer

Schriftleitung: W. Bethge

S. Karger Verlag, Basel — New York

1976 erschienen: Vol. 33.

11.10. GERMANISTIK

Internationales Referatenorgan m it bibliographischen Hinweisen

Herausgegeben von T. Ahlden u.a. in Zusammenarbeit m it dem Institu t für deutsche Sprache

Schriftleitung: Tilman Krömer

Max Niemeyer Verlag, Tübingen

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1976 erschienen: Jg. 17/1976, H. 1-3,

11.11. DIALEKT/HOCHSPRACHE - KONTRASTIV

Sprachhefte für den Deutschunterricht

In Verbindung mit dem Institu t für deutsche Sprache

Herausgegeben von Werner Besch, Heinrich Löffler und Hans Reich

Pädagogischer Verlag Schwann, Düsseldorf.

Heft 1 :Joachim Hasselberg/Klaus-Peter Wegera, Hessisch. 1976.

In Vorbereitung:

Heft 2: Ludwig G. Zehetner,Bairisch.

Heft 3: Heinrich Löffler/W erner Besch, Alemannisch.

Heft 4: Ulrich Ammon/Ulrich Loewer, Schwäbisch.

Heft 5: Hermann Niebaum, Westfälisch.

Heft 6: Beate Henn, Pfälzisch.

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