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STRUKTUR-LEGE-VERFAHREN ALS DIALOG-KONSENS-METHODIK EIN ZWISCHENFAZIT ZUR FORSCHUNGSENTWICKLUNG BEI DER REKONSTRUKTIVEN ERHEBUNG SUBJEKTIVER THEORIEN Herausgegeben von BRIGITTE SCHEELE m ASCHENDORFF MÜNSTER

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STRUKTUR-LEGE-VERFAHREN

ALS DIALOG-KONSENS-METHODIK

EIN ZWISCHENFAZIT

ZUR FORSCHUNGSENTWICKLUNG

BEI DER REKONSTRUKTIVEN ERHEBUNG

SUBJEKTIVER THEORIEN

Herausgegeben vonBRIGITTE SCHEELE

mASCHENDORFF MÜNSTER

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Norbert Groeben

Die Inhalts-Struktur-Trennung als konstantes

Dialog-Kons ens-Prinzip? !

Zusammenfassung: Die im vorigen Kapitel dargestellten Dialog-Konsens-Verfahrenrealisieren praktisch durchwegs die zwei Teilschritte der Inhaltserhebung und Struk-turrekonstruktion, wie sie von der historisch ersten Struktur-Lege-Methode (der Hei-delberger SLT) eingeführt worden sind. Der methodologische Sinn dieser Teilschritteund die Möglichkeiten sowie Grenzen ihrer Modifikation sind das Thema dieses Ka-pitels. Dazu werden zunächst die anthropologischen und wissenschaftstheoretischenVoraussetzungen skizziert, aus denen sich die Zielidee des Dialog-Konsens-Prinzipsergibt. Die methodischen Realisierungsmöglichkeiten und -Varianten betreffen so-wohl Erweiterungen als auch Komprimierungsversuche der beiden genannten Teil-schritte. Eine Zwischendiskussion setzt sich dann vor allem mit der Bewertungder Dialog-Konsens-Struktur in bezug auf die hermeneutische wie empiri(sti)scheMethodentradition in der Psychologie bzw. den Sozialwissenschaften generell aus-einander. Abschließend werden die Ergebnisse der bisher vorliegenden methoden-

kritischen Überprüfungen berichtet und diskutiert, die Aufschluß darüber geben,ob

die eingangs explizierten Zielsetzungen der Dialog-Konsens-Methodik (approxima-tiv) erreicht werden oder nicht; dabei ergeben sich - als Ausblick - nicht zuletzt auchdeutliche Desiderate für eine zukünftige, umfassende methodologische Evaluations-forschung.

1. Metatheoretische Voraussetzungen und Zielideen

Die im vorhergehenden Kapitel dargestellten Struktur-Lege-Verfahrenals Varianten einer Dialog-Konsens-Methodik sind - wie erwähnt -im Rahmen des 'Forschungsprogramms Subjektive Theorien' (FST:vgl. zum Überblick Groeben et al

. 1988) entwickelt worden. Fürdieses Forschungsprogramm läßt sich als weite Begriffsexplikationdes zentralen Konslrukts 'Subjektive Theorie' das Bedeutungspostu-lat ansetzen: "Kognitionen der Selbst- und Weitsicht als komple-xes Aggregat mit (zumindest impliziter) Argumentationsstruktur,

das

die zu objektiven (wissenschaftlichen) Theorien parallelen Funktio-nen der Erklärung, Prognose und Technologie erfüllt" (vgl. schonGroeben & Scheele 1982

, 16; Groeben (a) in Groeben et al. 1988,19). Für diese weite Fassung des Verständnisses von 'SubjektivenTheorien' sind (noch) keine Dialog-Koasens-Verfahren zur Erhebungbzw. Rekonstruktion der Kognitions-Aggregate notwendig; vielmehrsind diverse Theorieansätze der neueren Forschungsentwicklung in

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der Psychologie mit dieser Modellperspektive vereinbar, z.T. darun-ter subsumierbar: wie z.B. die Personal Construct-Theorie, der An-satz der 'Impliziten Persönlichkeitstheorie', die Attributionstheorie,der Mctakognitions-Ansatz etc. (vgl. zu diesem Integrationspotentialdes FST Groeben (a) in Groeben et al. 1988, 19ff.). Allerdings istauch die weite Konzeption des Konstrukts

'Subjektive Theorien' (unddementsprechend des Forschungsprogramms) mit jenen metatheoreti-schen Voraussetzungen verbunden, aus denen sich bei pointiertererElaboration der zentralen Kemannahmen Sinnhaftigkeit und Notwen-digkeit von Dialog-Konsens-Methoden ergeben. Zu diesen Vorausset-zungen zählen vor allem das mit dem FST verbundene Menschenbildsowie das von diesem Subjcktmodell (mit) abhängige Gegenstands-verständnis.

Ich werde im folgenden kurz das Menschenbild und Gegenstands-verständnis des FST und die sich daraus ableitenden methodologi-schen Zielkriterien der Rekonstruktionsadäquanz, des dialogischenWahrheitskritcriums und damit der Annäherung an die ideale Sprech-situation skizzieren, damit transparent wird, welchen metatheore-tischen Anforderungen die in den folgenden Punkten (2. bis 4.)dargestellte und diskutierte Methodik-Struktur von Dialog-Konsens-Verfahren genügen soll. Für Leser/innen, die bereits mit dem FSTvertraut sind, stellt diese Skizze eine Rekapitulation von schon Be-kanntem dar; sie sind deshalb gebeten, die Ausführungen des Punkt1

. zu überspringen oder allenfalls kursorisch zu lesen.In der Entwicklung des Forschungsprogramms ist die Kemannahmedes Menschenhildes als eine Erweiterung des von Kelly (1955) ein-geführten Subjektmodclls

'man the scientist' anzusehen; in dessen

Mittelpunkt steht die Parallelität des Menschenbildes, das das wis-senschaftliche Erkenntnis-Subjekt von sich selbst besitzt, und jenem,das es für sein Erkenntnis-Objekt ansetzt. Diese Parallelität führt zueiner dem behavioristischen Forschungsprogramm polar entgegenge-setzten Subjcktmodellierung. Während im Behaviorismus als zentraleKemannahmen Reizkontrolliertheit und Reaktivität des Erkenntnis-

Objekts und damit Umweltkontrolle als Kontrolle durch die Um-welt angesetzt wurden, postuliert das FST für Erkenntnis-Subjekt und-Objekt Umweltkontrolle im Sinne der Kontrolle über Umwelt - die-ses nun allerdings nicht mit der Behauptung, daß der (subjektiv wieobjektiv) theoretisierende Mensch immer und überall Kontrolle überdie Umwelt besitzt, sondern daß er nach einer solchen Kontrolle strebt

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und prinzipiell auch über die dazu notwendigen Voraussetzungen als- potentielle - Kompetenzen verfügt. Als derartige Voraussetzun-gen sind im FST vor allem Sprach- und Kommunikationskompetenz

,

Reflexivität, potentielle Rationalität sowie Handlungsfähigkeit heraus-gearbeitet worden (vgl. Groeben 1986b, 63ff.; Groeben et al

. 1988).Damit ist, wie das letzte Merkmal dieses Menschenbildes schon

signalisiert, das 'Handeln' als zentrale Gegenstandseinheit ange-zielt. Im Gegensatz zum (reaktiven

, umweltkontrollierten etc.) Ver-halten wird mit Handeln sowohl in der Psychologie als auch inder (Handlungs-)Philosophie jene menschliche Aktivität gemeint,für die Merkmale wie Intentionalität

, Willkürlichkeit, Sinnhaftigkeit,

Situations- bzw. Kontextabhängigkeit, Ziel-, Normen-Orientiertheit,

Planung, Ablaufkontrolle etc. charakteristisch sind (vgl. Groeben

1986b, 71 ff.). Diese Merkmale werden gewöhnlich so miteinanderverbunden und hierarchisiert

, daß die Intentionalität bzw. Absichtlich-

keit als Oberbegriff die übrigen mitabdeckt, insofern die Absicht eine

willkürliche Wahl von Handlungsmöglichkeiten als Mittel zur Errei-chung bestimmler Ziele

, Normen etc. mit enthält. Dementsprechend

erfordert die Erforschung der Gegenstandseinheit 'Handeln' immereine intentionale Beschreibung; und diese intentionale Beschreibungstellt notwendigerweise auch immer eine Interpretation (in bezug aufdie darin enthaltenen Zielaspekte, willkürlichen Entscheidungen,

Pla-nungen etc.) dar. Handlungen sind folglich nicht als existierendeEreignisse zu verstehen, sondern nur als deutend-interprelative Be-schreibungen, d.h. als Interpretationskonstrukte (sensu Lenk 1978)

.

Hinsichtlich dieser 'Existenzweise' als interpretative Beschreibungenist es zunächst einmal unerheblich

, von wem aus eine solche Be-schreibung erfolgt: ob aus der Außenperspektive einer dritten, beob-achtenden Person oder aus der Innenperspektive der ersten, handeln-den Person. In jedem Fall handelt es sich um Deutungen, Interpre-tationen - auch wenn die handelnde Person selbst ihre Aktivität alseine solche intentionale beschreibt

. Allerdings gibt es in bezug aufdie Relation zwischen Beschreibung und beobachtbarem 'äußerem'Aspekt solcher (intentionalen) Aktivitäten durchaus einen entschei-denden Unterschied zwischen der Beschreibung aus der Perspektivevon Beobachter versus Handelndem selbst

. Dieser Unterschied be-steht darin, daß eine Außensicht-Beschreibung immer nur nach Vorlie-gen der entsprechenden Handlung gegeben werden kann (vgl. Wright1974, llOff.), während die handelnde Person selbst dies auch vorher

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tun kann, weil (in den Worten von Lenk 1978, 344f.) nur die selbst-

interpretative Handlungsbeschreibung der agierenden Person'operativ

wirksam werden' kann. Daraus läßt sich die Konsequenz herleiten,

daß man bei der Erforschung von menschlichem Handeln an der in-

terpretativen Selbstbeschreibung der agierenden Person(en) und damit

an der Innensicht der Ersten-Person-Perspektive ansetzen sollte (vgl.Groeben 1986b, 176fr.).Diese selbstinterpretative Innensicht der handelnden Person beziehtsich nun direkt zunächst auf die mit der jeweiligen Handlungsabsichtangestrebten Handlungsergebnisse. Mit einer solchen unmittelbaren

Absichtlichkeit sind aber in der Regel weiter ausgreifende Kognitio-nen verbunden, die sich zum einen darauf beziehen, warum das thema-

tische Handlungsergebnis als Ziel angesetzt wird; dieser Aspekt stellteinen Teil des Motivsystems der handelnden Person dar. Zum ande-

ren ist die jeweilige Handlungsabsicht in der Regel eingebettet in einWissen über die von dem konkreten Handlungsergebnis abhängigenweiteren Handlungsfolgen und -folgeketten, die die aus dem Ergeb-

nis resultierenden Wirkungen bezeichnen; diese Kognitionen über dieweiteren (kontingenten) Handlungsfolgen bzw. -Wirkungen lassen sichals das Überzeugungssystem der handelnden Person zusammenfas-

sen. Selbstinterpretative Handlungsbcschreibungen implizieren alsoin der Regel Kognitionen der handelnden Person über ihre Motive undÜberzeugungen hinsichtlich weiterer Handlungsfolgen (vgl. Groeben(b) in Groeben et al. 1988, 78ff.). Subjektive Theorien sind dannals besonders komplexe, argumentativ vernetzte Aggregate solcherKognitionen anzusehen. Ein Rückgriff auf derartig hochkomplexe,selbstinterpretative Handlungsbeschreibungen (qua Subjektive Theo-rien) ist nun in erster Linie dadurch möglich und sinnvoll, daß man auf

die Sprach- und Kommunikationskompetenz des menschlichen Sub-jekts zurückgreift und sich die jeweiligen (Selbst-)Interpretationen der(potentiell) handelnden Person von dieser mitteilen läßt. Je komple-xer, differenzierter, vemetzter etc. derartige Kognitionen und demzu-

folge auch die Mitteilungen darüber sind, umso mehr aber entsteht dasProblem, ob das Erkenntnis-Subjekt die selbstinterpretative, intentio-nale Beschreibung des Gegenüber auch adäquat versteht. Damit führt

die Gegenstandseinheit 'Handeln' in Verbindung mit dem epistemolo-gisehen Menschenbild, das auch für Erkenntnis-

'Objekte' hochkom-plexe Kognitionsaggregate in Form Subjektiver Theorien ansetzt, zurhermeneutischen Tradition der Psychologie zurück, die in der Phase

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Groeben

der Behaviorismus-Dominanz durch die ausschließliche Konzentra-

tion auf die Beschreibung als Beobachtung von außen (zeitweise)abgebrochen war.

An dieser Stelle gilt es, sich gegen zwei komplementäre,aber nicht sel-

tene Mißverständnisvarianten abzugrenzen. Zum einen ist mit der skizziertenZurückgewinnung der Gegenstandseinheit 'Handeln' und davon abhängig auch derhermeneutischen Tradition in der Psychologie keineswegs behauptet, daß immer und

überall in der psychologischen Forschung von dieser Gegenstandseinheit und der her-meneutischen Methodik auszugehen sei; vielmehr impliziert das FST durchaus,

daß

es menschliche Aktivitäten gibt, die nicht intentional beschrieben werden können,für

die also auch keine handlungsleitenden Kognitionen (schon gar nicht in der Kom-

plexität von Subjektiven Theorien) anzusetzen sind und die deshalb sowohl andersbenannt (z.B. als Verhalten oder Tun: vgl. Groeben 1986b) wie auch durch andereTheorieansätze (z.B. behavioristischer oder psychoanalytischer Provenienz) erklärtwerden sollten (vgl. Scheele & Groeben (b) in Groeben et al. 1988). Dies ist es,

was gegenüber der nicht seltenen Überinterpretation aus empiristischer Perspektivefestgehalten werden muß. Zugleich zieht eine derartige Einschränkung aber die kom-

plementäre Kritik aus der hermeneutischen Forschungstradition auf sich, z.B. von derPsychoanalyse aus: So unterstellt z.

B. Niemeyer (1987, 83), daß diese Einschränkung

(der Einsatzbreite hermeneutischer Methoden) ein reiner Opportunismus gegenüberder empiristischen 'scientific Community' sei, der dazu führt, daß 'Gegenstandsberei-che als Beute aufgeteilt werden', während es vor allem auf Sinntraditionen ankommt

.

Auch dieser Kritik ist entgegenzutreten, insofern hier ein (wissenschaftstheoretisch)naives Konzept von 'Gegenstand' impliziert ist, das vom Forschungsprogramm Sub-jektive Theorien explizit kritisiert und Uberwunden worden ist. Psychologische 'Ge-genstände

'

werden nicht 'vorgefunden', sondern in Interaktion mit den eingesetztenMethoden 'konstituiert'; dies gilt, wie oben kurz skizziert

, auch und gerade für 'Han-deln' als Gegenstandseinheit der Psychologie (vgl. ausführlich Groeben 1986b

, 49ff.).Insofern wird durch die hier als Voraussetzung für Dialog-Konsens-Verfahren kurzumrissene Trias von Menschenbild

, Gegenstandseinheit und Bedeutungsexplikationdes zentralen Konzepts 'Subjektive Theorie' gerade auch die hermeneutische Sinn-

tradition aufgenommen und konstruktiv-kritisch umgesetzt (auf die kritischen Aspektekomme ich unten im Punkt 3

. noch zurück).

Aus dieser Voraussetzungstrias (Menschenbild, Gegenstandseinheit'

Handeln', Konzepiexplikation 'Subjektive Theorie') ergeben sich nunkonsequent die metatheoretischen Zielkriterien

, durch die Dialog-Konsens-Verfahren konstituiert werden

. Die generelle Zielsetzungbesteht darin, daß das wissenschaftliche Erkenntnis-Subjekt einehochkomplexe interpretative Selbstbeschreibung des (potentiell) han-delnden Erkenntnis-Objekts erfahren und adäquat festhalten will.

Der paradigmatische (aber nicht einzige, s. dazu unten Punkt 2./4.)

kommunikative Zugang dürfte hier im Rückgriff auf die Sprach-kompetenz des Erkenntnis-Objekts bestehen, d.h. in der möglichst

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freien Verbalisierung der interpretativen Selbstbeschreibung von sei-len der agierenden Person. Diese (potentiell hochkomplexe) Selbst-auskunft soll vom Erkenntnis-Subjekt adäquat verstanden und in

einer Form festgehalten werden, die als Beschreibungssprache fürweitere wissenschaftliche Erklärungsbemühungen und Theoriemodel-lierungen brauchbar ist (vgl. Groeben 1986b, 114ff.). Das im-pliziert zunächst einmal (mindestens) zwei Rekonstruktionsperspek-tiven: Zum einen unterstellt die Konstruktexplikation von

'Sub-

jektiver Theorie' ja, daß die Alltagstheorien unter anderem des-wegen

'

subjektiv' zu nennen sind, weil sie nicht in vergleichba-

rem Ausmaße explizit, stringent, vollständig, kohärent etc. sind wie'objektive

' (wissenschaftliche) Theorien. Das dialogische Verste-hen von interpretativen Selbstbeschreibungen handelnder Erkenntnis-Objekte wird daher immer auch eine (zumindest partielle) Explizie-rung, Vernetzung etc. der thematischen Kognitionen bzw. Kognitions-aggregate darstellen. Diese Form der explizierenden Rekonstruktionwird im FST nicht als negative (artifizielle) Veränderung des (

'ei-

gentlichen') Gegenstandes angesehen; vielmehr wird (s.o.) auf der

Grundlage der unvermeidbaren Interaktion zwischen 'Wirklichkeit'und Methodik davon ausgegangen, daß jede wissenschaftliche Erhe-bung (zumindest in Aspekten) den Gegenstand erst konstituiert unddaß bei dieser Ausgangssituation eine 'Bewegung' in Richtung aufdie positiven Merkmale des zugrunde gelegten Menschenbildes bes-ser ist als eine Veränderung in Richtung auf potentiell reduktioni-stische Beschränkungen des menschlichen Erkenntnis-Objekts (vgl.Scheele & Groeben 1988a, 28ff.). Die zweite Rekonstruktions-perspektive besteht darin, daß diese Explizierung, Präzisierung etc.darauf ausgerichtet sein soll, daß die entsprechende (interpretativeSelbst-)Beschreibung als potentielle (Basis-)Beschreibung innerhalbvon wissenschaftlichen Erklärungsbemühungen brauchbar ist. Andieser Stelle nun wird - noch einmal - ganz anschaulich, warumman das wissenschaftliche Erkenntnis-Subjekt beim Verstehen sol-cher hochkomplexen Selbst-Beschreibungen des Erkenntnis-Objektsnicht unkontrolliert lassen kann; denn der/die Forscher/in könnte

ja die Rekonstruktionsdynamik in Richtung auf eine wissenschaft-liche Beschreibungssprache im eigenen Interesse so weit vorantrei-ben, daß sich das Erkenntnis-Objekt in der in dieser Form 'ver-standenen' (rekonstruierten) Beschreibung nicht mehr wiedererken-nen kann. Es gibt also forschungspragmatisch und metatheoretisch

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Groeben

auf jeden Fall zwei Ansatzpunkte dafür, daß bei hochkomplexen in-tentionalen Selbst-Beschreibungen der handelnden Person eine Kon-trolle dessen stattfinden sollte, ja muß, was das Erkenntnis-Subjekt alsVerstehen dieser Beschreibung festhält: zum einen die Komplexitätselbst, die wie überall im mitmenschlichen Bereich Kommunikati-onsmißverständnisse bewirken kann; zum anderen die Rekonstruk-

tionsdynamik, die in der Sprachform eine zu weite Entfernung vondem in der intentionalen Selbstbeschreibung des Erkenntnis-ObjektsGemeinten bewirken könnte

. Beide Dynamiken zusammen machenes unverzichtbar, daß das Erkenntnis-Objekt die Möglichkeit erhält,zu überprüfen, ob dasjenige, was das Erkenntnis-Subjekt verstan-den hat und als (verstandene) intentionale Selbst-Beschreibung desErkenntnis-Objekts festhalten will, adäquat ist, d.h. demjenigen ent-spricht, was es selbst (das Erkenntnis-Objekt) in seiner intentionalenSelbst-Beschreibung ausdrücken wollte

, gemeint hat. Es geht alsobei der Aääquanzfrage darum (wie es schon Laucken 1974 für 'naive

Theorien" formuliert hat), daß das Verstehen des Erkenntnis-Subjektsnur bis zu jener Präzisierung, Explikation etc. vorangetrieben wird,"

bis zu welcher der Alltagsmensch noch zustimmend folgen kann"(1974, 57). Dementsprechend enthält der Begriff der Rekonstrukli-onsadäquanz, der für die methodologische Etablierung von Dialog-Konsens-Verfahren zentral ist

, also auch die beiden Zielaspekte: Re-konstruktionsdynamik als Explizierung, Präzisierung etc. der intentio-nalen Selbst-Beschreibungen von handelnden Personen in Richtungauf Subjektive Theorie-Strukturen einerseits

, so daß dadurch eineEbene wissenschaftlicher Beschreibungssprache erreicht wird; undzum anderen die kommunikative Überprüfung durch das Erkenntnis-Objekt, so daß sich das Verstehen des Erkenntnis-Subjekts mit dieser

Rekonstruktionsdynamik nicht zu weit von dem durch das Erkenntnis-Objekt Gemeinten entfernt

.

Damit ist auch bereits das hinter dieser Zielidee der Rekonstrukti-

onsadäquanz stehende Wahrheitskriterium angesprochen: der Dialog-Konsens. Dieses Wahrheitskriterium ist die bisher überzeugendsteAntwort auf das grundsätzliche Problem

, das unvermeidbar mit derFrage des adäquaten Verstehens verbunden ist

. Es handelt sich umdas Problem, wie man feststellen kann

, ob eine Person korrekt über'

intemale' Ereignisse (Gedanken, Gefühle, Erlebnisse und deren refle-

xive Repräsentation) Auskunft gibt oder nicht. Dies läßt sich sicher-

lich nicht durch eine Beobachtung aus der Außensicht-Perspektive

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sichern oder überprüfen; denn die Außensicht kann eo ipso nicht alsvalides Kriterium für die Innensicht angesetzt werden (wenn mein Tunnicht meinen Gedanken entspricht, heißt das noch nicht, daß ich sie

nicht gehabt habe). Und dort, wo die Außensicht-Beobachtung vali-der zu sein scheint als eine bestimmte Selbstauskunft, ist sie das nur,weil und insofern sie sich auf andere Selbstberichtsaspekte der glei-chen Person stützt (vgl. Scheele 1981, 66fT.). Dieses grundsätzliche

Problem hat dazu geführt, daß in der Psychologie (vor allem in derfortdauernden behavioristischen Tradition) die Fähigkeit des Men-schen zu einer adäquaten Auskunft über die eigenen Reflexionen

ganz grundsätzlich abgestritten worden ist (insbesondere von Nisbett

& Wilson 1977). Die entsprechende Kontroverse über diese Frage(vgl. Smith & Miller 1978; Rieh 1979; Ericsson & Simon 1980;Cotton 1980; Kraut & Lewis 1982; White 1980; Adair & Spinner1981; zusammenfassend Groeben 1986b, 134ff.; Scheele in Groebenet al. 1988, 131 ff.) hat allerdings gezeigt, daß diese These unsin-nig überzogen ist. Das reflexive Subjekt 'Mensch' kann durchaus

über seine Kognitionen Auskunft geben, allerdings nicht immer er-schöpfend; und außerdem müssen diese Kognitionen natürlich nichtunbedingt der Realität entsprechen (s. dazu unten Punkt 3.). Die kon-

struktive Frage in bezug auf die Selbstauskunft des reflexiven Subjektslautet daher, unter welchen Bedingungen eine möglichst vollständigeund zuverlässige Selbstauskunft des Menschen möglich ist. Dies giltauch und nicht zuletzt für die hier thematischen Auskünfte sowohlin bezug auf die intentionale Selbst-Beschreibung von Handelndenals auch hinsichtlich der Adäquanzfrage, d.h. ob das Verstehen einesGegenübers (hier des wissenschaftlichen Erkenntnis-Subjekts) demin der intentionalen Selbst-Beschreibung Gemeinten entspricht odernicht. Die Rekonstruktionsadäquanz der vom Erkenntnis-Subjekt ver-standenen Selbst-Beschreibung des Erkenntnis-Objekts ist also nichtanders als durch einen Konsens mit letzterem zu überprüfen.

Dabei kommt es darauf an, optimale Dialog-Bedingungen zu schaffen,durch die diese Adäquanzfrage möglichst wahrheitsgemäß entschie-den wird. Dem unterliegt das dialog-konsenstheoretische Wahrheits-kriterium, wie es von der Frankfurter Schule (vor allem durch Apel,Habermas, Lorenzer, ausgehend von der psychoanalytischen Metho-dik) rekonstruiert worden ist. Danach hängt die Wahrheit von Aussa-gen (über Innensicht-Phänomene) von der Vemünftigkeit und Wahr-haftigkeit derjenigen Person ab, die sie äußert. Vemünftigkeit und

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Groeben

Wahrhaftigkeit von Personen sind in der Regel über Handlungen fest-stellbar, für deren Bewertung aber wiederum ein Konsens zwischenHandelndem und Beobachter notwendig ist. Der drohende circulusvitiosus (bzw. regress ad infinitum) ist nur zu vermeiden, wenn mandie Bedingungen der Dialogsituation so (präskriptiv) spezifiziert, daßdadurch mit größtmöglicher (menschlicher) Sicherheit Wahrhaftigkeitund Vemünftigkeit der Auskunft gebenden Person ermöglicht wer-den. Als dieses präskriptive Bedingungsgefüge hat Habermas (1968;1973) die 'ideale Sprechsituation des Diskurses' eingeführt,

in der

Systemzwänge jeglicher Art möglichst weitgehend aufgehoben bzw.

ausgeschlossen werden sollen. Dadurch ist - im Optimal fall - einevon systematischen Verzerrungen der Kommunikation befreite Eini-gung (Konsens) erreichbar, die die größtmögliche Sicherheit für eine'wahre'

(d.h. 'wahrhaftige') Beantwortung der Adäquanzfrage bietet.

Der Dialog-Konsens mit seiner Voraussetzung der kontrafaktischenidealen Sprechsituation stellt daher eine regulative Zielidee dar,

de-

ren Verwirklichung in der Realität (auch der Forschungspraxis) nievollständig gelingen wird, dennoch aber approximativ angestrebt wer-den kann und sollte (Skirbekk 1982, 57f.). Dialog-Konsens-Verfahrenzur Rekonstruktion Subjektiver Theorien müssen also versuchen,

diese Bedingungen der idealen Sprechsituation für die Entscheidungüber die Rekonstruktionsadäquanz methodisch-systematisch soweitals möglich zu realisieren. Das bedeutet für diese Phase einer dia-

logischen Hermeneutik die Spezifizierung und Implementierung ei-ner mit komplementären Gewichtungen aufeinander eingestellten in-einandergreifenden Subjekt-Subjekt-Relation. In bezug auf die Re-konstruktionsdynamik wird das wissenschaftliche Erkenntnis-Subjektsicherlich ein größeres Gewicht haben, wie es auch in der Model-

lierung der Frankfurter Schule für die Psychoanalyse unterstellt ist(insofern als der Analytiker seine interpretative Rekonstruktion demAnalysanden zur Zustimmung vorlegt); in bezug auf die Entschei-dung der Adäquanzfrage allerdings hat das Erkenntnis-Objekt dasausschlaggebende und entscheidende Gewicht

,insofern erst seine Zu-

stimmung festlegt, was als adäquate intentional-intcrprelative Hand-lungsbeschreibung in den wissenschaftlichen Erkenntnisprozeß ein-geht. Dialog-Konsens-Methoden müssen systematische Verfahrens-schritte vorsehen

, um das Erkenntnis-Objekt gemäß dem Konzept deridealen Sprechsituation in die Lage einer vernünftigen und wahrhaf-tigen Entscheidung über die Adäquanzfrage zu versetzen.

Inhalts-Struktur-Trennung als konstantes Dialog-Konsens-Prinzip 51

Auch hier gilt es einem Mißverständnis vorzubeugen, indem explizit festzuhalten ist,daß mit dieser methodologischen Wendung natürlich eine spezifizierende Präzisierungund Eingrenzung der eingangs genannten hermeneutischen Tradition vorliegt. Durchdas dialog-konsenstheoretische Wahrheitskriterium wird der Ansatzpunkt für die Me-thodologie einer dialogischen Hermeneutik gelegt, die die Verstehensprozesse beider realen Kommunikation zwischen Erkenntnis-Subjekt und -Objekt optimiert. Dasschließt ein Verstehen ohne solche realen Kommunikationsprozesse (was im FSTeiner monologischen Hermeneutik zugeordnet wird: vgl. Groeben 1986b, 196ff.)nicht aus, erfordert aber für deren Einsatz andere Voraussetzungsexplikationen undRechtfertigungsansätze (I.e.). Und auch in bezug auf den genannten heuristischenEinsatzpunkt der

'Frankfurter' Rekonstruktion der Psychoanalyse liegt mit dem Ver-such, das dialog-konsenstheoretische Wahrheitskriterium in konkrete Methodenver-fahren umzusetzen, sicherlich ein weiterer Spezifizierungsschritt vor, der sich bewußtund intendiert von der üblichen psychoanalytischen Metatheorie und partiell sogarvon der dazu schon distanzierten Frankfurter Rekonstruktion entfernt; diese von Nie-

meyer (1987, 97) beklagte Entfernung stellt aus unserer Sicht daher kein Negativum,sondern eine unvermeidliche Notwendigkeit bei der methodischen Elaboration einerDialog-Hermeneutik dar.

Damit sind auf höchstem Abstraktioasniveau die Voraussetzungenund Zielkriterien umrissen, denen die methodische Grundstruk-

tur von Dialog-Konsens-Verfahren (zur Rekonstruktion Subjekti-ver Theorien) entsprechen sollte. Bevor wir diese Grundstruk-tur näher analysieren, muß aber noch die Einbettung des hier the-matischen Dialog-Konsens

' in das mehrphasige Forschungsmodelldes FST kurz angesprochen werden, schon damit der Geltungs-anspruch des dialog-konsenstheoretischen Wahrheitskriteriums nichtüberschätzt wird. Denn die Sicherung der Rekonstruktionsadäquanzvon hochkomplexen intentionalen Handlungsbeschreibungen bedeu-tet noch nicht, daß diese Beschreibungen und die darin enthal-tenen Erklärungsperspektiven für das Handeln der jeweiligen Per-son auch realitätsadäquat sind. Um es an einem Beispiel aus deranalytischen Handlungsphilosophie zu verdeutlichen: Das wissen-schaftliche Erkenntnis-Subjekt mag durchaus adäquat verstehen unddialog-konsensual beschreiben, warum ein bestimmtes Gegenüber(Erkenntnis-Objekt: z.B. Hans) ein kupfernes Amulett trägt; nämlichweil ein solches Amulett auf eine komplizierte (näher ausführbare)Art und Weise die der Gesundheit abträglichen Ströme des Erdma-gnetismus abblockt und nur (gesundheits-)fördemde Ströme durchläßt('Überzeugungssystem'), so daß auf diese Art und Weise durch dasTragen des Amuletts das Ziel der Gesundheitsbewahrung ('Motiv-system

') erreicht werden kann. Mit der adäquaten Rekonstruktion

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Groeben

dieser intentionalen Handlungsbeschreibung (und der in ihr angege-benen Motive und Wirkungsüberzeugung) ist auch bei solchen Sub-jektiven Theorien - mindestens genauso wie bei wissenschaftlichen -die Möglichkeit verbunden, daß sich der (Subjektive) Theoretiker irrt;und zwar gilt diese Möglichkeit sowohl für den Bereich des Motiv-ais auch des Übereeugungssystems. Für das angeführte Beispiel: Esmag durchaus sein, daß kupferne Amulette die in dieser Subjekti-ven Theorie postulierte Wirkung nicht besitzen (realitätsinadäquatesÜberzeugungssystem); ebenso ist es möglich, daß Hans dieses Amu-

lett gar nicht aus dem angeführten Grund (Erhaltung der Gesundheit)trägt, sondern weil es ein Geschenk seiner Freundin ist (was er sichselbst nicht eingestehen möchte: realitätsinadäquate Aussage überdas Motivsystem). Diese Frage der Realitätsadäqmnz läßt sich alsonicht mehr zureichend durch einen Dialog-Konsens feststellen,

son-

dern erfordert eine Beobachtung aus der Perspektive der dritten Personund damit eine Methodik

, die dem klassischen falsifikationstheoreti-schen Wahrheitskritcrium zuzuordnen ist

. Erst durch eine solche (sy-stematische) Geltungsprüfung (in bezug auf die Realitätsadäquanz)läßt sich die Aktivität des je thematischen Erkenntnis-Objekts zurei-chend erklären. Dementsprechend wird die Geltungsprüfung anhandder Beobachtung aus der Dritten-Person-Perspektive im Zwei-Phasen-Modell der Forschungsstruktur des FST 'explanative Validierung'genannt; komplementär dazu heißt die dialog-konsensuale Prüfungder Rekonstruktionsadäquanz des Verstehens von intentionalen Hand-lungsbeschreibungen 'kommunikative Validierung'.

Aus den oben

genannten Gründen (operative Wirksamkeit der Handlungsbeschrci-bungen von agierenden Personen etc.) wird die kommunikative Vali-dierung in dem skizzierten Zwei-Phasen-Modell als vorgeordnet,

die

explanative Validierung als nachgeordnet angesetzt; zugleich gilt inbezug auf die Geltungsperspektive allerdings die explanative Validie-

rung als übergeordnet, die kommunikative als untergeordnet (s.Abb. 1

bei Stössel & Scheele in diesem Band; vgl. zu weiteren Bewertungenund Begründungen unten Punkt 3.).

2. Methodische Realisierungsmöglichkeiten und -Varianten

Dialog-Konsens-Methoden stellen also eine systematische Methodikzur Realisierung der kommunikativen Validierungsphase dar.

Dabei

geht es entsprechend dem dialog-konsenstheoretischen Wahrheitskri-

Inhalts-Struktur-Trennung als konstantes Dialog-Konsens-Prinzip 53

terium in erster Linie um die Approximierung der idealen Sprechsi-tuation für den Dialog zwischen Erkenntnis-Subjekt und -Objekt.

Für den gesamten Dialog hat Scheele (in Groeben et al. 1988, 136ff.)das generelle Ziel der

'idealen Sprechsituation' in eine Hierarchievon Unterzielen ausdifferenziert (vgl. Abb. 1), die sechs aufeinan-der aufbauende sprechakttheoretische Ziele einschließlich der zu ih-rer Erreichung notwendigen motivationalen und kognitiven Vorausset-

zungen spezifiziert. Dieses Modell erlaubt es, aus der vorhandenen

psychologischen Forschung und Praxis (von der Gründlagenforschungzu Gedächtnismodellen bis zu therapeutischen Technologien wie ge-

sprächstherapeutischen Techniken etc.: vgl. Scheele I.e.) jene Tech-niken herauszufiltem und heranzuziehen, die zur Realisierung einesmöglichst symmetrischen Interaktionsprozesses zwischen Erkenntnis-

Subjekt und -Objekt brauchbar sind.

Abb. 1: Ziel-Hierarchie zur Generierung von Technologien für die dialog-konsensuale Erhebung und Rekonstruklion Subjektiver Theorien (n. Scheelein Groeben et al. 1988, 144)

SprechakttheoretischeZiele

VI Einsichtsvolles Übernehmen

von ArgumentenV Auseinandersetzen

IV Argumentatives VerständigenIII Gleichberechügt-SeinII Kommunizieren

I Aktualisieren

Motivationale und kognitiveVoraussetzungen

Sinnmotivation,

Explikationsvertrauen(Selbst-)Erkenntnis-MotivationArgumentationsfähigkeitVerbalisierungs-MotivationVerbalisierungsfähigkeit

Explizierungs-Motivation,Aktualisierbarkeit der Kognitio-nen

Es ist (schon aus Raumgründen) nicht sinnvoll, diese Techniken hiernoch einmal im einzelnen aufzuführen und zu diskutieren (vgl. dazueben Scheele, o.e.; zusammenfassend auch Mutzeck 1988, 141-153).Einen intuitiv-anschaulichen Eindruck von dem Gemeinten können

aber u.U. die Beispicl-Verbalisierungen geben, die Dann (1990b, 5)

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54N

. Groeben

für die Realisierung einer solchen möglichst symmetrischen Interak-tion (zwischen Erkenntnis-Subjekt und -Objekt) anführt:"- Wie sehen Sie das?

- Wie ist es bei Ihnen?- Wie läuft das normalerweise bei Ihnen ab?

- Könnte es auch so sein? (Vorschlag anbieten)- Ist es so oder ist es so? (Alternative anbieten)- Ihre Sichtweise ist ausschlaggebend!- Es gibt keinen richtigen oder falschen Ablauf; es kommt mir darauf an

, wie sichdas für Sie darstellt!

- Wie geht es weiter?- Gibt es noch andere Möglichkeiten?"

Es sollen allerdings zumindest zwei hinter diesen Technolo-

gien/Techniken stehende und durch sie realisierbare Prinzipien be-nannt werden, die für eine Dialog-Hermeneutik unverzichtbar erschei-nen. Zum einen handelt es sich darum, daß eine solche dialogischeHermeneutik in bezug auf die Verstehenssystematik als Kombinationvon sogenannter 'harter' und 'weicher' Methodik zu konzipieren ist

.'

Hart' müssen Dialog-Konsens-Verfahren im Hinblick auf die oben

(1.) begründete Explizierungsdynamik sein, indem sowohl in bezug

auf die Inhalte als auch auf die Struktur der zu verstehenden Kogni-tionsaggregate (des Subjektiven Theoretikers) präzise Fragen gestelltwerden

, z.T. sogar in konfrontierender Art und Weise ('Störfragen'nach Wahl 1979), um die Sicherheit und Stabilität der mitgeteiltenDenkinhalte und -Strukturen zu gewährleisten. Dieses 'harte' Fun-dament kann aber nur dann zu einem möglichst unverzerrten Verste-

hensprozeß führen, wenn dadurch das Vertrauen und die Kommuni-kationsbereitschaft des Erkenntnis-Objekts nicht '

beschädigt' werden,

was durch 'weiche' Techniken der Kommunikation und Metakommu-nikation zu sichern ist: z

.B

. dadurch, daß das Erkenntnis-Subjekt dem

Gegenüber die inhaltlichen Fragestellungen und Zielsetzungen des je-weiligen Projekts vorab maximal transparent macht, genauso wie daskonkrete Vorgehen innerhalb der Dialog-Konsens-Phase

, wozu auchgegebenenfalls ein öfter wiederholtes metakommunikatives Anspre-chen von aktuellen Belastungen durch die Methodik gehört, bevorsich diese zu Verzerrungen der Kommunikationssituation auswachsen

können. Bei einer optimalen Realisierung dieses Kombinationsprin-zips wird dann auch das zweite Ziel erreichbar, nämlich daß die prin-

zipielle Erkenntnisrelation zwischen Erkenntnis-Subjekt und -Objekt,

Inhalts-Struktur-Trennung als konstantes Dialog-Konsens-Prinzip 55

die für den menschlichen Bereich konstitutiv ist, auch aktuell reali-siert wird. Es handelt sich darum, daß im Gegensatz zu naturwissen-schaftlichen Gegenstandsbereichen in der Psychologie jede Erkenntnisdes 'Gegenstandes

'

auch eine potentielle Selbst-Erkenntnis darstellt.Dies gilt es, durch die ideale Sprechsituation innerhalb der Dialog-Konsens-Phase auch aktuell zu realisieren: nämlich daß das befragteErkenntnis-

'

Objekt' in dieser Phase auch einen Akt der Selbsterkennt-nis vollzieht, an dem es existentiell interessiert ist. Diese Bereit-schaft, ja Motivation zur Selbsterkenntnis stellt die größtmögliche(menschliche) Sicherheit gegen jene Verzerrungstendenzen dar, dieam stärksten die Validität dieser kommunikativen Rekonstruktions-

phase gefährden können (wie soziale Erwünschtheit etc.). Unter derVoraussetzung, daß eine solche Motivation zur Selbsterkenntnis bei ei-nem jeweiligen Erkenntnis-Objekt - approximativ - aktualisiert wor-den ist, besteht dann die zentrale Aufgabe der konkreteren Metho-dikstruktur von Dialog-Konsens-Verfahren darin, systematisch solcheVerfahrensschritte vorzusehen, die den Dialog-Gegenüber in dieserMotivation nicht behindern, sondern unterstützen. Entsprechend demBrückenprinzip 'Sollen impliziert Können' (vgl. Albert 1971; Groe-ben 1986b, 421 f.) geht es hier in erster Linie darum, daß die Metho-dik zum einen das nicht-wissenschaftliche Erkenntnis-Objekt nichtüberfordert, zum anderen aber zugleich auch so mit Kenntnissenund Kompetenzen ausstattet, daß für den angestrebten Rekonstruk-tionsprozeß eine - möglichst - symmetrische Kompetenz zwischenErkenntnis-Subjekt und -Objekt resultiert. Diesem Optimierungsprin-zip zweier gegenläufiger Dynamiken sind alle im folgenden zu bespre-chenden konkreteren Methodikstrukturen verpflichtet. Als ersten undwichtigsten Ansatzpunkt zur Vermeidung einer Überforderung ist da-bei bereits durch den ersten Entwurf einer expliziten Dialog-Konsens-Methode (nämlich die Heidelberger Struktur-Lege-Technik: Scheele& Groeben 1979; 1984) die Trennung von Erhebung der Reflexions-Inhalte und der Rekonstruktion der subjektiv-theoretischen Struktureneingeführt worden. Dahinter steht die Vorstellung,

daß eine Gleich-

zeitigkeit dieser beiden Aufgaben in einem Dialog-Konsens-Prozeßfür beide beteiligten Personen (Erkenntnis-Subjekt wie -Objekt) eineÜberforderung bedeuten würde, die eine adäquate Rekonstruktionder Subjektiven Theorien des Erkenntnis-Objekts weitgehend verhin-dern würde. Diese Überlegungen und die resultierende Zwei-Schritt-Struktur ist ersichtlich theoretisch so überzeugend und praktisch er-

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Groeben

folgreich gewesen, daß alle in der Nachfolge zur SLT entwickeltenDialog-Konsens-Verfahren (nicht nur die von Scheele & Groeben;vgl. 1988a) diese zwei getrennten Schritte der Kognitionserhebungund Rekonstruktion der Theoriestruktur übernommen haben und vor-sehen (s. Dann in diesem Band).

Dabei sind als Erhebungsmethoden prinzipiell alle sogenannten 'qua-litativen' Verfahren zur Mitteilung von Kognitionen/Reflexionen etc

.

einsetz- bzw. adaptierbar (vgl. Huber & Mandl 1982; Mutzeck 1988,

lOlff.): von Assoziationsverfahren über das Laute Denken bis zum In-

terview bzw. spezifischen Verfahrenskombinationen wie dem 'Struk-

turierten Dialog' (nach Wahl et al. 1983, 41 ff

.; vgl. auch Hanke1991, 1171T.). Das Entscheidende dabei ist

, daß die gewählte Er-hebungsmethode dem thematischen Gegenstand und den Fähigkeitenbzw. Möglichkeiten der Untersuchungspartner/innen möglichst ange-messen ist. Daß die meisten Dialog-Konsens-Verfahren bisher mitder einen oder anderen Art eines Interviews arbeiten

, liegt vermut-lich daran, daß bisher zum einen vor allem Subjektive Berufstheorienvon Lehrern/innen erforscht worden sind; zum anderen gibt es (ausÖkonomiegründen) eine Konzentration auf Subjektive Theorien mitt-lerer Reichweite, die relativ übergreifende Konstrukte bzw

.Hand-

lungsklassen zum Gegenstand haben (vgl. z.B. Brückerhoff 1982:'

Vertrauen'; Paetsch 1985: 'Verantwortlichkeit'). Wenn auch dasInterview zu den klassischen

, eingeführten Formen sogenannter 'qua-litativer' Forschungsmethoden zählt, so sind dennoch die besonde-ren Anforderungen bzw. Adaptationen zum Einsatz innerhalb einerdialog-konsenstheoretischen Hermeneutik nicht zu unterschätzen (vgl.dazu Scheele & Groeben 1988a

, 46ff.; Scheele in Groeben et al.

1988, 135ff.). Neben den erhöhten Anforderungen an die Flexibi-lität, Gesprächsführung und emotionale Offenheit der Interviewer-

Person gehört zu diesen Adaptationen nicht zuletzt eine möglichstanregende, konkrete Beispielgebung, die soweit möglich vom eige-nen Erfahrungsraum bzw. den eigenen Handlungen der interviewtenPerson ausgehen sollte. Paradigmatische Beispiele bieten hier beson-ders die auf konkretes Unterrichtsgeschehen zurückgreifenden Unter-suchungen zu den Subjektiven Berufstheorien von Lehrern/innen (vgl.Wahl et al. 1983; Krause & Dann 1986; Mutzeck 1988; Hanke 1991).

Entsprechend den oben (1.) explizierten metatheoretischen Zielper-spektiven kommt es dabei in erster Linie darauf an

, die möglichst

Inhalts-Struktur-Trennung als konstantes Dialog-Konsens-Prinzip 57

freie, spontane Verbalisierung der Erkenntnis-Objekte in bezug aufihre Reflexionen anzuregen und zu unterstützen.Das ist auch der Grund, warum in den bisher entwickelten Dialog-

Konsens-Verfahren für den Erhebungsschritt fast durchweg solche

eher qualitativen Methoden verwendet werden als etwa standardisierteVerfahren wie Fragebogen, Test etc.; es wird dabei unterstellt, daß die

offene, freie, spontane Verbalisierung - vor allem auch idiographisch- ergiebiger ist als standardisierte, nicht zuletzt auch auf quantifizie-renden Vergleich ausgerichtete Methoden. Daß dies nicht in jedem

Fall (d.h. jedem Problembereich, für jede Fragestellung etc.) so seinmuß, haben Fall er et al. (1991) in einer Untersuchung zur SubjektivenKrankheitsverarbeitung von Krebskranken in bezug auf die von diesenentwickelten Ursachenvorstellungen gezeigt, in der Interview und Fra-gebogen als Erhebungsverfahren miteinander verglichen wurden. Eswurden außerdem (per Fragebogen, Ratingskala etc.) als Merkmaleder Krankheitsverarbeitung noch der emotionale Zustand, Belastungendurch Untersuchungen, Erleben der Therapie, Kontrollüberzeugungensowie Copingstrategien erfaßt. Dabei zeigte sich, daß z.B. 'Rau-

chen' als Krankheitsursache bei Lungenkarzinom-Patienten im Fra-

gebogen deutlich häufiger als im Interview angegeben wurde; da sich

die Interview-Personen, die spontan Rauchen als Krankheilsursachethematisieren, auch als emotional trauriger, nervöser etc. bezeichnen,interpretieren Faller et al. dieses Ergebnis so, daß die Fragebogenme-thode es den untersuchten Personen leichter ermöglicht, ihre 'Abwehr'

aufrechtzuerhalten und in distanzierter Form über (mögliche) Krank-heitsursachen zu reflektieren und Auskunft zu geben. Die Autoren un-terscheiden daher eine eher dynamische (man könnte vielleicht auchsagen existentielle) von einer eher statischen Dimension der Subjek-tiven Krankheitstheorien; die dynamische Dimension kann vor allemim Hinblick auf die Symptomwahmehmung, die Krankheitsdefinitionund Krankheitsverarbeitung "bedingt durch ihre Vielgestaltigkeit undWidersprüchlichkeit, ihre Wandelbarkeit und Emotionsabhängigkeitnur im qualitativen Interview angemessen abgebildet werden

" (o.e.,

41). Die statische Dimension bezieht sich akzentuierend auf die we-niger komplexen Perspektiven der Krankheitsursachen, für die Fra-gebogenverfahren u.U. aussagekräftiger sind (I.e.). Dieses Ergebnisbestätigt, spezifiziert und konkretisiert zugleich die These von dergrößeren existentiell-idiographisehen Ergiebigkeit offener, auf freieVerbalisierung ausgerichteter Erhebungsverfahren und macht ande-

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58 N.

Groeben

rerseits auch deutlich, daß für bestimmte (eingeschränktere) Frage-perspektiven standardisierte(re) Erhebungsverfahren durchaus sinn-voll und nützlich sein können.

In bezug auf den zweiten Schritt der Dialog-Konsens-Verfahren,nämlich die Struktur-Rekonstruktion der Subjektiven Theorien, hatdas vorhergehende Kapitel bereits verschiedene Varianten von Struk-turierungssystemen vorgestellt. Das in bezug auf die ideale Sprechsi-tuation allen gemeinsame Grundproblem ist dabei, wie das jeweiligeErkenntnis-Objekt in der konkreten kommunikativen Validierungs-phase so kompetent gemacht werden kann, daß es in der Tat eine(approximativ) gleichberechtigte Sicherheit, zumindest in bezug aufdie argumentative Auseinandersetzung über das von ihm Gemeinte,entwickeln kann. Der erste Teilschritt zur Erreichung dieses Zielsbesteht darin, die formalen Regeln zur Visualisierung der (Subjek-tiven) Theoriestruktur explizit in einem Leitfaden zusammenzustel-len und den jeweiligen Untersuchungspartnem/innen transparent zumachen. Diese Übung eines für die jeweilige Struktur rekonstruk-tionsspezifischen Regel-Leitfadens, die ebenfalls bereits in der SLTvon Scheele & Groeben (1979; 1984) eingeführt worden ist, hat sichso bewährt, daß praktisch alle bisher entwickelten Dialog-Konsens-Verfahren daran festhalten (wie die Beispiele im vorherigen Kapitelzeigen). Schwieriger verhält es sich mit dem nächsten Teilschritt:Scheele & Groeben nämlich haben vorgeschlagen und in ihrem Ver-fahren (vgl. 1988a) auch immer als zweiten Teilschritt eingeführt,

daß das jeweilige Erkenntnis-Objekt mit Hilfe des zur Verfügung ge-stellten Regel-Leitfadens selbst ein Strukturbild seiner SubjektivenTheorie legen soll, das dann mit dem vom Erkenntnis-Subjekt rekon-struierten Bild verglichen wird, um im argumentativen Dialog überdie Gemeinsamkeiten und Unterschiede dieser beiden Bilder festzu-

legen, was als endgültige Rekonstruktion der vom Erkenntnis-Objektgemeinten Subjektiven Theorie gelten soll. Diese ursprüngliche Ver-sion der Struktur-Rekonstruktion mit einem eigenständigen Legever-such des/der Untersuchungspartners/in ist nicht nur von Scheele &Groeben, sondern auch in anderen Untersuchungen mit Erfolg ein-gesetzt worden (vgl. Bartheis 1991; Buchholtz 1991; Burgert et al.1987; Paetsch 1985; Schwab 1989; Sohns 1991; Stössel 1989).

Die

Approximation der idealen Sprechsituation und damit der möglichstsymmetrischen Subjckt-Subjekt-Relation ist dabei unmittelbar ein-leuchtend: Wenn sich ein/e Untersuchungspartner/in der Mühe un-

Inhalts-Struktur-Trennung als konstantes Dialog-Konsens-Prinzip 59

terzieht, mit den im Regelleitfaden explizierten Formalrelationen eineigenes Strukturbild zu legen, dann ist zum einen die Beherrschungdieses Regelsystems im Rahmen des in einer solchen kommunika-tiven Validicrungsphase Möglichen optimal; der Grund dafür liegtdarin, daß aktives Durchführen eben zu stabileren Kompetenzen führtals bloßes Rezipieren (eine Gesetzmäßigkeit, die sich in der Lem-theorie und Pädagogischen Psychologie immer wieder bewährt hat:vgl. Lefrancois 1986; Weidenmann et al. 1986). Zum anderen stelltder eigene Legeversuch des/der Untersuchungspartners/in natürlichauch die beste Imprägnierung gegen voreilige Zustimmung zu Vor-schlägen des jeweiligen Erkenntnis-Subjekts dar, weil selbstgewählteStrukturmöglichkeiten sicher nur bei wirklich überzeugender Gegen-argumentation aufgegeben werden. Insofern dürfte der Rekonstruk-tionsschritt der Theoriestruktur mit Hilfe von drei Strukturbildcm -

Legeversuch des Erkenntnis-Objekts, Rekonstruktionsvorschlag desErkenntnis-Subjekts, dialog-konsensuales Strukturbild - sicher denOpümalfall für eine möglichst argumentative, gleichberechtigte Si-cherung der Rekonstruktionsadäquanz bieten. Allerdings verkehrtsich auch dieses '

Optimum' in sein Gegenteil, wenn es für diespezifische Situation oder Personenstichprobe von Untersuchungs-teilnehmem Überforderungsaspekte enthält. Dies ist nun nach denbisherigen Erfahrungen vor allem an zwei Punkten möglich bzw.wahrscheinlich: Zum einen kann das Regelsystem (z.B. das relativkomplizierte, umfassende System der SLT) für die spezifische Un-tersuchungsstichprobe zu anspruchsvoll sein; zum anderen könnensich zeitliche Überforderungen ergeben, wenn die entsprechende For-schungssequenz unvermeidbar in Zusammenhang mit (partiell konkur-

rierenden) Berufsaufgaben ablaufen muß; deshalb haben nach meinerKenntnis fast alle Erhebungen Subjektiver Berufstheorien von Leh-rern/innen bisher den eigenständigen Legeversuch des Erkenntnis-Objekts nicht durchhalten können. Soweit sich an diesen beiden Punk-ten also Überforderungen der jeweiligen Untersuchungspartner/innenergeben, ist eine Veränderung der bisher skizzierten Tdealstruktur'unvermeidlich, und zwar auch in Richtung auf eine Komprimierungeinzelner Teilschritte, auf die ich weiter unten im einzelnen eingehenwerde.

Zuvor soll jedoch noch auf ein Charakteristikum der Struktur-Lege-Verfahren eingegangen werden, das ebenfalls zur Realisierung deridealen Sprechsituation und einer möglichst symmetrischen For-

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60 N.

Groeben

schungsrelation beiträgt und als solches auch von methodologischerSeite beim Vergleich der Dialog-Konsens-Verfahren mit anderen (ein-geführten) Strukturierungsmethoden herausgestellt wird. Es handeltsich darum, daß durch die Strukturierungsregeln und die damit er-reichbaren Strukturbilder eine Visualisierung von Wissensstrukturendes reflexiven Subjekts erreicht wird (vgl. Bonato 1990, 33ff.; Tergan1986, 88ff.). Diese Form der 'Extemalisierung von Wissensstruk-turen' (Bonato, I.e.) stellt im Prozeß des Durchlaufens der Dialog-Konsens-Phase besonders für die erforschten Personen eine wichtigekognitive wie motivationale Erleichterung dar. So kommen Heider &Waschkowski (1982) am Schluß ihrer auch methodenkritischen Un-tersuchung zu Subjektiven Theorien über 'Partnerschaft' zu dem Fa-zit: "

Die visuelle Darstellung von Begriffen/Deskriptionen und ih-rer Zusammenhänge ermöglichte es den Versuchspartnem, ständigden Überblick über die Wiedergabe des Partnerschaftskonzepts zubehalten, so daß in Verbindung mit der einfachen Veränderbarkeitdes Legespiels ihre Vorstellungen angemessen rekonstruiert werdenkonnten" (o.e., 167). Der zentrale Unterschied zu bisherigen Metho-den der (kognitiven) Psychologie besteht dabei nicht in der visuel-len Extemalisierung (der Wissensstruktur) als solcher, sondern darin,daß diese Visualisierung im Dienste der Transparenz und autonomenEntscheidung des Erkenntnis-Objekts steht. Denn übliche Verfahrenwie die Konstruktgittermethode nach Kelly oder Wortassoziations-und Graph-Konstruktionsmethoden (vgl. Bonato 1990) enthalten zwarauch (vergleichbare) Visualisierungen, die allerdings lediglich vomErkenntnis-Subjekt mit Hilfe komplexer Rechenverfahren wie Clu-steranalyse, multidimensionaler Skalierung etc. ausgearbeitet wer-den. Deshalb stellt auch Bonato besonders heraus: "Im Unterschied

zur Errechnung der Strukturierung wird die Strukturierung bei denStruktur-Lege-Techniken durch die Versuchsperson selbst vorgenom-men. Damit bieten die Struktur-Lege-Techniken eine wesentlich di-rektere Art der Wissensstruktur-Erfassung",

und zwar sowohl in be-

zug darauf, ob zwischen den einzelnen Konzepten überhaupt eineBeziehung anzusetzen ist als auch welcher Art diese Beziehung sei(1990, 33). Daher ist der zusammenfassenden Charakterisierungvon Ballstaedt & Mandl (1985, 28) zuzustimmen: "

...the SLT is

coneeived as a pragmatic aid for extemalizing knowledge." Diese

pragmatische Perspektive impliziert im übrigen auch, daß die ein-zelnen Struktur-Lege-Verfahren nicht theoretisch an bestimmte (z.B.

Inhalts-Struktur-Trennung als konstantes Dialog-Konsens-Prinzip 61

Gedächtnis-)Modelle der Wissensrepräsentation gebunden sind, wiees etwa Tergan (1986, 94) postuliert. Entsprechend dem oben skiz-zierten theoretischen Forschungsaasatz ('Subjektive Theorien') wirdvielmehr die wissenschaftliche Theoriestruktur als Rahmenmodell

angesetzt, innerhalb derer sich verschiedenste Ansätze der (älterenwie neueren) Kognitions- und Gedächtnisforschung integrieren las-sen. Diese integrative Offenheit gegenüber einzelnen Modellen zurWissensrepräsentation kommt z.B. (pragmatisch) schon dadurch zumAusdruck, daß mittlerweile auch ein Struktur-Lege-Verfahren in Formder Flußdiagramm-Darstellung vorgelegt worden ist (vgl. Scheele &Groeben 1988a, 122ff.), wobei die Flußdiagramm-Darstellung vonTergan z.B. dem theoretischen Ansatz der mentalen Modelle zuge-ordnet wird (zur expliziten - integrativen - Verbindung zwischendem Subjektiven Theorie-Konstrukt und kognitionspsychologischenModellen vgl. im übrigen Alisch 1982; 1990).

Die pragmatische Hilfe der möglichst direkten Visualisierung soll, wiealle anderen bereits besprochenen Verfahrensaspekte, dazu dienen, einmaximal eindeutiges und zugleich rekonstruktives Verstehen und (be-schreibungssprachliches) Festhalten der Reflexionen des Erkenntnis-Objekts zu ermöglichen. Dabei gibt es allerdings zwischen den beidenbisher behandelten Schritten der Kognitionserhebung und der Struk-turrekonstruktion einen Teilschritt, der in der ursprünglichen Metho-denkonzeption von Scheele & Groeben (SLT: 1979; 1984) als rela-tiv unproblematisch angesehen und daher sehr komprimiert gehand-habt wurde. Es handelt sich um die Extraktion der wichtigsten Kon-zepte z.B. aus dem Interviewtranskript,

die nach dieser ersten Kon-

zeption von Dialog-Konsens-Verfahren dadurch geschieht,daß das

Erkenntnis-Subjekt diese Konzeptextraktion allein vornimmt (durchNotieren der wichtigsten Begriffe auf Konzeptkärtchen) und dieseKärtchen dem Erkenntnis-Objekt am Beginn der (zweiten) Rekon-struktionssitzung lediglich zur Zustimmung vorlegt. Allerdings zeigendie Erfahrungen mit diesem Vorgehen, daß dabei einige praktische undauch (meta-)theoretische Probleme auftreten können. Zunächst einmalwird hier die Auswahl der relevanten Aussagen ohne eine weitere me-thodische Systematik dem Erkenntnis-Subjekt überlassen,

wie Buch-

holtz zu Recht kritisch anmerkt (1991, 143; vgl. auch Brückerhoff1982, 183). Zum anderen ist in bezug auf den Dialog-Konsensüber die Auswahl solcher relevanten Konzepte sicherlich die Kri-tik von Eckert (1981, 54) nicht unberechtigt: "Die Tatsache, daß

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Groeben

Groeben/Schcclc die Legeversuche des Interviewers bereits vor derinhaltlichen Auseinandersetzung vornehmen, deutet darauf hin, wiewenig in diesem Bereich mit Veränderung gerechnet wird.

" Für beide

Probleme sind in der Zwischenzeit Ausdifferenziermgen als Erweite-rung der Dialog-Konsens-Methodik (vor allem am Beispiel der SLT)erarbeitet worden. In bezug auf die Systematik der Informationsver-dichtung zu den relevantesten Konzepten eines Interviews haben z.B.Obliers & Vogel (in diesem Band) die innerhalb des propositions-theoretischen Modells der Textverabeitung entwickelten Regeln zurGenerierung von Makropropositionen angewendet. Schmid-Furstosshat (in seiner Untersuchung über Subjektive Theorien von (Un-)Selb-ständigkeit bei Seniorinnen) eine Inhaltsanalyse eingeführt, mit derdie wichtigsten Aussagen pro Interview gesichert wurden, und zwareinschließlich einer Übereinstimmungsprüfung zwischen dem jewei-ligen Interviewer und dem Leiter der Gesamtuntersuchung (die zu-friedenstellend ausfiel: 1990, 94f.). Schmid-Furstoss hält diesenTeilschritt einer systematisch-inhaltsanalytischen Auswahl der zen-tralen Aussagen/Konzepte insbesondere wegen der damit verbunde-nen Steigerung der Objektivität/Reliabilität für so wichtig, daß er ihnals festen Bestandteil der SLT einzuführen vorschlägt (o.e., 193).Da es sich hierbei allerdings um eine Übereinstimmung zwischenErkenntnis-Subjekten handelt, ist damit das Problem der suboptima-len Berücksichtigung des Erkenntnis-Objekts noch nicht gelöst. Dies-bezüglich haben Brückerhoff (1982) und in ihrer Nachfolge Bruhn& Höngen (1983) als Erleichterung für die erforschte Person ver-schiedene (zusätzliche) Farben für die Konzeptkärtchen eingeführt,die dem/der Untersuchungspartner/in den Überblick über die einbe-zogenen Konzepte der verschiedenen (natürlich untersuchungsspezi-fischcn) Konzeptkategorien ermöglicht. Die unter dieser Problem-perspektive maximale Erweiterung ist von Eckert (1981) vorgenom-men worden, die für die Auswahl der relevanten Konzepte und derenÜbertragung auf Kärtchen eine eigene (dritte) Sitzung eingeführt hat;dabei wurde den Untersuchungsteilnehmem/innen ihr vollständigesInterviewtranskript sowie eine Kurzfassung mit einer Interpretationder Untersuchungsleiterin vorgelegt, aus der im Dialog-Konsens ge-meinsam die relevantesten Konzepte extrahiert wurden (o.e., 50-55).Dies stellt natürlich unter der Perspektive der idealen Sprechsitua-tion und der möglichst symmetrischen Forschungsrelation das Opti-mum dar, zumal durch dieses Vorgehen auch ein weiteres Grund-

Inhalts-Struktur-Trennung als konstantes Dialog-Konsens-Prinzip 63

problem bei der Darstellung von Wissensstrukturen, nämlich dieGröße der Wissenseinheiten (vgl. Bonato 1990, 3ff.), dem Erkenntnis-Objekt im Dialog-Konsens überantwortet wird. Soweit es zeitlich undvon der Motivation der Untersuchungsteilnehmer/innen möglich ist,sollte man sicherlich in Zukunft diese methodischen Ausdifferenzie-rungen einsetzen, am besten in Kombination der inhaltsanalytisch-propositionstheoretischen Textkomprimierung und einer darauf auf-bauenden (eigenständigen) Dialog-Konsens-Findung. Darunter fälltauch die von Schwab (1989) eingesetzte Möglichkeit, eine zusätzliche(zweite) Interview-Sitzung vorzusehen, in der die Untersuchungsteil-nehmer/innen auf etwaige Inkohärenzen, Lücken etc. ihrer Aussagenhingewiesen werden und diese beheben können (was sie nach denErfahrungen von Schwab auch durchaus tun: vgl. o.e., 116f., 285f.).

Das gilt allerdings natürlich nur, wenn sich daraus keine kogniti-ven oder motivationalen Überforderungen der Untersuchungsteilneh-mer/innen ergeben. In diesem Fall sind vielmehr, wie oben bereits an-gesprochen, eher Komprimierungen einzelner Verfahrens(teil)schrittenotwendig. In bezug auf die kognitive Überforderung wird es sichdabei in erster Linie um eine Reduktion der formalen Relationen des

entsprechenden Regelwerks handeln. Insbesondere im Hinblick aufdas sehr differenzierte Regelwerk der SLT, das ganz explizit zur Erfor-schung Subjektiver Berufstheorien von Lehrern/innen, d.h. von wis-senschaftlich Vorgebildeten, entworfen worden ist (Scheele & Groe-ben 1988a, 64f.), sind in der bisherigen Forschung Komprimierungenvorgenommen worden (z.B. Barth 1986; Bartheis 1991; Brückerhoff1982; Bruhn & Höngen 1983; Rössler & Rosenkranz 1981; Schmid-Furstoss 1990; Schwab 1989). Der Umfang dieser Reduzierungenhängt sicherlich von den Kompetenzen der jeweiligen Untersuchungs-stichprobe ab. So hat z.B. Schmid-Furstoss die Formal-Relationender SLT um die kurvilinearen Beziehungen und Interaktionsrelatio-nen (auf insgesamt 14) gekürzt, die sich nach der Untersuchung nocheinmal auf insgesamt 7 Relationen haben verringern lassen. Anderer-seits haben Bruhn & Höngen, die bei der Untersuchung des Sub-jektiven Konstrukts 'Überbehülung' die Relationen-Reduktion vonBrückerhoff (1982) übernommen haben,

nach 8 Interviews wiederum

einige Relationen ergänzen müssen,da nur so die Auskünfte der Un-

tersuchungspartner/innen abbildbar waren (Bruhn & Höngen 1983,

62). Von einer ähnlichen Erfahrung berichtet Schwab (1989, 123ff.):Sie hatte für die Erhebung von Subjektiven Krankheitstheorien bei

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64 N.

Groeben

Krebskranken zum einen zwar eine zusätzliche Relation zur Abbil-

dung zeitlicher Sequenzen (in Nachfolge von Fader 1985) eingeführt,dafür aber auch mehrere der komplexeren SLT-Relationen eliminiert(in dem völlig legitimen Bestreben, die Kranken nicht unnötig zu be-lasten). In der Untersuchungsdurchführung mußten dann allerdingszumindest in zwei Fällen diese komplexeren Relationskärtchen z.

T.

wieder eingeführt werden (weil die Untersuchungsteilnehmer/innenin ihrem Interview eben solche Konzeptbeziehungen vorgebracht hat-ten: o.e., 288). Insgesamt stellt die Strategie einer Komprimierungdes Relationen-Regelwerks auf die in einer Untersuchungsstichprobewirklich vorkommenden Beziehungen sicherlich eine legitime Adap-tation an die Kompetenzen der jeweiligen Teilnehmer/innen dar (zuStellenwert und Beispielen dieser Adaptation s. Bürgert in diesemBand). Wenn eine solche Passung von Regelwerk und Kompeten-zen der Untersuchungsgruppe vorliegt, können zumeist auch Unter-

suchungsteilnehmer/innen, denen das Regelwerk am Anfang unge-wohnt ist, durch die Übung am eigenen Reflexionsmaterial damit zu-friedenstellend umgehen; so berichtet z.

B. Paetsch (1985, 34) nach

einer Untersuchung des Subjektiven Konstrukts 'Verantwortung' inder Therapeut-Patient-Beziehung bei Therapeuten und Patienten: "Je-denfalls gingen am Ende der Rekonstruktion und im Diskurs diemeisten Vpn sehr souverän mit der Technik um,

was wir nicht er-

wartet hatten." Das optimale Verfahren besteht hier natürlich darin,daß man eine entsprechende Passung von Untersuchungsstichprobeund Regelwerk durch Vorversuche empirisch feststellt. Da Dialog-Konscns-Rekonstruktionen außerordentlich aufwendig sind,

dürfte das

allerdings nur selten möglich sein; in diesem Fall empfiehlt sich eineSystematisierung des Vorgehens von Bruhn & Höngen,

das bei die-

sen durch den Untersuchungsablauf erzwungen wurde: nämlich einenKembereich von Relationen vorzugeben, die mit größter Wahrschein-lichkeit verwendet werden

, und zugleich einen Ergänzungspool vonRelations-Erläuterungen vorzusehen, die bei Bedarf nachgeschobenwerden können (vgl. zur Umsetzung in eine FlexibilisierungsversionScheele et al. in diesem Band).

Für die Realisierung des Dialog-Konsenses und der möglichst symme-trischen Forschungsrelation problematischer ist allerdings die Kom-primierung der Struktur-Lege-Versuche selbst. Hier ist zur Vermei-dung von Überforderungen der Erkenntnis-Objekte bzw.

auch aus

den schon angesprochenen Zeitdruck-Gründen in der bisherigen For-

Inhalts-Struktur-Trennung als konstantes Dialog-Konsens-Prinzip 65

schung nicht selten eine Komprimierung derart vorgenommen wor-den, daß nicht drei Rekonstruktionsbilder (von Erkenntnis-Subjekt,-Objekt und Dialog-Konsens-Bild) erstellt wurden, sondern sofort ineinem gemeinsamen Legeversuch die Dialog-Konsens-Rekonstruktion.Dies gilt bei Heranziehung der SLT z.B. für die Untersuchungen vonBarth (1986), Brückerhoff (1982), Bruhn & Höngen (1983) sowieHeider & Waschkowski (1982). Bei den für die Untersuchung vonLehrerkognitionen im Unterricht entwickelten Verfahren wie ILKHAund WAL ist eine solche Komprimierung von vornherein vorgesehenund durchgeführt worden (Krause & Dann 1986; Wahl et al. 1983;vgl. auch das Verfahren bei Mutzeck 1988). Mit diesem Kompri-mierungsschritt ist natürlich immer die Gefahr verbunden, daß dieaktuelle Fertigkeit des jeweiligen Erkenntnis-Objekts in der konkre-ten Untersuchungssituation nicht so weit gestärkt wird, daß es sichin der Tat möglichst gleichberechtigt argumentativ in die dialog-konsensuale Entscheidungsfindung 'einbringen' kann (und dadurchauch eventuell unbeabsichtigter Suggestionsdynamik von seilen desErkenntnis-Subjekts nicht erliegt). Es sollten daher, wenn eine solcheKomprimierung der Struktur-Lege-Versuche unumgänglich scheint,möglichst Ausdifferenzierungen an anderen Stellen zur Kompensationeingeführt werden, durch die die angestrebte approximativ symmetri-sche Forschungsrclation ebenfalls erreicht werden kann. Dazu bie-ten die bisherigen Untersuchungen durchaus genügend Anregungen.Im Fall der kognitiven Überforderung ist sicherlich das Vorgehenvon Paetsch (1985) optimal, der zunächst den Rekonstruktionsversuchdes/der Untersuchungsteilnehmers/in gemeinsatn mit diesem/r gelegthat. Das Erkenntnis-Subjekt versucht dabei, in einer Modellfunktion'die gelegten Verbindungen sofort zu verbalisieren, so daß die Teil-nehmer/innen die Beziehung eventuell gleich (entsprechend dem vonihnen eigentlich Gemeinten) korrigieren können' (1985, 34). Dadurcherlernen die Untersuchungsteilnehmer/innen praktisch die für sie re-levanten Formalrelationen im spielerischen Umgang und in der per-manent unterstützenden Kommunikation mit dem Erkenntnis-Subjekt.Auf diese Art und Weise resultieren dann doch noch die vorgese-henen drei Struktur-Bilder, wobei der Rekonstruktionsversuch des

Erkenntnis-Objekts auch ein quasi 'gemeinsamer' ist, bei dem sichdas Erkenntnis-Subjekt allerdings primär auf eine explizierende Ver-balisierung der Formal-Relationen konzentriert. Die Brauchbarkeitund Durchführbarkeit dieses Vorgehens hat sich auch bei problema-

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66 N.

Groeben

tischen Untersuchungsstichproben nachweisen lassen (Schwab 1989:Krebserkrankte; Schmid-Furstoss 1990: Seniorinnen; Bartheis 1991;

Sohns 1991: Alkoholiker).

Für motivationale (besonders durch Zeitdruck zustande kommende)Überforderungen zeigen die einschlägigen Untersuchungen von Dannet al. sowie Wahl et al. plausible Kompensationsmöglichkeiten auf.Die einfachste Möglichkeit dürfte darin bestehen, daß eine aufkonkretes Unterrichtshandeln bezogene Erhebung und Rekonstruk-tion von subjektiven Reflexionen mehrfach durchlaufen wird, wiees z.B. für die ILKHA von Dann und Mitarbeitern vorgesehenist (vgl. Krause & Dann 1986, 11 f.; Dann 1990b, 3ff.; Diegritzet al. 1991, 14). Dies empfiehlt sich auf jeden Fall, wenn zurRekonstruktion einer 'gesamten' Subjektiven Theorie sowieso derRückbezug auf verschiedene, wiederholte Erhebungs- und Rekon-straktionsvorgänge notwendig ist. Eine vergleichbare Kompensati-onsfunktion (auch bei einer pro Untersuchungsteilnehmer/in nur ein-maligen Erhebung/Rekonstruktion) kann die von Wahl et al. (1983,67-75) eingeführte Verfahrensweise bieten, daß an mehreren Stel-len des Erhebungs-IRekonstruktionsvorgangs ein Dialog-Konsens ein-geführt wird: z.B. zur Auswahl der Erhebungssituation, zur ungelenk-ten sowie gelenkten Introspektion etc. (vgl. Wahl et al. 1983, 67IT.;ebenso Hanke 1991, 119ff.); diese Möglichkeit hat auch Mutzeckin seiner Untersuchung über Subjektive Theorien von Lehrern/innen'zum Transfer von Fortbildungsinhalten in den Berufsalltag

'

ange-wandt (indem er sowohl für die Überführung der Interviewaussagenin Subjektive Hypothesen - Wenn-dann-Formulierungen - als auchfür die Rekonstruktion von Strukturbildem anhand eines Regelleitfa-dens eine solche komprimierte Dialog-Konsens-Phase realisiert hat:1988, 164ff.). In ähnlicher Weise hat auch Schwab (1989) in ih-rer Untersuchung zu Subjektiven Theorien von Krebskranken prak-tisch zwei Dialog-Konsens-Sitzungen durchgeführt, wobei die zweiteSitzung vor allem die Präzisierung bzw. Elaboration von Konzept-

relationen zum Ziel hatte, die wegen der Komplexität der Subjek-tiven Theorie-Struktur in der ersten Sitzung nicht optimal bearbei-tet werden konnten (o.e., 118f.). Schlußendlich läßt sich auch dievon Wahl gewählte Möglichkeit, daß eine dritte (unabhängige) Per-son sozusagen in Schiedsrichterfunktion mit hinzugezogen wird, umüber die Realisierung der idealen Sprechsituation (sicherlich vor allem

Inhalts-Struktur-Trennung als konstantes Dialog-Konsens-Prinzip 67

von seilen des/der jeweiligen Untersuchungsleiters/in) zu wachen, alskompensierende Sicherung gegen eventuelle negative Wirkungen derKomprimierung in der Dialog-Konsens-Phase einsetzen (vgl. Wahl1987, 26011; Wahl 1991, 149f.). Die gleiche Zielsetzung wird mitder Version verfolgt, daß ein Tandem von Untersuchungsleitem/innensich auch in der jeweiligen konkreten Erhebungs- bzw. Rekonstrukti-onssituation gegenseitig entlastet und kontrolliert: so z.B. schon beiScheele (1980) vorgeschlagen und z.T. durchgeführt (vgl. auch Heider& Waschkowski 1982, 50ff. und die Konsequenz, die Schwab 1989,295 aus ihrer Untersuchung zu Subjektiven Krankheitstheorien vonKrebskranken zieht). Insgesamt zeigen diese Beispiele praktikableAnsätze auf, wie dann, wenn aus motivaüonalen Gründen eine Kom-

primierung der Dialog-Konsens-Phase auf nur einen gemeinsamen Le-geversuch unumgänglich ist, kompensierende Teilschritte eingeführtwerden können, die dennoch eine möglichst gleichberechtigte Rela-tion Erkenntnis-Subjekt und -Objekt wahrscheinlich machen können;allerdings sollte entsprechend den eingangs (s.o. 1.) skizzierten meta-theoretischen Zielkriterien auf eine solche kompensierende Ausdiffe-renzierung der idealen Sprechsituation auch nicht verzichtet werden.

3. Zwischendiskussion: wissenschaftstheoretische

Bewertungsfragen

Um Sinn und Funktion, Möglichkeiten und Grenzen der skizziertenDialog-Konsens-Methodik weiter zu verdeutlichen, soll noch einmalkurz auf wissenschaftstheoretische Bewertungsperspektiven eingegan-gen werden; allerdings nicht, wie eingangs akzentuierend im Kontrastzu der klassischen empiriewissenschaftlichen, auf experimentelle Fal-sifikation ausgerichteten Forschungskonzeption,

sondern in Auseinan-

dersetzung mit verstehensorientierten Methodologiekonzeptionen,die

in dem oben skizzierten Mehrphasen-Modell der Forschungsstruktur(von kommunikativer und explanativer Validierung) eine - unnötige -Beschränkung des verstehensorientierten Ansatzes, ja zum Teil sogareine Art Verrat an den Zielen einer sogenannten 'qualitativen' Me-thodik sehen. In dieser Kritik aus der Perspektive einer 'qualitativ'-verstehensorientierten Methodenkonzeption (in) der Psychologie hatsich vor allem Flick engagiert (vgl. 1987b; 1991a; b; i.D.), auf dessenArgumente sich folglich die Diskussion hier in erster Linie konzen-trieren wird

.

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68 N.

Grocbcn

Ein erster, wahrlich nicht selten geäußerter Vorwurf gegen das For-schungsprogramm Subjektive Theorien insgesamt, nicht nur in bezugauf die dabei eingesetzte Methodik und Zwei -Phasen- S truktur der For-schung, besteht in der These, daß durch ein Konstrukt wie das derSubjektiven Theorie Verkürzungen des Gegenstands bzw. zumindestGegenstandsverständnisses in Richtung auf einen Kognitivismus bzw.Rationalismus implementiert werden (Flick 1987a, 126ff.). In Men-schenbild wie Methodik wird eine "

Konzentration auf die AspekteWissen, Kognition, Rationalität und Bewußtheit des Handelns" ge-sehen, die zu einer "

Vernachlässigung der Aspekte Emotion, Irra-tionalität, Unbewußtheit von Handeln" führt (Flick 1987a, 127; vgl.

auch 130f.). In bezug auf Merkmale wie Irrationalität und Unbe-wußtheit handelt es sich in der Tat darum

, daß vom Forschungspro-gramm Subjektive Theorien explizit und intendiert für solche als Ge-genstand der Psychologie keineswegs ausgeschlossenen Phänomenekein Erklärungsanspruch erhoben wird; hier greift die oben (1.) be-reits diskutierte Zuordnung verschiedener Gegenstandseinheiten zuunterschiedlichen Forschungsstrukturen und -konzeptionell (vgl.

im

einzelnen Grocben 1986b, 341 ff.; Scheele & Groeben (b) in Groebenet al. 1988, 35ff.). In bezug auf die Berücksichtigung von Emotio-nalität des menschlichen Subjekts aber muß aus der Sicht des For-schungsprogramms Subjektive Theorien engagiert Einspruch ange-meldet werden. Die anthropologischen Kemannahmen der Sprach-und Kommunikationsfähigkeit, der Reflexivität und potentieUen Ra-tionalität sowie Handlungsfähigkeit des Menschen schließen u.E. kei-neswegs die Berücksichtigung von Emotionalität aus; vielmehr ma-nifestiert sich in dieser (unnötigen) Entgegensetzung aus der Sichtdes FST eine Dichotomisierung von Emotion und Kognition,

die als

alltagstheoretisches Vorurteil (z.B. in Form von abgesunkenem Kul-turgut aus Biedermeier und Neoromantik) gelten muß und von derwissenschaftlichen Psychologie gerade zu überwinden ist.

Dement-

sprechend hat vom Theoretischen her zwischenzeitlich auch Scheele(1990) den 'Grundriß einer epistemologischen Emotionstheorie' vor-gelegt, in dem diese unbegründete Dichotomisierung von Emotion undKognition überwunden wird. Und zwar indem konzeptuell wie empi-

risch nachgewiesen wird, daß Emotionen notwendigerweise kognitiveProzesse und Aspekte beinhalten, nämlich solche der Bewertung (vonSelbst und Welt). Das emotional 'Warme' liegt in Abgrenzung zurein kognitiven '

kalten' Bewertungen darin, daß in Emotionsbewer-

Inhalts-Struktur-Trennung als konstantes Dialog-Konsens-Prinzip 69

tungen ein Bezug zu bedürfnisrelevanten Wertmaßstäben impliziertist. Emotionen sind daher als Zustände

"der Bewertung von Selbst-Welt-Relationen unter Bezug auf bedürfnisrelevante Wertmaßstäbe

"

zu konzeptualisieren (Scheele 1990, 41). Die Brauchbarkeit dieser

das Kognitions- und Emotions-Konzept verbindenden Konzeptuali-sierung konnte von Scheele anhand deskriptiver und explanativer Va-lidierungen im Rahmen des Szenario-Ansatzes überzeugend nachge-wiesen werden; so zum Beispiel, daß die (kognitiven) Bewertungenbei sogenannten

'

Innen-Emotionen' (Freude, Liebe, Verachtung) imVerhältnis zu Verhaltensaspekten eine größere Rolle spielen als bei'Außen-Emotionen

' (wie Ärger, Angst, Ekel), bei denen gleichwohlBewertungsaspekte ebenfalls zum unverzichtbaren Kern des Emoti-onserlebens gehören. Damit erweist sich die These als gerechtfertigt,daß gerade für ein differenziertes ('reifes') Gefühlserleben nicht voneiner Dichotomie zwischen, sondern Verschmelzung von Reflexivitätund Emotionalität auszugehen ist.

Vom Methodischen her ist außerdem nicht einzusehen, wieso 'quali-tative

' Forschung außerhalb der Rekonstruktion Subjektiver Theoriendie Emotionalität des menschlichen Subjekts mehr berücksichtigenkönnen sollte, als dies durch die skizzierte Zwei-Schritt-Struktur der

Dialog-Konsens-Methodik geschieht. Denn für die Erhebungsphasevon Dialog-Konseas-Verfahren werden ja eben jene (sogenannten'qualitativen

'

) Verstchensmethoden eingesetzt, die auch in der vonFlick dagegengehaltenen 'nein qualitativen' Forschung zur Anwen-dung kommen (Assoziation, Interview, Lautes Denken etc.; s.o.).Und eine Emotionalität, die in der Erhebungsphase zum Ausdruckgekommen ist, muß nach den explizierten methodischen Standardsnatürlich in der Rekonstruktion der Subjektiven Theorien .ebenfalls'

ab-gebildet' werden. So sehen z.B. auch die Methodik-Entwürfe

von Dann (vgl. 1990b, 10) und Wahl (z.B. Wahl et al. 1983) explizitdie Berücksichtigung von Emotionen (der erforschten Lehrer/innenim Unterricht) vor. Und Wahl kommt auf der Grundlage seiner For-schungen zu dem 'Handeln unter Druck' von pädagogischen Experten(im Unterricht) wie Scheele zu der Konsequenz: "Die emotionalenProzesse

... scheinen untrennbar mit den kognitiven Prozeßabläufenverflochten zu sein

.

"

(Wahl 1991, 145) Nicht zuletzt spricht auchdie oben bereits angeführte Untersuchung von Faller et al. (1991)dafür

,daß die anhand von offenen Interviewverfahren rekonstruierten

Subjektiven Theorien (in diesem Fall Krankheitstheorien) die Emo-

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70 N.

Groeben

tionalität der betroffenen Personen keineswegs ausschließen, sonderneben intensiver einbeziehen als z.B. standardisierte Verfahren (wieFragebogen etc.).Dementsprechend haben auch Scheele et al. (1991) in einer Arbeitüber 'Phänomenologische Aspekte von Dialog-Konsens-Methoden'verdeutlicht, daß die dialogische Erhebungsmethodik bei optima-ler Anwendung gerade auch das 'Sosein' des rekonstruierten Er-lebens (für das Emotionen als paradigmatische Beispiele geltenkönnen) 'abzubilden' gestattet. Sie geben Beispiele für die Einbezie-hung solcher 'Erlebens-Qualia' anhand der Untersuchung von Stössel(1989) über Subjektive Krankheitstheorien (zu entzündlichen Darm-Krankheiten), in der sich diese in der Dialog-Konsens-Methodik ent-haltene phänomenologisehe Ausrichtung des idiographischen Aus-gangspunkts durchaus auch für die in Richtung auf die nomo-thetische Perspektive zusammengefaßten Typen von Subjektiven(Krankheits-)Theorien nachweisen ließ (o.e., 115ff.; s. Stössel &Scheele in diesem Band). Auf der Grundlage ihrer Explikationenund Beispiele argumentieren sie sogar dafür, daß durch die vorgeord-nete Phase der kommunikativen Validierung auch das 'existentielle

Wissen' ('experiental knowledge' nach Heron 1981a; b) in die nomo-thetische, cxplanative Perspektive implementiert wird und so das no-torische Dilemma der empi ri sch-experim enteilen Forschung zwischeninterner und externer Validität einer Lösung näher gebracht werdenkann (o.e., 125flf.).

In ähnlicher Weise muß auch der Reduktionismus-Vorwurf zurück-

gewiesen werden, daß mit der Rekonstruktion Subjektiver Theo-rien und vor allem der anschließenden explanativen Validierung eineunzulässige

'

Objektivierung' des menschlichen Subjekts als 'Gegen-stand'

der Psychologie verbunden sei. Hier geht es also insbeson-dere um die Relation zwischen den beiden oben (1.) beschriebenenPhasen der Forschungsstruktur und die dabei postulierte Überordnungder explanativen Validierung gegenüber der kommunikativen hinsicht-lich der Realitätsadäquanz der Subjektiven Theorien.

Aus der Sicht

einer rein '

qualitativ'-interpretativ vorgehenden Forschungskonzep-

tion wird durch die nach- und übergeordnete Überprüfung der Rea-litätsadäquanz die Eigenständigkeit und Relevanz des vorhergehendenVerstehensprozesses und -produktes weitgehend wieder aufgegeben,

ja letztlich sogar zerstört. Flick (1987b, 256) zitiert diesbezüglichzustimmend Terhart (1981, 778): "

Die Konsequenz hieraus ist not-

Inhalts-Struktur-Trennung als konstantes Dialog-Konsens-Prinzip 71

wendig eine im Wortsinn 'objektivierende', d.h. ihren Gegenstandzum Objekt machende Form der Validierung ursprünglich interpre-tativ gewonnener Aussagen.

"

Was die generelle Erkenntnisrelationangeht, so muß man hier auch unter Rückgriff auf die Menschenbild-annahmen des FST vehementen Widerspruch anmelden. Die ein-gangs erläuterte Parallelität zwischen dem Selbstbild des Erkenntnis-Subjekts und seinem Fremdbild über das -Objekt impliziert ja ganzprinzipiell, daß jede Ericenntnis auch (potentielle) Selbsterkenntnis ist;und die Dialog-Konsens-Methodik setzt diese prinzipielle Möglichkeitin aktuelle Realität um. Auch die Verbindung von kommunikativerund explanativer Validierung impliziert nicht mehr an

'Objektivie-rung

'

, als in dem Bemühen jedes reflexiven (menschlichen) Subjektsenthalten ist, das sich selbst erkennen will und sich daher in seiner

Reflexion selbst zum Gegenstand seines Erkenntnisstrebens macht.Diese jeder Selbst-Reflexion inhärente 'Objektivierung' wird von derum Selbsterkenntnis bemühten Person nicht als Reduktion oder Re-

duktionismus empfunden; deshalb ist es u.E. auch unsinnig, diesenVorwurf gegenüber einer Methodenkombination vorzubringen, in dernichts anderes als eine solche Erkenntnis angestrebt wird, die auchSelbst-Erkenntnis ist oder zu dieser beitragen kann.Wenn die Überordnung der explanativen über die kommunikativeValidierung in bezug auf das Kriterium der Realitätsadäquanz alsein solcher objektivierender Reduktionismus (miß-)verstandcn wird,spricht das aus unserer Sicht eher dafür, daß hier die Relationder 'Überordnung des falsifikationsorientierten Wahrheitskriteriums'überinterpretiert und damit falsch dargestellt wird. Ein Reduktio-nismus läge nämlich nur dann vor, wenn durch die Überordnungeine Ersetzung des einen durch das andere Kriterium stattfände (z.B.des Kriteriums der Rekonstruktionsadäquanz durch das der Rea-litätsadäquanz). Und in der Tat sprechen bestimmte Formulierun-gen bei Flick dafür, daß er das Zwei-Phasen-Modell der Forschungs-struktur von kommunikativer und explanativer Validierung in die-sem Sirme als reduktive Kriterienersetzung versteht - z.B. wenn ergenerell kritisiert: "

Vielmehr wird damit die Eigenständigkeit einerqualitativen Methodologie aufgegeben und zur Beurteilung ihrer Re-sultate auf herkömmliche Kriterien quantifizierender Sozialforschungzurückgegriffen.

"

(Flick 1987b, 257); oder auch: "Ergeben sich Dis-krepanzen, so werden diese einseitig ausgelegt - die vorangegangeneRekonstruktion der Subjektiven Theorie ist damit falsifiziert." (Flick

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72 N.

Groeben

i.D

., 5) Dies ist nun ganz dezidiert durch die Überordnung von ex-planativer Validierung nicht gemeint (und auch nirgends so darge-stellt). Nicht die Rekonstruktion der Subjektiven Theorie als Resultatder kommunikativen Validierung wird potentiell durch eine explana-tive Validierung falsifiziert, sondern einzig und allein die (vom Sub-jektiven Theoretiker mitgemeinte) Realgeltung dieses Kognitionsag-gregats. Es handelt sich eben um zwei eigenständige, nicht aufein-ander reduzierbare Wahrheitskriterien, die allerdings auch zwei un-terschiedliche metatheoretische Zielsetzungen implizieren: Bei derRekonstruktionsadäquanz geht es um das adäquate Verstehen des-sen, was ein jeweiliges Erkenntnis-Objekt (selbst-)mterpretativ alsGründe, Intentionen und Wirkungen seines Handelns beschreibt; beider Realitätsadäquanz handelt es sich um die Frage, ob damit auchUrsachen im Sinne der Realgründe und in der Empirie wirklich ein-tretende Wirkungen bezeichnet sind. Der Nachweis, daß diese Re-algeltung nicht gegeben ist, hebt die Rekonstruktionsadäquanz dervorhergehenden Phase einer kommunikativen Validierung natürlichmitnichten auf. Sie macht allerdings deutlich, daß mit der darin ein-gesetzten Dialog-Konsens-Methodik nur das rekonstruktive Verstehender selbst-interpretativen Beschreibung von Handelnden erreichbar ist,nicht aber auch schon die explanative Validität im Sinne der Hand-lungsleitung dieser Subjektiven Theorien gesichert wird.

Daß das skizzierte Zwei-Phasen-Modell der Forschungsstruktur alsKombination von kommunikativer und explanativer Validierung auseiner Perspektive, die auf

'

rein qualitative' Forschungsmethoden aus-gerichtet ist, notorisch als eine Ersetzungsrelation mißverstanden wird,in der das dialog-konsenstheoretische letztendlich dem falsifikations-theoretischen WahrheiUskritcrium geopfert sei, spricht u.E. eher dafür,daß von dieser 'qualitativen' Richtung her die Aussagekraft von sinn-rekonstruierenden Verstehensmethoden unrealistisch (und zum großenTeil auch unbegründet) überschätzt wird. Dabei wird in Form einerplakativ dichotomisierenden Trennung den

'

qualitativen' (eben sinn-

rekonstruierenden Verstehens-)Methoden die klassische unter demFalsifikationskriterium entwickelte Experimental- und Beobachtungs-methodik als '

quantitative'

Methodik gegenübergestellt. Abgesehendavon, daß diese zwar historisch gewachsene, aber lediglich auf Sym-ptomebene zurückgreifende Benennung der Analysetiefe der Argu-mentation u.E. nicht förderlich ist, geht damit auch - zumindest im-plizit - eine überzogen positive Bewertung der sinn-rekonstruierenden

Inhalts-Struktur-Trennung als konstantes Dialog-Konsens-Prinzip 73

Verstehensmethoden einher. Das kommt z.B. in folgenden kritischenÄußerungen von Flick (1987a, 132f.) gegenüber dem Zwei-Phasen-Modell der kommunikativen und explanativen Validierung zum Aus-druck:"Daß sich die psychologische Forschung mit dem Forschungsprogramm SubjektiveTheorien keineswegs auf dem Weg zu den neuen Ufern einer alternativen Metho-dologie befindet, sondern eher nach einem kleinen Ausflug in die Gefilde der Sub-jektivität schnell wieder zurückkehrt an die vermeintlich rettenden Ufer gewohnterexperimentell-statistischer Methodologie, ..."

"Damit will man dann aber Forschung betreiben, die entsprechend der Kriterien einerals einig und geschlossen mißverstandenen "scientific Community"

durchgeführt,ausgewertet und beurteilt wird.

"

"Hier zeigt sich .... welche Schwierigkeiten die Psychologie noch damit hat, etwaähnlich wie in der Pädagogik oder der Soziologie, qualitative bzw. interpretativeVerfahren als gleichberechtigt und eigenständig neben dem traditionellen Methoden-kanon stehen zu lassen, ohne sie gleich soweit darin zu integrieren, daß ihr originärerCharakter verlorengeht."

Auf das ad-personam-Argument, in dem als Motivation für dasthematische Zwei-Phasen-Modell das Anpassungsstreben gegenüberder herrschenden 'scientific Community' unterstellt wird (desgleichenauch etwa Niemeyer 1987), will ich hier nicht weiter eingehen (vgl.aber zur Bewertung von ad-personam-Argumentcn unter dem Aspektder Argumentationsintegrität: Groeben et al. 1990; Schreier & Groe-ben 1990). Bezeichnend scheint mir, daß hier die sogenannten 'qua-litativen' Methoden anscheinend als Wert an sich gesehen werden,

der nicht durch Verbindung mit traditionellen falsifikationsorientiertenMethoden relativiert werden darf - weswegen jegliche derartige 'Rela-tivierung' gleich als 'Aufhebung' empfunden wird. Demgegenüber istallerdings m.E. mit Nachdruck festzuhalten,

daß Methoden einen Wert

immer nur in bezug auf bestimmte Erkenntnisziele (und damit Wahr-heitskriterien) besitzen können; und hinsichtlich dieser Perspektive(n)gibt das FST für die Dialog-Konsens-Methodik innerhalb der Phaseder kommunikativen Validierung von Subjektiven Theorien ganz ex-plizit und damit auch konstruktiv sowohl Sinn und Funktion als auchMöglichkeiten und Grenzen der Methode an. Dementsprechend be-sitzt die kommunikativ validierte Rekonstruktion Subjektiver Theorienentgegen der Behauptung von Flick (z.

B. i.D., 9) auch durchaus mehr

an Erkenntniswert als nur eine heuristische Funktion für die 'ob-

jektive' (wissenschaftliche) Thcoriemodellierung. Diese heuristischeFunktion weisen Subjektive Theorien natürlich durchaus (auch) auf,

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74 N.

Groeben

aber darüber hinaus enthält die kommunikative Validierung ja unbe-dingt auch eine Beschreibung der subjektiven Reflexionen, Interpreta-tionen, Bedeutungszuschreibungen und Sinnkonzepte der erforschtenPerson. Insofern leistet sie dasjenige, was mit 'rein qualitativen' Ver-fahrensweisen zu erreichen ist - nämlich die Beschreibung subjektiverInterpretationsperspektiven, Sinnsysteme etc. - auf jeden Fall eben-falls. Außerdem kann sie in Verbindung mit der explanativen Validie-rung aber auch noch zur Erklärung dafür beitragen, ob und gegebenen-falls welche - u.U. auch realitätsinadäquate - Reflexionen, Interpreta-tionen etc. zur Erklärung bestimmter Handlungen unverzichtbar sind:wie etwa beim eingangs angeführten Beispiel des Amulett-Tragens,wo u.U. gerade die irrige Überzeugung hinsichtlich der schützendenWirkungen eines Kupferamuletts die entscheidende Antezedensbe-dingung bei der Erklärung des thematischen Handelns darstellt (zurausführlicheren Diskussion von weiteren möglichen Erkenntnisfunk-tionen der Verstehensmethodik innerhalb des Zwei-Phasen-Modells

von kommunikativer und explanativer Validierung s. Groeben 1986b,

381ff.). Auch unter dieser Perspektive ist also darauf zu beharren, daßdas dialog-konsenstheoretische Wahrheitskriterium durch das Zwei-Phasen-Modell der Forschungsstruktur keineswegs aufgegeben bzw.

auf das klassische falsi fikationstheorctisehe Wahrheitskriterium redu-

ziert wird; es wird lediglich nicht mit Ansprüchen (z.B

. der Sicherungvon Realitätsadäquanz) befrachtet, die es nicht zu erfüllen vermag.

Damit ist allerdings keineswegs unterstellt,daß dieses Zwei-Phasen-

Modell der Forschungsstruktur mit der Vor-/Unterordnung des dialog-konsenstheoretischen Wahrheitskriteriums keine offenen Fragen mehrenthält. Ein schwieriges Problem ergibt sich z.B. bei der Verbin-dung der kommunikativen und explanativen Validierung insofern,

als

die kommunikative Forschungsphase vom Ansatz her idiographischausgerichtet ist, während die explanative in der Regel (zumindestakzentuierend) nomothetische Perspektiven realisieren soll. Auchhier kann jedoch von einer 'rückwirkenden' Zerstörung oder Be-einträchtigung der idiographischen Ausrichtung der Dialog-Konsens-Methodik durch die anschließende explanative Phase keine Rede sein;bei adäquater Durchführung (wie im vorigen Punkt dargestellt) impli-ziert die Methodik-Struktur notwendigerweise das intensive Ausgehenvom Einzelfall, d.h. der individuellen Subjektiven Theorie des jewei-ligen konkreten Erkenntnis-Objekts. Gerade diese unreduzierbare und

Inhalts-Struktur-Trennung als konstantes Dialog-Konsens-Prinzip 75

unreduzierte idiographische Ausrichtung der dialog-hermeneutischenForschungsphase führt dann zu dem Folgeproblem der nomothetik-orientierten Zusammenfassung von Subjektiven Theorien, für das vonObliers & Vogel sowie Stössel & Scheele (in diesem Band) ersteLösungsperspektiven entwickelt werden. Damit wird aber lediglichein generell für die psychologische Forschung existierendes Problem(vgl. oben die Diskussion der - z.B. emotionalen - Erlebnis-Qualiaund ihre Beziehung zur Idiographik/Nomothetik) schärfer und expli-ziter deutlich - und damit auch konstruktiver angehbar. Insofern sindaus Sicht des FST die durch das Zwei-Phasen-Modell der Forschungaufgeworfenen Probleme als konstruktive, weiterführende Fragestel-lungen anzusehen, für deren Lösung es zumindest bisher keine ein-deutig besseren Alternativen gibt.

Das soll abschließend noch einmal an der Gegenüberstellung zu jenerKonzeption verdeutlicht werden, die aus der Perspektive der 'rein'qualitativen Forschung als Alternative zur Geltungsprüfung der ex-planativen Validierung vorgeschlagen wird. Denn Flick akzeptiertdurchaus, daß die Geltungsbegründung qualitativer Interpretationenein wichtiges Problem darstellt, gerade auch als ein in-Beziehung-Setzen von Verstehens- und Beobachtungsmethoden, in seiner Termi-nologie (s.o.): von 'qualitativen' und 'quantitativen' Verfahren (vgl.Flick 1991a; b; i.D.). Dafür schlägt er in Nachfolge von Denzin(1978) und Köckeis-Stangl (1980) das Prinzip der "methodologi-schen Triangulation" vor. Darunter ist die Anwendung verschiedenerMethoden in ein und demselben Gegenstandsbereich gemeint (Flick1991b), die als Alternative zu einer wie auch immer gearteten Va-lidierungsstrategie aufzufassen sei (i.D., 7). Dabei geht es darum,ob sich die entsprechenden Ergebnisse der verschiedenen Methoden-zugänge

"

ineinander fügen, sich ergänzen", ohne aber daß sie mit-einander "kongruent sein müssen" (I.e.). Dieses Konzept allerdingskann, zumindest in der bisher ausgearbeiteten Form, m.E. nicht inbezug auf die ursprüngliche Zielsetzung der "Verbindung von qua-litativer und quantitativer Forschung" (Flick o.e., 9), d.h. die Ver-bindung von interpretativen Verstehens- und falsifikationsorienticrtenBeobachtungsverfahren, überzeugen. Denn es gibt dabei im Prin-zip zwei Realisierungsmöglichkeiten: Entweder können die sich (inForm der Triangulation) ergänzenden Verfahren alle von qualitativ-interpretativer Art sein, oder es handelt sich um eine Kombination

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76 N. Groeben

von sogenannten'

qualitativen' und 'quantitativen' Verfahren. Im er-

sten Fall besteht überhaupt kein Unterschied zu der Phase der kom-munikativen Validierung, insofern innerhalb dieser Phase ja durchausdie Kombination von verschiedenen interprelativen Verfahrensweisenangesetzt wird (schon durch die zwei Schritte der Inhaltserhebung undStrukturrekonstruktion, aber auch innerhalb der Inhaltserhebung undderen methodischen Ausdifferenzierung, vgl. die Beispiele oben unterPunkt 2.). Allerdings bleibt das Problem bestehen und - wenn man'

Triangulation' auf die gegenseitige Ergänzung solcher 'qualitativer'Verfahren beschränkt - eben ungelöst, wie durch eine Kombination

von Verstehensverfahren die Geltungsfrage der Realitätsadäquanz desVerstandenen beantwortet werden soll; so gibt auch Flick (i.D., 9ff.)zwar ein Beispiel für die Triangulation 'qualitativer' Verfahren, gehtdabei aber trotz der anfänglichen Problemstellung (der Verbindung zu'

quantitativen'

Methoden) auf die Frage der Realitätsadäquanz garnicht ein. Wenn es also wirklich um das 'Geltungsproblem' (imSinne der Realitätsadäquanz) geht, kann es sich eigentlich nur umdie Triangulation von interpretativen und Beobachtungsmethoden han-deln. In diesem Fall aber ist durch das Konzept der Triangulation diezentrale methodologische Frage völlig unbeantwortet, nämlich was

im Falle einer Nicht-Übereinstimmung zwischen den verschiedenenMethodikansätzen geschehen soll; das heißt, welcher Datenart (je-ner aus der Perspektive der ersten oder der aus der Perspektive derdritten Person) der Vorrang zu geben ist. Im Gegenteil, diese Fragewird nicht nur nicht beantwortet

, sondern auch nicht gestellt, ja siewird sogar als unsinnig abgelehnt, weil "als Ergebnis kein einheitli-ches, sondern eher ein kaleidoskopartiges Bild" (Köckeis-Stangl 1980,

363; bekräftigend aufgenommen bei Flick i.D., 8) zu erwarten sei.Dies allerdings stellt m.

E. keine methodische Systematik mehr dar,

sondern öffnet möglicher Interpretationswillkür Tür und Tor.

Des-

halb ist beim gegenwärtigen Diskussionsstand daran festzuhalten,daß

das Zwei-Phasen-Modell der kommunikativen und explanativen Va-lidierung die konstruktive Erkenntnisfunktion der Verstehensmetho-dik maximal präzise anzugeben vermag, ohne die mit dem impli-zierten dialog-konsenstheoretischen Wahrheitskriterium verbundenenGrenzen zu verleugnen. Diese konzeptuelle Explizitheit und Präzisionkann auf lange Sicht allerdings erst dann als zufriedenstellende Grund-lage der darauf aufbauenden (Dialog-Konsens-)Methodik angesehenwerden, wenn durch entsprechende empirisch-methodologische For-

Inhalts-Struktur-Trennung als konstantes Dialog-Konsens-Prinzip 77

schung die Brauchbarkeit der abgeleiteten Methodikkonzepte nach-weisbar ist.

4<Methodologische Überprüfung/Sicherung undForschungsdesiderata

Da die Entwicklung und Erprobung von Dialog-Konsens-Verfahrenerst ein gutes Jahrzehnt Forschungshistorie umfaßt, ist die methodo-logische Überprüfung daraufhin, ob die damit postulierten Ziele aucherreicht werden, notgedrungen noch recht unvollständig. Das liegtzunächst einmal natürlich daran, daß die berichteten Untersuchungen

(vgl. oben Punkt 2. und Dann in diesem Bande, außerdem vor allemauch Groeben et al. 1988) in erster Linie mit der Ausarbeitung unddem Einsatz dieser Methodik für konkrete theoretische Fragestellun-gen des Forschungsprogramms Subjektive Theorien beschäftigt wa-ren, weswegen methodologische Überprüfungsaspekte bisher notge-drungen nur am Rande 'mitgelaufen' sind. Außerdem gibt es für sol-che metatheoretischen Untersuchungsziele auch noch systematischeProbleme. Dazu gehört sicherlich das oben erwähnte Zielmerkmalder Idiographik; Dialog-Konsens-Methoden setzen notwendigerweisean der subjektiven Welt- und Selbstsicht eines einzelnen Individuumsan und rekonstruieren diese subjektive Sicht in maximal kommuni-kativer Verbindung mit einem ebenfalls je individuellen Erkenntnis-Subjekt. Es kann daher im strengen Sinne auf individuellem Niveaukeine 'Paralleltestungen' geben, was zum einen ein Indikator für diebeschränkte Übertragbarkeit der klassischen methodologischen Be-wertungskriterien Objektivität, Reliabilität und Validität auf das FSTdarstellt (vgl. ausführlich dazu unten Birkhan in diesem Bande), zumanderen aber auch die konkrete Durchführung methodologischer Un-tersuchungsschritte kompliziert. Dadurch redupliziert sich für me-thodologische Forschung zu Dialog-Konsens-Verfahren noch einmaldie im vorherigen Punkt angesprochene Spannung zwischen soge-nannten 'qualitativen

' und 'quantitativen' Methoden: Ist es angemes-sen und rechtfertigbar, das Gelingen eines auf die

'ideale Sprechsi-tuation' ausgerichteten Dialog-Konsenses mit

'harten', standardisier-

ten Erhebungs- oder Beobachtungsmethoden zu überprüfen? Bezie-hungsweise: Sind Untersuchungsteilnehmer/innen, die einmal diesemöglichst kommunikative Forschungsstruktur kennengelernt haben,noch bereit, sich weniger individualisierenden Erhebungsverfahren zu

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78 N. Groeben

unterwerfen? Für dieses Problem gilt sicherlich das oben zur '

Objek-tivierungsfrage' Gesagte, so daß man an dieser Stelle in der Tat aufdas methodologische Konzept der Triangulation von Verfahrensweisenzurückgreifen kann - allerdings mit der Ergänzung, daß die Ergeb-nisse der eher verstehensorientierten Überprüfungsverfahren nicht de-nen standardisierterer Beobachtungsmethoden widersprechen dürfen

.

Unter Berücksichtigung dieser Schwierigkeiten wie Möglichkeitenmethodologischer Untersuchungsbemühungen zur Überprüfung des'

Funktionierens' einer Dialog-Konsens-Methodik sind in den bishe-

rigen Untersuchungen dann allerdings durchaus bereits einige dies-bezügliche Ergebnisse erarbeitet worden

, die zumindest erste Hin-weise in bezug auf die Erfüllung der (selbst-)gesetzten Methodikzielegeben - einschließlich weiterer Anregungen für zu erfüllende For-schungsdesiderata.

Entsprechend der metatheoretischen Konzeption und Begründungder Dialog-Konsens-Verfahren muß für eine methodologischeÜberprüfung natürlich an erster Stelle die Frage interessant und zen-tral sein, ob mit Hilfe dieser Methodik die Approximation an die (kon-trafaktische) ideale Sprechsituation gelingt. Als einen Indikator dafürführt bereits Scheele 1980 an

, daß die Untersuchungsteilnehmer/innenin der Regel am Abschluß der kommunikativen Validierungsphasedeutlich Stolz und Zufriedenheit über das Ergebnis - nämlich diein visualisierter Form vorliegende eigene Subjektive Theorie - zei-

gen. Diese Erfahrung wird praktisch in allen mit Dialog-Konsens-Methoden arbeitenden Untersuchungen berichtet (von Scheele 1980bis Diegritz et al. 1991, 21). Wenn es sich dabei auch um einen ver-gleichsweise indirekten Indikator handelt

, so ist er aus der Sicht vonUntersuchungslcitem/innen

, die über Erfahrungen in weniger kom-munikativ ausgerichteten Erhebungsmethoden verfügen, doch erleb-nismäßig außerordentlich überzeugend, wie es z.B. in dem Fazit vonMutzeck (1988, 355) zum Ausdruck kommt: "Wenn man erlebt

,daß

diese 'beforschten' Menschen sprachlich und mimisch zum Ausdruckbringen, daß sie sich nicht nur ernst genommen fühlten, sondern nochobendrein bekunden, daß die Forschungsarbeit ihnen etwas gebrachthat, so ist das für einen Forscher ein beglückendes Gefühl. Dieseswar für mich eine Kraftquelle, die langwierige und sehr aufwendigeErkundungsstudie bis zum Abschluß konsequent durchzuführen."Zur Objektivierung solcher sehr eindrilcklichen Erfahrungen ha-ben dann einige Untersucher/innen auch eine Befragung der

.-Struktur-Trennung als konstantes Dialog-Konsens-Prinzip 79

Untersuchungsteilnehmerlinnen zum Ablauf der Dialog-Konsens-

Rekonstruktion durchgeführt: nämlich Eckert 1981; Heider & Wasch-

kowski 1982; Bruhn & Höngen 1983. Dabei wurden überwiegend

offene Fragen eingesetzt, wobei die freien Antworten in einem Fall(nämlich Eckert 1981) noch durch ein Expertenrating ausgewertet

wurden. Es ergab sich durchwegs, daß die mit der Methodik ver-bundene Visualisierung von den Untersuchungstcilnehmem/inncn als

hilfreich empfunden wurde (vgl. Heider & Waschkowski 1982,165ff.;Bruhn & Höngen 1983, 169). Die Rating-Auswertung von Eckert be-

zog sich auf folgende zusammenfassenden 4 Kategorien:"(l)Im Gespräch konnte eine gleiche, argumentative Kommunikati-

onsebene verwirklicht werden.

(2) Das Beratungsgeschehen war dem zu Beratenden transparent.

(3) Die Gesprächsatmosphäre war partnerschaftlich und offen.

(4) Die Untersuchung war sinnvoll für den pädagogischen Alltag."

(Eckert 1981, 223)Es resultierten - auf einer Skala von 0 bis 4 - für die genanntenKategorien folgende Mittelwerte: 3.2, 3.6, 3.3, 3.4, woraus Eckertden Schluß zieht, daß die angestrebten Ziele mit der Methode (hierder Heidelberger SLT) verwirklicht werden konnten (1981, 226).Ein ähnliches Rating haben Obliers & Vogel (s.u., in diesem Band) inbezug auf Adäquanz der Rekonstruktion durch die drei Teilschritte:Legevorschlag des Interviewers, eigener Legeversuch und konsensva-lidiertes Strukturbild erhoben. Die Strukturbilder bezogen sich auf dasautobiographische Selbstkonzept (wie unten von Obliers & Vogel dar-

gestellt); dabei wurden die Strukturen der Mikro-, Makro- und Super-

Ebene zusammengefaßt, gern Stielt und nonparametrisch ausgewertet(Friedman-Rangvarianzanalyse bzw. Dunn-Rankin-Test für multipleVergleiche). Die resultierenden Daten, die Abb. 2 (s.u.) zeigt, ver-deutlichen, daß durch den Dialog-Konsens in der Tat ein signifikanterZuwachs an empfundener Rekonstruktioasadäquanz zustande kommt(0 = 'gar nicht'; 7 = 'völlig'); und dies wiederum spricht zumindestindirekt dafür, daß die Approximation an die ideale Sprechsituationgelungen ist und die beabsichtigten Konsequenzen für die (wahrge-nommene) Explizierung und Elaboration der subjektiven Kognitions-strukturen bewirken kann.

In die gleiche Richtung weist das Ergebnis von Heider & Wasch-kowski (1982, 158f.), die in ihrer Nachbefragung zur Rekonstruk-tion von Subjektiven Theorien über Partnerschaft feststellen konnten,

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80 N.

Grocbcn

Abb. 2: Einschätzung der Rekonstruktionsadäquanz (RK) (nach Obliers & Vogel)

0 - 1

0 - 1

2

2

1.Ich fühle mich in der

erstellten Rekonstruktion 0 - 1 - 2 -

adäquat abgebildet.

2. Ich kann sagen, das bin ich.

3.Ich halte die Rekonstruktion

für abgeschlossen.

4.Ich fühle mich in der

subjektiven Einschätzung 0 - 1 - 2 -der Rekonstruktion sicher.

Selbstkonstruiertes SLT-Modell:

Fremdkonstruiertes SLT-Modell:

Konsensvalidiertes SLT-Modell:

- 7

- 7

- 7

- 7

xx = .01

x = .05

daß 10 von 16 Vptn sich entweder mit dem Konzept noch weiter(kognitiv) beschäftigten oder aber im Gespräch mit dem jeweiligen(Lebens-)Partner auseinandersetzen wollten.

Einen stärker quantitativen Indikator für das Gelingen der idealenSprechsituation kann man darin sehen, daß die Rekonstruktionsvor-schläge des jeweiligen Erkenntnis-Subjekts im Dialog-Konsens nochabgeändert werden; bei jenen Untersuchungen, in denen getrennteLegeversuche von Erkenntnis-Subjekt und -Objekt durchgeführt wur-den, wird dieses Phänomen auch durchwegs berichtet (ebenfalls seitder ersten Untersuchung von Scheele 1980, 22ff. bis zu Buchholtz1991, 143). Eine auch quantitative Erhebung und Darstellung der vor-genommenen Veränderungen teilen Eckert (1981, 188-212), Mutzeck(1988, 207ff.) und Schmid-Furstoss (1990, 75ff.) mit. Die Ergeb-nisse sind weitgehend übereinstimmend und entsprechen denjenigen,die Schmid-Furstoss ermittelt hat, wobei sie in dieser Untersuchungin bezug auf die Realisierung der idealen Sprechsituation besondersaussagekräftig sein dürften, weil es sich bei den Untersuchungspart-nerinnen um Seniorinnen gehandelt hat, für die sicher eine höhere

Inhalts-Struktur-Trennung als konstantes Dialog-Konsens-Prinzip 81

Tab. 1: Vergleich der Mittelwerte und Streuung von Konzepten und Relationen zwi-schen den rekonstruierten Theorien der Interviewer und den konsensvalidier-

ten Subjektiven Theorien (n. Schmid-Furstoss 1990, 96)

Gruppe I Gruppe 2 Gruppe 3

Anzahl

gleicher Konzepte52 (19.1) 52.6 (12.2) 49.8 (14.8)

Anzahl

ungleicher Konzepte3 (1.5) 3

.4 (1.3) 2.5 (1.4)

mehr Konzeptedes Interviewers

. 4.5 (4.1) 6.4 (8.4) 1

.6 (1.2)

mehr Konzeptein der Konsensfassung

4.6 (4.7) 4

.3 (3.7) 3.2 (3.2)

prozentualeKonzeptübereinstimmung

90% (7.1) 87% (8.3) 93% (5.1)

Anzahl

gleicher Relationen34 (12.6) 38 (9.4) 36.3 (9.5)

Anzahl

ungleicher Relationen4 (1.1) 3

.5 (1.5) 2.4 (1.2)

mehr Relationen

des Interviewers4

.1 (2.3) 4.1 (3) 1

.7 (2)

mehr Relationen

in der Konsensfassung5

.2 (4) 3.5 (3.2) 2

.2 (2.3)

prozentualeRclationsübereinstimmung

84.5% (7.1) 87.1% (6.5) 91.2% (7.8)

Suggestibilität gegenüber Vorschlägen von wissenschaftlichen Unter-suchungsleitem/innen anzusetzen ist als bei den in den beiden anderenStudien untersuchten Teilnehmergruppen (Lehrcr/innen bei Mutzeckund Erzieher/innen bei Eckert). Die Ergebnisse von Schmid-Furstosszeigt Tabelle 1.

Daraus läßt sich mit Schmid-Furstoss ableiten, daß 'überwiegend in

der Interviewerfassung und in der Konsensfassung die gleichen Kon-zepte verwendet werden. Sich widersprechende (ungleiche) Aussa-gen sind selten. Zwischen durchschnittlich 1.6 und 6.4 Aussagendes Interviewers werden pro Gruppe nicht in die Konsensfassungübernommen; zwischen 3

.2 und 4.6 nicht zuvor genannte Aussagenpro Gruppe werden ergänzt. Die hohen Standardabweichungen wei-

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82 N. Groeben

scn auf große interindividuelle Unterschiede hin.' Schmid-Furstoss

wertet "diese Ergebnisse als einen Hinweis für eine emsthafte Aus-einandersetzung des Interviewten mit der Thematik .... in der nicht dieperzipierte Sicht des Interviewers unhinterfragt übernommen wurde.Diese Interpretation wird durch die Unterschiede in den verwendetenRelationen zusätzlich gestützt. Im Durchschnitt unterscheiden sich12.4 Prozent der verwendeten Relationen über alle Gruppen; bei kei-ner Person stimmen die verwendeten Relationen mit der Interviewer-

fassung völlig überein." (1990, 97)

Nach den bisher vorliegenden Ergebnissen kann daher die Kon-sequenz gezogen werden, daß die entwickelten Dialog-Konsens-Methoden mit der oben (Punkt 1. und 2.) skizzierten Forschungs-struktur die Approximation an die ideale Sprechsituation erstaunlichgut realisieren können; allerdings bleibt es eine Aufgabe für weiter-gehende methodologische Forschung, die konkreten kognitiven, mo-tivationalen und vor allem auch emotionalen Vorgänge, die bei denTeilnehmern/innen einer solchen kommunikativen Validierungsphaseablaufen und die für die bisher schon gesicherten positiven Effekteverantwortlich sind, konkreter aufzuklären.

Einen ersten diesbezüglichen Ansatzpunkt haben z.B. Scheele &Groeben (1986) in bezug auf potentielle kognitive Überforderungender Untersuchungsteilnehmer/innen durch den quantitativen Umfangder in eine Theorie-Rekonstruktion einbezogenen Konzepte gegeben.Bei ihrer (allerdings 'monologisch', d.h. ohne Dialog-Konsens-Schrittverfahrenden) Untersuchung (über Subjektive Utopie-Theorien undderen Beeinflussung durch Belletristik) ergab sich, daß die Fehlerder Erkenntnis-Objekte bei ihrem eigenen Legeversuch in bezug aufdie korrekte Befolgung des Regel-Leitfadens (der Formalrelationender SLT) ab einer Anzahl von 50 Konzeptkärtchen (pro individuellerSubjektiver Theorie) deutlich zunahm. Es ist also darauf zu achten,daß man mit einem komplexen Regelsystem nicht eine zu differen-zierte Subjektive Theorie zu rekonstruieren verbucht (z.B. eine solchegroßer Reichweite mit einem Verfahren, das nur auf Aggregationenmittlerer oder kurzer Reichweite ausgelegt ist).

In einer umfassenden methodologischen Forschung zu Dialog-Konsens-Verfahren gilt es natürlich auch, die einzelnen methodischenSchritte bzw. Aspekte zu überprüfen, die zu diesen positiven Erffek-ten der approximativen Realisierung idealer Kommunikation führen.

Inhalts-Struktur-Trennung als konstantes Dialog-Konsens-Prinzip 83

Dazu zählt sicher nicht zuletzt die schon mehrfach angesprochene Re-konstruktionsdynamik, die in der oben explizierten Methodik-Strukturenthalten und bewußt eingebaut ist. Diese Dynamik dürfte am bestendurch den Vergleich mit anderen relativ freien als auch eher standardi-sierten (wissensorientierten) Erhebungsverfahren aufzuklären sein; einBeispiel für solche vergleichenden Verfahrensuntersuchungen stelltdie schon berichtete (vgl. oben Punkt 2.) Studie von Faller et al.(1991) dar, in der sich besonders die umfassendere Erlebensrekon-struktion bei Interview-Erhebung im Vergleich zum Fragebogenver-fahren herausgestellt hat. In bezug auf die Struktur-Rekonstruktionbesteht, wie ebenfalls schon angesprochen, der prinzipielle (und daherauch empirisch nicht zu '

überprüfende') Vorteil der Dialog-Konsens-Methodik darin, daß hier das Erkenntnis-Objekt selbst die Art der Re-lationen mit festlegt, indem es die für sein Kognitionsaggregat geeig-netsten aus einem Pool vorgelegter Relationsmöglichkeiten auswählt.

Hier ergibt sich natürlich die Frage, inwiefern diese Darstellungs-und Relationsregeln, die in dem jeweiligen Struktur-Lege-Leitfadeneiner Dialog-Konsens-Methodik vorgegeben werden, auch den "Vor-stellungen von

'

Alltagstheoretikem' entsprechen" (Tergan 1986, 85;Ballstaedt & Mandl 1985). Pragmatisch gesprochen wird diese Ent-sprechung zumindest insofern ex negativo erreicht, als das jeweiligeErkenntnis-Objekt jene Relationen, die es als nicht adäquat bzw. nichtbrauchbar ansieht, vernachlässigen kann (was auf jeden Fall eine sehrviel weitergehende Berücksichtigung dieses Problems bedeutet,

als

das für klassische Strukturmodellierungen durch rein forscherseitigeAuswertung über multidimensionale Skalierung, Grid- oder Graphen-systeme etc. gilt; s.o. Punkt 2.). Allerdings ist damit das Problem ver-bunden, ob die z.B. im wissenschaftlichen Denken weniger geübtenUntersuchungsteilnehmer/innen durch ein entsprechendes Regelwerkund dessen Studium auch "zu einem hinreichenden Verständnis der

dort beschriebenen Relationsarten und deren kompetente Anwendungim Strukturlege-Versuch befähigt werden" (Tergan 1986, 98). Dienaheliegendste Möglichkeit zur Sicherung dieser 'Befähigung' wäre,

sie direkt (z.B

. innerhalb des jeweiligen Struktur-Legc-Leitfadens)durch Vorgabe entsprechender Aufgaben zu überprüfen. Allerdingsbeeinträchtigt eine solche Überprüfungsversion sicherlich die Ziclvor-

stcllung einer möglichst symmetrischen Subjekt-Objekt-Relation, weil

hier das Erkenntnis-Subjekt doch relativ stark als mit größerer Kompe-tenz ausgestattet erscheint und vor allem auch das Erkenntnis-Objekt

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84 N. Groeben

(hinsichtlich dessen Kompetenz) bewertet. Wenn man eine solcheKompetenzüberprüfung in den Struktur-Lege-Lcitfaden einbaut, solltealso andererseits wieder etwas zur Kompensierung der motivational-interaktionalen Belastung getan werden. Für mein Gefühl optimalgelöst hat diesen Konflikt Sohns (1991), der bisher auch der ein-zige ist, der eine direkte Überprüfung der '

Befähigung zur kompe-tenten Anwendung der Struktur-Relationen' vorgenommen hat - undzwar im Rahmen einer modifizierten ILKHA-Version. Dabei sind

an zwei Stellen Aufgaben zur (aktiven) Reproduktion von Struktur-Relationen vorgegeben, deren Korrektheit die Untersuchungsteilneh-mer (männliche Alkoholiker) selbst überprüfen konnten (s.u. Abb. 3.).

Die eventuell entstehenden motivationalen Belastungen wurden indiesem Fall durch kleine Cartoons aufgefangen, von denen Abb. 4(s.u.) das letzte zeigt, das zumindest bei der thematischen Untersu-chungsstichprobe gut gewirkt haben muß (da Sohns berichtet, daßdie meisten Teilnehmer sich nicht überfordert fühlten und auch ei-

nen selbständigen Legeversuch ihrer Subjektiven Theorie-Strukturdurchführten: 1991, 91).

In dieser Frage ist sicherlich noch einiges an methodologischen For-schungsbemühungen zu leisten, wobei man allerdings vorab bereitsdarauf hinweisen kann, daß vom FST von Anfang an eine Adap-tation existierender Dialog-Konsens-Verfahren an bestimmte Perso-nengruppen einschließlich der Neuentwicklung weiterer Rekonstruk-tionsverfahren in Richtung auf spezifische Personenvoraussetzungenvorgesehen und gefordert worden ist (von spezifischen, auf die Un-tersuchungsstichprobe bzw. -fragestcllung ausgerichteten Beispielge-bungen bis zu den oben (Punkt 2.) angesprochenen Komprimierungendes Regelwerks; vgl. im einzelnen Burgert in diesem Bande). Die-ser Anspruch, Dialog-Konsens-Verfahren für Untersuchungspopula-tionen mit sehr unterschiedlichen Kompetenzvoraussetzungen zu ent-wickeln, ist einer der Gründe für die im vorherigen Punkt festgehal-tene Offenheit gegenüber existierenden Gedächtnismodellen etc.; eineManifestation derartiger Offenheit stellt auch die alltagssprachlichc,

flexible Adaptationsversion dar, die Scheele et al. (in diesem Band)vorlegen. Darüber hinaus ist allerdings (mit Groeben 1986b,

199ff.

und Mutzeck 1988, 353; vgl. auch Kroath 1987, 75) auf jeden Fallauch zu fordern, daß sich die Dialog-Konsens-Methodik nicht auf ver-bale Repräsentations- und Rekonstruktionsformen beschränken darf,

[-Struktur-Trennung als konstantes Dialog-Konsens-Prinzip 85

Abb 3: Kontrollaufgaben zu Kap. 1 aus Sohns 1991, A 34

""j itfröllaufgaben zu Kapitel 11 Bitte zeichnen Sie die

bildhafte Darstellung für:

Kontrolle unter

a) Verhalten mit Ziel Punkt 1.4./Seite 4

b) Verhalten ohne Ziel Punkt 1.4./Seite 4

c) Entscheidungsbedingung Punkt 1.2./Seite 2 u. 3

d) Ausgangssituation Punkt 1.1./Seite 2

2. Wohin werden die Ergebniskärtchen

gelegt?

Punkt 1.5./Seite 5 u. 6

3. Wohin werden die Folgekärtchen

gelegt?

Punkt 1.6./Seite 7

4. Was bedeutet das Symbol

vor den Folgekärtchen?

Punkt 1.6./Seite 7

5. Welche Bedeutung haben die SymboleAundA?

Punkt 1.1./Seite 2 undPunkt 1.4 ./Seite 4

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86 N. Groeben

Abb. 4: Teil 'Allgemeine Richtlinien zum Legen des Bildes' nach Sohns 1991, A 40

4. Allgemeine Richtlinien zum Legen des Bildes

i

Wenn jetzt nicht bald Schluß istmit der Lernerei, passiert was!!!

4.1

. Richtung

Das Bild wird von links nach rechts gelegt und folgt dabei dem zeitlichenVerlauf des Geschehens.

4.2

. Eindeutigkeit

Von einer Verhaltensweise und von einer Bedingungsausprägung dürfen nichtmehrere Pfade ausgehen.

Beispiel für eine falsche Anordnung

+

Entscheidungs-bedingung

r

Veriialtenfrisch!

sondern auch sprachunabhängige Rekonstruktionsmöglichkeiten ein-beziehen sollte.

Für alle eingesetzten (und auch noch zu entwickelnden) Rekonstruk-tionssysteme wird es unter methodologischer Perspektive dann aller-dings auch darauf ankommen, daß man die resultierende Formalstruk-

tur in bezug auf bestimmte formal-strukturelle Merkmale beschreibt,

um damit vergleichende Untersuchungen durchführen zu können (vgl.

Inhalts-Struktur-Trennung ajs konstantes Dialog-Konsens-Prinzip 87

Paetsch & Birkhan 1987, 81). Bonato hat in Anlehnung an Whitefür eine solche Beschreibung folgende Dimensionen zusammenge-stellt (und in seiner Untersuchung zur 'Wissensstrukturierung mittelsStruktur-Lcge-Techniken

'

abzubilden versucht; vgl. 1990, 50f.): Um-fang; Präzision; interne Konsistenz; Realitätstreue; Verschiedenheitder Typen der Wissenselemente; Verschiedenheit von Themen; Ge-stalt; Verhältnis interner vs. externer Assoziationen etc.. Dabei hat

er die resultierenden Wissensstrukturen graphentheoretisch modelliertund vor allem in Richtung auf die Ericundungs-Frage ausgewertet,ob es bestimmte

'

Wissensnetztypen' gibt, die von bestimmten Per-sonenvariablen aus bevorzugt werden; als zentrale Variable wurdedabei der kognitive Stil hinsichtlich Verbalisierungs- vs. Visualisie-rungspräferenz überprüft, um unter Rückgriff auf diese Dimensiondie Frage zu beantworten: "Für welche Personen sind die Struktur-Lege-Techniken am ehesten geeignet, ihr Wissen mitzuteilen?" (o.e.,75). Als Ergebnis ist festzuhalten, daß sich zwar 4 verschiedene Wis-sensnetztypen herausarbeiten ließen, in bczug auf die Rückbindungan die Verbalizer-/Visualizer-Dimension ergaben sich aber keine ein-deutigen (überzufälligen) Zusammenhänge. Wenn auch die Unter-suchung für Dialog-Konsens-Verfahren nicht optimal aussagekräftigist, weil sie im Unterschied zu diesen nur mit unbenannten (graphen-theoretischen) Kanten (Relationen) gearbeitet hat, sprechen die vor-liegenden Ergebnisse bisher doch dafür, daß zumindestens hinsicht-lich der kognitiven Stildimension Visualisierung vs. Verbalisierungdas Prinzip der Struktur-Lege-Technik vergleichsweise breit einsetz-bar ist, vermutlich weil es sowohl ein eigenes Sprachsystem als aucheine Visualisierungsaufgabe darstellt und daher für beide Präferenzenkonstruktive Ansatzpunkte bietet (vgl. Bonato 1990, 146). Aller-dings müssen vergleichbare Untersuchungen natürlich auch noch denpotentiellen Einfluß anderer kognitiver, motivationaler und emotio-naler Kompetenzen bzw. Voraussetzungen auf seilen der Untcrsu-chungsteilnehmer/innen überprüfen. Das gleiche gilt für die Unter-suchung von Konstanz bzw. Veränderung Subjektiver Theorien undden Einfluß der unter Punkt 2. besprochenen Differenzierungen bzw.

Komprimierungen der Erhebungsmethodik,für die bisher noch keine

methodologischen Überprüfungen vorliegen.Neben den inhaltlich-

empirischen Forschungsdesiderata ist mit diesen Frageperspektivenauch das grundlegende Problem der für Dialog-Konsens-Methodenbzw. das FST generell adäquaten Gütekriterien verbunden (das unten

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88 N. Grocbcn

in einer speziellen Diskussion abgehandelt wird: Birkhan in diesemBande).

Eine wichtige Forschungsperspektive für die methodologische Ana-lyse der Dialog-Konsens-Verfahren wird sicherlich auch der Einflußdes Erkenntnis-Subjekts auf die jeweiligen Rekonstruktionen darstel-len; und zwar schon deshalb, weil die .Zielperspektive der 'idea-len Sprechsituation' noch mehr als alle anderen verstehensorienticr-ten Verfahren (vgl. Bergold & Breuer 1987, 40f.) den 'reflektiertenEinsatz personaler (kommunikativer) Kompetenzen' des Erkenntnis-Subjekts postuliert. Damit schließt sich der Kreis zu den eingangsthematisierten Aspekten einer möglichst optimalen Kommunikation,zugleich aber auch in bezug auf die angesprochenen Schwierigkeiten,daß an den endgültig 'beschlossenen' Konsens-Bildern der jeweiligenRekonstruktionen der Einfluß des Erkenntnis-Subjekts nicht mehr ein-deutig separierbar ist, weil diese Konsens-Strukturen ja eben eine un-auflösbar gemeinsame Leistung von Erkenntnis-Objekt und -Subjektdarstellen. Allerdings ist Schmid-Furstoss (1990, 53) zuzustimmen,daß eine Intersubjektivitätsprüfung auf jeden Fall möglich ist, wennman verschiedene z.B. Interviewer-Rekonstruktionsvorschläge für einund dasselbe Interview legen läßt. Bei einem auf diese Weise vorge-henden Vergleich von Bruhn & Höngen (1983, 170f.) zeigte sichin der Tat, daß es systematische Unterschiede zwischen verschie-denen 'Versuchsleitem' sowohl in bezug auf die Formulierung derKonzeptkärtchen als auch hinsichtlich des Legens von Teilstruktu-ren gab. Damit ist allerdings noch nicht geklärt, ob und gegebe-nenfalls wie sich solche Unterschiede der Rekonstruktionsvorsehl äge(des Erkenntnis-Subjekts) auf die resultierenden Konsens-Bilder aus-wirken. Zwar haben Bielen & Kamph (1987) auch die Unterschiedezwischen den Konsens-Strukturen bei zwei verschiedenen Erkenntnis-

Subjekten überprüft und relevante Unterschiede festgestellt, doch warhier die Personenvariable auch mit deutlich unterschiedlichen Vorge-hensweisen konfundiert (z.B. im einen Fall mit eigenständigen Le-geversuch des Erkenntnis-Objekts, im anderen Fall ohne); außerdemberichten Paetsch & Birkhan (1987, 81) über einen ähnlichen Ver-gleich, daß die "

Ergebnisse der SLT ... invariant gegenüber der Persondes Versuchsleiters" sind. Eine endgültige Klärung wird hier sicher-lich nur möglich sein, wenn man auch komplexere Versuchsanlagen(z.B. mit gematchten Paaren von Erkenntnis-Objekten und bewußt

Inhalts-Struktur-Trennung als konstantes Dialog-Konsens-Prinzip 89

variiertem kommunikativem Handeln der Erkenntnis-Subjekte) ein-setzt. Entsprechend den Kemannahmen des FST allerdings wird dieVerbindung mit der eingangs thematisierten Perspektive der Realisie-rung von idealen Sprechsituationen sehr viel wichtiger sein, d.h. dieFrage, ob durch eine entsprechende Schulung von Untersuchungs-leitem/mnen der Einfluß der unterschiedlichen Kompetenzen vonErkenntnis-Subjekten zugunsten einer möglichst optimalen Approxi-mation an die ideale Sprechsituation verringert werden kann. Dabeistellt dies nur eine der Frageperspektiven im Bereich der Wechselwir-kung zwischen den besprochenen Durchführungs- und Zielaspekten derPialog-Konsens-Methodik dar, die für eine umfassende methodologi-sche Analyse ausdifferenziert und überprüft werden muß.