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Technisches, ökonomisches und

ethisches Argumentieren

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Technisches, ökonomisches und ethisches Argumentieren

Literaturliste H. Tetens, Philosophisches Argumentieren, München 2004 (f. den Kurs besonders empfohlen) St. Toulmin, Der Gebrauch der Argumente, Frankfurt 1975 (Klassiker) A. Grunwald/Y. Julliard, Technik als Reflexionsbegriff - Überlegungen zur semantischen

Struktur des Redens über Technik, in: Philosophia Naturalis 42(2005), 127 - 157 (f. den Kurs besonders empfohlen)

P. Fischer, Philosophie der Technik, München 2004 (Einführung) Th. Zoglauer (Hrsg.), Technikphilosophie. Texte, Freiburg 2002 (Texte von Aristoteles bis

Heidegger) K. Kornwachs (Hrsg.), Technik - System - Verantwortung, Münster 2004 (Beiträge zur

Technikphilosophie aus dem dt. Sprachraum) A. Gethmann-Siefert/C. F. Gethmann (Hrsg.), Philosophie und Technik, München 2000 (Texte

zur Technik-Ethik und Technikfolgenabschätzung) H. Lenk/G. Ropohl (Hrsg.), Technik und Ethik, Stuttgart 1993² (Texte zur Technik-Ethik) J. Nida-Rümelin (Hrsg.), Praktische Rationalität, Berlin 1994 (s. Aufsätze v. Nida-Rümelin,

Kohler, Koller) J. Nida-Rümelin (Hrsg.), Angewandte Ethik, Stuttgart 1996 (s. Aufsätze v. Ott, Nida-Rümelin) R. Kötter, Distributive Gerechtigkeit und Wohlfahrt, in: Jb. f. Ökonomie und Gesellschaft

2(1984), 67 - 105 (Review-Artikel) R. Kötter, Wachstum, Evolution und Entwicklung. Wissenschaftstheoretische Überlegungen,

in: N. C. Karafyllis (Hrsg.), Biofakte, Paderborn 2003 (zum Erklärungsbegriff)

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A Allgemeine Elemente der Argumentationstheorie

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1. Was bedeutet argumentieren?a. Wer argumentiert, redet; aber nicht

jeder, der redet, argumentiertb. Argumentieren ist eine bestimmte

Art des Redens, durch welche man andere überzeugen, nicht verleiten will, Behauptungen zu akzeptieren, Aufforderungen zu befolgen oder Werturteile zu teilen (Unterschied zur Rhetorik).

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2. Das Besondere am Argumentieren

a. Argumentieren hat eine bestimmte theoretische Form: Eine Behauptung (Aufforderung, Wertung) wird durch ein logisches Schlussverfahren aus Prämissen abgeleitet.

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b. Argumentieren hat eine bestimmte pragmatische Funktion: Zustimmung soll durch Überzeugung erreicht werden. Dazu müssen die Gesprächspartner die Prämissen und das Schlussverfahren verstehen und akzeptieren.

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Argumente sind Elemente in einem Schlussverfahren, durch das Überzeugungsarbeit geleistet werden soll.

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3. Argumentationsformena. Allgemeine formale Struktur: Für

eine Behauptung wird argumentiert, wenn sie als Konklusion aus gültigen Prämissen unter Anwendung akzeptierter Schlussregeln abgeleitet werden kann.

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Wenn p1, …,pn, dann q p1, …,pn sind der Fall

Also ist q der Fall

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A ist wahr Aus A und T folgt

K

Wenn T wahr, dann auch K wahr

(Annahmebeseitigung)

A ist wahr Aus A und T folgt K

Wenn K falsch, dann auch T falsch

(Annahmewiderlegung)

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b. Was sind "gültige" Prämissen? Zunächst Aussagen, die als "wahr" gelten; dann Satzschemata, Verknüpfungs- und Belegungsregeln.

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Beispiel MathematikIn der Mathematik haben wir den Beweis als spezifisches Argumentationsverfahren. Gültige Prämissen eines Beweises können sein: Axiome einer Theorie Zugehörige Operationsregeln Beweisschemata Schon bewiesene Sätze

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Beispiel PhysikIm Gegensatz zur Mathematik ist das Argumentationsverfahren in der Physik zweistufig: Theoretische Ableitung + empirischer Nachweis. Zu den gültigen Prämissen einer theoretischen Ableitung können gehören: Theoretische Strukturen Modelle (Naturgesetze) Deskriptive Sätze (Messungen,

Beobachtungen)

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4. Was wird in einer konkreten Argumentation ausführlich erörtert?

Selten die Schlussregeln Fast immer die Prämissen;

zumindest einige von ihnen müssen selbst wieder argumentativ gesichert werden.

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Prämissen können entweder nicht verstanden (Nachfrage) oder in ihrem Anspruch bezweifelt

werden.

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Im ersten Fall brauchen wir eine erklärende Argumentation. Für unser Thema sind insbesondere Funktional- und Kausalerklärungen von Interesse ( Technisches und ökonomisches Argumentieren).

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Im zweiten Fall muss man Gegenargumenten begegnen, z.B. durch Argumentation im erläuterten Sinne, Berufung auf eigene Wahrnehmung,

Beobachtung oder Experiment, Berufung auf Zeugen oder Experten.

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5. Argumentation und Wahrscheinlichkeitsbehauptungen (Toulmin)

a. Objektiv bedeuten W-Aussagen die Quantifizierung von Möglichkeitsaussagen. Gründe für W-Aussagen:

Wir haben ein Kausalwissen, aber kein vollständiges Wissen über Parameter- und Anfangswerte

Wir haben kein Kausalwissen, nur deskriptive Zusammenhänge.

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b. Subjektiv bedeuten W-Aussagen eine Bewertung von Erwartungen: Mit Berufung auf eine W-Aussage begründe ich meine Erwartung, dass in einem geg. Kollektiv sich eher das Merkmal a als das Merkmal b finden wird, bzw. eher Ereignisse der Art a als solche der Art b eintreten werden.

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c. Der Anspruch von W-Aussagen ist schwächer als der von deterministischen Aussagen, was nicht bedeutet, dass der Begründungsaufwand geringer wäre (ist idR sogar höher).

d. W-Aussagen beziehen sich auf Kollektive, W-Aussagen für Einzelereignisse sind unsinnig (können manchmal rekonstruiert werden als verkappte Aussagen über Kollektive oder als Beweislastregeln).

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6. Ethik des Argumentierens (Tetens) Gebot der Verständlichkeit Gebot der Wahrhaftigkeit Gebot der Transsubjektivität

(Argumentation muss fair, offen und ohne Ansehen der Person erfolgen)

Gebot der Orientierung an den Ergebnissen einer ernsthaften Diskussion

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B Technisches Argumentieren

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"Technik" als Reflexionsbegriff1. Wissenschaftliche Termini werden im Rahmen eines

disziplinären Forschungsprogramms festgelegt; ihre Bedeutung ist weitgehend kontextunabhängig.

2. Wenn wir über Theorien, Disziplinen, Wissenschaften, kulturelle Zusammenhänge reden, brauchen wir eine Sprache, die in den genannten Bereichen selbst nicht bereit gestellt wird. In diesem Sinne ist "Technik" ein Wort, das wir benutzen, wenn wir über eine bestimmte Praxis, über Disziplinen oder Einrichtungen sprechen. Reflexionsbegriff

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3.Reflexionen können in unterschiedliche Richtungen unternommen werden. So kann man einen Gegenstand, eine Handlung, Handlungszusammenhänge oder Institutionen in ethischer, ökonomischer, politischer oder ästhetischer Hinsicht reflektieren. Mit der Reflexion werden einem Gegenstand nicht besondere Merkmale zugesprochen, vielmehr werden bestimmte Merkmale als für den Beurteilungskontext relevant ausgezeichnet.

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4. Will man "Technik" als Reflexionsbegriff einführen, muss man zweierlei zeigen:a. Der Begriff leistet eine klare Unterscheidung, d.h. man kann mit seiner Hilfe eine technische Reflexion von einer ethischen oder ökonomischen usw. Reflexion trennen.b. Der Begriff ist "anschlussfähig", d.h. er nimmt Elemente auf, die in den üblichen Sprachgebräuchen verwendet werden.

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5. Technische Argumentation und Zweck-Mittel-Rationalität

Ausgangs-zustand (A)

Mittel (M) Zweck/Ziel (Z)

Beschreibung Verknüpfungen Beschreibung

Handlungen Gegenstände

ErlernenAusführen

HerstellenEinsetzen

Organisieren, Verfahren

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Der Begriff "Rationalität" verweist auf eine spezifische Argumentationsform:

Es wird behauptet, dass ausgehend von A der Zustand Z durch Einsatz von M erreicht wird.

Dazu ist zu zeigen, dass - unter der Prämisse, A ist der Fall und Z ist nach

unserem Wissen möglich,- die Mittel m1, …, mn zwecktauglich sind

(Funktionalität) und- ihr Einsatz zu Z führt (Kausalität).Diese Argumentation impliziert die

Reproduzierbarkeit einer technischen Problemlösung.

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Für eine technik-/ingenieurwissenschaftliche Argumentation (technische Argumentation i.e.S.) ist der Aufweis der Machbarkeit einer technischen Problemlösung notwendige Bedingung.

Darüber hinaus ist aber noch der Nachweis der Effektivität der Problemlösung erforderlich, d.h. es muss gezeigt werden, dass das Ziel optimal relativ zu physischen, ökonomischen und sonstigen Randbedingungen erreicht wird.

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6. Eine technische Argumentation zeigt, dass eine Problemlösung- machbar (notwendige Bedingung) und- effektiv (hinreichende Bedingung) ist.

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C Ökonomische Argumentation

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Zweck-Mittel-Rationalität

Technische Rationalität

(Effektivität)

Ökonomische Rationalität

(Effizienz)

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1 Nutzen, Präferenzordnung

„Nutzen” wird häufig als zweistelliger Relatorgebraucht, der die Tauglichkeit (Gebrauchsfähigkeit)eines Dinges für die Zwecke eines Menschen zumAusdruck bringt. In einer Entscheidungssituationmuss ein Akteur a unter den für einen bestimmtenZweck tauglichen Gütern auswählen und dazu musser diese erst in eine Ordnung bringen, die seinenEinschätzungen genügt. Er definiert damit auf derMenge M der tauglichen Dinge eineOrdnungsrelation, also eine dreistellige Relation, z.B.:x a y (a hält x für mindestens so nützlich wie y)oder x a y (a hält x für nützlicher als y).

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Üblicher Weise werden an eine Präferenzordnung ša die folgenden Anforderungen gestellt:

xM x ša x (Reflexivität, gilt bei der strengen Ordnungsrelation ™a nicht!)

x,yM x ša y y ša x (Vollständigkeit)

x,y,zM x ša y y ša z x ša z (Transitivität)

Aus Vereinfachungsgründen wird in der Literatur der Bezug auf den beurteilenden Akteur häufig weggelassen („š” anstelle von ša).

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2 Individuelle EffizienzEine individuelle ökonomische Entscheidung heißt effizient,

wenn sie bei gegebenen Handlungsbeschränkungen aus der Menge der Handlungsalternativen diejenige mit dem größten Nettonutzen bestimmt.

Sei M die Menge der Handlungsalternativen x, e(x) der Ertrag der Handlungsalternative x, k(x) der Aufwand, der für die Realisierung von x erforderlich ist, u die Nutzenfunktion bzw. Präferenzordnung auf M und c(x) < A die der Entscheidung zuzuordnende Handlungsbeschränkung.

Dann gilt für individuelle Effizienz:

u = max u[e(x) – k(x)] bei g(x) < A.

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3 Pareto-Effizienz (Gesellschaftliche Effizienz)

Unter einem „pareto-optimalen” Zustand versteht man einen Zustand, in dem kein Mitglied einer Gemeinschaft durch Umverteilung besser gestellt werden kann, ohne dass ein anderes sich dadurch absolut verschlechtert.

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Beispiel: - Jeder hat bisher einen Apfel - 1 Apfel kommt hinzu - der Apfel wird von einer Person genommen, die nun 2 Äpfel hat - diese Person hat sich dadurch verbessert, ohne dass sich die anderen

absolut verschlechtert haben, denn sie haben nach wie vor je einen Apfel - damit war der vorherige Zustand nicht pareto-optimal, da sich einer

besser stellen konnte, ohne dass sich dadurch ein anderer verschlechtert hat

- will jetzt ein zweiter auch zwei Äpfel, nimmt er einen Apfel von jemandem anderes

- damit ist er besser gestellt, jedoch hat sich der andere absolut verschlechtert, da er statt einem Apfel nun keinen mehr hat

- somit war der vorherige Zustand pareto-optimal - ein pareto-optimaler Zustand entsteht bei erstmaliger kompletter

Verteilung der Güter - Optimum wird durch Tausch oder Wegnahme gestört - Optimum bleibt jedoch erhalten, wenn mehr produziert wird und die

Mehrproduktion auch komplett verteilt wird

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4 Ergänzende Aspektea Gefangenendilemma

- Es geht um zwei getrennt untergebrachte Untersuchungshäftlingen A und B, bei denen sich der Tatverdacht nicht allein durch Indizien oder Zeugen erhärten lässt;

- Die Häftlinge haben zwei Handlungsalternativen: Gestehen (g) und Leugnen (l);

- Höchststrafe für das zur Verhandlung anstehende Delikt: 4 Jahre;- Bei mildernden Umständen (Geständnis): 3 Jahre;- Lässt sich das Hauptdelikt nicht nachweisen, bleibt nur die geringfügige

Strafe für eine Nebenstraftat: 1 Jahr;- Kronzeugenregel: führt das Geständnis zur Aufklärung der Tat und zur

Ergreifung der Täter, dann geht der Geständige straffrei aus, die übrigen Tatbeteiligten trifft das volle Strafmaß.Das Dilemma besteht darin, dass A und B für eine zweckrational richtige Entscheidung wissen müssten, wie sich der jeweils andere entschieden hat, die Beiden aber genau dies nicht wissen können.

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Ein Interessenkonflikt wird in der Spieltheorie dargestellt mit Hilfe einer Art Tabelle ("Auszahlungsmatrix"), in der die zu den Handlungsstrategien der Akteure gehörigen Handlungsfolgen als Gewinne bzw. Verluste für die Beteiligten verzeichnet werden. Die Aufgabe für einen Akteur in einem Interessenkonflikt besteht darin, aus der Menge der möglichen Strategien diejenige zu wählen, die ihm am Ende des "Spiels" (so es denn überhaupt ein solches gibt) den relativ größten Gewinn sichert.

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In unserem Fall bieten sich nur die beiden Handlungen "Gestehen" und "Leugnen" als Handlungsstrategien an; deren Folgen bestehen aus den zu erwartenden, von der jeweiligen Strategiewahl des anderen abhängigen Strafen. So erhalten wir die folgende Auszahlungsmatrix:

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G L

G 3

3

4

0

L 0

4

1

1

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Allgemein kann man sagen, dass das "Gefangenendilemma-Spiel" als Muster für Situationen dient, in denen

- Akteure isoliert handeln,- der Erfolg der eigenen Strategie von der

Strategiewahl der anderen abhängt,- der für alle optimale Zustand nur erreicht

werden kann, wenn alle in gleicher Weise agieren und

- die Wahl der für alle gleichermaßen optimalen Strategie für den einzelnen risikobehaftet ist.

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Von diesem statischen Modell kommt man zu dem einfachsten dynamischen Modell durch die Annahme, dass die Akteure immer wieder in die gleiche Situation geraten, d.h. dass sich das Gefangenendilemma iteriert. Im iterierten Gefangenendilemma haben die Akteure nicht nur zu bedenken, wie ihr Gegenspieler in einer Spielrunde reagieren könnte, sondern auch, welche Schlüsse er aus den Erfahrungen dieser Runde für sein strategisches Verhalten in den folgeneden Runden zieht. Gesucht ist also eine mehrere Runden übergreifende "Superstrategie". Ein Beispiel für eine solche Superstrategie ist die so genannte "Tit-for-Tat-Regel": Man beginne mit einer kooperativen Strategie und behalte diese bei, wenn der Gegenspieler sich ebenfalls kooperativ verhält; tut er dies nicht, so gehe man zu einer nicht-kooperativen Strategie über.

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b Bounded Rationality ("Beschränkte Rationalität")

Bei der Darstellung und Analyse von Interessenkonflikten wird in den Sozialwissenschaften und in der Sozialphilosophie häufig davon ausgegangen, dass die einzelnen Akteure

- alle Informationen besitzen, die für eine optimale Entscheidung erforderlich sind und

- diese Informationen gewissermaßen umsonst zu haben sind.

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Nun zeigt die Lebenserfahrung, dass die Investitionen, die wir für den Erwerb des Wissens aufwenden müssen, das erforderlich ist, um im Berufs- und Alltagswelt bestehen zu können, erheblich sind; gleichwohl bleibt immer ein beträchtliches Maß an Unsicherheit bestehen. Dies nicht zuletzt deshalb, weil man sich im ökonomischen, politischen, aber auch privaten Bereich Vorteile verschaffen oder bewahren kann, indem man anderen die für sie entscheidungsrelevanten Informationen vorenthält.

Man kann also sagen, dass in realen Gesellschaften handlungsrelevante Informationen knappe Güter darstellen. Für einen zweckrationalen Akteur stellt sich also in jeder Entscheidungssituation die Frage, ob eine zusätzliche Anstrengung zur Verbesserung der Informationsgrundlage zu einer Handlungsstrategie führen würde, die in ihrem Ergebnis einen Netto-Gewinn mit sich brächte.

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Man versucht deshalb, aus eigener wie fremder Erfahrung Regeln abzuleiten, die ein einigermaßen gutes Abschneiden garantieren, ohne dass besondere Such- und Informationskosten aufgebracht werden müssten. Weil man beim Handeln nach solchen "Daumenregeln" auf einen u.U. erreichbaren zusätzlichen Gewinn verzichtet, sagt man, es folge einer "eingeschränkten Rationalität" ("bounded rationality"). Da Regeln der bounded rationality Erfahrungen reflektieren, müssen sie einer Änderung der für einen Akteur handlungsrelevanten Umstände angepasst werden. Diese Anpassung kann dazu führen, dass das gesellschaftliche System, in dem sie vorgenommen wird, ein hohes Maß an Stabilität aufweist; unter bestimmten Bedingungen kann diese Anpassung aber auch zu einer chaotischen Entwicklung führen (so etwa beim sog. "Schweinezyklus").

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D Ethisches Argumentieren

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Nicht jede normative Frage ist eine ethisch-moralische Frage. Es gibt für normative Fragen verschiedene Begründungsformen, die unterschiedliche Aufgaben zu erfüllen haben.

Regeln der sozialen

Klugheit

NutzenabwägungenNutzendiskontierungKooperationsgewinn

„Individuum

Ethik, Moral

vernünftige Selbstbestimmung,

Autonomie, glückliches bzw.

gelungenes Leben„

Individuum

Recht

institutioneller Rahmen, innerhalb dessen sich

das Streben nach Nutzengewinn und

Selbstbestimmung zu bewegen hat

„Individuum, Gruppen,

Institutionen

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Eine wesentliche Aufgabe der Ethik ist es, Argumentationsformen für die Begründung von Normen mit Selbstbeschränkungscharakter zu entwickeln.

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Eine Norm hat Selbstbeschränkungscharakter, wenn

- es dabei sich um ein Gebot oder Verbot mit Anspruch auf allgemeine Geltung handelt, das die Handlungs- und Zwecksetzungsfreiheit des Einzelnen einschränkt, wobei

- die Folgen der Einschränkung für den Akteur einen unmittelbaren Nachteil, für andere (u.U. für den Akteur zu einem späteren Zeitpunkt) einen Vorteil bedeuten.

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Eine Quelle vieler Missverständnisse liegt darin, dass selbstbeschränkende Normen sowohl zweckrational wie ethisch begründet werden können.

Zweckrational begründet man sie, indem man zeigt, dass

- eine momentane Nutzeneinbuße zu einem späteren Zeitpunkt einen Nutzenzuwachs zur Folge haben wird (kurzfristige vs. langfristige Rationalität)

oder- eine individuelle Nutzeneinbuße einen kollektiven

Nutzengewinn erzeugt, der vom Individuum allein nicht realisiert werden kann (Kooperationsgewinn).

Regeln, die in diesem Sinne zweckrational (ökonomisch) begründet sind, heißen soziale Klugheitsregeln.

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Notwendige Bedingungen für das Vorliegen einer moralischen Norm:

(1) es handelt sich um ein Gebot oder Verbot mit Anspruch auf allgemeine Geltung, das die Handlungs- und Zwecksetzungsfreiheit des Einzelnen einschränkt, wobei

(2) die Folgen der Einschränkung für den Akteur einen unmittelbaren Nachteil, für andere in der Regel aber einen Vorteil bedeuten.

Notwendige und hinreichende Bedingungen für das Vorliegen einer moralischen Norm:

Eine Norm ist eine moralische Norm, wenn sie den Kriterien (1) und (2) genügt (Norm mit Selbstbeschränkungscharakter) und ein ethisches Begründungsverfahren erfolgreich durchlaufen hat.

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Kategorischer Imperativ (Immanuel Kant, 1724 – 1804):

"Handle nur nach derjenigen Maxime, du die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde"

Utilitaristisches Prinzip (John St. Mill, 1806 – 1873):

"Handle so, dass die Folgen deiner Handlung das Glück der von der Handlung Betroffenen befördern"

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Technisches, ökonomisches und ethisches ArgumentierenEin glückliches Leben führen heißt:

bei Aristoteles Stoa Epikur

Def.

gemäß der der Seele wesenhaften Tüchtigkeit leben; diese Tüchtigkeit ist teils moralisch, teils intellektuell und muss erworben werden.

vernünftig sein im Umgang mit den naturgemäßen Gütern in uns und um uns, so dass sich eine harmonische Übereinstimmung von Wollen und Können ergibt (Apathie).

im Zustand der Seelenruhe bzw. des inneren Friedens leben (Ataraxie); ist gegeben, wenn man frei ist von aller die Seele beunruhigender Unlust (höchste Lust = Freiheit von Unlust).

Stra-tegie

Vervollkommnungs-Strategie: Vervollkommnung i.S. lebenslanger Erziehung, Bildung und Kultivierung.

Vermeidungs-Strategie: Beherrschung der Affekte, also der übersteigerten und damit der Vernunft nicht mehr gehorchenden Triebe, welche zu einem Missverhältnis von Wollen und Können führen.

Vermeidungs-Strategie: Beschränkung des Wollens auf das durch menschliches Handeln Erreichbare; Überwindung der Furcht, Beherrschung der Begierden (Selbstgenügsamkeit, aber keine Askese); kontrollierter Umgang mit Schmerz.

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Die Ethik leitet zu einem Leben in vernünftiger Selbstbestimmung an (Stichworte: Autonomie; glückliches bzw. gelungenes Leben). Wer ein solches Leben für erstrebenswert erachtet, muss zugleich die Bedingungen akzeptieren, unter denen allein ein solches Streben Sinn macht. Solche Bedingungen sind:

anthropologischer Natur: - der Mensch muss Alternativen erkennen und bewerten können - er muss sich Ziele setzen und zu deren Realisation passende Mittel

bestimmen können - er muss Entscheidungen fällen können und - er muss über die biologischen Strukturen verfügen, die diese Fähigkeiten

ermöglichen sozialer/politischer Natur: - es müssen für den einzelnen Menschen Alternativen der Lebensplanung

gegeben sein (kein Kampf ums nackte Überleben) - Entscheidungen müssen in einem gewissen Rahmen möglich sein (keine

absolute Diktatur)