Trauma und Persönlichkeitsstörungen - Klinik Rhein · Modell der Dysregulation der hippokampalen...

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Trauma und Persönlichkeitsstörungen Wolfgang Wöller Rhein-Klinik Bad Honnef

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Trauma und Persönlichkeitsstörungen

Wolfgang Wöller

Rhein-Klinik Bad Honnef

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Überblick

Rhein-Klinik Bad Honnef

1

Teil A: Grundlagen 1. Wissenschaftshistorische Hintergründe einer

polarisierten Diskussion

2. Traumafolgestörungen

3. Persönlichkeitsstörungen

4. Klinische Problembereiche bei Persönlichkeitsstörungen

5. Plausible Modelle zum Verständnis klinischer Phänomene bei Persönlichkeitsstörungen

6. Psychodynamische Therapiekonzepte bei Persönlichkeitsstörungen

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Überblick

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Teil B: Ressourcenbasierte psychodynamische Therapie (RPT) traumabedingter Persönlichkeitsstörungen 7. Zielgruppen

8. Ressourcen- und traumaorientierte Diagnostik

9. Phasenorientiertes Therapiekonzept

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1 Wissenschaftshistorische Hintergründe

einer polarisierten Diskussion

Ev. 3

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Historisch-gesellschaftlicher Umgang mit psychischen Traumatisierungen

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Kindesmisshandlung als weit verbreitetes Phänomen in allen Kulturen und Epochen der Menschheits-geschichte (Ariès 1972)

Bis Mitte des 20. Jahrhunderts nahezu weitweite Tabuisierung besonders der sexuellen Kindesmiss-handlung (Ära der Verleugnung, Armstrong 1978). Inzest „extreme Seltenheit“ (Weinberg 1955).

Zunehmende gesellschaftliche Anerkennung seit den 1960er Jahren „Battered child syndrom (Kempe et al. 1972)

Hinweise auf die Verbreitung sexuellen Missbrauch durch die internationale Frauenbewegung (Herman 1969)

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Ursprung der Psychoanalyse als Wissenschaft von psychischen Traumatisierungen

S. Freud: „Zur Ätiologie der Hysterie“ (1896): Hysterische

Symptome als Folge frühkindlicher sexueller „Verführung“

Spätere Rücknahme der Verführungstheorie als allgemeine Theorie de Neurosen jedoch keine grundsätzliche Leugnung des pathogenen

Einflusses frühkindlicher „Verführungen“

Rhnef

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Ursprung der Psychoanalyse als Wissenschaft von psychischen Traumatisierungen

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6

„Jenseits des Lustprinzips“ (Freud 1920): ökonomisches Modell des (ungenügenden) Reizschutzes im Moment der Überraschung Durchbrechung des Reizschutzes durch traumatische

Erregungen/plötzlichen Schreck Wiederholungen dieser Erlebnisse, die ehemals im

psychischen System Unlust erregt hatten, z.B. in der Form von Träumen oder Handlungen

„Wiederholungszwang“ als den Versuch des Ich, die durch eine traumatische Einwirkung entstandenen Reizmengen nachträglich zu bewältigen (Freud 1920).

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Ferenczi

Ferenczi (1933) „Sprachverwirrung zwischen dem Erwachsenen und dem Kind“: Introjektion: Verinnerlichung der Objektbeziehung,

um das Beziehungsgefüge zur Elternfigur zu erhalten Versöhnungsversprechen durch die Introjektion

der Imago des “bösen Kindes” der missbräuchliche Elternteil wird zum

Selbstanteil: negative Überzeugungen von der eigenen Person als Niederschlag realer Objekterfahrungen

Identifizierung Identifizierung mit aggressiven Täteraspekten Täteridentifizierte Persönlichkeitsanteile

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Khan: Konzept der kumulativen Traumatisierung

Khan (1983): Trauma zusammengesetzt aus einer Reihe von an sich nicht im engeren Sinne trauma-tischen Einzelerfahrungen, die sich in einer Beziehung entwickeln

Unzureichender Reizschutz gegen überwältigende und schädliche äußere Einflüsse im Laufe der Entwicklung des Kindes vom Säuglings- bis zum Jugendalter kumulative Überforderung des noch unreifen Ichs und seiner Abwehrfunktionen

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Trauma als Untergang des guten Objekts

Kein angemessener Reizschutz durch die frühen Objekte Trauma als Untergang des guten Objekts (Ehlert-Balzer 1996). Verlust der verinnerlichten guten Objekte, der

inneren Repräsentanzen einer schützenden und tröstenden primären Bezugsperson gestörtes Urvertrauen, Gefühl des Verlassenseins (Hoppe 1962, Cohen 1985).

Objektbeziehungstheoretisch betrachtet, bricht in der traumatischen Situation die kommunikative Dyade zwischen dem Selbst und seinen guten inneren Objekten auseinander

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Pierre Janet

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Reale Traumatisierungen als wichtigster auslösender Faktor für hysterische Symptome

Dissoziation als „Desintegration und Fragmentierung des Bewusstseins“ („idées fixes“)

Dissoziation als Mangel an integrativer Kapazität

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Pierre Janet

_________________

Psychische Traumatisierung

als Ursache der Hysterie

Dissoziation als Hauptabwehr

S. Freud

___________________

Unbewusster Konflikt als Ursache der Hysterie

Verdrängung als Hauptabwehr

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Entwicklung des Traumabegriffs in der Psychoanalyse

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Verbannung des Traumabegriffs aus dem „Mainstream“ der Psychoanalyse vor dem Hintergrund der gesamtgesellschaftlichen

Leugnung vonTraumatisierungen Konzentration auf Abwehr- und Strukturtheorie als

Kerncharakteristika der Psychoanalyse Übertragung und Gegenübertragung als identitäts-

stiftende Paradigmen („Was ist analytisch?“) marginale Bedeutung psychischer Traumatisierungen

in der psychoanalyt. Ausbildung bis in die 1980er Jahre Leugnung des Beitrags psychischer Traumatisierungen

zur Entstehung schwerer Persönlichkeitsstörungen durch namhafte Vertreter (Kernberg 1972)

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Forschung zur Psychotraumatologie und Entwicklung eigenständiger Traumatherapien

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Kardiner (1941): „Der Kern der traumatischen Neurose ist eine Physioneurose.“

Erforschung schwerer Stress-Phänomene

„Stress-Response-Syndrome“ (Horowitz 1986)

Entwicklung von „Traumatherapien“ außerhalb der psychoanalytischen Tradition mit eigenständiger Identität seit den 1970er Jahren, insbes. in den USA (Herman 1969, Courtois 1972)

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Veränderte Informationsverarbeitung bei psychischen Traumatisierungen

Traumatischer Stress bewirkt

einen Zusammenbruch der Funktionen des Hippokampus und damit eine Störung

der Transformation der Erinnerungseindrücke in ein integriertes semantisches Gedächtnis

der narrative Gestaltung von Erinnerungen und ihrer Einordnung in den biographischen Zusammenhang

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Modell der Dysregulation der hippokampalen Erinnerungsspeicherung (Trauma-Modell) Funktionsminderung des Hippokampus

• gestörte Einordnung von Erinnerungen als Narrativ in biographischen Zusammenhang

↓ • Ungefilterte Aktivität der Amygdala

• unangemessene Meldung von Gefahrensignalen • Intrusionen, übergeneralisierte Angstreaktionen

• Traumatische Gedächtnisstörungen

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Postraumatisches Pendeln

Gedankliche und gefühlsmäßig Annäherung an das Trauma wechselt ab mit Vermeidung aller traumabezogenen Reize

Intrusion

Betäubung/Vermeidung

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Hirnphysiologische und neuroendokrine Befunde bei traumatisierten Patienten

Blockade der Informationsverarbeitung: implizite (amygdaloide) statt expliziter (hippocampaler) Erinnerung

Überflutung von Neurohormonen (Adrenalin, Cortisol, Endorphine)

Die Sprachzentren sind unterdrückt (Brocca-Region) Physiologische Verankerung der Traumafolgen schränkt sprachliche Beeinflussung ein

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Entwicklung psychodynamischer Traumatherapien

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Rückkehr der Traumabewegung in die psycho-dynamische Therapie mit akzentuierter Abgrenzung gegen „klassische“ psychoanalytische Therapie (Reddemann u. Sachsse 1990)

Akzentuierte Gegenabgrenzung der „klassischen“ psychoanalytischen Position (Ehlert-Balzer 1996)

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Argumentation aus traumatherapeutischer und klassisch-psychodynamischer Perspektive

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Gefahren einer klassisch-psychodynamischen Perspektive aus traumatherapeutischer Sicht Vernachlässigung des Einflusses der äußeren Realität Schuldzuweisung an Opfer

Gefahren einer traumatherapeutischen Perspektive aus klassisch-psychodynamischer Sicht Vernachlässigung intrapsychischer Faktoren Förderung einer Opferidentität und Verminderung der

Selbstverantwortlichkeit

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„Psychoanalytische“ und „traumatherapeutische“ Position

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Psychoanalytische Position Traumatherapeutische Position

(Über-)betonung der inneren Realität (Abwehr, Phantasien) und Relativierung (Vernachläs-sigung) der äußeren Realität

(Über-)betonung der äußeren Realität und Relativierung (Vernachlässigung) der inneren Realität

Normale Erinnerungsverarbei-tung auch schwerer Traumen

Spezifische traumatische Erinnerungsverarbeitung (PTSD)

Verbalisierende Behandlungs-technik

Spezifische traumathera-peutische Behandlungstechnik

Durcharbeitung traumatisie-render Beziehungsmuster in der Übertragung

Keine Durcharbeitung traumati-sierender Beziehungsmuster in der Übertragung

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2 Traumafolgestörungen

Ev. 21

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Dilemma der Definition eines psychischen Traumas

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Objektive Definitionen – klinisch wenig hilfreich kurz- oder langanhaltende Ereignisse oder Geschehen von

außergewöhnlicher Bedrohung mit katastrophalem Ausmaß, die nahezu bei jedem tiefgreifende psychische Belastung auslösen würde“ (ICD-10, WHO 1994)

Subjektive Definitionen – Gefahr der Inflationierung des Traumabegriffs Überwältigung des Ich Zusammenbruch von Abwehr- und Bewältigungs-

mechanismen Zustände extremer Ohnmacht und Hilflosigkeit

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Trauma-Definition

„vitales Diskrepanzerlebnis zwischen bedroh-lichen Situationsfaktoren und den individuellen Bewältigungsmöglichkeiten, das mit Gefühlen der Hilflosigkeit und

schutzlosen Preisgabe einhergeht und so eine dauerhafte Erschütterung von Selbst-

und Weltverständnis bewirkt.“ (Fischer u. Riedesser

1998, S. 79)

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Klassifikation psychischer Traumatisierungen

einmalig,

überraschend

(Typ-I-Trauma)

kumulativ

(Typ-II-Trauma)

apersonal Unfälle

Natur-

katastrophen

Krieg

personal Vergewaltigung Kindesmissbrauch

familiäre Gewalt

Folter

Geiselhaft

KZ-Haft

Krieg

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Systematik der traumaassoziierten Störungsbilder

Akute Belastungsreaktion

Einfache PTSD Komplexe PTSD

Posttraumatische Störungsbilder

Traumaassoziierte Störungsbilder

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Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) - Symptomatik

Intrusionen

„Flashbacks“, Alpträume

Vermeidungsverhalten

Vermeidung aller traumabezogenen Reize

emotionaler Taubheitszustand

erschwerter Zugang zu Gefühlen

anhaltende physiologische Übererregung

sympathikotone vergetative Reaktionen (RR, Puls)

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„Komplexe posttraumatische Belastungsstörung“ (DESNOS = Disorders of Extreme Stress Not Otherwise Specified, Herman 1969)

1. Störungen der Emotionsregulierung schwere Persönlichkeitsstörungen, insbes.

Borderline-Persönlichkeitsstörung therapierefraktäre Depressionen

2. Dissoziative Störungen

3. Somatoforme Störungen

4. Chronische Persönlichkeitsveränderungen

5. Veränderungen des Selbst- und Weltverständnisses

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Traumafolgestörungen

Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS)

Komplexe Traumafolgestörungen mit variabler Kombination verschiedener psychischer/psychosomatischer Störungsbilder depressive Symptome

dissoziative Symptome

PTBS

Somatisierungsstörungen

Essstörungen

Substanzabhängigkeit

Persönlichkeitsstörungen

(Herman 1992, Brown u. Finkelhor 1986, Felitti et al. 2002).

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3 Persönlichkeitsstörungen

Ev. 29

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Was sind Persönlichkeitsstörungen?

Diagnostisches Konstrukt zur Beschreibung von anhaltenden Auffälligkeiten im Erleben, Denken und Verhalten

nachhaltige Störung des zwischenmenschlichen Zusammenlebens

Risiko für die psychische Gesundheit

Leidensdruck für die Person oder ihre Umwelt

gestörte soziale Funktions- und Leistungsfähigkeit

in Kindheit oder Jugend erworben

nicht durch eine körperliche Ursache bedingt

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Was sind Persönlichkeitsstörungen?

Konstrukt zur Beschreibung dysfunktionaler interpersoneller Beziehungsmuster

Aspekte von Dysfunktionalität in Bezug auf die Lebensbewältigung

Selbstschädigung

Fremdschädigung

Interpersoneller Aspekt

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Typologie von Persönlichkeitsstörungen

nach ICD-10

Emotional instabile (Borderline-) PS (F60.31)

[Narzisstische PS (F60.8)]

Histrionische PS (F 60.4)

Abhängige (asthenische) PS (F 60.7)

Dissoziale PS (F60.2)

Paranoide PS (F60.0)

Schizoide PS (F60.1)

Anankastische (zwanghafte) PS (F 60.5)

Ängstliche (vermeidende) PS (F 60.6)

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Problematik der Diagnosekategorie „Persönlichkeitsstörungen“

Starke Überlappung der Unterkategorien

Suggestion kategorialer Krankheitseinheiten – dimensionale Modelle wären sinnvoller

Problematik der Etikettierung und Festschreibung

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Begriff der Persönlichkeitsstörung: Historische Entwicklung

Psychopathie Hypothese konstitutioneller Anlage

Charakterstörung, Charakterneurose Hypothese frühkindlich erworbener

Eigenschaften

Persönlichkeitsstörung nach ICD-10: rein deskriptiver Begriff

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Versorgungsrelevanz und Bedeutung des

Begriffs der Persönlichkeitsstörung

Hohe Prävalenz von Persönlichkeitsstörungen 10% der Allgemeinbevölkerung über 50% der psychotherapeutisch

behandelten Bevölkerung

Bedeutung für die Therapieplanung Modifikation der Therapieansätze bei

gleichzeitig vorhandener Persönlichkeitsstörung

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Emotional instabile (Borderline)-

Persönlichkeitsstörung

Durchgängiges Muster: Emotionale Instabilität rasche und unvorhersagbare Wechsel

der Stimmungslage ohne erkennbaren Grund

überschwemmt von Zuständen der Ohnmacht, Angst, Wut, Leere

ausgeprägte Angst vor dem Verlassenwerden

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Störung der Emotionsregulierung

rasch wechselnde globale und undifferenzierte

Affektzustände und quälende

Spannungszustände

interpersonell reaktiv ausgelöst

können bis zu Stunden andauern

Oszillieren von Depression, Wut, Angst, Leere

und Depression (Koenigsberg et al. 2002, Lieb et al. 2004, Stiglmayr 2011, Wolff

et al. 2007).

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Hyperreagibilität

Borderline-Patienten sind hyperreagibel und wachsam

überempfindlich gegenüber negativen Stimuli (Sieswerda et al. 2007).

schon nach schwachen Reizen schnelle und intensive Erregungsmuster (Jacob et al. 2009).

bemerken oft kleinste mimische Veränderung im Gesicht

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Soziale Wahrnehmung

Die soziale Wahrnehmung ist durch ein

verstärktes Bedrohungserleben charakterisiert.

Borderline-Patienten nehmen neutrale Gesichter

tendenziell als bedrohlich und nicht wohlwollend

wahr (Donegan et al. 2003, Lynch et al. 2006, Scott et al. 2011,

Koenigsberg et al. 2009).

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Aggressive Reaktionen

Borderline-Patienten zeigten bei experimentell induzierten Frustrationen beim Spielen ein dreifach höheres Aggressionsniveau als gesunde Probanden (Dougherty et al. 1999).

Genauere Analysen der Sequenzen der Emotionen ergaben, dass Zuständen des Ärgers und der Wut am häufigsten Zustände der Angst vorausgingen (Reisch et al. 2008).

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Störung der Emotionsregulierung:

Überflutung durch traumatische Affekte im

Alltagsleben

Scham

Wut

Leere Verzweiflung

Ohnmacht

Ver-

lassen-

sein

Schuldgefühle

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Abhängige (asthenische) Persönlichkeits-

störung (F 60.7)

Durchgängiges Muster: Abhängig-anklammerndes Verhalten Neigung zu Gefügigkeit und Unterordnung unter

eine Bezugsperson Delegation aller Lebensentscheidungen an andere

Menschen

Psychodynamik:

Beziehungserfahrung des Verlassenwerdens anhaltende Angst vor Wiederholung dieser

Beziehungserfahrung

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Histrionische Persönlichkeitsstörung

(F 60.4 )

Durchgängiges Muster: übertriebener Ausdruck von Gefühlen, Neigung zu

Theatralik und Dramatisierung gesteigertes Verlangens nach Aufmerksamkeit und

Bewunderung oft unangemessen sexuell verführerisch Neigung zu manipulativen Verhaltensweisen zur

Befriedigung eigener Bedürfnisse

Psychodynamik: Beziehungserfahrung des Nicht-

Wahrgenommenwerdens/ Angst davor

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Dissoziale Persönlichkeitsstörung (F60.2)

Durchgängiges Muster: Verantwortungslosigkeit und Missachtung sozialer

Regeln und Normen Neigung zu Kriminalität Neigung zu aggressivem und gewalttätigem Verhalten oft oberflächlich charmant, aber falsch und unaufrichtig Empathie-Mangel

Psychodynamik: Beziehungserfahrung schwerer Gewalterfahrungen

und/oder emotionale Vernachlässigung in der Kindheit Abwehr von wirklicher Liebe und Bindung Täteridentifikation als Überlebensstrategie

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Anankastische (zwanghafte) Persönlichkeitsstörung (F 60.5)

Durchgängiges Muster: Genauigkeit, Gewissenhaftigkeit bis zur Pedanterie übertriebene Ordnungsliebe und Rigidität Perfektionismus neigen zu starkem Zweifel und verstärkter Vorsicht haben eine Vorliebe für Details, Regeln, Listen,

Ordnung, Organisation oder Schemata

Psychodynamik: Angst vor Chaos, Unordnung, Desintegration

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Ängstliche (vermeidende)

Persönlichkeitsstörung (F 60.6)

Durchgängiges Muster: Vermeidung aus Angst und

Minderwertigkeitsgefühlen Vorstellung, sozial minderwertig, unattraktiv oder

anderen unterlegen zu sein übertriebene Erwartung, von anderen kritisiert

oder zurückgewiesen zu werden Vermeidung sozialer oder beruflicher Aktivitäten

Psychodynamik: Angst vor Kritik, Missbilligung oder

Zurückweisung

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Paranoide Persönlichkeitsstörung

(F60.0)

Durchgängiges Muster: ungerechtfertigtes Misstrauen gegenüber anderen

Menschen Neigung, anderen Menschen bösartige Motive zu

unterstellen neutrale oder freundliche Handlungen anderer

werden als feindlich missdeutet

Psychodynamik: Angst vor eigenen destruktiven Impulsen, die

projiziert werden

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Schizoide Persönlichkeitsstörung

(F60.1)

Durchgängiges Muster: Neigung zur sozialen Isolierung und zum

Einzelgängertum kühl und emotional distanziert unnahbar mit geringer Fähigkeit zu warmen,

zärtlichen Gefühlen zeigen sich oft gleichgültig gegenüber sozialen

Regeln, aber auch gegenüber Lob und Kritik von Seiten anderer

Psychodynamik Beziehungserfahrung von Verletzung und

Demütigung anhaltende Angst vor Wiederholung dieser

Beziehungserfahrung

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Folien der Vorlesung: www.rhein-klinik.de

Weitere Informationen: wolfgang-woeller.de

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Narzisstische Persönlichkeitsstörung

Durchgängiges Muster: Verlangen nach übermäßiger Bestätigung und

Bewunderung Kleinheits- und Nichtigkeitsgefühle Kompensatorische Verhaltensmuster

grandioses Gefühl eigener Wichtigkeit ansprüchliches Verhalten: Nur das Beste ist gut genug entwertend, überheblich, arrogant

ausbeuterisch, ausschließlich an der eigenen Bedürfnisbefriedigung orientiert

Psychodynamik: Schwere Störung des Selbstwertgefühls

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Abgrenzung: Persönlichkeitsstruktur

Psa.-neurosenpsychologischer Begriff zur Beschreibung der Persönlichkeit auf der Basis der vorherrschenden Abwehrstruktur

Z.B. zwanghafte, hysterische, depressive etc. Persönlichkeitsstruktur

kein Krankheits- oder Störungsbegriff

keine Dysfunktionalität

keine interpersonelle Auswirkungen

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Abgrenzung: Persönlichkeitsveränderung

Verwendung 1: wie Persönlichkeitsstörung, jedoch im

Erwachsenenalter erworben Z.B. Persönlichkeitsveränderungen bei Holocaust-Opfern

Verwendung 2: intrapsychische Veränderungen mit hohem

Leidensdruck

erhaltene Funktionalität

keine oder kaum interpersonelle Auswirkungen Z.B. Selbstentwertung und Täteridealisierung bei

Traumatisierten

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Traumatische Belastung bei Borderline-Persönlichkeitsstörung

Physische, sexuelle oder emotionale Miss-handlung bei bis zu 75 % der Patienten mit BPS

alle Formen der Kindesmisshandlung (Herman et al. 1989, Yen 2003, Zanarini et al. 2002)

insbes. emotionale Misshandlung (Allen 2009, Kaehler u. Freyd 2009, Lobbestael et al. 2010, Widom et al. 2009)

Komplexe Interaktion mit genetischen Faktoren

Zwillingsstudien (Bornovalova et al. 2009, Distel et al. 2008)

Gen-Umwelt-Interaktionen (z.B. Ni et al. 2006)

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Traumatische Belastung bei anderen Persönlichkeitsstörungen

Dissoziale PS (Gao et al. 2010, Nederlof et al. 2010)

Paranoide PS (Lobbestael et al. 2010)

Schizoide PS (Yen et al. 2003, Lobbestael et al. 2010)

Ängstlich-vermeidende PS: körperl. und emot. Missbrauch (Rettew et al. 2003), sex. Missbrauch (Lobbestael et al. 2010) Vernachlässigung (Battle et al. 2004)

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Einfluss von Bindungs- und Beziehungstraumatisierungen

Ungünstiges familiäres Umfeld, elterliche Psycho-pathologie und Misshandlung/Missbrauch prädizieren unabhängig voneinander das spätere Auftreten einer BPS (Bradley et al. 2005).

Desorganisiertes Bindungsmuster, Misshandlung, mütterliche Feindseligkeit, unzureichende Vaterpräsenz und familiärer Stress prädizieren spätere BPS (Carlson et al. 2009, Sroufe et al. 2005).

Kindesmisshandlung, ungünstige elterliche Erziehungs-stile und Trennung von den Eltern prädizieren unabhängig voneinander das Auftreten einer PS (Bandelow et al. 2005).

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Genese von Persönlichkeitsstörungen

Komplexe Interaktion von genetischen Einflüssen und lebengeschichtlichten Belastungsfaktoren

Zwillings- und Adoptionsstudien belegen Erblichkeit von Persönlichkeitszügen, die eine Persönlichkeits-störung beschreiben (Torgersen et al. 2008; bei BPD Bornovalova et al. 2009, Distel et al. 2008, New et al. 2008, Maier u. Hawellek 2011)

Bedeutung von Gen-Polymorphismen

Assoziation des Serotonin-Transporter-Gens mit kurzem Allel und Auftreten einer Borderline-PS (Ni et al. 2006; New et al 2008).

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Traumatisierungsmuster bei schweren Persönlichkeitsstörungen

Bindungs- und Beziehungstraumatisierungen

Misshandlungs- und Missbrauchstraumen der

Kindheit

Traumatisierungen im Erwachsenenalter

(Retraumatisierungsneigung!)

Alltagsbelastungen mit traumawertigem

subjektivem Belastungsgrad als Folge der

persönlichkeits-spezifischen Vulnerabilität

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Komorbidität der Borderline- Persönlichkeitsstörung mit ...

PTBS: 39,2 bis 51 % (McGlashan et al., 2000, Golier et al. 2003, Grant et al. 2008, Yen et al. 2002)

dissoziativen Störungen: 53 % (Zittel et al.

2005) bis 72,5 % (Sar et al. 2006)

und dissoziativen Störungen: Eine Zufallsstichprobe erfahrener Kliniker fand, dass 53 % der Patienten, die wegen einer Borderline-Persönlichkeitsstörung behandelt wurden, eine komorbide dissoziative Störung aufwiesen. 11 % von ihnen erfüllten die Diagnose einer Dissoziativen Identitätsstörung (Zittel et al. 2005). In der Untersuchung von Sar et al. (2006) wiesen sogar 72,5 % der Patienten mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung gleichzeitig eine dissoziative Störung auf.

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4 Problembereiche bei

traumabedingten Persönlichkeitsstörungen

Ev. 59

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Kasuistik: 28jährige Patientin

Die eher jünger aussehende Patientin erscheint mit 20minütiger Verspätung zur Sitzung und beklagt sich als erstes, dass die Praxis nicht genügend Parkplätze zur Verfügung stellt. Dass keine Parkplätze vorhanden seien, hätte man ihr vorher sagen sollen. Sie frage sich ohnehin, ob das hier was bringe. Die Praxiseinrichtung wirke irgendwie „kalt“. Nachdem sie Platz genommen hat, „überschüttet“ die Patientin die Therapeutin mit einer Vielzahl von Klagen:

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Diffuse Angstzustände und depressive Verstimmungen, verzweifelt, Gefühle der Leere, dann wieder Zustände der Wut und des Hasses, Selbsthass

Gefühl quälender Angespanntheit, immer wieder Gefühl, ohnmächtig und schutzlos ausgeliefert zu sein

Schnittverletzung am Unterarm schafft Erleichterung

Fressanfälle mit selbstinduziertem Erbrechen Erleichterung bei unerträglichen Affektzuständen

Zeitweise Konsum von Drogen und größeren Mengen an Alkohol

Scham- und Schuldgefühle, hält sich für minderwertig, schmutzig und abgrundtief schlecht.

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Auslösesituation:

Hat ihre Arbeitsstelle zum wiederholten Male wegen unkontrollierter Emotionsausbrüche verloren

Zahlreiche interpersonelle Konflikte

Beziehungsumfeld:

In chaotischen partnerschaftlichen Beziehungen lebend

Kann Alleinsein nicht ertragen, aber hält es in Beziehungen ebenfalls nicht aus

Bindet sich immer wieder an Partner, die sie bedrohen und gewaltsam behandeln

Hatte schon Kontakt zu deutlich älteren Männern

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Vorgeschichte

In ihrer Kindheit Opfer sexueller Übergriffe ihres Stiefvaters

chaotisches familiäres Umfeld

überforderte und unreife Mutter war nicht in der Lage, sich auf ihre kindlichen Bedürfnisse einzustellen

Pat. musste früh für ihre Eltern sorgen

häufig Erfahrung von Ablehnung und Zurückweisung

zahlreiche abrupte Trennungen und Verluste

emotionale Unterstützung und Wärme am ehesten noch bei dem sexuell übergriffigen Stiefvater

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Problembereiche bei Persönlichkeitsstörungen

Persönlichkeitsstörungen als Störungen der

interpersonellen Kommunikation

Vielzahl interpersoneller Konflikte und

Verwicklungen

Neigung zu Instabilität/hohe Komorbidität

Diskrepanz zwischen Selbst- und

Fremdwahrnehmung

Neigung zu dysfunktionalem, manipulativem

oder (auto)destruktivem Verhalten

(„Agieren“)

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Problembereiche bei Persönlichkeitsstörungen

Maladaptive Verhaltensmuster erfassen die therapeutische Beziehung („schwierige Patienten“)

Problematische Beziehungsgestaltung mit rascher und heftiger Übertragungsentwicklung

Feindselig-entwertende-vorwurfsvolle Beziehungsgestaltung: Gefahr des Beziehungs- oder Therapieabbruchs

Abhängig-idealisierende Beziehungsgestaltung: Gefahr der malignen Abhängigkeitsentwicklung

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Problembereiche bei

Persönlichkeitsstörungen auf der

Ebene defizitärer Ich-Funktionen

Störung der Emotionsregulierung Störungen der Fähigkeit zur Mentalisierung,

Impulskontrolle, Selbst-Objekt-Differenzierung, Objektkonstanz, kognitive Defizite

Unzureichende Integration der Persönlichkeit (Identitätsstörung, Identitätsdiffusion, Ego-State-Disorder)

maladaptive Verhaltens- und

Beziehungsmuster

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Traumatische Affekte

Scham

Wut

Leere Verzweiflung

Ohnmacht

Ver-

lassen-

sein

Schuldgefühle

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Selbstverletzendes Verhalten

Substanzmissbrauch (Alkohol, Drogen)

Fressattacken und

selbstindiziertes Erbrechen

Risikoverhalten (schnelles

Autofahren)

Selbstschädigende Verhaltensweisen zur Kompensation der gestörten Emotionsregulierung

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Selbstbezogene schädigende Verhaltensmuster als Ausdruck komplexer traumabedingter Funktionsdefizite

Gefahren nicht antizipieren (können)

nicht für sich sorgen können (können)

sich nicht abgrenzen (können)

sich nicht schützen (können)

hilflos sein, nicht handeln (können)

erneuter Opferstatus (Reviktimisierungsneigung)

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Interpersonelle schädigende Verhaltensweisen zur Kompensation der gestörten Emotionsregulierung

zum Schutz vor Kränkungen, Verletzungen und

Ohnmachterleben

entwerten

Aufmerksamkeit oder Zuwendung erzwingen

unter Druck setzen, erpressen

sich zurückziehen

drohen, beschuldigen, entwerten

sich unangemessen verführerisch verhalten

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Maladaptive Interaktionsmuster

Interaktionspartner fühlen sich kontrolliert oder manipuliert, übervorteilt und unfair behandelt fühlen.

Verhalten meist nicht absichtlich manipulativ, sondern motiviert durch verzweifelte Versuche, schmerzhafte Emotionen zu bewältigen und verdeckte Befriedigung von Bedürfnisse zu erreichen Kontrolle ausüben, um Verfügbarkeit des

regulierenden Objektes zu sichern andere in Sorge versetzen, gefahrlos Verbundenheit

herzustellen

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5 Plausible Modelle zur Erklärung

klinischer Phänomene bei traumabedingten Persönlichkeitsstörungen

Ev. 72

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Neurobiologische Befunde bei Borderline-

Persönlichkeitsstörung

präfrontale Dysfunktion beim Anhören persönlicher Scripts von Verlassenheit und Misshandlung (Schmahl et al., 2003, 2004, Silbersweig et al. 2007)

Neutrale Gesichter werden als bedrohlich erlebt (Donegan et al., 2003)

Verstärktes Bedrohungserleben

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Neurobiologische Befunde bei Borderline-

Persönlichkeitsstörung

Dysfunktionales kortikolimbische Netzwerk gesteigerte Amygdala-Aktivierung bei Darbietung

emotional aufgeladener Bilder (Herpertz et al., 2001)

oder Gesichtern (Donegan et al., 2003)

Volumenminderungen im Bereich des präfrontalen

Kortex und des Hippokampus (Irle et al. 2005;Tebartz

van Elst et al. 2003) sowie des vorderen zingulären

Kortex (Minzenberg et al. 2008)

verminderte Aktivität des orbitofrontalen Kortex (OFC)

und des vorderen zingulären Kortex (New et al. 2002,

Silbersweig et al. 2007)

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Neurobiologie bei

chronischer PTBS

Überaktivität und erhöhte

Reaktionsbereitschaft der

Amygdala (Shin et al. 2006)

vermindertes Hippo-

kampus-Volumen (Karl et al.

2006)

verminderte Volumina und

Aktivität des präfrontalen

Kortex (PFC) einschl. des

vorderen zingulären Kortex

(ACC) (Rauch et al. 2003, Woodward

et al. 2006).

Neurobiologie der

Borderline-Störung

gesteigerte Amygdala-Aktivierung bei Darbietung emotional aufgeladener Bilder (Donegan et al., 2003)

Volumenminderungen im Bereich des präfrontalen Kortex und des Hippo-kampus (Irle et al. 2005;Tebartz van

Elst et al. 2003) sowie des vorderen zingulären Kortex (Minzenberg et al. 2008)

verminderte Aktivität des orbitofrontalen Kortex (OFC) und des vorderen zingulären Kortex (New et al. 2002)

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Das Wachstum des präfrontalen Cortex (als Zentrum der Emotionsregulierung) ist in hohem Maße abhängig von der Qualität des mütterlichen Attunement und der Bindungserfahrung

Modell der erfahrungsabhängigen

Hirnentwicklung

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Unangemessene elterliche Reaktionen auf kindliche

Affektzustände

negative emotionale Zustände des Kindes bleiben

über längere Zeit unreguliert

„chaotische“ biochemische Veränderungen im

kindlichen Gehirn: dauerhaft erhöhte Cortisonspiegel, exzessive Freisetzung

von Adrenalin und Noradrenalin und anderer toxischer

Substanzen

vermindertes neuronales Wachstum im Bereich der

präfrontalen Strukturen

Modell der erfahrungsabhängigen

Hirnentwicklung

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Rückgang von Synapsen und Beschleunigen des normalen Prozesses des programmierten Zelltodes (Zhang et al. 1997, McLaughlin et

al. 1998).

↓ Verminderte Funktionsfähigkeit der emotionsregulierenden Struktur des präfrontalen Cortex

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Modell der verminderten Top-Down-Modulation basaler

emotionaler Systeme, insbes. der Amygdala erhöhte Bereitschaft zur Wahrnehmung von Bedrohungssignalen

1 – Orbitofrontaler Cortex

2 – Region des vorderen Cingulum

3 – Amygdala

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Modell der verminderten Top-Down-

Modulation basaler emotionaler Strukturen

Präfrontales Defizit

verminderte Top-Down-

Modulation der Amygdala

Störung der Fähigkeit Störungen der Fähigkeit

zur Emotionsregulierung zur Mentalisierung

↓ ↓

Verstärktes Bedrohungserleben

Maladaptives Handeln auf der Basis dieses Bedrohungserlebens

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Lebenslange Möglichkeit der Modifikation und Neuorganisationen neuronaler Verbindungen in Abhängigkeit vom Gebrauch (Huether et al. 1999)

Vielfach wiederholte Aktivierung neuronaler Netzwerke bis zur Etablierung neuer Muster

Üben und Durcharbeiten neuer Muster

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Persönlichkeitsstörungen als Bindungsstörungen

Borderline-PS unsicher-ambivalente Bindungsstile (Buchheim 2011;

Fonagy et al. 1996; Levy et al. 2006, 2011; Timmerman u. Emmelkamp

2006)

unsicher-desorganisierte Bindungsmuster

(„unresolved“) (Agrawal et al., 2004, Fonagy et al., 1996, 2000;

Patrick et al. 1994)

Übrige Persönlichkeitsstörungen dissoziale PS: überwiegend unsicher-distanzierte

Bindungsstile (Timmerman u. Emmelkamp 2006).

Clusters C-PS: überwiegend unsicher-ambivalente

Bindungsmuster (Rosenstein & Horowitz 1996, West u. Sheldon

1988).

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Desorganisierte Bindungen

entstehen, wenn die Bindungsfigur gleichzeitig

die Quelle von Trost und Angst ist (Main u. Hesse

1990).

Bindungsdesorganisation ist das Ergebnis einer gleich-zeitigen Aktivierung des Bindungs- und des Bedrohungs-systems gegenüber der gleichen Bezugsperson (Lyons-Ruth u. Jacobvitz 2008).

Annäherungs-Vermeidungskonflikt, der die Informationsverarbeitung und Problemlösung stört Hemmung der Mentalisierungsfunktion durch die Aktivierung des Bedrohungs-Abwehr (fight-flight-System)

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Alternative Möglichkeiten der Regulation des Sicherheitsgefühl bei unzuverlässigem Bindungssystem

durch Dominanz

in sozialen Rangordnungssystemen, wenn Untergeordnete Signale der Unterwerfung senden (Keltner et al. 2003, Scott 1990)

durch verführerisches Verhalten

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Psychodynamisch-

objektbeziehungstheoretische Modelle (Winnicott, Jacobson, Balint, Ferenczi, Kernberg, Bion)

Introjektion destruktiver Objektziehungsmuster verändern die Repräsentanzenwelt

Destruktive Introjekte werden zur inneren Druckentlastung re-externalisiert

Identifikation mit destruktiven frühen Objekten führt zur Präsenz täteridentifizierter Persönlichkeitsanteile

Unreife Abwehrmechanismen verzerren die Wahrnehmung der äußeren Welt

Inkompatibilität der inneren Strukturen führt zur Identitätsdiffusion

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Psychodynamisches Strukturmodell

Persönlichkeitsstrukturelle Defizite (Ich-

Funktionen) Störung der Emotionsregulierung

Störungen der Impulskontrolle

Störungen der Aufmerksamkeitslenkung

Störungen der Selbst-Objekt-Differenzierung

Störungen der Objektkonstanz

Störungen der Mentalisierungsfunktion

Störungen der Ich-Integration

Strukturachse der OPD-2

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Modell der Strukturellen Dissoziation der Persönlichkeit (van der Hart, Nijenhuis & Steele 2008)

Selbstzustände als dissoziierte Anteile der Persönlichkeit, die sehr komplex sein und aus unterschiedlichen Lebensperiode stammende mentale Zustände enthalten können

„Anscheinend normale Persönlichkeit“ (ANP):

Funktionalität im täglichen Leben

ANP-Anteile können die Tendenz repräsentieren, Gefühle oder Körpersensationen zu vermeiden, die an das Trauma erinnern (van der Hart et al. 2006).

„Emotionale Persönlichkeit“ (EP): mit den traumatischen Erfahrungen verbundene Persönlichkeitsanteile

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Erklärungspotenzial neurobiologischer Modelle

Neurobiologische Modelle

der erfahrungsabhängigen Hirnentwicklung

der Top-Down-Modulation basaler emotionaler Strukturen

der adaptiven Informationsverarbeitung

können plausibel erklären:

regulatorische Defizite im Bereich der Emotionsregulierung und anderer Ich-Funktionen

umfassendes Bedrohungserleben und die daraus resultierenden maladaptiven Verhaltensmuster

traumatische Informationsverarbeitung (z.B. intrusive Phänomene)

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Erklärungspotenzial

bindungstheoretischer Modelle

Das bindungstheoretische Modell des

desorganisierten Bindungsmusters mit gleichzeitiger Aktivierung von Bindungssystem und

Abwehrsystemen

kann plausibel erklären: exzessive Bindungssuche und Bindungsängste

idealisierende/dämonisierende Übertragungsmuster

(Retter- bzw. Täterübertragungen)

emotionale State-Wechsel in Abhängigkeit von

aktualisierter Übertragung/Störung der Ich-Integration

daraus resultierende maladaptive Verhaltensmuster

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Erklärungspotenzial psychodynamisch-

objektbeziehungstheoretischer Modelle

Veränderte Repräsentanzenwelt durch

Introjektion/Identifikation

Reexternalisierung der destruktiven Introjekte

Präsenz täteridentifizierter Persönlichkeitsanteile

... können plausibel erklären: negative Selbstbilder (Schuld-, Scham-, Minderwertigkeitsgefühle)

Reviktimisierungstendenz

interaktionelle Phänomene (z.B. projektive Identifizierung)

maladaptive Verhaltensweisen auf der Basis der ich-funktionellen

Defizite und der veränderten Repräsentanzenwelt

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Erklärungspotenzial des Modells der

Strukturellen Dissoziation der Persönlichkeit

... können plausibel erklären: wechselnde Selbst- und Objektbilder und die

daraus resultierenden maladaptiven Verhaltensweisen

auf der Basis emotionaler Persönlichkeitsanteile

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6 Psychodynamische

Therapieansätze bei Persönlichkeitsstörungen

Ev. 93

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Psychodynamische Therapieansätze

bei Persönlichkeitsstörungen

Übertragungsfokussierende Psychotherapie (TFP) für Borderline-Patienten (Kernberg 1993;

Clarkin et al. 2001)

Psychoanalytisch-interaktionelle Psychotherapie (Heigl-Evers u. Ott 1994)

Strukturbezogene Psychotherapie (Rudolf 2004)

Mentalisierungsbasierte Psychotherapie für Borderline-Patienten (Bateman u. Fonagy 2004)

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Übertragungsfokussierte

Psychotherapie (TFP) für Borderline-

Patienten (Kernberg 1993; Clarkin et al. 2001)

Ziele: Integration der gespaltene Repräsentanzenwelt

Pathogene „nur gute“ und „nur böse Teilselbst- und Teilobjektrepräsentanzen integrierte Selbst- und Objektrepräsentanzen

Analyse unreifer Abwehrmechanismen realitätsadäquateren Sicht von sich und ihren

wichtigsten Bezugspersonen Verbesserung der Bindungs- und

Beziehungsfähigkeit

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Übertragungsfokussierte Psycho-

therapie (TFP) für Borderline-Patienten (Kernberg 1993; Clarkin et al. 2001)

Vorgehen: Konzentration auf die Analyse der Übertragung

Philosophie: innere Welt der Objektbeziehungen und unreife Abwehrmechanismen manifestieren sich in besonderem Maße in der Übertragungsbeziehung und sind dort therapeutisch gut beeinflussbar

Fokussierung und Klarifizierung der sich in der Übertragung darstellenden dominanten Objektbeziehungsmuster Patienten und Therapeuten in wechselnder Täter-

und Opferposition

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Psychoananalytisch-interaktionelle

Psychotherapie (Heigl-Evers u. Ott 1994)

Ziele Nachreifung der gestörten Ich-Funktionen Differenzierung ihrer Selbst- und

Objektrepräsentanzen basal gestörten Teil-Objektbeziehungen

ganzheitlichen Objektbeziehungen zu gelangen

Einleitung gutartiger Internalisierungsprozesse pathogene Introjekte sollen durch gutartige ersetzt

werden

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Psychoanalytisch-interaktionelle

Psychotherapie (Heigl-Evers u. Ott 1994)

Therapeutische Haltung: Die Therapeutin steht der Patientin als reale Person

„antwortend“ zur Verfügung

Übernahme von Hilfs-Ich-Funktionen: Vermittlung und Einübung realer Fähigkeiten der

interpersonellen Interaktion

„Prinzip Antwort“: „selektiv-authentische“ Mitteilung eigener

Gefühlsreaktionen und der vermuteten oder wahrscheinlichen Gefühlsantworten alltäglicher Interaktionspartner

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Strukturbezogene Psychotherapie (Rudolf 2004)

Ziel:

nicht das Verstehen der Störung im Hinblick

auf ihre Konfliktdynamik und biographische

Bedingtheit,

sondern der veränderte Umgang des

Patienten mit seinen Ich-Funktions-

Defiziten.

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Strukturbezogene Psychotherapie (Rudolf 2004)

Vorgehen: Den Patienten anleiten das Verhalten und Erleben als Muster sehen zu

lernen das Muster als etwas biografisch Gewachsenes zu

akzeptieren, das auch Bewältigungsversuche beinhaltet

die heutige Funktionalität/Dysfunktionalität des Verhaltensmusters zu untersuchen

das Verhaltensmuster als etwas eigenes akzeptieren und Verantwortung dafür zu übernehmen

alternative Möglichkeiten zu erproben.

Page 102: Trauma und Persönlichkeitsstörungen - Klinik Rhein · Modell der Dysregulation der hippokampalen Erinnerungsspeicherung (Trauma-Modell) Funktionsminderung des Hippokampus • gestörte

Mentalisierungsbasierte Psychotherapie für

Borderline-Patienten (Bateman u. Fonagy 2004)

Behandlungsziele Identifikation und adäquater Ausdruck von

Affekten Entwicklung stabiler innerer Repräsentanzen Bildung eines kohärenten Selbstgefühls Förderung der Fähigkeit, sichere Bindungen

herzustellen.

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Psychodynamisch-imaginative Psychotherapie (PITT) für komplexe Traumafolgestörungen (Reddemann 2011, Sachsse 2010)

Phasenorientierung

Imaginative Techniken zur Stabilisierung und Traumabearbeitung

Keine ausschließliche Heilung durch Beziehung

Nachbeelterung auf der inneren Bühne

Arbeit mit Persönlichkeitsanteilen

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Psychodynamische Therapieansätze bei

Persönlichkeitsstörungen

Evidenz auf der Basis von

Übertragungsfokussierte Psychotherapie (TFP) für BPS (Kernberg 1993; Clarkin et al. 2001)

RCT Clarkin et al. (2007)

Psa.interaktionelle Psychotherapie (Heigl-Evers u. Ott 1994)

kontrollier-ten Studien

Leichsenring (2008)

Strukturbezogene Psychotherapie (Rudolf 2004)

kontrollier-ten Studie

Rudolf et al. (2004)

Mentalisierungsbasierte PT für BPS (Bateman u. Fonagy 2004)

RCT Bateman & Fonagy (2002)

Page 105: Trauma und Persönlichkeitsstörungen - Klinik Rhein · Modell der Dysregulation der hippokampalen Erinnerungsspeicherung (Trauma-Modell) Funktionsminderung des Hippokampus • gestörte

Psychodynamische Therapieansätze bei

komplexen Traumafolgestörungen

Evidenz auf der Basis von

PITT (Psychodynamisch-

imaginative Trauma-

therapie (Reddemann 2011; Sachse 2010)

kontrollier-ten Studien

Sachsse et al.

2006; Lampe et

al. 2008, Kruse et al. 2010)

Page 106: Trauma und Persönlichkeitsstörungen - Klinik Rhein · Modell der Dysregulation der hippokampalen Erinnerungsspeicherung (Trauma-Modell) Funktionsminderung des Hippokampus • gestörte

Psychodynamische Konzepte zur

Behandlung von Persönlichkeitsstörungen

Berücksichtigung der Probleme der Ich-Integration und der Bindungsproblematik (TFP, MBT)

Berücksichtigung der Ich-Funktionsstörungen (Psa. Interaktionelle PT, Strukturbezogene PT, MBT)

Spezielle Berücksichtigung der Mentalisierungs-defizite (MBT)

jedoch keine traumaspezifischen Stabilisierungs-

techniken keine Berücksichtigung von PTBS-

/dissoziativer Komorbidität

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Traumaorientierte Konzepte bei

komplexen Tramafolgestörungen

PITT (Psychodyn.-imaginative Traumatherapie (Reddemann 2011; Sachsse et al. 2006; Lampe et al. 2008, Kruse et al. 2010)

Fokus auf Emotionsregulierungsstörung und Traumabearbeitung

Berücksichtigung von PTBS-/dissoziativer Komorbidität

Jedoch keine konzeptuelle Berücksichtigung der Mentalisierungs-/Bindungsproblematik und der maladaptiven Verhaltens- und Beziehungsmuster

Page 108: Trauma und Persönlichkeitsstörungen - Klinik Rhein · Modell der Dysregulation der hippokampalen Erinnerungsspeicherung (Trauma-Modell) Funktionsminderung des Hippokampus • gestörte

Ressourcenbasierte

Pychodynamische Therapie (RPT)

zur Behandlung von Patienten mit traumaassoziierten Persönlichkeitsstörungen

Ev. 107

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7 Zielgruppen des Konzepts

Ev. 108

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Zielgruppen des Konzepts

Primäre Zielgruppe: Persönlichkeitsstörungen

mit Komorbidität einer Posttraumatischen Belastungsstörung (i. S.

d. ICD-10) und/oder

einer dissoziativen Störung

in zweiter Linie: Persönlichkeitsstörung ohne komorbide

Posttraumatische Belastungsstörung oder

dissoziative Störung

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7 Ressourcen- und Traumadiagnostik

Ev. 110

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Ressourcen- und Traumadiagnostik

zu Behandlungsbeginn

ressourcenreiche Momente des Lebens, Stärken, Fähigkeiten und hilfreiche Beziehungen explorieren

Bewältigungsstrategien der Gegenwart und Vergangenheit erfragen

keine Exploration traumatischer Ereignisse

spontanes Berichten traumatischer Erfahrungen eher begrenzen

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Ressourcen- und Traumadiagnostik

bei tragfähiger therapeutischer Beziehung und ausreichender Emotionskontrolle

Erklärungen und Erläuterungen geben

mit der Bearbeitung von Alltagsstressoren beginnen

bei Kindheitstraumen subjektiven Belastungsgrad der Befragung und der Inhalte abschätzen

Patientin bestimmen lassen, ob und was sie erzählt

Distanzierungstechniken vermitteln

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Ressourcen- und Traumadiagnostik

erst in der Phase der Traumabearbeitung

taktvolles Erfragen von Details

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8 Phasenorientiertes Therapiekonzept

Ev. 114

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Phasenorientiertes Therapiekonzept

1. Sicherheit, Halt und die Stärkung der

Bewältigungskompetenz

2. Emotionsregulierung und Selbstfürsorge

3. Mentalisierung und die Entwicklung stabiler

Repräsentanzen

4. Schonende Traumabearbeitung

5. Konfliktorientiertes Arbeiten an maladaptiven

Verhaltensmustern

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Phase 1:

Sicherheit, Halt und die Stärkung der

Bewältigungskompetenz

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Externe Emotionsregulierung zur Reduktion des erhöhten Bedrohungs-erlebens: Maximaler Kontrast zur traumatischen Situation

Traumatische Situation Therapeutische Situation

Bedrohung, Unsicherheit Sicherheit

Kontrollverlust Kontrolle

Verwirrung, Intransparenz Aufklärung, Transparenz

Alleingelassensein reale Präsenz

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Sicherheit

Äußere Sicherheit (Täterkontakte?)

Soziale Sicherheit

Sicherheitsgefühl in der therapeutischen

Beziehung

Bedingungen der Behandlungssituation (z.B.

Sitzanordnung)

Antizipation des Unsicherheitsgefühls der

Patienten

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Kontrolle

Kontrollbedürfnis der Patienten respektieren

Einbezug der Patientin in therapeutische

Entscheidungen

Wahlmöglicheiten anbieten

fortgesetztes Einholen des Einverständnisses

der Patientin

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Zusammenhang zwischen Mentalisierungsfunktion und Emotionsregulierung

Die Fähigkeit zur Mentalisierung ist in hohem

Maße von der Qualität der Emotions-

regulierung abhängig.

emotionaler Dysregulation potenziell vieldeutige

Verhaltensweisen anderer Menschen werden

vorschnell im Sinne einer gegen die eigene Person

gerichteten Schädigungsabsicht interpretiert

Verstärkung des Bedrohungserleben bei

eingeschränkter Mentalisierungsfunktion

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„Individuals with borderline personality disorder are normal mentalizers except in the context of

attachment relationships.“

(Fonagy & Bateman 2007)

Fonagy P, Bateman AW (2007). Mentalizing and borderline personality disorder. J Ment Health; 16(1): 83 – 101.

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Inverse Beziehung zwischen Mentalisierungs-

funktion und Aktivierung des Bindungssystems

Aktivierung des Bindungssystems hemmt die

Mentalisierungsfähigkeit normaler Erwachsener (Bartels u .

Zeki 2004, Mikulincer u. Shaver 2007).

Sicher gebundene Personen: Mentalisierungsfunktion

(präfrontale Aktivität) bleibt auch bei aktiviertem

Bindungssystem erhalten

Bei unsicher gebundenen wird die Mentalisierungs-

funktion um so stärker deaktiviert, je mehr das

Bindungssystem aktiviert ist.

Borderline: Tendenz zur schnellen Aufnahme enttäuschend

verlaufender Beziehungen

Therapeutische Konsequenz: Deaktivierung des stark

aktivierten Bindungssystem, um die Mentalisierungsfunktion zu

stärken (Levy et al. 2011)

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Therapeutische Haltung

Antiregressives Beziehungsangebot mit

Stärkung der Eigenverantwortung der Pat. Vermittlung von Bindungssicherheit, jedoch

möglichst geringe Aktivierung des Bindungs-

systems zur Erhaltung der Mentalisierungs-

funktion

möglichst geringe Aktivierung von Retter- oder

Täterübertragungen

ggf. aktives Ansprechen der Übertragungs-

muster

dadurch geringere emotionale Belastung der

Therapeuten

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Unterstützende Techniken zur Reduktion des Bedrohungs- und Spannungserlebens

Bilaterale Stimulationstechniken

(„Butterfly-Hug“)

Klopftechniken der energetischen

Psychologie

Klopfroutinen mit Stimulation

definierter Akupunktur-Punkte (Gallo; TFT

nach Callahan etc.)

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Einteilung der Ressourcen nach Smith & Grawe (2003)

interpersonale

• z.B. wert-schätzende Beziehungen

intrapsychische

• z.B. soziale Kompetenzen

motivationale

• Ziele zur

• Erreichung von Grund-bedürfnissen

potenziale

• Kompetenzen zur Erreichung von Grundbedürfnissen

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Definition von Ressourcen nach Nestmann (1996)

"Letztlich alles, was von einer bestimmten Person in einer bestimmten Situation wert-geschätzt wird oder als hilfreich erlebt wird, kann als eine Ressource betrachtet werden.”

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Als Ressource kann alles genutzt werden, was einen positiven Körperstate

hervorruft!

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Ressourcenaktivierung

Aktivierung bisheriger Bewältigungsformen

Aktives Herbeiführen von State-Wechseln im

Sinne positiver emotionaler Zustände durch

positive Aktivitäten

Aktivierung positiver Erinnerungsbilder

imaginative Techniken

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Regeln, Vereinbarungen, Verträge

zum Schutz der Patientin, der Therapeutin

und der Therapie vor destruktiven Persön-

lichkeitsanteilen

Einbezug der Patienten bei der Erarbeitung

von Vereinbarungen und Therapieverträgen

(„Schlupflöcher“)

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Edukation zu Persönlichkeitsstörungen

ängstlich-vermeidende Persönlichkeitszüge als Übergenera-lisierung einer ursprünglich sinnvollen Vermeidungshaltung erklären

Anklammerungsneigung abhängiger Persönlichkeiten auf kindliche Verlassenheitsängste zurückführen

Affektübertreibung und Dramatisierung histrionischer Persönlichkeiten als Versuch erklären, sich in der Not Gehör zu verschaffen

paranoide Persönlichkeitszüge als übersteigerte Vorsicht erläutern

Spaltungstendenz der emotional instabilen Persön-lichkeitsstörung mit der Notwendigkeit einer klaren Trennung zwischen »guten« und »schlechten« Beziehungsmustern erklären

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Der „verletzliche Punkt“: Edukation und Reparatur der Beziehung

unvermittelt heftige emotionale Reaktion zeigen an, dass der „verletzliche Punkt getroffen wurde unerwartete Angriffe, plötzliches Weglaufen aus der

Sitzung

„Umkippen“ der Übertragung

Aussetzen reifer Ich-Funktionen

Edukation edukative Vorbereitung: kein „Gehen auf Eierschalen“

„Reparatur der Beziehung“: empathisches Annehmen des Nicht-Verstehens

Nicht-Verstehen als Ausdruck persönlicher Begrenzung

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Persönlichkeitsspezifisches Stresserleben

Alleingelassenwerden

Autonomieeinschränkung

Identitätsbedrohung

Selbstwert- und Schamregulation

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Typische Gegenübertragungsmanifestationen bei traumatisierten und persönlichkeitsgestörten Patienten

Mitgefühl, intensive Wut auf Täter Rettungsimpulse Gefühl von Ohnmacht und Hilflosigkeit Gefühle des Ungenügens oder der Inkompetenz sexuelle Wünsche und Handlungsimpulse Gefühl der Abneigung und des Abgestoßenseins keinen Glauben schenken und Schuld zuweisen Gefühl, manipuliert und kontrolliert zu werden Impuls, die Patientin meiden zu wollen Schuldgefühle Schamgefühle

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Quellen der Gegenübertragung

Übertragungsangebot der Patienten

aktualisiertes Bindungsverhalten der Patienten

reale Aspekte der Beziehung zu den Patienten

die Tatsache und Qualität der Traumatisierung

eigene Übertragungen auf die Patienten

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Gegenübertragungsreaktionen im Täter-Opfer-Retter-Schema

Patientin als Therapeutin als

zu Rettende Retterin

Opfer Täterin

Täterin Opfer

Retterin zu Rettende

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Gegenübertragungsreaktionen im Täter-Opfer-Retter-Schema

Eine Therapeutin hat das Gefühl, ihre Patientin sei ein armes, hilfloses Wesen, das ohne ihre Hilfe zugrunde ginge. Sie ver-längert die Sitzungen um das Doppelte, ohne dafür honoriert zu werden.

Eine Therapeutin, die eine grenzüberschreitende Patientin aktiv begrenzen muss, fühlt sich schuldig, die Patientin dadurch zurückgewiesen und damit retraumatisiert zu haben.

Ein Therapeut fühlt sich seiner Patientin ohnmächtig ausgeliefert und hat das Gefühl, dass die Patientin alle seine gut gemeinten Angebote entwertet und die Therapie zerstört.

Eine Therapeutin gesteht einer Patientin ihre Gefühle von Unsicherheit und Inkompetenz ein und erreicht damit, dass die Patientin sie tröstet und aufbaut.

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Gegenübertragung

Diagnostische Nutzung der Gegenübertragung

Konkordante Gegenübertragung

Einfühlung in die unerträglichen Affekte der Pat.

Komplementäre Gegenübertragung

Einfühlung in die negativen Affekte der Interaktionspartner

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Projektive Identifizierung: Unbewusste Emotionsregulierung zu Lasten der Interaktionspartner

unerträgliche emotionale Zustände werden zur inneren Druckentlastung in Interaktionspartner „deponiert“

Interaktionspartner werden subtil so manipuliert, dass sie sich für die Projektionen eigener unerträglicher Emotionszustände eignen

negative Emotionen unterschiedlichster Art in der Gegenübertragung (Ärger, Hilflosigkeit, Lähmung usw.)

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Gegenübertragungsgefühle

Ein Therapeut fühlt sich in der Beziehung zu seinem traumatisierten Patienten ohnmächtig und hilflos. Er beginnt, an seiner Eignung als Psychotherapeut zu zweifeln, hält sich für einen schlechten Therapeuten. Angeregt durch eine Supervision, wird ihm deutlich, dass er solche Gefühle in Kontakt mit seinen anderen Patienten nicht kennt. Im Gegenteil, er kann mit seinem aktiven und zupackenden therapeutischen Stil auf viele Behandlungserfolge zurückblicken. Er fühlt sich deutlich besser, als ihm deutlich wird, dass diese Gefühle vom Patienten in ihn »deponiert« worden sind. Dies ermöglicht ihm eine Distanzierung von den Ohnmachtsgefühlen und verschafft ihm neue Möglichkeiten einer ressourcenorientierten Beziehungsgestaltung

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Therapeuten-Selbstfürsorge (1)

Allgemeine psychohygienische Grundsätze beachten nicht zu viele schwer gestörte Patienten gleichzeitig

behandeln

ausreichende Pausen etc.

Distanz zum Gegenübertragungsaffekt anstreben mit der Möglichkeit deponierter Patientenaffekte

rechnen

Verständnis eigener emotionaler Dysregulationen in der Gegenübertragung als Resultat projektiv-identifikato-rischer Vorgänge des Pat. wirkt entlastend

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Therapeuten-Selbstfürsorge (2)

Patientenbezogene Maßnahmen sich um genaueres Verständnis der Defizite und

Regulierungsschwierigkeiten bemühen

das Sicherheits- und Kontrollgefühl der Pat. erhöhen

Übertragungsängste der Patienten klären

liebenswerte Seiten der Patientin entdecken

positive Zukunftsvision der Patientin entwickeln

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Therapeuten-Selbstfürsorge (3)

Eigene Emotionsregulierung optimieren imaginative Distanzierungstechniken

achtsam-beobachtende-mitfühlende Haltung einnehmen

Selbstberuhigungstechniken, z.B. bilaterale Stimulationstechniken („Butterfly-Hug“) oder Klopftechniken der energetischen Psychologie zur Förderung der emotionalen Distanz

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Selektiv-authentische Mitteilung

von Gegenübertragungsgefühlen

Empathisch dosierte Mitteilung der eigenen Emotionen kann Vorteile bieten: Authentisch sein kann das Gefühl von Präsenz

vermitteln Erleichtert Zugang zur differenzierten

Wahrnehmung ihrer Gefühle Erlaubnis, ihrerseits Gefühle zu äußern.

Keine Mitteilung eigener Gegenübertragungs-gefühle zur Entlastung einer eigenen problematischen Gegenübertragung!

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Phase 2:

Emotionsregulierung und

Selbstfürsorge

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Borderline-Emotionen: Gefühl verzweifelten Alleingelassenseins

Gefühl völliger Isolation und totalen Abgeschnitten-seins von der Welt

katastrophaler Schmerz, oft verbunden mit dem Gefühl, nicht mehr zu existieren: Wiederkehr des schmerzvollen kindlichen Alleingelassen-seins

Auslösung: vorübergehende Trennung oder ein nicht erwartetes Alleinsein, fehlendes Einverständnis wichtiger Bezugspersonen

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Borderline-Emotionen: Ärger und Wut

Häufig bei BPS, nicht immer offen geäußert

meist keine Selbstwahrnehmung für das Dominante und Machtvolle des eigenen Verhaltens

Auslöser: Gefühl der Vernachlässigung oder des Verlassenwerdens durch nahestehende Person

Ärger und Wut als Abwehr einer unerträglicheren Angst, z.B. vor dem Verlassenwerden oder vor dem Verlust der Selbstachtung.

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Borderline-Emotionen: Gefühle der Leere

schmerzhaft empfundenes Gefühl eines Mangels (Klonsky 2008)

oft als Betäubtheit oder als Unfähigkeit zu fühlen

meist in Verbindung mit Gefühlen der Einsamkeit und Isolierung, aber der Entfremdung und Hoffnungslosigkeit

oft im Vorfeld von Suizidimpulsen (Schnyder et al.

1999).

verzweifelte Versuche, die Leere zu füllen

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Borderline-Emotionen: Erleben inneren Schmerzes

Erfahrung von intensivem innerem Schmerz (Zanarini & Frankenburg, 2007, Zittel et al. 2005).

assoziiert mit extremer Trauer, ängstlichem Ersticken, Gefühlen der Fragmentierung und Identitätslosigkeit, des Kontrollverlusts, der Destruktivität/Selbstdestruktivität und des Opferseins

Vergleich mit einer Verbrennung dritten Grades : „keine emotionale Haut, Schmerz bei leichtester Berührung“ (Linehan 1993)

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Selbstwahrnehmung fördern

Kein unmittelbares Handeln, sondern durch Selbstexploration des gegenwärtigen Erlebens

erkennen, dass das aktuelle Erleben nicht die Gegenwart widerspiegelt, sondern einem früheren Zustand zuzuordnen ist

„Sortieren“ des Affekts: Anteile der Gegenwart vs. Anteile der Vergangenheit

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Ich-Funktionsdefizite

Eingeschränkte Fähigkeit zu ...

Impulskontrolle

Kognitive Funktionen, u.a. Mentalisierung

Objektkonstanz

Erzeugung kohärenter Narrative

Lösung interpersoneller Konflikte

Inanspruchnahme von Hilfe

Abgrenzung von schädigenden

Interaktionen

Artikulation eigener Bedürfnisse

Motivation zu konstanter Arbeit

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Allgemeines zu Ich-Funktionsdefiziten

Kompetenzen wurden in einem beziehungs-traumatischen Umfeld nicht ausreichend erlernt

Kompetenzen sind andauernd oder vorüber-gehend situations- und kontextabhängig nicht verfügbar

als Folge eines allgemein verminderten Kompetenzgefühls

als Folge einer Blockade durch verinnerlichte Verbote

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Aufbau spezifischer Ich-Funktionen mit Hilfe ressourcenaktivierender Techniken

Wie hoch ist die subjektive Belastung durch den aktuellen Stressor? (SUD 1-10).

Welche Fähigkeit/Kompetenz brauchen Sie zur Bewälti-gung des aktuellen Stressors?

Wann in Ihrem Leben stand Ihnen diese Kompetenz einmal zur Verfügung?

Erinnern Sie diese Situation möglichst lebendig. Spüren Sie auch das zugehörige positive Körpergefühl.

Verankerung der Ressourcenerinnerung und des positiven Körpergefühls mittels Stimulationstechniken

Wie hoch ist die subjektive Stressbelastung jetzt?

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Förderung der Affektwahrnehmung und Affektdifferenzierung

Differenzierung von Vergangenheits- und Gegenwartsanteilen undifferenzierter Affektzustände

Imaginatives „Wegpacken“ der Vergangenheitsanteile

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Emotionsregulierung: Pendeltechnik

Ausgiebige Aktivierung von Ressourcen-States Positives Erinnerungsbild oder

Imagination Positives Körpergefühl im Wechsel mit

ultrakurzer Aktivierung des negativ-emotionalen Trauma-States Ggf. in Verbindung mit Distanzierungstechniken

(Fine u. Berkowitz 2001; Levine 1998; Reddemann et al. 2011, Knipe 2011)

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Emotionsregulierung: Pendeltechnik

Verankerung der Ressourcen-States mit bilateraler Stimulation: 5-6 langsame

Augenbewegungen/Tappings

Langsame Steigerung der Expositionszeit

negativer States

Fine u. Berkowitz 2001; Levine 1998; Reddemann et al.

2011;

Knipe 2011: CIPOS (Constant Installation of of Present

Orientation and Safety)