Über wesen und bedeutung katatonischer symptome

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Uber Wesen und Bedeutung katatonischer Symptome. Von Kurt Schneider. (Aus der psychiatrischen Klinik der Ak~lemie ffir praktische Medizin in KSln [Prof. Dr. G. Aschaffenburg].) (Eingegancj~n am 30. November 1913.) Seitdem man einsah, dal~ zwischen den katatonischen und den andern Formen der Dementia praecox eine natiirliche Abgrenzung nicht mSg- lieh ist, hat der Krankheitsname ,,Katatonie" immer weitere Kreise gezogen und heute wird er von vielen Autoren vSllig synonym mit ,,Dementia praecox" gebraucht. Zweifellos spielte dabei die sprach- liche Bequemlichkeit eine Rolle; man konnte ein handliehes Adjektivum bilden, w~thrend dies bei dem Namen ,,Dementia praecox" nicht m6glich war. DaB dieses Moment aber nicht allein wirken konnte, zeigt die Tatsache, dab weder die ,,Hebephrenie", die denselben spraehlichen Vorzug hatte, diese Ausdehnung erreichte, noeh Bleulers ,,Schizo- phrenie" bis jetzt die ,,Katatonie" merklich sehm~lern konnte. Es lag und liegt vielmehr an der Tatsache, dab engste und unzertrenn- bare Beziehungen bestehen zwischen dem ,,katatonischen Symptomen- komplex", den von Kahlbau m in Vordergrund gestellten Motilit~ts- zusthnden, und allen iibrigen auch nicht im engeren Sinn katatonen Symptomen der Dementia praecox. Es ist eben nicht mSglich, die kata- tonen Symptome shuberlich aus den andern herauszusch~len. Ieh mSchte nur daran erinnern, wie unm6glich es ist, etwa zwischen Manieren und Stereotypien eine Grenze zu ziehen, oder vollends zwischen dem feinen psychi~chen und dem im engern Sinne katatonischen Negativismus. Es ist eben das Katatonische, das die Dementia praecox in allen Formen durchzieht und ihr Bild bald grSber, bald feiner ausgebildet charakte- risiert. Eine natfirliche Folge des ungeheuren Uberflie[3ens der Katatonie, die heute, abgesehen yon ~uBerlichkeiten, kaum mehr etwas Gemein- sames hat mit der K ah i b a u m s, war auch das v611ige Verschwimmen des ,,katatonischen Symptomenkomplexes". Er umfa~t heute sogut wie alles, was die Schizophrenen ~uBerlich zur Schau tragen k6nnen, was sich am deutlichsten vielleicht in Jaspers Fassung des Begriffes zeigt, der unter anderem auch das Fehlen des ,,deutlich begleitenden Affektes" zum katatonischen Symptomenkomplex rechnet.

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Uber Wesen und Bedeutung katatonischer Symptome. Von

Kurt Schneider. (Aus der psychiatrischen Klinik der Ak~lemie ffir praktische Medizin in KSln

[Prof. Dr. G. Aschaffenburg].)

(Eingegancj~n am 30. November 1913.)

Seitdem man einsah, dal~ zwischen den katatonischen und den andern Formen der Dementia praecox eine natiirliche Abgrenzung nicht mSg- lieh ist, hat der Krankheitsname , ,Katatonie" immer weitere Kreise gezogen und heute wird er von vielen Autoren vSllig synonym mit ,,Dementia praecox" gebraucht. Zweifellos spielte dabei die sprach- liche Bequemlichkeit eine Rolle; man konnte ein handliehes Adjektivum bilden, w~thrend dies bei dem Namen ,,Dementia praecox" nicht m6glich war. DaB dieses Moment aber nicht allein wirken konnte, zeigt die Tatsache, dab weder die ,,Hebephrenie", die denselben spraehlichen Vorzug hatte, diese Ausdehnung erreichte, noeh B l e u l e r s ,,Schizo- phrenie" bis jetzt die , ,Katatonie" merklich sehm~lern konnte. Es lag und liegt vielmehr an der Tatsache, dab engste und unzertrenn- bare Beziehungen bestehen zwischen dem ,,katatonischen Symptomen- komplex", den von K a h l b a u m in Vordergrund gestellten Motilit~ts- zusthnden, und allen iibrigen auch nicht im engeren Sinn katatonen Symptomen der Dementia praecox. Es ist eben nicht mSglich, die kata- tonen Symptome shuberlich aus den andern herauszusch~len. Ieh mSchte nur daran erinnern, wie unm6glich es ist, etwa zwischen Manieren und Stereotypien eine Grenze zu ziehen, oder vollends zwischen dem feinen psychi~chen und dem im engern Sinne katatonischen Negativismus. Es ist eben das Katatonische, das die Dementia praecox in allen Formen durchzieht und ihr Bild bald grSber, bald feiner ausgebildet charakte- risiert.

Eine natfirliche Folge des ungeheuren Uberflie[3ens der Katatonie, die heute, abgesehen yon ~uBerlichkeiten, kaum mehr etwas Gemein- sames hat mit der K ah i b a u m s, war auch das v611ige Verschwimmen des ,,katatonischen Symptomenkomplexes". Er umfa~t heute sogut wie alles, was die Schizophrenen ~uBerlich zur Schau tragen k6nnen, was sich am deutlichsten vielleicht in J a s p e r s Fassung des Begriffes zeigt, der unter anderem auch das Fehlen des ,,deutlich begleitenden Affektes" zum katatonischen Symptomenkomplex rechnet.

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Aber wenn wir uns auch dieser flie~enden Uberg~nge bewui~t bleiben und mit B l e u ler ,,nicht sicher behaupten", dal~ die alten katatonischen Symptome ,,alle mehr innern Zusammenhang unter sich haben, als mit andern Symptomen", so mtissen wir ihnen doch die M5glichkeit einer gesondcrten Betrachtung zubilligen. Nicht nur, well sie, wenn man so sagen darf, viel greifbarer, viel objektiver dastehen, als die andern schizo- phrenen Symptome, sondern auch deshalb, weil sie in gleicher Ausbildung sich auch bei andern sicher n i e h t schizophrenen Psychosen finden.

In der Zeit, da K a h l b a u m und sp~tter N e i s s e r die Katatonie als Krankheitseinheit einzufiihren suehten, machte ihnen diese Tatsache die meisten Schwierigkeiten, sie steht noch heute vielfach der Annahme der Dementia praecox entgegen. Damals wie heute haben die Katatonie- gegner mit manchen im Grunde naiven Warren geki~mpft, andere waren aber auch durchaus nicht so leicht beiseite zu schieben. Es erledigt sich fiir uns von selbst, wenn jemand als Argument gegen die Katatonie vor- bringt, katatonische Symptome k~imen ,,aueh" bei der ,,Paranoia acuta" oder dem ,,sekund~ren Sehwaehsinn" vor, dagegen werden katatonische Symptome bei einer einwandfreien epileptischen Psychose schon mehr zu denken geben. Dait es zahlreiche in ihren Zustandsbildern ,,kata- toniseh modifizierte" Psychosen gibt (Schiile), die sicher nichts mit der , ,Katatonie" zu tun haben, ist hie geleugnet worden, dait in dem letzten Jahrzehnt eine Neigung bestand, dies zu vergessen, li~Bt sich aber wohl auch kaum bestreiten. Dait das nicht vergessen werden d a r f, ist nieht nur eine Forderung des praktischen Bedarfes am Krankenbett , sondern aueh eine Forderung der allgemeinen Psychopathologie.

DaIS die katatonen Symptome im engeren Sinne wohl eine gewisse Sonderstellung innerhalb der iibrigen sehizophrenen Symptome einneh- men, zeigt die Frage ihres Vorkommens bei geistig Gesunden. Die Frage, ob G cs u nde schizophrene Zfige zeigen kSnnen, ist ohne eine eingehende Wiirdigung der ,,latenten Schizophrenie" tiberhaupt nicht zu beant- worten. Wie S t r a n s k y mit Recht sagt, haben wir alle in unsrem Be- kanntenkreise den einen oder den andern, der in dem weiteren Sinn , ,katatone" Ztige zeigt, auch viele sehr hochstehende KunstschSpfungen haben ftir uns etwas ,,Katatonisches". Soll man nun aber von solchen Menschen sagen, es sind Gesunde mit schizophrenen Ztigen, oder soll man sagen, es sind latente Schizophrenien ? Die Frage lhl~t sich tiber- haupt nieht beantworten.

Anders ist es mit den im engeren Sinn , ,katatonen" Symptomen. Wir scheuen uns nicht, zu behaupten, dai~ sie bei Gesunden aul~erhalb der hypnotischen Suggestion a u s g e b i l d e t nieht vorkommen. Da] sie sich aber in Andeutungen aueh hier finden, ist bekannt. Es f~llt uns sehwer, uns aus einem Rhythmus, sei es musikalischer oder rein moto- riseher Art, loszureifien; in einem Schaukelstuhl oder einer andern

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gleiehfSrmigen Bewegung anzuhalten, kostet hi~ufig eine gewisse Willens- kraft, und es ist verftihrerisch, in diese Bewegungen von neuem zu ver- fallen. Aueh unsere Vorliebe fiir gewisse Ausdrticke, Haltungen, Gesten, unsre Neigung, Modewendungen nachzumachen, eine augenblicklich viel gehSrte Redensart, aueh wenn wir sic dumm finden, schlieftlich selbst zu gebrauchen, li~f~t sich schwerlich ganz von diesen Dingen trennen. Auch der ausgesproehenen Neigung, etwas ,,nachzumachen", begegnen wir nieht selten. Wird in einer medizinischen Vorlesung ein Mann ge- zeigt, der den Daumen nicht adduzieren kann, werden viele HSrer diese Bewegung auch versuchen; es kostet eine gewisse Mfihe, es nicht zu tun.

Im Zustand der Ermtidung ist dies alles noch viel deutlicher. Die Neigung zur sprachlichen Perseveration ist hier experimentell erwiesen. Der Vortragende, der lang gesprochen hat, wiederholt sich leicht in seinen Ausdrticken, unsre Unterhaltung dreht sich im Kreise, wenu wir mtide sind. Am Morgen einer durchwachten Nacht verfolgen uns die Melodien, die wir hSrten, im Zustand der Abspannung kritzeln wir nicht selten fortgesetzt die gleichen Buchstaben und Figuren aufs Papier. Stuporiihnliche Zusti~nde finden sich oft bei starker Ermfidung, und ~hn- liches wird im Halbschlaf beobachtet: man will sich bewegen und kann es nicht.

Sieht man so die Erscheinungen des Stupors, der Perseveration, der Stereotypien und Eehoerscheinungen auch beim Gesunden angedeutet, so bedarf die Frage der Katalepsie einer besonderen Betraehtung. Sie hi~ngt aufs engste zusammen mit der Frage nach der idiopathischen Form der Katalepsie, der alten ,,Katalepsia simplex" oder ,,vera", die in den Zei- ten, als man die Katalepsie zwischen Tetanie und Epilepsie abhandelte, die Gemfiter lebhaft bewegte, heute aber als in negativem Sinne erledigt betrachtet werden kann. Ob sich auch echte Katalepsie a n g e d e u t e t bei Gesunden findet, l i~t sich nicht beantworten, namentlich deshalb nicht, well sie in ihren leichtesten Formen yon der Pseudokatalepsie nicht mit Sicherheit zu unterscheiden ist. Die Ansichten, was man unter echter und was unter falscher Katalepsie zu verstehen hat , sind fibrigens immer noch geteilt. Zwei Formen der Katalepsie lassen sich unterscheiden: bei der einen leisten die Glieder dem Untersucher keinerlei Widerstand, scheinen ihm im Gegenteil zuvorzukommen, bei der andern spiirt der Untersucher zum mindesten eine leichte Sperrung. W e r ni c k e sieht in diesen zwei Formen nur graduelle, Z i e h e n prinzipielle Unterschiede, beide bezeichnen nur die letztere als echte Katalepsie. Mit B l e u l e r muI3 man zugeben, da[~ diese beiden Formen sich vielfach nicht scharf trennen lassen, und wir bezeichnen also als ,,Pseudokatalepsie" nur solche Zust~nde, in denen die Versuchsperson a b sic h t l i c h die Glieder in der gegebenen Stellung l~tl3t, meist in dem Glauben, der Arzt wolle das so. Wenn der einigermai~en gefibte Bliek so auch hi~ufig die eehte

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v o n d e r falschen Katalepsie unterscheiden kann, wird er das doch ohne Zweifel nicht immer kSnnen. Das hat seinen tieferen Grund darin, daI3 eben auch zwischen der so gefa~ten falschen und der echten Katalepsie kein prinzipieller Unterschied bestehen kann. Beides sind im letzten Ende Suggestionserscheinungen, ob der Kranke ,,bewui3t", ,,unbewuI~t" oder ,,halbbewul3t" den Arm in der vom Arzt gegebenen Stellung lest- halt, li~Bt sich eben mitunter weder praktisch noch theoretisch ent- scheiden, und so kann man auch nicht feststellen, ob bei Gesunden ,,echte" kataleptische Erscheinungen vorkommen.

Noch viel ausgesprochener findet sich die Neigung zu all diesen Dingen beim K i n d e . Die Neigung zur sprachlichen Persevera- tion hat nicht nur Z i e h e n betont und experimentell nachgewiesen, auch die Beobaehtungen der Kinderstube zeigen manches, was an kata- tonische Symptome erinnert: im Spiel kehren die ni~mlichen Redewen- dungen h~ufig wieder, ganze Seiten werden mit denselben Strichen be- malt, daI~ ferner ein ausgepri~gter Nachahmungstrieb in Wort und Be- wegung besteht, braucht kaum besonders hervorgehoben zu werden, er ist sogar ftir die Entwicklung des Kindes von grSI3ter Bedeutung (Mesehede) . Auch im einzelnen ist Echolalie und Eehopraxie beim kleincn Kind etwas GewShnliches.

Die Frage der Katalepsie im Kindesalter hat die i~lteren Kinderi~rzte sehr beschi~ftigt, wi~hrend in den neueren Lehrbtichern der Kinderheil- kunde nichts oder kaum etwas dartiber zu finden ist. In G e r h a r d t s Handbuch der Kinderheilkunde befindet sieh, yon S o it m a n n geschrie- ben, nicht nur eine umfangreiche Literaturfibersicht der alten und i~lte- sten Katalepsieliteratur, sondern aueh eine bis auf G ale n zurtickgehende Entwicklung des Begriffs. Bei psychopathischen, hysterischen, chorea- tisehen Kindern hat S o I t m a n n Katalepsie beobachtet, noch h~ufiger aber bei StSrungen des Digestionstraktus, bei Dyspepsie, habitueller Stuhlverstopfung, Helminthiasis, auch bei akuten fieberhaften Erkran- kungen. S t r t i m p e l l sah sie hi~ufig bei benommenen Kindern von 1--2 Jahren, hat sie aber auch bei kleinen Kindern, die,,an irgendwelehen sonstigen Affektionen leiden", nicht sehr selten in ausgesprochenem Make beobachtet.

Ich selbst sah vor ganz kurzer Zeit in der hiesigen Kinderklinik (Geh. Rat Siegert) einen eben zweiji~hrigen Jungen, der ausgesprochene Katalepsie der Arme und des Naekens zeigte. Er hatte, als ich ihn sah, eine Pneumonie iiber- standen, war aber schon eine Reihe yon Tagen vSllig fieberfrei. Es war ein geistig sicher zuriickgebliebenes Kind, das sich auffallenderweise durch sine ganz merk- wiirdige Affektlosigkeit auszeiehnete, alles mit sich machen, sich selbst zum Photographieren von einer fremden Person in unsere Klinik tragen lieB, ohne im geringsten sich aus seiner affektlosen Ruhe bringen zu lassen. Auch auf der Sta- tion verhielt es sich genau so, nur beim Kommen der Mutter soll es stets lebhafte Freude gezeigt haben. Schon bei einer friiheren Aufnahme wegen einer unbedeu- tenden Schleimhautver]etzung im Mund war dem Abteilungsarzt die Katalepsie

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aufgefallen. W~hrend nach Eulenburg die Intelligenz bei kataleptischen Kin- dern ausgezeichnet entwickelt sein soll, war dies entschieden in diesem Falle nicht so.

Kataleptische Erscheinungen bei Kindern haben endlich in neuerer Zeit auch D a m s c h und Cr a m e r bei Gelegenheit von Ikterusepidemien sehr haufig beobachtet. Das alteste Kind war 7 Jahre; bei ikterischen Erwachsenen wurde nie etwas ~hnliches gesehen.

Nach alledem werden wir die Frage der kindlichen Katalepsie dahin beantworten kSnnen, dab namentlich beim jungen Kind eine Neigung dazu sicher besteht. Von einer ,,idiopathischen Katalepsie" als Krank- heit sui generis kann auch hier keine l~ede sein. In vielen Fallen spielen B e n o m m e n h e i t s z u s t a n d e eine groBe Rolle, und wenn wir in Be- t racht ziehen, wie leieht bei Kindern Bewu$tseinstrtibungen auftreten, werden wir diese als atiologisches Moment hoch einschatzen. In anderen Fallen sind Suggest!vwirkungen zweifellos im Spiele. Haben wir schon beim Erwachsenen gesehen, da$ zwischen echter und falscher Katalepsie weder klinisch noch prinzipiell eine scharfe Grenze gezogen werden kann, so mfissen wir diese Sehwierigkeiten im Kindesalter doppelt in Betracht ziehen; namentlich beim alteren Kind sind sis untiberwindlich.

Dasselbs gilt von den kataleptischen Zustandsbildern bsi I m b ez i l - l e n und I d i o t e n , die gelegentlich vorkommen { W e y g a n d t ) . Haufiger und wiehtiger sind hier Bewegungsstereotypien, schon K a hl b a u m zieht die ,,Apathis mit erstarrten Gewohnheiten bei KindheitsblSdsinnigen" diffsrentialdiagnostisch in Betracht. K r a e p el i n allerdings trennt diess rhythmischen Bewegungen der Idioten wie auch die der schizophrenen Endzustande von den Stereotypien. Er vermutet in ihnen den ,,Aus- druck niederer Einrichtungen unseres Nervensystems, die durch Ver- niehtung der hSheren Leistungen selbstandigen Einflul~ auf die Bswe- gungen erlangen". Trotz dieser sehr einleuchtenden Vermutung mSchte ich diese Trennung nicht machen. K5nnen wir nicht in der erwahnten allgemeinen Tendenz zu Stereotypien diese ,,niederen Einriehtungen unsres Nervensystems" sehen ? Es braucht ja auch nicht immer eine Vernichtung dieser ,,hSheren Leistungen" zu sein, die diese Tendenz EinfluI~ gewinnen lal~t, sondern auch nur eine vortibergehende Aus- schaltung wis in den Zustanden von Bewu~tseinsstSrung; selbst leichte AssoziationslSsungen wie in der Ermtidung kSnnen schon imstande sein, diese sonst niedergehaltene Tendenz grSl~eren Einflul~ gewinnen zu lassen. Auch die tibrigen katatonischen Symptome, namentlich Echo- erscheinungen, sind bei Idiotie bekannt, sprachliche Persever~tion auch bei weniger sehweren Formen (Ziehen) .

Das Auftreten katatonischer Erscheinungen bei so m a t i s c h er- krankten Erwachsenen beschrankt sieh, wenn wir zunaehst yon orga- nischen Gehirnsrkrankungen absehen, auf k o m a t S s e Zus t i~nde .

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Sprachliehe Perseveration sah H e i l b r o n n e r bei einer eklamptisehen Psyehose, Verbigeration bei ur~mischen ZustSnden, in denen aueh rhyth- misehe Sehreizust~nde und Katalepsie ( K r a e p e l i n , B r i s s a u d ) be- sehrieben wurden. Katalepsie sah B r i s s a u d aueh bei Kohlenoxyd- vergiftung, B e r n h e i m beim Typhus abdominalis, E u l e n b u r g bei Alkohol-, Morphin- und Chloroformvergiftungen (Narkose).

Bei der akuten A 1 k o h o 1 v e r gi f t u n g seheinen katatonisehe Sym- ptome seltener vorzukommen, beil~tufig wird von K r a e p e l i n Kata- lepsie erw~hnt. Stupor~ihnliehe Zusti~nde, Stereotypien in Wort und Bewegung sind nieht selten. Beim ehronischen Alkoholismus, insbeson- dare bei dan Alkoholpsyehosen, legt das Auftreten katatoner Ersehei- nungen wohl den Verdacht einer nur alkoholistiseh iiberlagerten Psyehose nahe. In das Gebiet der Perseveration gehSrt die yon B r o d m a n n und mir beobaehtete Neigung Korsakoffkranker, an einmal gemaehten Fehl- reaktionen noeh monatelang zu kleben. Einer meiner F~lle zeigte aueh sonst ausgesproehene spraehliehe Stereotypien und Wortneubil- dungen, ohne daft, wie sparer aueh anatomiseh festgestellt wurde, eine Fehldiagnose vorlag.

l~beraus zahlreieh wurden bei o r g a n i s e h e n G e h i r n e r k r a n - k u n g e n kata tone Symptome besehrieben. Naeh R e d l i e h k6nnen bei allen organisehen Affektionen des Gehirns und seiner H~ute solehe Zustandsbilder (Stereotypie, Katalepsie, Negativismus, Mutazismus, Sehnutenbildung, Perseveration, Verbigeration) auftreten; er sah solehe bei Hirnabseeg, Sinusthrombose, Encephalitis, H u n t i n g t o n seher Cho- rea, Meningitiden, Blutung, Erweiehung, Sklerosis multiplex. Bei siehe- rer Meningitis tubereulosa sahen H e s n a r d und K 6 t t g e n Stereotypie und Katalepsie, letztere aueh bei einem Fall yon ausgedehnter Herd- sklerose der reehten Hemisphere und bei juveniler Paralyse. K r a e - p e l i n sah Katalepsie bei einem riesigen angeborenen Hydro- eephalus mit Sehnervenatrophie und bei t raumatisehem HirnabseeB.

Bei Seh~del- und I-Iirnverletzungen begegnen wir i~hnliehen Bildern 1) ( B o n h o e f f e r , B r u s h ) , seharf davon zu trennen sind natiirlieh die eehten Katatonien naeh SehS, delverletzungen ( L e w i n s t e i n - S e h l e - g e 1 : , ,Kommotionskatatonien") , die v. M u r a 1 t und andere beschrieben.

1) Ich kann es mir nicht versagen, hier auf eine Stelle in J. P. J a k o b s e n s ,,Niels Lyne" hinzuweisen:

,,Der letzte endlieh, der Niels zun~ehst lag, war ein groBer starker Bauern- bursche, mit dicken runden Wangen; er war von einem Granatsplitter im Gehirn verletzt, und unaufh6rlich, Stunde ein, Stunde aus, hob er, ungef/~hr jede halbe Minute, zugleieh den reehten Arm und das rechte Bein in die H6he und lieg sie dann gleich fallen, indem er die Bewegung mit einem deutlichen aber dumpfen und tonlosen Hah-hoh begleitete, immer in demselben Takt, immer genau gleich hah, wenn er die Glieder hob, hoh, wenn sic niederfielen. (Ausgabe Diederiehs, Jena, S. 298/299).

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Zum Teil haben wir die bei a r t e r i o s k l e r o t i s e h e n H i r n e r k r a n - k u n g e n vorkommenden kataton.en Symptome schon erwahnt, doch aueh aufterhalb der schweren Herderkrankungen (Blutung, Erweiehung) sind sie haufig. Besonders ist es die sprachliche Perseveration, die hier alltaglich gesehen wird und eingehend studiert wurde (H ell b r o n n e r, L i e p m a n n , S t r a n s k y u. a.), daneben kommt aber nicht selten Ver- bigeration vor, ebenso sind Katalepsie, Echoerscheinungen und Stereo- typie besehrieben. Nicht ganz yon diesen Zustanden zu trennen ist der Altersbl6dsinn nicht arteriosklerotisehen Ursprungs, in seinen hoch- gradigen Fallen beherrschen Stereotypie in Sprache und Bewegung, namentlieh Schnauzbewegungen (,,S'auglingsreflex"), Grimassen und Echoerscheinungen aller Art geradezu das Bild.

Eine wie groSe Rolle, die katatonische Symptome gelegentlieh im Verlauf der P a r a l y s e spielen, zeigt am besten die Tatsaehe, daft man sehon daran daehte, eine besondere katatonische Form aufzustellen. K n e c h t und N a c k e haben besonders eingehend solche Verlaufsformen besehrieben. Meist handelt es sich um Stuporformen mit oder ohne Wider- streben, haufig findet man Perseveration und Verbigeration, die seiner- zeit K a h l b a u m a l s pathognomonisch ffir Katatonie aufgestellt, aber schon N e i s s e r nicht als das hatte halten kSnnen. Auch A s c h a f f e n - b u r g sah nicht selten Verbigeration bei Paralytikern, doch schien sie ihm nicht den ftir Dementia praecox so charakteristischen pathetischen Beiklang zu haben. Bewegungsstereotypien sind ebenfalls nicht sehr selten; so sagt Z i e h e n yon der Paralyse: ,,in sehr eigenartiger Weise wird der Verlauf zuweilen durch katatonische Symptome (auch Stereo- typien) modifiziert." Dem negativistischen Widerstreben gegentiber scheint Katalepsie seltener zu sein, doch wird sie auch mitunter erwahnt. Unter 28 Kataleptischen land K r a e p eli n 5 Paralytiker, und in neuerer Zeit schrieb er: ,,nicht nur Katalepsie ist wenigstens vorfibergehend h~ufig genug, sondern auch Echolalie, Echopraxie und Verbigeration."

Schwieriger ]iegen die Verh~tltnisse bei der E p i l e p sie , denn wahrend differentialdiagnostische Erwagungen bisher kaum in Frage kamen, spielen sie bier eine groBe Rolle. K r a e p e l i n ist ,,oft begegnet", dab er beginnende Katatonien ftir epileptische D/~mmerzustande gehalten hat, und auch Zie h e n gesteht, ,,fehlt die Anamnese, so kann die Unter- scheidung yon einer gewShnlichen akuten halluzinatorischen Paranoia unmSglieh werden". Aus eigener Erfahrung kann ich diese Schwierig- keit nur bestatigen, auf unsren Aufnahmestationen kommen tiberaus h~ufig Falle zur Beobachtung, die uns in der ersten Zeit die Differential- diagnose Katatonie oder Epilepsie nicht entscheiden lassen.

Katatonische Zustandsbilder sind in epileptischen Zusti~nden, na- mentlich im epileptischen Stupor, etwas durchaus Haufiges. ,,Die Hand- lungen erfolgen langsam, einfSrmig, automatenhaft. Es besteht abet

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bei diesem Handeln eine grol3e Neigung zu pl6tzlichen Angst- und Wut- ausbrfichen mit triebartigem Vorgehen. Treten dazu sonderbare Stel- lungen, Grimassieren, Manieren, Stummheit, Echolalie, so kSnnen wit mit Fug und Recht yon katatonischem Stupor der Epilepsie sprechen." Aus dieser Sehilderung Sie m e r l i n g s sehen wir schon, dal~ zahlreiche katatonen Symptome in epileptischen Zust~nden vorkommen. Die schSnsten und ausgepr~gtesten Falle hat ausfiihrlich R a ec k e besehrie- ben : automatenhafte Bewegungen, Stereotypie, sinnloses Silbengeklingel, hartn~ickiges Widerstreben, Katalepsie, selbst verschrobene Haltungen hat er wiederholt beobachtet.

Am h~ufigsten scheint Verbigeration vorzukommen. Schon S a m t erwi~hnt sie, und manehe Autoren (Ne i s se r , L i e p m a n n , R a e c k e ) legen ein besonderes Gewicht auf dieses Symptom. ,,Namentlich da, wo Echolalie, Perseveration bis zum Grade der Stereotypie und Ver- bigeration und Aphasieerscheinungen auftreten, liegt allemal Verdacht auf die epileptische Grundlage der Psychose nahe" ( t~aecke) .

Die sprachlichen Iterativerseheinungen verbinden sich h~tufig mit Bewegungsstereotypien, die ebenfalls yon allen einschl~gigen Arbeiten erwiihnt werden. Zie h e n hatte einen Kranken, der stundenlang immer von einem Ful~ auf den andern trat und als Grund nur angab: ,,Ich wei$ gar nicht, wo ich hingestellt bin." Auch wir hatten vor kurzem einen Epileptiker im D~mmerzustand, der unaufh6rlich zur Ttire lief und dabei immer dieselbe Redensart vorbrachte: ,,Dat Wort, dat Wort, das muir ich sagen." Dabei machte er immer dieselben verschrobenen Bcwegungen, rief das ,,sagen" immer in demselben maniriert singen- den Tonfall und machte keine Miene, den Raum zu verlassen, als die Tare ge6ffnet wurde.

Als Stereotypien im groBen k6nnte man die von F i s c h e r , S c h a l e , E m m i n g h a u s, D ai b e r und vielen anderen beschriebene ,,photogra- phische Gleichheit" .der einzelnen D~mmerzusti~nde bei demselben Epi- lcptiker bezeiehnen; d u S a u l l e spricht yon dem ,,clich6 ind~l~bile".

Die Bezichungen der Katalepsie zur Epilepsie waren schon bekannt, als man noch fiber die Katalepsia simplex oder vera, die idiopathische Katalepsie diskutierte. Da S v e t l i n auch bei evidenter Epilepsie h~ufig kataleptisehe Erscheinungen beobaehtete, daehte er daran, die Kata- lepsie als ,,Katalepsia epileptiea" unter die epileptischen Formen zu subsummieren. Auch alle neueren Autoren haben sic in epileptischen Psychosen wiederholt gesehen, K r a e p e l i n , Z i e h e n , G a u p p , L i e p - m a n n , W e y g a n d t und viele andere erw~hnen sie als nicht seltene Erscheinung.

Zieht man in Betracht, da[t sowohl den katatonen wie epileptischen Erregungszust~tnden die allerdings fiberhaupt wenig charakteristischen impulsiven Handlungen gemeinsam sind, da[t bei beiden Erkrankungen

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Pupillenst6rungen, die sehon K a h l b a u m bei seiner Katatonie beob- aehtete, und epileptiforme Krampfanfitlle vorkommen k6nnen, kann man ermessen, wie schwierig, ja mitunter unmSglieh, die Differential- diagnose sein kann. Der letztgenannte Punkt, die Krampfanfalle, spielt sogar eine nieht geringe Rolle. Ble u l e r halt ihr Vorkommen bei Dementia praecox namentliehim Beginn for sehr haufig, T e t z n e r hat sogar einen Fall eines t6dliehen Status epileptieus bei einer sieheren Katatonie besehrieben.

Die Folge dieser vielfaeh gemeinsamen Symptomatologie sind zahl- reiehe Versuehe, differentialdiagnostisehe Merkmale zu linden. R a e e k e kommt auf Grund seiner eingehenden SpeziMuntersuehungen zu dem Ergebnis, dal~ es solehe sieheren Merkmale nieht gibt, und verlangt wie Z i e h e n : ,,es mug das Bestehen einer genuinen Epilepsie naehgewiesen werden". L ie p m a n n ist davon nieht weit entfernt : ,,in vielen Fallen, besonders wenn wir dem ersten noeh nieht abgelaufenen Anfall gegen- iiberstehen und wenn er deliri6sen oder manieahnliehen Charakter zeigt, werden wir die Diagnose in dubio lassen mtissen", er halt Stupor, amnestisehe Aphasie, Perseveration, impulsive Handlungen am ehesten flit Epilepsie charakteristiseh. Sie m e r l i n g betont den rasehen An- und Abstieg der epileptisehen Psyehose, die Eigenart der Sinnestau- sehungen (rote Farbe, konzentriert vorgedrangte Massen), impulsives Handeln und Erinnerungsdefekt. So m m e r und K l e p p e r legen Wert auf die epileptisehe Desorientiertheit, die primitiven Formen der epi- leptisehen Gewalttaten, die epileptisehe Amnesie, das Auftreten von klonisehen Zuekungen und besonders den Ausfall der Assoziations- prtifungen. Die Epileptiker sollen demente, die Katatoniker ,,hoeh- stehende", nut dureh Auslassung sprunghafte Assoziationen liefern. Sehr haufig wird es aber unm6glieh sein, die erregten und unzugang- lichen Kranken mit solehen Mitteln zu untersuehen.

B l e u l e r legt ebenfalls besonderen Wert auf das versehiedene Ver- halten der Affektivitat: bei der Epilepsie eine Mare, elementare Stim- mung, bei der Katatonie unklare inkonsequente AffektauBerungen. Auf intellektuellem Gebiet zeige der Epileptiker eine erschwerte Auffassung, der Katatoniker ,,Sperrungen im Verstandnis", die jederzeit von ra- schen Reaktionen auf komplizierte Wahrnehmungen unterbrochen wer- den k6nnen. Der Gedankengang des Epileptikers sehreite trotz der Neigung zu Wiederholungen doeh fort, er handle im Sinn einer deliriSsen Vorstellung, der Katatoniker zwecklos und inkonsequent. Schwierig findet Ble u le r die Differentialdiagnose nicht beim epileptischen Delir, sondern nur beim postepileptisehen Stupor, wenn die Kranken sich nieht untersuchen lassen. Diese Bilder sind manchmal aueh fiir ihn von dem schizophrenen Negativismus nicht leicht zu unterscheiden. Die hierbei haufige Flexibilitas cerea dauere bei Epilepsie aber niemals li~nger als Tage, bei der Katatonie Wochen und Monate.

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Dal~ K r a e p e l i n die Differentialdiagnose ftir mitunter unm6glich hMt, sahen wir oben. Er legt Gewicht auf den katatonischen Negativis- mus im Gegensatz zum hngstlichen Widerstreben des Epileptikers. Auf- fassung und Orientierung finder er im epileptischen D~mmerzustand racist schwerer gest6rt, als beim Katatoniker. Die epileptische Grund- stimmung sei ~ngstlich oder verztickt, das Handeln weniger triebartig, als dutch bestimmte wahnhafte Vorstellungen beherrscht, das Treiben des Katatonikers dagegen sinnlos, absonderlich und verrate weniger Beziehungen zur Umgebung.

Aus der Ftille und vielfachen Gegens~tzlichkeit dieser kleinen Probe yon differentialdiagnostischen Merkmalen geht zur Genfige hervor, dal~ wir prinzipiell die Differentialdiagnose nicht entscheiden k6nnen und zwar vor allem eben deshalb, well die epileptischen Zust~tnde in so vielen Fhllen typisch katatone Zustandsbilder aufweisen. Wenn auch die Anamnese mitunter Aufschlu[~ geben kann, so ist das doch nicht immer der Fall, besonders deshalb nicht, weil der Nachweis von Krampf- anfhllen keineswegs beweisend ftir Epilepsie angesehen werden kann. Na- mentlich im Beginn einer Erkrankung bestehen diese Schwierigkeiten in h6chstem Grade.

Ob a u l3e rha lb der epileptischen transitorischen Psychosen kata- tone Erscheinungen bei Epileptikern vorkommen, ist fraglich. C h o t z e n beschrieb einen Epileptiker, dessen Di~mmerzusthnde ganz katatonen Charakter zeigten, der aber auch in den Intervallen Stereotypien und Manieren zeigte. Man wird mit der Deutung solcher FMIe, die auch S t r a n s k y erwhhnt, vorsichtig sein mtissen, es kann sich urn Schizo- phrenien mit zahlreichen KrampfanfMlen handeln, oder man kann mit M o r a w i t z Mischformen annehmen, die auch K r a e p e l i n nicht gi~nzlich ablehnt. Nach den sonstigen Erfahrungen, nach dem sonstigen Aus- sehen epileptischen Schwachsinns sind diese L6sungen wahrscheinlicher, als die C h o t z e n s. So wird auch der Verlauf nicht unbedingt immer die Differentialdiagnose stellen lassen. Besonders wird das der Fall sein in den nicht seltenen FSllen, in denen die epileptischen Psychosen nicht scharf abgegrenzt sind, was allerdings mehr bei dementen, als noch jtblgeren Epilepsien vorzukommen scheint (Ziehen) .

DaB bei H y s t e r i c in den lethargischen Zusthnden, die mit den hypnotischen ja eine grol~e _Ahnlichkeit haben und als eine Art Auto- hypnose aufgefal~t werden k6nnen, kataleptische Erscheinungen beob- achtet werden, ist bekannt (Raec ke, Voss u. a.). Dauert dieser Stupor mit Katalepsie sehr lange, so wird man doch Zweifel an der Richtig- keit der Hysteriediagnose haben mtissen, l~berhaupt ist bei solchen Zusti~nden die Differentialdiagnose unter Umst~nden schwierig. Aul~er- halb der hysterischen Schlaf- und D~mmerzust~nde werden die Ver- hi~ltnisse sehr wenig einfach, well sie in das umstrittene Gebiet der

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H a f t p s y e h o s e n hiniiberleiten. Nach W i l m a n s kommen katato- nische Zustandsbilder bei solchen degenerativen Psyehosen vor, Nega- tivismus, Mutazismus, selbst Verschrobenheit, Manieren, Stereotypien kSnnen auftreten.

Man wird allerdings sagen mtissen, dab nur der weitere durch das ganze Leben verfolgte Verlauf die Diagnose rechtfertigen kann. Das Schwinden der Erscheinungea nach Milieuwechsel hat insofern wenig Gewicht, als wir ja auch bei der Dementia praecox oft genug solehe ,,Versetzungsbesserungen" sehen ( A s c h a f f e n b u r g ) .

Vorsichtig werden wir auch beim Erscheinen katatoner Z~ige bei sog. ,,ErschSpfungspsychosen" sein mt~ssen, bei denen das Auftreten von Befehlsautomatie, das gelegentliche sinnlose Widerstreben, aueh wohl das unverstandliche Benehmen (Kr ae p e li n) an Katatonie erinnern kann. Ob es sich nicht doch um wirkliehe Katatonie handelt, kann auch hier wohl nur der weitere Verlauf entscheiden.

Ob katatonische Symptome im Verlauf des m a n i s c h - d e p r e s s i v e n Irreseins vorkommen, ist atwh nicht einfach zu entscheiden. Es kommt wesentlich darauf an, wie man die Grenzen dieser Erkrankung zieht. Katalepsie wurde auch in einwandfreien Fallen manisch-depressiver Hemmung von K r a e p e l i n , W e y g a n d t , S t r a n s k y gesehen. Letzte- rer nimmt eine ,,Pseudoflexibilitas" an, deren Ursprung in der motori- sehen Hemmung liege. Andere katatonische Erscheinungen kommen an- seheinend sehr selten vor, wenn wir den K r a e p e l i n s c h e n Begriff des maniseh-depressiven Irreseins festhalten. ,,Falle mit ausgesprochener und persistierender katatonischer F/~rbung" werden wir mit S t r ~ n s k y eben nicht mehr dazu rechnen. Hiiten muB man sich, die in depressiven und manisehen Stuporen gelegentlich vorkommenden motorischen Me- chanismen, ein Resultat des Kampfes zwisehen Erregung und Hemmung, der Stereotypie gleichzusetzen. Auch U m p f e n b a c h hat anl~Blich eines Referates (S ~glas e t Dubo i s ) kiirzlich mit Recht geriigt, dalt diese Autoreu ,,in 3 Fallen voll angstlieher hypoehondrischer Melancholie mit monatelangem monotonem Seufzen, Briillen usw. dieses stSrende Verhalten als Stereotypie ansehen.'" Dasselbe muB nati~rlieh von den immer gleichen wiederkehreuden Redewendungen gelten. Zahlreiche, auch neuerdings beschriebeae Falle von Melancholie mit a u s g e p r S g t e n katatonisehen Symptomen gehSren fiir uns eben nicht zum manisch- depressiven Irresein, sondern zur,,Melancholia at tonita", der Mutter der K a h 1 b a u m schen Katatonie.

FOr p a r a n o i d e Z u s t a nde mit katatonischen Erscheinungen liegeu die VerhMtnisse nicht viel anders. Die Zustande hSren fiir uns eben da- mit auf, Paranoien zu sein, und gehSren ins Gebiet der Dementia praeeox.

L~Bt man in dieser Weise die einzelnen Krankheitsformen unserer heutigen Systematik an sich voriiberziehen, fibertreibt man schwerlich,

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0ber Wesen und Bedeutung katatonischer Symptome. 497

wenn man sagt: bei j eder F o r m ge i s t ige r E r k r a n k u n g k a n n es vo r f i be rgehend zu k a t a t o n i s c h e n Z u s t a n d s b i l d e r n k o m m e n . An einzelnen Symptomen haben wir einerseits Perseveration, Verbige- ration, Stereotypie, Echoerscheinungen, andrerseits Stupor, Kata- tepsie, Negativismus gefunden. Zum Vorkommen negativistischer Er- seheinungeu ist allerdings zu bemerken, dab es sich stets um passives Widerstreben, nie um aktiven Negativismus handelte, und man geht so vielleicht nicht fehl, wenn man diesem letzteren bedeutend mehr Ge- wicht ftir die Diagnose einer schizophrenen Erkrankung zugesteht. ]3etrachtet man aber den passiven Negativismus ffir sich, losgetrermt auch von hngstlichem Widerstreben und iihnlichem ablehnenden Ver- halten, so scheint er v611ig im Bild des starren Stupors, im Bild der Attonit~tt aufzugehen. Ich wenigstens kann keiuen Unterschied mehr sehen.

So reduzieren sich die katatonen Symptome, die wir bei nieht sehizo- phrenen Erkrankungen sehen, auf Perseveration, sprachliche und moto- rische Stereotypien, Echoerseheinungen, Stupor und Katalepsie. Auf- fallend selten sind wir im Gegensatze zu diesem Symptomenkoulplex andern ,,katatonen" Symptomen begegnet, fast nur, und auch da ganz vereinzelt, in epileptisehen Zust~tnden. Es wi~re ja wohl denkbar, dab diese feinern katatonen Symptome nicht gesehen wurden, weil sie eben viel" weniger auffallenden Charakter haben. Da6 sie aber yon allen den vielen beteiligten Autoren gleichermagen fibersehen wurden, ist kaum anzunehmen. Eher kSnnte man versucht sein, zu glauben, dab es sieh in den wenigen Fhllen, wo solehe feineren katatonisehen Sym- ptome auftraten, doch um Sehizophrenien oder Mischformen handelte.

Es ist vielfaeh versueht worden, ftir diese im engeren Sinne katatonen Symptome eine gemeinsame Grundlage zu finden, die ja auch klinisch sehr wahrscheinlieh erscheint, weil wir diese Symptome so h~tufig zu- sammen sehen.

In einer Untersuchung fiber Asymbolie hatte H e i l b r o n n e r an- schliegend an die yon Rieger formulierte Annahme, dab Innervations- vorgSmge, die aus irgendeinem Grunde nicht zurn Ausdruek kommen k6nnen, andere Bahnen einschlagen, auf denen dies m6glich ist, vermutet, dal3 auch Innervationsvorgi~nge, die auf normalen Wegen weiter schrei- ten kSunten, dann die erw~thnten Nebenwege einschlagen, wenn ihnen auf dieseu au6ergew6hnlieh geringe Widerst~tnde begegnen. Durch die Annahme, dai3 der Ablauf eines Erregungsvorganges zwischen zwei ner- v6sen Zentren eine erleiehterte Anspruchsf•higkeit des betreffenden Gebietes hinterlasse, und dab diese AnspruehsfShigkeit um so gr66er sei, vor je kfirzerer Zeit die betreffende Erregung stattgefunden habe, sehieu dann erkl~rbar, dab gerade die falsehen Wege eingeschlageu wfir- den, die das Haftenbleiben bedingen. So sah H e i l b r o n n e r das

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P r i m ~ i r e des perseveratorischen Symptoms gleich L i s s a u e r , der es zuerst beschrieben hatte, in einem e i n g e t r e t e n e n A u s f a l l .

v. S O ld e r erkannte zwar an, daft mitunter eine ausgesprochene Asso- ziationsschw~che bei perseverierenden Kranken bestehe, vermiftte abet die Kongruenz yon Auftreten tier Perseveration einerseits und Asso- ziationsschwiiche andrerseits. So kam er, indem er das Perseverieren mit den Nachempfindungen der Netzhaut verglich, zu dem Schluft, daft (lie perseverierende Vorstellung sich m i t b e s o n d e r e r I n t e n s i t ~ t a u f d r ~ t n g e und so das Zustandekommen der richtigen Reaktion verhindere. Er sah also in der Perseveration das Prim:are.

Unter Hinweis darauf, daft Verarmung im Vorstelhmgsleben und ErmOdungszusti~nde die perseveratorischen l~eaktionen in hohem Ma~e begOnstigten, verwarf dann S t r a n s k y die Ansichten v. S O l d e r s , und dasselbe ta t H e i l b r o n n e r in einer sehr eingehenden und grOnd- lichen Arbeit.

Er st0tzte sieh im wesentlichen auf die Ergebnisse der neueren Experi- mentalpsychologie, auf neue yon MOiler u n d P i l z e c k e r herbeigebrachte Tatsachen. Sic waren zu dent Ergebnis gekommen, daft jede Vorstel- lung nach ihrem Auftreten im Bewugtsein eine Tendenz besitzt, frei ins Bewufttsein zu steigen, d. h. sic entdeckten in der P e r s e v e r a t i on s- t e n d e n z e in p h y s i o l o g i s c h e s P h i ~ n o m e n . Auch sic fanden (wie P i c k , R a e c k e , H e i l b r o n n e r , S t r a n s k y , Z i e h e n ) in ermtidetem Zustande eine vermehrte Perseverationstendenz. In ihren weiteren Untersuchungsergebnissen, daft die jOngsten Assoziationen die kOrzeste Reproduktionszeit, die Assoziationen mit der kOrzesten Reproduktions- zeit abet die grOBten Chancen des Sieges haben, konnte H e i 1 b r o n n e r seine frOheren Vermutungen vOllig besti~tigt sehen. Ein weiteres schwer- wiegendes Moment gegen v. S61der brachte H e i l b r o n n e r , indem er naehweisen konnte, daft die Perseverationstendenz wuchs mit tier Schwierigkeit der Leistung, und so wurde tatsitchlich seine Auffassung, daft d ie f a l s c h e p e r s e v e r i e r e n d e V o r s t e l l u n g , ,nur g e w i s s e r - m a f t e n a l s L O c k e n b O f t e r f o r d i e - - a u s i r g e n d w e l c h e m G r u n d e a u s b l e i b e n d e - - r i c h t i g e e i n t r i t t " aufs beste fundiert. Dennoch verkannte er nieht, daft eine restlose Erkli~rung des Symptoms der Per- severation damit nieht mOglich war. W o h e r k o m m t d e r p r i m a r e A u s f a l l ? W a r u m p e r s e v e r i e r t n i e h t i m m e r die l e t z t v e r - g a n g e n e V o r s t e l l u n g ? W a r u m e r f o l g t d ie F e h l r e a k t i o n ge - r a d e in de r F o r m des H a f t e n b l e i b e n s ? - - Dies sind Fragen, die noch heute tibrigbleiben.

Von der Perseveration, deren ZugehSrigkeit zu den kata tonen Sym- ptomen wir bisher stillschweigend angenommen hatten, sehritt H e i l - b r o n n e r weiter zur Erkliirung der Verbigeration. Bekanntlich sind nach K r a e pe l i n und andern diese beiden Symptome scharf zu trennen,

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wofiir namentlieh geltend gemaeht wird, dab der lnhal t derVerbigeration nicht dureh das Vorausgegangene best immt wird. Ferner fehlt naeh v. S61der der Verbigeration die BeeinfluBbarkeit. Aueh diese bei- den Einw~inde, (lie St r a n s k y sehon in K~irze zum Teil widerlegt hatte, konnte H e i I b r o n n e r zuriiekweisen, indem er kliniseh zeigte, da6 Per- severation und Verbigeration nieht nur in denselben Zust~tnden vor- kommen, sondern im einzehlen aueh nebeneinander und auseinander, daft die Verbigeration sogar in hohem Grad an von auBen Gegebenes an- kniipfen kann. Nur der Rededrang ist es, der, zu den Perseverationsbe- dingungen tretend, die Verbigerationserseheinung herbeifilhrt.

Mtihelos ist der Sehritt v o n d e r spraehlichen zur im weiteren Sinn motorisehen Verbigeration, zu den Stereotypien. War es dort ein Sprach- impuls, der, infolge der St6rung im Vorstellungsablauf, perseverierte, ist es hier ein rein motoriseher, ein |~ewegungsimpuls, der infolge genau derselben Bedingungen perseveriert und zusammen mit dem Bewegungs- drang zur motorisehen Stereotypie ftihrt.

Als eine Schw~iche und AusfMlserscheinung diirfen wir zweifellos tmeh (lie mit den perseveratorisehen Vorgitngen so innig vermisehten und kliniseh oft kaum zu trennenden Eehoerseheimmgen auffassen. Sie sind eigentlieh nur eine besondere Form der Perseveration. Es ist mit Hinblick auf die Erseheinungen frtlher phylogenetiseher und onto- genetiseher Entwiekhmgsstufen, besonders auf die zweekdienliehe Nei- gung des Kindes zu Eehoerseheimmgen, anzunehmen, <lab wie eine physiologisehe Perseverationstendenz aueh eine physiologische E c h o - t e n d e n z besteht. ~<> w/ire es durch~tus glaubhaft, daf~ bei einem pri- m~i.ren Ausfall der Ersatz aueh yon dieser Seite kommen kann. In ~hn- lieher Weise denkt sieh aueh S t r a n s k y , angelehnt an P i c k , die Eehovorg~tnge, der ,,Wegfall der psyehisehen Deeksehichten" F,i~Bt die ,,Eehofunktionen, die auf friihester Entwiekhmgsstufe so sehr im Vorder- grunde der psyehisehen ;~ul3erungen des lndividuums stehen, nmlmehr wieder aus ihrer Versenkung an die ()berflii~ehe des 8eelenlebens empor." S t r a ns k y neigt sogar dazu, (lie Eehoerseheinungen zum Ausgangspunkt der Perseveration zu maehen, indem er letztere mit B ri s s a u d als eine ,,Auto-EeholMie" bezeiehnet. ,,Der einmal ins Bewul3tsein getretene Geh6rseindruek setzt sieh verm6ge des Wegfalls bzw. Defektes trans- eortieMer Hemmungen in spraehliehe Au[.~erungen urn, gleiehgiiltig, ob der Geh6rseindruek jetzt ans dem Munde des Examinanten oder des Patienten selber kommt ." Jedenfalls sind Eehoerseheinungen und Perseveration als etwas sehr Verwandtes anzusehen.

Von der H e i l b r o n n e r s e h e n Perseverationstheorie aus lassen sieh sehlaffe Akinese und Mutazismus wohl ohne Zwang erkl~iren, der an- genommene Ausfall t r i t t hierbei sogar sehr eindeutig in die Erseheinung, weit sehwieriger liegen die VerhMtnisse bei der viel h~iufigeren starren

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Attoniti~t, dem passivem Negativismus in unserem Sinn. Davon nieht los- zutrennen ist die Katalepsie, die man geradezu als einen geringeren Grad yon Attoniti~t bezeichnen k6nnte. Prinzipielle Unterschiede bestehen klinisch keineswegs, sehr hi~ufig finden wir Attonit~t und Katalepsie ab- wechselnd und fast gleichzeitig bei derselben Untersuchung. Wie man prinzipiell zwisehen starrem und halbstarrem, d. h. biegsamen, Wachs keinen Unterschied machen kann, so ist dies auch zwischen Atto- nitiit und Katalepsie nieht angitngig.

Dieser Vergleich ist nattirlich im h6chsten Grade bildlich gemeint, was im Hinblick auf die Gesehichte der Katalepsie nicht genug betont werden kann. Die Entwicklung fiihrte vonde r physiologischen Betrach- tung (selbst Br i ic ke hat sich mit ihr befaBt) zur psyehologisehen. Eine sehr htibsche Obersicht der :,ilteren Ansichten gibt S v e t l i n . Dem ,,Einfrieren der tierisehen Kritfte" (Schi l l ing) , dem ,,Fehlen des Nervenfluidums" (H o f f m a n n), der ,,komat6sen Neuropathie" (P i n e 1), der ,,Uberladung des Nervensystems" ( Jo l ly ) , dem ,,Reizzustand des Gehirns mit Verstopfung der Gehirngef~iBe und Kompression der Nerven- stiimme" (George t ) begegnen wir ebenso, wie dem ,,eigenen Be- harrungsvermSgen im Bewegungsapparat, das bei aufgehobener will- ktirlicher Innervation subsistiert" (L. Me y er), dem ,,zentralen Reiz", der die ,,Ubertragung yon Reizen aus dent Organe der Vorstellungen und der sensiblen Nerven auf die motorischen" verhindert (Hasse) und der ,,andauernden Erregung der Reflexorgane", auf dem dieser Reiz be- ruht ( B e n e d i k t ) . Gerade diese letztere Theorie spielt eine bedeutende ]%olle und wurde yon A r n d t weiter ausgebaut. Ftir ihn gehSrten zum Zustandekommen der Katalepsie auger einer ,,Schwiiche des Zentral- nervensystems mit Widerstandslosigkeit und leichter Erregbarkeit" ein peripherer ,,verh~tltnismi~Big starker Reiz", der auf das Zentral- nervensystem wirkt und es ,,ganz und gar so affiziert", dab es auger Funktion gesetzt wird, ,,well nur sehr schwer eine andere Erregung in ihm aufkommen kann". Der periphere Reiz waren meist ,,irritable Testes", von denen aus dig Katalepsie ausgelSst und entspannt werden konnte. Auch Pannaritien, Ohraffektionen u. a. konnten den peripheren geiz bilden ; S e h ti le und K r a f t - E b i n g stehen dieser Auffassung sehr nahe. Gegen alle diese Theorien maehte dann R i e g e r energisch Front, namentlich auch gegen S v e t l i ns ,,starre Anordnung der Ganglienmole- kiile", das seien ,,Dinge, yon denen wir nicht einmal wissen, ob wir ver- niinftigerweise yon ihnen reden diirfen." Er meinte, ,,wir brauchen des- halb nicht die Molektile aufzubieten, denn wenn diese im gewShnliehen Leben nichts helfen, so helfen sie aueh bei der Flexibilitas cerea nichts." Er land auf Grund seiner sehr exakten Untersuchungen nichts weiter, als eine abnorme Steigerung eines ganz normalen Vorgangs, denn die Katalepsie war fiir ihn der ,,Ansdruck der Tatsache, dag die antago-

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[~'ber Wesen und Bedeutung katatoniseher Symptome. 501

nistisehen Muskeln in jedem gegebenen Augenbliek vSllig gleiehmit6ig innerviert sind." Damit war der Boden gesehaffen, auf dem sieh die psyehologisehe Erforsehung der Katalepsie aufbauen konnte, der l ~ i e g e r selbst mit der zum Vergleieh herangezogenen Hypnose sehon sehr vie! auf den Weg mitgab. Die psyehologisehe Entwieklung des Begriffs fiihrte die einen zu der , ,Hemmung der Willensfunktion", d. h. einer Sugge- stionswirkung ( K r a e p e l i n ) , die andern zu einer reinen St6rung asso- ziativer Vorgitnge.

[Die Anhitnger der letzteren Auffassung haben ihre bedeutendsten Vertreter in Z i e h e n und S o m m e r gefunden. In den ,,zu lang fest- gehaltenen Innervat ionen oder Bewegungsantrieben" sieht S o m m e r <las ft~r Stereotypie und Katalepsie Gemeinsame, das , ,Festhalten des einmal erregten Zustandes ohne assoziative Weiterbildung" ist ffir ihn die Grundlage aller dieser StSrungen.

Withrend H ei l b r o n n e r diesen Sehritt nieht ohne weiteres gehen zu diirfen glaubte und zum mindesten n e b e n dem Ausfall noeh einen ge- wissen Reizzustand vermutete, hat sieh Ragnar V o g t , der noeh vor H el l b r o n n e r ebenfalls auf den Ergebnissen der M til 1 e r - P i l z e e k e r - sehen Untersuehungen aufbaut, in weitgehendem Ma6e an S o m m e r an- gesehlossen, ohne allerdings die K r a e p e l i n s e h e n Ansiehten dadureh auszusehlie6en.

Er ging gleiehfalls yon der physiologisehen Perseverationstendenz der Vorstellungen aus, die um so gr613er, je leerer das Bewugtseinsfeld an naehfolgenden Vorstellungen sei. Das gro6e Perseverationsverm6gen der 10syehophysisehen Funktionen bei den Katatonikern sei also nur m6g- lie]a, weil sonstiger Bewugtseinsinhalt ausgesehaltet, d. h. weil das Bewugt- sein verengert sei. Eine F o l g e dieser Einengung des Bewugtseins sei (ithnlieh wie in den hypnotisehen Zustitnden) aueh die erh6hte Sugge- stibilititt. Hebt man passiv einen Arm, so wird eine best immte Lage- vorstellung waehgerufen. Normalerweise wird diese dureh andere Be- wugtseinsinhalte, z. B. das Ermiidungsgefiihl, verdritngt, bei eingeeng- tern Bewu6tsein fehlen aber diese verdritngenden Vorstellungen, und der Arm bleibt in seiner Lage. BewuBtseinseinengung und Persevera- tionsverm6gen sind also ParMlelerseheinungen.

Mit dieser Auffassung liegen sieh demnaeh aueh die ,,stabilen Stereo- typien" der H ei l b r o n n e r sehen Theorie anreihen.

0hne Zweifel haben diese Erkl~,irungen trotz maneher Liieken etwas sehr Einleuehtendes, und ohne Zweifel lassen sieh aueh die klinisehen Erfahrungen damit vereinigen. Hal ten wir als das P r i m i t r e die S t 6 - r u n g i m V o r s t e l l u n g s a b l a u f lest, so verstehen wir, dab gerade die B e n o m m e n h e i t s z u s t it n d e besonders zum Auftreten von ka ta tonen Symptomen neigen. Die hitufigen kata tonen Zustandsbilder bei soma- tischen und im engeren Sinne organisch nerv6sen Erkrankungen lassen

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sieh letzten Endes auf die Benommenheit und die damit verbundene StSrung des Vorstellungsablaufs zuriickftihren. So werden wir namentlich verstehen, dab die epileptisehen Psychosen mit ihren schweren assozia- tiven UmwMzungen (S i e m e r li n g, Z i e h e n) in vorderster Reihe stehen. Die engen Beziehungen zwischen Bewul3tseinstrfibung und katatonen Symptomen sind hgufig betont worden, so sagte 1890 K r ae p eli n von der Katalepsie, ,,zumeist besteht eine mehr oder weniger tiefe Be- nommenheit" , K r a f t - E b i n g von den Zustiinden der AttonitSt, sie ,,gehen immer mit Triibung des BewuBtseins einher."

Wir werden so auch verstehen, dab die schweren angeborenen und erworbenen B16dsinnszustgnde, die dureh die Leere bzw. Verarmung des Vorstellungslebens ausgezeichnet sind, haufig katatonisehe Zustands- bilder zeigen.

Verstgndlich ist auch, (lab bei einfaeher Hemmung des Vor- stellungsablaufs, im maniseh-depressivem Stupor, iihnliche Bilder angedeutet sein k6nnen. Auch in dem monotonen Seufzen und stereo- typen Klagen Depressiver werden wir insofern Beziehungen zum Kata- tonischen finden, als in beiden Fhllen Vorstelhmgen perseverieren. Der Unterschied ist aber der: beim Depressiven perseverieren die Vor- stellungen wegen ihrer Affektbetontheit , beim Katatoniker wegen der AssoziationsstSrung; beim Depressiven ist das Perseverieren das Pri- miire, beim Kata toniker das SekundSre.

Aueh die Andeutungen beim Gesunden und ihre Verstiirkung im Ermfidungszustand kSnnen wir verstehen, vollends wenn wir die physio- logische Perseverationstendenz bedenken. Sobald der Assoziations- ablauf nicht ganz auf der HShe ist, drgngt sich diese Tendenz deutlicher hervor. Die noeh nmngelhafte Ausbildung des Assoziationsapparates, wohl auch die relative Armut an Vorstellungen, machen beim Kinde die Neigung zu katatonen Symptomen gleiehfMls versti*ndlich (Ziehen) . Tri t t zu dieser Disposition eine wenn auch nur leichteste BewuBtseins- triibung, wird das doppelt deutlieh werden.

Am meisten Sehwierigkeit wird trotz R. V o g t noeh die Erklgrung der kata tonen Symptome bei der genuinen Katatonie machen. So sehr seine Theorie yon dem ,,eingeengten BewuBtsein" fiir die FMle sympto- matischer Katatonie gelten mag, so hypothetiseh ist sie bei der Schizo- phrenie. Gerade well man, wie wir sahen, nieht sagen kann, dal~ der katatonische Symptomenkomplex a uch bei der Schizophrenie vor- kommt, sondern ihn so u n t r e n n b a r v e r k nti p f t m i t den feinsten Sym- latomen der Psychopathologic dieser Psychose sehen, wird man zSgern, nun alle diese feinsten Symptome aus der einen Quelle des hypotheti- schen eingeengten BewuBtseins abzuleiten. Dennoeh muB man gestehen, da6 man heute etwas Besseres daftir nicht zu geben vermag, und bei der weitgehenden Rolle, die assoziative StSrungen in der Psyehologie der

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{~'ber Wesen und Bedeutung katatonischer Symptome. 503

Sehizophrenie spielen, wird man immerh in annehmen k6nnen, dab auch

bei ihren gr6beren und feineren k a t a t o n e n S y m p t o m e n solche S t6 rungen im Spiele sind.

Als p r a k t i s e h e G e s i e h t s p u n k t e sind viel leieht folgende heraus- zuheben: K a t a t o n e Z u s t a n d s b i l d e r k 6 n n e n i i b e r a ] l v o r k o m -

m e n , wo S t 6 r u n g e n d e s V o r s t e l l u n g s a b l a u f s a u f t r e t e n . Man mul3 mi t S t r a n s k y betonen, dal3 namen t l i eh bei aku t en Psyehosen das Auf t r e t en k a t a t o n e r Nymptome keineswegs die Diagnose der genuinen K a t a t o n i e reeht fer t ig t . Sol l ten sieh (tie Erseh6pfungspsyehosen behaup- ten, so wird man ihnen, wie auch allen Di immerzus tgnden , die M6glieh- kei t k a t a t o n e r Zus tandsb i lde r zubil l igen miissen. Auf andere S y m p t o m e , nament l i ch das Verha l ten der Affekt ivi t i t t , is t jedenfal ls d iagnos t i seh welt mehr Gewicht zu legen. A u13 e r h a l b (lieser Zus tgnde von Bewul~t- se ins t r t ibung wird - - wenn wit die sehweren Demenzen als d i f ferent ia l - d i agnos t i s eh kaum gewieht ig hier weglassen - - d a s Auf t r e t en k a t a t o n e r

S y m p t o m e (lie Diagnose Sehizophrenie s te ts in h6ehs tem Mal3e wahr- scheinl ieh maehen.

L i t e r a t u r v e r z e i e h n i s .

(Abgcsehen von den iilteren und neueren Lehrbiichern.)

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