Übergewicht führt zu Vitamin-D-Mangel — nicht umgekehrt

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26 MMW-Fortschr. Med. Nr. 4 / 2013 (155. Jg.) AKTUELLE MEDIZIN KONGRESSBERICHTE 26 Defizit im Überfluss Übergewicht führt zu Vitamin- D-Mangel – nicht umgekehrt Dicke haben oft zu wenig Vitamin D. Doch was ist Ursache und was Wirkung? Nach Daten von Genanalysen sorgt Adipositas für niedrige Vitamin-D-Spiegel, umgekehrt macht zu wenig Vitamin D aber nicht dick. _ Vitamin D ist bekanntlich für viele Stoffwechselprozesse wichtig, und schon lange weiß man, dass Dicke oft zu nied- rige Serumspiegel aufweisen. Die Frage ist daher: Sind Dicke dick, weil sie zu wenig von dem Vitamin abbekommen, oder haben sie zu niedrige Blutspiegel, weil sie dick sind? Für beide Erklä- rungen gibt es Argumente. So setzen viele Menschen gerade in den Winter- monaten Speck an, also dann, wenn die Sonne für Monate hinter grauen Wolken verschwindet und die Vitamin-D-Spie- gel in den Keller rauschen. Andererseits wird Vitamin D im Fettgewebe gespei- chert. Viel Fett könnte also dem Blut das wichtige Vitamin entziehen. Nun hat ein Team von Wissenschaft- lern um Dr. Karani Vimaleswaran aus London zunächst genetische Daten von über 42 000 Personen ausgewertet, die an insgesamt 21 Kohortenstudien in den USA und Europa teilgenommen hatten. Dabei schauten sie sich zum einen zwölf Depression beim Diabetiker Oft nicht erkannt und nicht behandelt Eine gar nicht so seltene Begleiter- krankung des Diabetes mellitus ist die Depression. Nicht zuletzt wegen des erhöhten Suizidrisikos ist eine frühzeitige Diagnose und effektive Therapie zwingend erforderlich. _ Diabetiker haben im Vergleich zu Stoffwechselgesunden eine drei- bis vierfach erhöhte Prävalenz für die Mani- festation einer Depression. Während in der Normalbevölkerung 4–6% im Lauf des Lebens eine Depression entwickeln, liegt die Rate bei Diabetikern bei 10– 12%. Weitere 20% zeigen zumindest ge- legentlich depressive Symptome. Die Depression hat einen wesent- lichen Einfluss auf die Diabeteserkran- kung. „Die Stoffwechseleinstellung ist schlechter, die Hypoglykämierate er- höht, und es treten vermehrt Folgeschä- den auf“, erklärte Michael Löhr vom LWL-Klinikum in Gütersloh. Erhöhte Suizidalität? 40–80% aller Patienten mit einer schweren rezidivierenden Depression haben Suizidgedanken, 20–60% unter- nehmen einen Suizidversuch, der bei 15% auch zur Selbsttötung führt. Besonders betroffen bezüglich Suizi- dalität scheinen Kinder und Jugendliche zu sein. Eine Längsschnittuntersuchung bei 96 Kindern und Jugendlichen mit in- sulinpflichtigem Diabetes mellitus ergab eine Jahrespunktprävalenz bezüglich Su- izidalität von 21%. Jeder Zweite hatte sich über die Art des Suizids bereits Gedan- ken gemacht. „Eine Studie bei erwachse- nen Diabetikern mit Depression zeigte zwar kein erhöhtes Suizidrisiko“, so Löhr. Doch grundsätzlich sollte der Arzt bei Diabetikern immer an eine Depression bzw. an Suizidalität denken. Typischer- weise verläuft der Entschluss zum Suizid über drei Phasen, man spricht vom prä- suizidalen Syndrom: Am Anfang steht die Erwägung, dann folgt die Ambivalenz und schließlich der Entschluss. „Nur im Stadium der Ambivalenz ist eine Inter- vention, d. h. eine Suizidprävention möglich“, so Löhr. Nach Depression fahnden In Deutschland sind ca. 4 Millionen Menschen an einer Depression erkrankt, wobei jedoch weniger als 10% erkannt und effektiv behandelt werden. „Die nicht erkannte und nicht behandelte Depression ist der Regelfall“, so Löhr. Um die Depression zu erfassen, ge- nügen im Alltag zwei einfache Fragen: Wie war die Stimmung in den letzten Wochen? Hatten Sie in dieser Zeit auch wenig Antrieb und Schwung? Die Therapie der Depression auch beim Diabetiker umfasst moderne Anti- depressiva. Zusätzlich sollte der Arzt als partizipativer Partner des Patienten Hoffnung vermitteln und den sozialen Kontext in die Behandlung mit einbezie- hen, so Löhrs Empfehlung. STI Quelle: Kirchheim-Forum Diabetes 2012 in Berlin Fatale Trias: Diabetes – Übergewicht – Depression.

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26 MMW-Fortschr. Med. Nr. 4 / 2013 (155. Jg.)

AKTUELLE MEDIZIN–KONGRESSBERICHTE

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Defizit im Überfluss

Übergewicht führt zu Vitamin-D-Mangel – nicht umgekehrtDicke haben oft zu wenig Vitamin D. Doch was ist Ursache und was Wirkung? Nach Daten von Genanalysen sorgt Adipositas für niedrige Vitamin-D-Spiegel, umgekehrt macht zu wenig Vitamin D aber nicht dick.

_ Vitamin D ist bekanntlich für viele Stoffwechselprozesse wichtig, und schon lange weiß man, dass Dicke oft zu nied-rige Serumspiegel aufweisen. Die Frage ist daher: Sind Dicke dick, weil sie zu wenig von dem Vitamin abbekommen, oder haben sie zu niedrige Blutspiegel, weil sie dick sind? Für beide Erklä-rungen gibt es Argumente. So setzen viele Menschen gerade in den Winter-monaten Speck an, also dann, wenn die Sonne für Monate hinter grauen Wolken

verschwindet und die Vitamin-D-Spie-gel in den Keller rauschen. Andererseits wird Vitamin D im Fettgewebe gespei-chert. Viel Fett könnte also dem Blut das wichtige Vitamin entziehen.

Nun hat ein Team von Wissenschaft-lern um Dr. Karani Vimaleswaran aus London zunächst genetische Daten von über 42 000 Personen ausgewertet, die an insgesamt 21 Kohortenstudien in den USA und Europa teilgenommen hatten. Dabei schauten sie sich zum einen zwölf

Depression beim Diabetiker

Oft nicht erkannt und nicht behandeltEine gar nicht so seltene Begleiter-krankung des Diabetes mellitus ist die Depression. Nicht zuletzt wegen des erhöhten Suizidrisikos ist eine frühzeitige Diagnose und effektive Therapie zwingend erforderlich.

_ Diabetiker haben im Vergleich zu Stoffwechselgesunden eine drei- bis vierfach erhöhte Prävalenz für die Mani-festation einer Depression. Während in der Normalbevölkerung 4–6% im Lauf des Lebens eine Depression entwickeln, liegt die Rate bei Diabetikern bei 10–12%. Weitere 20% zeigen zumindest ge-legentlich depressive Symptome.

Die Depression hat einen wesent-lichen Einfluss auf die Diabeteserkran-kung. „Die Stoffwechseleinstellung ist schlechter, die Hypoglykämierate er-höht, und es treten vermehrt Folgeschä-den auf “, erklärte Michael Löhr vom LWL-Klinikum in Gütersloh.

Erhöhte Suizidalität?40–80% aller Patienten mit einer schweren rezidivierenden Depression haben Suizidgedanken, 20–60% unter-nehmen einen Suizidversuch, der bei 15% auch zur Selbsttötung führt.

Besonders betroffen bezüglich Suizi-dalität scheinen Kinder und Jugendliche zu sein. Eine Längsschnittuntersuchung bei 96 Kindern und Jugendlichen mit in-sulinpflichtigem Diabetes mellitus ergab eine Jahrespunktprävalenz bezüglich Su-izidalität von 21%. Jeder Zweite hatte sich über die Art des Suizids bereits Gedan-ken gemacht. „Eine Studie bei erwachse-nen Diabetikern mit Depression zeigte zwar kein erhöhtes Suizidrisiko“, so Löhr. Doch grundsätzlich sollte der Arzt bei Diabetikern immer an eine Depression bzw. an Suizidalität denken. Typischer-weise verläuft der Entschluss zum Suizid über drei Phasen, man spricht vom prä-

suizidalen Syndrom: Am Anfang steht die Erwägung, dann folgt die Ambivalenz und schließlich der Entschluss. „Nur im Stadium der Ambivalenz ist eine Inter-vention, d. h. eine Suizidprävention möglich“, so Löhr.

Nach Depression fahndenIn Deutschland sind ca. 4 Millionen Menschen an einer Depression erkrankt, wobei jedoch weniger als 10% erkannt und effektiv behandelt werden. „Die nicht erkannte und nicht behandelte Depression ist der Regelfall“, so Löhr.

Um die Depression zu erfassen, ge-nügen im Alltag zwei einfache Fragen: ■ Wie war die Stimmung in den letzten

Wochen?■ Hatten Sie in dieser Zeit auch wenig

Antrieb und Schwung?

Die Therapie der Depression auch beim Diabetiker umfasst moderne Anti-depressiva. Zusätzlich sollte der Arzt als partizipativer Partner des Patienten Hoffnung vermitteln und den sozialen Kontext in die Behandlung mit einbezie-hen, so Löhrs Empfehlung.

STI ■■ Quelle: Kirchheim-Forum Diabetes 2012 in

Berlin

Fatale Trias: Diabetes – Übergewicht – Depression.

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27MMW-Fortschr. Med. Nr. 4 / 2013 (155. Jg.)

AKTUELLE MEDIZIN

Varianten (Einzelnukleotid-Polymor-phismen, SNP) von Genen an, die mit einem erhöhten BMI einhergehen. Die Idee dahinter: Führt Übergewicht zu niedrigen Vitamin-D-Spiegeln, dann sollten auch bei Menschen mit SNPs für einen höheren BMI die Vitamin-D-Wer-

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te tendenziell erniedrigt sein – unabhän-gig von allen Lebensstilfaktoren. Das war tatsächlich der Fall: Ob Mann oder Frau, alt oder jung – je mehr gewichtsför-dernde SNPs die Teilnehmer hatten, um-so höher war ihr BMI und umso nied-riger waren die Vitamin-D-Spiegel.

Vitamin-D-Therapie bringt nichts beim Abspecken Die Ergebnisse prüften die Forscher nun in einer weiteren großen genbasierten Datensammlung. Hierfür standen ihnen Genuntersuchungen von knapp 124 000 Menschen zur Verfügung. Und wieder ergab sich ein signifikanter Zusammen-hang zwischen den SNPs, einem hohen BMI und niedrigem Vitamin-D-Spiegel, wobei für jeden Anstieg des BMI um 1 kg/m2 der 25-Hydroxy-Vitamin-D-Wert um 1,15% niedriger lag.

Nun machten die Wissenschaftler den umgekehrten Test: Sie schauten in den Datenbanken nach vier SNPs, die mit einem niedrigen Vitamin-D-Wert

einhergehen. Und siehe da: In dieser Gruppe gab es wie zu erwarten zwar vermehrt niedrige Vitamin-D-Werte, aber keine erhöhte Rate von Überge-wichtigen. Dies werten die Autoren als deutlichen Hinweis, dass es das Überge-wicht ist, das zu niedrigen Vitamin-D-Spiegeln führt und ein Vitamin-D-Man-gel nicht die Ursache für den Winter-speck ist. Bestätigt werden sie darin von Studien, in denen Dicke auch bei einer Langzeittherapie mit Vitamin D nicht nennenswert abspecken konnten.

Dennoch halten sie es für wichtig, ge-rade bei Adipösen auf einen ausrei-chenden Vitamin-D-Spiegel zu achten. Vor allem bei solchen Dicken, die gene-tisch bedingt zu niedrigen Werten des Vitamins neigen. So führt bei ihnen eine 10%ige Gewichtszunahme bereits zu einem Rückgang der Vitamin-D-Spiegel um über 4%. THOMAS MÜLLER ■

■ Vimaleswaran KS et al. PLoS Med 10(2): e1001383; doi:10.1371/journal.pmed.1001383