VDE-Positionspapier · 2.2.2 Betriebssicherheit („Safety“) 26 2.2.3 Verfügbarkeit, Sicherheit...

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Energieinformationsnetze und -systeme Bestandsaufnahme und Entwicklungstendenzen VDE-Positionspapier

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Energieinformationsnetze und -systeme

Bestandsaufnahme und Entwicklungstendenzen

VDE-Positionspapier

2 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

AutorenDr.-Ing. Jörg Benze, T-Systems Multimedia Solutions GmbH, Dresden

Prof. Dr.-Ing. Christian Diedrich, ifak e.V. Magdeburg, Magdeburg

Dipl.-Phys. Hans Honecker, Bundesamt für Sicherheit in der

Informationstechnik (BSI), Bonn

Dipl.-Inform. Christian Hübner, ifak e.V. Magdeburg, Magdeburg

Dipl.-Wirtsch.-Ing. Ullrich C.C. Jagstaidt, Institut für Wirtschaftsinformatik,

Georg-August-Universität Göttingen

Dipl.-Ing. Mariam Khattabi, MVV Energie AG, Mannheim

Dipl.-Phys. Andreas Kießling, MVV Energie AG, Mannheim

Dipl.-Ing. Dieter Kopp, Alcatel-Lucent Deutschland AG, Stuttgart

Dipl.-Ing. Holger Krings, FGH e.V., Mannheim

Jun.-Prof. Dr. Sebastian Lehnhoff, OFFIS – Institut für Informatik, Oldenburg

Dr.-Ing. Rainer M. Speh, Siemens AG, München

Prof. Dipl.-Ing. Erich Stein, Fachhochschule Jena, Jena

Dr.-Ing. Mathias Uslar, OFFIS – Institut für Informatik, Oldenburg

Dr.-Ing. Volker Wittpahl, Wittpahl Ingenieur- und Innovationsbüro, Oldenburg

Impressum

VDE VERBAND DER ELEKTROTECHNIK

ELEKTRONIK INFORMATIONSTECHNIK e.V.

Stresemannallee 15 · 60596 Frankfurt am Main

Fon 069 6308-0 · Fax 069 6312925

http://www.vde.com · E-Mail: [email protected]

Titelbild: Siemens

Gestaltung: Michael Kellermann · Graphik-Design · Schwielowsee-Caputh

Dezember 2010

3 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

Energieinformationsnetze und -systeme

Bestandsaufnahme und Entwicklungstendenzen

Ein Positionspapier der

Informationstechnischen Gesellschaft im VDE (ITG)

Die ITG engagiert sich mit 12.000 Experten aus Wirtschaft, Wissenschaft

und Politik für die Förderung der Informationstechnik, ihrer Anwendun-

gen und für den technisch-wissenschaftlichen Nachwuchs. Der VDE

Verband der Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik ist mit 35.000

Mitgliedern, davon 1.300 Unternehmen, einer der großen technisch-

wissenschaftlichen Verbände Europas.

4 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

Kurzfassung

Energieinformationsnetze und -systeme sind ein entscheidender

Bestandteil eines zukünftigen intelligenten Energie versorgungssystems

(Smart Grid). Die grundlegenden Ziele im Bereich der Umweltverträg-

lichkeit bestehen in der Reduzierung der CO2-Emmissionen, der Inte-

gration der erneuerbaren Energien und der Energieeinsparung durch

Erhöhung der Energieeffizienz. Diese Ziele müssen unter Beibehaltung

der Versorgungssicherheit und unter Berücksichtigung der Wirtschaft-

lichkeit durch Schaffung neuer Marktszenarien und Geschäftsmodelle

verfolgt werden.

Die Anforderungen an das zukünftige Energie versorgungssystem leiten

sich von den zuvor genannten Zielstellungen ab. Zur Gewährleistung

der Versorgungssicherheit muss die unverzichtbare Kernfunktionali-

tät der Versorgungssysteme in Krisenlagen („Graceful Degradation“)

aufrechterhalten und Mechanismen zur schnellstmöglichen Wieder-

herstellung nach Totalausfällen (Schwarzstartfähigkeit) berücksichtigt

werden. Dazu ist es notwendig, dass die einzelnen Teilstrukturen sehr

robust und resilient ausgelegt werden. Große Bedeutung kommt den

Sicherheitsanforderungen zu, die sowohl die Sicherheit vor Angriffen

(„Security“) als auch die Betriebssicherheit („Safety“), aber auch die

Datenschutzaspekte („Privacy“) umfassen. Neue Anforderungen an das

Energie versorgungssystem ergeben sich aus der zunehmenden Inte-

gration von dezentraler Einspeisung in die Versorgungsnetze, wodurch

es zur Umkehrung der Energieflüsse kommen kann und die Netzqualität

durch Spannungsbandverletzungen beeinträchtigt wird. Aus diesem

Grund muss die Anzahl aktiver schutz- und leittechnischer Komponen-

ten steigen, die auf Seiten der dezentralen Energiegewinnungsanlagen

(DEA), aber auch innerhalb der bestehenden Netzinfrastruktur installiert

werden, um notwendige Schutz- und Steuerungsfunktionen zu gewähr-

leisten. Auch die zunehmende Anzahl an Elektrofahrzeugen wird in

Zukunft die Energieverteilungsnetze belasten, so dass ein netzseitiges

Ladelastmanagement erforderlich werden wird. Mit Hilfe von Smart

Grids sollen zukünftig auch als Erzeuger auftretende Betreiber kleinerer

Energiegewinnungsanlagen sowie Energienutzer die Möglichkeit erhal-

ten, an der Koordination von angebotener und nachgefragter Leistung

teilzunehmen. Anreize zur Teilnahme sollen aus verschiedenen Optimie-

rungszielen anderer Marktakteure erwachsen. All diese Anforderungen

machen eine deutlich umfangreichere messtechnische Erfassung und

Überwachung des Energie versorgungssystems erforderlich.

5 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

Energieinformationsnetze und -systeme sollen für das heutige und

zukünftige Energieversorgungssystem alle erforderlichen Daten für

Messung und Steuerung des Energieeinsatzes bereitstellen. Die Reali-

sierung eines Energieinformationsnetzes erfordert den interdisziplinären

Einsatz von Know-how aus den Fachdisziplinen Energieversorgung,

Telekommunikation und Automatisierungstechnik. Betrachtet man heu-

tige Energie versorgungsnetze und Telekommunikationsnetze in ihrem

Aufbau und ihrer Struktur (einschließlich der darin enthaltenen Automa-

tisierung), so lassen sich gewisse Parallelen erkennen. Verschiedene

Aspekte stehen hier auf unterschiedlichen Evolutionsstufen, so dass

Erfahrungen übertragen werden können. Dies gilt unter der Annahme,

dass sich aufgrund der zunehmenden dezentralen Energiegewinnung

ein Paradigmenwechsel in der Energieversorgung hin zu einer Peer-to-

Peer Architektur vollzieht. Für den Know-how Transfer zwischen den

Fachdisziplinen muss ein gemeinsames Verständnis gebildet werden,

z.B. mit Hilfe eines Klassifikationsschemas, das Begriffe aus verschie-

denen Domänen in Relation setzt.

Auf Basis des Klassifikationsschemas lässt sich ein generisches Modell

des Energieinformationsnetzes entwickeln mit dem Ziel einer weit-

gehend vollständigen Modellierung auf hoher Abstraktionsebene zur

Beschreibung des aktuellen Standes und zur Abschätzung der zukünf-

tigen Entwicklungen. Das generische Modell besteht aus den vier

Ebenen „Infrastruktur“, „Informationsobjekte und Dienstekommunika-

tion“, „Dienste“ und „Dienstenutzer“. Das Modell erlaubt die Integration

existierender Technologien und die Erfassung der virtuellen Welt der

Dienste unabhängig von der unterliegenden Infrastruktur.

Mit zunehmendem Einsatz dezentraler Energiegewinnungsanlagen und

deren weitgehend unkontrollierten Einspeisung in das Verteilungsnetz

wird ein aktives Management dieser Anlagen erforderlich. Aufgrund

der wachsenden Anzahl einzubeziehender dezentraler Elemente führen

zentrale Ansätze zu einer stark zunehmenden Komplexität der Steu-

erung. Folglich gewinnt die Entwicklung neuer Methoden zur dezent-

ralen und automatisierten Netzführung im Verteilungsnetz an Bedeu-

tung. Die Energiegewinnungsanlagen können im Rahmen neuartiger

Geschäftsmodelle Systemdienstleistungen (z.B. zur Blindleistungs- und

Spannungsregelung) anbieten und somit einen aktiven Beitrag zur

Verbesserung der Qualität und Stabilität der Verteilungsnetze leisten.

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Energieinformationsnetze und -systeme

Voraussetzung für die technisch und wirtschaftlich beherrschbare Steu-

erung der Verteilungsnetze ist die Verfügbarkeit und Anwendung von

durchgängigen Standards. Dazu gehören in erster Linie die IEC 61850

als umfassendes Kommunikations- und Informationsprotokoll für die

Automatisierungsebene sowie die IEC 61968 (CIM) für die IT-Ebene.

Aufgrund des verteilten Charakters des Energiesystems bietet sich die

funktionsbausteinbasierte IEC 61499 zur Implementierung der verteilten

Automatisierungsstrukturen an.

Für die Realisierung des zukünftigen intelligenten Energieversorgungs-

systems besteht Handlungsbedarf insbesondere im Bereich der Stan-

dardisierung zur Harmonisierung von IEC 61850 und CIM sowie zur

Sicherstellung von Interoperabilität und Konformität der Systemkom-

ponenten. Es wird empfohlen, die notwendigen Entwicklungen auf allen

Ebenen voranzutreiben und dabei die Voraussetzungen für die Erhaltung

der Versorgungssicherheit zu schaffen. Dazu müssen die fachlichen

Grenzen im Bereich der Energieversorgung, Telekommunikation und

Automatisierung überwunden und alle betroffenen Akteure eingebunden

werden. Ein Schritt in diese Richtung kann durch die Verfeinerung des

generischen Modells unternommen werden, um es zu einem einheitli-

chen Beschreibungsmodell für Energieinformationsnetze und -systeme

weiter zu entwickeln.

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Energieinformationsnetze und -systeme

Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung 11

1.1 Ziel und Struktur des Dokuments 15

1.2 Zielstellungen für das Energiesystem der Zukunft 16

1.2.1 Umweltverträglichkeit 18

1.2.2 Versorgungssicherheit 20

1.2.3 Wirtschaftlichkeit 21

2 Anforderungen 23

2.1 Allgemeine Anforderungen an das

Energieversorgungssystem 23

2.1.1 Versorgungssicherheit, Graceful Degradation

und Schwarzstartfähigkeit 23

2.1.2 Robustheit und Resilienz 24

2.2 Sicherheitsanforderungen 25

2.2.1 Sicherheit vor Angriffen („Security“) 25

2.2.2 Betriebssicherheit („Safety“) 26

2.2.3 Verfügbarkeit, Sicherheit vor technischem

und menschlichem Versagen 26

2.3 Neue Anforderungen aus Netzsicht 26

2.3.1 Starke Beeinflussung der Lastflüsse in

Verteilungsnetzen 29

2.3.2 Anforderungen an die Sekundärtechnik zur

Überwachung der Verteilungsnetze 30

2.4 Anforderungen an Informations- und

Kommunikations technologie (IKT) 33

2.5 Zuverlässigkeit, Verfügbarkeit, Funktionssicherheit,

Fehlertoleranz 36

2.5.1 Definitionen 36

2.5.2 Verfügbarkeit und Zuverlässigkeit der

elektrischen Energieversorgung in Deutschland 37

2.5.3 Mindestanforderungen an zukünftige

Entwicklungen 38

8 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

2.6 Erforderliche Kenngrößen und Mengengerüst 41

2.6.1 Messwerte 41

2.6.2 Auslegungsdaten 41

2.6.3 Grenzwerte 42

2.6.4 Energiespeicher 42

2.6.5 Lastmanagement aus Sicht des Verbrauchers 42

2.6.6 Energiepreise aus Sicht des Verbrauchers 43

2.6.7 Zählerstände 43

2.6.8 Beispiele für Schutzparameter 43

3 Energieinformationsnetze als zukünftige Basis für ein

intelligentes Energiemanagement 44

3.1 Paradigmenwechsel in der Energieversorgung 46

3.2 Klassifikationsschema 47

4 Generisches Modell eines Energieinformationsnetzes 49

4.1 Vorteile des Modells 51

4.2 Anwendung des Modells 51

4.2.1 Funktionale Beschreibung 51

4.2.2 Funktionale Anforderungen 52

4.2.3 Formulierung der Sicherheitsanforderungen 53

5 Verteilte Automatisierung im Verteilungsnetz 56

5.1 Steigender Automatisierungsbedarf im Verteilungsnetz 56

5.2 Energiesystem-Modellierung 58

5.3 Systemmodell „Smart Energy System“ 61

5.4 Architekturen von Steuerungssystemen in

Verteilungsnetzen 65

5.4.1 Verteilte Steuerung im Smart Energy System

durch Agenten 65

5.4.2 Verteilte Steuerung von Schutzsystemen in der

Mittelspannung mit Funktionsbausteinen 68

9 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

5.5 Szenarien und Use Cases für die Automatisierung im

Verteilungsnetz 70

5.5.1 Steuerung und Regelung von Erzeugung und

Verbrauch in den Niederspannungsnetzen 71

5.5.2 Systemdienstleistungen im Kontext E-Mobilität 73

5.5.3 Systemdienstleistungen als Geschäftsmodell

für An lagenbetreiber im Verteilungsnetz und in

Objekten 75

5.6 Standards für Protokolle und Datenmodelle 78

5.6.1 IEC 61850 79

5.6.2 IEC 61968 (CIM for DMS) 81

5.6.3 IEC 61499 (Funktionsbausteinsysteme) 84

6 Möglichkeiten und Limitierung bestehender Systeme 89

6.1 Advanced Metering 89

6.1.1 Advanced Meter Infrastructure / Smart Meter 89

6.1.2 Advanced Metering – Möglichkeiten der

Wertschöpfung 91

6.1.3 Derzeitige Limitierung des Advanced Metering 92

6.2 Klassische Fernwirktechnik 94

6.3 Endkundenschnittstelle auf Basis von Web-Technologien 95

10 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

7 Herausforderungen 98

7.1 Handlungsbedarf zur Standardisierung 98

7.1.1 Harmonisierung und Erweiterung von 61850 & CIM 98

7.1.2 Abbildung von IEC 61850 auf IEC 61499 99

7.1.3 Sicherstellung von Interoperabilität / Konformität 100

7.2 Empfehlungen 102

7.2.1 Forcierung notwendiger Entwicklungen 102

7.2.2 Voraussetzungen für Erhaltung der

Versorgungs sicherheit schaffen 103

7.2.3 Überwindung fachlicher Grenzen 103

7.2.4 Einbindung der Informationstechnologie

für Smart Metering 104

7.2.5 Berücksichtigung der IKT-Anforderungen 105

7.2.6 Gewährleistung von Robustheit und Resilienz 105

7.2.7 Begrenzung der Abhängigkeiten von anderen

Infrastrukturen 105

7.2.8 Begrenzung der Komplexität 105

7.2.9 Beachtung der grundsätzlichen Anforderungen 106

7.2.10 Systemweite Interoperabilität durch Standards 106

7.2.11 Trennung betrieblicher und wirtschaftlicher Dienste 106

7.2.12 Weiterentwicklung unter Einbindung aller

Betroffenen 107

Literaturverzeichnis 108

Glossar 112

Abkürzungsverzeichnis 124

11 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

1 Einleitung

Um den Ausstoß schädlicher Gase in die Umwelt zu verringern, sowie

dem begrenzten Angebot an fossilen Energieträgern zu begegnen,

wurde 1991 das erste Stromeinspeisegesetz in Kraft gesetzt. Über drei

Novellen hin zum Energie-Einspeisegesetz (EEG) in der Fassung von

2009 wurde und wird die Energiegewinnung aus erneuerbaren Ener-

giequellen (EE) gefördert und zeigte in der Vergangenheit besonders im

Bereich der Windenergie sowie der Photovoltaik zweistellige Wachs-

tumsraten [8]. Trotz der degressiven Einspeisevergütung deuten die

Prognosen auch in naher Zukunft auf einen deutlichen Zuwachs hin.

Neben einem klimaverträglichen Ersatz fossiler Energiequellen in Form

einer sukzessiven Substitution durch regenerative Quellen kann somit

zunehmend den Risiken der nuklearen Energiegewinnung sowie einer

ungeklärten Entsorgungsfrage radioaktiver Abfälle begegnet werden.

Das fluktuierende Dargebot von Energiequellen wie Wind und Photo-

voltaik, flankiert durch eine zunehmende dezentrale Erzeugung, fordert

neue Trans port- und Speichermöglichkeiten für Energie verbunden mit

einer intelligenten Steuerung und Regelung des gesamten Energie-

versorgungssystems (Smart Grid). Die Definition des Begriffes wurde

im deutschen Standardisierungs-Strategiekreis Smart Grid sowie im

Rahmen der deutschen Normungsroadmap E-Energy / Smart Grid wie

folgt vorgenommen:

Der Begriff „Smart Grid“ (Intelligentes Energieversorgungssystem)

umfasst die Vernetzung und Steuerung von intelligenten Erzeugern,

Speichern, Verbrauchern und Netzbetriebsmitteln in Energieübertra-

gungs- und -ver teilungsnetzen mit Hilfe von In formations- und Kommu-

nikationstechnik (IKT). Ziel ist es, auf Basis eines transparenten energie-

und kosteneffizienten sowie sicheren und zuverlässigen Systembetriebs

eine nachhaltige und umweltverträgliche Energieversorgung sicherzu-

stellen.

Durch das erfolgte Unbundling der ursprünglichen operierenden

Energie versorgungsunternehmen und die Aufteilung dieser in individu-

elle Gesellschaften besteht der Bedarf an Informationsaustausch und

Kommunikation zwischen diesen. Durch weitere Anforderungen und

Dienstleistungen wie z.B. eine kommende unterschiedliche Tarifierung

steigt der Bedarf an IKT zur Umsetzung ebenfalls an. Die Wirkungs-

matrix in Abbildung 1 visualisiert, wie die Domänen Erzeugung,

Verbrauch, Transport, Verteilung und Speicherung kommunikations-

technisch zu koppeln sind.

12 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

Marktplatz Netzbetrieb

SmartGrid

Interdisziplinäre Technologien:Datensammlung, -verarbeitung und -vernetzung

SmartGeneration

SmartDistribution und

Transmission

SmartStorage

SmartConsumption

Kommunikationzwischen allen Systemkomponenten

Abbildung 1: Wirkungsmatrix des Smart Grids

Für eine optimale Netzführung werden Energienutzer zukünftig in die

Regelung des Gesamt-Systems mit Anreizen und vielfältigen neuen

Energiedienstleistungen eingebunden, die sie damit zur direkten Beein-

flussung der Energiekosten und der Energieeffizienz befähigen, sie zum

energetisch aktiv und eigenständig handelnden Teilnehmer im Energie-

markt entwickeln, sowie ihren Beitrag zum umweltfreundlichen Ener-

gieverbrauch durch direkten Einfluss auf Energiebezug und -angebot,

auf Herkunftsort und Herstellungseigenschaften der benötigten Energie

stärken.

Nachfolgend werden Thesen zu den grundlegenden Eigenschaften

eines intelligenten Energieversorgungssystems (Smart Grid) aufgeführt,

welche sich bei der Einführung eines intelligenten Systems vorteilhaft

gegenüber den jetzigen Strukturen darstellen sollen:

� Smart Grids können in effizienter Weise schwankende Erzeugung

und schwankenden Verbrauch in Einklang bringen. Neben Erzeu-

gungs- und Lastmanagement werden hierzu auch vorhandene und

neue Speichertechnologien genutzt. Hierdurch wird langfristig eine

Energieversorgung über vorwiegend erneuerbare Energien mit stetig

sinkendem Anteil fossiler und nuklearer Kapazitäten möglich. Smart

Grids ermöglichen einen breiten Ausbau der dezentralen Erzeugung.

Damit können Stromerzeugung und -verbrauch in geografischer

Nähe erfolgen und Transportverluste reduziert werden.

� Smart Grids können durch eine geringere Abhängigkeit von wenigen

zentralen und bei Ausfall nur schwer zu kompensierenden Energie-

quellen die Versorgungssicherheit erhöhen.

13 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

� Smart Grids schaffen die Möglichkeit, Energielieferung und Energie-

dienstleistung stärker zu verbinden, womit vielfältige neue Energie-

dienste zur Verbindung mit anderen Lebensbereichen, insbesondere

zur Verbindung von Smart Grid mit Gebäuden für ein gesamthaftes

Gebäude-Energiemanagement entstehen.

� Smart Grids verbessern die Position von Endenergienutzern als

energetisch aktiv und eigenständig handelnde Teilnehmer im Ener-

giemarkt.

� Smart Grids bieten die Gelegenheit spartenübergreifend die Energie-

effizienz zu steigern, insbesondere in der Verbindung von Strom und

Wärme bzw. Kälte.

� Smart Grids können eine Antwort auf die zunehmende Komplexität

bei der Steuerung der Energieversorgungssysteme durch die wech-

selnden Stromflüsse bei hohem Anteil dezentraler Erzeugung sein.

Ziel ist dabei, die Versorgungssicherheit zu erhalten oder darüber

hinaus zu erhöhen, indem durch zellulare Ansätze und dezentral

verteilte Automatisierungslösungen Netzbereiche in ihrem Betrieb

aufrecht erhalten werden können, obwohl angrenzende Bereiche

ausgefallen sind.

Zusammengefasst weisen Smart Grids als intelligente Energieversor-

gungssysteme den Weg in eine energiewirtschaftliche Zukunft, die

nachhaltig und effizient ist, sowie regionale und zentrale Aspekte der

Erzeugung verbindet. Durch dezentrale Strukturen und die erfolgten

Entflechtungsmaßnahmen (Unbundling) ist ein komplexes System

in verschiedenen Wirkungsdomänen entstanden, welches mit einer

Vielzahl von Teilnehmern und Rollen im System und durch eine

um fangreiche Funktionsvielfalt zu modellieren ist.

Aus diesem Grund werden im Folgenden die Rollen im zukünftigen

intelligenten Energiesystem dargestellt. Auf der Grundlage der Bestim-

mung von Rollen und Verantwortlichkeiten, der Entwicklung eines

neuen legislativen und regulatorischen Rahmens, der Identifikation

neuer Marktszenarien und Geschäftsmodelle werden zunächst Anwen-

dungsszenarien und danach die übergeordneten Funktionalitäten des

zukünftigen Wertschöpfungsnetzwerkes beschrieben, die wie derum in

neuen Anwendungsfallbeschreibungen und neuen Prozessen münden.

Diese Anwendungsfallszenarien sind dann die Grundlage zur Definition

neuer Geschäftsmodelle und Produkte.

Rollen sind teilweise national oder regional durch unterschiedliche

regulatorische oder gesetzliche Bestimmungen definiert und geprägt.

Durch eine möglichst weitgehende Einteilung von theoretischen, granu-

laren Rollen kann versucht werden, Lösungen, Funktionalitäten, Module

oder Schnittstellenbeschreibungen, die auf ein Verständnis der ver-

schiedenen Rollen aufbauen, weitestgehend so zu beschreiben, dass

grundlegende Ergebnisse auch auf internationaler oder europäischer

Ebene übertragbar bleiben. Dies bedeutet, dass manche Rollen in der

14 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

Praxis zusammenfallen bzw. manche Marktteilnehmer mehrere Rollen

ausüben.

Im europäischen Dokument der Task Force Smart Grid in der Expert

Group 3 werden die Systemrollen innerhalb von fünf Rollengruppen

zusammengefasst. Die Rollen im energetischen Wertschöpfungsnetz-

werk lassen sich dabei in zwei Ebenen mit Verantwortlichkeiten im

Energiemarkt und mit Verantwortlichkeiten zur Netzführung einordnen.

Die Rollengruppen im Netzbereich umfassen den Netzbetreiber und

den Netznutzer, während die Rollengruppen im Energiemarkt die Kate-

gorien des Energiemarktplatzes zum Austausch von Energie sowie der

Technologien und Dienstleistungen für den Betrieb des Energiesystems

umfassen. Eine weitere Kategorie wurde mit nicht direkt zum energeti-

schen Wertschöpfungsnetzwerk zurechenbaren Beeinflussern definiert,

die das legislative, regulatorische und Finanzierungsumfeld umfassen.

Folgende Systemrollen wurden auf Grundlage bisheriger und mit der

Entwicklung von Smart Grids neu entstehender Verantwortlichkeiten

identifiziert. Weitergehende begriffliche Erläuterungen zu den System-

rollen finden sich im Glossar.

Rollengruppe Netzbetreiber

� Übertragungsnetzbetreiber (en: Transmission Service Operator, TSO)

� Verteilungsnetzbetreiber (en: Distribution Service Operator, DSO)

Rollengruppe Netznutzer

� Erzeuger (en: Generator)

� Energienutzer (en: Consumer)

� Lieferant (en: Supplier)

Rollengruppe Energiemarktplatz

� Energiebörse (en: Energy Exchange)

� Bilanzkreisverantwortlicher (BKV, en: Balance Responsible Party)

� Bilanzkreiskoordinator (BKK, en: Balance Grid Coordinator, Balance

Responsible Party) analog zu Regelzonen-Verantwortlicher

(en: Control Area Manager)

� Abwicklungs- und Einigungsdienstleister (en: Clearing & Settlement)

� Energiehändler (en: Trader)

� Energielieferant (en: Supplier), im Sinne von Multi-Utility zu verstehen

(Strom, Wärme, Gas, Wasser)

Rollengruppe Technologien und Energiedienstleistungen

� Technologielieferant Elektrizitätsversorgungsanlagen

(en: Electric Power Grid Equipment)

� Technologielieferant Information- und Kommunikationstechnologie

(IKT) (en: Information Communication Technologies (ICT))

� Technologielieferant Haushaltsgeräte (en: Home Appliances)

15 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

� Technologielieferant Gebäudeautomatisierung und Energie-

management (en: Building Automation / Energy Management)

� Technologielieferant elektrischer Transport und eMobile

(en: Electric Transport / Vehicle Solutions)

� Kommunikationsnetzbetreiber (en: Grid communications network

provider)

� Abrechnungsdienstleister (en: Metering and Billing)

� Systemrolle zur Erbringung von Zählerablese- und Abrechnungs-

dienstleistungen

� Messstellendienstleister (Abk: MDL; en: Metering point service

provider)

� Messstellenbetreiber (Abk: MSB; en: Metering point service operator)

� Energiedienstleister (en: Metering Energy service provider)

Rollengruppe Beeinflusser

Typ von Energierollen zur Gruppierung von weiteren den Energiemarkt

und das Energiesystem beeinflussenden Parteien wie Regulatoren,

Standardisierungskörperschaften, Regierungen und Finanzsektor

1.1 Ziel und Struktur des DokumentsDas Dokument soll Entscheidungsträgern sowie allen interessierten

Personen vor allem der drei betroffenen Sparten (Energieversorgung,

Automatisierung, Telekommunikation) als Grundlage für ein gemeinsa-

mes Verständnis dienen. Es soll bewusst machen, welche Anforderun-

gen aus der inzwischen dynamischen Entwicklung im Energiebereich

allgemein und im Besonderen für die beiden Sparten der Automati-

sierung und Telekommunikation er wachsen. Dazu werden neben dem

notwendigen Grundverständnis für das gegenwärtige und zukünftige

Energieversorgungssystem vor allem die Anforderungen adressiert, wie

sie aus den stattfindenden Veränderungen resultieren.

Im Kapitel Anforderungen werden sämtliche Aspekte thematisch grup-

piert angesprochen und im weiteren Verlauf anhand der abzusehenden

bzw. prognostizierten Entwicklungen und Veränderungen gespiegelt. Es

wurde ein generisches Modell aus den Analogien zwischen den Sparten

abgeleitet, um damit ein besseres, interdisziplinäres Verständnis zwi-

schen den funktional verschmelzenden Bereichen zu erreichen.

Anhand einer exemplarisch aufgezeigten Ausprägung einer Automa-

tisierung im Verteilungsnetz unter Berücksichtigung eines denkbaren

Architekturkonzepts wurde ein Modellierungsansatz auf Basis diverser

Use Cases skizziert. Ziel des Dokuments ist es nicht, eine bestimmte

Ausprägung herauszustellen oder gar einzufordern. Das Ziel ist die

Schärfung des Bewusstseins für die kommenden Herausforderungen

und das gemeinsame, prinzipielle Grundverständnis eines intelligenten

16 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

Energieversorgungs systems zu fördern – wie auch immer dieses letzt-

lich ausgeprägt sein mag.

Schließlich werden einige aussichtsreiche Protokolle diskutiert, welche

sich insbesondere für die Verwendung in intelligenten Netzen eignen,

ohne den Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben. Sicher ist, dass es

daneben weitere Protokolle peripherer Systeme geben wird, welche

zur Verknüpfung Gateways erforderlich machen. Exemplarisch werden

hierzu Möglichkeiten und Limitierungen bestehender Systeme erörtert

und anhand verschiedener Beispiele aufgezeigt.

Am Ende des Dokuments wird der Handlungsbedarf insbesondere im

Bereich der Standardisierung aufgegriffen und Empfehlungen werden

abgeleitet, um einen möglichst effizienten Weg zum Erreichen des

großen Ziels – eines effizienten, intelligenten, sicheren und hoch verfüg-

baren Gesamtsystems der Energieversorgung – zu gehen.

1.2 Zielstellungen für das Energiesystem der ZukunftDie aktuellen politischen Zielsetzungen wurden zuletzt im Energiekon-

zept der Bundesregierung am 28. September 2010 der Öffentlichkeit

vorgestellt und enthalten die Leitlinien [7], [11], [12], [13], [14]:

� Verlängerung der Laufzeiten für Atomkraftwerke,

� Reserve- und Ausgleichskapazitäten durch Kohle- und Gaskraft-

werke,

� Offshore Windparks,

� Elektromobilität,

� Aus- und Umbau der Stromnetze sowie

� Reduzierung des Energieverbrauchs und Steigerung der Energieeffi-

zienz.

Die sehr kontroverse Diskussion zum Energiekonzept soll in diesem

Positionspapier nicht geführt werden, weshalb nachfolgend der aktu-

elle Inhalt nur zusammengefasst wird. Entscheidend für dieses Papier

ist der zukünftig hohe Anteil von Energiegewinnung aus erneuerbaren

Quellen sowie die zunehmend dezentrale Erzeugung, die mittels infor-

mationstechnischer Vernetzung und zunehmender Automatisierung

zu neuen Methoden der Netzführung im Verteilungsnetz und zu neuen

Marktmechanismen inklusive regionaler Prozesse und Leistungsange-

bote führt.

Die beschlossene Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken führt

zu folgender Situation. Verglichen mit den im Jahr 2000 vereinbarten

Betriebszeiten für Atomkraftwerke würden die Laufzeiten älterer Kraft-

werke um 8 Jahre und die der nach 1980 gebauten Kraftwerke um 14

Jahre verlängert. Damit würde der letzte Atommeiler statt 2021 erst

2035 vom Netz gehen. Diese Frist könnte sich nach Schätzungen um

weitere zwei bis fünf Jahre verlängern, da die Auslastung dieser Kraft-

werke wegen steigender Einspeisung regenerativer Energie ins Netz

17 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

sinken würde und – da die Laufzeiten in Stromkontingente umgerech-

net werden – mehr Zeit verginge, bis diese Stromkontingente durch die

Atomkraftwerke produziert würden.

Insbesondere Gaskraftwerke und vielfältige Speichertechnologien

sollen dort flexibel eingesetzt werden, wo es gilt das schwankende

Angebot regenerativer Energien auszugleichen. Unklar ist momentan

unter welchen Bedingungen die CCS-Technologie und deren Einsatz

zur Abscheidung und Speicherung von in Kohlekraftwerken anfallen-

dem CO2 gefördert wird.

Der Anteil der erneuerbaren Energiequellen an der gesamten Energie-

versorgung soll sich laut Energiekonzept in den nächsten 10 Jahren auf

ungefähr 18% verdoppeln und bis 2050 auf 60% ansteigen. Die Strom-

erzeugung betreffend favorisiert die aktuelle Bundesregierung Off-

Shore Windparks vor der Küste (bis 2030 im Umfang von 25 Gigawatt,

welches ca. 10.000 Windrädern und einer Investitionssumme von 75

Milliarden Euro entspricht) [7]. Während für die Solarenergie nach 2020

nur noch ein langsamer Anstieg angenommen wird – wobei die ange-

setzte Wachstumsquote von vielen Fachleuten als zu pessimistisch

eingeschätzt wird – setzt die Bundesregierung verstärkt auf die Strom-

gewinnung durch Biomasse. Offen ist auch hier, in wieweit Land- und

Forstwirtschaft dies umsetzen können.

Während heute ein Neuwagen im Durchschnitt 160 Gramm CO2 pro

Kilometer produziert, fordert die Bundesregierung für 2040 die Redu-

zierung auf 35 Gramm. Der Weg dorthin soll über eine Million PKW mit

Elektroantrieb in 2020 und sechs Millionen in 2030 führen [7]. Rahmen-

bedingungen hierfür sind entsprechende Infrastrukturen der verteilten

Einspeisung von Energie, ihre Speicherung und Entnahme und die

damit verbundenen Abrechnungen.

Um die o.g Punkte umzusetzen, misst die Bundesregierung dem

Aus- und Umbau der Stromnetze höchste Bedeutung bei. Dazu gehö-

ren ein sicheres und leistungsstarkes Nord-Süd-(Overlay-)Netz, die

Entwicklung intelligenter Netze im Bereich der Verteilungsnetze, eine

verbesserte Anbindung an die Netze der europäischen Nachbarn und

der gebündelte Anschluss von Off-Shore Windparks. Für diese Vor-

haben können die Netzbetreiber mit finanzieller Unterstützung rech-

nen. Ein entscheidender Beitrag zur Netzstabilität ist die Entwicklung

neuer und die bessere Nutzung bestehender Speichertechnologien,

um Schwankungen in der regenerativen Stromerzeugung zu dämpfen.

Als erste Maßnahme werden bestehende Speicher vom doppelten

Netz nutzungs entgelt für den An- und Abtransport des Stromes beim

Zwischen speichern befreit.

Die größte Anstrengung ist jedoch mit dem Plan der Bundesregierung

verbunden, den Energieverbrauch bis 2050 auf 50% der Werte von

2008 zu reduzieren, wobei der Stromverbrauch – nicht zuletzt wegen

der Elektromobilität – um 25% reduziert werden soll. Damit folgt die

Bundesregierung der Empfehlung der Studie „Energieszenarien für ein

18 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

Energiekonzept der Bundesregierung“ vorgelegt im September 2010

durch die Prognos AG, das EWI (Energiewirtschaftliches Institut an

der Universität zu Köln) und die GWS (Gesell schaft für Wirtschaftliche

Strukturforschung).

Abbildung 2 fasst die im weiteren beschriebenen Zielstellungen

zusammen.

Umwelt-verträglichkeit

Versorgungs-sicherheit

Wirtschaftlichkeit

Zukunftssäulen

• Reduzierung Kohlendioxidausstoß

• Wandel im Energiemix zu Erneuerbaren Energien (EE)

• Energieeinsparung und Erhöhung der Energieeffizienz

• Erhaltung der Versorgungssicherheit

VerteilteErzeugungmit EE und KWK

Energie-speicher

IntelligenteszellularesEnergie-system(Smart Grid)

DezentralesEnergie-managementund Energie-Marktplätze

• Neuer legislativer und regulatorischer Rahmen

• Neue Geschäftsmodelle mit neuen Dienstleistungen

• Anreizsysteme für Energiemarktakteure und Kunden

Abbildung �: �ielstellungen und �ukun�tss�ulen des �uk�n�tigen intelligenten �nergie��: �ielstellungen und �ukun�tss�ulen des �uk�n�tigen intelligenten �nergie�: �ielstellungen und �ukun�tss�ulen des �uk�n�tigen intelligenten �nergie�

versorgungssystem

1.2.1 UmweltverträglichkeitDas grundlegende Ziel besteht in der Verringerung des CO2-Ausstoßes,

im sorgsameren Umgang mit den begrenzten Ressourcen an fossi-

len Energieträgern sowie in vielfältigen Maßnahmen zur Erhöhung der

Energieeffizienz. Ein entsprechender Konsens hat sich weltweit entwi-

ckelt und wird mit entsprechenden politischen Rahmenbedingungen

versehen. Daraus ergibt sich als weitere Zielstellung der beschleunigte

Aufbau von Energiegewinnungsseinrichtungen zur Nutzung erneuer-

barer Energiequellen im neuen Energiemix. Dazu wird nachfolgend aus

dem „Position Paper on Smart Grids – An ERGEG Public Consultation

Paper“ [24] zitiert:

„In April 2009, EU adopted the Climate-Energy Legislative Package

(see references: [16] [17] [18] [19] [20] [21]) setting the following key

objectives to be achieved by 2020:

� Cutting greenhouse gas emissions by at least 20% with respect to

1990 (30% if other developed countries commit to comparable cuts);

� Increasing to 20% the share of renewable energies (wind, solar, bio-

mass, etc) in overall energy consumption (currently about 8.5%).

19 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

A third objective of the European energy policy was established by the

European Parliament in January 2008:

� Saving 20% of the projected energy consumption by improving

energy efficiency.

Consistently with these 20/20/20 objectives for 2020, more ambitious

objectives are being developed by the European Commission for

2050.“

Damit wird als erste Säule der zukünftigen Energiewirtschaft die Ener-

giegewinnung zur Nutzung aller Potentiale über einerseits zentrale und

verteilte Anlagen auf der Hochspannungsebene des Übertragungsnet-

zes (z.B. on-/off-shore Wind, großflächige Sonnenenergieanlagen), aber

anderseits auch über verteilte Anlagen auf der Mittelspannungsebene

des Verteilungsnetzes bis hin zur Kleinanlagen aus lokalen Energie-

potentialen auf Freiflächen und Gebäuden auf der Niederspannungs-

ebene im Verteilungsnetz definiert.

Die zunehmende verteilte Energiegewinnung aus erneuerbaren Energie-

quellen ist mit der Tatsache verbunden, dass das zukünftige Energie-

angebot schwankender und weniger steuerbar als bisher zur Verfügung

steht. Dies trifft insbesondere für Sonne und Wind zu, wobei bei Groß-

anlagen erschwerend die Tatsache hinzu kommt, dass deren Installa-

tionsort von den Lastzentren oft weit entfernt liegt. Um dem Energie-

versorgungssystem der Zukunft die Fähigkeit zu geben, mit diesem

schwankenden Angebot umgehen zu können, folgt als zweite Säule

der zukünftigen Energiewirtschaft der breite Aufbau von Anlagen zur

zentralen und dezentralen Speicherung von Energie mittels elektrischer,

elektrochemischer, mechanischer und thermischer Technologien.

Der Energiehunger der Welt wächst kontinuierlich. Damit besteht das

weitere Ziel im Rahmen des Themenschwerpunktes Umweltverträglich-

keit im energiepolitischen Dreieck darin, Energie einzusparen und die

Energieeffizienz über die gesamte Wertschöpfungskette mit allen Rollen

im Energiemarkt und zum Betrieb der Energieversorgungsnetze bis hin

zum Netznutzer als Energienutzer und als Energieanbieter zu erhöhen.

Maßnahmen dafür streben einerseits Änderungen im Kundenverhalten

an. Anderseits sind dafür aber die Verluste bei der Energieumwandlung

sowie beim Transport zu verringern. Die Verringerung von Transport-

verlusten kann damit erreicht werden, dass Anreize gesetzt werden, die

dezentrale Generierung nahe am Verbrauchsort zu errichten und auch

durch preisliche Anreize umgewandelte Energie in Form von Strom und

Wärme nahe am Umwandlungsort zu verbrauchen. Als weitere Säule

der zukünftigen Energiewirtschaft wird deshalb das Energiemanage-

ment mit lokalen, aber auch erzeugungsart- und auf Lieferprodukte

bezogene Bilanzkreise definiert. In dieses dezentrale Energiemanage-

ment wird der Prosumer in Vereinigung der Rollen des Erzeugers und

des Energienutzers (Producer + Consumer) über auch lokal agierende

Energiemarktplätze eingebunden. Möglichkeiten zur stärkeren Verbin-

20 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

dung von Energielieferung und Energiedienstleistung werden damit

geschaffen. Dies eröffnet die Möglichkeit vielfältige neue Energiedienste

anzubieten, die in Verbindung von Smart Grid und dem Smart Home

ein gesamthaftes Gebäude-Energiemanagement umfassen sowie die

Verbindung mit anderen Lebensbereichen erlauben. Diese Entwicklung

ermöglicht es, den Energienutzer als energetisch aktiven und eigen-

ständig handelnden Teilnehmer im Energiemarkt zu etablieren. Die

intelligente Vernetzung aller physischen Komponenten im Energiever-

sorgungsnetzwerk zum Smart Grid bietet die Gelegenheit auch spar-

tenübergreifend die Energieeffizienz zu steigern, insbesondere in der

Verbindung von Strom und Wärme bzw. Kälte.

1.2.2 VersorgungssicherheitNicht zuletzt gilt es unter den neuen Bedingungen die Versorgungs-

sicherheit zu erhalten. Mit der fortschreitenden Nutzung erneuerbarer

Energien durch dezentrale Anlagen im Verteilungsnetz sowie Stromer-

zeugung in kleinen Erzeugungseinheiten auf der Seite des Netznutzers

im Niederspannungsbereich entwickelt sich ein bidirektionaler Ener-

giefluss zwischen Übertragungsnetz und Verteilungsnetz, aber auch

zwischen Verteilungsnetz und Netznutzerobjekten mit wechselnden

Lastflüssen. Die Einbeziehung der Anlagen und Verbraucher im Nie-

derspannungsbereich zur Steuerung dieser Lastflüsse führt zu einer

starken Zunahme von Komplexität. Zu hohe Komplexität kann zum

Verlust von Steuerbarkeit über zentrale Leitstände und zentral gesteu-

erte Bilanzkreise führen.

Die Reduktion von Komplexität kann durch autonomiefähige, selbst

organisierende, aber gleichzeitig zum Gesamtsystem verbundene

Strukturen, die intelligent und synergetisch handeln, erreicht werden.

Aktuell sind dabei hierarchische und netzwerkartige Verbindungsan-

sätze der autonomen Steuerungsstrukturen für ein dezentrales Ener-

giemanagement in selbst organisierenden Strukturen bekannt, die

im Sinne einer hohen Synergie im Gesamtsystem, aber immer von

Rahmenbedingungen aus zentralen Netzführungsinstanzen ausge-

hen. Gemeinsam ist den verschiedenen Ansätzen der Gedanke eines

dezentraleren Energiemanagements mit Regelkreisen in regionalen

Strukturen zur Ergänzung zentraler Steuerungsmaßnahmen. Damit

entsteht ein intelligentes Energieversorgungssystem (Smart Grid) als

weitere Säule der zukünftigen Energiewirtschaft (siehe Abbildung 2) auf

Grundlage einer verteilten und dezentralen Automatisierungslösung.

Die Beherrschung der zunehmenden Komplexität bei der Steuerung der

Niederspannungsebene durch die wechselnden Stromflüsse bei hohem

Anteil dezentraler Erzeugung mittels eigenständiger, aber verbundener

Regelkreise soll zusätzlich die Verfügbarkeit des Energiesystems bei

ausfallenden Teilbereichen erhöhen, im Gegensatz zu zentral geführten

Systemen mit großflächigen Ausfällen des Energiesystems bei Ausfäl-

len zentraler Erzeugungsanlagen oder Netzführungssystemen. Hier-

21 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

bei wird die Analogie zur Kommunikation mittels Internetinfrastruktur

im Vergleich zu zentral geführten Kommunikations systemen genutzt.

Damit soll ein Beitrag zur Erhöhung der Versorgungssicherheit geleistet

werden, da durch zellulare Ansätze in eigenständigen Regelkreisen und

dezentral verteilte Automatisierungslösungen Netzbereiche zumindest

temporär aufrecht erhalten werden sollen, wenn angrenzende Berei-

che ausgefallen sind. Die Versorgungssicherheit würde mit derartig

verteilten Strukturen unter Annahme einer hohen Funktionssicherheit

aber ebenso durch eine geringere Abhängigkeit von wenigen zentra-

len Energiequellen durch die oben ausgeführte verteilte Erzeugung auf

Grundlage vielfältiger Quellen erhöht werden können.

1.2.3 WirtschaftlichkeitDer zuvor begründete, notwendige Umbau des Energieversorgungs-

netzwerks kann nur gelingen, wenn volks- und betriebswirtschaftlich

erfolgreiche Marktszenarien geschaffen und abgebildet werden können.

Damit wird der dritte Themenbereich Wirtschaftlichkeit im energie-

politischen Dreieck angesprochen. Dies führt zu folgenden weiteren

Zielstellungen beim Umbau des Energieversorgungsnetzwerks. Erstens

besteht die Aufgabe, die notwendigen Veränderungen im legislati-

ven und regulatorischen Rahmen zu definieren, um die Einbeziehung

des Energienutzers in die Funktion des intelligenten Energiesystems

mit einer bidirektionalen Kommunikation zwischen den Akteuren im

Energie markt über den Energiemarktplatz und den Akteuren der Netz-

führung zu ermöglichen.

Neue Marktszenarien mit neuen Geschäftsfällen der Akteure der ener-

giewirtschaftlichen Wertschöpfungskette unter den Bedingungen eines

neuartigen intelligenten Energieversorgungssystems (Smart Grid) mit

dezentraler Energiegewinnung, Speicherung und dezentralem Energie-

management sind zu definieren. Dies führt zu neuen Geschäftsmodel-

len, Produkten und Anwendungs fällen als funktionale Bausteine. Für

diese Anwendungsfälle sind Systemrollen und Verantwortlichkeiten

festzulegen.

Um die Kommunikation zwischen den Anwendungsfällen im Umfeld

eines liberalisierten Marktes, eine Verbindung der dezentralen Auto-

matisierungsebene mit dem Energiemarktplatz, die Einbindung von

Geräten beim Energienutzer, sowie die diskriminierungsfreie Teilnahme

aller Marktteilnehmer zu ermöglichen, steigen die Anforderungen an die

standardisierte Kommunikation. Entsprechend stellt die Teilnahme an

den Prozessen zur Standardisierung einen Schwerpunkt in der Ent-

wicklung des Smart Grids dar.

Der Übergang zu einem neuen, intelligenten Energiesystem (Smart

energy system) als Verbindung vom intelligenten Energieversorgungs-

system und intelligenten Energiediensten erfordert die Beteiligung aller

Marktpartner. Insoweit ist diese Herausforderung nicht durch einen

Bereich der Wertschöpfungskette (z.B. Lieferant oder Verteilungsnetz-

22 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

betreiber) allein zu bewältigen. Erforderlich sind weiterhin motivierende

Faktoren für den Energienutzer, sich in neuer Weise in das Energie-

versorgungssystem zu integrieren. Die Zielstellung besteht also darin,

Anreizsysteme für die Akteure im Energiemarkt und der Netzführung

bis hin zum Energienutzer zu definieren. Dies kann insbesondere bei

der Systemrolle Verteilungsnetzbetreiber auch mit der Veränderung des

regulatorischen Rahmens verbunden sein. Insbesondere bei Energie-

nutzern sind unterschiedlichste wirtschaftliche und psychologische

Anreize zu untersuchen.

Während die notwendigen legislativen und regulatorischen Verände-

rungen mehr aus Sicht der Schwerpunktthemen Umweltverträglichkeit

und Versorgungssicherheit heraus definiert werden, lenkt das Schwer-

punktthema Wirtschaftlichkeit die Aufmerksamkeit mehr auf Geschäfts-

modelle, aber insbesondere auch durch Anreizsysteme auf die kunden-

zentrische Sicht im Interessenumfeld eines mehr eigenverantwortlichen

und individuellen Umganges mit dem Thema Energie.

23 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

2 Anforderungen

Das Energieversorgungssystem muss aufgrund sich ändernder Rah-

menbedingungen stark angepasst werden. Der folgende Unterabschnitt

geht zuerst auf generelle Anforderungen ein, die sowohl für das beste-

hende als auch für zukünftige Versorgungssysteme gelten werden.

Gemeint sind hier insbesondere Anforderungen aus der Außensicht

auf die Versorgungssysteme – also solche Anforderungen, die Versor-

gungssysteme ihren Nutzern gegenüber erfüllen müssen.

Anschließend werden im Unterabschnitt 2.2 die Klassen von Sicher-

heitsanforderungen skizziert, die nur auf Grundlage der jeweiligen gene-

rellen Anforderungen abgeleitet werden können – aber auch müssen,

um die generellen Anforderungen tatsächlich einhalten zu können.

Unterabschnitt 2.3 „Neue Anforderungen aus Netzsicht“ geht anhand

wichtiger Beispielen auf die konkreten Anforderungen ein, die sich

innerhalb der neu zu gestaltenden Versorgungssysteme ergeben.

Aus den oben genannten Unterabschnitten werden allgemeine Anfor-

derungen an Informations- und Kommunikationstechnologie ab geleitet

(Unterabschnitt 2.4), bevor in den folgenden beiden Unterabschnitten

für die weitere Konkretisierung der Anforderungen notwendigen Begriffe

Zuverlässigkeit, Verfügbarkeit, Funktionssicherheit, Fehlertoleranz ein-

geführt (Unterabschnitt 2.5) und Aussagen gemacht werden zu „Erfor-

derliche Kenngrößen und Mengengerüst“ (Unterabschnitt 2.6).

2.1 Allgemeine Anforderungen an das Energieversorgungssystem

Die Hintergründe für die Notwendigkeit zur Anpassung des Energiever-

sorgungssystems sind bekannt oder werden in diesem Positionspapier

erläutert. Unabhängig vom Anpassungszwang bestehen grundlegende

Anforderungen weiter, die bereits an das bestehende Energiever-

sorgungssystem gestellt werden, aber auch zu jedem Zeitpunkt des

Anpassungsprozesses weiter eingehalten werden müssen.

Diese Anforderungen gelten insbesondere aus der Außensicht auf

das Energieversorgungssystem – sind also solche Anforderungen, die

Nutzer an Versorgungssysteme stellen – sowohl für den Betrieb unter

Normalbedingungen als auch in Krisensituationen.

2.1.1 Versorgungssicherheit, Graceful Degradation und Schwarzstartfähigkeit

Weitgehend unabhängig von der Notwendigkeit zur Anpassung der

Energieversorgung bestehen diejenigen allgemeinen grundlegenden

Anforderungen an die Versorgungssysteme weiter, die sich aus deren

Bedeutung für Wirtschaft und Gemeinwesen ableiten.

24 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

Unmittelbar und wohl anderen allgemeinen Anforderungen übergeord-

net besteht die zwingende Notwendigkeit, die Versorgungssicherheit

der Versorgungssysteme auf dem heute gegebenen, sehr hohen Niveau

aufrecht zu erhalten. Je nach Entwicklung der Abhängigkeit anderer für

das Gemeinwesen kritischer Infrastrukturen von der Elektrizitätsversor-

gung – ggf. auch mittelbar über die Abhängigkeit von IKT-Diensten –

wird die zu fordernde Versorgungssicherheit sogar noch erhöht werden

müssen.

Konkretere Anforderungen an bestehende oder neu einzurichtende

(Teil-)Prozesse und (Teil-)Infrastrukturen leiten sich dabei einerseits

aus deren unmittelbarer Bedeutung für einzelne Nutzer, für Betreiber,

Wirtschaft oder auch das Gemeinwesen insgesamt ab. Andererseits

müssen für die Anforderungen an einzelne Prozesse und deren Infra-

strukturen auch deren Wechselwirkung mit anderen Prozessen und

Prozess-Infrastrukturen berücksichtigt werden.

Mechanismen zur Aufrechterhaltung der unverzichtbaren Kernfunktio-

nalität der Versorgungssysteme in Krisenlagen („Graceful Degradation“)

und zu deren schnellstmöglicher Wiederherstellung nach Totalausfällen

müssen hier zwingend berücksichtigt werden. Beispielsweise bleibt

die Schwarzstartfähigkeit der Elektrizitätsversorgung und die dazu

benötigte Schwarzfallfestigkeit der für den Schwarzstart notwendigen

Systeme und Kommunikationswege eine unverzichtbare Anforderung.

2.1.2 Robustheit und ResilienzDie Entwicklung hin zu intelligenten Versorgungssystemen wird

zwangsläufig zu deutlich komplexeren Infrastrukturen führen, als sie

heute bestehen. Allein aufgrund der zunehmenden Komplexität müssen

die einzelnen Teilinfrastrukturen ggf. sehr robust und resilient ausgelegt

werden, um die Robustheit des Gesamtsystems nicht zu gefährden.

Zumindest dürfen ggf. bewusst minder robust ausgelegte Teilsysteme

die notwendige Resilienz des Gesamtsystems nicht gefährden. Dies

kann z.B. durch eine geeignete Gestaltung der Abhängigkeiten und

Wechselwirkungsmöglichkeiten in der Gesamtarchitektur sichergestellt

werden.

Um die notwendige Versorgungssicherheit – also den robusten und

resili enten Betrieb der Versorgungssysteme – aufrecht erhalten zu

können, müssen insbesondere die notwendigen Sicherheitsanforde-

rungen für die jeweiligen Teilprozesse und -infrastrukturen sorgfältig

ermittelt und eingehalten werden. Dabei sind verschiedene Ebenen und

Blick winkel auf die Sicherheit zu berücksichtigen.

25 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

2.2 SicherheitsanforderungenSicherheitsanforderungen sind kein Selbstzweck. Vielmehr ergeben

sich diese aus den allgemeinen Anforderungen an Prozesse, Infrastruk-

turen etc. Unglücklicherweise wird der Begriff „Sicherheit“ im Deut-

schen mit verschiedenen Bedeutungen verwendet. Grob zusammenge-

fasst wird der Begriff „Sicherheit“ häufig in den Bedeutungen „Sicher-

heit vor Angriffen“ (engl.: „Security“) und „Betriebssicherheit“ (engl.:

„Safety“) gebraucht. Datenschutzaspekte (engl: „Privacy“) werden ggf.

unter den Teilbegriff IT-Sicherheit eingeordnet – oder sind zusätzlich

eigenständig zu behandeln. Verfügbarkeitsaspekte sowie die Sicherheit

vor technischem und menschlichem Versagen werden zudem oft nur

aus einer der oben genannten spezifischen Perspektiven behandelt

und müssen für intelligente Versorgungssysteme daher ggf. gesondert

betrachtet werden.

Neben der Berücksichtigung der physischen und informationstech-

nischen Sicherheitsanforderungen müssen zudem Anforderungen an

die „prozessimmanente“ Sicherheit gestellt werden. Ein Prozess, der

schon von seiner fachlichen Anlage her in sich unsicher ist, ist durch

physische oder informationstechnische Sicherheitsmaßnahmen kaum

noch zu sichern.

2.2.1 Sicherheit vor Angriffen („Security“)Zu unterscheiden ist zwischen Sicherheit vor physischen Angriffen,

Angriffen auf der Prozessebene und auf der informationstechnischen

Ebene. Die Sicherheit vor physischen Angriffen darf gerade für Versor-

gungsnetze nicht vernachlässigt werden, wird aber im Rahmen dieses

Papiers nur berücksichtigt, wo Wechselwirkungen zwischen physischer

Sicherheit und eingesetzten informationstechnischen Systemen zu

beachten sind.

Sicherheitsanforderungen auf Prozessebene stellen sich insbesondere

beim Entwurf und der Implementierung neuer Prozesse und Prozess-

infrastrukturen. Insbesondere müssen Prozesse fachlich so angelegt

werden, dass auf der Prozessebene keine „prozessimmanenten“

Sicherheitslücken bestehen, da diese auf physischer oder informations-

technischer Ebene kaum wirtschaftlich vertretbar geschlossen werden

können.

Auch auf informationstechnischer Ebene muss die Sicherheit der

zukünftigen Versorgungsinfrastrukturen zu jeder Zeit gewährleistet

werden. Auch die zu stellenden IT-Sicherheitsanforderungen sind stark

vom jeweils betrachteten Prozess und dessen Prozessinfrastrukturen

abhängig. Einen ersten Ansatzpunkt zur Ermittlung informationstech-

nischer Sicherheitsanforderungen eines geplanten Prozesses können

ggf. die BSI-Standards 100-1 bis 100-4 zum IT-Grundschutz bieten.

Dabei sollten die Anforderungen des Prozesses an die Verfügbarkeit der

verwendeten Kommunikationsschicht frühzeitig berücksichtigt werden

– auch und gerade für den Weiterbetrieb in Krisensituationen.

26 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

2.2.2 Betriebssicherheit („Safety“)Bei der Steuerung physischer Prozesse müssen Anforderungen der

Betriebssicherheit bzw. Safety mit berücksichtigt werden. Betriebs-

sicherheit – insbesondere unter dem Fachterminus Safety – dient zur

Beherrschung anlagenspezifischer Gefahren für Menschen, Umwelt

und Prozessinfrastrukturen. Dabei müssen diese Gefahren selbst dann

beherrscht werden, wenn steuerungstechnische Fehler auftreten oder

Anlagen gar bewusst fehlgesteuert werden. Den Safety-Anforderungen

ist aber unter Umständen schon genüge getan, wenn der betroffene

Prozess zum Halt kommt, ggf. sogar unter Inkaufnahme von Schäden

im Prozess und in Anlagen. Ein einfaches Beispiel für Safety-Einrichtun-

gen sind elektrische Sicherungen.

Auch im Kontext des Positionspapiers sind Safety-Aspekte von Bedeu-

tung. Einerseits dürfen unverzichtbare Funktionalitäten der immer mehr

auch informationstechnisch implementierten Safety-Mechanismen

nicht durch wie auch immer geartete informationstechnische Probleme

beeinträchtigt werden können. Zum anderen werden in den komplexer

werdenden Versorgungsinfrastrukturen ggf. auch zusätzliche, stark IKT-

gestützte und verteilte Safety-Mechanismen eingeführt werden müssen.

2.2.3 Verfügbarkeit, Sicherheit vor technischem und menschlichem Versagen

In der IT-Sicherheit gehört die (jeweils notwendige) Verfügbarkeit

grundsätzlich zu den übergeordneten Schutzzielen der IT-Sicherheit

(vgl. IT-Grundschutz, BSI). Bei den allgemeineren, oben angesproche-

nen Begriffsverwendungen („security“, „safety“) ist die vollumfängliche

Berücksichtigung von Verfügbarkeitsaspekten mit dem Primärziel der

Aufrechterhaltung des betroffenen Prozesses oft nicht oder nur am

Rande gemeint. Um das Risiko von Missverständnissen auszuschlie-

ßen, muss bei der Betrachtung der zukünftigen ganzheitlichen, intel-

ligenten Versorgungssysteme explizit sichergestellt werden, dass alle

relevanten Anforderungen an die Verfügbarkeit von Komponenten, Teil-

und Gesamtsystemen wie auch alle Aspekte der Sicherheit vor techni-

schem und menschlichem Versagen berücksichtigt werden.

2.3 Neue Anforderungen aus NetzsichtIn konventionellen Versorgungssystemen, bei denen Leistung auf den

oberen Spannungsebenen eingespeist, dort transportiert und dann zu

den Verbrauchern verteilt wird, sind Leistungsflüsse in der Regel von

oben nach unten gerichtet (von höheren zu niedrigeren Spannungsebe-

nen). Die Leitungskapazitäten der zumeist strahlenförmig betriebenen

Niederspannungsnetze (und der teilvermaschten Mittelspannungsnetze)

sind entsprechend für eine Worst-Case-Auslastung ausgelegt, die sich

an einem gleichzeitigen Maximalverbrauch aller angeschlossenen Ver-

27 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

braucher mit ihrer Nennanschlussleistung unter Berücksichtigung von

Gleichzeitigkeitsfaktoren1 (oder auch Bedarfsfaktoren) [50] orientiert.

Durch diese Dimensionierung auf maximal zu erwartende Belastungs-

situationen (Planungsgrundlage) konventioneller Verteilungsnetze war

es bislang nicht erforderlich, derart ausgelegte Netzabschnitte aktiv

zu beobachten und entsprechende Netzebenen messtechnisch zu

überwachen. Während der Netzzustand in den Hoch- und Höchstspan-

nungsnetzen durchgängig erfasst wird, werden die Niederspannungs-

netze praktisch nicht in die Überwachung mit einbezogen (siehe Abbil-

dung 3) [34].

Mit der zunehmenden Integration von dezentraler Einspeisung in die

Versorgungsnetze treten jedoch vermehrt Einflüsse auf, die den bishe-

rigen Flussrichtungen entgegen gerichtet sind und diese im Extremfall

sogar umkehren können. Damit können bislang vor Überlast sichere

Leitungen überlastet werden. Diese Überlasten bleiben in den bisher

unüberwachten Netzen unerkannt und können so zu Fehlverhalten und

Schäden an der Primär- und Sekundärtechnik2 sowie den versorgten

Lasten führen. Für einen stabilen Betrieb dezentraler Energiegewin-

nungsanlagen sind daher geeignete Verfahren und Methoden zu entwi-

ckeln, mit denen solche betrieblichen sowie die Stabilität betreffenden

Probleme vermieden werden können.

Übliche mathematische Verfahren wie die State Estimation, mit denen

in den Hoch- und Höchstspannungsnetzen aus den überwachten Netz-

eigenschaften der Betriebszustand berechnet wird, können aufgrund

der fehlenden Durchdringung und Art der messtechnischen Erfassung

in den Verteilungsnetzen der Mittel- und Niederspannungsebene nicht

angewendet werden. Es ist darüber hinaus aufgrund der hohen hiermit

verbundenen Kosten auch nicht zu erwarten, dass in naher Zukunft in

den Verteilungsnetzen eine ähnliche Dichte an vergleichbaren mess-

technischen Einrichtungen verfügbar sein wird.

1 Der Gleichzeitigkeitsfaktor berücksichtigt die Tatsache, dass Anschlüsse eines elektrischen Netzes nie gleichzeitig mit ihrer Maxi-malleistung verwendet werden. Der Gleichzeitigkeits-faktor stützt sich dabei auf empirische Werte und gilt lediglich als Richtwert [50]. Es gilt: Pmax = g · Pinst, hierbei ist Pmax die erwartete maximale Leistung, Pinst die installierte Anschlussleistung und g der Gleich-zeitigkeitsfaktor.

2 Im Umfeld elektrischer Energieversorgungssysteme wird zwischen Primärtechnik (Transfor-matoren, Kabel, Schalter etc.) und Sekundärtechnik unterschieden. Die Sekundärtechnik umfasst das Messen, Steuern und den Betrieb von Energieversorgungssystemen bis hin zu Funktionen, die den Energiemarkt betreffen.

28 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

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i.d.R nichtMesstechnischerfasst

messtechnischerfasst

380kV

220kV

110kV

10/20kV

400V

Abbildung 3: Hierarchische Struktur des elektrischen �nergieversorgungsnet�es

Eine mögliche Messinfrastruktur in den Netzen der Niederspannungs-

ebene bilden Smart Meter, die Wirk- und Blindleistung sowie ggf.

weitere Größen an den Messstellen erfassen. Eine Betriebszustands-

überwachung der Verteilungsnetze auf Basis von Smart Metern muss

in der Lage sein, die erfassten Werte je nach Priorität nahe Echtzeit

in zustandsrelevante Betriebsgrößen umzuwandeln, die z.B. für eine

Bewertung von verfügbaren Leitungskapazitäten notwendig sind. Zu

den Betriebsgrößen mit hoher Priorität gehören Frequenz, Ströme

und Spannungen, während die Erfassung von Flicker, Harmonischen,

THD (Total Harmonic Distortion) zu den Betriebsgrößen mit gerin-

gerer Priorität zählen. Für letztere weniger zeitkritische Effekte sind

aktuelle Werte im Minutenbereich i.d.R. ausreichend. Darüber hinaus

muss die Betriebszustandsüberwachung eine Vielzahl unterschiedli-

cher elektrotechnischer Größen einbeziehen können, sich einfach an

eine geänderte Konfiguration der Messpunkte anpassen lassen sowie

möglichst robust auch im Fall eines, aufgrund zu weniger Information,

nicht eindeutig bestimmbaren Netzzustandes zuverlässig funktionieren.

Die Robustheit lässt sich im Vorfeld teilweise dadurch erreichen, dass

für fehlende Größen Defaultwerte oder die letzten bekannten, regulären

Werte gesetzt werden und so den Algorithmen einer Netzzustands-

überwachung weitere Berechnungen ermöglichen. Für Komponenten

wie dezentrale Energiegewinnungsanlagen oder energienutzende

Geräte kann dies bedeuten, dass sie ein vorab festgelegtes Limit nicht

29 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

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überschreiten dürfen oder eine autarke Regelung in Abhängigkeit der

vorherrschenden Frequenz und Spannung einsetzen müssen.

2.3.1 Starke Beeinflussung der Lastflüsse in VerteilungsnetzenNeben möglichen Überlastungen von Freileitungen und Kabeln durch

Lastverschiebungen kommt es zu Netzrückwirkungen wie Spannungs-

bandverletzung, Flicker und Harmonische bzw. THD, wobei der Haltung

des Spannungsbands hierunter die wichtigste Bedeutung zukommt.

Für den Bereich der Spannungsbandverletzung sind primär die typisch

sternförmig ausgeprägten Niederspannungsnetze in Kombination hoher

Lasten bzw. Einspeisung ursächlich.

Bezüglich der Ausprägung von einzelnen Harmonischen sowie des

THD ist festzustellen: Die Tendenz, vorwiegend im dezentralen Bereich

Leistungen statt mit Generatoren nun mit Hilfe der Leistungselektronik

einzuspeisen sowie die Abnahme von konventionellen Glühlampen zu

Gunsten ebenfalls leistungselektronisch basierter Leuchtmittel, führt

vermehrt zur Einbringung von Harmonischen in das Netz und kann

somit zur Überschreitung tolerierter Schwellwerte beitragen. Während

inzwischen für neue Produkte ein quasi neutrales Netzverhalten einge-

fordert wird, sind viele ältere Komponenten weiterhin in Betrieb. Zudem

sinkt durch den Wegfall von Generatoren und konventionellen Glühlam-

pen sukzessive die Dämpfung.

Inzwischen sind moderne Wechselrichter und Umrichter in der Lage

innerhalb ihrer Betriebsgrenzen beinahe jeden gewünschten Span-

nungs- und Stromverlauf zu fahren. Gelingt es, durch moderne IKT die

betriebsrelevanten Parameter an den verschiedenen Orten zu erfassen,

auszuwerten und geeigneten Komponenten als Steuerungs- und Rege-

lungsinformationen zeitnah zur Verfügung zu stellen, so ließe sich ein

Teil der unvermeidlichen oder zugelassenen Netzrückwirkungen weiter

kompensieren. Insbesondere was die Blindleistung im Netz angeht,

besteht ein großes Potenzial darin, die angeschlossenen Wechselrichter

oder Umrichter dahingehend zu verwenden, dass sie das gewünschte

Maß an Blindleistung bereit stellen und auf diesem Wege der Span-

nungshaltung dienen. Dies stellt gegenwärtig in den Niederspannungs-

strängen des Öfteren eine Herausforderung dar. Die gesamte Kom-

munikation muss dabei nicht in Echtzeit erfolgen. Es reicht in aller

Regel ein Bereich von einigen Sekunden bis zu wenigen Minuten aus,

um eine vorhandene quasi-stationäre Grundbelastung reduzieren zu

können. Ebenso verhält es sich bei den Harmonischen und THD. Die

Summe der Beiträge zu den einzelnen Harmonischen ist ebenfalls in

den meisten Fällen nur mit einer geringen Dynamik veränderlich. Somit

bietet sich auch hier die Möglichkeit durch eine gezielte Beeinflussung

intelligenter leistungselektronischer Komponenten dämpfend auf den

vorhandenen Gesamtbeitrag einzuwirken. Für Flicker ist diese Möglich-

keit nicht gegeben, da hier der gegenphasig zu fahrende Signalverlauf

individuell ist und somit eine dem Effekt folgende Echtzeitführungs-

30 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

größe notwendig wäre. In die Zukunft gerichtet ist es sinnvoll, die

bestehenden Netzrückwirkungspegel dem Stand der Technik und den

Möglichkeiten entsprechend weiter zu reduzieren und von solchen

Komponenten, welche aktiv zur Reduzierung von Netzrückwirkungen

beitragen können, eine Schnittstelle zur Kommunikation einzufordern,

welche ab einer noch zu definierenden Leistungsklasse die aktive

Verbesserung der Spannungsqualität erlaubt. Teilweise können die

Komponenten auch autark arbeiten, sofern eine geeignete Mess- und

Auswerteeinheit zum Erkennen der Netzrückwirkungen vorhanden ist.

Stabiler ist jedoch sicherlich die von einem intelligenten Netz-Controller

aufbereitete Führungsgröße, die von den Komponenten für die aktive

Steuerung berücksichtigt wird. Wichtig ist für die Umsetzung der auf-

gezeigten Synergieeffekte, dass Anforderungen frühzeitig in die tech-

nischen Anschlussbedingungen zum Anschluss von Komponenten an

das Netz Einzug finden.

2.3.2 Anforderungen an die Sekundärtechnik zur Überwachung der Verteilungsnetze

Die Prozesse der Schutz- und Leittechnik, die den Systembetrieb

wirtschaftlich-technisch optimieren und insbesondere störungssicher

machen sollen, bilden einen zentralen Bestandteil der Sekundär-

technik. Besondere Anforderungen an die Schutz- und Leittechnik

sind dabei die systemweite Überwachung von Netzen großer räumli-

cher Ausdehnung (z.B. das europäische (Verbund-) Netzgebiet) oder

Reaktionen und Prozessabläufe in kürzesten zeitlichen Intervallen

(im Millisekunden bereich) bei auftretenden Störungen. Wesentlich ist

hierbei die Forderung nach größtmöglicher Selektivität, was bedeutet,

dass der Schutz eine Störung durch eine möglichst minimale, lokal

beschränkte Versorgungsunterbrechung unter Berücksichtigung des

n-1 Planungsprinzips beseitigt. Während in den Verteilungsnetzen der

Mittelspannungsebene bereits dezentrale Schutz- und Leittechnik auf

Basis von IEC 61850 oder IEC 80670-5 zum Einsatz kommt, wird in den

Niederspannungsnetzen bislang – wenn überhaupt – mit proprietären

(zumeist nicht interoperablen) und auf einzelne spezielle Anwendungs-

fälle hin entwickelten teuren Lösungen gearbeitet.

Mit steigender Zahl dezentraler Energiegewinnungsanlagen (DEA) muss

zwangsläufig die Anzahl aktiver schutz- und leittechnischer Komponen-

ten steigen, die auf Seiten der DEA, aber auch innerhalb der bestehen-

den Netzinfrastruktur installiert werden, um notwendige Schutz- und

Steuerungsfunktionen für die Versorgungssicherheit in den Netzen

weiterhin auf dem derzeitigen Niveau zu gewährleisten.

DEA in Niederspannungsverteilungsnetzen – in erster Linie Photo-

voltaikanlagen – müssen zurzeit Schutzfunktionen einsetzen, die mit

Prüfströmen bestimmte Eigenschaften des Netzes bestimmen (z.B. die

Impedanzüberwachung zur Inselnetzerkennung). Diese aktiven Funktio-

nen führen jedoch zu erheblichen Netzrückwirkungen. Folglich können

31 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

sich benachbarte Anlagen dabei gegenseitig derart stören, dass die

Fehler nicht mehr korrekt erfasst werden und es sowohl zu Schutzüber-

als auch -unterfunktionen kommen kann. Damit diese Problemstellung

nicht zu einem Engpass bei dem Ausbau regenerativer Energien wird,

müssen neue Schutzfunktionen realisiert werden, die einer sicheren,

performanten und skalierbaren Kommunikationsinfrastruktur bedürfen.

In den Verteilungsnetzen der Mittelspannung erfordert der Zuwachs an

DEA, deren Einspeisung oftmals fluktuierend und nur mit begrenzter

Genauigkeit prognostizierbar ist, eine kontinuierliche Neubewertung der

Prozesssteuerung und Schutztechnik zugrunde liegenden Netzmodelle

und -parameter. Getrieben werden diese Änderungen im Wesentlichen

durch den Ausbau von Photovoltaikanlagen, aber auch durch den Zu-

bzw. Ausbau von Windkraftanlagen und Blockheizkraftwerken größerer

Leistung. Einen ebenfalls wesentlichen Einfluss wird die zu erwartende

Integration von Elektromobilität haben. Ein weiterer zu beachtender

Punkt ist die Entwicklung der Kurzschlussleistungen in den Verteilungs-

netzen. Während in der Vergangenheit eine nahezu konstante Kurz-

schlussleistung und ein gerichteter Lastfluss von den höheren zu den

niedrigeren Spannungsebenen als Berechnungsgrundlage für die Para-

metrierung der Schutzgeräte in den Schaltanlagen (z.B. Überstrom-

Zeit-Schutz) dienten, müssen neuartige Schutzfunktionen angepasst

auf hochdynamische Betriebssituationen reagieren. Eine Kommunika-

tion und Koordination zwischen sekundärtechnischen Komponenten

ist hier unbedingt erforderlich, um eine größtmögliche Selektivität zu

gewährleisten und somit ein hohes Maß an Versorgungssicherheit zu

erreichen.

Die Anzahl an Elektrofahrzeugen in Deutschland ist derzeit noch gering

und stellt keine nennenswerte Belastung des elektrischen Versorgungs-

netzes dar. Es ist aber davon auszugehen, dass diese Fahrzeuge mit-

telfristig einen nennenswerten Teil des Fahrzeugbestandes ausmachen

und damit eine hohe zusätzliche Belastung der Verteilungsnetze verur-

sachen werden [49] [34]. Die Auswirkungen von Elektrofahrzeugen auf

den Betriebszustand des Energieversorgungsnetzes sind in der VDE-

Studie „Elektrofahrzeuge“ [49] abgeschätzt worden. Dabei wurde ein

Fahrzeugbestand von 1 Mio. Elektrofahrzeuge zugrunde gelegt, für den

eine unkoordinierte Steuerung der Ladevorgänge durch fahrzeugeigene

Batterie-/Lademanagementsysteme angenommen wurde. Auf Basis

der vom Ministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS)

in Auftrag gegebenen Studie „Mobilität in Deutschland“ aus dem Jahr

2002 [9] lässt sich der durchschnittliche tägliche Energiebedarf pro

Fahrzeug bei einer durchschnittlichen Tagesfahrstrecke von 30 km und

einem Verbrauch von 20 kWh pro 100 km, mit 6 kWh abschätzen [44]

[45] [46]. Bei einem Bestand von 1 Mio. Elektrofahrzeuge entspricht

dies einem Jahresverbrauch von ca. 1,4 TWh oder etwa 0,25 % der in

Deutschland pro Jahr genutzten elektrischen Energie [49]. Da die lade-

lastgangabhängigen Einflüsse auf die Verteilungsnetze abhängig von

32 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

den zu verwendenden Ladekonzepten und der Ladeinfrastruktur sind,

wurden zur Erbringung der notwendigen Leistung in der VDE-Studie

unterschiedliche Szenarien betrachtet:

� Laden der Fahrzeuge ausschließlich am heimischen Hausanschluss

� Laden der Fahrzeuge am Arbeitsplatz und am heimischen Haus-

anschluss

� Laden der Fahrzeuge flächendeckend unter Verwendung einer stark

ausgebauten Ladeinfrastruktur

Während die letzten beiden Szenarien für die Netzbelastung unkritisch

sind, ergibt sich für das erste Szenario eine deutliche Erhöhung der

Maximallast pro Haushalt, da das abendliche Aufladen von Elektrofahr-

zeugen nach Rückkehr vom Arbeitsplatz zu Ladelastspitzen führt, die

sich erwartungsgemäß im Bereich der Abendspitze eines Haushaltspro-

fils, wie in Abbildung 4 vom VDEW ermittelt (Werktag, Übergangszeit),

befinden.

Abbildung 4: Vergleich eines Haushaltspro�ils mit einem �lektro�ahr�eug�Heimlade�

s�enario [49]

Hierbei wird eine konstante Ladeleistung von 3,7 kW (einphasig, bei

230V und mit 16 A abgesichert) zugrunde gelegt. Beim Übergang zu

höheren Ladeleistungen sowie Mehrfachmotorisierungen mit Elektro-

fahrzeugen würde sich dieser Wert pro Haushalt weiter erhöhen. Bei

einer entsprechend hohen Konzentration und Durchdringung wäre so

eine Überlastung von Verteilungsnetzen möglich und in diesem Fall

ein netzseitiges Ladelastmanagement unumgänglich. Da ein Großteil

der Fahrzeuge in den betrachteten Szenarien bereits um Mitternacht

vollgeladen ist, könnte ein Lastmanagement auch dazu genutzt werden,

abendliche Lastspitzen durch die Ausdehnung der Ladezeiten auf die

eher lastschwachen Nachtstunden zu verringern sowie die Fahrzeuge

gezielt zur Speicherung von Windenergie zu verwenden. Dadurch ließe

33 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

sich auch der Effekt verringern, dass konventionelle Grundlastkraft-

werke durch den starken Zubau von Windenergie in den Nachtstunden

weiter in den Teillastbereich gedrängt werden. Bei der Laststeuerung

der Elektrofahrzeuge ist generell darauf zu achten, dass der Gleichzei-

tigkeitsfaktor der Lasten im Verteilungsnetz nicht nennenswert erhöht

wird. Andernfalls besteht das Risiko einer Überlastung der Hoch-

Mittelspannungstransformatoren sowie der Mittelspannungskabel. Bei

weiterer Erhöhung des Gleichzeitigkeitsfaktors drohen hierüber hinaus

auch Überlastungen der Ortsnetztransformatoren und der Niederspan-

nungskabel. In einem netzorientierten Lastmanagement ist eine geeig-

nete Abstimmung zwischen Netzmanagement, dezentralen Anlagen

und Fahrzeugen zu implementieren. Ansätze hierzu werden bereits

erforscht [34] [39] [35].

2.4 Anforderungen an Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT)

IKT spielt eine zentrale Rolle im Aufbau eines funktionierenden, dezen-

tralisierten Energieversorgungssystems und stellt den Schlüssel zum

Erfolg dar. Sie ist Mittel zum Zweck, um eine möglichst optimierte

Lösung im skizzierten energiepolitischen Dreieck zwischen Umweltver-

träglichkeit, Versorgungssicherheit und Wirtschaftlichkeit zu erreichen.

Keinesfalls stellt eine zunehmende Integration und Einbeziehung von

notwendiger IKT per se eine Verbesserung z.B. der Versorgungssicher-

heit dar. Gewissenhaft muss geprüft werden, welche Anforderungen

an die IKT gestellt werden. Dies kann in einem Klassifizierungsschema

münden, aus welchem durch zugeordnete Prioritäten die technischen

Anforderungen in Bezug auf ihre zugehörige Ausfallsicherheit der

Kompo nenten sowie die Security-Anforderungen abgeleitet werden.

Die Herausforderung besteht vor allem darin, rechtzeitig zu erkennen,

welcher Bedarf an Informationsaustausch unter den Aspekten Daten-

volumina, Performanz und stellenweiser (Quasi-)Echtzeitfähigkeit sowie

einer notwendigen Rechenleistung für die geforderten Steuerungs- und

Regelungsstrategien entsteht. Aufgrund einer Vielzahl von Akteuren und

gleichzeitig aufzubauenden, intelligenten Teilnetzbereichen ist es kaum

vorstellbar, einen durchgehend völlig homogenen Ansatz zu verfolgen.

Soweit kann eine Standardisierung nicht erfolgen, da sie anderenfalls

die Flexibilität zur Anpassung und sukzessiven Optimierung verhindern

würde. Vielmehr ist es wichtig, typische, entscheidende Schnittstel-

len zwischen den einzelnen Systemen und den Systemkomponenten

untereinander zu identifizieren und diese genau zu spezifizieren. Als

Beispiel kann hier das Mobilfunknetz betrachtet werden, welches sich

trotz unterschiedlicher Akteure und Technologien in Form von verschie-

denen Frequenzen sowie Protokollen (GMS, UMTS) dennoch zu einem

34 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

interoperablen System zusammenfügt und das Telefonieren sowie den

Datenaustausch über verschiedenste Endgeräte hinweg ermöglicht.

Es zeigt eine hohe Interoperabilität, welche so für ein Energieinforma-

tionsnetz ebenso einzufordern ist und aufgebaut werden muss. Vom

Energieinformationsnetz wird an dieser Stelle gesprochen, wenn es

um die notwendige informations- und telekommunikationstechnische

Infrastruktur unter Einbeziehung sämtlicher Gateways und intelligen-

ten Geräte geht, ohne die das avisierte, intelligente Gesamtsystem der

Energieversorgung nicht möglich wäre.

Fraglos entscheidet die Anzahl der unterschiedlichen Protokolle sowie

Kommunikationsmedien, welche für den Aufbau in Erwägung gezogen

werden, darüber, welche zusätzliche Komplexität adressiert wird. Es

ist anschaulich, dass eine disziplinierte Konzentration auf möglichst

wenige, sehr gut standardisierte Protokolle und technisch ausgereifte

Kommunikationsmedien die Komplexität verringert. Daher gilt es für alle

Entscheidungen stets mit dem gebotenen Weit blick darauf zu achten,

dass die angestrebten Lösungen langfristig Bestand haben, aber

dennoch interoperabel sind. Der in Teilen erkennbare Konflikt zwischen

einer einerseits sehr rigiden Definition in einer Standardisierung, aber

andererseits hohen Flexibilität angesichts der Integration zukünftiger

Entwicklungen kann vor allem dadurch gelöst werden, dass die Daten-

modellierung in informationstechnischer Sicht abstrakt und losgelöst

von der eigentlichen Kommunikationstechnologie und den dort verwen-

deten spezifischen Kommunikations-Protokollen ist. Wird die gesamte

Funktionalität auf einer langfristigen Bestandslösung aufgesetzt und

dort die Datenmodellierung und gekoppelte Applikationen beschrieben,

so kann prinzipiell jede geeignete Art von Kommunikationstechnologie

eingesetzt werden, sofern sie die erforderlichen Kommunikations-

dienste mitbringt.

Über die Konformität der zu einem gegebenen Zeitpunkt identifizierten

Protokolle hinaus ist die Interoperabilität eine absolut unverzichtbare,

essentielle Größe für eine ungehinderte und störungsfreie Kommunika-

tion. Während sich im Bereich des Stromtransports und seiner Vertei-

lung inzwischen ein weltweit standardisiertes Protokoll etabliert hat

und insbesondere Schaltanlagen schon überwiegend mit dieser neuen

Technologie ausgestattet werden, fehlen in anderen Bereichen noch

einheitliche Lösungen. Der Bereich der sogenannten Smart Meter zeigt

derzeit noch den Konflikt einer Reihe von unterschiedlichen Protokol-

len auf, welche gegeneinander in den Markt gebracht werden. Es ist

äußerst wünschenswert, dass sich Hersteller und Anwender auf eine

technisch geeignete, aber einheitliche Lösung verständigen, welche

sich sowohl unter Kostengesichtspunkten sowie hinsichtlich der Kom-

plexität des Gesamtsystems günstig niederschlagen würde.

Einmal mehr zeigt diese Situation die wichtige Anforderung an die

Politik auf, einheitliche Standards national, sowie auf europäischer und

internationaler Ebene zu forcieren. Dazu gehört auch das Augenmerk,

35 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

Anforderungen in Form von Richtlinien und Regularien an den Markt

eine ausreichend zeitig vorgeschaltete Stufe der Standardisierung

voranzustellen. Diese kann je nach Existenz oder neu zu entwickelnder

Lösung unterschiedliche Zeiträume beanspruchen, hilft aber dem Markt

insgesamt in großem Maße und beugt Investitionen in Produktlösun-

gen vor, welche kurze Zeit später durch einen anderen Lösungsan-

satz ersetzt werden. Dabei ist zu sehen, dass trotz Festlegung auf ein

einheitliches Protokoll dennoch unterschiedlichste Produkte mit unter-

schiedlicher Funktionalität entwickelt werden können und Hersteller

im freien Wettbewerb keinesfalls eingeschränkt werden. Im Gegenteil

eröffnet eine solche Festlegung auf ein einheitliches Protokoll erst den

Wettbewerb.

Welche Lösungen letztlich zum Ziel führen und ob solche agentenba-

siert oder allein auf Basis hierarchisch aufgebauter Kontrollstrukturen

realisiert werden, kann heute noch nicht vorhergesagt werden. Dies

wird sich erst durch eine größere Anzahl von Piloten und exempla-

rischen Lösungen zeigen. Ob zusätzlich zu den heute bestehenden

Kommunikationsmedien und -technologien weitere erforderlich sind

oder bereits mit der bestehenden Infrastruktur weitgehend den kom-

menden Anforderungen begegnet werden kann, ist ebenfalls ungewiss.

Ratsam ist jedoch, die bestehenden Lösungen auf ihre Tauglichkeit hin

zu untersuchen, den überlegten Lösungsansätzen gerecht zu werden.

Dabei sollte vor allem auch darauf geachtet werden, solche Lösungen

zu entwickeln, welche so wenig wie möglich an Kommunikationstech-

nologie und zeitkritischem Informationsaustausch erfordern. Bereits

durch geschickte Anforderungen in den Anschlussbedingungen von

Anlagen am Netz hinsichtlich ihres teilautonomen Verhaltens gegen-

über bestimmten Netzbetriebszuständen kann womöglich der Bedarf

an Kommunikationstechnologie verhindert oder zumindest reduziert

werden. Reagiert zum Beispiel ein Gerät autark auf eine sinkende oder

steigende Netzfrequenz bedarf es keiner (de)zentralen Steuerung und

Echtzeitkommunikation, um einen Beitrag zur Netzstützung zu liefern.

Durch die Vermeidung von hohen Dynamiken bezüglich Einspeisung

oder Lasten, wo immer möglich, kann eine ansonsten notwendige hoch

performante Kommunikation womöglich zu großen Teilen vermieden

werden. Dieser Aspekt sollte bei der Konzeption und Implementierung

von Lösungen stets beachtet werden.

36 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

2.5 Zuverlässigkeit, Verfügbarkeit, Funktionssicherheit, Fehlertoleranz

2.5.1 DefinitionenDie Zuverlässigkeit eines technischen Geräts oder eines Systems

ist die Wahrscheinlichkeit dafür, dass in einer gegebenen Zeitspanne

kein Ausfall der aus dem Anwendungszweck abgeleiteten Anforde-

rungen auftritt. Sie kann qualitativ oder auch quantitativ beschrieben

werden, ist jedoch nicht unmittelbar messbar. Die Zuverlässigkeit eines

Geräts oder Systems kann entweder empirisch, durch die Ermittlung

der Ausfallhäufigkeit, oder analytisch, aus der Kombination der Zuver-

lässigkeitswerte von Teilkomponenten, ermittelt werden. So bedeutet

eine hohe Zuverlässigkeit weniger Ausfälle, eine geringere Notwendig-

keit von (regelnden/korrigierenden) Eingriffen und wird allgemein zur

Bestimmung der Performanz herangezogen.

Die Verfügbarkeit lässt sich anhand der Zeit, in der ein System verfüg-

bar ist, definieren (in Prozent):

itBetriebszetAusfallzeiitBetriebsze

eitVerfügbark−

=

Bei der Angabe innerhalb vereinbarter begrenzter Zeiträume werden nur

ungeplant auftretende Ausfallzeiten berücksichtigt. Reguläre wartungs-

bedingte Ausfälle eines Geräts fließen in diese Verfügbarkeitsangaben

nicht mit ein. Wenn eine vollständige 24/7-Verfügbarkeit vereinbart

ist, bedeutet das, dass es keine geplanten Ausfallzeiten gibt. Jegliche

Betriebsunterbrechung wird dann als Ausfallzeit betrachtet. Wartungs-

arbeiten müssen bei solchen Systemen on-line während des laufenden

Betriebes ausgeführt werden.

Unter der Funktionssicherheit eines Systems versteht man die Eigen-

schaft, dass die realisierte Ist-Funktionalität der Komponenten mit der

spezifizierten Soll-Funktionalität übereinstimmt, das System also keine

funktional unzulässigen Zustände annimmt.

Unter Fehlertoleranz versteht man die Fähigkeit eines Systems, auch

mit einer begrenzten Zahl fehlerhafter Subsysteme seine spezifizierte

Funktion zu erfüllen. Man unterscheidet verschiedene Fehlerarten:

� Zufällige, physikalische Fehler

� Verschleißfehler, z.B. durch Alterung von Bauteilen

� Störungsbedingte Fehler aufgrund äußerer physikalischer Einflüsse

� Bedienungsfehler

� Wartungsfehler: fehlerhafte Systemeingriffe während eines Wartungs-

intervalls

� Sabotage, Vandalismus

Bei der Korrektur von Fehlern unterscheidet man zwischen Vorwärts-

und Rückwärtsfehlerkorrektur. Bei der Vorwärtsfehlerkorrektur versucht

das System, den Betrieb aufrecht zu erhalten als ob ein Fehler nicht

aufgetreten wäre, indem es z.B. fehlerhafte Inputs durch Default- oder

37 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

Erfahrungswerte aus der Vergangenheit oder durch korrekt funktionie-

rende Inputs ausgleicht oder im Moment des Auftretens eines Fehlers

mit Ersatzsystemen weiterarbeitet. Ziel der Vorwärtsfehlerkorrektur ist

das Sicherstellen der vereinbarten Verfügbarkeit.

Bei der Rückwärtsfehlerkorrektur versucht das System bei Auftreten

eines Fehlers in einen Zustand vor diesem Auftreten zurückzukehren

(Roll-back), z.B. in den Zustand direkt vor einer fehlerhaften Berech-

nung/Ausführung, um diese dann erneut auszuführen. Genauso ist

aber auch ein Zustandswechsel in einen Notbetrieb möglich. Kann eine

fehlerhafte Berechnung/Ausführung erfolgreich wiederholt werden,

bleibt auch bei der Rückwärtsfehlerkorrektur der Fehler für den Anwen-

der unsichtbar. Oft ist aber nur ein Weiterbetrieb mit Leistungseinbu-

ßen oder eingeschränkter Funktionalität möglich und der Fehler somit

sichtbar.

Die Fähigkeit eines Systems, seine Funktionssicherheit auch bei

Schwankung der Umgebungsbedingungen und Nichtverfügbarkeit von

bzw. trotz fehlerhafter Eingangsdaten aufrecht zu erhalten, wird als

Robustheit bezeichnet. Bei Verwendung dieses Begriffes wird i.d.R.

angegeben, wogegen das System robust ist.

2.5.2 Verfügbarkeit und Zuverlässigkeit der elektrischen Energieversorgung in Deutschland

Für das Jahr 2007 lag die Nichtverfügbarkeit von Strom in Deutschland

bei durchschnittlich 19,25 Minuten je Endverbraucher. Das ergibt sich

aus den Berichten, die die Bundesnetzagentur gemäß § 52 EnWG für

das Berichtsjahr 2007 von jedem Betreiber eines Stromversorgungs-

netzes in Deutschland über alle in seinem Netz aufgetretenen Versor-

gungsunterbrechungen erhalten hat. Dieser Bericht muss mindestens

Zeitpunkt, Dauer, Ausmaß und Ursache der einzelnen Versorgungsun-

terbrechung enthalten. Insgesamt haben 858 Netzbetreiber ca. 236.000

Versorgungsunterbrechungen übermittel. Die Bundesnetzagentur hat

die Daten einer Plausibilisierung und Prüfung unterzogen. Danach

verblieben 825 Unternehmen, aus deren Daten nach international aner-

kannten Methoden der Wert für die Versorgungsqualität in Deutschland

errechnet werden konnte. Dieser sog. SAIDI-Wert (System Average

Interruption Duration Index) gibt die „durchschnittliche Versorgungs-

unterbrechung in Minuten je angeschlossenem Letztverbraucher“ an.

Während im Jahr 2006 die durchschnittliche Nichtverfügbarkeit noch

21,53 Minuten je Endverbraucher betrug, ist der Wert für 2007 auf

19,25 Minuten gesunken. In die Berechnung gehen dabei jedoch nur

die ungeplanten Unterbrechungen ein, die länger als drei Minuten

dauern und deren Ursache atmosphärische Einwirkungen, Einwir-

kungen Dritter, Rückwirkungsstörungen aus anderen Netzen oder

andere Störungen sind, die in die Zuständigkeit des Netzbetreibers

fallen. Unterbrechungen mit der Ursache „Höhere Gewalt“ werden

nicht berücksichtigt. Bezieht man die nach Angaben der Netzbetreiber

38 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

durch die Ursache „Höhere Gewalt“ verursachten Unterbrechungen

mit ein, so lag die Nichtverfügbarkeit je Endverbraucher im Jahr 2007

bei 35,67 Minuten (Vorjahr 23,25 Minuten). Die Erhöhung im Vergleich

zum Vorjahr ist insbesondere auf die vom Orkan „Kyrill“ im Januar 2007

verursachten Schäden an den Übertragungs- und Verteilungsnetzen

zurückzuführen.

Der ermittelte Wert von 19,25 Minuten bestätigt die hohe Verfügbarkeit

und Zuverlässigkeit der elektrischen Energieversorgung in Deutsch-

land auch im Vergleich mit den europäischen Nachbarn (2007: Nieder-

lande 33,1 Minuten, Österreich 45,47 Minuten).

Für das Jahr 2008 haben 846 Netzbetreiber für 871 Netze 208.100 Ver-

sorgungsunterbrechungen übermittelt. Nach der erneuten Plausibili-

tätskontrolle und -prüfung wurden die Daten von 813 Unternehmen mit

834 Netzen bei der Berechnung des SAIDI berücksichtigt. Für das Jahr

2008 ergibt sich danach für Deutschland eine Nichtverfügbarkeit von

16,89 Minuten je Endverbraucher. Im Gegensatz zum Vorjahr lag der

Wert für Ausfälle durch „Höhere Gewalt“ in 2008 bei nur 1,2 Minuten.

Der ermittelte Wert von 16,89 Minuten ist erneut eine Verbesserung im

Vergleich zum Vorjahr und zeigt die hohe Versorgungszuverlässigkeit in

Deutschland wieder auch im direkten Vergleich mit den europäischen

Nachbarn (Österreich 2008: 43,69 Minuten).

Allgemeindaten Niederspannung Mittelspannung SAIDI

Berichts-

jahr

Anzahl

Netzbetrei-

ber/Netze

Endver-

braucher

(in Mio.)

Anzahl

Unterbre-

chungen

(insg. in

Tsd)

SAIDI

(Minuten)

Anzahl

Unterbre-

chungen

(insg. in

Tsd)

SAIDI

(Minuten)

SAIDI

(Minuten)

2008 813/834 48,4 171,5 �,57 36,6 14,3� 16,89

2007 8�5 48,5 196,3 �,75 39,5 16,50 19,�5

2006 781 48,5 193,6 �,86 34,4 18,67 �1,53

Tabelle 1: Gesamt�bersicht der mittleren Nichtver��gbarkeit je �ndverbraucher und

Jahr (SAIDI = System Average Interruption Duration Index)

2.5.3 Mindestanforderungen an zukünftige EntwicklungenIn der derzeitigen Netzbetriebsführung findet eine Koordination der

Nutzung des öffentlichen Energieversorgungsnetzes praktisch nur auf

der Seite großer, zentraler Energiegewinnungsanlagen statt. Für einen

Ausgleich von elektrischem Energiebedarf werden Einspeiseleistungen

– abgesehen vom kurzfristigen Ausgleich kurzfristiger Ungleichgewichte

durch den Einsatz von Reserveleistung – über verschiedene Mecha-

nismen (z.B. an den Energiebörsen) an die jeweilige Nachfrage nach

Energie angepasst. Mit Hilfe von Smart Grids sollen zukünftig auch klei-

nere Energiegewinnungsanlagen sowie Energienutzer die Möglichkeit

erhalten, an dieser Koordination teilzunehmen. Anreize zur Teilnahme

39 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

sollen aus verschiedenen Optimierungszielen anderer Marktakteure

erwachsen. Optimierungsziele können hierbei z.B. die möglichen Ein-

sparungen beim Energiebezug in Niedrigpreisphasen sein und in Form

von günstigeren Nacht- oder Nebenzeittarifen durch den jeweiligen

Energiehändler an den Energienutzer als Anreiz weitergegeben werden.

Für Netzbetreiber kann die Möglichkeit der Beeinflussung des Energie-

bedarfs eine Option zur Optimierung der Auslastung des Netzes bzw.

zur Vermeidung von Netzengpässen sein.

In all diesen Szenarien ist eine deutlich umfangreichere messtechni-

sche Erfassung und Überwachung des Systems erforderlich. Durch die

geplante und mit Smart Metern z.T. bereits umgesetzte direkte Ver-

netzung von Erzeugern und Verbrauchern werden Informationen über

Netze und Versorgungssituationen ausgetauscht.

Mit dem Gesetz über die Elektrizitäts- und Gasversorgung (EnWG) gilt

seit Anfang 2010 eine geänderte Rechtslage, die den Einsatz von Smart

Metern und damit eine Einführung von Smart Grids vorbereitet. So sind

Messstellenbetreiber seit 01.01.2010 verpflichtet, bei Neubauten und

Sanierungen Messeinrichtungen einzubauen, die den tatsächlichen

Energieverbrauch und die Nutzungsdauer anzeigen (soweit technisch

machbar und wirtschaftlich zumutbar; § 21 b Absatz 3a EnWG). Wei-

terhin muss der Netzbetreiber allen Strom- und Gasverbrauchern

auf Wunsch die Umstellung auf einen Smart Meter anbieten (§ 21 b

Absatz 3b EnWG). Energieversorger müssen last- oder tageszeitvaria-

ble Stromtarife anbieten (soweit technisch machbar und wirtschaftlich

zumutbar; § 40 Absatz 3 EnWG). In Verbindung mit dem Recht, eine

monatliche, viertel- oder halbjährliche Abrechnung für Strom- und

Gaslieferungen einzufordern (§ 40 Absatz 2 EnWG), hält so die Informa-

tionstechnologie verpflichtend Einzug in die Energieversorgungsnetze.

Bewährte Methodik, Verfahren und Best Practices aus den Bereichen

IT-Safety (Funktionssicherheit) und -Security (Datensicherheit) sind

daher auf die spezifischen Gegebenheiten eines Smart Grids zu über-

tragen und sollten bereits beim Design und vor der Inbetriebnahme

eines Smart Grids Berücksichtigung finden.

Während bestimmte Use Cases und Szenarien in Smart Grids – wie

u.a. die zuvor genannte dynamische Tarifierung von elektrischer Leis-

tung – nicht sicherheitskritisch sind, dabei jedoch bestimmte Dienst-

güten garantieren und einhalten müssen, sind andere Anwendungsfälle

speziell in der Netzüberwachung und Steuerung und Koordination von

Ver brauchern und Erzeugern system- und daher zeitkritisch. Hieraus

ergibt sich die Notwendigkeit Dienste im Hinblick auf ihre Bedeutung

für die Stabilität und Zuverlässigkeit des Netzbetriebs zu unterscheiden

und getrennt zu behandeln und zu priorisieren. Auch werden verschie-

dene Kommunikationskanäle mit unterschiedlicher Zuverlässigkeit

zum Einsatz kommen. So verbietet sich z.B. die Verwendung privater

öffentlicher, paketorientierter Datennetze im Bereich der Schutz technik,

wohingegen sie zur Verbreitung von Preissignalen oder der Kommuni-

40 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

kation weniger kritischer Daten über weite Entfernungen durchaus in

Betracht gezogen werden.

Mit der zunehmenden Umstellung von der Nutzung fossiler Energieträ-

ger, deren Einsatz direkt beeinflussbar und deren Verfügbarkeit planbar

ist, auf die Nutzung erneuerbarer Energieträger, deren Verfügbarkeit nur

in engen Grenzen vorhersagbar ist, besitzt das zukünftige Energiever-

sorgungsnetz ohne eine geeignete Erschließung zusätzlicher Flexibilität

weniger Leistungs- und Sicherheitsreserven. Verbleibende Flexibilitäts-

reserven bestehen zu einem großen Teil in der zeitlichen Verschiebbar-

keit des Energiebezugs kleiner und mittlerer Anlagen. Eine Erschließung

setzt eine geeignete kommunikationstechnische Anbindung zwingend

voraus.

Darüber hinaus erhöht sich die Komplexität des Prozesses der Netzpla-

nung, was bei weiterer Anwendung aktueller Auslegungsstrategien und

einer tendenziell erhöhten Gleichzeitigkeit angeschlossener Verbrau-

cher zu einer erhöhten Planungsunsicherheit führt. Dieser Entwicklung

kann z.B. durch vermehrten Einsatz von Messtechnik zur Verbesserung

der Datenbasis über den Netzbetriebszustand und somit der Entschei-

dungsbasis entgegengewirkt werden. Vor diesem Hintergrund wird es

einen erhöhten Forschungsbedarf zur Entwicklung neuer Planungsstra-

tegien geben.

Mit der festen Integration von IKT-Technologien in Smart Grids wird

das sicherheitskritische System der elektrischen Energieversorgung

um eine weitere potenziell fehleranfällige Komponente erweitert. Da die

Zuverlässigkeit des elektrischen Energieversorgungssystems von der

Zuverlässigkeit und Verfügbarkeit seiner Teilkomponenten abhängig ist,

muss unter Verwendung bestehender betrieblicher Konzepte für Smart

Grids zunächst von einer, verglichen mit den Daten des vorangegan-

genen Abschnitts, geringeren Verfügbarkeit ausgegangen werden. Die

Verfügbarkeit elektrischer Energie gehört zu den Grundversorgungs-

aufgaben und ist von besonderer gesellschaftlicher Bedeutung. Um die

Verfügbarkeit hier auf einem ähnlichen oder höheren Niveau zu halten

wie heute, ist eine Differenzierung der Verfügbarkeitsanforderungen für

verschiedene Energieanwendungen erforderlich. Um durch die Einbrin-

gung der IKT die Verfügbarkeit elektrischer Energie nicht negativ zu

beeinflussen, müssen elektrische Energiesysteme grundsätzlich robust

gegenüber der (kurzfristigen) Nichtverfügbarkeit von IKT-Systemen sein.

Für IKT-gestützte Netzarchitekturen und Technologien für Smart Grid

Energieinformationsnetze, die auf diesen aufbauen, sind daher erwei-

terte und neuartige Ansätze zur Fehlertoleranz und -korrektur zu entwi-

ckeln, die die Zuverlässigkeit und Funktionssicherheit des Systems –

vergleichbar mit den Eigenschaften bisheriger elektrischer Energieüber-

tragungssysteme – gewährleisten oder die Funktionssicherheit unter

Berücksichtigung unvorhersehbarer Versorgungssituationen sogar noch

zu verbessern in der Lage sind. Robuste Smart Grids mit verteilt operie-

renden weitestgehend autonomen Akteuren und Komponenten müssen

41 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

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in der Lage sein, Fehler zu erkennen, hierauf für den Nutzer transparent

zu reagieren und den Netzbetrieb weitgehend selbst zu stabilisieren.

2.6 Erforderliche Kenngrößen und MengengerüstFür alle Betriebsmittel bzw. alle Marktbeteiligten muss grundsätzlich

zwischen allgemeinen bzw. verwaltungs technischen Kenngrößen und

Daten sowie (elektro-) technischen Kenngrößen unterschieden werden.

Unter die allgemei nen und verwaltungstechnischen Daten fallen u.a.

die eindeutige Kennzeichnung des Betriebsmittels oder des Markt -

teilnehmers, geografische Daten, Anschriften sowie bei elektronischen

Geschäfts abläufen auch digitale Signaturen.

Bei den technischen Kenngrößen selbst wird zwischen den betrieb-

lichen und den energiewirtschaftlichen Kenngrößen unterschieden.

Für die mögliche Realisierung neuartiger Schutz- und Überwachungs-

konzepte müssen die betrieblichen Kenngrößen zwischen den Betriebs-

zuständen „Normalbetrieb“ und „gestörter Betrieb“ unterscheiden. Der

Zustand „gestörter Betrieb“ beinhaltet dabei nicht nur Überlastungen

und Instabilitäten des Netzes oder Netzabschnitts bzw. Kurz schlüsse

sondern auch die Phase des Netzwiederaufbaus nach einem möglichen

Blackout.

Für alle einzelnen technischen Betriebsmittel, aber auch für Gruppen

wie z.B. ein Niederspannungsabschnitt eines Verteilungsnetz trans-

formators sind folgende Angaben notwendig, wobei hier nur die bei-

spielhafte Betrachtung für die Sparte Strom in den Energieversorgungs-

netzen erfolgt.

2.6.1 MesswerteSpannung V Am Übergabepunkt, dreiphasig

Strom A Am Übergabepunkt, dreiphasig,

vorzeichenbehaftet

Wirkleistung kW Vorzeichenbehaftet

Blindleistung kvar Vorzeichenbehaftet

Phasenwinkel ° Vorzeichenbehaftet

Alle Messwerte werden als Effektivwerte angegeben. Zur eindeutigen

Zuordnung der Energierichtung wird das Verbraucherzählpfeilsystem zu

Grunde gelegt.

2.6.2 AuslegungsdatenMaximale Last kW Maximal bekannte Last

Nennleistung kW Typische Leistung während

des Betriebs (eine oder mehrere EE)

Maximale Erzeugungs- kW Maximale Nettoleistung (eine oder

leistung mehrere EE)

42 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

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Maximale kWh Maximale Speicherkapazität

Speicherkapazität (eine oder mehrere Speicher-

einheiten)

2.6.3 GrenzwerteGrenzverbrauchsleistung kW Maximal erlaubte Last als aktuelle

Vorgabe der Betriebsführung

Grenzerzeugungsleistung kW Maximal erlaubte Erzeugung als

aktuelle Vorgabe der Betriebsführung

2.6.4 EnergiespeicherStrom-Verbrauch (Laden) kWh Bedarf an elektrischer Arbeit

Strom-Erzeugung kWh Bereitstellung an elektrischer

(Rückspeisung) Arbeit

Lade-Leistung kW Grenzleistung für Ladevorgang des

Speichers

Rück-Speiseleistung kW Grenzleistung für Rückspeisevorgang

aus dem Speicher

2.6.5 Lastmanagement aus Sicht des VerbrauchersAktuelle Last kW Momentaner tatsächlicher Verbrauch

Minimale Last kW Momentan möglicher minimaler

Verbrauch

Maximale Last kW Momentan möglicher maximaler

Verbrauch

Zusatzlast kW Mögliche – aktuelle Last;

vorzeichenbehaftet

Hier gilt es zu beachten, dass die letztgenannte Zusatzlast auch negativ

sein kann. Man spricht dann auch von „Nega-Watt“ und meint damit

die Leistung, die durch Energiesparen und Energieeffizienz verringert

werden kann.

Beim Lastmanagement muss bei den möglichen Lasten eventuell

auch eine Angabe der elektrischen Arbeit erfolgen, um eine Bewertung

der Wirksamkeit über die Zeit vornehmen zu können. Die Angaben

würden sich dabei auf den jeweils festgelegten Beobachtungszeitraum

beziehen und werden daher zyklisch aktualisiert. Prinzipiell können

auch mehrere, zeitlich gestaffelte Beobachtungszeiträume betrachtet

werden. In jedem Fall muss das Mengengerüst pro Beobachtungszeit-

raum um die folgenden Daten ergänzt werden:

Minimale Arbeit kWh Minimal benötigte Arbeit im nächsten

Zyklus

Maximal Arbeit kWh Maximal benötigte Arbeit im

nächsten Zyklus

43 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

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2.6.6 Energiepreise aus Sicht des VerbrauchersVerbrauch ct/kWh Hier zunächst nur Wirkleistung

Erzeugung ct/kWh Nur Wirkleistung

Beim Lastmanagement bzw. bei den Energiepreisen können die geliste-

ten Kenngrößen mehrfach auftreten und dabei unterschiedliche Last-

gruppen, gegliedert nach der mindestens benötigten Benutzungs- bzw.

Erzeugungsdauer, unterscheiden. Somit kann hier beispielsweise zwi-

schen fest zugesicherter Lieferung und beliebig unterbrechbarer Liefe-

rung oder Verbrauch unterschieden werden. Die Anzahl der Gruppen ist

u.a. vom Verbraucher, aber auch von den Grundregeln der Netzführung

abhängig und ist fallweise festzulegen. Den verschiedenen Lastgruppen

können auch unter schiedliche Preise vom Netzbetreiber bzw. Energie-

dienstleister zugeordnet sein. Damit lassen sich dann wirtschaftliche

Optimierungen in den Verbrauchseinheiten realisieren.

Die hier gelisteten Daten zu Lastmanagement und Energiepreisen

betreffen den Normalbetrieb des Netzes. Für den Netzwiederaufbau

nach einem Blackout können diese Kenngrößen ebenfalls benutzt

werden. Es ist aber auch denkbar, gesondert gekennzeichnete Kenn-

größen für diesen abnormalen Betriebszustand zu definieren.

2.6.7 ZählerständeZählerstand 1 kWh Aktueller Zählerstand – Tarif 1. . .

Zählerstand n kWh Aktueller Zählerstand – Tarif n

Die Anzahl der Zählerstände ist je Verbrauchs- bzw. Erzeugerstelle fest-

zulegen und damit zusätzlich anlagen- und vertragsabhängig. Es ist auf

jeden Fall vorzusehen je Tarifart, Verbrauch, Erzeugung und Speicher-

nutzung getrennt zu erfassen und auszulesen, da eine unterschiedliche

Vergütung erfolgen kann.

2.6.8 Beispiele für SchutzparameterSpannungseinbruch % Relativ zur Nennspannung

Verzögerungszeit ms Wirkzeit für die Absteuerung

max. KS-Leistung kW Maximale Kurzschlussleistung

Durch den zukünftigen Einsatz dezentraler Erzeugungseinrichtungen

im Nieder- und Mittelspannungsnetz kommt es im Kurzschlussfall zu

Rückspeisungen. Diese sind nicht oder nur bedingt durch die heute

üblichen gestaffelten Schmelzsicherungs konzepte zu beherrschen.

Geht man vom großflächigen Einsatz von Leistungselek tronik-

komponenten aus, so müssen diese für den Fehlerfall oder andere

abnormale Zustände entsprechend parametriert werden. Diese Para-

meter können erst nach Vorliegen von neuartigen Schutzkonzepten

weiter spezifiziert werden und müssen bis dahin pauschal angenom-

men werden. Ihre Einstellung nicht aber ihre Anwendung ist dabei

zeitunkritisch.

44 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

3 Energieinformationsnetze als zukünftige Basis für ein intelligentes Energiemanagement

Nachdem im letzten Abschnitt die Anforderungen an das zukünftige

Energieversorgungssystem beschrieben wurden, wird hiervon ausge-

hend das Thema Energieinformationsnetze in diesem Abschnitt grund-

legend betrachtet. Die Energiebranche befindet sich im Wandel. Der

zunehmende Anteil dezentraler Erzeugung regenerativer Energie und

das Streben nach Ressourcenschonung und hoher Energieeffizienz

stellen das heutige Energieversorgungssystem vor große Herausforde-

rungen. Um diesen Anforderungen in Zukunft gerecht zu werden, zeigt

sich ein Trend weg von einem zentral gesteuerten System, hin zu einem

dezentralen, intelligenten System bestehend aus Erzeugern (zentral und

dezentral), Energieverteilung, Automatisierung, Kommunikation und

Informationsverarbeitung – ein Energieinformationsnetz.

Dieses Energieinformationsnetz soll für die heutigen und künftigen

Elektrizitätsnetze alle erforderlichen Daten für Messung, Verbrauch und

Steuerung des Energieeinsatzes vom Einzelhaushalt, einem kommu-

nalen bis hin zu regionalen Versorgungsgebieten bereitstellen, so wie

es heute bereits in der Übertragungsnetzebene typisch ist. Weiterhin

werden inzwischen aggregierte Daten zu Erzeugungs-Prognosen aus

den dezentralen Netzstrukturen auch auf Ebene der Übertragungsnetze

gewünscht, um die zentrale Erzeugung im Rahmen der Möglichkeiten

an die erwarteten Verhältnisse anpassen zu können. Hierbei sollen die

Energieinformationsnetze helfen, die Netzqualität auch in dezentralen

Netzarchitekturen aufrecht zu erhalten. Der Einsatz von Informations-

und Kommunikationstechnologien im Zuge eines „Smart Grid“ soll

analog zum Übertragungsnetz auch in den niedrigeren Spannungs-

ebenen und insbesondere dezentralisierten Netzstrukturen unterbre-

chungsfreie Stromversorgung unter gleichzeitiger Berücksichtigung

einer hohen Netzqualität sicherstellen.

45 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

Energie-informations-

netz

Energie-versorgung

Telekom-munikation

Automati-sierung

Know-how-Fluss

Abbildung 5: �r�orderliches interdis�iplin�res Know�how �ur Realisierung eines

�nergiein�ormationsnet�es

Die Realisierung eines Energieinformationsnetzes erfordert den interdis-

ziplinären Einsatz von Know-how aus den Fachdisziplinen Energiever-

sorgung, Telekommunikation und Automatisierung (siehe Abbildung 5).

Hierbei ist festzustellen, dass mit den Energieinformationsnetzen eine

neue Fachdisziplin entsteht, die in ihrer Anfangsphase auf das inte-

grierte Know-how bestehender Fachdisziplinen aufsetzen wird und sich

von diesem Punkt an selbstständig entwickeln wird. Bildlich gespro-

chen ist die gegenwärtige Situation hier beispielsweise vergleichbar mit

dem Ende des 19. Jahrhunderts, als der erste Verbrennungsmotor auf

einer Kutsche montiert wurde und dies praktisch die Automobilindus-

trie begründet hat (bzw. sind wir jenseits der Niederspannungsebene

schon beim Ford T-Modell und der Fließbandproduktion angekommen).

Sicherlich waren sich die damaligen Akteure nicht der Tragweite ihres

Handelns bewusst, dass sie damit eine wesentliche Voraussetzung für

die spätere Entwicklung der Just-in-time Produktionstechnik geschaf-

fen haben. Eine vergleichbare Entwicklungsgeschichte zeichnet sich bei

den Energieinformationsnetzen ab.

Vor dem Hintergrund, dass mit den Energieinformationsnetzen eine

neue Fachdisziplin entsteht, die in ihrer Frühphase auf die interdiszipli-

näre Nutzung des Know-hows der angrenzenden Fachgebiete ange-

wiesen ist und sich von diesem Punkt an selbst weiterentwickeln wird,

erfolgt in diesem Abschnitt der Versuch einer weitgehend vollständigen

Modellierung eines Energieinformationsnetzes auf hoher Abstraktions-

ebene. Das hier entstehende, generische Modell eines Energieinforma-

46 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

tionsnetzes, welches in Abschnitt 4 beschrieben wird, soll einerseits

den aktuellen Stand in dieser neuen interdisziplinären Fachdisziplin

beschreiben und andererseits eine Abschätzung der zukünftigen

Entwick lungen ermöglichen. Notwendig ist eine Modellbildung, die

die Darstellung aller Aspekte in einem (!) Modell erlaubt.

3.1 Paradigmenwechsel in der EnergieversorgungBetrachtet man heute Energieversorgungsnetze und Telekommunika-

tionsnetze in ihrem Aufbau und ihrer Struktur (einschließlich der darin

enthaltenen Automatisierungen), so lassen sich gewisse Parallelen

erkennen. Verschiedene Aspekte stehen hier auf unterschiedlichen Evo-

lutionsstufen, was es ermöglicht, Erfahrungen aus einer Domäne mit

entsprechenden Anpassungen in anderen Domänen zu nutzen.

Für Energieversorgungsnetze und Telekommunikationsnetze existieren

heute noch verschiedene Modelle, die sich gegenwärtig nur bedingt zu

einem Modell für „Energieinformationsnetze“ zusammenführen lassen.

Auf dem Weg zu einer Entwicklung eines gemeinsamen Modells bzw.

eines gemeinsamen Verständnisses für ein Energieinformationsnetz ist

als erster Schritt die Zusammenführung der verschiedenen Begriffs-

welten der Domänen „Energieversorgung“, „Telekommunikation“ und

„Automatisierung“ erforderlich, um eine gemeinsame Sprache zur

Beschreibung eines Energieinformationsnetzes zu entwickeln.

Der erste Ansatz zur Beschreibung eines Energieinformationsnet-

zes ist die Schaffung einer gemeinsamen Sichtweise für Begriffe aus

dem Bereich der Energieversorgung, der Telekommunikation und der

Automatisierung, welche von der Annahme eines sich abzeichnenden

Paradigmenwechsels im Bereich der Energieversorgung ausgeht (siehe

Abbildung 6).

„Telefon-Vermittlung“

„Telefon-Teilnehmer“

Energieverteilung / (Energie-) Netzbetreiber

(Energie-)Netzteilnehmer

(Energie-)Netzteilnehmer

Klassische Architektur Peer-to-Peer Architektur

Einspeisung Leistungsbezug

Energieerzeugung

Energietransport

Energieverteilung

Energieverbrauch

Abbildung 6: Paradigmenwechsel im �nergieversorgungsbereich

47 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

Die klassische Architekturvierteilung eines Energieversorgungsnetzes

in Energieerzeugung, Energietransport, Energieverteilung und Energie-

verbrauch (Top-Down-Architektur) wird sich durch die steigende Anzahl

der dezentralen Energieerzeuger (z.B. Windkraft, Blockheizkraftwerke,

Solaranlagen, usw.) zu einer Peer-to-Peer Architektur wandeln, bzw.

wird eine Peer-to-Peer Architektur parallel zu der bestehenden (teil)zen-

tralen entstehen. In dieser könnte man Energieerzeuger und Energiever-

braucher zu „Energie-Netzteilnehmern“ zusammenfassen. Ebenso kann

man Energietransport und Energieverteilung zum „Energie-Netzbetrei-

ber“ zusammenfassen. Das hieraus ableitbare Peer-to-Peer Modell

eines Energieversorgungsnetzes, welches nur noch aus den Kompo-

nenten „Energie-Netzteilnehmer“ und „Energie-Netzbetreiber“ besteht,

weist nun große Ähnlichkeiten zu einem Telefonnetz auf, welches aus

Telefonteilnehmern und einer Telefonvermittlung besteht (siehe Abbil-

dung 6).

3.2 KlassifikationsschemaWenn man Begriffe aus mehreren Domänen in Relation setzen will, um

ein gemeinsames Verständnis zu erreichen, wird ein Klassifikations-

schema benötigt, an dem sich ähnliche Begriffe identifizieren lassen.

Als Klassifikationsschema würde sich hier ein Ebenenmodell eignen,

welches an das Inventarisierungsmodell einer Telekommunikations-

infrastruktur angelehnt ist. Das für diesen Zweck abgewandelte

Ebenen modell besteht aus den folgenden sechs Ebenen:

� Dienstanschlussnehmer

Jemand (Rolle), der die Produkte des Portfolios (bzw. die angebote-

nen Dienste; auch in Kombination) nutzt und mit dem Energie-Netz-

betreiber (d.h. technischer Netzbetreiber bzw. Energiedienstleister)

das hierfür vereinbarte Entgelt verrechnet (Verkauf/Einkauf).

� Portfolio

Satz von Leistungsbausteinen (Diensten), die dem Dienstanschluss-

nehmer angeboten werden (marktgetriebene Dienste) und die er

(auch in Kombination) nutzen kann.

� Technische Dienste

Technische Dienste, die vom Energie-Netzbetreiber zum Netzbetrieb

benötigt werden, für den Dienstanschluss nehmer jedoch nicht sicht-

bar sind (netzgetriebene Dienste).

� Knoten

Aktive Netzwerkkomponenten, mit deren Hilfe das Verhalten des

Netzes gesteuert werden kann.

Hinweis: Die Definition hier lehnt sich an dem allgemeinen Verständ-

nis des Begriffs in der Terminologie der Telekommunikationstechnik

an und steht damit im Gegensatz zum allgemeinen Verständnis des

Begriffs in der Terminologie der Energieversorgung, die einen Knoten

48 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

als eine passive Verbindung von Leitungen auffasst, welche zur elekt-

rischen Leistungsübertragung dienen.

� Kommunikations-/Transportkanal

Passive Verbindungen zur Übertragung von elektrischer Leistung bzw.

zur Übertragung von Nachrichten signalen.

� Betriebsmittel

Aktive Komponente an einem Anschlusspunkt des Netzes, welche die

Dienste (Portfolio) des Netzes nutzt (bzw. technischer Akteur oder Ele-

ment im intelligenten Energieversorgungssystem nach Abschnitt 5.3).

Wendet man dieses Klassifikationsschema exemplarisch auf diverse

Begriffe aus den Domänen Telekommunikation, Energieversorgung

und Automatisierung an (wobei dies immer einen Kompromiss dar-

stellen wird), ergibt sich die Darstellung in Tabelle 2. Das entwickelte

Klassifikationsschema erlaubt es einerseits, Begriffe aus den verschie-

denen Domänen in Relation zueinander zu setzen, was andererseits

den benachbarten Fachdisziplinen wiederum den Zugang zur Domäne

Energieinformationsnetze in ihrer Sprache ermöglicht. Dieses Relations-

schema bildet die Basis zur Entwicklung des generischen Modells eines

Energieversorgungsnetzes, welches in der Anfangsphase auf das inte-

grierte Know-how der Fachdisziplinen Energie versorgung, Telekommuni-

kation und Automatisierung aufsetzt.

Ebene Telekommunikation Energieversorgung Automatisierung

Dienstanschlussnehmer

(Anschlussinhaber): Nut�t die Pro�

dukte des Port�olios

Privatkunde,

Firmenkunde

Privatkunde,

Firmenkunde

Anlagen�Betreiber

Port�olio: Leistungsbausteine, die

dem Dienstanschluss nehmer

angeboten werden

�.B. ��Mail,

Web�Hosting

�.B. Be�ug und Lie�erung

elektrischer �nergie

F�hrung und Regelung

von Pro�essgrößen

Technische Dienste: Nötig ��r

Net�betrieb; unsichtbar ��r die

Kunden

Triple�A�System,

Billing�System,

��Mail Server, Net�werk�

Management

Systemdienst leistungen,

�.B. Frequen�haltung

Net�werkkon�iguration,

Parametrierung,

Inbetriebnahme,

Dokumenten server,

BD��Server

Knoten: Aktive Net�werk�Kompo�

nenten ��r Steuerung

Router, Switch, Proxy Leistungsschalter,

Trenner, Stu�enschalter

Koppler, Link, Barrieren,

Switch, Router

Kommunikationskanal /

Transportkanal

Lichtwellenleiter, Kup�er�

doppelader, Funkverbin�

dung

Freileitung, Kabel,

Trans�ormator

Lichtwellenleiter,

Kup�erdoppelader

Betriebsmittel: Aktive Komponen�

ten, an einem Anschlusspunkt

Tele�on, PC, Notebook,

SetTopBox (IPTV)

�r�eugungseinheit,

Speicher, Verbraucher,

Mess� und Stelleinrich�

tung

Pro�essleitsystem,

Feld ger�te, Antrieb,

Steuerung, Roboter,

Messum�ormer

Tabelle �: Klassi�ikationsschema mit exemplarisch klassi�i�ierten Begri��en aus den

Dom�nen

49 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

4 Generisches Modell eines Energieinformationsnetzes

Ausgehend vom Klassifikationsschema mit seinen sechs Ebenen (siehe

Tabelle 2) wird das generische Modell eines Energieinformationsnetzes

(siehe Abbildung 7) bestehend aus den folgenden vier Ebenen aufge-

baut:

� Infrastruktur (Physische Welt)

Die Infrastruktur-Ebene beinhaltet das technische Equipment, wel-

ches zum Betrieb eines Energie informationsnetzes erforderlich ist.

Es beinhaltet damit die Ebenen „Betriebsmittel“, „Kommunikations-/

Trans port kanal“ und „Knoten“ des Klassifikationsschemas.

Ferner beinhaltet er die „Service Production Elemente“, welches die

Rechner sind, die zur Ausführung von Diensten benötigt werden.

Die „Gateways“ sind die Infrastrukturkomponenten, die in mindes-

tens zwei Teiltechnologien (z.B. Telekommunikation und Energiever-

sorgung) eingebunden sind und damit als Verbindungselement im

Infrastrukturbereich zwischen Teiltechnologien des Energieinforma-

tionsnetzes dienen. Die Infrastruktur-Ebene ist als eine Menge von

Funktionsbausteinen anzusehen; beispielweise ist in diesem Zusam-

menhang ein Smart Meter sowohl ein Gateway Element (hat Verbin-

dung zur Telekommunikation und zur Energieversorgung) als auch

ein Service Production Element (enthält eine Ausführungsumgebung

für Dienste).

Beispiele: Trans�ormator, Mess� und Stelleinrichtung, Feldger�te

Abbildung 7: Generisches Modell eines �nergiein�ormationsnet�es

50 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

� Informationsobjekte und Dienstekommunikation

Die Ebene der Informationsobjekte und Dienstekommunikation (auch

Dienstgenerierungsebene genannt) ermöglicht den softwaretech-

nischen Zugang zu Komponenten der Infrastruktur-Ebene über

proprietä re oder standardisierte Schnittstellen und stellt somit eine

Middle ware dar, mit deren Hilfe die Komponenten der Infrastruktur-

Ebene „anprogrammiert“ werden können und der Zugriff auf Daten

der Infrastruktur erfolgt. Es kann hier auch eine leichte Vorverarbei-

tung der Roh daten erfolgen.

Beispiele: Kommunikations� und In�ormationsmodelle (IC� 61850),

OG�MA�Framework (Modellstadt Mann heim)

� Dienste (Virtuelle Welt)

Diese Ebene beinhaltet beliebige Dienste, virtuelle Objekte und

virtuelle Strukturen (bzw. die „Virtuelle Welt“) unabhängig von der

unterliegenden physischen Infrastruktur. Die Ebene der Dienste dient

dazu, beliebige „Overlay-Strukturen“ auf Basis der Schnittstellen

in der Ebene der Informationsobjekte und Dienste kommunikation

unabhängig von der verwendeten Infrastruktur zu definieren, zu

implementieren und zu betreiben. Es beinhaltet damit die Ebenen

„Portfolio“ und „Technische Dienste“ des Klassifikationsschemas.

Beispiele: Virtuelle Kra�twerke, Marktpl�t�e, Tari�modelle, Billing�Systeme,

Systemdienstleistungen, �nergie dienstleistungen, Net���hrungsdienste

� Dienstenutzer

Diese Ebene beinhaltet die „Dienstanschlussnehmer“ (Rollen im

Smart Energy System) des Klassifikations modells, welche die

Dienste nutzen und dafür ein Entgelt entrichten oder bekommen.

Beispiele: Privatkunden, Firmenkunden, Anlagenbetreiber, �r�euger, �nergienut�er,

Anbieter und Nut�er von �nergiedienstleistungen, Lie�eranten, H�ndler, usw. (siehe

auch Rollen im Glossar)

Der Sicherheitsaspekt im generischen Modell des Energieinformati-

onsnetzes wird als vertikale Funktion implementiert. Die Zuordnung

des Sicherheitsaspekts zu einer oder mehreren Ebenen wird hier nicht

als sinnvoll angesehen, da die Sicherheit des Gesamtsystems von der

Sicherheit des schwächsten Teils der Sicherheitsarchitektur abhängt.

Insofern muss jede Komponente, die Bestandteil eines Leistungsbau-

steins mit einem definierten Sicherheitslevel ist, für sich selbst und im

Zusammenspiel mit dem Gesamtsystem ein für den Zweck (Leistungs-

baustein) notwendigen Sicherheitslevel aufweisen. Das Sicherheits-

konzept ist hier gesondert für den beabsichtigten Zweck zu planen und

hieraus sind dann die entsprechenden Maßnahmen für die involvierten

Komponenten auf den diversen Ebenen im Modell abzuleiten.

51 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

4.1 Vorteile des ModellsMit der Entwicklung des generischen Modells eines Energieinformati-

onsnetzes wird das Ziel einer weitgehend vollständigen Modellierung

auf hoher Abstraktionsebene verfolgt. Die hier erarbeitete „Landkarte“

der Domäne Energieinformationsnetze ermöglicht eine Beschreibung

des aktuellen Standes und eine Abschätzung der zukünftigen Entwick-

lungen. Ferner kann das Modell rekursiv bzw. hierarchisch angewendet

werden, um die Interaktion von verschiedenen Playern zu beschrei-

ben. Die Vorteile des hier erarbeiteten Modells bestehen darin, dass

heute existierende Technologien in das Modell integrierbar sind (ggf.

durch zukünftige Erweiterungen des Modells) und die Dienste bzw. die

„Virtuelle Welt“ von der unterliegenden Infrastruktur unabhängig ist.

Diese Open-Innovation-Fähigkeit des Modells stellt ein ausgewogenes

Verhältnis zwischen der notwendigen Strukturierung (der „Landkarte“)

der neuen Domäne Energieinformationsnetze einerseits und der erfor-

derlichen Freiheit zur Entwicklung von neuen (virtuellen) Strukturen und

neuen Diensten andererseits dar. Letzteres ist besonders wichtig, da

nur so Fortschritt und Weiterentwicklung in der Domäne Energieinfor-

mationsnetze möglich werden. Dieser Aspekt stellt den eigentlichen

Mehrwert des generischen Modells dar.

4.2 Anwendung des ModellsDer beschriebene Modellierungsansatz soll insbesondere in der rekur-

siven bzw. hierarchischen Verwendung dazu dienen – quasi in Form

spezifischer (Teil-)Sichten auf das gesamte Versorgungssystem – Teilin-

frastrukturen, spezifische Dienste, Anwendungen, Einzelprozesse oder

Prozessuntergruppen zukünftiger intelligenter Versorgungs systeme

beschreiben zu können.

Wenn der Modellierungsansatz in dieser Form genutzt wird, sollte dem

modellierten Gegenstand eine funktionale Beschreibung beigefügt

werden. Aus dieser sollten idealerweise – auf hohem Abstraktionsni-

veau – auch funktionale Anforderungen sowie Anforderungen an die

Sicherheit des modellierten Gegenstands abgeleitet und beschrieben

werden.

4.2.1 Funktionale BeschreibungUnabhängig davon, ob eine Anwendung, ein Verfahren, ein Dienst oder

darunterliegende Architekturen modelliert werden, sollte für den jeweils

modellierten Gegenstand eine erläuternde funktionale Beschreibung

erstellt werden. Diese sollte sowohl die Funktion des modellierten

Gegenstands und seine Integration in die zukünftige Energieversorgung

beschreiben, als auch seinen internen funktionalen Aufbau darstel-

len. Dabei sollte auch die unmittelbare Bedeutung des modellierten

Gegenstands für Wirtschaft und Gemeinweisen wie auch für andere

52 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

Anwendungen, Verfahren etc. der zukünftigen Versorgungssysteme

beschrieben werden. Auch die – zu erwartenden – Interdependenzen,

also die Abhängigkeiten anderer Prozesse und Prozessinfrastrukturen

vom beschriebenen Gegenstand wie auch dessen Abhängigkeiten

von anderen Prozessen und Infrastrukturen, sollte dargestellt werden.

Insbesondere sollte dabei beschrieben werden, ob der modellierte

Gegenstand nur in Normallagen benötigt wird, ob bzw. welche Kern-

funktionalität auch in – ggf. schweren – Krisenlagen aufrechterhalten

werden sollte, ob die Funktionalität gerade zur Bewältigung von Krisen-

lagen benötigt wird, und ob Funktionalität sogar für den Wiederanlauf

nach lange anhaltenden, großflächigen Ausfällen benötigt wird (z.B.

Schwarzstart).

4.2.2 Funktionale AnforderungenAuf Basis der funktionalen Beschreibung sollten die funktionalen Anfor-

derungen an den modellierten Gegenstand abgeleitet werden. Unmit-

telbar offensichtlich ist die Ableitung der allgemeinen Anforderungen

an die Verfügbarkeit des modellierten Gegenstandes. Hier sollte deut-

lich kenntlich gemacht werden, ob die Anforderungen nur für normale

Betriebssituationen gelten sollen. Ggf. müssen für die Aufrechterhal-

tung des Betriebs in Krisenlagen gesonderte Anforderungen aufgestellt

werden.

Ggf. sollte sogar ausformuliert werden, ob bzw. welche „Notbetriebs-

modi“ für welche Ausfall- und Krisenszenarien implementiert werden

müssen und wie mit Störungen und Beeinträchtigungen umgegangen

werden soll. Ist eine Verfügbarkeit in Krisenlagen z.B. nicht zwingend

erforderlich, so sollte in der Regel zumindest gefordert werden, dass

eine problemlose Wiederinbetriebnahme nach Ende der Beeinträch-

tigungen möglich ist. Dazu müssten dann – je nach modelliertem

Gegenstand – z.B. für den Fall der Unterbrechung benötigter Kom-

munikationswege Mechanismen für einen sauberen Halt oder einen

geeigneten Rückfall auf einen rein lokalen Betrieb implementiert

werden. Nach Ende der Beeinträchtigung müsste dann die Rückkehr

in den Normalbetrieb problemlos erfolgen und Daten ggf. nachträglich

sauber abgeglichen werden können. Wichtig ist auch die Beschreibung

der Anforderungen bzgl. des erforderlichen zeitlichen Verhaltens, der

notwendigen Fehlerfreiheit, Integrität und Transaktionssicherheit der an

den Schnittstellen bereitgestellten Informationen. Ebenso müssen die

Anforderungen an den Datenschutz beschrieben werden.

Die funktionalen Anforderungen sollen primär an den modellierten

Gegenstand gestellt werden. Abstrakte Anforderungen, die sich z.B.

aus gesetzlichen Rahmenbedingungen ergeben, sollten an dieser Stelle

ggf. schon erwähnt werden. Im graphischen Modell werden die funktio-

nalen Anforderungen daher nicht an einer konkreten Stelle angeordnet,

sondern umfassen alle Ebenen und Bereiche. Funktionale Anforderun-

gen an einzelne oder gar alle modellierten Teilkomponenten würden

53 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

diesen Modellierungsansatz überfordern. An welcher Stelle im Modell

und auf welche Weise die funktionalen Anforderungen erfüllt werden

können, sollte in der Regel im Rahmen der konkreten Auslegung und

Implementierung des modellierten Gegenstandes festgelegt werden.

4.2.3 Formulierung der SicherheitsanforderungenAuf der Grundlage sowohl der funktionalen Beschreibung als auch

der daraus abgeleiteten funktionalen Anforderungen sollten auch die

Sicherheitsanforderungen an den modellierten Gegenstand formuliert

werden. Abstrakt muss sicher immer gefordert werden, dass allgemeine

Sicherheit wie auch IT-Sicherheit im notwendigen Umfang imple-

mentiert wird. Analog den funktionalen Anforderungen sollten bei der

Modellierung eines Gegenstandes die Sicherheits anforderungen für den

Gesamtgegenstand formuliert werden.

Wegen der primären Ausrichtung des Modellierungsansatzes auf die

informationstechnische Sicht besteht kein Anspruch, alle physischen

Sicherheitsanforderungen im Model beschreiben zu können. Wo dies

aber mit vertretbarem Aufwand möglich ist, sollte dies – geeignet

abstrakt und zumindest in Textform – bei der Beschreibung der Sicher-

heitsanforderungen erfolgen. Dies gilt insbesondere, falls die Erfüllung

der physischen/physikalischen Sicherheitsanforderungen beim model-

lierten Gegenstand durch dort modellierte ggf. informationstechnische

Teilkomponenten erleichtert oder gar nur durch solche sichergestellt

werden kann.

Informationstechnische Sicherheit bzw. IT-Sicherheit ist ebenso wie

die zuvor beschriebenen funktionalen Anfor derungen in der graphi-

schen Darstellung des Modellansatzes ganz bewusst als Rahmen

über alle Ebenen und Teilbereiche des Modells dargestellt. Auch hier

gilt, dass die IT-Sicherheit in der Regel im ersten Modellierungsschritt

nicht durchgängig in die Teilkomponenten herunter gebrochen werden

kann. Wenn allerdings schon im ersten Modellierungsschritt IT-Sicher-

heitsmaßnahmen bzw. die sie stützenden Komponenten mit modelliert

werden sollen, sollte dies auch innerhalb dieses Modells geschehen.

Liegen funktionale Beschreibung und funktionale Anforderungen sowie

eine diese erfüllende Architekturbeschreibung vor, können zur Ermitt-

lung der notwendigen Sicherheitsmaßnahmen ggf. etablierte Methoden

zur Einführung von IT-Sicherheit angewendet werden (z.B. analog den

IT-Sicherheitsstandards 100-1 bis 100-4 des BSI). Bei dem technisch

ggf. sehr hohen Abstraktionsgrad der Modellierung nach der in diesem

Dokument beschriebenen Methodik werden die ableitbaren Aussa-

gen zur IT-Sicherheit in der Regel ebenfalls abstrakt. Die konkretere

Behandlung der IT-Sicherheit muss mit der weiteren Konkretisierung

des erstellten Modells erfolgen. Je nach modelliertem Gegenstand

werden dann auch andere Em pfehlungen relevant wie z.B. das White-

paper von BDEW bzw. FNN zu „Anforderungen an sichere Steuerungs-

und Telekommunikationssysteme“.

54 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

Einige wichtige, bzgl. der Sicherheitsüberlegungen je nach Betrach-

tungsgegenstand zu berücksichtigende, konkretere Punkte sind im

Folgenden beispielhaft aufgeführt.

Das Thema Sicherheit hat mehrere Aspekte. Zwischen Verbrauchern

und Versorgern dürfen nur eingeschränkte Kommunikationsmöglichkei-

ten zugelassen werden. Die Gefahren des Internets sind inzwischen in

weiten Kreisen bekannt. Ein Versorger mit seiner kritischen Infrastruk-

tur muss auf jeden Fall solche Zustände verhindern. Also werden dem

Verbraucher keine Schalt- und Steuerfunktionen im Netz ermöglicht;

der Kommunikationspfad zum Versorger dient hauptsächlich zur Über-

mittlung der Messdaten. Diese sind insoweit kritisch, als einerseits der

Versorger sie zur Rechnungsstellung nutzt, eine Verfälschung somit zu

falscher Abrechnung führt. Andererseits sollen diese Daten nur dem

Versorger zur Verfügung stehen, denn aus diesen Daten lassen sich

Rückschlüsse z.B. auf die Lebensgewohnheiten, Urlaubszeiten usw.

ziehen (Datenschutz). Aber auch zwischen den Versorgern im Verbund-

netz werden sicher nur die notwendigsten Informationen ausgetauscht

– schließlich sind diese Versorger auch Wettbewerber, und jedes Aus-

lesen von internen Daten könnte einen Wettbewerbsvorteil nach sich

ziehen. Somit sind nur Daten zwischen Knoten eines Versorgers unbe-

schränkt, wobei es sicher auch hier sinnvoll ist, wenn sich die Knoten

gegen seitig authentisieren und den Datenaustausch verschlüsseln, um

einen unerwünschten Dritten von der Kommunikation auszuschließen.

Formal lassen sich die Sicherheitsbedürfnisse in die folgenden drei

Stufen einteilen:

� Versorgungskritisch/Sicherheitskritisch, z.B. ein fehlerhafter Schalt-

vorgang könnte zu Netzausfällen führen. Die Kommunikation muss

zuverlässig und sicher sein. Dies betrifft haupt sächlich Funktionen

innerhalb der Netze bzw. zwischen Netzen. Auf der Schnitt stelle

zwischen Kunden und Versorger werden keine so kritischen Daten

ausgetauscht.

� Geschäftskritisch/Abrechungskritisch, z.B. fehlerhafte Messdaten

oder Tarifinformationen könnten zu einem finanziellen Schaden

eines Marktteilnehmers führen, d.h. auch hier muss eine maximale

Sicherheit ge währ leistet sein. Dieses Sicherheitsbedürfnis kann dazu

führen, dass solche Daten über dedizierte Netze geführt werden.

� Normale Information, z.B. wenn der Versorger dem Kunden allge-

meine Informationen zukommen lassen will. Das kann ungeschützt

über das Internet erfolgen.

Nur die beiden letzten Fälle treten zwischen Kunde und Versorger auf.

Ganz generell kann festgestellt werden, dass aus Daten schutzgründen

nur solche Daten erfasst werden sollten, die auch wirklich benötigt

werden und die Daten nur dort vorliegen sollten, wo sie wirklich benö-

tigt werden. Auch sollte der Einsatz von Funktechniken immer kritisch

hinterfragt werden und wenn Funktechnik zum Einsatz kommen muss,

55 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

ist den Maßnahmen zur Datensicherheit und dem Datenschutz beson-

dere Aufmerksamkeit zu widmen.

Ein weiterer wichtiger Gesichtspunkt in diesem Zusammenhang ist die

Haftungsfrage. Sobald der Versorger in die Infra struktur des Kunden

eingreift, z.B. durch Ein- und Ausschalten von Geräten, wäre er für evtl.

dadurch entstehende Schäden haftbar. Daher wird der Versorger immer

nur eine „Empfehlung“ geben, die Ausführung aber dem Nutzer über-

lassen, der damit das Haftungsrisiko trägt. Dieser Ansatz wird in der

Automobilindustrie verfolgt: Fahrerassistenzsysteme geben dem Fahrer

Unterstützung und Entscheidungshilfe, die Entscheidung selbst bleibt

aber beim Fahrer [42].

56 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

5 Verteilte Automatisierung im Verteilungsnetz

5.1 Steigender Automatisierungsbedarf im VerteilungsnetzDas aufgezeigte generische Architekturmodell ist zur Abbildung in

verschiedenen Wirkungsdomänen des intelligenten Energieversor-

gungssystems geeignet. Nachfolgend soll aber auf die besonderen

Anforderungen durch den fortschreitenden Ausbau von dezentralen

Erzeugungsanlagen im Verteilungsnetz Bezug genommen werden. Mit

zunehmendem Einsatz dieser Anlagen, insbesondere auch auf der Seite

der Netznutzerobjekte, entwickelt sich ein bidirektionaler Energiefluss

zwischen Übertragungsnetz und Verteilungsnetz sowie zwischen Vertei-

lungsnetz und Netznutzerobjekten. Der Einfluss dieses bidirektionalen

Flusses im Netz wird so relevant, dass ein aktives Management dezen-

traler Anlagen erforderlich wird. Die aktuell unkontrollierte Einspeisung

im dezentralen Bereich ist durch ein dezentrales Energiemanagement

zu überwinden. Erste Ansätze dazu wurden mit der Bündelung von ver-

teilten Erzeugungskapazitäten in virtuellen Kraftwerken geschaffen. Die

Netzsteuerung erfolgt aber weiterhin durch zentrale Operationen in den

Leitwarten der Übertragungs- und Verteilungsnetze, mit der Folge einer

stark zunehmenden Komplexität der Steuerung durch die wachsende

Anzahl einzubeziehender dezentraler Elemente. Damit steigt aber auch

die Komplexität des bisherigen Bilanzkreismanagements mittels über-

regionalen Regelzonen auf Übertragungsnetzebene. Die Entwicklungen

hin zum intelligenten Energieversorgungssystem widmen sich deshalb

insbesondere neuer Methoden zur dezentralen und automatisierten

Netzführung im Verteilungsnetz sowie virtuellen Bilanzkreisen, die lokale

Situationen ebenso berücksichtigen können wie die Schaffung neuer

erzeugungsbezogener oder auf bestimmte Verbraucher ausgerichtete

Produktgruppen.

Der Komplexitätsbegriff ist durch die Merkmale Vielfalt, Organisiertheit

und Verbundenheit definiert. Ein höherer Komplexitätsgrad zeichnet

sich zuerst durch höhere Vielfalt aus. Dies bedeutet die Steigerung der

Anzahl von zu steuernden Elemente verschiedenster Art im System.

Komplexität führt zu wachsender Organisiertheit. Die vielen Elemente

sind zu diversen in Interaktion stehenden Strukturen zu organisieren.

Als weiteres Merkmal der Komplexität gilt die Verbundenheit. Die

Elemente sind durch physische Glieder, Energieaustausch oder irgend-

eine Form von Kommunikation miteinander verbunden. Forschungen

auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz, insbesondere im Bereich

der Robotik, führten zu der Erkenntnis, dass zentrale Steuerungen bei

steigender Komplexität ab einem bestimmten Grade unbeherrschbar

werden. Die Grenzen von Steuerbarkeit und Kontrolle werden über-

57 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

schritten [32]. Komplexität ist dann wieder zu reduzieren. Die Reduktion

von Komplexität kann durch autonomiefähige, selbst organisierende,

aber gleichzeitig zum Gesamtsystem verbundene Strukturen, die intelli-

gent und synergetisch handeln, erreicht werden.

Aktuell sind dabei hierarchische und netzwerkartige Verbindungs-

ansätze der autonomen Steuerungsstrukturen für ein dezentrales

Energiemanagement in selbst organisierenden Strukturen bekannt,

die im Sinne einer hohen Synergie im Gesamtsystem aber immer von

Rahmenbedingungen aus zentralen Netzführungsinstanzen ausgehen.

Gemeinsam ist den verschiedenen Ansätzen der Gedanke eines dezen-

traleren Energiemanagements mit Regelkreisen in regionalen Strukturen

zur Ergänzung zentraler Steuerungsmaßnahmen. Damit entsteht ein

intelligentes Energieversorgungssystem auf Grundlage einer verteilten

und dezentralen Automatisierungslösung.

Ein individueller Regelkreis kann damit als eigenständige Zelle im Ener-

giesystem mit allen notwendigen Elementen im Energieversorgungssys-

tem aufgefasst werden. Alle Regelkreis besitzen als selbstoptimierende

Microgridzellen eine analoge Ausstattung mit den Elementen eines

Energieversorgungssystems (Erzeuger, Verbraucher, Speicher, Netzbe-

triebsmittel), verfügen über die Fähigkeit zur autonomen Handlung und

stellen sich in der Außensicht als Quelle für Energieeinspeisung sowie

auch als Senke für Energiebezug zu benachbarten Regelkreisen dar.

Eine derartige verteile Steuerungsstruktur mit autonomiefähigen, aber

synergetisch zusammen arbeitenden Regelkreisen (Zellen), besitzt

gegenüber einer zentralen Steuerung folgende vier Merkmale. Es

existiert eine Verbindung zur zentralen Steuerung, aber die Formen

der aufgezwungenen Zentralsteuerung werden minimiert. Entspre-

chende Geschäftsmodelle und Anreizsysteme für alle Marktbeteiligten

im Umfeld der beschriebenen Architektur sind zu definieren. Zweitens

besitzen die Untereinheiten in der beschriebenen Weise eine autonome

Natur. Drittens ist eine hochgradige Vernetzung der Untereinheiten

notwendig. Das vierte Merkmal besteht darin, dass die hochgradige

Vernetzung und die Rückkopplung in den Regelschleifen innerhalb der

Zellen zu einer nichtlinearen Kausalität der Beeinflussung unter Glei-

chen führt [32]. Da die Zellen derartig geregelt werden, dass ein hohes

Maß an Autonomie entsteht, kann der Energiefluss zwischen den Zellen

reduziert werden. Damit werden im Verteilungsnetz Kostenersparnisse

durch vermiedenen Netzausbau bei steigendem Anteil der schwanken-

den Erzeugung mit erneuerbaren Energien mit dem intensiven IKT-

Einsatz erreicht.

Nicht zuletzt führt die wachsende Bedeutung der dezentralen Erzeu-

gung und des dezentralen Energiemanagements in der Netzführung

und in lokalen Marktmodellen zu einer höheren Robustheit, sogar zur

Selbstheilung im Falle von Unfällen, Angriffen oder von Naturkatastro-

phen analog zum Internet der Information [3].

58 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

Dezentrale Entscheidungen werden nach diesem neuen Konzept auf

Grundlage von Informationen des Energiehandels, des Netzzustandes

und von Umgebungsinformationen getroffen. Dabei soll ein autono-

mes und intelligentes Handeln von Energieverbrauchern, -speichern

und DEA in zellularen Netzstrukturen bei Minimierung des Grades an

zentraler Steuerung erreicht werden. Die Herausforderung hierbei ist,

trotz autonomen Handelns durch Anreiz-Informationen verschiedener

Marktplatzpartner ein sinnvolles Verhalten der Gesamtheit der Energie-

managementsysteme für einen stabilen Netzzustand zu erreichen.

5.2 Energiesystem-Modellierung Das intelligente Energiesystem (Smart energy system; auch beschrie-

ben mit der Metapher Internet der Energie) wird in Abbildung 8 ver-8 ver- ver-

anschaulicht. Es entspricht der Summe aus intelligentem Energiever-

sorgungssystem als physische Ebene (Smart Grid; auch beschrieben

durch die IP-basierte physische Vernetzung von Energiesystemelemen-

ten und damit ein Bereich im Internet der Dinge) und einer virtuellen

Ebene der Energiedienste für den Energiemarkt und für die Energienetz-

führung (Smart energy services; auch beschrieben durch eine elektro-

nische Dienstekommunikation über das IP-Protokoll und damit ein

Bereich im Internet der Dienste). Das intelligente Energieversorgungs-

system (Smart Grid) wiederum entspricht der Summe aus passivem

Energieversorgungssystem (bestehend aus den Energiesystemelemen-

ten Erzeuger, Speicher, Verbraucher und Netzbetriebsmittel) und dem

Energieinformationssystem aus Telekommunikationssystem und Auto-

matisierungssystem

Intelligentes Energiesystem

Energiedienste (virtuell)

Smart Grid (physisch)

Intelligentes Energieversorgungssystem

Energieinformationssystem

Passives Energieversorgungssystem

=

+

=

=

+

InternetderDinge

Internet der Dienste

InternetderEnergie

Abbildung 8: Das intelligente �nergiesystem (Smart energy system)

59 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

Das zukünftige intelligente Energiesystem besteht also einerseits aus

einem Netzwerk physischer Objekte (Energiesystemelemente in vier

Kategorien) wie Anlagen zur Energiegewinnung, Speicherung und zur

Energienutzung sowie Einrichtungen zum Transport von Energie mit

zugehörigen Betriebsmitteln, die über Telekommunikationstechnik und

Automatisierungstechnik miteinander kommunikativ und informations-

technisch verbunden sind. Es besteht aber andererseits auch aus einer

virtuellen Diensteebene für den Energiemarkt und die Energienetz-

führung zur Abwicklung des Austausches von Energie. Mit E-Energy

(Energiesystem der Zukunft im Kontext des gleichnamigen Förderpro-

gramms der Bundesregierung) soll die kommunikative Verbindung der

physischen Komponenten sowie der Dienstekommunikation mittels

elektronischer Geschäftsprozesse unter Nutzung der Internetprotokolle

sowie Telekommunikations- und Automatisierungseinrichtungen imple-

mentiert werden.

Die Energiediensteumgebung als Bestandteil von E-Energy im Internet

als rein virtueller Raum für Geschäftsprozesse, bezeichnet als Inter-

net der Dienste, kann nur in Verbindung mit den physischen Kompo-

nenten der Energieversorgung existieren. Dazu gilt es die physische

Umgebung der Elektrizitätswirtschaft als Energieversorgungssystem

(Netz der Energie) mit dem Internet als Telekommunikationsnetz (Netz

der Information) sowie zusätzlichen Automatisierungseinrichtungen zu

einem intelligenten Energieversorgungssystem (Smart Grid in Analogie

zum Internet der Dinge) zu verbinden. Weiterhin gilt es, die Prozesses

des Energiemarktes und der Energienetzführung im Rahmen der Ener-

gieversorgung als zukünftig elektronische Prozesse mit den physischen

Energieflüssen in Einklang zu bringen, sowie die Sicherheit der Ener-

gieversorgung als kritische Infrastruktur und die Einhaltung der Daten-

schutzbedürfnisse der Energienutzer trotz zunehmender Vernetzung zu

gewährleisten. Dies sollte immer wieder hervorgehoben werden, um die

Grenzen reiner Marktansätze bei der Entfaltung der zukünftigen Ener-

giewirtschaft zu erkennen, sowie die Netz- und Energienutzer immer im

Auge zu behalten.

Zu Betrachtung dieser zwei Seiten werden die Begriffe intelligente

Energiedienste (Smart energy services) für Energiemarkt und Energie-

netzführung sowie intelligentes Energieversorgungssystem (Smart Grid)

genutzt, die im Rahmen eines ganzheitlichen intelligenten Energiesys-

tems (Smart energy system, E-Energy oder Internet der Dinge) wirken.

Hier wird bewusst vom allgemein benutzten Begriff E-Energy-Markt

abgewichen, da dieser die bezeichneten zwei Seiten der ganzheitli-

chen Struktur von physischen Energie ver sor gungs netzwerk und Ener-

giedienstebene im Markt und regulierter Netzführung nicht genügend

betont.

Nachfolgende zwei Abbildungen verdeutlichen diese Ausführungen.

Dabei wird die Abbildung zur Smart Grid-Definition in der deutschen

60 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

Normungsroadmap auf das generische Modell in Abbildung 7 dieses

Dokumentes angewendet.

SmartGrid

Diensteproduktionsebene:Middleware Technologien

Erzeugung Netz

SpeicherVerbrauch

Telekommunikationssystem

Energieversorgungssystem

Messen – Stellen – Steuern -Regeln

Automatisierungssystem

=Intelligentes

Energie-versorgungs-

system

Netzwerk – Gateway - Dienstgenerierung

Infrastruktur-ebene:

Kommunikationsprotokolle –Informationsmodelle -Diensteschnittstellen

Diensteebene:

Marktdienste Netzdienste

Dienstenutzerebene:Natürliche und juristische Personen in

Funktionen definierter Rollen

Smart Energy System = E-Energy

Abbildung 9: Modellierung des intelligenten �nergiesystems (Smart energy system) als

Smart Grid in Verbindung vom �nergieversorgungssystem mit dem �nergiein�ormati�

onssystem aus Telekommunikationssystem und Automatisierungssystem �u��glich

Smarter �nergiedienste in neuen Markt� und Net���hrungssystemen

Auf der Diensteebene agieren als Dienstenehmer die verantwortlichen

Systemrollen einerseits im Energiemarkt wettbewerblich, während

andererseits die Dienste der zuständigen Systemrollen zum Betrieb der

Energienetze reguliert werden. Das Energieversorgungssystem aus phy-

sischen Komponenten, den Energieversorgungselementen als techni-

sche Akteure in vier Kategorien mit Erzeugern, Speichern, Verbrauchern

und Netzbetriebsmitteln (Knoten und Leitungen des Energieversor-

gungsnetzes), wird über ein Energieinformationssystem aus Telekom-

61 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

munikationssystem und Automatisierungssystem miteinander vernetzt.

Bei einer zellularen Ausgestaltung des Energieversorgungsystems

bilden Kommunikations-Gateways die bidirektionalen Energiemanage-

ment-Interfaces zwischen den Zellen. Das Automatisierungssystem

führt zusätzlich zu den Energieversorgungselementen weitere Automa-

tisierungselemente wie Mess-, Stell-, Steuer- und Regeleinrichtungen

ein. Die Einführung elektronischer Geschäftsprozesse im Energiemarkt

und bei der Netzführung sowie die kommunikative Verbindung der

physischen Komponenten im Energieversorgungssystem mit Automati-

sierungsdiensten führen zum Aufbau eines intelligenten Energiesystems

(Smart energy system).

Die Verbindung zwischen der Diensteebene und der physischen Ebene

im Bereich des Energieinformationssystems und des Energieversor-

gungssystems erfolgt durch eine Dienstegenerierungsebene, die das

Internet der Dinge mit dem Internet der Dienste zum Internet der Ener-

gie verbindet.

Die beschriebenen Ebenen werden in Abschnitt 4 und Abbildung 7

verdeutlicht.

5.3 Systemmodell „Smart Energy System“Das im letzten Abschnitt eingeführte Begriffsmodell wird nachfolgend

bezüglich der Anwendung auf eigenständige Regelkreise im intelligen-

ten Energieversorgungssystem als sogenannte Zellen mit Energiesyste-

melementen und Automatisierungselementen vertieft ausgeführt.

Die Infrastrukturebene aus Abbildung 7 und Abbildung 9 bildet in der

Verbindung von Energieversorgungssystem, Telekommunikationssys-

tem und Automatisierungssystem das intelligente Energieversorgungs-

system. Als Energiesystemelemente wurden die vier Kategorien Erzeu-

ger, Verbraucher, Speicher und Netzbetriebsmittel definiert.

Folgende Energiesystemelemente und Funktionalitäten dienen der

Defini tion des Energieversorgungssystems:

� Energiegewinnungseinrichtungen (im folgenden als Erzeuger

bezeichnet) und Erzeugerfunktionen

� Energienutzungseinrichtungen (im folgenden als Verbraucher

bezeichnet) und Verbraucherfunktionen

� Energiespeicher (im folgenden als Speicher bezeichnet) und

Speicher funktionen

� Netzbetriebsmittel und Netzbetriebsfunktionen

Hier besteht nicht der Fokus, auf die Funktionen der genannten

Energie systemelemente einzugehen. Als abgeschlossene Systeme

sind diese Elemente Teil eines elektrischen Gesamtsystems, aber nicht

immer kommunikativ und damit nicht Teil eines informationstechni-

schen Gesamtsystems. Um das intelligente Energieversorgungssystem

zu schaffen, sind jedoch alle Energiesystemelemente für den Zweck

62 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

des Informationsaustausches und der Informationsverarbeitung sowie

zur Interaktion im Umfeld einer verteilten Automatisierung mit einem

informations- und kommunikationstechnischen Interface zu versehen.

Mit dieser bidirektionalen Schnittstelle wird das Energiesystemelement

zum Teilnehmer eines Telekommunikationssystems. Während das

heutige Energiesystem eine zentral geführte und gesamthaft geregelte

Struktur bildet, verweisen die in diesem Dokument enthaltenen Kom-

plexitätsausführungen auf zukünftig regionale Strukturen und eigen-

ständige Regelkreise, die aber trotzdem zum Gesamtsystem verbunden

sind. Für diese verbundenen Regelkreise wird das Bild des zellularen

Energiesystems benutzt. Die Zelle besitzt als eigenständiger Regelkreis

einen vollständigen Satz an Energiesystemelementen, die als Teilneh-

mer eines Telekommunikationssystems vernetzt werden. Dazu besitzt

jedes Energiesystemelement ein Kommunikations-Gateway. Zusätzlich

erhält jedes Energiesystemelement, aber auch einen Dienstgenerie-

rungspunkt und wird damit Teil eines Automatisierungssystems. Diese

Schnittstelle kann als eingebettetes System aber auch als gesondertes

Gateway und Dienstgenerierungspunkt ausgeprägt sein und dabei je

Energiesystemelement über verschiedene logische Strukturen reichen.

Zur Definition dieser logischen Strukturen sind entsprechende Vorarbei-

ten erfolgt. Einen umfänglichen Ansatz bietet die Schichtenarchitektur

im IGS-Stack (IGS: Integrierte Gebäudesysteme) [10]. Hierbei werden

folgende logische Schichten für ein System definiert, das ein Gerät und

die zugehörigen Gerätefunktionen um eine IKT-Schnittstelle erweitert,

wobei Erläuterungen zu den Schichten aus der genannten Quelle sinn-

gemäß zitiert werden:

� Informationsverarbeitende Bausteine (Sensoren als Quellen und

Aktoren als Senken für Informationsflüsse, die durch Steuerungen

und Regelungen beeinflusst werden und damit die Ankopplung der

IKT-Funktionen an die Umwelt zur Entwicklung des Internets der

Energie ermöglichen)

� Plattformen (elektronische Hardware und Firmware als Basissystem-

software)

� Ausführungsumgebung (Betriebssystem zur Abstraktion von herstel-

lerabhängiger Hardware und Firmware)

� Kommunikation (ermöglicht den Nachrichtenaustausch zwischen den

IGS-Komponenten mit gerätespezifischer Implementierung unter-

schiedlicher Ebenen des OSI-Stacks)

� Middleware (erforderlich, damit Anwendungen transparent, d.h. ohne

Kenntnis der Implementierung auf Technologien zugreifen können)

� Basisdienste (Funktionen auf Basis der Middleware, die vorrangig

Steuerungscharakter haben und somit eine Schnittstelle zur Defini-

tion von Mehrwertdiensten, beispielsweise in Form von Energiema-

nagementfunktionen bieten)

63 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

� System (Anwendungen, die die IKT-Funktionalitäten und die originä-

ren Geräte-, Anlagen- und Betriebsmittelfunktionen von Energiesys-

temelementen integrieren)

Wie im letzten Punkt des Stacks beschrieben, wird durch das System

die Gesamtfunktionalität von Gerät, Anlage, Betriebsmittel und den IKT-

Funktionen abgebildet. Der Stack ist nun in analoger Weise anwendbar

auf die oben definierten vier Kategorien von Energiesystemelementen

(Erzeuger, Verbraucher, Speicher, Netzbetriebsmittel). Auf dieser Grund-

lage lässt sich das System analog zu [10] generisch auf alle vier Geräte-

und Anlagenkategorien abbilden.

Abbildung 10: Generalisiertes, bidirektionales �nergiesystemelement nach IGS�Stack

[10]

Abbildung 10 wird in der nachfolgenden Darstellung auf den Begriff des

Energiesystemelementes unter Nutzung der generischen Architektur

nach Abbildung 7 und Abbildung 9 angewendet. Die informationsver-7 und Abbildung 9 angewendet. Die informationsver- und Abbildung 9 angewendet. Die informationsver-9 angewendet. Die informationsver- angewendet. Die informationsver-

arbeitenden Bausteine bilden als Teilnehmer des Kommunikationssys-

tems die Automatisierungselemente auf der Infrastrukturebene. Die

Plattform sowie die Bausteine der Kommunikation und der Ausfüh-

rungsumgebung bilden das Gateway und den Dienstgenerierungspunkt

auf der Infrastrukturebene. Die Middleware und die Basisdienste bilden

auf der Dienstproduktionsebene die Schichten der Kommunikations-

protokolle, der Informationsmodelle und der Dienstevermittlung. Die

Dienstebene wird durch die Systemoberfläche abgebildet, womit der

Zugriff aus der Ebene der Dienstenutzer über die Dienste auf die Ele-

mente des Energieversorgungs- und Automatisierungssystems möglich

wird.

64 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

Abbildung 11: Generalisiertes, bidirektionale �nergiesystemelement

Das bidirektionale Energiesystemelement in den vier Kategorien Erzeu-

ger, Verbraucher, Speicher und Netzbetriebsmittel existiert in n-facher

Ausfertigung innerhalb einer Netzzelle. Der Begriff der Zelle lässt sich

nun bei Vorhandensein eines vollständigen Satzes von Energiesyste-

melementen auf das Objekt des Netznutzers sowie auf Regionen der

Energieversorgungsnetze anwenden. Innerhalb einer jeden Netzzelle

werden alle Energiesystemelemente des gesamthaften Energieversor-

gungssystems erweitert, um die Kommunikationsfähigkeit und die Ver-

bindung mit Automatisierungselementen als eigenständige Regelkreise

eingeführt, d.h. die Architektur jeder Netzzelle ist durch Abbildung 7

und Abbildung 9 erfassbar.

Auf Grundlage der vollständigen Ausstattung in der Infrastrukturebene

� mit Energiesystemelementen,

� mit Automatisierungselementen,

� mit kommunikativer Vernetzung durch das Telekommunikationssys-

tem innerhalb der Zelle,

� mit Gateways zur Verbindung von Zellen und

� mit Dienstgenerierungspunkten als Träger von Ausführungsumge-

bungen für Dienste

wird die Verbindung eines jeden physischen Akteurs vermittelt über die

Dienstproduktionsebene mit der durch Dienstnutzer entfernt von der

Zelle anwendbaren Dienstebene möglich, ebenso wie eine vollstän-

dige Abbildung eines eigenständigen Regelkreises in der Zelle durch

Implementierung einer Dienstegenerierungsebene und der Dienstebene

innerhalb der Zelle auf Automatenstrukturen möglich wird, mit denen

Dienstenutzer direkt in der Zelle interagieren können. Dies ermög-

licht die Reduktion der Komplexität durch Zellbildung in der Regelung

des Energieversorgungssystems entsprechend den Ausführungen im

65 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

obigen Abschnitt. Die gesamthafte Regelung einer Vielzahl von Ener-

giesystemelementen im Übertragungsnetz oder im Verteilungsnetz

durch vorrangig zentrale Netzführungsmethoden wird in eine weniger

komplexe Regelung in einer Energieversorgungssystemzelle mit einer

Teilmenge der Energiesystemelemente eines Stromnetzes überführt.

Die Regelkreise zur dezentralen Netzführung in Zellen werden wiede-

rum durch Mechanismen externer Randbedingungen aus der zentralen

Netzführung und Anreizen zum Zusammenwirken der Netzzellen zu

einem gesamthaften Stromnetz verbunden. Die Zellen sollen nur im

Falle von Störungen als Microgrids wirken, die die Fähigkeit zur Insel-

bildung und zum Selbststart besitzen, sich aber nach Störungsbeseiti-

gung wieder verbinden.

5.4 Architekturen von Steuerungssystemen in Verteilungsnetzen

5.4.1 Verteilte Steuerung im Smart Energy System durch AgentenEine mögliche Steuerungsstruktur für das im vorangegangenen

Abschnitt vorgestellte Systemmodell des Smart Energy Systems ist in

Abbildung 12 dargestellt. Demnach bildet die Objektnetzzelle (ONZ) die

kleinste zu steuernde Einheit im System und umfasst jeden Netznutzer,

sowohl Energienutzer als auch DEA in der Nieder- und Mittelspan-

nungsebene. Die Steuerung der einzelnen Lasten, Speicher und Erzeu-

geranlagen innerhalb einer Objekt netzzelle sowie die IKT-Einbindung in

das Verteilungsnetz werden durch den ONZ-Agenten realisiert.

Die einzelnen Objektnetzzellen in einem Strang der Niederspannungs-

ebene werden zu einer Verteilungsnetzzelle (VNZ) zusammengefasst,

deren Steuerung und IKT-Einbindung in die höhere Spannungsebene

wiederum durch einen VNZ-Agenten bewirkt wird. Zu diesem Zweck

besteht zu jedem der zugeordneten ONZ-Agenten ein bidirektionaler

Kommunikationskanal, der zum Transport von Steuersignalen und

Messwerten dient. Zusätzliche Messungen relevanter Kenngrößen

der Netzqualität ermöglichen dem VNZ-Agenten den Netzzustand in

seinem Zuständig keits bereich zu bestimmen. Während der VNZ-Agent

aus Entflechtungsgründen nur für die Netzführung in dezentralen Struk-

turen des Verteilungsnetzes zuständig sein kann, lassen sich dezentrale

Marktfunktionen als Bestandteil des Marktplatzes der Energie automati-

siert durch einen Markt-Agenten umsetzen. Markt-Agenten und Netz-

Agenten interagieren automatisiert zur Abbildung der entflechteten

energiewirtschaftlichen Prozesse in regionalen Strukturen. Im E-Energy-

Projekt Modellstadt Mannheim (moma) wird diese Agentenstruktur zur

Abbildung der zwecks Komplexitätsbeherrschung zellularen Struk-

tur des Energiesystems aus Objektnetzzellen (Gebäude und mobile

66 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

Objekte der Netznutzer), Verteilungsnetzzellen (regionale Netzgebiete)

und Marktzellen (regionale Energiemärkte) konzipiert und in ersten

Feldversuchen errichtet. Die Agenten bilden Teilnehmer (Elemente) im

intelligenten Energieversorgungssystem.

Die VNZ-Agenten sind kommunikativ verbunden und verhalten sich

kooperativ, um gemeinsam zur Netzstabilität beizutragen. Darüber

hinaus besteht eine Kommunikationsverbindung zum VNZ-Agenten der

Mittelspannungsebene, der die Verteilungsnetzzellen der Niederspan-

nung zusammenfasst und auch die Steuerung von Objektnetzzellen

übernimmt, welche direkt an die Mittelspannung angeschlossen sind

(z.B. Industriebetriebe und Windkraftanlagen). Auch auf dieser Ebene

werden zusätzliche Messungen vorgenommen, um den Netzzustand

erfassen zu können. Wie in Abbildung 12 angedeutet, ist auch der

VNZ-Agent der Mittelspannungsebene mit benachbarten VNZ-Agenten

verbunden und in die höhere Steuerungsebene (Leitwarte des Vertei-

lungsnetzbetreibers) integriert.

Abbildung 1�: Agenten�orientierte �ellstruktur im Smart �nergy System

Kommunikationsmittel

Für den Informationsaustausch zwischen dem VNZ-Agenten und seinen

zugeordneten ONZ-Agenten ist eine auf TCP/IP basierende Kommuni-

kationstechnologie wünschenswert. Aus diesem Grund kommen im

Wesentlichen nur zwei grundsätzliche Übertragungsmöglichkeiten

in Frage. Zum einen die Übertragung direkt über das Stromnetz mit

Hilfe von breitbandiger Power Line Carrier-Kommunikation (BPL), zum

anderen die Nutzung der öffentlichen Telekommunikationsinfrastruktur

über DSL, Breitbandkabel, Glasfasernetz oder GSM/UMTS. Die Ver-

wendung von Breitband-BPL hat den Vorteil, dass die Signale überall

67 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

verfügbar sind, wo auch ein Anschluss an das Stromnetz vorhanden

ist, und sich damit eine kostengünstige Kommunikationsinfrastruktur

herstellen lässt. Die Nutzung aller anderen öffentlichen Telekommunika-

tionsmedien bietet sich natürlich genauso an, da immer mehr Haushalte

über einen Breitbandinternetanschluss mit Flatrate-Tarif verfügen und

die bislang unerschlossenen Gebiete in Zukunft durch den Einsatz des

Mobilfunkstandards LTE (UMTS-Nachfolger) mit Breitband versorgt

werden sollen. Da diese Kommunikationswege nicht garantiert verfüg-

bar sind, werden zukünftig neue Partnerschaften zwischen Energie-

netzbetreibern und Telekommunikationsanbietern notwendig. Zudem

müssen besonders hohe Ansprüche an Sicherheit und Integrität der zu

übertragenden Daten gestellt werden, d.h. es muss eine entsprechende

Sicherheits infrastruktur für die kritische Energieinfrastruktur betrieben

werden (siehe Abschnitt 2). Für die Kommunikation zwischen den VNZ-

Agenten untereinander kommen ebenfalls alle genannten verfügbaren

Telekommunikationsmittel für eine IP-basierte Kommunikation in Frage.

Aufgrund der im Vergleich zu den ONZ-Agenten sehr geringen Zahl der

VNZ-Agenten können mehrere Kommunikationswege parallel genutzt

werden. Wichtig ist, dass mehrere physische Netze zu einem beson-

ders abgesicherten virtuellen Netz zusammengeführt werden.

Ausführungsumgebung

Die ONZ-Agenten können als Teil eines Energie-Management-Gate-

ways im Hoheitsbereich der Netznutzer betrachtet werden. Die Open

Gateway Energy Management Alliance (OGEMA) entwickelt eine offene

Software-Plattform, die als „Betriebssystem für das Energy-Manage-

ment“ bezeichnet wird und die Einbindung von beliebigen Kommu-

nikationssystemen erlaubt [41]. Konkrete Applikationen und Dienste

können für diese Plattform in Java entwickelt werden. Somit kann die

softwaretechnische Umsetzung des ONZ-Agenten als ein Dienst auf

Grundlage von OGEMA erfolgen.

Die VNZ-Agenten sind dem Verteilungsnetzbetreiber zugeordnet und

können daher in den Ortsnetzstationen untergebracht werden, die zu

diesem Zweck mit Kommunikationseinrichtungen und einem entspre-

chenden Rechner (Industrie-PC) ausgestattet werden müssen. Da sich

die Aufgaben von VNZ-Agenten und ONZ-Agenten ähneln, liegt es

nahe, hierfür auch die gleiche Ausführungsumgebung bereitzustellen.

Somit bietet es sich an, auch für den VNZ-Agenten die OGEMA-Platt-

form zu verwenden und diese ggf. zu erweitern.

Aufgrund der Agenten-orientierten Sichtweise auf die Verteilungsnetz-

automation sollte auch der Einsatz spezieller Agenten-Technologien

erwogen werden. Die „Foundation for Intelligent Physical Agents“ (FIPA)

ist ein Standardisierungsgremium in der IEEE Computer Society mit

dem Ziel eine Kommunikationsgrundlage für heterogene, interagierende

Agentensysteme zu schaffen [25]. Dies schließt sowohl die Standardi-

sierung von Agenten-Plattformen als auch die Spezifikation der Inter-

68 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

aktionen der Agenten ein. Mehrere offene und kommerzielle Imple-

mentierungen dieser Spezifikationen sind verfügbar, die überwiegend

in Java realisiert sind. Anstelle der Verwendung eines vollständigen

Agenten-Frameworks kann bereits die Nutzung einzelner Standards

(z.B. FIPA Agent Management Specification oder FIPA Agent Communi-

cation Language) vorteilhaft sein.

Eine alternative Implementierungsform der VNZ-Agenten stellen die im

nächsten Abschnitt betrachteten Funktionsbausteine nach IEC 61499

dar, die als Weiterentwicklung der klassischen SPS-Programmierkon-

zepte nach IEC 61131-3 zu verstehen sind. Ihr Einsatz ist besonders

bei der Steuerung von heterogenen und vergleichsweise statischen

Strukturen sinnvoll, wie sie bei der Schutztechnik in der Mittelspannung

zu finden sind, und weniger für die homogene Gemeinschaft von VNZ-

Agenten.

Schnittstellen

Für die von den ONZ-Agenten bereitgestellte Schnittstelle ist eine Stan-

dardisierung unerlässlich, da die VNZ-Agenten eine Vielzahl von Objekt-

netzzellen einbinden müssen und der Aufwand zur Integration proprie-

tärer Lösungen zu groß wäre. Diese Schnittstelle wird im Systemmodell

Smart Energy System (Abschnitt 5.3) auch als bidirektionales Energie-

management-Interface (BEMI) bezeichnet. Dabei ist zu beachten, dass

es verschiedene Klassen von Objektnetzzellen bzw. Netznutzern gibt

(z.B. direkt steuerbare Erzeugeranlagen/indirekt steuerbare Haushalte),

die ggf. unterschiedliche Ausprägungen der Schnittstelle erfordern.

Im Gegensatz dazu muss die funktionale Schnittstelle zwischen den

VNZ-Agenten sowie deren Steuerungsalgorithmen nicht notwendiger-

weise vollständig standardisiert werden, da angenommen werden kann,

dass alle VNZ-Agenten innerhalb eines konkreten Verteilungsnetzberei-

ches vom selben Anbieter stammen. Eine zu große Abhängigkeit von

einzelnen Anbietern kann vermieden werden, indem die Plattform bzw.

Ausführungsumgebung standardisiert und somit von der softwaretech-

nischen Implementierung der VNZ-Agenten getrennt wird. Ein Wechsel

zu einem anderen Anbieter von VNZ-Agenten kann dann durch ein

Software-Update vollzogen werden, ohne dass Hardware ausgetauscht

werden muss.

5.4.2 Verteilte Steuerung von Schutzsystemen in der Mittelspannung mit Funktionsbausteinen

Die von deutscher Seite maßgeblich miterarbeitete Normenreihe

IEC 61499 definiert ein generisches Modell für verteilte Steuerungssys-

teme. Sie stellt eine Weiterentwicklung der IEC 61131 dar, die sich im

allgemeinen Automatisierungsbereich für zentrale Programme durch-

gesetzt hat und eignet sich besonders für die Steuerung heterogener

Systeme. Aus diesem Grund empfiehlt sich der Einsatz der Normen-

reihe IEC 61499 für die verteilte Steuerung von Schutzsystemen in der

69 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

Mittelspannung. Ein Überblick zur verteilten Steuerung mit Funktions-

bausteinen nach IEC 61499 wird in Abschnitt 5.6.3 gegeben.

Die Vorteile von Funktionsbausteinen nach IEC 61499 für die Steuerung

von Schutzgeräten in Energienetzen wurden in [30] und [53] heraus-

gearbeitet. Die Steuergeräte werden durch den Einsatz von IEC 61499

offen programmierbar und leicht rekonfigurierbar. Sie könne einfach

miteinander gekoppelt werden, so dass die Steuerungsaufgaben auf

verschiedene Geräte verteilt werden können. Durch die Simulierung der

aus Funktionsbausteinen aufgebauten Programme ist eine Validierung

der verteilten Automatisierungsfunktionen möglich. Die Möglichkeiten

zur Wiederverwendbarkeit, Simulierbarkeit und Flexibilität bei der Ver-

teilung sind bei der gegenwärtigen SPS-Technik nicht vorhanden.

Das Konzept der Funktionsbausteine kann genutzt werden, um logi-

sche Knoten und Geräte in Energieversorgungssystemen herstellerun-

abhängig zu implementieren, einschließlich der Funktionen zum Erzeu-

gen und Verarbeiten der Datenstrukturen der logischen Knoten. In [51]

wurden logische Knoten mit IEC 61499 realisiert, indem die Dienste auf

Ereignisse und die Dienst-Parameter auf Eingabedaten des zugehöri-

gen Funktionsblocks abgebildet wurden.

Eine genaue Untersuchung des Konzeptes der dezentralen Steuerung

durch verteilte Funktionsbausteine wurde in [51] und [52] vorgenom-

men. Hierbei werden die einzelnen Geräte mit Steuerungslogik aus-

gestattet (siehe Abbildung 13), so dass sie nicht einfach nur alle Infor-13), so dass sie nicht einfach nur alle Infor-), so dass sie nicht einfach nur alle Infor-

mationen an die höhere Ebene in der Hierarchie weiterleiten, sondern

selbstständig Entscheidungen treffen, sofern die erforderlichen Infor-

mationen verfügbar sind. Durch diesen Ansatz vereinfachen sich die

Steuerungsalgorithmen, die dadurch zuverlässiger werden. Die einzel-

nen Geräte werden unabhängiger und das Gesamtsystem kann leichter

rekonfiguriert werden. Das Konzept der verteilten Steuerung mit Funk-

tionsbausteinen wurde in [51] erfolgreich an einem einfachen FLISR-

Szenario (fault location, isolation and supply restoration) angewendet.

70 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

Abbildung 13: Steuerung in der Mittelspannungsebene durch ein Net�werk von

Funktionsblöcken [53]

Die beschriebenen Ansätze haben den Vorteil, dass Lösungskonzepte

der Automatisierungstechnik aus den Bereichen Fertigungs- und Ver-

fahrenstechnik auf die Steuerung von Verteilungsnetzen in den unteren

Spannungsbereichen angewendet werden können. Dadurch können die

existierenden Erfahrungen vor allem auf dem Gebiet dezentraler und

verteilter Steuerungssysteme mit IEC 61499 in verhältnismäßig kurzem

Zeitraum zu zuverlässigen und tragfähigen Lösungen führen. Zuvor

muss jedoch noch tiefer untersucht werden wie die Normenreihen IEC

61850 und IEC 61400-25 erweitert werden können, um die Anwendung

von IEC 61499 für Automatisierung in elektrischen Netzen zu definieren

(siehe Abschnitt 7.1.2).

5.5 Szenarien und Use Cases für die Automatisierung im Verteilungsnetz

Nachdem in den vorausgegangenen Abschnitten die prinzipielle Not-

wendigkeit für den Ausbau der verteilten Automatisierung auch im Nie-

derspannungsbereich der Verteilungsnetze dargestellt, die Begriffe der

Energiesystem-Modellierung eingeführt und mögliche Architekturen von

Steuerungssystemen erläutert wurden, sollen im Folgenden konkrete

Anwendungen für die Automatisierung präsentiert werden. Der Schwer-

punkt liegt hierbei auf Anwendungen zur Erbringung von Systemdienst-

leistungen durch dezentrale Energiegewinnungsanlagen.

71 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

5.5.1 Steuerung und Regelung von Erzeugung und Verbrauch in den Niederspannungsnetzen

Systemdienstleistungen zur Erhöhung der Netzstabilität in Verteilungs-

netzen erfordern – wie bereits motiviert – das Monitoring betriebsrele-

vanter Kenngrößen in Echtzeit, um neuartige Versorgungskonfiguratio-

nen – hervorgerufen durch dezentrale Energiegewinnungsanlagen mit

stochastischem Verhalten und zusätzliche Lasten wie z.B. Elektrofahr-

zeuge – auf das Einhalten betrieblicher Grenzwerte hin zu überprüfen.

Die Verteilungsnetze auf der Niederspannungsebene werden, wie

bereits in Abbildung 3 angedeutet, zumeist strahlenförmig betrieben.

An einem solchen Leitungsstrang befinden sich mehrere Anschlüsse

hintereinander (siehe Abbildung 14). Bei dieser Betriebsweise ist neben

den Leistungsflüssen das Spannungsprofil entlang der Leitung als

kapazitätsbegrenzende Größe von großer Bedeutung.

Die Netzspannung in den Verteilungsnetzen hat eine Soll- oder Bemes-

sungsspannung von UN = 0,4 kV und darf nur innerhalb eines engen

Spannungsbandes Umin ≤ UN ≤ Umax schwanken (in der Regel um

±10%). Eine Einspeisung hebt typischerweise lokal das Spannungs-

niveau, während eine Leistungsentnahme lokal das Spannungsniveau

senkt. Abbildung 14 zeigt schematisch einen Abfall des Spannungs-14 zeigt schematisch einen Abfall des Spannungs- zeigt schematisch einen Abfall des Spannungs-

niveaus entlang des dargestellten Leitungsstrangs. In diesem Beispiel

bewirkt die Leistungsentnahme der einzelnen Haushalte (bei maximaler

Anschlussleistung) einen Abfall des Spannungsniveaus auf UN = Umin

am vierten Knoten. Der Leitungsstrang wäre in diesem Beispiel also

exakt auf eine Worst-Case-Belastung ausgelegt und unterschreitet

nicht die untere Grenze des erlaubten Spannungsbands Umin.

NU

maxU

minU

1 2 3 4

Abbildung 14: Ab�all des Spannungsniveaus entlang eines Leitungsstrangs

Abbildung 15 zeigt den entgegengesetzten Fall bei gleichzeitiger maxi-15 zeigt den entgegengesetzten Fall bei gleichzeitiger maxi- zeigt den entgegengesetzten Fall bei gleichzeitiger maxi-

maler Einspeisung entlang des Leitungsstrangs an den Knoten 1 – 4.

Die Einspeisung der Einzelhaushalte mit maximaler Anschlussleistung

bewirkt einen lokalen Anstieg der jeweiligen Spannungsniveaus. Das

maximale Spannungsniveau Umax wird entlang des Leitungsstrangs

dabei nicht überschritten (Worst-Case-Auslegung der Leitung).

72 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

NU

maxU

minU

1 2 3 4

Abbildung 15: Anstieg des Spannungsniveaus entlang eines Leitungsstrangs

In Verteilungsnetzen mit einer hohen Dichte an dezentraler Stromer-

zeugung kommt es entlang eines Leitungsstrangs typischerweise zu

wechselnden Einspeise- und Entnahmekonfigurationen. Abbildung 16

zeigt das resultierende Spannungsniveau bei wechselnder Einspeisung

und Leistungsentnahme (zum Vergleich sind die Spannungsprofile aus

Abbildung 14 und Abbildung 15 mit eingezeichnet). Das resultierende

Spannungsprofil ergibt sich bei einer maximalen Einspeisung an den

Knoten 1 und 3, während an den Knoten 2 und 4 maximale Leistung

entnommen wird. Die Änderungen im Spannungsniveau kompensieren

sich derart, dass das resultierende Profil entlang des Leitungsstrangs

nur minimal um die Nennspannung UN schwankt.

NU

maxU

minU

1 2 3 4

Abbildung 16: Spannungspro�il entlang eines Leitungsstrangs bei wechselnden

�inspeisekon�igurationen

Unter wechselnden Einspeise- und Entnahmekonfigurationen ist es

daher denkbar, einzelne Anschlüsse über ihre maximale – durch Worst-

Case-Abschätzungen bestimmte – Anschlussleistung hinaus (unter

Berücksichtigung der maximalen Leitungsströme) zu betreiben und

ggf. drohende Spannungsbandverletzungen durch Eingriffe in das

Verhalten ausgewählter Einspeiser und Lasten (entsprechend kom-

plementäre Einspeise- und Verbrauchskonfigurationen) zu verhindern.

Da solche Situationen nur Ausnahmefälle darstellen, werden auf diese

Weise bei einem koordinierten Betrieb deutlich höhere Einzelanschluss-

leistungen als bisher möglich und damit eine effizientere Ausnutzung

73 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

bereits existierender Verteilungsnetze. Eine derartige Erhöhung von

Einzelanschlussleistungen ist für Szenarien mit vermehrtem Einsatz von

Elektrofahrzeugen interessant. Bei dem Betrieb von Elektrofahrzeugen

steigt der Bedarf an höheren Anschlussleistungen, um die Ladezeiten

für die Elektrofahrzeuge zu reduzieren. Die Effizienz von Verfahren zum

kurzfristigen Ausgleich und zur Verstetigung von Lastgangkurven (DSM,

V2G) ließe sich hierdurch ebenfalls deutlich erhöhen, da die Geräte

bei Bedarf deutlich mehr Leistung verschieben und damit stärkere

Leistungsspitzen ausgleichen könnten. Mit der Nutzung koordinierter

Last- und Lademanagementverfahren lässt sich ein kostenintensiver

Netzausbau zur Erhöhung der Worst-Case-Übertragungskapazitäten

umgehen, bei gleichzeitiger Erhöhung einzelner individueller Anschluss-

leistungen. Dies stellt eine kostengünstige Alternative dar, bei der die

bestehende Netztopologie weiterhin – aber deutlich effizienter – genutzt

wird [34] [35] [36] [39].

5.5.2 Systemdienstleistungen im Kontext E-MobilitätElektrofahrzeuge, die zu einem Großteil des Tages parken, besitzen

theoretisch das Potential, ihre gespeicherte Energie und die Anschluss-

leistung für Netzdienstleistungen bereitzustellen. In diesem Zusammen-

hang wird häufig diskutiert, dass die Speicher von Elektrofahrzeugen

zum Ausgleich schwankender Wind- und Solarenergie genutzt werden

könnten. Dies muss nicht unbedingt mit einer Rückspeisung von

Energie aus dem Speicher ans Netz einhergehen. Bereits das Lastver-

schiebepotenzial, also ein Verschieben des Ladezyklus der Batterie

in Abhängigkeit des Netzzustandes – unter Einhaltung des Ziels, zu

einer bestimmten Zeit eine vollgeladene Batterie zu haben – können

wesentliche Effekte erzielt werden. Tarifliche Anreize für solche oder

andere Netzdienstleistungen können durch flexible Abrechnungskon-

zepte realisiert werden. Zur gesicherten Erbringung von Sekundär- oder

Minutenreserve wäre eine durchgängige Kommunikationsverbindung

zwischen einer sehr großen Zahl von Elektrofahrzeugen erforderlich

[44]. Es würde hierbei jedoch ein Abruf der Leistung mit einer hohen

Gleichzeitigkeit notwendig sein, die sich aus Gründen des Netzbetriebs

nur in Verbindung mit einer zusätzlichen Koordination zwischen betei-

ligten Akteuren realisieren ließe (siehe auch Kapitel 2.3.2).

Die VDE-Studie „Elektrofahrzeuge“ [49] stellt fest, dass für eine trans-

parente Aufteilung von Kosten auf mehrere Nutzer in einer Ladeinfra-

struktur (Betriebsparkplätze, Mehrfamilienhäuser etc.) zur Verrechnung

der Ladestrommengen eine durchgängige Kommunikationsinfrastruktur

für ein Abrechnungssystem notwendig ist, welches eine einfache und

fahrzeugbezogene Abrechnung erlaubt. Für eine bargeldlose, automa-

tisierte Abrechnung des bezogenen Ladestromes ist eine gesicherte

Kommunikationsverbindung zwischen Fahrzeug bzw. Ladestation

und einem Abrechnungssystem notwendig. Die Umsetzung dieser

Kommunikation sollte mit Blick auf zukünftige Anwendungen nicht nur

74 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

heutigen, sondern bereits zukünftigen Anforderungen gerecht werden.

Dies erfordert frühzeitige Vereinheitlichung und Standardisierung, nicht

zuletzt um der Zulieferindustrie auf Netz- und Fahrzeugseite ein zeitna-

hes Reagieren auf die Entwicklung des Fahrzeugmarktes zu ermögli-

chen und somit die Einführung der Elektrofahrzeuge zu beschleunigen.

Es existieren bereits verschiedene Lade- und Abrechnungskonzepte

für Elektrofahrzeuge [6] [22] [23]. Dabei werden hauptsächlich zwei

Kommunikationskonzepte verfolgt, mit denen eine fahrzeugbezogene

Abrechnung der Ladestrommengen möglich ist. Die Konzepte unter-

scheiden sich im Wesentlichen durch die Anbindung der Fahrzeuge an

das Abrechnungssystem. Es wird zwischen einer direkten und einer

indirekten Abrechnungsvariante unterschieden.

Ladestation/Zähler

AbrechnungssystemPLC, WLAN, RFID GSM/GPRSFahrzeug

Ladestation/Zähler

AbrechnungssystemPLC, WLAN

PLC, GSM/GPRS, DSLFahrzeug

a)

b)

Abbildung 17: a) indirekte und b) direkt Kommunikationsanbindung des Fahr�euges an

das Abrechnungssystem [49]

Bei der indirekten Variante in Abbildung 17 a) kommuniziert das Fahr-17 a) kommuniziert das Fahr- a) kommuniziert das Fahr-

zeug z. B. via Power-Line-Communication (PLC) oder WLAN mit der

Kommunikationseinheit der stationären Messeinrichtung. Die Verbin-

dung zum Abrechnungssystem könnte über PLC, GSM/GPRS oder bei

Haushalten auch über eine übliche DSL-Internetverbindung hergestellt

werden. Bei der direkten Variante in Abbildung 17 b) bieten sich für die

Kommunikation zwischen Fahrzeug und Abrechnungssystem Mobil-

funklösungen an. Die Kommunikationsverbindung zwischen Fahrzeug

und Messeinrichtung kann wiederum über PLC oder WLAN realisiert

werden. Alternativ könnte auch ein RFID-System eingesetzt werden,

bei dem das Fahrzeug über einen Chip am Ladeanschluss die Identifi-

kationsnummer des Anschlusszählers sowie laderelevante Parameter,

wie z. B. den maximal zulässigen Ladestrom, auslesen kann. Hier muss

der stationäre Zähler keine Kommunikationsverbindung mit dem Fahr-

zeugabrechnungssystem haben (in diesem Fall muss ein abrechnungs-

relevanter Zähler im Fahrzeug installiert werden). Dieses Konzept bietet

die flexibelste Möglichkeit, den Fahrzeugstrom individuell, fahrzeugbe-

zogen abzurechnen, unabhängig davon, ob das Fahrzeug im privaten,

halböffentlichen oder öffentlichen Raum geladen wird. Aus pragmati-

schen Gründen der klaren Trennung zwischen Fahrzeug und Lade- bzw.

Abrechnungsinfrastruktur wird heute zumeist noch das Konzept a)

realisiert.

75 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

Sammel-stationszähler

Lade-station

Lade-station

Lade-station

ZählerLadegerätBatterie ZählerLadegerätBatterieZählerLadegerätBatterie

Abrechnungs-system

ID

ID ID

ID + Zählerstand

ID + Zählerstand

ID + Zählerstand

Abbildung 18: ��entliche Ladestationen mit Sammelstations��hler [49]

Die Abrechnungsmodelle sind insbesondere abhängig vom jeweiligen

Ladebereich (öffentlich oder privat). Die Anforderungen nähern sich

aber bei zunehmender Marktdurchdringung von Elektrofahrzeugen

einander an. Beim Laden im öffentlichen Bereich sind verschiedene

Zahlungsarten denkbar wie z. B. Barzahlung oder bargeldlose Varianten

per Chip-Karte, Mobiltelefon oder mit mobilfunkähnlichen Verträgen.

Hier kann auf eine Kommunikationsverbindung zum Fahrzeug verzich-

tet werden. Öffentliche und private Ladestationen könnten auch wie in

Abbildung 18 an einem gemeinsamen Anschluss mit Sammelstations-18 an einem gemeinsamen Anschluss mit Sammelstations- an einem gemeinsamen Anschluss mit Sammelstations-

zähler angeschlossen werden. Voraussetzung für dieses Konzept ist ein

Zähler im Fahrzeug. Dieser fahrzeugseitige Zähler liest die Nummer des

Sammelstationszählers über eine Kommunikationsverbindung aus und

übermittelt diese zusammen mit dem aktuellen Stand an das Abrech-

nungssystem. Der Strombezug wird automatisch vom Abrechnungs-

system zwischen Fahrzeug und dem Anschluss des Sammelzählers

verrechnet (indirekte Verrechnung). Diese Ladestationen könnten vor-

aussichtlich einfacher und kostengünstiger installiert und problemlos in

Straßenlaternen, Parkuhren, sonstige Automaten etc. integriert werden.

Mit diesem Konzept können Lademöglichkeiten auch für die Fahrzeuge

bereitgestellt werden, die überwiegend am Straßenrand parken.

5.5.3 Systemdienstleistungen als Geschäftsmodell für Anlagenbetreiber im Verteilungsnetz und in Objekten

Derzeit werden sowohl dezentrale Energiegewinnungsanlagen (DEA)

auf Basis erneuerbarer Energiequellen als auch konventionelle Anlagen

vorrangig in Form von KWK-Anlagen an das Verteilungsnetz im Nieder-

und Mittelspannungsbereich angeschlossen, wobei in der Regel die

elektrische Energie in maximal möglicher Leistung in das Netz einge-

speist wird. Mit der rasanten Zunahme von DEA, z.B. Photovoltaik-(PV)

und Kraftwärmekopplungs- (KWK) Anlagen sowie kleinen Windkraft-

anlagen, nimmt die installierte Leistung zunehmend Einfluss auf die

Netzsituation. Die noch in der industriellen Erprobung befindlichen

Brennstoffzellen und Mikrogasturbinen werden zukünftig diesen Anteil

76 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

noch erhöhen. Zu welchem Zeitpunkt und in welcher Höhe derzeit die

Einspeisung erfolgt, bleibt letztlich dem Betreiber überlassen. Wegen

der aktuell fehlenden Beobachtbar- und Steuerbarkeit der DEA ist das

Verteilungsnetz „blind“ bezüglich der Einspeisung auf der Niederspan-

nungsseite. Zukünftig müssen diese Anlagen in die Netzbeobachtung

einbezogen werden. Weiterhin können Systemdienstleistungen durch

die DEA erbracht werden. Auf dieser Grundlage werden neue Use

Cases für das Netzlastmanagement entwickelt. Ziel eines kombinierten

Erzeugungs- und Lastmanagements unter zusätzlichem Einsatz dezent-

raler Energiespeichermethoden ist die Abstimmung von Erzeugung und

Verbrauch u.a. durch einen gezielten Speichereinsatz unter Berücksich-

tigung der Last- und Erzeugungsprognosen.

Aus wirtschaftlicher Sicht ist die direkte Regelung von Photovoltaik-

anlagen nicht sinnvoll, da die variablen Kosten für die Erzeugung Null

sind. Eine Abregelung ist allenfalls dann sinnvoll, wenn anders kein

Leistungsgleichgewicht im Netz hergestellt werden kann.

Anderseits sind in der Objektdomäne der Netznutzer (Wohnobjekte,

gewerbliche Objekte, Industrieobjekte, mobile Objekte) zunehmend

mehrere Anlagen der Mikroerzeugung (PV-Anlage, Mikro-KWK, Klein-

Windanlagen), intelligente Wechselrichter, die inselfähige Objektnetze

mit Synchronisationsfähigkeit ermöglichen, sowie Speicher (therm.

Speicher, stationäre Batterie, Batterie des E-Mobils, Brennstoffzelle)

vorhanden. Insoweit kann ein Energiemanager im Objekt, der gleich-

zeitig die bidirektionale Kommunikationsschnittstelle in die Außenwelt

zu verschiedensten markt- und netzseitigen Rollen des Energiesystems

darstellt, Entscheidungsalgorithmen für Eigeneinsatz und verschiedene

Vermarktungsmechanismen zu virtuellen Kraftwerken, zu Händlern, zu

Netzsystemen besitzen. Damit kann durch automatisierte Entscheidun-

gen zwischen Eigenbedarf und verschiedenen Vermarktungsmechanis-

men gewechselt werden, womit Wirk- und Blindleistungsbeeinflussung

des Objektes als Energiesenke und Energiequelle möglich werden,

ohne direkt mit einer einzelnen Anlage im Objekt kommunizieren zu

müssen.

Weiteres Potenzial zur Regelung der Erzeugung in der Niederspannung

besitzt die zunehmende Anzahl an KWK-Anlagen. Voraussetzung für

einen wirtschaftlichen Betrieb dieser Anlagen ist zum einen die Kennt-

nis des Leistungsbedarfes im Netz, zum anderen die Kenntnis über die

entsprechenden Preisangebote. Strombetriebene Wärmepumpen mit

Pufferspeicher haben unter geeigneten Bedingungen zusätzliche Poten-

ziale für das Lastmanagement (positive wie negative Ausgleichsenergie)

und sind – anders als z.B. Elektrofahrzeuge – bereits in erheblicher und

wachsender Zahl im Markt vertreten. Zum Einsatz von KWK-Anlagen

sowie der Wärmepumpen mit Wärmespeichern sind in weiteren Arbei-

ten noch Technologielinien, Anlagengrößen und Auslegungen zu bewer-

ten – einschließlich der Wechselwirkungen zwischen Anlageneffizienz

und der Speichereffizienz. Dabei sind sowohl positive als auch negative

77 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

Ausgleichsenergie auf verschiedenen Spannungs- und Netzebenen

detailliert zu betrachten und auf technische Optimierungsmöglichkeiten

zu untersuchen.

Sowohl das Erzeugungs- als auch das Lastmanagement setzen in

Zukunft variable Tarife für den DEA-Betreiber und den Stromverbrau-

cher voraus. Dazu ist die Übermittlung von aktuellen Preisen oder

zumindest von festgeschriebenen Preisverläufen über den Tag notwen-

dig.

Folgende Systemdienstleistungen im Rahmen neuartiger Geschäfts-

modell für DEA-Betreiber können erbracht werden.

Blindleistungsregelung

Der Anschlussnehmer im Niederspannungsnetz muss unter Berück-

sichtigung des zulässigen Spannungsbandes einen Leistungsfaktor =

0,9 kapazitiv und 0,8 induktiv einhalten. Zur Erfüllung dieser Vorgaben

nimmt der Anschlussnehmer gegebenenfalls eine Messung und Rege-

lung der Blindleistung am Netzanschlusspunkt vor. Vorgeschlagen wird,

zukünftig eine Blindleistungskompensation durch DEA mit Wechselrich-

ter als wirtschaftlich interessante Alternative zu klassischen Blindleis-

tungskompensationsanlagen einzusetzen. Wird die Blindleistungskom-

pensation rund um die Uhr benötigt, ist der Einsatz von DEA wirtschaft-

lich uninteressant, da die bei der Blindleistungskompensation auftreten-

den Verluste in den Leistungshalbleitern eine Verdopplung der Leistung

der DEA erfordern. Die Kosten für die in den Wechselrichter integrierte

Blindleistungskompensation liegen etwa 45% über einer konventionel-

len Lösung. Dabei sind die Kosten der erforderlichen Regeleinheit noch

nicht enthalten. Wird die Blindleistung nicht zum Zeitpunkt des Leis-

tungsmaximums des Wechselrichters benötigt, ist die Blindleistungs-

kompensation durch DEA unter Umständen wirtschaftlich interessant.

Diesbezügliche Untersuchungen werden derzeit durchgeführt.

Spannungsregelung

Die Netzbetreiber sind verpflichtet, die Netzspannung innerhalb des

zulässigen Bereiches zu halten. Derzeit wird untersucht, ob DEA durch

die gezielte Erhöhung oder Reduzierung der Wirkleistungs- oder Blind-

leistungseinspeisung die Spannungshaltung unterstützen können.

Dabei wird insbesondere bei Mikroerzeugungsanlagen in den Objekten

der Netznutzer ein intelligentes Gateway mit einem Energiemanager

benötigt, der auf Grundlage variabler Liefer- und Erzeugungspreise

in der Lage ist, automatisiert zu entscheiden, ob erzeugter Strom im

Objekt selbst verbraucht oder gespeichert wird, oder ob der Strom

als Alternative dem Netz zur Spannungsregelung durch Wirkleistungs-

beeinflussung zur Verfügung gestellt wird.

78 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

5.6 Standards für Protokolle und DatenmodelleStandards in der Energiewirtschaft werden auf verschiedenen Ebenen

und in unterschiedlichen Gremien und Organisationen erarbeitet. Die

IEC ist ein internationales Normierungsgremium im Bereich der Elektro-

technik. Neben der „International Organization for Standardization“

(ISO) und der „International Telecommunication Union“ (ITU) ist die IEC

das wichtigste Gremium für Standardisierung im Umfeld der elektri-

schen und elektronischen Anlagen und Geräte.

Bei der IEC TC 57 handelt es sich um ein Systemkomitee, zu dessen

Aufgabenbereich neben den einzelnen Komponenten, wie z.B. Schal-

tern und Schutzfunktionen, auch die übergeordneten Ebenen der Sys-

temvernetzung, Überwachung, Steuerung, interner Informationsaus-

tausch und externe Schnittstellen gehören. Innerhalb dieses Bereiches

wurden bisher 63 Normen veröffentlicht, unter anderen das CIM und

die IEC 61850.

Auf nationaler Ebene werden in Deutschland die relevanten Standards

im VDE (Verband der Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik)

genormt bzw. die Arbeiten der IEC gespiegelt. Die DKE 952 Gruppe

Netzleittechnik ist das deutsche Spiegelgremium zur IEC TC 57 und

bildet deren Arbeit in der nationalen Normung ab.

Abbildung 19: I�C TC 57 Seamless Integration Architecture 6�357

79 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

5.6.1 IEC 61850Wichtigste Voraussetzung für die Vernetzung einer Vielzahl von Kompo-

nenten in einem System ist eine eindeutig definierte Art der Kommuni-

kation. Hierzu sollte nach Möglichkeit eine einzige allen Komponenten

gemeine Sprache (Protokoll) verwendet werden, zumindest aber eine

sinnvolle Beschränkung auf wenige etablierte Sprachen stattfinden. Nur

so lässt sich ein Informationsaustausch zwischen den Komponenten

langfristig erfolgreich und kosteneffektiv nutzen. Erst die Verwendung

eindeutig definierter Protokolle, welche die Informationsobjekte und

deren Manipulation durch entsprechende Services beschreiben, erlaubt

den Aufbau mitunter komplexer, aber dennoch interoperabler Systeme.

Somit ist die Grundlage für ein langfristig funktionierendes Gesamtsys-

tem gegeben. Dabei bedeutet dies keineswegs, ein statisches System

aufzubauen, sondern erlaubt es sehr wohl, das System in der Zukunft

flexibel zu erweitern und neue Funktionalitäten hinzuzufügen. Diese

Leitgedanken begleiteten den Entwurf der IEC 61850 und spiegeln sich

daher konsequent in der Objektorientierung des Informationsmodells

sowie einer strikten Trennung zwischen Datenmodell und Kommunika-

tion wider. Hierdurch wird eine langfristig unabhängige Beschreibung

eines Systems mitsamt seiner zugeordneten Funktionen gewährleistet

und behält auch bei Änderung der Kommunikation prinzipiell seine Gül-

tigkeit bei. Das heißt, es können die einmal erstellten und aufgebauten

Funktionen zukünftig auch auf einen anderen oder weiterentwickelten

Kommunikationsstandard neu abgebildet werden. Dies ist insbeson-

dere vor dem Hintergrund einer sich sehr dynamisch entwickelnden

Energieversorgung mit zunehmender Konzentration auf regenerative

Energien wichtig, zumal sich ähnlich dynamische Entwicklungen im

Bereich der Telekommunikation vollziehen.

Eine wesentliche Anforderung für die Energieversorgung der Zukunft,

wie bereits in Kapitel 2 erläutert, ist sowohl die Erfassung der Werte

von Komponenten im elektrischen Netz als auch die Möglichkeit Steu-

erungs- bzw. Regelungshandlungen auszuführen. Was die elektrischen

Netze mitsamt ihren Prozessdaten der Primär- und Sekundärtechnik

angeht, bietet die IEC 61850 inzwischen ein weltweit akzeptiertes,

einheitliches Protokoll. Es ist Basis für die Mehrzahl neu aufzubauender

Schaltanlagen-Projekte und wird auch für die Erneuerung bzw. Erwei-

terung von Bestandsanlagen genutzt. Nach deutlichen Restriktionen im

Bereich der Schaltanlagen sowie Leittechnik der weltweit zuvor hete-

rogenen Protokollwelt in diesem Bereich bietet die IEC 61850 nunmehr

die Möglichkeit eines nahtlosen Informationsdurchgriffs in vertikaler

(versch. Spannungsebenen) als auch horizontaler (Komponenten auf

einer Spannungsebene) Richtung, ohne dass auf verschiedene Proto-

kolle zwischen den Komponenten verschiedener Hersteller Rücksicht

genommen werden muss. Durch die Unterstützung eines einheitlichen

Protokolls können nun prinzipiell sämtliche Komponenten für den

Aufbau eines Systems genutzt werden, wobei bestimmte Voraussetzun-

80 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

gen an die jeweilige Funktionalität selbstverständlich beachtet werden

müssen.

Zentrale Anwendung der IEC 61850 sind automatisierte Funktionen der

Überwachung, Steuerung und Regelung im Bereich der elektrischen

Netze. Ursprünglich mit dem Ziel entwickelt, eine langfristig verlässliche

Schaltanlagenautomatisierung zu ermöglichen, wurden der Normen-

reihe bereits weitere Normen hinzugefügt, um periphere Bereiche wie

z.B. dezentralisierte Energieversorgung einzubinden (IEC 61850-7-420).

Die Anwendung der Normenreihe fokussiert insgesamt den techni-

schen, nicht aber den geschäftlichen Bereich, wenngleich durch die

gemeinsame Grundlage auf Basis des CIM auch eine gute Vorausset-

zung gegeben ist, Informationen auch anderen Bereichen zugänglich zu

machen und für eine ganzheitliche System-Betrachtung und Interaktion

zu verwenden [37]. Die Kopplung zu den Back-Office Bereichen von

der Betriebsführung über SCADA-Funktionalitäten bis hin zu Funktio-

nen des Asset- und Life-Managements [54] ist daher generell möglich

und erschließt ein umfangreiches Portfolio systemweiter- und über-

greifender Funktionalitäten. Prinzipiell ist bereits mit den bestehenden

Normenteilen die Kommunikation von der Leitstelle bis in den Prozess

auf Ebene der Niederspannung hinein gegeben. Selbstverständlich ist

ein solcher, bis in das Niederspanungssystem greifender Informations-

austausch in aller Regel nicht im Interesse des Bedienpersonals einer

Leitwarte auf Ebene des Übertragungsnetzes, dessen Aufmerksamkeit

vorwiegend den heutigen Prozessen auf den oberen Spannungsebe-

nen gewidmet bleiben werden. Für regionale Netzbetreiber jedoch

eröffnen sich Möglichkeiten, bestimmte, aggregierte Daten aus einer

lokalen Überwachung von Niederspannungsnetzen automatisiert in die

Leitwarten und die Back-Office Prozesse zu übertragen. Zu den denk-

baren Use-Cases zählen z.B. das Abrufen von Grenzwertverletzungen

hinsichtlich Spannungsqualitätsanforderung, welche an zentraler Stelle

ausgewertet, archiviert und für statistische Zwecke oder für das Asset-

bzw. Life-Management Verwendung finden können (Abbildung 20).

Ebenso ist eine temporäre, gezielte Überwachung von lokalen Netzbe-

reichen denkbar.

81 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

Abbildung �0: Vertikaler In�ormationsdurchgri�� aus dem Back�O��ice Bereich bis in

den Pro�ess

Für die Beschreibung von Systemen auf Basis der IEC 61850 dient die

eigens dafür geschaffene XML-basierte Beschreibungssprache SCL

(System Configuration Language). Es ist in naher Zukunft zu erwarten,

dass Engineeringtools in der Lage sein werden, die standardisierten

Daten für den Informationsaustausch sowohl im SCL-Format als auch

im CIM-Format anzubieten [47]. Somit könnte im Engineering der

gesamte Workflow von der Datenakquise bis hin zu abgeleiteten Hand-

lungen entworfen und dokumentiert werden.

5.6.2 IEC 61968 (CIM for DMS)Oberhalb der Automatisierungsebene, die durch die IEC 61850 adres-

siert wird, liegen die SCADA-Systeme sowie sekundäre und primäre

IT-Systeme. Diese Ebene wird durch den stark IT-fokussierten IEC

61970 bzw. 61968 Teil der IEC Referenzarchitektur (SIA) adressiert und

normiert. Eine Übersicht über die Ebenen der SIA bietet Abbildung 19.

Im Bereich der Standardisierung von Systemschnittstellen und Daten-

modellen für die Netzführung sowie der Integration von Anwendungen

in die IT-Systemlandschaft eines EVU hat die IEC seit 1996 das soge-

nannte Common Information Model (CIM) als Basis für die Normenrei-

hen IEC 61968 und IEC 61970 vom Electric Power Research Institute in

den USA übernommen und führt diese Arbeiten seitdem auf internatio-

naler Ebene fort. Diese Normenreihen werden im IEC/TC 57 „Datenmo-

delle, Schnittstellen und Informationsaustausch für Planung und Betrieb

von Energieversorgungssystemen“ hauptsächlich in der WG 13 („EMS

Application Interfaces“) und WG 14 („System Interfaces for Distribution

Management“) gepflegt und von den Tätigkeiten anderer Arbeitsgrup-

pen flankiert. CIM wird im allgemeinen Sprachgebrauch oft als gemein-

82 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

samer Name für die beiden Normenreihen IEC 61968 und IEC 61970

verstanden.

Ziel des CIM ist es, Zeitaufwände und Kosten zu reduzieren, die bei

einer Integration von Anwendungen in einem Energiemanagement-

system (EMS) anfallen, sowie durch die Normung einen gewissen

Investitionsschutz in Systeme zu bieten und den effektiven Betrieb

dieser Systeme sicherzustellen. Das CIM ist dabei als eine Art Integra-

tionsframework aufzufassen. Um die nahtlose (engl.: seamless) Inte-

gration auf vertikaler Wertschöpfungskette zu erreichen, wurden sowohl

verschiedene Schnittstellen und Datenmodelle für EMS als auch das

Verteilungsnetzmanagement (DMS - Distribution Management System)

definiert und standardisiert. Am Markt existieren erste Implementie-

rungen zu den diversen Teilen der Normenreihen. Die Vision bei der

Erstellung des CIM war es, den Herstellern von Systemkomponenten

die Möglichkeit zu bieten, einzelne EMS Komponenten individuell zu

verkaufen und bei den Versorgern die Produkte verschiedener Herstel-

ler kombinieren zu können. In der Tat war die Situation am Markt eher

so, dass EMS-Hersteller die Versorger in eine Abhängigkeit zwangen,

indem sie ihre Systeme eher monolithisch mit proprietären Datenban-

ken und Inter-Application Nachrichten kommunizieren ließen. Diese

Abhängigkeit vom Hersteller sorgte dafür, dass Versorger nicht die

besten, sondern lediglich die für ihre Infrastruktur kompatibelsten Kom-

ponenten auswählen konnten. Ein Austausch einzelner Komponenten

war nicht möglich. Häufig konnte nur ein Austausch bzw. Update des

gesamten Systems durchgeführt werden.

Das EPRI wollte daher standardisierte Schnittstellen schaffen, die defi-

niert und technologieunabhängig für die einzelnen Funktionen (wie im

61968 Teil definiert) angeboten werden sollten. Es ist jedoch klar, dass

nicht nur die Schnittstellen standardisiert werden müssen, sondern vor

allem auch ein gemeinsames Vokabular von besonderer Bedeutung

für eine erfolgreiche Integration ist. Das Konzept eines gemeinsamen

Informationsmodells (engl.: Common Information Model) wurde daher

in die Entwicklung der Norm mit aufgenommen und als erster Schritt

gesehen. Neben dem gemeinsamen Modell, dem eigentlichen CIM (IEC

61970-301 und IEC 61968-11), wurden in der Normfamilie auch zwei

weitere Schnittstellenstandards entwickelt: die sogenannte GID (Gene-

ric Interface Definition), welche eine technologieunabhängige Schnitt-

stelle für bestimmte Klassen von Daten bietet, sowie die SIDMS-Familie

(System Interfaces for Distribution Management Systems), welche

basierend auf den IRM (Interface Reference Model) Funktionsblöcken

der IEC 61968 Familie spezifische Schnittstellen samt XML-basierten

Nachrichten und Use Cases definiert.

Für das CIM existieren vor allem die drei folgenden großen Anwen-

dungsfälle [48]:

� Austausch von Topologiedaten: Das CIM definiert zwei sogenannte

Profile, d.h. eine Untermenge von Objekten und Relationen aus dem

83 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

gesamten CIM-Modell, welche zur Modellierung von Übertragungs-

(CPSM – Common Power System Model) und Verteilungsnetzen

(CDPSM – Common Distribution Power System Model) genutzt

werden können. Zusätzlich wird neben den Objekten auch eine Seri-

alisierung in XML bzw. RDF (Resource Description Framework) durch

die Standards definiert. Dadurch können statische und dynamische

Daten über Stromnetze und ihren Zustand standardisiert zwischen

den betroffenen Systemen in einem EVU, beispielsweise dem

SCADA (Supervisory Control and Data Acquisition), GIS (Geographi-

sche Informationssysteme) oder Asset Management ausgetauscht

werden.

� Kopplung von Systemen: Unter Zuhilfenahme der beiden Schnitt-

stellenfamilien können auf Basis der technologieunabhängigen

Schnittstellen direkte standardkonforme Implementierungen erstellt

werden. Diese Interfaces können zur Kopplung der verschiedenen

Systeme direkt genutzt werden. Ein EVU als Käufer eines Systems

weiß so, welche Funktionen das entsprechende Produkt wie und mit

welchem Verhalten an Daten zur Verfügung stellt und kann die Kom-

ponente besser in seine Systemlandschaft integrieren.

� XML-basierter Nachrichtenaustausch mit CIM-Semantik:

Neben den Interfaces GID und SIDMS kann die CIM-Semantik aus

dem Datenmodell natürlich auch für eigene Nachrichten genutzt

werden. Es existiert die Möglichkeit, mit den CIM-Objekten eigene

XML-Schemata zu erstellen und somit Nachrichten mit standar di-

sierter Semantik zur Kopplung individueller Systeme über eine

SOA zu nutzen. Ein Werkzeug hierfür ist beispielsweise das

sogenannte CIMTool von Langdale Consultants, welches unter

http://www.cimtool.org verfügbar ist.

Das CIM ist vor allem eine formal definierte und abstrakte Darstellung

und Definition von Objekten und ihrer Relationen zueinander im Bereich

der elektrischen Energieversorgung. Dabei handelt es sich sowohl um

konkrete physische Objekte wie einen Leistungsschalter, aber auch um

abstrakte Objekte in einem Informationssystem wie einen Messwert

einer Zeitreihe. Diese Beschreibung ist dabei grundsätzlich plattform-

unabhängig.

Das CIM ist keine konkrete Datenbankumsetzung, d.h. es definiert nicht

eine Umsetzung des Modells in einer physischen Datenbank, sondern

dient zur Integration mit externen Systemen, d.h. Schnittstellen werden

standardisiert und „sollen CIM sprechen“. Ein CIM-kompatibles System

hat lediglich nach außen konforme Schnittstellen zu leisten, die interne

Datenorganisation und auch -speicherung ist durch den Standard

nicht geregelt und somit komplett freigestellt – solange korrekte Daten

nach außen publiziert werden. Ferner ist das CIM nicht „abgeschlos-

sen“. Erweiterungen und Verbesserungen sind sogar ausdrücklich

gewünscht. Dafür existieren verschiedene Erweiterungsmechanismen in

84 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

UML und XML. Das CIM ist auch nicht technologieplattformspezifisch

– es existiert unter Windows, Linux, OS X, C++, C-Sharp, Java, Oracle

oder IBM DB2 – d.h. sowohl Betriebssystem, Programmiersprache als

auch Datenbanken sind frei wählbar.

Abbildung �1: Überblick �ber den Au�bau der CIM�Normen�amilie

5.6.3 IEC 61499 (Funktionsbausteinsysteme)Die Funktionsbausteintechnik wird seit langer Zeit in der Automati-

sierungstechnik zum Entwurf und zur Implementierung von steuerungs-

und prozessleittechnischen Aufgaben verwendet. Neben herstellerspe-

zifischen Lösungen hat sich für die Steuerungsprogrammierung (SPS)

die IEC 61131-3 durchgesetzt. Eine der fünf Programmiersprachen

ist der sogenannte Funktionsplan (FUP). Auch zur Beschreibung von

Gerätefunktionen in der Mess- und Stelltechnik in Zusammenhang mit

den industriellen Feldbussen hat sich das Funktionsbausteinmodell

eingebürgert. Damit sind Anforderungen wie Wiederverwendbarkeit,

Portierbarkeit, Interoperabilität von Geräten und flexible Rekonfigu-

rierbarkeit praxistauglich umsetzbar. Der IEC 61131-3 Standard [26]

ist zwar hervorragend zur SPS-Programmierung geeignet, kann aber

nur für genau eine Steuerung angewendet werden. Sollen mehrere

Steuerungen zusammenarbeiten oder mehrere Automatisierungs-

85 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

geräte, die über ein digitales Kommunikationssystem vernetzt sind,

bietet die IEC 61131-3 keine Beschreibungsmöglichkeiten. Sie ist nur

für zentral organisierte Automatisierungsstrukturen geeignet. Verteilte

Automatisierungsarchitekturen werden nicht abgedeckt. Sind solche

Lösungen gefordert, müssen Speziallösungen zur Kopplung der Geräte

zumeist mit herstellerspezifischen Mitteln umgesetzt werden. Das ist

zeitaufwendig und fehlerbehaftet. Deshalb wurde, basierend auf der

Funktionsbausteinsprache des IEC 61131-3 Standards, der IEC 61499

Standard [27] für verteilte, funktionsbausteinbasierte Automatisierungs-

systeme entwickelt. Die IEC 61499 ist als semi-formales Modell spezifi-

ziert und hat zusätzlich ein definiertes Austauschformat auf XML-Basis.

Ausdrückliches Ziel ist es, Anwendungsprogramme (Applications) auf

mehrere Geräte (Devices in Abbildung 22) zu verteilen, die über Kom-22) zu verteilen, die über Kom-) zu verteilen, die über Kom-

munikationsnetzwerke miteinander verbunden sind.

Communication network

Controlled process

Device 2 Device 3 Device 4 Device 1

Application A

Appl. C

Application B

segment

link

Abbildung ��: Verteilte Anwendungen au� mehreren Ger�ten [�1]

Innerhalb eines Gerätes bietet der IEC 61499 Standard ein modulares

Konzept an, indem Ressourcen (Resource in Abbildung 23) die Anwen-23) die Anwen-) die Anwen-

dungen gemeinschaftlich abarbeiten können. Das Konzept der Vertei-

lung gilt sowohl zwischen als auch innerhalb von Geräten. Die Ressour-

cen der Geräte können mit zwei Schnittstellen (Interface) ausgerüstet

sein. Über die Kommunikationsschnittstelle werden die Daten und

Ereignisse zwischen den Geräten ausgetauscht. Die Prozessschnitt-

stelle setzt den Signalaustausch über die Geräteelektronik zu den

Prozessgrößen um.

86 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

Communication link(s)

Resource x

Controlled process

Resource z Resource y

Application B Application C

Application A

Device boundary

Communication interface(s)

Process interface(s)

= Data & event flow

Abbildung �3: Ressourcen mit Schnittstellen ��r Kommunikation und Pro�ess [�1]

Die IEC 61499 trennt zwischen Ereignis- und Datenfluss zwischen den

Funktionsbausteinen (FB). Der Datenfluss entspricht den bekannten

Datenverbindungen zwischen den Ein- und Ausgängen der Funktions-

bausteine. Der Ereignisfluss steuert die Abarbeitungsreihenfolge der

Algorithmen in den Funktionsbausteinen. Dieses Konzept wird im Funk-

tionsbaustein umgesetzt, indem ein zusätzliches Segment des Funkti-

onsbausteins die Ereignisse aufnimmt und mit Hilfe eines sogenannten

Execution Control Charts (ECC – zustandsmaschinenähnliche Steue-

rung) die verschiedenen Algorithmen aufruft, welche die Eingangs- in

Ausgangsvariablen umsetzen (siehe Abbildung 24). Dazu können auch

zusätzlich FB-interne Variablen vorhanden sein.

(Scheduling, communication mapping, process mapping)

Algorithms

Type name

(hidden)

Internal data

(hidden)

Resource capabilities

Data outputs Data inputs

Event outputs Event inputs

Instance name

Control Execution

(hidden)

Data flow

Event flow Event flow

Data flow

Abbildung �4: Allgemeine Darstellung eines I�C 61499 Funktionsblockes [�1]

87 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

Die Daten, welche am Eingang des FBs anliegen, werden immer nur

dann eingelesen, wenn das entsprechende Eingangsevent auftritt und

mit diesem der Dateneingang verknüpft ist. Ebenso verhält es sich mit

den Ausgangsdaten. Sie werden nur aktualisiert, wenn das entspre-

chend verknüpfte Ausgangsevent erzeugt wird. Dies gilt für alle Funk-

tionsblöcke. Es besteht die Möglichkeit, die ECC als Petri-Netzmodell

darzustellen. Daraus ergibt sich die Verifikationsfähigkeit von IEC

61499-Anwendungsentwürfen.

In der IEC 61499 gibt es drei Typen von FBs. Die eben beschriebenen

Basic-FB, die Serviceinterface-FB (SIFB) und die Composite-FB. Die

SIFB enthalten statt einem ECC verschiedene Services. Ein Service

kann durch ein Eingangsevent ausgelöst werden und dabei die anlie-

genden Eingangsdaten als Service-Parameter übernehmen oder – was

der Hauptanwendungsfall ist – die Daten über die Kommunikations-

oder die Prozessschnittstelle beziehen oder absetzen (siehe Abbildung

25). So trennen die SIFBs die Anwendungsfunktionen von den Funk-). So trennen die SIFBs die Anwendungsfunktionen von den Funk-

tionen der Geräte und Kommunikationsplattform. Diese Trennung der

Anwendung von den gerätespezifischen Gegebenheiten bildet das

Basiskonzept für einen verteilten Entwurfsansatz von Automatisierungs-

anwendungen. Die Anwendung kann zunächst als Funktionsbaustein-

netzwerk unverteilt entworfen werden. In einem zweiten Schritt werden

dann die Funktionsbausteine auf den Ressourcen der Geräte platziert.

Müssen die Daten über Gerätegrenzen hinweg transportiert werden,

werden die SIFB an diesen Schnittstellen eingefügt. Auch die Prozess-

kopplung erfolgt über Einfügen, meist gerätespezifischer SIFB.

Function

Block

Local application

(or local part of distributed application)Communication mapping

Communication functions

Process I/O functions

Process mapping

Data

Events

Service

Algorithm

Scheduling Function

Interface

Function

Block

ServiceInterface

Abbildung �5: Serviceinter�ace�Funktionsblöcke [�1]

88 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

Die Composite-Funktionsblöcke sind zusammengesetzte Funktions-

blöcke und beinhalten ein Funktionsblocknetzwerk anstelle des ECC,

welches aus einer Verschaltung von Instanzen verschiedener Basic-

Funktionsblöcke, SIFBs oder auch anderen Composite-Funktions-

blöcken besteht. Sie werden eingesetzt, um komplexe Funktionen,

welche sich aus mehreren einfachen Funktionen zusammensetzen, zu

realisieren und um eine Strukturierung in das Funktionsblocknetzwerk

der Applikation zu bringen. Dies ermöglicht eine Hierarchisierung der

Anwendungen und führt so zu Modularisierung und damit zu einer bes-

seren Übersicht.

Zusammenfassend lassen sich die charakteristischen Merkmale von

IEC 61499 hinsichtlich eines potentiellen Einsatzes in der Verteilungs-

netzsteuerung wie folgt zusammenfassen:

� Standardisiertes Entwurfs- und Implementierungsmodell für verteilte

Steuerungssysteme

� Getrennter Ereignis und Datenfluss im FB-Netzwerk

� Hohe Plattformflexibilität durch Trennung von funktionaler Anwen-

dung und kommunikations- und gerätetechnischer Einbindung

� Semi-formales FB-Modell

� Formales Abarbeitungsmodell, was eine Verifikation von FB-Anwen-

dungen zulässt

89 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

6 Möglichkeiten und Limitierung bestehender Systeme

6.1 Advanced Metering

6.1.1 Advanced Meter Infrastructure / Smart MeterDie intelligente Energie-Verbrauchs-Messung „Smart Metering“ und die

aktive Steuerung im intelligenten Energieversorgungsnetz „Smart Grid“

ist in Deutschland noch in der Pilotphase. Durch gesetzliche Vorgaben

der EU und den Umsetzungsvorschriften im Energie-Wirtschaft-Gesetz

sind die rechtlichen Rahmenbedingen für einen bundesweiten Rollout

gegeben. Dennoch zögern viele Energie-Versorgungs-Unternehmen

(EVU) bei der Planung und Gestaltung mit dieser neuen Technologie.

Ursachen hierfür sind Entscheidungsrisiken, die neben den regulatori-

schen Aspekten auch in den neuen Rollen und Markteilnehmern, in der

vielfältigen Produkt- und Lösungspalette sowie in der stark steigenden

Komplexität im Zusammenwirken von Geschäftsmodell und Technolo-

gie zu sehen sind [2].

Die Smart Metering Systemlandschaft ist in Abbildung 26 schematisch

dargestellt. Die Smart Meter und die zugehörige Kommunikations-

technik bilden die Infrastruktur-Ebene des generischen Modells aus

Abschnitt 4. Das Smart Metering Daten- und Informations-Management

umfasst alle erforderlichen Informationsobjekte und Applikationen

auf der Dienst-Kommunikations-Ebene und bildet die Grundlage für

die darauf aufbauende Dienst-System-Integration. Sowohl das Smart

Metering Daten- und Informations-Management als auch die über eine

System-Integration angebunden Business Support und Operational

Support Systeme (BSS & OSS) können auf der Ebene der Dienstnutzer

von verschiedenen Akteuren verwendet werden. Der Zusammenhang

über die drei Ebenen – Infrastruktur, Dienste- & Informations-Manage-

ment sowie System-Integration – bildet die Advanced Meter Infrastruc-

ture (AMI).

90 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

Kommunikations-Infrastruktur

Smart Metering Daten- und Informations-Management

System-Integration Backendsystemeu.a. Last-Management, CRM, Billing, SAP

Netzbetreiber-Rolle

Markt - Rolle Dienstleister-Rolle

� Nutzung für unterschiedliche Rollen u.a. zurSteuerung der Verteilnetze, für das Portfolio-und Kunden-Management und viele Dienst-leistungs-Angebote

� Integration der Smart Metering Daten- undInformationswelt in die Business Systeme derVersorger/ServiceProvider

� Daten- und Informationsverarbeitung mitmodularen, interoperablen und skalier-barenFunktionalitäten für unterschiedliche Ge-schäftsanforderungen

� Kommunikations-Technologien (z.B. PLC,GPRS, UMTS, DSL) zur sicheren bidirek-tionalen Übertragung der Daten

� Smart Meter Park für die Ablesung vonEnergie-, Gas-, Wasser-Verbrauch (Multi-Utility) mit unterschiedlichen Funktionalitätenzur Energie-Effizienz Steuerung für Privat- &Industrie-Kunden

Smart MeterInfrastruktur

Abbildung �6: �benenmodell der Advanced Meter In�rastructure (AMI) [�8]

Im Rahmen der gesamten AMI-Systemlandschaft sind die Smart Meter

ein wichtiger Baustein. Diese Endgeräte sammeln die Verbauchs-/Nut-

zungs-Daten und führen Diagnosen von z.B. Stromqualität, Betriebs-

zustand in Echtzeit durch. Diese Daten können in einer Granularität

von 15 Minuten Intervallen gemessen und im gleichen Intervall weiter-

geleitet werden. Die Funktionalität des Auslesens der Meter-Daten für

intelligente Anwendungen wird mit Advanced Meter Reading (AMR)

bezeichnet.

Für Smart Metering ist die Kommunikationsfähigkeit des Endgerätes

eine weitere wichtige Eigenschaft. Die Steuerung wird bidirektional

durch Senden und Empfangen über unterschiedlichste Telekommunika-

tions-Technologie unterstützt.

Den Kern der Informationsverarbeitung bildet das Advanced Meter

Management (AMM). Dieses umfasst

� MOS (Meter Operating System) – das Betriebssystem für die opera-

tive Steuerung der Smart Meter im Netz ver bund und deren Schnitt-

stellen,

� MM (Meter Management) – die Administration der im System vorhan-

den Smart Meter/Endgeräte und

� MDM (Meter Data Management) – die Informations-Verarbeitung zur

Evaluierung, Konsolidierung und Validierung der durch die Smart

Meter und inner halb des Systems gelieferten Daten [31].

Die weitere Verarbeitung der Smart Metering Daten erfolgt in den

jeweils nachgelagerten Backendsystemen. Diese umfassen einerseits

Netzsteuerungssysteme für z.B. das Last-Management und anderseits

Business-Systeme für z.B. Kunden-Daten-Management, das Asset

Management und natürlich auch das Billing. Durch weiterführende

Schnittstellen, wie z.B. MDUS (Meter Data Unification and Synchroniza-

tion) erfolgt die Integration zu ERP-Systemen z.B. SAP-ISU [29].

91 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

6.1.2 Advanced Metering – Möglichkeiten der WertschöpfungFür alle Akteure hat die Nutzung weiterer Wertschöpfungs-Potentiale

einen hohen Stellenwert. Mit der zusätzlichen Verfügbarkeit und Quali-

tät der Daten aus dem Advanced Metering wächst auch die Möglichkeit

für durchgängige und automatisierte Prozesse. Denn erst Prozessda-

ten schaffen die Grundlage für geeignete Steuerungsmechanismen,

Kunden pflege, Angebotsplanung und Verrechnung der erbrachten

Leistungen [1].

Die Zählerdaten werden zum Schlüssel für eine optimale Netzsteue-

rung, die Erarbeitung kundenspezifischer Angebote, sowie für inno-

vative Tarifierung. Aber erst der durch gängige Prozess, der z.B. auch

via Internet den Rechner des End kunden einschließt, schafft die volle

Transparenz und steigert die Wettbewerbsfähigkeit.

Die AMI liefert mit ihrer Anwendungs-Plattform die nötigen Module zur

automatisierten Datenerfassung und Verarbeitung. Anwenderfreundli-

che Daten-Verwaltungsanwendungen sichern die erforderliche Daten-

qualität im richtigen Format und zur richtigen Zeit und erhalten einen

nahtlosen Informationsfluss. Eine offene Systemarchitektur ermöglicht

die Anbindung weiterer Lösungen für die Analyse und Simulation von

Verbrauchsverhalten oder zur Verrechnung des Energieverbrauchs und

schafft somit die Grundlage für ein leistungsstarkes Data-Warehouse-

System. Daraus resultieren unterschiedliche Möglichkeiten der Wert-

schöpfung für alle Akteure und zusätzliche Vorteile für den Nutzer.

Aktueller Netzstatus im Verteilungsnetz

Die „Smart Grid“-Funktionalität schafft ein Bewusstsein des aktuellen

Netzstatus im Verteilungsnetz, indem identifiziert wird, an welchen

Messpunkten Stromunterbrechungen und Spannungsänderungen

auftreten. Diese Information kann ver wendet werden, um die Effizienz

durch Optimieren der Elektrizitätsnetzkapazität zu steigern.

Profilberechnung zur flexiblen Prognose

Die Profilberechnung produziert eine Datenserie, die verschiedene

Rechenvorschriften verwendet, basierend auf vorhandenen Informati-

onen. Die Profilberechnung ist ein hoch flexibles und effizientes Werk-

zeug zur Aufbereitung der Daten für den Bilanzausgleich und das Last-

profil. Durch das Periodizitäts- und Abgrenzungsprofilmessen können

verschiedene Zeitprofile und weitere Prognosen berechnet werden.

Transparentes Verbrauchsverhalten

Informationen zum Verbrauchsverhalten schaffen verlässlichere Vor-

aussagen zum Stromverbrauch. Durch erweiterte Steuerungsmethoden

können Lastspitzen einfacher und besser ausgeglichen werden. So ist

eine direkte, feinere Steuerung möglich oder eine indirekte Steuerung

durch flexiblere Tarife (siehe DR, TOU, CPP). Dies eröffnet die Gestal-

tung völlig neuer Service-Angebote.

92 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

Freiheit bei der Tarifberechnung

AMM liefert verfeinerte und zuverlässige Daten für mehrere Zwecke zur

Gestaltung und bei der Berechnung neuer Tarifmodelle. Die Tarifberech-

nung kann verwendet werden, um verschiedene Tariftypen zu simulieren

und genauer vorauszuberechnen. Da die Kalkulation mehrere Multiener-

gielösungen abdeckt, sind mehrere Systeme überflüssig.

Zuverlässige Datenprüfung

Die Qualität der Abrechnung wird durch die Zuverlässigkeit der Informa-

tionen erhöht. Messinformationen können in einem Frühstadium abge-

lesen werden, so dass sofort auf Abnormitäten reagiert werden kann.

Dadurch ist es möglich auf Bedingungen wie Verbrauchsabgrenzungen

oder ungültige Fakten frühzeitig zu reagieren und sie zu überwachen.

Demand Response (DR), Time of Use (TOU) und Critical Peak

Pricing (CPP)

Mit DR kann der Kunde seine Energienutzung innerhalb eines vorge-

gebenen Zeitrasters und zu real-time Tarifen freiwillig einschränken.

Dadurch kann, als Folge unterschiedlicher Bedingungen der Energie-

Produktion, eine dynamische Anpassung des Lastverhaltens erfolgen.

TOU und CPP sind Komponenten der Preisbildung von DR; TOU Preise

repräsentieren eine geplante vorgegebene Abweichung von Handelsta-

rifen; während CPP Kosten der zusätzlichen Energie-Generierung u/o

Preis-Abweichungen aufgrund der zusätzlichen Energie-Nachfrage sind.

6.1.3 Derzeitige Limitierung des Advanced MeteringEinige wichtige Hindernisse behindern die breite Einführung von Smart

Metering und Smart Grids. Dazu gehören wirtschaftliche Faktoren,

Regulierungsfragen und begrenzt wahrgenommene Vorteile unter den

Key Playern innerhalb der Energie wirtschaft. Die Bereitstellung der AMR,

AMI und AMM Technologie ist im Allgemeinen kein Problem. Dennoch

können die Marktbarrieren folgendermaßen zusammengefasst werden

[43]:

� Mangel an gemeinsamer Vision und Definition für Smart Grid Erweite-

rungen

� Mangel an Technologie- und Betriebs-Standards für Smart Grid Auf-

und Ausbau

� Derzeitige Geschäftsmodelle sind durch regulatorische Bedingungen

eher auf höhere Kapazitäten der Energieproduktion ausgerichtet als

auf Belohnung von mehr Energie-Effizienz

� Hoher Kapitalbedarf für den Aufbau der Infrastruktur, besonders bei

unklarer Lage der Finanzierung

� Geringe Kenntnis der Vorteile innerhalb der breiten Öffentlichkeit

sowie auch in einigen Fällen zwischen den Regulierungsbehörden

und Branchenführern

� Smart Grid Sicherheit

93 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

Aus Sicht der Informationssysteme bestehen weitere Anforderungen

hinsichtlich der Flexibilität, Interoperabilität und Skalierbarkeit von AMI-

Lösungen [33].

Flexibilität

In einem AMI-System müssen in Zukunft Tausende oder Millionen von

Messpunkten im Rahmen einer Lösung zusammengeführt werden. Eine

große Herausforderung an die Flexibilität besteht darin, Endgeräte, Sys-

tem-Komponenten und Technologien von unterschiedlichen Herstellern

mit möglicherweise unterschiedlichen Industrie standards einzusetzen,

einzubinden und zu wechseln. Die Anstrengungen zur Standardisierung

der unterschiedlichen Schnittstellen haben daher eine hohe Bedeutung

für die zukünftige Flexibilität eines Systems.

Interoperabilität

Interoperabilität der Systeme und System-Komponenten mit der Anfor-

derung an End2End-Durchgängigkeit vom Meter bis zur Rechnung ist

nicht allein durch Standardisierung erreichbar. Hierbei müssen Inte-

grationsadapter und APIs in Echtzeit automatisierten Datentransfer im

richtigen Format zwischen dem AMM-System und externen Informati-

onsverwaltungssystemen ermöglichen. Entsprechend der geforderten

Logik und den gemeinsamen Transaktions-Punkten, durch die alle

Prozess information fließt, ist Systemintegration mit entsprechendem

Experten-Know-how erforderlich.

Skalierbarkeit

Eine AMI-Systemarchitektur besteht aus verschiedenen Hierarchien /

Ebenen, in denen eine Vielzahl von Einzelmodulen eingebettet ist.

Insbesondere für einen kontinuierlichen Auf- und Ausbau des Systems

ist eine vollständig skalierbare AMM-Lösung für eine oder mehrere

AMR-Zentren erforderlich, die je nach Bedarf und den Bedürfnissen des

Versorgungsunternehmens angepasst werden kann. Dies stellt Anfor-

derungen an eine skalierbare Modular struktur, die eine Optimierung

des Systems und Anpassung der Leistungsfähigkeit an verschiedene

Umgebungen und Erfordernisse ermöglicht.

Der wachsende Druck zu mehr Energie-Effizienz, das zunehmende

Energie-Bewusstsein der Nutzer und der steigende Anteil der dezen-

tralen Stromerzeugung werden die Einführung der Smart Metering

Technologie fördern. Die derzeitigen Limitierungen der AMI-System-

landschaft sind Herausforderungen, die zusammen mit der Darstellung

der zukünftigen neuen Geschäftsmodelle aktiv herausgearbeitet werden

müssen [40].

94 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

6.2 Klassische FernwirktechnikDie klassische Fernwirktechnik dient heute ausschließlich der techni-

schen Betriebsführung eines elektrischen Netzes. Prinzipiell wird dabei

zwischen der Betriebsführung von Hoch- und Höchstspannungsnet-

zen einerseits und Mittel- bzw. Niederspannungsnetzen andererseits

unterschieden. Man spricht hier auch von der Betriebsführung von

Transportnetzen bzw. Verteilungsnetzen und adressiert damit direkt die

eigentliche Aufgabe der Betriebsmittel.

Während in Hoch- und Höchstspannungsnetzen weitgehend alle

Betriebsmittel fern überwacht und fern gesteuert werden können,

findet dies in Mittelspannungsnetzen nur noch bedingt statt. Hier wird

die überwiegende Zahl der Betriebsmittel manuell bedient und in der

Datenbasis der Netzleitstelle per Handnachführung aktualisiert.

Um eine hohe Verfügbarkeit der Kommunikationswege und damit der

Betriebsführung sicherzustellen, betreiben die Energieversorgungsun-

ternehmen ihre eigenen Kommunikationsnetze. Zur Lastmanipulation

überwiegend im Niederspannungsnetz kommt die Rundsteuertechnik

zum Einsatz. Sie zählt als eigenständige Disziplin nicht zur Fernwirk-

technik. Per Rundsteuerbefehlen können Verbraucher durch die jeweils

zuständige Netzleitstelle ein- und ausgeschaltet werden. Als Übertra-

gungsweg für die Steuerbefehle wird das vorhandene Stromversor-

gungsnetz verwendet. Dabei werden die Daten mit niedriger Datenrate

unidirektional als Broadcast über eine Trägerfrequenzanlage versen-

det. Die Anzahl verfügbarer Tonfrequenzen und ihre Abbildung auf die

verschiedenen Verbrauchergruppen stellt eine nicht unwesentliche

Beschränkung dar. Auch ist eine direkte Rückmeldung der Lasten nicht

möglich. Nur über das geänderte und zeitlich verzögerte Verbrauchs-

verhalten kann die Wirksamkeit der Rundsteuerbefehle überprüft

werden.

Sowohl die Fernwirktechnik für die technische Betriebsführung als

auch die Rundsteuertechnik zur Lastmanipulation wird auch in Zukunft

eine Bedeutung haben. Beiden gemeinsam ist, dass sie sich nicht zur

Führung intelligenter Stromnetze der Zukunft geeignet sind. In Nieder-

spannungsnetzen ist die Fernwirktechnik heute weitgehend unbekannt.

Insbesondere existieren keine bidirektionalen Übertragungsnetze mit

entsprechender Bandbreite, um u.a. intelligente Stromzähler auszule-

sen bzw. Lasten zeitnah zu beeinflussen.

Intelligente Stromnetze mit neuen Betriebsführungsprinzipien und

verbunden mit geänderten Geschäftsmodellen stellen zusätzliche

Anforderungen an Kommunikationsnetze. Diese zu erfüllen wird unter

Kosten/Nutzen-Gesichtspunkten nicht durch eine Ertüchtigung der

vorhandenen Infrastruktur gelingen bzw. möglich sein. Die Nutzung des

flächendeckenden Internets ist die kostengünstigste und praktikabelste

Alternative.

95 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

6.3 Endkundenschnittstelle auf Basis von Web-TechnologienDas generische Modell zukünftiger Energieinformationsnetze (siehe

Abbildung 7) stellt auf der „Dienstenutzer-Ebene“ Daten, Dienste und

Leistungsbausteine bereit, welche durch Drittanbieter in der „Dienste-

Ebene“ kontextspezifisch strukturiert, ausgewertet und dargestellt

werden können. Die „Dienstenutzer-Ebene“ bildet somit gleichzeitig

die Brücke zwischen den Marktteilnehmern (Haushalts- und Gewer-

bekunden) und den Energiedienstleistungen. Die Realisierung dieser

Schnittstelle erfolgt durch moderne Webtechnologien wie Webservices,

HTML/XML, Adobe Flash oder Microsoft Silverlight. Aufbauend auf dem

Energieinformationsnetz sind durch den Einsatz von Web-Technologien

folgende Aspekte implementierbar:

Visualisierung

Auf Basis von hochperformanten Webplattformen erfolgt eine service-

orientierte Aufarbeitung von Verbrauchsdaten (siehe Abbildung 27).

Die vielfältigen Visualisierungsmöglichkeiten schaffen Transparenz

und leisten damit einen aktiven Beitrag zur Energieeinsparung. Als

potentielle Anzeigegeräte können das Zählerdisplay, ein Webportal,

mobile Applikationen oder ein Home Display in Form einer Smart-Box

dienen. Das Interpretations- und Visualisierungsportal stellt somit eine

umfassende Web-Lösung dar, die als Energiecockpit private und in

Form eines Energiemanagementportals gewerbliche Marktteilnehmer

adressiert. Grafische Vergleiche und Analysen, Dokumentenverwaltung

sowie Tarifsimulation inklusive der Möglichkeit des Vertragsabschlus-

ses ermöglichen eine objektive und effiziente Entscheidung. Je nach

Anwendungsbereich lassen sich vielfältige Funktionen wie Asset-Life-

cycle-Management (Einbau, Entstörung und Turnuswechsel von intelli-

genten Zählern) integrieren.

Abbildung �7: Kon�eptstudie – Widget „Verbrauchsvisualisierung“

96 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

Transparenz

Die umfangreichen Visualisierungsmöglichkeiten erhöhen signifikant

die Transparenz im Umgang mit Energie. Weiterhin werden die Daten

bestandsführender Systeme wie beispielsweise Energiedatenmana-

gement (EDM), Kundenbeziehungsmanagement (CRM), oder Abrech-

nung vollständig integriert, womit parallel zur Darstellung energetischer

Messzahlen ebenso monetäre, personenbezogene Kennzahlen abgebil-

det werden können. Auf Basis eines betriebswirtschaftlichen Kennzah-

lensystems ist die Darstellung sowohl energetischer als auch monetärer

Einheiten spezifischer Aggregationsebenen, wie beispielsweise Stand-

ort-, Raum-, Abteilungs- und Geräteebene umsetzbar. Eine derartige

Sensibilität gewinnt zunehmend an Bedeutung, sobald der Anteil von

Marktteilnehmern steigt, der beide Rollen, Konsument und Produzent

(Prosumer), inne hat. Die Tatsache der Einführung dynamischer Tarife

bei rückläufiger Einspeisevergütung verstärkt die Notwendigkeit geeig-

neter, nahezu echtzeitfähiger Anzeigeinstrumente, wie Web- und Mobil-

applikationen.

Einflussnahme

Die Endkundenschnittstelle erlaubt zudem vielfältige Einflussmöglich-

keiten bezüglich der Identifikation und Reaktion auf Anomalien bei

Verbrauchs- und Lastmengen. Anhand der Darstellung von last- oder

tageszeitabhängigen Tarifen wird eine Lastverschiebung im Verteilungs-

netz ermöglicht. Durch eine aktive Verhaltensänderung auf Basis der

Energieverbrauchsvisualisierung ergibt sich ein signifikantes Energieein-

sparpotential. Mit Hilfe eines ausgefeilten Berechtigungs- und Rollen-

konzeptes ergeben sich innerhalb eines originären Webportals vielfäl-

tige Interaktionsmöglichkeiten für unterschiedliche Mandanten oder

Gruppen mit abweichenden Funktionen. Weiterhin ergeben sich durch

den zunehmenden Einsatz von online Self-Service-Werkzeugen wie

Vertragswechsel online, Generierung unterjähriger Onlinerechnungen,

Störungsmeldung online u.v.m. neue Produktmöglichkeiten im Strom-

vertrieb und innovative Lösungen für einen effizienten Kundenservice.

Mehrwert

Aufgrund der oben beschriebenen Merkmale bildet die Verwendung

von Web-Technologien ein erhebliches Potential für die Generierung

von Mehrwerten innerhalb von Energieinformationsnetzen. Demnach

führen Bündelprodukte, innovative Tarifstrukturen und flexible Up- und

Cross-Selling-Möglichkeiten zu neuen Geschäftsmodellen mit ener-

gienahen Mehrwertdiensten. Weiterhin bietet die Identifizierung und

Reduzierung von besonders energieintensiven Prozessen sowie die

Realisierung einer energieeffizienten Produktion Möglichkeiten zur

Diversifikation vom Wettbewerb. Dokumentierte und nachhaltig ausge-

führte Energieeffizienzmaßnahmen (DIN ISO 16001) können zudem zur

Imagestärkung und Steuervergünstigung beitragen.

97 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

Fazit:

Der Einsatz von Web-Technologien zur Realisierung der Endkunden-

schnittstelle in Energieinformationsnetzen stellt eine Grundlage für

vielfältige Visualisierungsmöglichkeiten dar, anhand derer die Transpa-

renz signifikant gesteigert werden kann. Hieraus ergeben sich für den

Endkunden neue Möglichkeiten zur aktiven Veränderung und Steuerung

seines Energieverbrauchsverhaltens. Web-Technologien leisten daher

einen signifikanten Beitrag zum energiepolitischen Dreieck bezüglich

der Umweltverträglichkeit durch Einsparpotentiale, Erhöhung der Wirt-

schaftlichkeit durch vielfältige Möglichkeiten der Einflussnahme sowie

Gewährleistung der Versorgungssicherheit durch Transparenz auch im

Verteilungsnetz. Schließlich ermöglichen Web-Technologien ein Port-

folio von energienahem Mehrwert für Endkunden und sind damit für

Energieinformationsnetze von konstitutivem Charakter.

98 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

7 Herausforderungen

7.1 Handlungsbedarf zur Standardisierung

7.1.1 Harmonisierung und Erweiterung von 61850 & CIMDie IEC 61850 und die IEC 61970 Familie sind bislang in sämtlichen

wichtigen Standardisierungsroadmaps als relevante Standards für das

künftige Energieinformationsnetz identifiziert worden. Durch das benö-

tigte Zusammenwirken von IT und Automation in der SIA müssen die

beiden Standards jedoch für eine operative Umsetzung besser harmo-

nisiert werden. Dabei sind vor allem die folgenden drei Anwendungs-

fälle zu unterscheiden [48].

Harmonisierung der semantischen Modelle: Bei den Arbeiten zur

Harmonisierung der statischen Modelle sollte vermieden werden, neue

konkrete Klassen bei jeweiligen Standards in ihren Metamodellen zur

Harmonisierung hinzuzufügen. Stattdessen sollten Assoziationen zwi-

schen den Klassen hergestellt werden. Die UML-Modelle der Standards

sollten um Assoziationen zwischen dem CIM IEC 61970-301 Modell

und der IEC 61850-7-2 erweitert werden.

Zur Modellierung der Beziehungen zwischen den Standards soll OWL

genutzt werden. Zusätzlich sollte das überarbeitete CIM-Modell auf

jeden Fall eine Möglichkeit bieten, die Datenattribute Name, Qualität,

Skalierung, Einheiten und Beschreibung aus der IEC 61850 abzubilden.

Harmonisierung der Konfigurationsmodelle: Als nötige Arbeiten im

Bereich der Harmonisierung von Konfigurationsdaten und -dateien

werden die folgenden Anforderungen gesehen. Für jedes Projekt sollte

das genutzte Schaltanlagenmodell im SCD-Format (Substation Auto-

mation System Description) und die Netztopologie als Single-Line-

Diagramm in CIM mittels CIM/XML beschrieben werden. Im Fall einer

Konvertierung zwischen den Modellen wird ein vordefiniertes Mapping

in Form einer OWL-Mappingbeschreibung genutzt, um die Konfigurati-

onsdaten in ihr Zielformat umzuwandeln.

Harmonisierung der Laufzeitdaten: In Bezug auf die Harmonisierung

von Laufzeitdaten, d.h. Datenpunkten aus der Leittechnik, gelten

folgende Empfehlungen. Um die Kopplung zu verbessern, sollten die

Field Device Communication Interfaces gemäß ACSI implementiert und

mit dem GID bzw. der OPC UA harmonisiert werden, um eine IEC TC57

Physical View aus der –40Xer Familie des CIM dazu zu nutzen, die

Daten aus der Schaltanlage bzw. dem verteilten Erzeuger standardkon-

form darstellen zu können.

99 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

7.1.2 Abbildung von IEC 61850 auf IEC 61499Die verteilten Informationsmodelle (IEC 61850 und IEC 61400-25)

lassen sich vorteilhaft mit dem Ansatz der Beschreibung von verteilten

Automatisierungsaufgaben nach IEC 61499 verknüpfen. Beide Normen

würden sich an den Stellen ergänzen, wo die Lücken der jeweils ande-

ren sichtbar werden. IEC 61850 enthält kein Modell für interoperable

Funktionen, definiert jedoch Informationsmodelle, stellt zudem eine

Konfigurationssprache bereit und beschreibt den Informationsaus-

tausch für verteilte Prozesse. Die IEC 61499 definiert ein Modell zur

Beschreibung interoperabler Funktionen, bietet aber keine konkrete

Kommunikationslösung und keine konkreten Modelle wie Spannungen

und Ströme in einem Drehstromnetz. Die wesentlichen Aspekte der

dezentralen Automatisierung in der Netzleittechnik können durch die

beiden aufeinander abgestimmten Normen abgedeckt werden. Die

Stärken beider Normen kommen in der Kombination zur Entfaltung,

indem sie die nachhaltige funktionale Interoperabilität der großen Fülle

von intelligenten Automatisierungs-Komponenten zukünftiger verteilter

Energieversorgungssysteme befördern.

Erste Arbeiten und Demonstratoren der kombinierten Anwendung

von IEC 61499 und IEC 61850 finden bereits Anklang in der Indust-

rie: Der Verteilungsnetzbetreiber ENERGEX (Brisbane, Australien) und

die Universität Auckland (Neuseeland) implementieren beispielsweise

einfache Verteilungsnetz-Automa tisierungs aufgaben mit IEC 61850 und

IEC 61499. Das Ziel besteht darin, die Potentiale bei der integrierten

Anwendung der beiden Normen festzustellen.

In [51] wurde die Machbarkeit der verteilten Steuerung von Energie-

verteilungsnetzen mit IEC 61499 und den Informationsmodellen von

IEC 61850 untersucht. Die einzelnen Elemente eines Verteilungs netzes

können durch jeweils einen (zusammengesetzten) Funktionsblock

repräsentiert werden. Das Netzwerk der Funktions blöcke bildet dann

das verteilte Steuerungsprogramm.

Ein Ansatz zur Modellierung von logischen Knoten der IEC 61850 als

Funktionsblöcke besteht darin, jeden logischen Knoten durch einen

Composite-Funktionsblock darzustellen, der aus drei Hauptblöcken

zusammengesetzt ist:

� DataBase: Enthält die Daten und Dienste des modellierten logischen

Knoten

� ServiceInterpreter: Ist für die Umsetzung der Dienstaufrufe der

IEC 61850 zuständig

� Intelligence: Umfasst die Logik für Entscheidungsfindung und

Verständi gung mit anderen logischen Knoten

Die Abbildung von IEC 61850 auf IEC 61499 kann in einem weiteren

Teil der Normenreihe IEC 61850 definiert werden. Dazu gehören Festle-

gungen, wie die in einem Informationsmodell nach IEC 61850 bzw. IEC

61400-25 (hier in einem logischen Knoten) beschriebenen Eingangs-

100 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

und Ausgangswerte (Data Objects) auf die Eingangs- und Ausgangs-

variablen eines Funktionsbausteins nach IEC 61499 abgebildet werden

und wie der Ereignisfluss zwischen Funktionsbausteinen, die logische

Knoten implementieren, in einem IEC-61499-Netzwerk auf die Kom-

munikationslösungen nach IEC 61850 (GOOSE, Sampled Values und

Client-Server) übertragen werden.

7.1.3 Sicherstellung von Interoperabilität / KonformitätAuf Grund der zunehmenden Vernetzung von Komponenten in den

Energieversorgungsnetzen untereinander als auch mit der Leittechnik

bzw. intelligenten, dezentralen Steuerungs- und Regelungseinheiten, ist

die Interoperabilität der Komponenten zueinander und im System eine

unerlässliche Notwendigkeit. Nur durch eine durchgängige Interopera-

bilität kann ein funktionierendes Gesamtsystem aufgebaut und betrie-

ben werden, ohne dass häufige Ausfälle oder Fehler einen solchen

Betrieb stören. Prinzipiell ist zwischen einer Interoperabilität auf Kom-

munikationsebene und Applikationsebene zu unterscheiden. Während

für die Applikationsebene vor allem durch sinnvolle Profilierungen Inte-

roperabilität zu gewährleisten ist, so ist dies für die Kommunikations-

ebene nicht in dieser Weise erforderlich. Grund dafür ist, dass sich die

Kommunikation als solche vollständig und eindeutig beschreiben lässt.

Der Bereich der Applikationen ist in der Regel ungleich größer, sehr viel

schwieriger konkret zu beschreiben und eindeutig zu definieren. Grund

hierfür ist, dass Standards oftmals ausreichend Freiheiten und Flexibili-

täten zugestehen, um Anwendern individuelle Lösungen für ihren spezi-

ellen Bedarf zu ermöglichen. Für die Interoperabilität ist die Konformität

eine notwendige aber keineswegs hinreichende Voraussetzung. Von

Konformität spricht man in diesem Zusammenhang bei einer Überein-

stimmung des Verhaltens einer Komponente entsprechend einer Norm

und der Erfüllung dort festgelegter Forderungen. Weitergehend ist die

Definition von Interoperabilität. Diese wird definiert als Fähigkeit von

zwei oder mehr nicht identischen Komponenten, Informationen auszu-

tauschen und diese Informationen für eine korrekte Zusammenarbeit zu

verwenden, ohne dazu weitere Absprachen treffen zu müssen.

Letztlich können Konformität und Interoperabilität nicht analytisch

nachgewiesen, sondern nur durch entsprechende Testverfahren geprüft

werden, die jedoch prinzipiell keinen Anspruch auf Vollständigkeit

haben. Bei allen Bemühungen, solche Eigenschaften festzustellen,

verbleibt schließlich stets ein gewisses Restrisiko, dass sich eine Kom-

ponente trotz vorheriger erfolgreicher Überprüfung in einer bestimmten

Situation als nicht konform bzw. nicht interoperabel erweist. Ziel muss

es daher stets sein, das verbleibende Restrisiko auf ein Minimum zu

beschränken.

Um diesem Ziel möglichst nahe zu kommen, ist ein bewährter Ansatz,

sowohl das positive als auch negative Verhalten einer Komponente zu

testen. In Positivtests soll eine Komponente dabei genau das Verhalten

101 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

zeigen, was der zugedachten Funktionalität entspricht. Bei Negativtests

wird dagegen das definierte Fehlerverhalten abgefragt, indem eine

gezielt fehlerbehaftete Situation eingestellt wird.

Ein nicht interoperables Verhalten kann insbesondere auf folgende

Ursachen zurückgeführt werden [38]:

1. Der Standard ist nicht eindeutig genug und lässt einen Interpretati-

onsspielraum

2. Fehlerhafte (bzw. nicht weit genug reichende) Implementierung in der

Komponente

3. Restriktionen durch einen Hersteller einer Komponente gegenüber

dem Standard

4. Nicht vollständig interoperabler Engineering-Ansatz unterschiedlicher

Tools im Systemdesign

Im Zusammenhang mit Interoperabilität und entsprechenden Tests ist

es wichtig, diese systemweit zu testen. Alle miteinander auf Basis eines

oder mehrerer Protokolle kommunizierenden Komponenten müssen in

Interoperabilitätstests einbezogen werden. Auch hier sind Positiv- und

Negativtests ein sinnvoller Ansatz. Im Gegensatz zur deutlich über-

schaubareren reinen Kommunikation ist allerdings die Applikations-

ebene in der Regel individuell ausgeprägt. Dies macht die Verwendung

standardisierter Tests, wie es sie für den Konformitätsnachweis gibt,

unmöglich. Vielmehr müssen diese Tests dem jeweiligen System, seiner

Komponenten und Funktionsbeziehungen Rechnung tragen. Sie sind

daher sehr aufwendig. Die beste Absicherung ist die Nutzung ausge-

reifter Produkte und die Verwendung von Profilen, welche die große

Flexibilität eines Standards auf das Notwendige eingrenzen. Ferner

trägt die Beschränkung auf möglichst wenige Typen potenziell mög-

licher Komponenten eines Systems dazu bei, die Interoperabilität zu

unterstützen.

Berücksichtigt man die Aspekte zur Erreichung eines hohen Grads an

Interoperabilität, so kommt man dem meist ebenso verfolgten Ziel einer

Austauschbarkeit näher. Austauschbarkeit bedeutet die Möglichkeit,

zwei Komponenten gegeneinander auszutauschen ohne Änderungen

am System vornehmen zu müssen, wobei die ursprüngliche system-

weite Gesamt-Funktionalität gewahrt bleibt.

Die wichtigste Grundlage für die Entwicklung und den Einsatz konfor-

mer, interoperabler und möglichst austauschbarer Komponenten ist ein

geeigneter Standard, welcher klar definiert ist und Ambivalenzen ver-

meidet. Erfahrungsgemäß führt der Prozess der Standardisierung dann

schnell zu einer ausgereiften und erfolgreichen Norm, wenn dieser von

Editoren mit unterschiedlichen Perspektiven entwickelt wurde. Daher ist

es höchst empfehlenswert, Normen gemeinsam durch Hersteller und

Anwender von Produkten zu erarbeiten.

Nicht zuletzt ist es sinnvoll, sich auf zukunftsweisende Normen zu

stützen, also solche, die möglichst internationale Akzeptanz finden.

102 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

Zudem ist es vorteilhaft, nur die Protokolle zu verwenden, welche für

den Einsatz und Aufbau eines Systems notwendig sind. Ungünstig ist

dagegen, wenn sich verschiedene Protokolle mit der gleichen Intension

und Anwendungsspektrum parallel etablieren, so wie es z.B. derzeit im

Bereich des Smart Metering der Fall ist. Dies erhöht das notwendige

Maß an Gateways zur Protokollumsetzung, sofern Informationen zwi-

schen Systemen ausgetauscht bzw. von anderen Instanzen verwendet

werden sollen. Parallele Protokolle behindern den Informationsaus-

tausch, machen Systeme aufgrund notwendiger Gateways anfälliger

und führen insgesamt zu höheren Kosten. Eine zukunftsweisende Fest-

legung auf ein gemeinsam akzeptiertes, unterstütztes Protokoll macht

sowohl im Kreis von Herstellern wie auch Anwendern Sinn und fördert

systemweite Interoperabilität.

7.2 Empfehlungen

7.2.1 Forcierung notwendiger EntwicklungenUm das Ziel eines ganzheitlichen intelligenten Energieversorgungssys-

tems zu erreichen, das allen zu stellenden Anforderungen gerecht wird,

ist eine Vielzahl von Entwicklungen notwendig.

� Auf allen Ebenen von der fachlichen Gesamtarchitektur der Ver-

sorgungssysteme über konkrete technische Prozessarchitekturen,

unterstützenden IT-Architekturen bis hin zu physischen und infor-

mationstechnischen Sicherheitsarchitekturen müssen angemessen

robuste und resiliente Architekturkonzepte entwickelt werden.

� Diese werden in konkrete Infrastrukturen implementiert werden

müssen, wozu je nach Betrachtungsgegen stand oder angedachter

Lösung der Problemstellung gegebenenfalls

� neue elektrophysikalische, Steuerungs- und/oder Kommunikations-

technologien einschließlich evtl. benötigter Protokolle und Interfaces

weiter- oder neu entwickelt und durch die Neuentwicklung konkreter

� technischer Komponenten unterlegt werden müssen.

Entwicklungsbedarf wurde im Rahmen des Diskussionsprozesses in

vielen Bereichen deutlich. Anstatt an dieser Stelle einzelne Punkte her-

auszugreifen, soll hier noch einmal zur Berücksichtigung der allgemei-

nen Anforderungen an die zukünftigen Versorgungssysteme aufgerufen

werden. Für Protokolle und Schnittstellen könnte das z.B. bedeuten,

dass zumindest für unverzichtbare Funktionen und Prozesse die jeweils

notwendigen Kommunikationsabläufe für den Fall der Bewältigung

von Krisenlagen (z.B. zur gezielten „Graceful Degradation“) und zum

Wiederanlauf (z.B. nach großflächigen Ausfällen) mit modelliert werden

sollten.

103 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

7.2.2 Voraussetzungen für Erhaltung der Versorgungssicherheit schaffen

Die Entwicklung der Gesamtarchitektur der zukünftigen intelligenten

Versorgungssysteme sollte immer auch als Ganzes betrachtet werden.

Dabei muss sichergestellt werden, dass bei der unvermeidbaren konti-

nuierlichen Fortentwicklung die Versorgungssicherheit nicht gefährdet

wird. Alle Bedrohungskategorien müssen als Ursache für Störungen

betrachtet werden – von prozesstechnischem, infrastrukturellem,

betrieblichem, menschlichem oder komponentenbezogenem techni-

schem Versagen über höhere Gewalt, Naturphänomene und -katast-

rophen bis hin zu ungezielten oder gezielten Angriffen prozesstechni-

scher, physischer oder informationstechnischer Art.

Unverzichtbare Kernfunktionen und -prozesse der intelligenten Ener-

gieversorgung dürfen nicht von (zeitweise) verzichtbaren Funktionen

und Prozessen abhängen und nicht von Letzteren gefährdet werden

können. Zeitweise verzichtbare Funktionen der zukünftigen Versor-

gungssysteme sollten so gestaltet werden, dass eine problemlose

Wiederinbetriebnahme nach Ende der Beeinträchtigungen möglich ist.

Dazu müssten dann – je nach modelliertem Gegenstand – z.B. für den

Fall der Unterbrechung benötigter Kommunikationswege Mechanis-

men für einen sauberen Halt oder ein geeigneter Rückfall auf einen rein

lokalen Betrieb implementiert werden. Nach Ende der Beeinträchtigung

müsste dann die Rückkehr in den Normalbetrieb problemlos erfolgen

und Daten ggf. nachträglich sauber abgeglichen werden können.

7.2.3 Überwindung fachlicher GrenzenDie Digitalisierung der „letzten Meile“ im Energieversorgungsnetz hat

begonnen und hierdurch werden Automatisierungssystem und Tele-

kommunikationsnetze als Energieinformationssystem zusammen mit

dem Energieversorgungssystem zu einem Smart Grid zusammen-

wachsen (müssen). Die Fach spezialisten der Energieversorgungsnetze

werden die Erfahrung machen, dass Telekommunikationsnetze auf-

grund der Komplexität eine größere Störungsanfälligkeit aufweisen und

mehr Wartung und Pflege für einen reibungsfreien Betrieb erfordern,

als sie dies von Energieversorgungsnetzen gewohnt sind. Die Fachspe-

zialisten der Telekommunikationsnetze werden lernen müssen, dass

zeitliche Abstände von Releasewechseln (bspw. bzgl. der Infrastruk-

turkomponenten im Feld) in der Energieversorgung eher in Dekaden

gerechnet wird, als in Monaten und Jahren. Damit die Energieversor-

gung in der Zukunft mit der erforderlichen Zuverlässigkeit und Sicher-

heit funktioniert, müssen Energieversorgungssysteme zusammen mit

den Energieinformationssystemen als ganzheitliche Einheit aufgefasst

werden. Insofern müssen heute noch bestehende gedankliche Grenzen

zwischen Energieversorgung, Telekommunikation und Automatisierung

überwunden werden. Ein Schritt in diese Richtung ist die weitere Detail-

lierung des in Abschnitt 4 beschriebenen generischen Modells, um es

104 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

zu einem einheitlichen Beschreibungsmodell für Energieinformations-

netze weiter zu entwickeln. Ein solches Modell bildet dann die Basis zur

Entwicklung von Inventarisierungssystemen, Operation-Support-Sys-

temen, Business-Support-Systemen und Netzführungssystemen, die

speziell auf die Anforderungen von Energieinformationsnetzen zuge-

schnitten sind und eine optimale Unterstützung für den zuverlässigen

und sicheren Betrieb bieten

7.2.4 Einbindung der Informationstechnologie für Smart MeteringDie aus dem Paradigmenwechsel entstehenden Veränderungen der

Energie-Verteilung und der Verteilungsmodelle durch den Übergang von

lastabhängigen Nachfrage-Modellen zu hoch dynamischen Prozessen

erfordert die verstärkte Einbindung der Informationstechnologie. Das

Internet der Energie als Drehscheibe für Energiedaten und die Energie-

Informations-Verarbeitung werden durch „Smart Metering“ erst möglich

und schaffen dadurch eine neue Dimension für das Daten- und Infor-

mations-Management.

Alle Veränderungen werden einen erheblichen Einfluss auf zukünftige

Geschäftsprozesse, die Gestaltung der hierzu erforderlichen IT-Systeme

und des darauf ausgelegten Informations-Managements ausüben.

Die Hauptmotivation für den Einsatz von „Smart Metering“ besteht in

den folgenden Aspekten:

� Verbesserung der Energie-Verbrauchs-Steuerung insbesondere im

aktiven Verteilungsnetz

� Einbindung zusätzlicher Marktteilnehmer und Rollen im Gesamtkon-

text Multi-Utility und Smart Home

� Gestaltung und Optimierung der internen Geschäftsprozesse mit

Potential zur Reduktion der Betriebskosten

� Erweiterung des Leistungs- und Service-Portfolios sowie Einführung

neuer Tariffierungs-Modelle für ein pro-aktives Kunden-Management

(CRM)

� Umsetzung neuer Geschäftsmodelle zur Optimierung der Laststeue-

rung, Demand Response sowie E-Mobility.

Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass durch Smart Metering ein hohes

Volumen an Daten verfügbar wird, die möglichst zeitnah verarbeitet

werden müssen. Hinzu kommen die Themen Daten-Konsistenz, Plausi-

bilität, Korrektheit und natürlich auch Daten-Sicherheit. Es werden Ana-

logien zur IT-Entwicklung in der Telekommunikations-Branche deutlich.

In diesem Zusammenhang wird die hohe Bedeutung der Wirtschafts-

informatik im Rahmen der Analytik, der Modellierung und Gestaltung

der IT-Prozesse und -Systeme ersichtlich [28].

105 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

7.2.5 Berücksichtigung der IKT-AnforderungenInsbesondere die in Abschnitt 2.4 eingeführten „Anforderungen an

Informations- und Kommunikationstechnologie“ sollten im Rahmen

der weiteren Entwicklung der Energieinformationsnetze und -systeme

für die nachhaltigen intelligenten Energieversorgungssysteme berück-

sichtigt werden. Gleichzeitig sollten diese Anforderungen selbst gezielt

breiter diskutiert und gegebenenfalls fortentwickelt oder um bisher

nicht berücksichtigte Punkte erweitert werden.

7.2.6 Gewährleistung von Robustheit und ResilienzAnwendungen, Verfahren, Dienste und die darunterliegenden Architek-

turen sollten schon auf fachlicher Ebene robust und resilient geplant

und aufgesetzt werden. Dazu gehört, bereits beim Design auch die für

die Bewältigung von Störungen und Krisenlagen notwendigen System-

eigenschaften zu berücksichtigen. Inwieweit der jeweils betrachtete

Gegenstand dabei auch beziehungsweise gerade bei Störungen oder

Krisenlagen zuverlässig verfügbar sein muss oder nur nach Beendigung

der Beeinträchtigungen möglichst problemlos wieder in den Betrieb

zurückkehren muss, hängt von der jeweiligen Bedeutung im Gesamt-

system der Versorgung ab.

7.2.7 Begrenzung der Abhängigkeiten von anderen InfrastrukturenBezüglich der Abhängigkeiten von anderen Infrastrukturen außerhalb

der Energieversorgungssysteme muss auf eine ausreichend hohe

Robustheit gegen Interdependenzprobleme geachtet werden. Bei-

spielsweise kann kein Verlass auf die Verfügbarkeit des Internets weder

als Gesamtinfrastruktur noch einzelner Kommunikationsknoten sein.

Auch muss mit über das Internet wirkenden Gefährdungen gerechnet

werden. Mit Einschränkungen besteht diese Problematik ggf. auch für

halboffene, IP-basierte Netze mit vielen Teilnehmern. Problematisch

sind aber ggf. auch kritische Abhängigkeiten von anderen Kommu-

nikationsinfrastrukturen. Wie kritisch Abhängigkeiten z.B. von GSM/

Mobil kommu nikations diensten oder festnetzbasierten Standard-

IKT-Infra struk turen sein dürfen, muss im Einzel fall qualifiziert geprüft

werden. Bei Nutzung solcher externen Infrastrukturen müssen ggf.

Notbetriebsmodi und Krisenüberwindungsmechanismen für den Zeit-

raum der Nichtverfügbarkeit oder schwerwiegender Beeinträchtigungen

der Kommunikations infrastrukturen implementiert werden. Der Wieder-

anlauf von Versorgungssystemen (insbesondere der Elektrizitätsver-

sorgung) nach lange anhaltenden, großflächigen Ausfällen muss auch

ohne solch externe Kommunikationsinfrastrukturen möglich sein.

7.2.8 Begrenzung der KomplexitätEine stark ansteigende Komplexität der Energieversorgungssysteme als

Gesamtinfrastrukturen ist unausweichlich. Um die Versorgungssysteme

dennoch im Griff zu behalten, muss die Komplexität gezielt beobachtet

106 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

und auf das notwendige, sowohl technisch als auch wirtschaftlich noch

kontrollierbare Maß beschränkt werden. Deshalb wird eine verteilte

Automatisierung von Netzführung und von Marktmechanismen in regio-

nal agierenden, aber überregional verbundenen energetischen Regel-

kreisen empfohlen. Dabei sollte auch sichergestellt werden, dass das

notwendige Betriebswissen für die immer komplexeren Infrastrukturen

dauerhaft verfügbar bleiben muss und eine ausreichende Betriebsper-

sonaldecke aufrecht erhalten werden kann.

7.2.9 Beachtung der grundsätzlichen AnforderungenDie kontinuierliche Entwicklung hin zu intelligenten Versorgungssyste-

men der Zukunft kann nur erfolgreich sein, wenn alle Beteiligten sich

über die grundsätzlichen Anforderungen im Klaren sind. Aufgrund der

überragenden Bedeutung der Versorgungssysteme steht dabei die Ver-

sorgungssicherheit zweifellos an erster Stelle. Andere Anforderungen

z.B. bzgl. Wirtschaftlichkeit oder Offenheit für die Weiterentwicklung

dürfen dabei aber nicht vernachlässigt werden. Hersteller, Integratoren,

Betreiber, Großnutzer, aber auch Regulatoren und ggf. selbst kleinere

Nutzer müssen hier entsprechend eingebunden werden.

7.2.10 Systemweite Interoperabilität durch StandardsSystemweite Interoperabilität ist eine zwingende Voraussetzung für

Aufbau, Betrieb und Wartung großer Systeme. Im Bereich der Energie-

versorgung steigen die Anforderungen an den Informationsaustausch

gegenwärtig an und bedingen teils komplexe Kommunikationsbezie-

hungen. Alle verwendeten Protokolle für die Kommunikation in einem

solchen Energieinformationsnetz müssen zukunftsweisend sein [15].

Es sollte stets international akzeptierten Normen der Vorzug vor pro-

prietären Protokollen gegeben werden. Gleichzeitig sollte die Anzahl

der verschiedenen Protokolle auf das Notwendigste beschränkt und so

die Anzahl von Gateways so gering wie möglich gehalten werden, um

eine weitreichende Interoperabilität zu fördern. Konformitäts nachweise

und Interoperabilitätstests sollten insbesondere in kritischen Bereichen

eingefordert werden.

7.2.11 Trennung betrieblicher und wirtschaftlicher DiensteWo immer möglich sollte eine saubere Trennung betrieblicher und

energiewirtschaftlicher Dienstanteile erfolgen. Schädliche Rückwirkun-

gen aus den energiewirtschaftlichen Funktionalitäten auf betriebliche

Funktionalitäten sollten bestmöglich vermieden werden. Wo schädliche

Rückwirkungen nicht ausgeschlossen werden können, muss sicher-

gestellt werden, dass negative Effekte auf ein beherrschbares Maß

beschränkt bleiben.

Negative Auswirkungen betrieblicher Störungen auf energiewirtschaft-

liche Funktionalitäten werden sich naturgemäß nicht vermeiden lassen.

Hier sollten die energiewirtschaftlichen Funktionalitäten so implemen-

107 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

tiert werden, dass sie mit möglichen betrieblichen Störungen umgehen

können. Wo dafür notwendige, geeignete und anwendungs orientierte

Regelungen oder Vorgaben fehlen, müssen diese geschaffen werden

und durch die Politik festgeschrieben werden, um Investitionssicherheit

zu gewährleisten.

7.2.12 Weiterentwicklung unter Einbindung aller BetroffenenDas Positionspapier der ITG-Fokusgruppe ist bewusst als Beitrag für

einen Einstieg in einen konsequenten, systematisch geführten fach-

übergreifenden Entwicklungsprozess hin zu einer zukunftsfähigen,

ganzheitlichen intelligenten Energieversorgung gedacht. Diese Syste-

matisierung sollte dringend erfolgen und bestehende vielversprechende

Ansätze wie die E-Energy-Initiative und die Einrichtung des Kompetenz-

zentrums E-Energy / Smart Grid in der DKE sollten weiter verfolgt und

unterstützt werden.

Der Entwicklungsprozess muss alle Betroffenen einbinden, von den

jetzigen und zukünftigen Großbetreibern der Energieversorgungssys-

teme und der fachlichen und technischen Aufsicht (und ggf. darüber

hinausgehende Vertretung der gesamtgesellschaftlichen Interessen)

über Technologie-Entwickler, Hersteller und Integratoren bis hin zu einer

geeigneter Einbindung zukünftiger Dienstleister und der Vertretung der

Interessen mittlerer, kleiner und kleinster dezentraler Anbieter wie auch

der Nutzer allgemein.

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GlossarAbwicklungs- und Einigungsdienstleister

(en: Clearing & Settlement):

Systemrolle zur Übernahme der Haftung zum Abdecken der zukünfti-

gen Vertragseinigungen zwischen Marktpartnern und Beistellung des

Vertragspartners bei Handelsgeschäften an der Energiebörse

Akteur:

Natürliche oder juristische Person als Dienstenehmer in Verantwortlich-

keit einer Systemrolle in der virtuellen Diensteebene des intelligenten

Energiesystems sowohl als auch technisches Element in Form eines

physischen Gerätes (siehe auch Begriff Element) in einer Wirkungsdo-

mäne des intelligenten Energieversorgungssystems als Infrastrukture-

bene, das als Teilnehmer des intelligenten Energieversorgungssystems

mit Elementen für Erzeugung (Energiequellen), Verbrauch (Energiesen-

ken), Speicherung (Energiesenken und -quellen) und Netzbetrieb, als

Teilnehmer des Automatisierungssystems mit Elementen zur Messung,

Schaltung, Steuerung und Regelung sowie als Teilnehmer des Telekom-

munikationssystem mit den Elementen Gateway und Dienstegenerie-

rungspunkt eingesetzt wird.

Aktivität:

Ablauf im Anwendungsfall innerhalb einer Wirkungsdomäne im intelli-

genten Energiesystem mit Definition einer Eingabe über einen Sender-

Akteur sowie einer Ausgabe über einen Empfänger-Akteur

Anlagen:

Wirkungsdomäne für die energienutzenden Anlagen im gewerblichen

und industriellen Bereich

Anwendungsfall (en: Use Case):

Struktur zur Bündelung von Aktivitäten, die von einem Akteur benutzt

werden, um mit Diensten auf Informationsobjekte einzuwirken, wobei

die innere Struktur soweit zu vereinbaren ist, dass Objektmodelle und

Dienste-Schnittstellen Bestandteil der Normung werden.

Anwendungsfallszenario:

Anwendungsfall-Gruppierung für Teilprozesse zum Einsatz in verschie-

denen Geschäftskonzepten übergreifend über mehrere Hauptfunktions-

gruppen

Automatisierungssystem:

Summe der Teilnehmer zur Automatisierung im intelligenten Energie-

versorgungssystem (Smart Grid)

113 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

Beeinflusser:

Rollengruppe zur Gruppierung von weiteren den Energiemarkt und das

Energiesystem beeinflussenden Stakeholdern

Bilanzkreis (en: Balancing area):

Bilanzkreis Definition nach EnWG § 3, 10a: im Elektrizitätsbereich die

Zusammenfassung von Einspeise- und Entnahmestellen, die dem

Zweck dient, Abweichungen zwischen Einspeisungen und Entnahmen

durch ihre Durchmischung zu minimieren und die Abwicklung von Han-

delstransaktionen zu ermöglichen

Bilanzkreiskoordinator (Abk.: BKK; en: Balance Grid Coordinator),

analog zu Regelzonen-Verantwortlicher (en: Control Area

Manager):

Systemrolle, die in einer Regelzone alle relevanten Daten von den

Bilanzkreisverantwortlichen zusammenführt, Bilanzabweichungen

ermittelt und für den finanziellen Ausgleich zwischen den Bilanzkreis-

verantwortlichen für zuviel oder zu wenig gelieferte Energie in der

Bilanzkreisabrechung sorgt

Bilanzkreisverantwortlicher (Abk.: BKV; en: Balance Responsible

Party):

Systemrolle mit der wirtschaftlichen und energetischen Verantwortung

für eine ausgeglichene Bilanz von Entnahmen und Einspeisungen in

seinem Bilanzkreis (BK), der die Fahrpläne seines Bilanzkreises an

den Bilanzkreiskoordinator sendet und vom Bilanzkreiskoordinator die

genutzte Ausgleichsenergie berechnet bekommt.

Bündelrolle:

Rechtsgeschäftsfähige Instanzen zur Bündelung von granularen Sys-

temrollen im Wertschöpfungsnetzwerk des intelligenten Energiesystems

Dienstenehmer:

Organisatorische Ausprägung in Form einer natürlichen Person oder

juristischen Person, die Verantwortlichkeiten von Systemrollen über-

nimmt

Domänengruppe:

Gruppe von Systembereichen mit definierten Grenzen und innerhalb

der Gruppe mit ähnlichen Strukturen, mit denen eine grobe Einteilung

des gesamthaften intelligenten Energieversorgungssystems anhand des

physischen Stromflusses bzw. der informationstechnischen Verbindun-

gen vorgenommen werden kann.

114 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

E-Energy (Leuchtturmprojekt „E-Energy: IKT-basiertes

Energiesystem der Zukunft“):

Förderprogramm der Bundesregierung, das mit hoher Breitenwirksam-

keit in sechs Modellregionen neue Ansätze zur Optimierung der Strom-

versorgung durch den Einsatz moderner Informations- und Kommuni-

kationstechnologien (IKT) entwickelt und erprobt

Anmerkung: In dem vom Bundesministerium für Wirtschaft und Tech-

nologie (BMWi) initiierten Programm werden in ressortübergreifender

Partnerschaft mit dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz

und Reaktorsicherheit (BMU) entsprechende FuE-Aktivitäten mit ins-

gesamt etwa 60 Mio. € gefördert. Damit wird ein Gesamtvolumen von

rund 140 Mio. € mobilisiert. E-Energy soll das Optimierungspotenzial

der IKT mit der Entwicklung des Internets der Energie und des zukünf-

tigen Marktplatzes der Energie erschließen, um mehr Wirtschaftlich-

keit, Versorgungssicherheit sowie Klima- und Umweltverträglichkeit in

der Stromversorgung zu erreichen. So sichert E-Energy substantielle

Innovations-, Wachstums- und Beschäftigungspotenziale am Standort

Deutschland und vermindert nachhaltig die Abhängigkeit von Energie-

importen.

Elektrizitätsversorgungssystem:

Gesamtheit der Energieversorgungselemente zur Erzeugung, Verbrauch

und Speicherung von elektrischer Energie sowie des Elektrizitätsversor-

gungsnetzes

Elektrizitätsversorgungsnetz:

Gesamtheit aller Energieversorgungselemente zum Netzbetrieb mit

Leitungen und Knoten zur Übertragung und Verteilung von elektrischer

Energie,

Elektrofahrzeuge:

Wirkungsdomäne für die energienutzenden elektrisch betriebenen

Fahrzeuge

Energiebörse (en: Energy exchange):

Systemrolle, die einen Großhandelsplatz für Energie und energienahe

Produkte betreibt

Energiedienste, intelligente (en: Smart energy services):

Bündel von Softwarediensten für den Energiemarkt und für die Energie-

netzführung; auch beschrieben durch eine elektronische Dienstekom-

munikation über das IP-Protokoll und damit ein Bereich im Internet der

Dienste

115 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

Energiedienstleister (en: Energy service provider):

Systemrolle für Energiedienstleistungen wie beispielsweise Energiebera-

ter, Energiedatenverarbeitung, Contracting und Systemdienstleistungen

Energiedienstleistungsmarkt:

Wirkungsdomäne für die Zusammenführung von Energiedienstleitungen

und Leistungsnehmern

Energiegewinnung (en: Energy generation):

Erzeugung von elektrischer Energie und Wärmeenergie durch

Umwandlungs prozesse aus anderen Energieformen

Energiegroßhandelsmarkt:

Wirkungsdomäne für den zentralen Energiemarkt in Verbindung mit

überregionalen Energiebörsen

Energiehändler (en: Energy trader):

Systemrolle, die durch aktives Portfolio- und Risikomanagement

gewinnbringenden Handel mit Energie betreibt, wobei alle Möglichkeiten

für Kauf-, Verkaufs- und Tauschgeschäfte von Energie und energie-

bezogenen Leistungen einschließlich ihrer Derivate genutzt werden

Energieinformationsnetze und -systeme:

Summe der Knoten für Informationstransport im Telekommunikations-

system und Teilnehmern bzw. Betriebsmittel des Automatisierungssys-

tems als Erweiterung des weitgehend passiven Energieversorgungssys-

tems zur Bildung des intelligenten Energieversorgungssystems

Energieinformationssystem:

Dieser Begriff wird in diesem Dokument synonym zu „Energie-

informationsnetze und -systeme“ verwendet.

Energielieferant (en: supplier):

Systemrolle zur Beschaffung von Energie in Form von Elektrizität,

Wärme und Gas sowie zur vertraglichen Lieferung von Energie an

Energie nutzer als Anschlussnehmer im Rahmen eines Energieliefer-

vertrags unter Nutzung des Verteilungsnetzes über einen Lieferanten-

rahmenvertrag

Energiemanagement-Gateway (EMG):

Physisches Gerät, bestehend aus Hardware eines Rechnersystem

zuzüglich eines Betriebssystems, einer virtuellen Laufzeit-Maschine,

einer hardwareunabhängigen dynamischen Softwareplattform als

Programmiergerüst, sowie einem Applikations- und Kommunikations-

Framework zur Abbildung von Kommunikationsstacks, Ressourcen-

beschreibung und Basisfunktionen

116 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

Energiemanager (EM):

Softwarelösung, bestehend aus gerätespezifischen Energieservices,

die auf das Applikations- und Kommunikations-Framework des Ener-

giemanagement-Gateways zugreifen, sowie weiterhin bestehend aus

Energieautomatisierungs-Services, die einerseits die gerätespezifi-

schen Services und die Geräteressourcen zur Inhouse-Kommunikation

nutzen, aber auch anderseits die Schnittstelle zum aktiven Verteilungs-

netz darstellen

Energienetzführung:

Dienste für die Führung von Energieversorgungsnetzen als Elektrizi-

tätsnetze und Wärmenetze in den Leitwarten sowie in der dezentralen

Automatisierungsebene

Energienutzer (en: consumer):

Systemrolle, die der energiebeziehende Verbraucher einsetzt und damit

am Netz als Energiesenke partizipiert, wobei die Rolle im allgemeinen

in die vier Kategorien der Rolle Energienutzer in Wohnobjekten (en:

Consumer Residential), Energienutzer in kommerziellen Objekten (en:

Consumer Commercial), Energienutzer in der Industrie (Consumer

Industrial), sowie Energienutzer im Transportbereich (Consumer Trans-

portation) unterteilt wird.

Energienutzungseinrichtung:

Domänengruppe für Geräte und Anlagen in Objekten der Netznutzer

und Ausstattungen in mobilen Objekten zur Nutzung von elektrischer

Energie und Wärmeenergie

Energiemarkt (en: Energy market):

Domänengruppe für die Teilmärkte der Energiewirtschaft

Energiemarktplatz (en: Energy marketplace):

Akteur als Drehscheibe und Träger von Diensten für regionale

Geschäfte bezüglich Energiehandel, Energielieferung und Energie-

dienstleistung inklusive des Angebotes von regionaler Reserveenergie

und von Systemdienstleistungen zwischen den Rollen im Energiesys-

tem nach definierten Regeln, unter Beachtung von Unbundling und

Mandatentrennung, mit Bereitstellung einer Anreizstruktur und einer

Informationsplattform für Verbrauch, Erzeugung und Netz sowie einer

echtzeitfähigen Kopplung zu den Systemrollen als Dienstenehmer und

den Elementen im intelligenten Energieversorgungssystem

Energiesenken:

Domänengruppe für die energienutzenden Geräte, Anlagen und Fahr-

zeuge des Netznutzers

117 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

Energiesystem:

Gesamtsystem bestehend aus Energieversorgungssystem und den

Prozessen im Energiemarkt und bei der Netzführung

Energieversorgungselement (ESE, en: ESE):

Element im Energieversorgungssystem auf der physischen Infrastruktu-

rebene in Form einer Anlage zur Energiegewinnung, einem energienut-

zenden technischen Akteur, eines Energiespeichers zu Aufnahme und

Lieferung von Energie sowie einem Betriebsmittel zum Energietransport

in Transportnetzen und in Netzen der Netznutzerobjekte; ausgestattet

mit einer bidirektionalen IKT-Schnittstelle aus informationsverarbeiten-

den Bausteinen des Automatisierungssystems, Plattform und Ausfüh-

rungsumgebung als Dienstgenerierungspunkte, Kommunikation und

Middleware, Basisdiensten, Sicherheitsdiensten und Systemdiensten,

wobei die IKT-Schnittstelle als eingebettetes System aber auch als

gesondertes Kommunikations-Gateway und Diensteplattform ausge-

prägt sein kann

Energieversorgungssystem (en: Energy grid):

Gesamtheit der Energieversorgungselemente zur Gewinnung, Nutzung

und Speicherung von Energie sowie des Energieversorgungsnetzes

Energieversorgungsnetz:

Gesamtheit aller Energieversorgungselemente zum Netzbetrieb mit

Leitungen und Knoten zum Transport von Energie

Erneuerbare Energiequellen (en: Renewable energy sources):

Energiegewinnung aus Quellen, die sich entweder kurzfristig von selbst

erneuern oder deren Nutzung nicht zur Erschöpfung der Quelle beiträgt

Erzeuger (en: Generator):

Systemrolle für eine juristische und natürliche Person, die als Produzent

Elektrizitäts- oder Wärmeenergie aus anderen Energieformen gewinnt

und diese in entsprechende Transportnetze einspeist.

Geräte:

Wirkungsdomäne für die energienutzenden Geräte im Wohn- und kom-

merziellen Bereich

Gewerbeobjekt:

Wirkungsdomäne für das Objektnetz im kommerziellen und gewerbli-

chen Gebäudebereich eines Netznutzers als Energienutzer und/oder

Erzeuger, wobei die Objekte durch Anlagen für Strom und Wärme als

Abschlüsse des Verteilungsnetzes sowie ein Kommunikations-Gateway

hin zum Objektnetz in Hoheit des Netznutzers abgegrenzt sind

118 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

Hauptfunktionsgruppe (en: High level function):

Anwendungsfall-Gruppierung für fachliche ähnliche Anwendungsfälle

Industrieobjekt:

Wirkungsdomäne für das Objektnetz im Industriebereich eines Netz-

nutzers als Energienutzer und/oder Erzeuger, wobei die Objekte durch

Anlagen für Strom und Wärme als Abschlüsse des Verteilungsnetzes

sowie ein Kommunikations-Gateway hin zum Objektnetz in Hoheit des

Netznutzers abgegrenzt sind

Intelligentes Energiesystem (en: Smart energy system; kurz auch

Smart energy):

Summe aus intelligentem Energieversorgungssystem (Smart grid) als

physische Ebene, einer Dienste-Middleware, einer virtuellen Ebene der

Energiedienste für den Energiemarkt und für die Energienetz führung

sowie den Dienstenutzern mit Verantwortlichkeiten für definierte

System rollen

Intelligentes Energieversorgungssystem (en: Smart grid):

Verbindung von passivem Energieversorgungssystem und Energiein-

formationssystem, auch beschrieben durch die IP-basierte physische

Vernetzung von Energiesystemelementen und damit ein Bereich im

Internet der Dinge

Internet der Dinge:

auf dem IP-Protokoll basierte Vernetzung physischer Komponenten,

wobei ein intelligentes Energieversorgungssystem auf physischer

Ebene die Energiesystemelemente mit einem Telekommunikations-

system und einem Automatisierungssystem vernetzt und damit das

Smart Grid abbildet

Internet der Dienste:

Energiedienste auf einer virtuellen Diensteebene, für den Energiemarkt-

platz sowie die Energienetzführung, wobei die Dienste durch eine elek-

tronische Dienstekommunikation über das IP-Protokoll verbunden sind

Internet der Energie:

Metapher für das intelligente Energiesystem als Verbindung von Inter-

net der Dinge mit dem Internet der Dienste

Kleinenergiegewinnungsanlage (en: Micro generation):

Wirkungsdomäne für einen Erzeuger von Elektrizitäts- oder Wärme-

energie in Form Kleinanlagen und Kleinkraftwerken, die im Objektnetz

des Netznutzers einspeisen

119 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

Knoten:

Element zum Energietransport im Energieversorgungssystem sowie

zum Informationstransport im Telekommunikationssystem

Kommunikationsnetzbetreiber (en: Grid communications network

operator):

Systemrolle zur Planung, zum Bau und zur Instandhaltung aller Kom-

munikationssysteme, die die Übertragung erforderlicher Daten zur

Netzstabilität, zur Lastbilanzierung, zum Betrieb von Fehlerschutzsys-

temen, zur Erzeugungs- und Verbrauchsmessung, sowie zur Markt-

kommunikation der Geräte und Anlagen des Netznutzers mit anderen

Systemrollen ermöglicht

Kraft-Wärme-Kopplung – KWK (en: Combined heat and power -

CHP):

Aufgabe einer Systemrolle bestimmte Aufgaben zu übernehmen und

für die darauf basierenden Maßnahmen und Handlungen Rechenschaft

abzulegen, um damit eine bestimmte Arbeit oder rechtliche Wirkung zu

übernehmen

Logischer Knoten:

Gruppierung von Objektressourcen eines Energiesystemelementes

Messstellendienstleister (Abk: MDL; en: Metering service provider):

Systemrolle zur Fernauslesung von digitalen, kumulierenden Messgerä-

ten im Auftrag des Anschlussnutzers zur Verbrauchsbestimmung einer

vom Lieferanten über das Netz des Netzbetreibers gelieferten Energie-

menge.

Messstellenbetreiber (en: Metering point operator):

Systemrolle zur Übernahme des Messstellenbetriebs für Einbau,

Betrieb und Wartung der Messeinrichtung

Meter Gateway:

Kommunikationskomponente zwischen den Verbrauchsmesseinrich-

tungen in den Objekten der Netznutzer und auch zum Energiemanage-

ment-Gateway

Netzbetreiber:

Kategorie für Systemrollen, die als Übertragungsnetzbetreiber oder

Verteilungsnetzbetreiber für den sicheren und zuverlässigen Betrieb des

jeweiligen Netzes und für die Verbindungen mit anderen Netzen verant-

wortlich sind

Netznutzer:

Rollengruppe für die Systemrollen der Erzeuger und Energienutzer

120 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

Netznutzerobjekte:

Domänengruppe für die Objekte der Netznutzer als Energienutzer und/

oder Erzeuger, wobei die Objekte durch Anlagen für Strom und Wärme

als Abschlüsse des Verteilungsnetzes sowie ein Kommunikations-Gate-

way hin zum Objektnetz in Hoheit des Netznutzers abgegrenzt sind

Netzzelle (en: Grid cell):

Netzbezirke mit einem vollständigen Satz von mittels Telekommunikati-

onssystem vernetzten Energiesystemelementen und Automatisierungs-

elementen zur Schaffung von eigenständigen Regelkreisen mit Diensten

für Automatenstrukturen zur Ausbildung autonomen Handelns in diesen

Zellen

Objektgerät:

Domänengruppe für die Objekte der Netznutzer als Energienutzer und/

oder Erzeuger, wobei die Objekte durch Anlagen für Strom und Wärme

als Abschlüsse des Verteilungsnetzes sowie ein Kommunikations-Gate-

way hin zum Objektnetz in Hoheit des Netznutzers abgegrenzt sind

Objektnetzzelle (ONZ):

Elektrotechnisch und informationstechnisch eigenständige Netzzelle

bestehend in den Objekten der Netznutzer und Nutzer des Energie-

marktes als Stromerzeuger und als Verbraucher (Prosumer).

Produkt:

innerhalb eines Geschäftskonzeptes angebotene materielle, stoffliche

oder energetische Leistung sowie Dienstleistung

Prosumer (en: Prosumer):

innerhalb eines Geschäftskonzeptes angebotene materielle, stoffliche

oder energetische Leistung sowie Dienstleistung

Prozess:

Tätigkeitsablauf zur Aufgabenabwicklung eines Geschäftsfalles, dar-

stellbar als Anwendungsfall-Abfolge

Regelenergiemarkt:

Wirkungsdomäne für den zentralen Energiemarkt zur Beschaffung von

Regelenergie

Rollengruppe:

Gruppierung von Systemrollen

Smart Grid (Quelle: DKE-Fokusgruppe Smart Grid):

Intelligentes Energieversorgungsnetzwerk mit Vernetzung und Steue-

rung von intelligenten Erzeugern, Speichern, Verbrauchern und Netz-

121 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

betriebsmitteln in Energieübertragungs- und -verteilungsnetzen mit

Hilfe von Informations- und Kommunikationstechnik (IKT)

Systemdienstleistungen:

Dienstleistungen der Elektrizitätsversorgung für die Funktionstüchtig-

keit des Energiesystems, die Netzbetreiber für die Netznutzer oder mit

Unterstützung der Netznutzer als Systemdienstleister zusätzlich zur

Übertragung und Verteilung elektrischer Energie erbringen und damit

die Qualität der Stromversorgung wie Frequenzhaltung, Spannungshal-

tung, Versorgungswiederaufbau, Betriebsführung bestimmen

Systemrolle:

Rechtsgeschäftsfähige granulare Instanzen im Wertschöpfungsnetz-

werk des Energiesystems, deren Verantwortlichkeit über die Definition

von Zielen, Anforderungen und Maßnahmen zur Definition von Funkti-

onsgruppen und zur granularen Ebene des Anwendungsfalles führt

Technologielieferant Elektrizitätsversorgungsanlagen:

Systemrolle zur Lieferung von Anlagen und Ausstattungen an Strom-

netzbetreiber

Technologielieferant elektrischer Transport und eMobile (en:

Electric Transport / Vehicle Solutions):

Systemrolle zur Lieferung von elektrisch betriebenen Transporteinrich-

tungen und Fahrzeugen

Technologielieferant Gebäudeautomatisierung und

Energiemanagement (en: Building Automation / Energy

Management):

Systemrolle zur Lieferung von Gebäudeautomations- und Energiema-

nagementsystemen an den Energienutzer im kommerziellen Gebäude-

bereich und Wohngebäudebereich

Technologielieferant Haushaltsgeräte (en: Home Appliances):

Systemrolle zur Lieferung von Haushaltsgeräten an den Energienutzer

im Wohngebäudebereich

Technologielieferant Informations- und

Kommunikationstechnologie (IKT) (en: Information Communication

Technologies (ICT)):

Systemrolle zur Lieferung und zum Betrieb von Informations- und Kom-

munikationstechnologie an die Rollen des energetischen Wertschöp-

fungsnetzwerkes insbesondere zur Abbildung einer Integrationsinfra-

struktur zur Marktkommunikation und zur Verbindung von Energiemarkt

und Energiesystem über ein Marktplatzsystem

122 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

Teilnehmer:

durch Telekommunikationssystem vernetztes Element im Automati-

sierungssystem sowie Energieversorgungselement im Energieversor-

gungssystem

Telekommunikationssystem:

Summe der Knoten für Transport und Verteilung von Information

Übertragungsnetz (en: Transmission grid):

Elektrizitätsversorgungsnetz als Wirkungsdomäne im Energiesystem

zum überregionalen Transport von großen Mengen elektrischer Ener-

gie und Leistung von zentralen, großen Kraftwerken über Hoch- und

Höchstspannungsnetze mit Wechselstrom und/oder Gleichstrom hin zu

den Verteilungsnetzen

Übertragungsnetzbetreiber (Abk: ÜNB; en: Transmission System

Operator – TSO):

Systemrolle in Form einer natürlichen oder juristischen Person, die

überregionale Übertragungsnetze der Elektrizitätsversorgung unterhält

Verantwortlichkeit einer Systemrolle:

Aufgabe einer Systemrolle bestimmte Aufgaben zu übernehmen und

für die darauf basierenden Maßnahmen und Handlungen Rechenschaft

abzulegen, um damit eine bestimmte Arbeit oder rechtliche Wirkung zu

übernehmen

Verbraucher:

Geräte und Anlagen, die Energie aufnehmen und durch Reaktionen in

andere Energieformen umwandeln

Verteilte Energiegewinnungsanlage:

Wirkungsdomäne für einen Erzeuger von Elektrizitäts- oder Wärmeener-

gie in Form von regionalen Anlagen und Kraftwerken, die in das Über-

tragungsnetz aber auch in das Verteilungsnetz einspeisen

Verteilungsnetz (en: Distribution grid):

Elektrizitätsversorgungsnetz als Wirkungsdomäne im Energiesystem

zur Weiterleitung von elektrischer Energie und Leistung innerhalb eines

begrenzten Verbrauchsgebietes zur Speisung von Stationen oder Anla-

gen von Endabnehmern

123 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

Verteilungsnetzbetreiber – VNB (en: Distribution system operator –

DSO):

Systemrolle, die Elektrizitätsversorgungsnetze im Niederspannungs-

und Mittelspannungsbereich im regionalen Bereich der Versorgung mit

Elektrizität unterhält und den Netzanschluss zur Verfügung stellt, über

den der Anschlussnutzer mit Lieferungen des Elektrizitätslieferanten

versorgt wird

Verteilungsnetzzelle (VNZ):

Elektrotechnisch und informationstechnisch eigenständige Netzzelle

des Verteilungsnetzbetreibers

Virtueller Bilanzkreis (en: virtual Balancing area):

Unterbilanzkreis, der vom Energielieferant für die Bilanzierung eines

Produktes, eine Kundengruppe oder eine Region innerhalb seines Lie-

ferantenbilanzkreises gebildet wird

Wirkungsdomäne:

Systembereich mit definierten Grenzen, mit dem eine grobe Einteilung

des gesamthaften intelligenten Energiesystems anhand des physischen

Energie- und Leistungsflusses bzw. der informationstechnischen Ver-

bindungen vorgenommen werden kann

Wohnobjekt:

Wirkungsdomäne für das Objektnetz im Wohnhausbereich eines Netz-

nutzers als Energienutzer und/oder Erzeuger, wobei die Objekte durch

Anlagen für Strom und Wärme als Abschlüsse des Verteilungsnetzes

sowie ein Kommunikations-Gateway hin zum Objektnetz in Hoheit des

Netznutzers abgegrenzt sind

Zentrale Energiegewinnungsanlagen

Wirkungsdomäne für einen Erzeuger von Elektrizitäts- oder Wärme-

energie in Form von zentralen Großanlagen und Kraftwerken, die

im Übertragungsnetz in das Hochspannungsnetz und das Höchst-

spannungsnetz einspeisen

124 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

AbkürzungsverzeichnisAMI Advanced Meter Infrastructure

AMM Advanced Meter Management

AMR Advanced Meter Reading (vgl. ZFA)

BEMI Bidirektionales Energiemanagement Interface

BK Bilanzkreis

BKK Bilanzkreiskoordinator

BKV Bilanzkreisverantwortlicher

BSS Business Support Systems

CCS Carbon Dioxide Capture and Storage

CIM Common Information Model

CPP Critical Peak Pricing

CRM Customer Relationship Management

DEA Dezentrale Energiegewinnungsanlagen

DG Distributed Generation

DIN EN 16001 Energiemanagementsysteme – Anforderungen mit Anlei-

tung zur Anwendung

DMS Distribution Management System

DR Demand Response

DSL Digital Subscriber Line

DSM Demand Side Management

DSO Distribution System Operator (vgl. VNB)

ECC Execution Control Chart

EM Energie-Manager

EMG Energiemanagement-Gateway

EMS Energiemanagement-System

EnWG Energiewirtschaftsgesetz

ERP Enterprise Resource Planning

ESE Energiesystemelement

EVU Energie-Versorgungs-Unternehmen

FB Funktionsbaustein

FIPA Foundation for Intelligent Physical Agents

FLISR Fault Location, Isolation, and Supply Restoration

FUP Funktionsplan

GID Generic Interface Definition

GIS Geographisches Informationssystem

GOOSE Generic Object Oriented Substation Events

GSM Global System for Mobile Communications

ICT Information and Communication Technologies

IEC International Electrotechnical Commission

IEC 61131 Programmable Controllers

IEC 61400-25 Wind Turbines – Part 25: Communications for Monitoring

and Control of Wind Power Plants

IEC 61499 Function Blocks

IEC 61850 Communication Networks and Systems for Power Utility

Automation

125 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

IEC 61970 Energy Management System Application Program

Interface (EMS-API)

IGS Integrierte Gebäudesysteme

IKT Informations- und Kommunikationstechnik

IP Internet Protocol

IRM Interface Reference Model

ISO International Organization for Standards

ITU International Telecommunication Union

KWK Kraft-Wärme-Kopplung

LTE Long Term Evolution

MDL Messstellendienstleister

MSB Messstellenbetreiber

MDM Meter Data Management

MDUS Meter Data Unification and Synchronization

MM Meter Management

MOS Meter Operating System

MUC Multi Utility Controller

OGEMA Open Gateway Energy Management Alliance

ONZ Objektnetzzelle

OSI Open Systems Interconnection

OSS Operational Support Systems

OWL Web Ontology Language

PLC Powerline Communication

RDF Resource Description Framework

RFID Radio-Frequency Identification

SAIDI System Average Interruption Duration Index

SCADA Supervisory Control and Data Acquisition

SIDMS System Interfaces for Distribution Management Systems

SIFB Service Interface Funktionsblock

SOA Service-Oriented Architecture

SPS Speicherprogrammierbare Steuerung

SZ Systemzelle

TCP/IP Transmission Control Protocol / Internet Protocol

THD Total Harmonic Distortion

TSO Transmission System Operator (vgl. ÜNB)

TOU Time of Use

UMTS Universal Mobile Telecommunications System

UOZ Unterobjektzelle

VNB Verteilungsnetzbetreiber

VNZ Verteilungsnetzzelle

ÜNB Übertragungsnetzbetreiber

V2G Vehicle to Grid

WLAN Wireless Local Area Network

XML eXtensible Markup Language

ZFA Zählerfernauslese (vgl. AMR)

126 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

127 © Informationstechnische Gesellschaft im VDE

Energieinformationsnetze und -systeme

VERBAND DER ELEKTROTECHNIK ELEKTRONIK INFORMATIONSTECHNIK e.V.

Stresemannallee 1560596 Frankfurt am Main

Telefon 069 6308-0Telefax 069 6312925http://www.vde.comE-Mail [email protected]