Vorlesung: Einführung in die Sozialstrukturanalyse 3. Sozio-ökonomische / kulturelle...

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Vorlesung: Einführung in die Sozialstrukturanalyse 3. Sozio-ökonomische / kulturelle Differenzierung Soziale Milieus- (4. Soziale Ungleichheit: „Verteilungsgerechtigkeit oder Anerkennung“) 11. Juni 2008

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Vorlesung:Einführung in die Sozialstrukturanalyse

3. Sozio-ökonomische / kulturelle Differenzierung

Soziale Milieus- (4. Soziale Ungleichheit: „Verteilungsgerechtigkeit oder Anerkennung“)

11. Juni 2008

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Einführung in die Sozialstrukturanalyse

3. Differenzierung: Soziale Milieus- (4. „Verteilungsgerechtigkeit oder Anerkennung“)

11. Juni 2008

• Wandel der Gruppen-Differenzierungsform II (von Schichten zu „Milieus“: kulturelle Pluralisierung und konsequente Entkoppelung)

• „Schichten“: • 1. stratifizierte (moderat hierarchische) Positionierung durch soz.ök. Status

aber formal gleiche Zuordnung zu Ressourcen (de jure: Rechts- und Chancengleichheit leistungsabhängiger Status)

• 2. Determination von subjektiven Orientierungen durch objektive Lagen: Bildung, Einkommen, Beruf, (Alter) gelten als verläßliche Indikatoren für typische Einstellungen (Bsp.: klassisches Parteienklientel)

• 3. Tendenziell mögliche vertikale Mobilität (Anreiz und Anspruch) aber: „soziale Vererbung“

• „Milieus“:• 1. heterogene (pluralisierte) Positionierung durch kulturelle Orientierung

(dabei: Individualisierung), formal gleicher Ressourcenzugang aber durch Lebensstil vermittelte Präferenzen (z.B. Postmaterialismus), (umstrittene) Pluralisier. v. Lebensstiltypen

• 2. Entkoppelung von soz.ök. Status und Orientierung• 3. Tendenziell gesteigert vertikale und horizontale Mobilität (i. Sinne von:

Milieuzugehörigkeit)

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Einführung in die Sozialstrukturanalyse 3. Differenzierung: Soziale Milieus-

(4. „Verteilungsgerechtigkeit oder Anerkennung“) 11. Juni 2008

• „Milieu“? • Was heißt…?• …heterogene (pluralisierte) Positionierung durch kulturelle Orientierung

(dabei: Individualisierung), formal gleicher Ressourcenzugang aber durch Lebensstil vermittelte Präferenzen (z.B. Postmaterialismus), (umstrittene) Pluralisier. v. Lebensstiltypen

• Nebenthema: „soziale Ungleichheit“:

• Schichtung (im Unterschied zur „funktionalen Differenzierung“) impliziert a) homogene kulturelle Ausrichtung innerhalb v. Schichten und

• b) hierarchische Anordnung der Schichten (oben und unten), also:

• Hierarchie kultureller Orientierungen:• Bsp.: Hochkultur (vormals: z.B. höfische Kultur) als „legitime“/“offizielle“

versus niedere Kultur• Soziale Kämpfe um Ressourcen (Verteilungsgerechtigkeit) und um

kulturelle „Hegemonie“ (symbolische Distinktion: P. Bourdieu; Anerkennung: Barrington Moore, A. Honneth)

• Veränderte Lage: Bsp.: Aufwertung von „popular culture“, azentrischer Pluralismus statt Hierarchie und Zentrum/Peripherie (siehe: Schicksal der ästhetischen „avantgarde“)

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3. Differenzierung: Soziale Milieus- (4. „Verteilungsgerechtigkeit oder Anerkennung“)

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• Milieus: Sinus Milieustudien,

• Eine Möglichkeit: Schichtungsunterscheidungen ergänzen durch zusätzliche Differenzierung von Wert-Orientierungs-Mustern:

• Traditionelle Orientierung (Pflicht & Ordnung)

• Moderne Orientierung (Selbstverwirklichung, Genuss)

• (Post-) moderne Orientierung (Experimentell, „hybrid“)

• Abbildung soziokultureller Milieus auf einer Matrix in Bezug auf "soziale Lage/ Schichtzugehörigkeit" und "Werteorientierung„

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3. Differenzierung: Soziale Milieus- (4. „Verteilungsgerechtigkeit oder Anerkennung“)

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• Andere Variante:• Vertikale Achse: statt soz.strukt.

Indikatoren (Einkommen, Bildung) eher „herrschaftstheoretische“ Unterscheidungen

• Horizontale Achse: statt prä-, haupt- und postmoderne eine eher autoritätsbezogene Wertskala:

• Pointe (in beiden Varianten): • Interne Differenzierung von

Schichten statt „Entkoppelung“:

• Schichtungsindikatoren werden• Milieuspezifisch differenziert:

Hierarchisierung bleibt erhalten

• Die radikalere Alternative:• heterogener • Charakter von Schichten und Milieus

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3. Differenzierung: Soziale Milieus- (4. „Verteilungsgerechtigkeit oder Anerkennung“)

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• Erstes Indiz: Abweichung der Selbstdeutung von indikatorenabhängiger Lage:

• Beispiel: schichtenspezifische Selbstverortung:

• Auf die Frage, welcher Schicht würden Sie sich zurechnen antworten (Allbus – Allgemeine Bevölkerungsumfrage der SoWi, 2006) –

• Vgl. ↓ (Mittelschicht 53 % versus ca. < 35 %; Unterschicht: 4 % versus > 20 %)

0

10

20

30

40

50

60

%

Unter-

Arbeiter-

Mittel-

ob.Mittel-

Ober-

keiner

Ablehn/w.n.

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3. Differenzierung: Soziale Milieus- (4. „Verteilungsgerechtigkeit oder Anerkennung“)

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• Milieu-Unterschiede sind Unterschiede in der Lebensführung, die

• nicht ausschließlich, nicht direkt (also jeweils in unterschiedlichem Ausmaße) von objektiven Ressourcen abhängig sind,…

• …die dagegen primär von gruppenspezifischen und -konstitutiven kulturellen Hintergründen abhängig sind.

• Das Ausmaß der Abhängigkeit der kulturellen Orientierungen und Selbstdeutungen von der „objektiven Lage“ variiert u. a. mit dem allgemeinen Wohlstandsniveau (bzw. mit der Größe des Abstands von der täglichen Sorge um die Befriedigung primärer/materieller Grundbedürfnisse

• – die allerdings gegenläufig mit der Anhebung des allgemeinen Niveaus von für normal erachteten Erwartungen und Ansprüchen variiert – Bsp.: konsumorientierter Luxus-Postmaterialismus – Lebensqualitätsstandards etc.)

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Ein alternativer Milieubegriff: Phänomenologie:

• Aron Gurwitsch, „Der Mitmensch in der Milieuwelt“: Milieubegriff nach Max Scheler: „Lebenswelt“ –

• Die für das Handeln, die Intentionen und Ziele der Individuen maßgebliche „Sozialstruktur“ ist die „lebensweltlich“ wahrgenommene und gruppen- (eben: milieuspezifisch) für selbstverständlich genommene Interpretation der „Umwelt“ des Milieus

• Die Einheit des Milieus liegt auf der Ebene impliziten Wissens, eingeschliffener Routinen, vorreflexiver Selbstverständlichkeiten (Schütz: „taken for granted“; Gurwitsch: „Geschichtlichkeit“)

– Bsp.: Maurice Halbwachs, Das kollektive Gedächtnis: „Eine soziale „Denkströmung“ ist gewöhnlich ebensio unsichtbar wie die Luft, die wir einatmen. Im normalen Leben spürt man ihre Existenz nur, wenn man ihr Widerstand leistet“

Richard Gratthof, Milieu und Lebenswelt:Die Analyse von Milieus setzt einen hermeneutischen Zugang zu den intern geteilten Selbstverständlichkeiten (Typiken und Relevanzstrukturen) vorausDie Erschließung des subjektiven Sinns unterscheidet sich von einer „Variablensoziologie“

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• Gerhard Schulze: „Erlebnisgesellschaft“ (1992)

• Umschalten von Produktion auf die Sphäre des Konsum

• »Projekt des schönen Lebens« ersetzt Lebensauffassung der Mangelbeseitigung

• Erlebnisorientierung wird zur kollektiven Basismotivation Beziehungswahl qua Stiltypus, Bildung, Alter bildet den Modus der Zugehörigkeit zu Großgruppen

Milieus:NiveaumilieuSelbstverwirklichungsmilieuIntegrationsmilieuHarmoniemilieuUnterhaltungsmilieu

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Ein alternativer Milieubegriff: Lebensstile und „Szenen“:Ronald Hitzler (siehe Reader…):

Szenen sind …Gesinnungsgemeinschaften…thematisch fokussierte Netzwerke…interaktive Teilzeitgesellungsformen…haben ihre eigene „Kultur“ (dazu gleich mehr…)…sind labile Gebilde…haben typische Treffpunke…sind Netzwerke von Gruppen…sind vororganisierte Erfahrungsräume (siehe: K. Mannheim, „konjunktivischer

Erfahrungsraum)…strukturieren sich um Organisationseliten…sind dynamisch…liegen quer zu bisherigen Gesellungsformen und großen Institutionen

(Eine) wesentliche Quintessenz: nicht einfach Gruppen variieren und neue Gruppenformen evoluieren, sondern: das Verhältnis der einzelnen Person zu kulturell integrierten Kollektiven verändert sich: flüchtige Zugehörigkeit, Exitoption, Entscheidungsabhängigkeit ---- Individualisierung

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3. Differenzierung: Soziale Milieus- (4. „Verteilungsgerechtigkeit oder Anerkennung“)

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• Milieudifferenzierung oder Schichtungshierarchie?

• Sven Otte (siehe Reader): Was (wieviel) erklären Schichtvariablen, was erklären Milieuvariablen

• (Bsp.: Parteinpräferenzen: der Anteil an Erklärungskraft von Schicht. bzw. Milieu-Variablen variiert je nach Partei!)

• Problem: die Umformung von lebensweltlichen bzw. impliziten Gewissheiten, die milieuspezifische Deutungen der Sozialstruktur tragen, in Variablen, deren Erklärungsanteil messbar (multivariate Regressionsanalyse) ist.

Daraus folgt: die empirische Entkoppelungsthese bedeutet, dass die „Sozialstruktur“ unter Bedingungen kultureller Pluralisierung (Differenzierung von Milieus) in eine Vielzahl von gruppenspezifischen Deutungen zerfällt neben ihnen wirken objektive Ressourcenverteilungen als heterogene Bedingungen des Handelns, der Orientierungen und der sozialen Ungleichheit.

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3. Differenzierung: Soziale Milieus- (4. „Verteilungsgerechtigkeit oder Anerkennung“)

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Andeutung eines Ausblicks:

nicht die gesellschaftlichen Gruppen sind anders verteilt, sondern das komplexe Verhältnis zwischen Individuum und Gesellschaft (inklusive intermediäre Kollektive) hat sich verändert: Personen sind der Tendenz nach zunehmend pluralistisch „vergemeinschaftet“,

und das bedeutet:- subjektiv: „Individualisierung“ und „Exklusion“ (gesteigerte Möglichkeiten „heraus zu fallen“)- kollektiv: Gemeinschaften (kollekt. und indiv. Identitäten) werden wegen notwendiger Kontrasterfahrung „reflexiv“ oder (bei Insistenz auf stabilere Zuordnungen) „fundamentalistisch“ - gesellschaftlich: die Beziehung zwischen gesellschaftlichen Großsystemen und Personen (und Milieus) wird einseitiger (Problem der kollektiven Interessenbündelung und -vertretung, Asymmetrie Markt und „Lebenswelt“ siehe: „soziale Ungleichheit“)- für die „Sozialstruktur“: Die Wirkungen von quantifizierbaren Ressourcenverteilungen auf das Handeln und Orientierungen werden prismatisch gebrochen durch den Filter puralisierter Deutungshorizonte

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3. Differenzierung: Soziale Milieus- (4. „Verteilungsgerechtigkeit oder Anerkennung“)

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Andeutung eines Ausblicks II: Dadurch ändern sich die Parameter „relevanter“ „Sozialer Ungleichheit“:

1. Von der anerkannten Ungleichheit (Leistungsbezogen legitimierte Hierarchie schichtenspezifischer Ungleichverteilung von Ressourcen und Chancen)

Zur ungleichen Anerkennung von Ungleichheiten (pluralisierte Horizonte der Wahrnehmung „relevanter“ Ungleichheiten und der Interpretation von legitimen Ungleichheiten)

2. Von den kollektiv aggregierbaren Interessengegensätzen vor geteiltem normativen Maßstab (Verteilungsgerechtigkeit) (teilbare Konflikte)

Zur Pluralisierung von Konfliktlinien (neben Ressourcenverteilung: „Kampf um Anerkennung partikularer Lebensformen und ihrer alltäglichen Stile, Normen, Rollenmuster etc.) (unteilbare Konflikte, d.h. Probleme der Kompromissbildung, weil „Identitäten“ auf dem Spiel stehen