Wahrnehmungsgruppierungen - Universität Ulm · die Neurone des Areals V1 in okuläre - 4 -...

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Wahrnehmungsgruppierungen Dennis Frederik Barteit [email protected] Hauptseminar: Biologienahe Simulation neuronaler Netze und Gehirnmodelle, SS 03

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Wahrnehmungsgruppierungen

Dennis Frederik Barteit

[email protected]

Hauptseminar: Biologienahe Simulation neuronaler Netze und Gehirnmodelle, SS 03

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Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis ..........................................................................................................................................- 1 -

Neurophysiologische Grundlagen der visuellen Informationverarbeitung ....................................- 3 -

Grundlagen der Wahrnehmungsgruppierung ........................................................................................- 4 -

Kern des Modells............................................................................................................................................- 6 - 1.) Vervollständigung der Grenzen und Gruppierung durch Bipolabhängigkeiten zwischen Pyramidenzellen der Schicht 2/3...............................................................................................................- 7 - 2.) Analoge Empfindlichkeit auf die LGN-Inputs durch die Schichten 6 und 4. ..............................- 7 - 3.) ‚Folded feedback’ - interlamellare Kortexbahnen und funktionale Kolumnen...........................- 8 - 4.) Kortikogenikulare Rückkopplung. ....................................................................................................- 8 - 5.) Ähnliche Organisation unterschiedlicher Einheiten der Areale V1 und V2. ..............................- 9 -

Die Gleichungen des Modells .....................................................................................................................- 9 - 1.) Allgemeine Modellgleichungen ........................................................................................................- 9 - 3.) Corpus geniculatum laterale (bzw. lateral geniculate nucleus: LGN).......................................- 10 - 4.) Kortikales Areal V1 (Schicht 4) ......................................................................................................- 11 - 5.) Kortikales Areal V1 (Schicht 2/3) ...................................................................................................- 11 - 6.) Kortikales Areal V1 (Schicht 6) ......................................................................................................- 14 - 7.) Kortikales Areal V2 ..........................................................................................................................- 14 - 8.) Simulationsmethoden ......................................................................................................................- 14 -

Resultate.........................................................................................................................................................- 15 -

Zusammenfassung ......................................................................................................................................- 17 -

Abbildungsverzeichnis ...............................................................................................................................- 18 -

Literatur ..........................................................................................................................................................- 18 -

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Abb. 1. Schema der Sehbahn des Menschen.

Abb. 2. In Schicht IVc enden ein Großteil der thalamischen Afferenzen (A). Außerdem gibt es viele Sternzellen (S), haupt-sächlich Schicht II-IVb innervieren. Pyramidenzellen (P) sind in den Schichten II-IVb sowie V-VI. Sie projizieren u.a. in anderen kortikale Bereiche (II-IVb) oder den Thalamus (VI) aber auch unter einander.

Neurophysiologische Grundlagen der visuellen Informationverarbeitung

Die visuellen Informationen, die von der Retina

ausgehen, verlassen das Auge über den Sehnerv

(nervus opticus). Die Sehnerven beider Augen

vereinigen sich an der der Schädelbasis zum

Chiasma nervi optici (siehe Abbildung 1). Von dort

ziehen die Sehnervenbahnen aus den nasalen

Bereichen der Retina mit denen, der temporalen

Bereiche, des jeweils anderen Auges, im Tractus

opticus zu den seitlichen Kniehöckern, die zum

dorsalen Thalamus gehören. Vom seitlichen

Kniehöcker (lateral geniculate nucleus (LGN) bzw.

corpus geniculatum laterale (CGL)) ziehen etwa 1

Millionen Axone zu den Neuronen des Areal V1

(im Lobus occipitalis des Neocortex). Der seitliche

Kniehöcker erhält dazu aber auch nicht-retinalen

Input. Unter anderen treffen etwa ebenso viele

Bahnen vom visuellen Kortex, wie von der Retina

ein. Im Kortex erfolgt die Verarbeitung der

visuellen Information. Die erste Station der

visuellen Informationsverarbeitung im Kortex ist das Areal V1. Dieses lässt sich auf Grund morpholo-

gischer Merkmale in sechs Schichten unterteilen (siehe dazu Abbildung 2). Neben dieser lamellaren

Differenzierung (horizontal zur Hirnoberfläche),

gibt es eine funktionale säulenartige Gliederung

(also vertikal zur Hirnoberfläche). Die

Nervenzellen einer Säule haben dabei rezeptive

Felder im gleichen Bereich des Sehfeldes.

Bezüglich der Funktion der Zellen, kann man die

Säulen in „blob“-Gebiete, dort reagieren die

Nervenzellen primär auf Farbe und in die

größeren „interblob“-Gebiete, wo die Zellen

sensitiv für die Orientierung, aber nicht für die

Wellenlänge des Lichtes sind, unterteilen. Zu

unterscheiden sind die Zellen, in den „interblob“-

Gebieten, mit einfachen (z.T. konzentrischen)

bzw. komplexen rezeptiven Feldern. Die

komplexen rezeptiven Felder werden durch

bestimmte Reizmuster, abhängig von Form und

Orientierung, optimal erregt. Des Weiteren sind

die Neurone des Areals V1 in okuläre

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Dominanzsäulen gegliedert. Zellen einer solchen Säule bekommen entweder vom linken oder vom

rechten Auge Input. Allerdings gibt es auch schmale Bereiche der Überlappung.

Grundlagen der Wahrnehmungsgruppierung

Einen guten, bekannten Effekt, der die

Wirkung von Wahrnehmungsgruppier-

ungen widerspiegelt, liefert das Quadrat

von Kanizsa (siehe Abbildung 3). Der

Betrachter sieht ein Quadrat, das ei-

gentlich nicht existiert, da die Kanten

der Pacmanfiguren nicht aneinander

anschließen. Dies ist ein Beispiel, in

dem unverknüpfte lokale Kontraste in der gesamten wahrgenommenen Szene eine ununterbrochene

Einheit bilden. Im Allgemeinen bieten Scheinkonturen gute Bespiele für Wahrnehmungsgruppierun-

gen, allerdings werden sie meist nur unscharf wahrgenommen und funktionieren nur bei ausreichend

guten Hell/Dunkel Kontrasten. Diese Arbeit stellt ein Modell (Ross, Grossberg und Mingolla 2000) vor,

das sich mit den verantwortlichen Strukturen im Kortex befasst, also Netzwerke oder Gruppierungen

von Neuronen, die an der visuellen Informationsverarbeitung beteiligt sind. Wie schon Abbildung 2

zeigt, gibt es vielfältige Verbindungen zwischen Zellen verschiedener Schichten, Module oder ganzer

Kortexareale. Kortikale Strukturen interagieren also miteinander und können so Gruppen bilden, die

auf bestimmte Reize reagieren. Das sind grundlegende Mechanismen, mit denen das Gehirn die loka-

len Besonderheiten eines Bildes in zusammenhängende Gruppierungen organisieren kann. Die für die

Gruppierung zwingend notwendigen kortikalen Bahnen übersetzen die retinogenikulare Informationen

lokaler Bildkontraste, dem Kontext entsprechend, in eine Repräsentation von orientierten Grenzlinien.

Das Modell zeigt, wie die Kontextsensibilität solcher Grenzgruppierungen mit der Empfindlichkeit, mit

der die Neurone im Kortex aufeinander reagieren, erklärt werden kann. Der Mechanismus der Wahr-

nehmungsgruppierungen implementiert die Wahrnehmung von dünnen verlängerten Konturen zwi-

schen einzelnen szenischen Elementen. Dieser Konturselektionsmechanismus muss über bestimmte

berechenbare Eigenschaften verfügen, um perzeptuale Konturen realisieren und vervollständigen zu

können:

i) Die Bipoleigenschaft: Betrachten wir noch einmal das Beispiel aus Abbildung 3. Genauer, die hori-

zontalen Kanten der unteren beiden Pacmanfiguren. Diese werden offensichtlich zur Mitte hin verlän-

gert. D.h. das Zielneuron, das zwischen den beiden entsprechend orientierten rezeptiven Feldern liegt

und eine ähnliche Orientierung besitzt, wird ebenfalls erregt. Eine Zelle mit nur einem relevanten

Nachbarn wird dagegen nicht feuern. Das ist genau die Bipoleigenschaft. Ein Mechanismus, der diese

Eigenschaft erfüllt, darf also nur dann aktiviert werden, wenn sein nicht-klassisches rezeptives Feld

simultan an zwei Enden von Inputs, die von z.B. retinal registrierten Kontrasten stammen, erregt wird.

Ein Reiz auf nur einer Seite darf nicht genügen. Abbildung 4 illustriert dies. Die 8-Form, in der der

Abb. 3. Das Quadrat von Kanisza. Die Illusion kann verschieden stark wahrgenommen werden. Links: entsteht sie kollinear zu den Kanten der umgebenden Figuren. In der Mitte und rechts dagegen senkrecht zu den Linienenden.

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Abb. 4. (a) Die Bipolzelle bekommt genug Input auf beiden Seiten und feuert. In (b) kann sie das nicht, da sie nur von einer Seite erregt wird.

Abb. 5. Die 8-Form des Bipols lässt sich anhand der drei folgenden fun-damentalen Größen berechnen: (a) Der Abstand zwischen den Zentren beider Ellipsen, (b) der Winkel, zwischen der Orientierungsachse der dunklen Ellipse und der Verbindungsgeraden der Zentren beider Ellipsen und (c) der Winkel, um den beide Orientierungsachsen gedreht sind.

Bipol in Abbildung 4 dargestellt ist, entspricht der Region, auf die der Bipol relativ stark reagiert. Abbil-

dung 5 zeigt, dass die 8-Form auf drei fundamentalen Größen basiert: (a) Dem Abstand zwischen den

Zentren beider Reizen, (b) dem Winkel, zwischen der Orientierungsachse der dunklen Ellipse und der

Verbindungsgeraden der Zentren beider Ellipsen sowie (c) dem Winkel, um den beide Orientierungs-

achsen gedreht sind.

ii) Die Notwendigkeit bei der neuronalen Codierung ein Funktionskontinuum der Werte anzunehmen:

Illusorische Konturen können in der Stärke, mit der sie wahrgenommen werden, variieren (siehe Bei-

spiel Abbildung 3). Bei vielen Phänomenen der Wahrnehmung hat sich gezeigt, dass sie zu erklären

sind, wenn man verschiedene Größen, wie z.B. die Helligkeit, mit einer sehr feinen Abstufung betrach-

tet. Dementsprechend variiert die Stärke der Antwort auf wahrgenommene Reize beim Menschen.

Dies geschieht in Form von verschieden starkem Amplitudenausschlag, z.B. im Soma, oder im Axon

durch eine Veränderung der Frequenz von gefeuerten Axonspotentialen. Im Modell werden neuronale

Einheiten des Kortex als Funktion von Variablen dargestellt, deren Reaktionsstärke ähnlich variieren.

Es wird angenommen, dass ein Zusammenhang zwischen den Ansprechgeschwindigkeiten der neu-

ronalen Einheiten in den frühen kortikalen Bereichen und der perzeptualen Antwort besteht. Dieser

Punkt wird unter dem Begriff der analogen Sensibilität zusammengefasst. Konkret bedeutet er, dass

das Vervollständigungssignal im Verhältnis zu den Eingangssignalen stehen muss.

iii) neuronale Rückkopplungsbahnen: Das sind Verarbeitungsschleifen zwischen neuronalen Einhei-

ten. Sie kommen überall im Körper vor. So gibt es Rückkopplungen innerhalb nur einer Kolumne, so-

wie zwischen mehreren Kolumnen, aber auch über ganze Kortexbereiche hin. Außerhalb des Kortex

gibt es zum Beispiel die kortikogenikulare Rückkopplung von der Schicht 6 der primären Sehrinde

zurück in die seitlichen Kniehöcker. Hier wird die positive Rückkopplung verwendet, um die korrekte

kontextsensitive perzeptuale Gruppierung auszusuchen. Später wird erläutert, weshalb im neuronalen

Modell die positive Rückkopplung mit der analogen Empfindlichkeit kompatibel ist.

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Kern des Modells

In diesem Kapitel werden im Wesentlichen fünf

Eigenschaften zur Berechnung des Modells vorge-

stellt. Die Beschreibung dieser Eigenschaften

bezieht sich dabei auf das Schema in Abbildung 6.

Es folgt jetzt zuerst eine kurze Beschreibung der

neuronalen Bahnen, die im Schema gezeigt sind,

damit der Ablauf des Signalflusses klar ist.

Vom LGN senden sowohl OFF-Center-ON-

Surround Zellen also auch ON-Center-OFF-

Surround Zellen Impulse ins Areal V1, anders als

in Abbildung 6 dargestellt. Empfänger sind Pyra-

midenzellen der Schicht 6 und 4. Die LGN-Zellen

ihrerseits werden von den Schicht-6 Pyramiden-

zellen erregt und in einem breiteren Umkreis

durch Interneurone gehemmt. Zellen der Schicht 4

senden exzitatorische Signale weiter an Pyrami-

denzellen der Schicht 2 und 3 ihrer eigenen Ko-

lumne. Pyramidenzellen angrenzender Module

werden jedoch wieder über Interneurone ge-

hemmt. Diese Inhibition ist Teil eines horizontalen

Feedbacks, das die Pyramidenzellen aus Schicht

2/3 mit anderen aus nahe gelegenen Kolumnen

eingehen, welches aber nicht aus Abbildung 6

hervorgeht, da die entsprechenden Bahnen der

Übersichtlichkeit halber weggelassen wurden. Bei

dem Schicht-2/3 Neuron in der Mitte geht eine

senkrechte Linie nach oben, sie stellt den apikalen

Dendriten dar und wurde bei den beiden umge-

benden Neuronen ebenfalls weggelassen. Diese

sind im Schema nur auf ihre Funktion als „Input-Geber“ beschränkt. Von den Schicht-2/3 Pyramiden-

zellen gibt es eine positive Rückkopplung auf Schicht-6 Pyramidenzellen der eigenen Kolumne. Die

weitreichenden horizontalen Verknüpfungen in Schicht 2/3 implementieren die Bipoleigenschaft: Der

apikale Dendrit muss über die monosynaptische Innervation durch Schicht-2/3 Pyramidenzellen ande-

rer, retinotop gegenüber liegender Regionen genügend Input bekommen, damit das eigene Neuron

aktiviert wird. Von den innervierenden Pyramidenzellen geht aber auch eine disynaptische Inhibition

aus: In Abbildung 6 gibt es nur ein zwischengeschaltetes Interneuron, in Wirklichkeit findet sich in

Schicht 2/3 des Cortex ein komplexes Geflecht aus, auf die Pyramidenzelle inhibitorisch wirkende,

Nervenzellen, die an den verschiedensten Stellen die Fortleitung hemmen. Zwei wichtige Punkte sind

also bei der Hemmung zu beachten: zum einen wird die Erregung der Pyramidenzellen sofort wieder

Abb. 6. Das Schema des Modells. Die Kreise stellen Neurone dar. Die großen ungefüllten Kreise sind Pyramidenzellen, jene mit dicken Rand sind ON-Center-OFF-Surround Neurone des LGN und die kleinen schwarzen Kreise sind hemmende Interneurone. Schwarze Dreiecke stellen hemmen-de Synapsen dar, leere dagegen exzitatorische.

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Abb. 7. Der Teil (A) des Modells implementiert die Bipoleigenschaft. Die exzitatorische Verknüpfungen der anderen 2/3-Schicht Pyrami-denzellen liegen am apikalen Dendriten der Zielzelle an. Die Hem-mung dieser Zelle geschieht über ein Interneuron derselben Kolum-ne. (B) Die LGN ON bzw. OFF Zellen bekommen Feedforward Input von den retinalen ON/ OFF Zellen. Das LGN innerviert die Schichten 4 und 6. Das schmale ON-Center der Schicht 4 wird zusätzlich durch von Neuronen der Schicht 6 erregt. Die laterale Inhibtion durch Inter-neurone ist das OFF-Surround. (C) Die kooperierende-konkurrierende Feedback-Schleife von Schicht 2/3 über 6 zu 4 be-schäftigt die Feedforward Bahn in (B). Sie kann Gewinnergruppie-rungen auswählen, ohne analoge Sensibilität zu verlieren. (D) Top-down kortikogenikulares Feedback: Schicht-6 Zellen erregen ein LGN ON-Center sowie ein weites OFF-Surround und synchronisieren dadurch LGN Zellen, die bzgl. ihres kortikalen Inputs konsistent bleiben.

unterbunden. Zum anderen ist natürlich die monosynaptische Exzitation etwas schneller als die disy-

naptische Inhibition, weshalb es zuerst doch zu einer kurzen Aktivierung der Nervenzelle kommt. Die-

se Erregung ergibt dann, wie erwähnt, die Rückkopplung auf Pyramidenzellen der Schicht 6 und sie

wird ins Areal V2 weitergeleitet, wo sie, ähnlich wie die LGN-Zellen, Pyramidenzellen der Schicht 6

und 4 innerviert. Die Struktur der Nervenbahnen von V1 wiederholt sich im Prinzip in V2. Im Schema

ist das V2-Netzwerk etwas größer gezeichnet, da die rezeptiven Felder des V2 größer sind, d.h. sie

sind komplexer und fassen mehr Information zusammen.

Es folgt nun die intuitive Beschreibung der, zu Beginn des Kapitels angekündigten, fünf Schlüsselfunk-

tionen

1.) Vervollständigung der Grenzen und Gruppierung durch Bipolabhängigkeiten zwischen Pyra-

midenzellen der Schicht 2/3.

Die Bipolvervollständigung folgt aus der Interakti-

on zwischen monosynaptischer Erregung und

disynaptischer Hemmung, wenn Zellen der

Schicht 2/3 horizontale Inputs von orientierten

rezeptiven Feldern aus der Nachbarschaft be-

kommen, die entlang der Richtung der Orientie-

rung des mittleren Neurons liegen. Die disynapti-

sche Hemmung spielt eine entscheidende Rolle

für die Bipoleigenschaft. Wie schon erklärt, kann

eine einzelne Erregung kein Spiken der Pyrami-

denzelle auslösen, da die fast gleichzeitige Inhibi-

tion ausreicht, die Erregung zu annullieren. Je-

doch kann die disynaptische Hemmung überwun-

den werden: durch die konvergente horizontale

Aktivierung über die monosynaptischen Bahnen

zwischen den Pyramidenzellen. Bedingung dafür

ist, dass alle horizontalen Verbindungen, die in

einer kortikalen Kolumne ankommen, auf eine

einzelne Population von hemmenden Interneuro-

nen zusammenlaufen. Die Aktivität dieser Popula-

tion erreicht nach einiger Zeit eine Sättigung und

ist dadurch beschränkt. Dagegen besitzen die

Pyramidenzellen ein wesentlich höheres Sätti-

gungspotential. Ab einer gewissen Anzahl von

feuernden Pyramidenzellen, würde dann die Inhi-

bition der Interneurone nicht mehr entsprechend

der Exzitation wachsen können und die Erregung schließlich überhand nehmen.

2.) Analoge Empfindlichkeit auf die LGN-Inputs durch die Schichten 6 und 4.

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Die Kontrastempfindlichkeit auf die Signale des LGN wird vom V1 aufrechterhalten. OFF und ON Zel-

len des LGN regen die ‚simple cells’ der Schicht 4C direkt an (siehe Abb. 7B). Diese sind für verschie-

dene Kontrastpolaritäten empfindlich und hemmen sich gegenseitig, innervieren aber eine Pyramiden-

zelle der Schicht 2/3 und bilden dadurch ein ON-Center (zu Gunsten der Übersicht nicht in Abb. 7B

dargestellt). Die Schicht-4 Zellen werden zusätzlich über Zellen der Schicht 6 erregt. Die Inhibition

nahe gelegener Schicht-4 Zellen geschieht indirekt über Interneurone. Diese langweitreichende Hem-

mung stellt das OFF-Surround dar.

Dieses feedforward Netzwerk, mit einem ON-Center und einem OFF-Surround, bewahrt die Sensibili-

tät auf die Inputs.

3.) ‚Folded feedback’ - interlamellare Kortexbahnen und funktionale Kolumnen.

Die interlamellare Rückkopplungsschleife durchläuft die Schichten 4, 2/3, 5, 6 und 4. Die beteiligten

Zellen sind durch sie zu funktionalen Kolumnen zusammengefasst. Über die Schicht-6-bis-4 Bahnen

können Gruppierungen unterstützt oder unterdrückt werden, ohne einen Verlust der graduellen Emp-

findlichkeit auf retinale Signale. Das wird dadurch gewährleistet, dass die Signale der Rückkopplungs-

schleife, die eine Vervollständigung von Konturen bzw. Gruppierungen darstellen, relativ zur Größe

und Verteilung der bottom-up Inputs des LGN verändert werden. Schicht-4 Pyramidenzellen lösen die

gegenseitige langweitreichende Erregung zwischen Schicht-2/3 Pyramidenzellen aus, indem sie die,

der eigenen Kolumne aktvieren. Während Schicht-6 Neurone die kurzweitreichende Hemmung der

Schicht-4 Pyramidenzellen auslösen. Mit der Innervation von Schicht-4 Neurone durch Nervenzellen

der Schicht 2/3 können diese Zellaktivierungen verstärkt werden. Das ist ein besonders wichtiger

Punkt, da die Schicht-2/3 Zellen Teil der Bipolgruppierung sind. Damit lassen sich die retinalen Signa-

le in einem Kontext bearbeiten. Gruppierungen, die auf gewisse Orientierungen oder Längen reagie-

ren, können hervorgehoben werden, weil zusammenhangslose Signale oder schwache Gruppierun-

gen (z.B. beim Rauschen), durch die kurzweitreichende Hemmung unterdrückt werden. Das OFF-

Surround der interlamellaren Bahn wird so gesetzt, dass der Einfluss der bottom-up Inputs des LGN

an jenen Positionen selektiv gehemmt wird, die nicht genug durch die Rückkopplung von der Schicht

2/3 unterstützt werden.

4.) Kortikogenikulare Rückkopplung.

Die Schicht 6 sendet ausgedehnte Inhibition zurück zum LGN (Abb. 7D). Diese Rückkopplung selek-

tiert und verstärkt LGN Zellaktivitäten, die mit kortikaler Zelltätigkeit konsistent sind. Sie stellt eine Art

top-down Überprüfung der Daten dar, die das "Signal-zu-Störung" Verhältnis steigert, indem sie selek-

tiv LGN-Zellen hemmt, die erfolglos versuchen, kortikale Zellen zu aktivieren. Die Schicht-6-zu-LGN

Rückkopplung beendet den Input von LGN Zellen auf die Zellen der Schicht 4, die nicht Teil von "Ge-

winnergruppierungen" sind. Die Schicht-6-zu-4 Inhibition und die Schicht-6-zu-LGN Inhibition tragen

zu längenempfindlichen Antworten (endstopping) bei, die Gruppierungen senkrecht zu den Enden

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Abb. 8. Verknüpfungsmuster: die leeren (bzw. gefüllten) Kreise stellen exzitatorische (bzw. inhibitorische) Neurone dar. Die Größe der Kreise hängt von der Güte der Verbindungen ab. (A) Beispiel für eine retinale Center-Surround Verknüpfung. (B) Eine einfache ON-OFF Aktivierung einer vertikal orientierten Zelle. (C) Die Ver-knüpfungen des Schicht-6-zu-4 Surround. An jeder Position des Gatters kann es bis zu 12 Orientierungen geben, die den bevor-zugten Orientierungen der Schicht-4C- Zellen entsprechen. Die Länge eines einzelnen Gitterteils entspricht der Stärke der inhibito-rischen Verbindung mit einem ähnlich orientierten Zelle im Gitter. (D) Laterale exzitatorische Verknüpfung von orientierten komple-xen Zellen der Schicht 2/3 des V1. (E) Entsprechend im V2.

unterstützen. Kanten ab einer bestimmten Länge lösen dabei verstärkt an den Linienenden eine Akti-

vierung aus, während die Wahrnehmung des Mittelteils eher gehemmt bleibt.

5.) Ähnliche Organisation unterschiedlicher Einheiten der Areale V1 und V2.

Das Modell geht von der Hypothese aus, dass die Nervenbahnen des V1 und die des V2 eine ähnli-

che Organisation besitzen und dass das Areal V1 die Einstellung von Position, Orientierung und Dis-

parität organisiert, während das Areal V2 weitreichende Vervollständigung von Grenzen sowie Grup-

pierung gegenüber dem blinden Fleck, retinalen Venen und texturierten Szenen unterstützt.

Die Gleichungen des Modells

Es folgen die Gleichungen, Parameter und

Simulationsmethoden des Modells. Abbildung 8

stellt die wichtigen exzitatorischen und

inhibitorischen Verknüpfungsmuster des Modells

dar.

1.) Allgemeine Modellgleichungen

Im Folgenden werden Schichten von Nervenzellen

(oder Neuronenpopulationen) durch ihre Position in

einem Array beschrieben (i, j). Diese Zellen werden

durch die exzitatorischen Eij und die inhibitorischen

Iij Eingänge beeinflusst, entsprechend der Gleichung

für die Aktivierung Wij:

ijijijijijij IWCEWBAW

dtdW

)()( +−−+−= (1)

In Gleichung (1) fällt die Aktivierung der Zelle im

Ruhezustand, also bei fehlenden Eingängen Eij und

Iij, auf das Niveau Null zurück. Im

Gleichgewichtszustand ist die Ausgabe einer Zelle: +

++

−=

ijij

ijijij IEA

CIBEV

(2)

Beide Gleichungen berechnen die Aktivierung. Gleichung (2) unterscheidet sich lediglich dadurch,

dass alle neg. Ausgaben mit [w]+ = max(w,0) auf Null gesetzt werden. Des Weiteren werden zwei Ar-

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ten von Gaußschen Kernen benutzt, um rezeptive Felder zu definieren (siehe Abbildung 8). Für die

einfachen rezeptiven Felder der Retina und des LGN sind das unorientierte, symmetrische, normali-

sierte Kerne der Form:

+−=

σπσ 2²²exp

21 jiGij (3)

Wobei σ die Standardabweichung des Kerns bezeichnet. Orientierte Gaußsche Kerne haben die

Form:

++++

−−=

22

212

sin)(12

cos)(

212

sin12

cos

21exp

wlijk

koffsetjkoffsetikjkiG

σ

ππ

σ

ππ

(4)

Dabei sei k die Orientierung der Hauptachsen der Gaußschen Verteilung. σl und σw bezeichnen die

Standardabweichung in der Länge (l) bzw. Breite (w) der Richtung der rezeptiven Felder. Die beiden

länglichen Teilstrukturen des rezeptiven Feldes in Abbildung 8B liegen mit dem Abstand „offset“ von

dessen Zentrum versetzt.

2.) Retina

Die Aktivitäten retinaler Zellen bekommen den Index R. ON- bzw. OFF-Zellen sind durch den Index +

bzw. – gekennzeichnet. Sij sind die eingegebenen Bildintensitäten. Die Erregung des kleineren ON-

Centers einer retinalen Zelle ist dann gerade die Eingabe:

ijRij SE =+ (5)

während die Inhibition durch das großflächige OFF-Surround definiert ist:

∑ +++ =

mn

Rmnnjmi

Rij GSI , (6)

beides zusammen in Gleichung (1) ergibt gerade WR+. Für WR- ist Iij die Eingabeintensität an der Posi-

tion (i,j) und Eij die Summe über die umgebenen Intensitäten, skaliert durch die Normalverteilung.

3.) Corpus geniculatum laterale (bzw. lateral geniculate nucleus: LGN)

Die Neurone des LGN haben den Index L. Ihre Inputs sind die Ausgaben retinaler Zellen (VR+) und

Zellen der Schicht 6 (V6). Lc und Ls stehen für das Center bzw. das Surround der unorientierten rezep-

tiven Felder des LGN. Wieder sei nur die Gleichung für die ON-Zellen gegeben:

+= ∑ ++

++

mnk

Lmnknjmi

Rij

Lij

cGVVE 6,,1 (7)

und

∑ +++ =

mnk

Lmnknjmi

Lij

sGVI 6,, (8)

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Gleichung (7) zeigt, wie Input, der von der bottom-up ON-Netzhautzelle kommt, den LGN aktiviert.

Das Feedback aus Schicht 6 kann diese Aktivierung multiplizierend verstärken. Allerdings sorgt es

auch, wie Gleichung (8) zeigt, für eine großflächige Hemmung durch das OFF-Surround. Die Kombi-

nation aus diesen bottom-up bzw. top-down Inputs führt zu einer Auswahl und Synchronisation von

LGN-Zellen, was hemmende LGN-Zellen alleine nicht schaffen würden.

4.) Kortikales Areal V1 (Schicht 4)

Die V1-Schicht-4 Zellen bekommen Eingaben von mehreren LGN ON- und OFF-Zellen, die alle retino-

top etwas versetzt sind. Insbesondere wird eine einfache Schicht-4 Zelle von einem orientierten Mus-

ter von LGN ON-Zellen und einem dazu parallel liegenden Muster von LGN OFF-Zellen (wie in Abbil-

dung 8B) erregt. In den Gleichungen (9) und (10) wird die LGN ON-Antwort mit 4 multipliziert, um eine

asymmetrische Antwort von ON-Center- und OFF-Surround-Neuronen, die auf verschiedenen Seiten

einer Kante liegen, zu kompensieren. In einem solchen Fall schwankt der Nenner aus Gleichung (2)

stark. Spezifisch ist er auf der dunklen Seite viel kleiner als auf der hellen Seite, was sich sofort auf die

Zellsignale auswirkt. Die Antwortraten der orientierten Zellen, die auf diese Kante reagieren sollen,

würden auf der hellen Seite schneller abfallen. Die resultierenden Zellantworten wurden noch quad-

riert, um den Unterschied zwischen schwachen und starken Abgrenzungen überzubetonen. 2

4,,

4,,

1 4

+= ∑ ∑ −−

++++

++mn mn

kmnk

Lknjmi

kmnk

Lknjmi

Sijk GVGVE (9)

24

,,4

,,2 4

+= ∑ ∑ +−

++−+

++mn mn

kmnk

Lknjmi

kmnk

Lknjmi

Sijk GVGVE (10)

Mit Gleichung (11) erreicht man eine polaritäts-unempfindliche orientierte Zellaktivierung EC komplexer

Zellen. In der Simulation wurde die Kombination von einfachen Zellen, mit ähnlicher Orientierung aber

unterschiedlicher Polarität, direkt auf die Eingänge zu Schicht 4 und 6 Zellen gelegt. In vivo findet die

Kombination einfacher Schicht-4 Zellen eigentlich erst bei der Projektion auf Schicht 2/3 statt. Diese

Vereinfachung macht die Simulation rechnerisch übersichtlicher:

[ ] [ ]++−+−= 1221 S

ijkSijk

Sijk

Sijk

Cijk EEEEE (11)

Zur Berechnung der exzitatorischen und inhibitorischen Inputs auf Schicht-4 Neurone müssen noch

die Signale aus Schicht 6 berücksichtigt werden (siehe Abbildung 7C):

64ijk

Cijkijk VEE += (12)

∑ +++=mno

Lmnooknjmiijk GVI 6

,,4 (13)

5.) Kortikales Areal V1 (Schicht 2/3)

Die Aktivierung der Schicht 2/3 (W3) folgt:

343ijkijkijk HVE += (14)

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V4 ist der orientierte Input von Schicht 4 und H3 der totale monosynaptische exzitatorische horizontale

Input. Dieser horizontale Input setzt sich aus einem kurzweitreichenden (s) und einem langweitrei-

chenden (l) Bipolsignal zusammen:

lijk

sijkijk hhH +=3 (15)

wobei

∑ +++=mno

koCnCmoknjmisijk WL

ZVfgh ,,/20,/203

,, )( (16)

Im Modell wird angenommen, dass der räumliche Umfang eines kurzweitreichenden Bipols in Glei-

chung (16) aus drei neuralen Einheiten besteht: einer zentralen Zelle und zwei relevanten Nachbarn.

Relevante Nachbarn reagieren auf ähnlich orientierte benachbarte Reize. Wenn alle drei Zellen akti-

viert werden, erhält der kurzweitreichende Bipol aus Gleichung (16) den maximalen Wert von 2,0.

Dafür ist der Parameter g auf 2,0 gesetzt. f(w) ist eine Sättigungsfunktion (siehe Gleichung (20)).

Das langweitreichende Bipolsignal hl ist gegeben durch:

∑ ++++ −=

mnokoCnCmoknjmi

lijk WL

ZTVh ,,/2,/23

,, ][ (17)

wobei T die Bipolschwelle ist. Wenn sie von den Inputs der innervierenden Schicht-2/3 Neurone nicht

überschritten werden konnte, ist die Gleichung (17) Null.

Die Inhibition in Schicht 2/3 wird u.a. durch den disynaptisch verbundenen, weitreichenden Bipol be-

einflusst:

∑ += +o

ijks

ookjiijk DGVI 33,,

3 (18)

wobei

)( lijkijk hgfD = (19)

mit

w

wwf+

)( (20)

D.h. die disynaptische Hemmung Dijk nähert sich bei kleinem α in der Funktion f(w) schneller dem

Parameter g an und ist abhängig von der weitreichenden Aktivierung hl. f(w) realisiert die Sättigungs-

funktion, der z.B. die disynaptische Hemmung unterworfen ist. Der Parameter g in Gleichung (19) ist

auf 2,0 gesetzt, damit das kurzweitreichende exzitatorische Bipolsignal hs in Gleichung (16) maximal

aktiv sein muss, um den disynaptischen hemmenden Effekt von Dijk zu überwinden. Diese Abglei-

chung stellt sicher, dass jede aktive Pyramidenzelle der Schicht 2/3 entweder direkte bottom-up Akti-

vierung empfängt oder dass sie auf einen kollinearen Weg zwischen zwei oder mehr solcher Zellen

fällt.

Das Gewicht Z, aus den Gleichungen (16) und (17), folgt:

−×

−+−= m

mnm

Kok

mnnmmZ mnok ,2arctan}sgn{)(cos²

exp²)}²(exp{}sgn{2 πµβ λ

(21)

Die Gleichung (21) erklärt die Arten von orientierten Kernen, die in Abb. 8D und E gezeigt werden. Der

Wert µ definiert dabei die zugelassene Abweichung von der Kollinearität.

- 13 -

Abb. 9. (1) Zwei ähnlich orientierte Neurone werden gleichzeitig erregt. (2) Über die horizontalen, weitreichenden Verbindungen der Schicht 2/3 wird das dazwischen liegende, den Bipol repräsentieren-de Neuron erregt. (3) Auch diese Neuron stellt den Randbereich eines weiteren Bipols dar. (4) der Vorgang wiederholt sich

Abb. 10. Das Schema der Grenzvervollständigung. Ausgehend von den Ecken der Figuren breiten sich die Signale zuerst (time 2) in beide Richtungen auf benachbarte Pyramidenzellen aus. Die Aktivitä-ten außerhalb des Bereiches der Figur werden jedoch schnell ge-hemmt (time 3), während die, die kolinear zu den Kanten liegen unterstützt werden. Was letztendlich zur vollständigen Erregung der Neurone führt, die retinotrop die verbindene Linie repräsentieren.

Zunächst werden jene Zellen betrachtet, in denen Grenzaktivierung ausschließlich durch seitliche

Verknüpfung verursacht wurde und nicht durch direkte bottom-up Aktivierung. An solchen Positionen

regt die langweitreichende Abhängigkeit hl V3 über Gleichung (15) an und danach den kurzweitrei-

chenden Term hs über Gleichung (16). Gruppierungen, die sich, anstatt zwischen den auslösenden

Reizen, darüber hinaus verbreiten, brechen bei zu geringer kurzweitreichender Aktivierung zusam-

men. In der Region zwischen einer größeren Anzahl von Reizen, kann die kurzweitreichende exzitato-

rische Aktivierung die disynaptische Hemmung überwinden und eine abgeschlossene Form hebt sich

hervor.

Die Abbildungen 9 und 10 veranschaulichen diese Idee. Abbildung 10 zeigt, wie die Dynamik der

Grenzbeendigung in einem Quadrat von Kanizsa auftreten kann. Zuerst erzeugen die Pacmanfiguren

über weitreichende horizontale Anschlüsse Erregung in beiden Richtungen. Die kurzweitreichende

disynaptische Hemmung hemmt schnell Erregung außerhalb des Quadrats. Innerhalb des Quadrats

jedoch ermöglicht die langweitreichende Erregung, die kurzweitreichende disynaptische Hemmung zu

überwinden und die illusorische Form zu bilden.

Die bottom-up Erregung von Schicht 2/3

ergibt eine Aktivierung der Grenzzellen.

Das Aktivierungsmuster resultiert aus der

Erregung in Gleichung (14) und wird durch

Aktivität der Zellen der Schicht 4 (V4)

geleitet. An diesem Punkt sind Grenzzellen

in Schicht 2/3 ohne bottom-up

Unterstützung von V4 inaktiv.

Danach werden Zellen, deren Zentren der

rezeptiven Felder kollinear zu den

Grenzreizen sind, durch den Einfluss der

langweitreichenden horizontalen

Bipolzellen aktiviert. Das geschieht wieder

durch die Erregungsgleichung (14), aber

dieses mal wegen des horizontalen

Bestandteils (H3) und speziell wegen des

langweitreichenden Terms hl. An diesem

Punkt fangen die Schicht 2/3

Grenzaktivierungen an, die interpolierten

und extrapolierten Grenzpositionen zu

erstellen.

Der Einfluss von disynaptischer Hemmung

(D) und von kurzweitreichender

Bipolerregung (hs) und die Balance

zwischen diesen beiden Aktionen wird

benutzt, um extrapolierte Grenzen zu

unterdrücken.

- 14 -

Zusammenfassend, sollte die disynaptische Hemmung, D, stark genug sein, einer teilweisen Aktivie-

rung des kurzweitreichenden Bipols hs entgegenzuwirken, selbst wenn es eine zusätzliche Aktivierung

durch den langweitreichenden Bipol hl gibt. Wenn dieses sichergestellt ist, interpoliert das System wie

folgt: (1) bottom-up Inputs von den einfachen Zellen (V4) sorgen für eine Ausgangsaktivierung in Glei-

chung (14). (2) Seitliche Erregung verbreitet sich über V3 und beeinflusst hl in Gleichung (15). Daraus

folgt wiederrum eine Erregung von V3 durch H3. (3) kurzweitreichende Erregung resultiert ebenfalls

aus V3 und wirkt über hs in H3 (4) Die disynaptische Hemmung, ausgelöst durch hl in Gleichung (17),

an hs in D in Gleichung (19) angepasst, kommt zur Inhibition I3 in Gleichung (18) dazu. (5) Falls V4

(Gleichung (14)) Null ist, ist es die Abgleichung zwischen Erregung H3 und Hemmung D, die festlegt,

ob die ausgelöste Gruppierung erhalten und stabilisiert oder unterdrückt wird. Schritt vier wird dabei

sooft wiederholt, bis die extrapolierten Gruppierungen zurück auf die Gruppierungen schrumpfen, die

durch bottom-up Aktivierung gestützt werden. Das heißt, nach einem Ausgangsreiz der weitreichen-

den Bipolerregung (hl), müssen Zellen auf zwei Seiten durch aktive Grenzzellen hs umgeben sein,

oder sie werden von D unterdrückt.

6.) Kortikales Areal V1 (Schicht 6)

Schicht-6 Neurone erhalten exzitatorische Inputs von Schicht 2/3 und vom LGN. Die bottom-up Akti-

vierung durch den LGN wurde, wegen der besseren Berechenbarkeit, von EC approximiert:

36

21

ijkCijkij VEE += (22)

7.) Kortikales Areal V2

Im Modell sind die Gleichungen für die Schichten 4, 2/3, und 6 des Areals V1 für die Schichten des V2

einfach kopiert worden. Die Eingänge in die Schichten 4 und 6 kommen dann natürlich nicht mehr aus

dem LGN, sondern sind die exzitatorischen Outputs der Pyramidenzelle aus Schicht 2/3 des V1. Im

Areal V2 wurde die Skala der horizontalen Bipole in der Länge und in der Breite (Parameter CL und

CW) verdoppelt, während alle weiteren Parameter dieselben blieben.

8.) Simulationsmethoden

In den Simulationen des Modells, wurden Gleichgewichtslösungen auf jedem Prozessniveau berech-

net und die vollständige Reihenentwicklung der Levels wurde wiederholt, bis das Konvergenzkriterium

erfüllt wurde (typischerweise wurden 2 bis 5 Wiederholungen benötigt). Das Konvergenzkriterium spe-

zifiziert, dass kein Aktivierungslevel um mehr als 10 % während eines Iterationsschrittes geändert

werden kann. Die sequentielle Iteration von Gleichgewichtslösungen jeder Stufe reduziert die Simula-

tionszeit. Die kortikale Schleife wird in dem folgenden wiederholenden Kreis simuliert: LGN-6-4-2/3-6.

Das Beinhalten des Feedbacks von Schicht 6 in der Berechung von Schicht 2/3 stellt sicher, dass die

Effekte interner kortikaler Prozesse das LGN, über das Feedback von Schicht 6, Einfluss auf alle an-

deren Bahnen haben.

- 15 -

Abb.11. Das Verhältnis von tatsächlicher Reizstärke zur Stärke der wahrgenommenen Kontur. (A) Das Verhältnis steigt mit der Stärke der Reize, allerdings fällt die Steile des Anstiegs mit der Zeit ab. (B) Die Funktion hat die Form eines umgedrehten U's. D.h. nach einem Maximum, das das Verhältnis bei einer optima-len Anzahl von Reizen erreicht, fällt es wieder ab, je dichter die Reize danach liegen.

Abb. 12. Die Simulationsergebnisse zeigen illusorische Konturen senkrecht zu den horizontalen Linien, die in genügenden Abstand (A) liegen, um schon in V1 Gruppie-rungen auszulösen, bzw. (B) so weit auseinander liegen, dass dies erst in V2 geschehen kann.

Um künstliche Kanteneffekte an der Grenze eines

Bildes zu vermeiden, wurde das Bild nach außen

erweitert, um eine Distanz, entsprechend zweier

Standardabweichungen des (größeren) inhibitori-

schen retinalen Kerns.

Resultate

1.) Konturvervollständigung senkrecht zu

Linienenden

Im Modell entstehen Gruppierungen sowohl bei kolli-

nearen Linien als auch senkrecht zu Linienenden. Wei-

tere Beispiele liefern die Abbildungen 11 A/B und 12

A/B. Abbildung 11 illustriert eine wichtige Eigenschaft

dieser Gruppierungen: Ihre graduelle Sensitivität auf

den Kontext, in dem sie sich befindet. Sie lässt sich als

Verhältnis von wahrgenommener Konturstärke zur

tatsächlichen Konturlänge darstellen. Die Werte in Ab-

bildung 11A verhalten sich noch wie erwartet. Je mehr

Pyramidenzellen der Schicht 2/3 erregt werden, desto

stärker die Exzitation der einen Zielpyramiden. Dass

die Funktion in Abbildung 11B die Form eines umge-

kehrten U's annimmt, das Verhältnis der Konturstärke

also wieder abfällt, ist dagegen auf den ersten Blick

nicht ganz einleuchtend. Diese Resultate lassen sich

mit dem Hintergrund der Interaktion von kurzweitrei-

chender Inhibition und langweitreichender Exzitation

erklären. Die Inhibition verhindert eine optimale Erre-

gung durch einen Reiz und die Funktion stellt nur die

Relation von Reizanzahl zur Erregung dar. Beim

mittleren Quadrat von Kanizsa in Abbildung 11B ist

dann die Ausbeute an Erregung pro Reiz erheblich

höher, als beim rechten, wo, wegen der kurzweit-

reichenden Hemmung, viele Reize nur gedämpft erregen.

Vorla

ge

V1

V2

- 16 -

Abb. 14. In Abbildung (A) kann wieder horizontal und vertikal gruppiert werden. In (B) dagegen verhindern die horizontalen Balken eine vertikale Gruppierung.

Abb. 13. In Abbildung (A) kann keine eindeutige Grup-pierung entstehen. Während aus (B), durch Hinzufügen von Reizen, eine klare horizontale Gruppierung resul-tiert.

Die Abbildungen 12A und 12B sind Beispiele für Gruppierungen, die senkrecht zu den Reizen entste-

hen. In Abbildung 12A sind die Linien nah genug beieinander, so dass in V1 schon Gruppierungen

existieren, die in V2 noch verstärkt werden. Im Beispiel rechts davon, sind die Linen zu weit auseinan-

der, so dass es im V1 nicht zu Gruppierungen kommt, wohl aber in V2. Diese Eigenschaft bestätigt die

Hypothese, dass die Bereiche V1 und V2 eine ähnliche Organisation teilen, aber das V2 über größere

Abstände gruppieren kann.

2.) Gestaltgruppierung

Das Modell liefert z.B. für das Gestaltgesetz der Nähe eine plausible Erklärung. Das "Gesetz" besagt,

dass nah beieinander liegende Objekte zusammengefasst werden (siehe Abbildung 13). Wenn mehr

horizontale Reize in Abbildung 13B hinzugefügt werden, erhöht sich die Stärke der horizontalen Grup-

pierung in Schicht 2/3. Diese Gruppierung ist dann stärker als eine mögliche vertikale Gruppierung.

Das bedeutet auch, dass von der horizontalen Gruppierung eine größere Hemmung auf die vertikale

Gruppierung ausgeht, als umgekehrt. Ein weiteres Gestaltgesetz ist das der guten Weiterleitung. Aus

der gleichmäßigen Verteilung von Reizen in Abbildung 14A können sowohl horizontale als auch verti-

kale perzeptuale Gruppierungen resultieren. Die horizontalen Linien zwischen den Quadraten in Ab-

bildung 14B erzwingen eine horizontale Gruppierung. Dieser Effekt lässt sich, wie beim Beispiel von

Abbildung 11B, auf die weitreichende Exzitation in Schicht 2/3 und die Kurzstreckeninhibition von

Schicht 6 bis 4 zurückführen.

A

B A

- 17 -

Abb. 15. Links ist ein stark durch Rauschen beeinflusstes Bild mit einem schwarzen Quadrat in der Mitte. Rechts ist das Resultat der Berechnung durch komplexe Zellen der Schicht 2/3.

3.) Steigerung des Verhältnisses von

Signal zu Rauschen

Im linken Teil von Abbildung 15

werden die Randsignale des

schwarzen Quadrats in der Mitte

durch Rauschen gestört. Das

Quadrat im rechten Teil zeigt, wie die

horizontalen Verknüpfungen der

Schicht 2/3 die Grenzen aus der

Unordnung ausgewählt haben.

Zusammenfassung

Das Modell lässt sich in verschiedene Stufen der Verarbeitung von retinalen Informationen gliedern.

Durch die rezeptiven Felder in der Netzhaut und auch später im LGN gibt es eine Kontraststeigerung.

Daraufhin aktivieren die halbwellig korrigierten Ausgaben dieser Felder die einfach orientierten Zellen.

Ähnlich orientierte einfache Zellen bündeln ihre Aktivitäten auf komplexe Zellen. Die komplexen Zellen

erweisen sich dabei als unempfindlich auf die Richtung des Kontrastes, da sie Input von einfachen

Zellen mit unterschiedlicher Kontrastpolaritäten bekommen. Im Kortex, kommt es, u.a. wegen der

kurzweitreichenden Inhibition, zur räumlichen und orientierten Konkurrenz zwischen den Komplexzel-

len, wobei schwächere Grenzaktivierungen unterdrückt, die Vervollständigung von stärkeren und die

globaleren Grenzaktivierungen unterstützt werden. Funktional schärft Konkurrenz die Kantenbestim-

mung und die Ausrichtung von einzelnen Komplexzellen. Sie erlaubt, dass Komplexzellen stärker an

den Enden einer Linie antworten, als in der Mitte. Das ‚folded feedback’ auf Zellen der Schicht 4, das

auch durch langweitreichende Erregung beeinflusst wird, trägt mit zu dieser Konkurrenz bei. Dieses

Feedback sorgt gleichzeitig für die Unterstützung von Formvervollständigung sowie für die Unterdrü-

ckung von Rauschen. Die langweitreichende Kooperation zwischen kortikalen Kolumnen ist ein wichti-

ger Punkt in der Verarbeitung. Sie verwirklicht die Gruppierung stetiger Grenzen und die Vervollstän-

digung von durch Rauschen gestörter Grenzen. Diese Kooperation wird durch Bipolzellen erreicht,

welche nur dann feuern, wenn beide Hälften ihres rezeptiven Feldes ausreichend von Inputs der ent-

sprechend orientierten Komplexzellen aktiviert wurden. Des Weiteren sind Exzitation und Inhibition

derart balanciert, dass die Sensibilität auf die Stärke einer Kontur bewahrt bleibt und Aktivierungen

nicht von Sättigung beeinflusst werden. Diese robuste Bewahrung der Sensibilität zur analogen Input-

stärke, die die weitreichende Vervollständigung von Signalen über Lücken von Kanten in den Bildern

unterstützt ist eine wichtige Entwicklung. Die aktuelle Architektur kann entscheiden, ob und wo Grenz-

segmente zusammenhängend zu verbinden sind, bezüglich der Wichtigkeit der Inputkontraste in voll-

ständigen Konturen. Das vorgestellte Modell entwickelt die FACADE (Form And Color And DEpth)

Theorie über visuelle Wahrnehmung weiter. Genauer gesagt, jene Bahnen der Theorie, die die Gren-

zen und Kanten in einer Szene erzeugen und welche unter der Bezeichnung Boundary Contour Sys-

tem zusammengefasst werden.

- 18 -

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: Schmidt RF, Thews G (1997): S. 297.

Abb. 2: Dudel J, Menzel R, Schmidt RF (2001): S. 413.

Abb. 3: verändert aus: Grossberg S, Mingolla E, Ross WD (1997): S. 107.

Abb. 4: Ross WD, Grossberg S, Mingolla E (2000): S. 572.

Abb. 5: Neumann H, Mingolla E (2001): S. 355.

Abb. 6: Grossberg S, Mingolla E, Ross WD (1997): S.109.

Abb. 7: Ross WD, Grossberg S, Mingolla E (2000): S. 574.

Abb. 8: Ross WD, Grossberg S, Mingolla E (2000): S. 577.

Abb. 9: Neumann H, Mingolla E (2001): S. 368.

Abb. 10: Ross WD, Grossberg S, Mingolla E (2000): S. 581.

Abb. 11: Grossberg S, Mingolla E, Ross WD (1997): S.107.

Abb. 12: verändert aus: Ross WD, Grossberg S, Mingolla E (2000): S. 585.

Abb. 13: Ross WD, Grossberg S, Mingolla E (2000): S. 584.

Abb. 14: Ross WD, Grossberg S, Mingolla E (2000): S. 584.

Abb. 15: Ross WD, Grossberg S, Mingolla E (2000): S. 586.

Literatur

Ross WD, Grossberg S, Mingolla E (2000): Visual cortical mechanisms of perceptual grouping: inter-

acting layers, networks, columns, and maps. In: Neural Networks 13: S. 571-588.

Grossberg S, Mingolla E, Ross WD (1997): Visual brain and visual perception: how does the cortex do

perceptual grouping? In: Trends in Neurosciences 20: S.106-111.

Neumann H, Mingolla E (2001): Computational neural models of spatial integration in perceptual

grouping. In: From Fragments to Objects: Grouping and Segmentation in Vision. T.F.Shipley &

P.J. Kellman, Editors. Elsevier Amsterdam: S. 353-400.

Schmidt RF, Thews G (1997): Physiologie des Menschen. Springer-Verlag Berlin Heidelberg.

Dudel J, Menzel R, Schmidt RF (2001): Neurowissenschaft. Vom Molekül zur Kognition. Springer-

Verlag Berlin Heidelberg.