Was können und was sollen zivilgesellschaftliche Hilfsstrukturen leisten?

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Was können und was sollen zivilgesellschaftliche Hilfsstrukturen leisten? Jahrestagung Illegalität 8.3.2012 Dr. med. Jessica Groß Büro für medizinische Flüchtlingshilfe Berlin

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Was können und was sollen zivilgesellschaftliche Hilfsstrukturen leisten?. Jahrestagung Illegalität 8.3.2012 Dr. med. Jessica Groß Büro für medizinische Flüchtlingshilfe Berlin. Gliederung. Ziele und Hintergrund unserer Arbeit Wie sollen die Ziele erreicht werden? - PowerPoint PPT Presentation

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Was können und was sollen zivilgesellschaftliche Hilfsstrukturen leisten?

Jahrestagung Illegalität 8.3.2012

Dr. med. Jessica Groß

Büro für medizinische Flüchtlingshilfe Berlin

Page 2: Was können und was sollen zivilgesellschaftliche Hilfsstrukturen leisten?

Gliederung

Ziele und Hintergrund unserer Arbeit

Wie sollen die Ziele erreicht werden?

Inhalt unserer Arbeit: Was wir leisten und was nicht – Zivilgesellschaft was ist das?

Ausblick: Menschenrechte und Zivilgesellschaft

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Ziele

Gründung 1996 als antirassistisches Projekt im Kontext von ausländerrechtlichen Verschärfungen und rassistischen Übergriffen

Hintergrund: „Gleiche Rechte für alle!“ Praktische Arbeit: Gesundheitsversorgung für

Menschen ohne Papiere hier und jetzt verbessern Politische Arbeit: Medizinische Versorgung

unabhängig von Aufenthaltsstatus und Eingliederung in die Regelversorgung

Analog GKV: „Die Leistungen müssen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein“

„Not - oder Grundversorgung“ medizinisch unsinnig

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Menschenrecht auf Gesundheitsversorgung: WSK Pakt Die Vertragsstaaten müssen “für jedermann im

Krankheitsfall den Genuss medizinischer Einrichtungen und ärztlicher Betreuung sicherstellen“

„ohne Diskriminierung hinsichtlich der Rasse, der Hautfarbe,… der Herkunft, des Vermögens, der Geburt oder des sonstigen Status“

VN Ausschuss General Comment: „Medizinische Einrichtungen und ärztliche Betreuung müssen für alle, insbesondere für die besonders schutzbedürftigen und an den Rand gedrängten Gruppen der Bevölkerung de jure und de facto ohne Verletzung des Diskriminierungsverbots zugänglich sein“

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Durchsetzung der Menschenrechte – Wer ist zuständig?

Alle Aufgabe des Staates: Menschenrechte achten sie gegen Beeinträchtigungen durch Dritte schützen ihre effektive Inanspruchnahme gewährleisten Daher: Selbstabschaffung des Medibüros als

langfristiges Ziel, praktische Unterstützungsarbeit soll überflüssig werden

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Wie soll das erreicht werden?

Kurzfristiger Ansatz: Praktische Unterstützungsarbeit zur Verbesserung der medizinischen Versorgung

Mittelfristiger Ansatz: Engagement auf lokaler Ebene für Veränderungen im bestehenden gesetzlichen Rahmen

Langfristiger Ansatz: Politische Arbeit auf Bundesebene zur Eingliederung aller in die medizinische Regelversorgung

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Konkrete Forderungen

Keine Leistungseinschränkung durch AsylbLG Abschaffung Übermittlungspflicht § 87 AufenthG Ein Schritt in die richtige Richtung auf lokaler

Ebene: Anonymer Krankenschein Realistische Bedürftigkeitsprüfung im Sozialamt Soziale Rechte von EU BürgerInnen durchsetzen Bestehende sozialrechtliche Möglichkeiten

ausschöpfen

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Medibüro – Praxis

Selbstorganisiertes, nicht-staatliches Projekt getragen von 20-30 Freiwilligen

Keine bezahlten Stellen, keine offizielle Finanzierung, zweimal wöchentlich Bürodienst, keine medizinische Behandlung vor Ort

Vermittlung von etwa 800- 1000 Pat./Jahr an ca. 120 kooperierende medizinische Fachkräfte und Gesundheitseinrichtungen, die bereit sind zur unentgeltlichen Versorgung

Medikamente/Krankenhausaufenthalte teilweise durch Spenden finanzierbar

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Erfahrungen und Entwicklung in Berlin - Praxis

Parallelsystem medizinisch nicht ausreichend: Von Prävention über Intensivmedizin bis zur Nachsorge wird alles gebraucht

Unzureichende Versorgung und Angst vor Aufdeckung führt zu Komplikationen bis hin zum Todesfall

Realität in Krankenhäusern: Offenheit und sozialrechtliche Kenntnisse sehr unterschiedlich – Ablehnung oder Vorkasse in Erster Hilfe nicht selten, Hinzuziehung der Polizei zur Identitätsfeststellung kommt vor

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Erfahrungen und Entwicklung in Berlin – Politisch

2003 Gespräch mit Senatorin Gesundheit und Soziales: „Stadt kann nichts tun!“

2007 BAG Bericht „Gesundheit/Illegalität“ 2008 Zusammenarbeit mit Senatsverwaltung:

Verlängerte Duldung für Schwangere AG Anonymer Krankenschein Schreiben zum „verlängerten Geheimnisschutz“ Gründung Runder Tisch

2011 Pleite Medibüro – große Spendenreaktion, Diskussionsveranstaltung mit Politik und Praxis vor Wahlen zum Abgeordnetenhaus

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Ergebnisse Runder Tisch

Kein Berliner Modell aufgrund Blockade Innensenat: „Ohne Offenbarung keine Leistung“

Umsetzung Duldung für Schwangere, keine Polizei bei Geburtsurkunde

Einheitlicher Antrag zur Bedürftigkeitsprüfung bei Nothilfe

Runder Tisch unter großer Koalition: Verbesserungen jenseits des Konzeptes des Anonymer Krankenschein

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Aktuelle Probleme I

Bedürftigkeitsprüfung durch Sozialämter: Beweislast beim Nothelfer Krankenhaus Detailliertes Antragsformular mit Angaben z.B.

Wohnung, Vermieter, Namen Mitbewohner Trotz Antrag meist zunächst Ablehnung

Duldung für Schwangere: scheitert oft an Umverteilung § 15 a AufenthG Aussetzung Umverteilung möglich: „BÜMI“ langwieriges Verfahren und diskriminierender

Umgang in Ausländerbehörde

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Aktuelle Probleme II

BürgerInnen der neuen EU Länder

Legaler Status, aber keine Krankenversicherung inzwischen ein Drittel unseres Klientel Sozialrechtliche Situation kompliziert Kenntnisse in Beratungsstellen und Ämtern gering Umsetzung bestehender Ansprüche schwierig

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Stand der Dinge

Medizinische Versorgung weiter unzureichend Wenig Verständnis für Probleme EU BürgerInnen Spendenbasierte Finanzierung unsicher Mühsames Ringen mit Politik und Verwaltung Umsetzung von Teilerfolgen schwierig Spagat zwischen Pressure Group und Dialog Leider weiter notwendig: Kombination

Versorgungsangebot und politische Initiative

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Zivilgesellschaft: Was ist das?

Habermas: Selbstorganisierte Assoziationen von BürgerInnen im Bereich zwischen Staat, Markt und Privatsphäre

Gramsci: Raum, in dem Akteure der Gesellschaft um Deutung und Hegemonie kämpfen

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Was kann die Zivilgesellschaft leisten?

„Bürger vertreten über dieses Engagement nicht nur Anliegen von Statuslosen, sondern sie pflegen ihr Menschenrechtsverständnis in der Gesellschaft,…und verteidigen ihre Wertvorstellungen“ (Fisch 2001)

Zivilgesellschaftliche Assoziationen vermitteln zwischen Staat und Gesellschaft und tragen „als demokratische Produktivkraft zu einer Öffnung und Fortentwicklung der politischen Institutionen bei“ (Klein 2001)

Was wollen wir leisten: Verwaltungen mit Realität konfrontieren, Dialog führen, Prozesse initiieren, politische Veränderungen vorantreiben

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Was wollen wir nicht leisten?

Unsichere und inadäquate Gesundheitsversorgung in Parallelstruktur

Keine Professionalisierung angestrebt wegen Gefahr der Lückenbüßerfunktion

Durchsetzung von Menschenrechten abhängig machen von Spenden, Ehrenamt und unentgeltlicher Arbeit

Gefahr: Zivilgesellschaft als politischer und materieller Politikersatz - „Zivilgesellschaft ist dann nur ein anderes Wort für die Selbstabwicklung der Politik“ (Beck 2000)

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Menschenrechte als Almosen oder Recht auf Rechte

Wenn „Menschen keine Staatsbürgerschaftsrechte mehr genießen und daher auf das Minimum an Recht verwiesen sind, das ihnen angeblich angeboren ist“ gab es niemanden mehr, der ihnen dieses Recht garantieren konnte und dann muss „das Recht auf Rechte oder das Recht jedes Menschen zur Menschheit selbst zu gehören, von der Menschheit selbst garantiert werden….Und ob dies möglich ist, ist durchaus nicht ausgemacht“ Wenn das Leben von Wohlfahrtsorganisationen und privater Mildtätigkeit abhängt, dann findet ein Verlust der Menschenrechte statt, weil der Mensch „den Standort in der Welt verliert, durch den er überhaupt Rechte haben kann“ (Arendt 1951)