Wenn die Erben streiten

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Erben und Schenken - alles, was Sie wissen sollten. Mit wahren Fällen aus der journalistischen Praxis Kaum ein Thema bewegt die Gemüter in Österreich so sehr wie die Aussicht, etwas zu erben. Ansonsten friedliche Zeitgenossen lassen sich auf erbitterte Auseinandersetzungen ein und sind sich auch für Tricks und Winkelzüge nicht zu schade, wenn es darum geht, ein Stück vom Erbschaftskuchen zu ergattern. Nicht selten enden Streitigkeiten um den Nachlass vor Gericht – und produzieren Prozesskosten, die den Streitwert bei Weitem übersteigen. Dieses Buch erklärt anhand von 16 Fällen aus der ORF-Sendung „Schauplatz Gericht“ alles Wesentliche rund um die Themen Erben und Schenken. Von der gesetzlichen Erbfolge über das Testament, die Voraus-Enterbung und Erbteilung bis hin zum Verlassenschaftsverfahren zeigt Erbrechtsexpertin Dr. Elisabeth Scheuba, wie juristische Laien häufige Fehler vermeiden und erbrechtliche Probleme konkret gelöst werden können.

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1. Wer braucht ein Testament? – Wissenswertes zur gesetzlichen Erbfolge

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WER erbt nach dem Gesetz?

Wie hat nun der Gesetzgeber für den Fall, dass es kein Testament gibt, vorgesorgt? Er bestimmt zunächst einmal jene – in der Regel dem Verstorbenen nahe – Personen, die gesetzliche Erben sein sollen:

Das sind in erster Linie die Kinder. Das Gesetz macht zwischen ehelichen und unehelichen Kindern und auch adoptierten Kin-dern keinen Unterschied. Wenn Kinder da sind, erben sie im-mer. Sind Kinder nicht mehr da, weil schon verstorben, erben die Enkel (siehe dazu auch den Fall 3 auf Seite 23).

Auch der Ehepartner erbt nach dem Gesetz immer. Oft ne-ben den Kindern oder anderen Verwandten, mitunter aber allei-ne (siehe dazu auch den Fall 4 auf Seite 29). Er erhält nach dem Gesetz überdies auch noch das sogenannte „Vorausvermächtnis“, das ist das Recht, in der Ehewohnung weiterzuwohnen und Ein-richtung und Haushaltssachen zu behalten (siehe dazu auch den Fall 10 auf Seite 81).

Hat der Verstorbene keine Kinder und auch keine Enkel-kinder hinterlassen, sind andereVerwandtedie gesetzlichen Erben, nämlich die Eltern, manchmal die Geschwister und Ge-schwisterkinder (Neffen/Nichten des Verstorbenen), in seltenen Fällen auch die Großeltern und deren Nachkommen (also Onkel/Tante bzw. Cousin/Cousine des Verstorbenen).

Die Eltern des Verstorbenen kommen nur dann zum Zug, wenn keine Kinder (Enkelkinder) vorhanden sind. Die Geschwister des Verstorbenen nur dann, wenn auch die Eltern des Verstor-benen bereits verstorben sind. Sind auch die Geschwister des Verstorbenen schon tot, erben NichtenundNeffen des Verstor-benen. Aber: Nichten und Neffen erben nichts, wenn keine Kin-

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Nicht jeder hat ein Testament. Und viele, die darüber nachden-ken, ob sie ein Testament machen sollen oder nicht, fragen sich, ob sie denn ein Testament überhaupt brauchen.

Was passiert OHNE Testament?

Wenn es keinTestament gibt, tritt automatisch die im Gesetz vorgesehene Erbfolge ein. Wer also zu Lebzeiten nicht festgelegt hat, was nach seinem Tod mit seinem Vermögen geschehen soll, verlässt sich damit auf die gesetzlicheErbfolge. Sein Vermögen wird unter seinen Angehörigen so verteilt, wie es in Österreich das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch (ABGB) bestimmt.

Wer BRAUCHT ein Testament?

Wer nicht weiß, ob er ein Testament machen „muss“, ob er also ein Testament „braucht“, sollte zunächst einmal wissen, wie denn die gesetzlicheErbfolge nach ihm konkret aussehen wür-de. Denn vielleicht ist damit ohnedies alles bestens geregelt. Es sind zweiFragen zu beantworten:

Wer sind meine Erben nach dem Gesetz?

Was sollen sie nach dem Gesetz erhalten?

Die Antworten darauf, also die Informationen, wie die Erbfolge nach dem Gesetz konkret aussehen würde, sind Grundlage für die Entscheidung, ob ein Testament gemacht werden „muss“ oder nicht. Denn wer mit den im Gesetz vorgesehenen Erben einverstanden ist und auch mit der im Gesetz vorgesehenen Aufteilung unter den Erben, braucht kein Testament zu ma-chen. Für den ist das Thema „Testament“ damit auch schon wie-der erledigt.

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der vorhanden sind, es aber noch einen überlebenden Ehepartner gibt (siehe dazu auch den Fall 2 auf Seite 18).

ACHTUNG: Der Lebensgefährte ist nach dem Gesetz nie-mals Erbe. Soll er erben, braucht es jedenfalls ein Testament (siehe dazu ab Seite 35).

WAS erben die Angehörigen nach dem Gesetz jeweils?

Um zu bestimmen, was und wieviel vom Nachlass die Erben erhalten, um also den im Gesetz bestimmten Anteilder Erben zu ermitteln, sind Rechenaufgaben zu erledigen. Wer gut im Bruchrechnen ist, tut sich dabei leichter:

Hinterlässt der Verstorbene nurKinder, teilen diese den Nach-lass zur Gänze unter sich auf, und zwar „nach Köpfen“. Es er-halten also z.B. drei Kinder je ¹⁄3 des Nachlasses (siehe dazu den Fall 1 auf Seite 15) oder zwei Kinder je ¹⁄2 des Nachlasses. Ist eines von drei Kindern schon gestorben und hat selbst z.B. zwei Kinder hinterlassen, so teilen diese beiden Enkel das ¹⁄3 ihres verstorbenen Vorfahren, sie erhalten also je ¹⁄6.

Hinterlässt der Verstorbene einen EhepartnerundKinder, er-hält der Ehepartner ¹⁄3 des Nachlasses, die Kinder teilen „ihre“ ²⁄3 wieder „nach Köpfen“ auf. Sind also z.B. zwei Kinder vorhanden, erhält jedes Kind ¹⁄3, sind drei Kinder vorhanden, so erhält jedes Kind ²⁄9, während der Anteil für den Ehepartner neben Kindern immer ¹⁄3 bleibt.

Sind keine Kinder vorhanden, erhält der Ehepartner ²⁄3 des Nachlasses, die Eltern des Verstorbenen erhalten das verbliebe-ne ¹⁄3. Sind die Eltern bereits verstorben, fällt das Drittel an die Geschwister des Verstorbenen. Diese teilen wieder nach „Köp-

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fen“, es erhalten also z.B. zwei Geschwister des Verstorbenen je ¹⁄6.

AlsGrundregelgilt: Welchen Anteil der Einzelne jeweils an der Verlassenschaft konkret erhält, bestimmt sich danach, ob und mit allenfalls welchenanderen Angehörigen er „konkurriert“. Und: Der Ehepartner bekommt umso mehr, je entfernter die Verwandten sind, die neben ihm erben. Sind neben dem Ehepart-ner nur Neffen bzw. Nichten des Verstorbenen übrig, bekommt der Ehepartner alles (siehe dazu den Fall 2 auf Seite 18).

MEHRERE Erben erben miteinander – was dann?

Hinterlässt der Verstorbene mehrereAngehörige, die alle nach dem Gesetz nebeneinander Erben sind – also z.B. mehrere Kinder oder Ehepartner und Kinder oder Ehepartner und Ge-schwister –, so entsteht automatisch eine Erbengemeinschaft. Die Mitglieder dieser Gemeinschaft erhalten dann an allen zum Nachlass gehörenden Sachen Miteigentum. Es sind also z.B. drei Kinder zu je ¹⁄3 Eigentümer von allen vom Verstorbenen geerbten Sachen, ihnen gehört somit z.B. je ¹⁄3 des Grundstücks, des Autos, aller Einrichtungssachen usw. Selbst Haustiere des Verstorbenen gehören dann jedem Miterben zu je ¹⁄3.

Miterben müssen alleEntscheidungen über die geerbten Sa-chen gemeinschaftlich treffen. Bei einfacheren Entscheidun-gen (wie z.B. den Rasen im Garten des Hauses mähen zu lassen) genügt ein Mehrheitsbeschluss, bei weitreichenden Entschei-dungen (z.B. über den Verkauf oder auch langfristige Vermietun-gen oder über die Frage, wer die gemeinsame Sache wie benützen darf) braucht es Einstimmigkeit. Wer von seinen Miterben „ge-nug“ hat, sich mit seinen Miterben nicht weiter auseinanderset-zen will, der kann die Teilungsklage erheben. Er erreicht damit

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die Versteigerung z.B. des gemeinsam geerbten Hauses (siehe dazu den Fall 1 auf dieser Seite).

Wer mit seinen im Gesetz vorgesehenen Erben, mit derAufteilungundderErbengemeinschaftganzundgarein-verstanden ist, braucht kein Testament. Oder vielleichtdoch?WelcheFolgenundmitunterauchTückeneshabenkann,keinTestamentgemachtzuhaben,zeigendiefolgen-denFälle:

Fall 1Drei Geschwister erben – Miterben unter sich

In der Steiermark steht das Elternhaus der drei Geschwister X., das sie im Jahr 1996 nach dem gesetzlichen Erbrecht zu gleichen Teilen geerbt haben. Franz, der Älteste, bewohnt es seit 1995. Er behauptet, er allei-ne hätte das Haus teuer renoviert. Schon die Eltern hätten gewollt, dass er es einmal bekommen soll, und nicht seine Schwestern.

Schwester Johanna hat 2003 eine Teilungsklage eingebracht. Das heißt: Das Haus sollte versteigert werden und der Erlös zwischen den Geschwistern aufgeteilt werden. Denn Bruder Franz hätte die längste Zeit gratis allein im gemeinsamen Haus gewohnt und nicht einmal die Betriebskosten gezahlt. Franz X. argumentierte, die älteste Schwester Friederike habe ihren Anteil schon längst an ihn übertragen gehabt. Leider sei er aber damit nicht ins Grundbuch gegangen.

Im Sommer 2005 sollte der Wert des Hauses gerichtlich geschätzt werden. Weil Franz X. angeblich angekündigt hatte, sich gegen alles und alle zur Wehr zu setzen, hatte der Gerichtsvollzieher zur Sicherheit schon einmal die Gendarmerie verständigt.

Der Anwalt der Schwestern konnte nur unter Schwierigkeiten ins Haus vorstoßen.

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Heftige emotionale Ausbrüche von Herrn X. begleiteten die Schätzung. 90.000 Euro sollte das Haus laut Schätzgutachten schlussendlich wert sein. Und das Gericht fällte das Urteil: Der Teilungsklage wurde statt-gegeben. Herr X. kündigte an, das Haus nicht verlassen zu wollen und versuchte jahrelang, das Verfahren zu verschleppen.

(Letzter Wissenstand: Herr X. zahlt jetzt wenigstens die Betriebskosten für das Haus. Damit ist für die Schwestern ein wenig Druck weggefal-len, die Versteigerung zu betreiben. Irgendwie scheint die Sache zur Ruhe gekommen zu sein).

Kein Testament – Erbengemeinschaft und dann?

Die Eltern der Geschwister X. haben offenbar keinTestament gemacht. Folglich waren nach dem Gesetz die drei Kinder Franz, Friederike und Johanna die dreiErben. Sie haben das Haus und alles, was dazugehört, nach „Köpfen“ geteilt. Sie haben also an allen geerbten Sachen – insbesondere auch am Elternhaus – zu jeeinemDrittelMiteigentum bekommen. Auch alles andere ge-hört jedem Erben zu ¹⁄3: Die Möbel, das Auto, jedes Häferl in der Küche, sogar Haustiere wie Hund und Katze, alles ist ein durch drei geteiltes Miteigentum.

Wenn sich die Erben gut verstehen und sich einig sind, wer was behalten oder nutzen darf, kann eine Erbengemeinschaft gut funktionieren. Wenn aber einer – wie hier im Fall Franz – das Haus für sich allein nutzen, ein anderer jedoch seinen Anteil am Haus verkaufen will (wie im Fall hier Johanna), wird ein Streit fast unvermeidlich.

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Welche Regeln gelten für die Gemeinschaft?

Für einfache Entscheidungen, die für das Haus zu treffen sind, wenn also z.B. ein neuer Gartenschlauch zu kaufen ist oder das Türschloss repariert werden muss, können zwei von drei Erben das entscheiden. Sie sind die Mehrheit, die Kosten, die mit ihren Entscheidungen verbunden sind, werden durch drei geteilt. In ei-ner Notsituation – wenn also z.B. eine Mauer des Hauses wegen eines Hangrutsches plötzlich gefährdet ist – kann auch ein Erbe allein z.B. das Abpölzen der Mauer in Auftrag geben. Er braucht nicht zu warten, bis alle Miterben zustimmen.

Wenn es aber – abseits von solchen Notsituationen – um wich-tige weitreichende Entscheidungen geht, müssen alle drei Er-ben zustimmen. So z.B. auch wenn einer der Miterben, wie z.B. Franz im konkreten Fall, das geerbte Haus künftig (nicht nur für kurze Zeit) allein für sich nutzen will.

Wie hätte im konkreten Fall eine Einigung aussehen können?

Im konkreten Fall hätten die beiden Schwestern von Franz X. damit einverstanden sein müssen, dass ihr Bruder Franz das geerbte Haus für sich allein nutzt. Franz hätte aber seinen Schwestern für die alleinige Nutzung auch Miete zahlen müssen, nämlich jeder Schwester ein Drittel jenes Betrages, den ein familienfrem-der Mieter des Hauses an die drei Erben zu zahlen gehabt hät-te. Franz hätte selbstverständlich auch die von ihm verursachten (gebrauchsabhängigen) Betriebskosten allein tragen müssen, nur bei Kosten wie z.B. der Grundsteuer hätten die Schwestern mit-zahlen müssen.

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Die Auflösung der Gemeinschaft

Wenn eine solche Einigung – die am besten schon im Verlassen-schaftsverfahren getroffen wird (siehe dazu im Kapitel 7 „Ver-lassenschaftsverfahren“ ab Seite 127) – nicht gelingt, bleibt nur das, was im konkreten Fall die Schwester Johanna gemacht hat, nämlich die Teilungsklage. Dann wird der Wert des Hauses von einem gerichtlich beeideten Sachverständigen geschätzt und es wird letztlich die Zwangsversteigerung in die Wege geleitet.

Hätten es die Eltern der drei Geschwister X. für ihre drei Kinder gar nicht erst zu einer Erbengemeinschaft kommen lassen, hät-ten also die Eltern in einem Testament z.B. die Nutzung und die Aufteilung des Hauses geregelt, wäre ihren drei Kindern Franz, Friederike und Johanna das alles wohl erspart geblieben.

Manchmalkannesschondeshalbwichtigsein,einTesta-mentzumachen,weilniemandimVorhineinweiß,obereinmalErbeseinoderober–bevoresdazukommt–vor-herselbstvererbenwird:

Fall 2

Wer stirbt zuerst – nur Lebende erben

Ein unglaublicher Fall, der Herrn Jakob X. aus Kärnten passiert ist: Sein alter Onkel Josef und seine Tante Maria sind im Jänner 2008 fast gleich-zeitig aus dem Leben geschieden. Onkel Josef war ein reicher Land-wirt, er hatte keine Kinder, und Herr X. hatte gehofft, den Hof im Wert von fast einer Million Euro von ihm zu erben. Als der Onkel älter gewor-den war, hatte er sich bei der Hofarbeit vom Neffen Jakob helfen lassen und Andeutungen gemacht, er solle dereinst alles bekommen. In einer kalten Jännernacht starben Josef und Maria N. nicht nur am selben

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Mehrfaches „Pech“ für den Neffen

Wäre der Fall im Jänner oder im Dezember 2004 passiert, hätte Jakob als Neffe von Josef N. nach der gesetzlichen Erbfolge we-nigstens ¹⁄3 bekommen: Josef N. hatte keine Kinder gehabt, seine Ehefrau Maria hätte nach dem Gesetz ²⁄3 des Nachlasses jeden-

Tag, sondern wahrscheinlich sogar binnen Minuten. Ganz genau weiß man nicht, was passiert ist. Später wurde rekonstruiert, dass Josef N. im Haus einen Herzanfall erlitten haben muss, Maria N. versuchte, im Nachthemd und auf eine Gehhilfe gestützt, Hilfe für ihren Mann zu ho-len, denn das Telefon funktionierte nicht. Wie schnell Frau N. um etwa ein Uhr nachts auf dieser Straße unterwegs war, sollte vor Gericht noch heftig diskutiert werden. Fest steht nur, dass die verzweifelte Frau es schaffte, sich trotz Nebels und Dunkelheit bis zum 300 Meter weit ent-fernten Haus eines Nachbarn zu schleppen. Dort brach sie zusammen und erfror.

Ihr Gatte wurde am nächsten Tag tot in seinem Bett gefunden. Schrift-liches Testament war keines da. Geht man davon aus, dass Maria N. länger gelebt hat als ihr Mann, dann hätte sie das Gut von ihm geerbt, wäre aber nur ein paar Minuten Eigentümerin gewesen. Und als sie wenige Minuten später selbst starb, hätten 21 Verwandte aus ihrer Linie alles von ihr geerbt. Der Nachfahre von Josef, also der Neffe Jakob, wäre nach dieser Annahme leer ausgegangen. Es kam zum Prozess. Das Gericht bestellte einen renommierten Gerichtsmediziner als Gut-achter, der die Frage klären sollte: Wer starb zuletzt? Er hielt sich an die Aussagen der Zeugen, die die Toten gefunden hatten.

Die Aussagen von Notarzt, Gemeindearzt und Polizisten ließen für den Pathologen nur einen Schluss zu: Onkel Josef musste kurz vor seiner Gattin gestorben sein.

Die 21 Prozessgegner von Herrn X. haben sich also durchgesetzt. Und er, der früher oft hier gearbeitet hat, hat jetzt ein Hausverbot von ihnen bekommen.

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falls bekommen. Das verbliebene ¹⁄3 wäre damals dem Neffen von Josef, also Jakob, zugefallen. Es ist aber (für Jakob leider) das Ge-setzgeändertworden: Seit 1.1.2005 erbt der Ehepartner auch jenen Anteil, den die Neffen (und Nichten) eines kinderlosen Ver-storbenen bis Ende 2004 neben dem Ehepartner erhalten haben. Seit 1.1.2005 erbt der Ehepartner alles, wenn der Verstorbene keineKinder hat und nurNeffenbzw.Nichtenhinterlässt(siehe dazu schon Seite 12).

„Pech“ für den Neffen Jakob war somit zunächst, dass sein Onkel „erst“ im Jänner 2008, fast könnte man sagen, um mehr als drei Jahre „zu spät“ gestorben ist. Weiteres „Pech“ für den Neffen war, dass der Onkel vor der Tante gestorben ist. Größtes „Pech“ für den Neffen war aber, dass weder Onkel noch Tante ein Testa-ment gemacht hatten.

Selbst die Tatsache, dass ein Gerichtsmediziner feststellen konn-te, dass die Tante erst nach dem Onkel gestorben war, war für den Neffen nur von Nachteil: Denn hätte nicht bewiesen werden können, wer von den beiden zuerst gestorben ist, wäre nach dem Gesetz vermutet worden, dass beide gleichzeitig gestorben sind. Dann hätte die Tante vom Onkel den Hof nicht geerbt. Der Onkel hätte umgekehrt von der Tante auch nichts geerbt. Und der Neffe hätte als einziger Verwandter des Onkels vom Onkel den Hof geerbt, ohne sich mit den 21 entfernten Verwandten der Tante je darüber streiten zu müssen.

Den Erbfall erleben

Um der Erbe eines anderen werden zu können, muss man zu-allererst selbstamLebensein, wenn der andere stirbt. Tante Maria hat im konkreten Fall nur deshalb den Hof von Onkel Josef geerbt, weil der Gerichtsmediziner zu dem Schluss gekommen ist: Onkel Josef muss kurz vor Tante Maria gestorben sein. Und nach dem seit 1.1.2005 geltenden Gesetz hat eben – weil die Ehe-

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leute keine Kinder hatten – die Tante als Ehefrau alles geerbt, was der Onkel hinterlassen hat, und der Neffe ist leer ausgegan-gen.

Wäre es umgekehrt gewesen, wäre also Tante Maria vor Onkel Josef gestorben, hätte der Onkel den Nachlass der Tante geerbt. Dann hätte der Neffe als einziger Verwandter des Onkels von Jo-sef alles geerbt, also den Hof des Onkels und sogar auch noch das VermögenderTante (das der Onkel zuvor von der Tante geerbt hätte). Das alles, ohne sich mit den 21 entfernten Verwandten der Tante streiten zu müssen.

Nun: An der zeitlichen Reihenfolge des Sterbens von Onkel und Tante lässt sich nicht rütteln. Aber alles andere hätte nicht sokommenmüssen:

Testament und Ersatzerben – So hätte sich für den Neffen der Hof retten lassen

Es hätte die Tante Maria bloß ein einfaches Testament ver-fassen müssen, mit dem sie – wie das ohnehin meist gemacht wird – ihren Ehemann, den Onkel Josef, zu ihrem Erben einsetzt und – was bei einem Testament generell nie vergessen werden sollte – auch einen Ersatzerben bestimmt(siehe zum Ersatz-erben auch Seiten 45 und 47). Wenn die Tante nämlich in einem Testament den Neffen Jakob zum Ersatzerben bestimmt hätte, wäre Jakob gerade dann der Erbe der Tante geworden, wenn – wie es dann ja auch passiert ist – der Onkel vor der Tante stirbt und der Onkel deshalb nicht mehr Erbe der Tante sein kann (siehe dazu im Kapitel 2 „Testament“ ab Seite 35 und den Fall 5 ab Seite 45).

Die 21 entfernten Verwandten der Tante hätten bei einem sol-chen Testament der Tante dann keineAnsprüche gegen Franz erheben können, auch nicht Pflichtteilsansprüche, entfernte

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Verwandte haben nie einen Pflichtteil (siehe dazu im Kapitel 3 „Pflichtteil“ ab Seite 71), sie wären leer ausgegangen.

Hätte Onkel Josef dem Neffen auch bloß nicht nur angedeutet, dass Jakob „dereinst alles bekommen“ soll. Hätte der Onkel doch nur ein Testament gemacht und damit seinem Neffen den Hof als Erbe oder Vermächtnis zugedacht (zum Vermächtnis siehe ab Seite 53), dann hätte Jakob nach dem Tod des Onkels den Hof erhalten. Er hätte allerdings an die Tante bzw. nach dem Tod der Tante an die 21 Angehörigen der Tante den der Tante zuste-henden Pflichtteil ausbezahlen müssen, nämlich die Hälf-te des Wertes des Hofes, im konkreten Fall 500.000 Euro (siehe zum Pflichtteil des Ehepartners im Kapitel 3 „Pflichtteil“ ab Sei-te 72).

Der Onkel hätte auch schon zu Lebzeiten mit einem Schen-kungsvertragaufdenTodesfall bestimmen können, dass der Hof mit dem Tod von Onkel Josef als seinem Neffen Jakob ge-schenkt gilt (siehe dazu im Kapitel 6 „Schenkung“ ab Seite 111). Auch dann hätten die 21 entfernten Verwandten der Tante den Hofnicht erhalten. Denn Tante Maria hätte dann nämlich den Hof vom Onkel Josef wegen der Schenkung an Jakob nicht mehr erben können. Der Tante wäre als Anspruch nach dem Tod des Onkels nur der Pflichtteil geblieben. Und hätte die Tante zu Leb-zeiten auch auf diesen Pflichtteilverzichtet, wären ihre 21 Ver-wandten ebenso leer ausgegangen (siehe zum Verzicht auch im Kapitel 3 „Pflichtteil“ ab Seite 76).

Bei manchen mag es schlicht Vergesslichkeit sein, nichtrechtzeitig mit einem Testament vorzusorgen. Bei man-chenistesSparsamkeit.DiesekannfürdieHinterbliebe-nenabermitunterordentlichteuerwerden: