Wieviel ist genug? Auer

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Wieviel ist genug?

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Eine Frage an über 1.000 Menschen in Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft Wieviel ist genug? Eine einfache Frage, die viele Antworten erlaubt: persönliche, ironische, humorvolle, philosophische, biologische, ökonomische, religiöse und so weiter und so fort. Wieviel ist genug? kann also zu den universalen Fragen des Menschseins gezählt werden.

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Vielen Dank für Ihre interessante Frage, die mich in mei-nem Leben schon seit sehr langer Zeit beschäftigt. In dieser Frage scheint ja – oberflächlich betrachtet – selbst kein Ansatz zu sein, nämlich „wovon soll wieviel genug sein“? Eigentlich ist es aber wohl eine alles umfassende Frage bzw. „die alles umfassende Frage schlechthin“!Speziell in der heutigen Zeit, in der wir u. a. mit den Fol-gen unseres (vom Kapitalismus gesteuerten) Lebensstils auf mehreren Fronten zu kämpfen haben, ist es eine sehr wichtige Frage. Ich muss sagen: „Ich bin Ihnen sehr dank-bar, dass ich Ihnen darauf ein paar Gedanken schriftlich näher bringen darf.“

– SachgüterIhre Bezeichnung als „Die Fabrikanten“ bringt mich zu den Anfängen der maschinellen Produktion, zu den Anfängen der Möglichkeit, möglichst viele Produkte möglichst billig auf den Markt zu werfen. Das ist nicht prinzipiell abzulehnen, es birgt in sich die Möglichkeit, den Menschen das Leben auf dieser Erde „schöner zu machen“. Leider gelingt es der Menschheit aber als Gan-zes nicht, diese Geister, die sie rief, in den Griff zu be-kommen. Einerseits sind die Konzerne genau jene, die in Summe viel zu wenig Steuerleistung erbringen und da-durch hauptverantwortlich dafür sind, dass die Staaten immer mehr in eine Schuldenabhängigkeit derer, die Ver-mögen haben, geraten. Andererseits sind die Menschen aber im Einzelnen auch nicht stark genug, um sich dem übermäßigen Konsum zu entziehen – und so besteht die Gefahr, dass der Teufelskreis nicht zu stoppen ist, bis es irgendwann „kracht“.Also: Wieviel „materielle Werte“ ist (insgesamt) genug? Allzu viel ist ungesund, man sollte auch einmal genug haben und zufrieden sein. Dazu braucht es aber ein ge-ändertes Wirtschaftssystem, mit mehr Staat und we-niger Privat (ein gesundes Maß an PRIVAT muss aber auch sein, weil nur so die Leistung in Schwung gehalten werden kann).

– Soziales NetzDie Spirale geht in die entgegengesetzte Richtung, näm-lich nach unten. Nach sozialen Höchstständen in den 1970iger und 1980iger Jahren hat das soziale Gebäude stark gelitten und es ist ein eindeutiger Abwärtstrend zu konstatieren. Alle sprechen von knapper werdenden Mit-teln des Staates, obwohl das Vermögen insgesamt stark wächst. Plötzlich soll das Geld für Sozialleistungen, die sich für viele Jahre als selbstverständlich etabliert ha-ben, nicht mehr da sein? Wir werden als „übersozial“ be-zeichnet, wenn aber jemand eine Sozialleistung braucht, dann wird festgestellt, dass man gar nicht so leicht zu Sozialleistungen kommt.

Also: Wieviel soziales Netz ist genug? Es besteht derzeit garantiert keine Gefahr „übersozial“ zu werden, wenn das Sozialsystem ausgenützt wird, ist übrigens immer derjenige Schuld, der es ausnützt und solche Menschen gibt es eben leider immer wieder und in allen Bevölke-rungsschichten. Die größten „Sozialschmarotzer“ sind aber sicher nicht die Menschen der Durchschnittsbevöl-kerung, sondern in Summe jene, die sich überproportio-nal viel vom „Gesamtkuchen“ nehmen und immer reicher und reicher werden bzw. schon geworden sind.

– DemokratieAuch die Demokratieentwicklung hat Sand im Getriebe. Mit dem Ansteigen des Wohlstandes ist das Interesse der Bevölkerung, d.h. der Stellenwert der Demokratie gesun-ken. Es wird immer schwieriger Menschen für eine poli-tische Tätigkeit zu gewinnen. Die Demokratie beginnt in den Gemeinden zu wachsen. Viele GemeinderätInnen arbeiten völlig gratis oder zumindest fast gratis und es wird immer schwieriger Menschen zu finden, die sich das „antun“ (so wie übrigens auch für freiwillige Tätigkeit in Vereinen). Natürlich gab (und gibt) es auch andere Ur-sachen für eine stagnierende Weiterentwicklung der De-mokratie wie z.B.: Politiker in führenden Positionen, die zu viel sich selbst und zu wenig ihre Verantwortung im Kopf haben; genau deshalb müssen aber Akzente gesetzt werden, dass verstärkt Menschen mit Charakter bereit sind in die Politik zu gehen, das ist derzeit nicht zu er-kennen, ich würde es mir heute sehr überlegen…ABER: Nur mit schimpfen allein wird die Gesellschaft das Problem nicht lösen, es braucht wieder mehr Men-schen, die bereit sind, sich für Politik zu interessieren und mitzumachen z.B.: Mediale Berichterstattung, die immer oberflächlicher und immer mehr gesteuert wird. Wenn ich z.B. in einem Pressegespräch ein Faktum kriti-siere, indem ich es schlicht und einfach „aufzeige“, wird z.B. berichtet: „wetterte Auer“, „Auer empört über….“; Also: es überwiegt in der medialen Darstellung viel zu sehr das Negative, alle stecken sich gegenseitig mit die-sem Virus an… z.B.: Derzeit ist es „in“, über die Politiker zu schimpfen, das heizt die Politikverdrossenheit noch weiter an.

– Versuch einer (sehr kurz gefassten) gesamthaften Be-trachtung mit physikalischem Hintergrund-Vergleich: Generell kann man sagen, „genug ist so viel, wenn die Entropie maximal ist“! Das ist dann, wenn ein Gleich-gewichtszustand erreicht ist. Das grundlegende Postulat der statistischen Physik besagt nämlich, dass jeder der zugänglichen Mikrozustände eines vollständig abge-schlossenen Systems im Zustand des Gleichgewichtes mit gleicher Wahrscheinlichkeit auftritt und somit die

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Entropie maximal ist. Im Leben (aber natürlich auch in der gesamten Natur) ist es aber sehr schwierig einen Gleichgewichtszustand zu halten. Es gibt ein „auf und ab“, es gibt „Pendelbewegungen“, es gibt „Ausschläge in die entgegengesetzte Richtung“, es gibt „ein über das Ziel hinausschießen“ etc. Übertragen auf unser Gesell-schaftssystem (wobei dieses wiederum sehr stark vom Wirtschaftssystem geprägt wird) heißt das also: Wir brauchen ein System, das die Entropie möglichst hoch hält, dh. es braucht einen gesteuerten Ausgleich, der verhindert, dass Reiche immer reicher und Arme immer ärmer werden, d. h. es braucht eine starke soziale Markt-wirtschaft mit strengen Regeln innerhalb derer aber die Freiheiten im maximal möglichen Rahmen zugelassen werden müssen, um dem inneren Antrieb (sprich den Leistungswillen der Leistungsträger, die ja das Sozial-system letztlich aufrecht erhalten) nicht die Dynamik zu nehmen.

Genug wäre es ja nie, aber ich sage jetzt einfach: „Soviel ist genug!“

Josef AuerSPÖAbgeordneter zum Nationalrat

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