Wild Aus Der Wüste

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Noch nochmals Claiborne: Dass Christen so normal geworden sind, ist ein Armuts- zeugnis.Und: Die meisten guten Dinge sind viel zu oft gesagt worden und müs- sen einfach gelebt werden.Für mich sah es so aus, als ob wir ir- gendwann aufgehört hätten, den christli- chen Glauben zu leben, und ihn stattdes- sen nun studierten.Und ein besonders hübscher: Jeder will eine Revolution, aber niemand will das Geschirr spülen.Christsein braucht Mut, und jede Generati- on muss wieder neu die Courage haben, die für ihre Zeit entscheidenden gottgege- bene Werte zu verteidigen—zur Zeit von Johannes war das u.a. die Forderung nach Authentizität und Echtheit bei den geistlichen Leitern sowie dem lebendigen Glauben an den kommenden Erlöser. Beides gilt sicher heute noch—aber sind vielleicht noch andere Dinge dazugekom- men? Entscheidend ist, dass wir am Schluss zusammen mit Johannes und im Blick auf Jesus sagen können, was am Isenheimer Alter so schön mit dem langen Zeigefinger des Johannes symbolisch ausgesagt ist (schauen Sie mal genau hin im Bild oben): Sein Einfluss muss wachsen, meiner muss abnehmen.« Joh 3,30 Amen. FRAGEN Wild aus der WüsteZum Weiterdenken Was bedeutet christlicher Lebens- stilfür mich? Inwiefern steht dieser im Gegen- satz zu unserer heutigen Gesell- schaft? Woran würde man jemandem ansehen“, dass er ihn pflegt— oder kann man das überhaupt se- hen? Geht es nur um innere Werte oder auch um äusserlich sichtbare Handlungen? Falls es auch um Handlungen geht: Sind diese verschieden von denen, die in anderen Religionen empfohlen werden? Warum? Ist das wichtig? Bedeutet Christsein nötigerweise Verzeicht auf etwas Bestimmtes? Wenn ja, worauf? Und: Was gewinnt man dafür? Ich muss verrückt sein, so zu leben!Das etwa hätte man auch Johannes dem Täufer in den Mund legen können. Tat- sächlich stammt der Satz von Shane Clai- borne, dem Gründer einer modernen christlichen Gemeinschaft, die sich einem alternativen Lebensstil verschrieben hat, in Engagement für benachteiligte Men- schen, soziale Gerechtigkeit, und prakti- sche Hilfe gekoppelt mit persönlicher Be- ziehung zu den Hilfsbedürftigen stehen. Claiborne kam in die Presse mit seinen aufsehenerregenden Aktionen und seine Bücher werden in 12 Sprachen übersetzt. Seine Abenteuer haben ihn von den Strassen von Kalkutta, wo er mit Mutter Theresa gearbeitet hat bis in die wohlha- benden Vororte von Chicago geführt, wo er bei einer einflussreichen Mega-Kirche diente. Als Friedensstifter haben ihn seine Reisen an einige der kriegszerrissensten Orte dieser Welt geführt — von Ruanda bis zur West Bank— und er ist in Frie- densdelegationen in Afghanistan und dem Irak gewesen. Seine — manchmal als moderne klösterli- che Bewegungbezeichnete — christliche Gemeinschaft hat als Ziel, trotz aller Zwei- schneidigkeit, die der Begriff heute hat, einen radikalen christlichen Glaubenim friedensstiftenden und diakonisch dienen- den Sinn auszuleben. Radikaler Glaubeist ganz sicher ein Stichwort, das auch auf Johannes den Täufer gepasst hätte. So völlig total an- ders als die Menschen um ihn kommt er daher: Er aber, Johannes, hatte ein Gewand aus Kamelhaaren an und einen leder- nen Gürtel um seine Lenden; seine Speise aber waren Heuschrecken und wilder Honig.Mk 3,4 Haben Sie sich schonmal über Teenies genervt, die mit bulkigen Kopfhörern her- umlaufen und schlicht nicht drauf reagie- ren, wenn man sie anzusprechen ver- sucht? Oder über Leute, die in Ledermon- tur und mit einer weissen Ratte (einer echten!) auf der Schulter unterwegs sind oder Piercings in der Zunge, durch die Nase, an den Lippen und wer weiss sonst noch wo haben? Der Schockeffekt von Johannes auf die Menschen seiner Zeit muss ungleich höher gewesen sein. Und er kannte keine Gnade, wenn es zur Sa- che ging: Den geistlichen Leitern schleu- derte er die Verurteilung als Schlangenbrutentgegen (Mk 3,7) und den Soldaten redete er ins Gewissen, sie sollten keine Gewalt und kein Unrecht tun (Luk 3,14). Mal ehrlich, es hat schon etwas Faszinie- rendes in unserer Zeit politischer Korrekt- heit“, wo man sich manchmal fast die Zun- ge verknotet, um ja niemandem weh zu tun: So jemand, der kein Blatt vor den Mund nimmt, sich vor niemandem scheut Joh 1,19-28, Predigt vom 27. September 2015 Wolfgang v. Ungern-Sternberg Radikaler Glaube- was soll das? Reformierte Kirche Umiken

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Begegnungen Mit Jesus 2

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Noch nochmals Claiborne: „Dass Christen so normal geworden sind, ist ein Armuts-

zeugnis.“ Und: „Die meisten guten Dinge sind viel zu oft gesagt worden und müs-sen einfach gelebt werden.“

„Für mich sah es so aus, als ob wir ir-gendwann aufgehört hätten, den christli-chen Glauben zu leben, und ihn stattdes-

sen nun studierten.“ Und ein besonders hübscher: „Jeder will eine Revolution, aber niemand will das Geschirr spülen.“

Christsein braucht Mut, und jede Generati-on muss wieder neu die Courage haben,

die für ihre Zeit entscheidenden gottgege-bene Werte zu verteidigen—zur Zeit von Johannes war das u.a. die Forderung

nach Authentizität und Echtheit bei den geistlichen Leitern sowie dem lebendigen Glauben an den kommenden Erlöser.

Beides gilt sicher heute noch—aber sind vielleicht noch andere Dinge dazugekom-men?

Entscheidend ist, dass wir am Schluss zusammen mit Johannes und im Blick auf

Jesus sagen können, was am Isenheimer Alter so schön mit dem langen Zeigefinger des Johannes symbolisch ausgesagt ist

(schauen Sie mal genau hin im Bild oben):

„Sein Einfluss muss wachsen, meiner muss abnehmen.« Joh 3,30

Amen.

FRAGEN

„Wild aus der Wüste“

Zum Weiterdenken

Was bedeutet „christlicher Lebens-stil“ für mich?

Inwiefern steht dieser im Gegen-satz zu unserer heutigen Gesell-schaft?

Woran würde man jemandem „ansehen“, dass er ihn pflegt—oder kann man das überhaupt se-hen?

Geht es nur um innere Werte oder auch um äusserlich sichtbare Handlungen?

Falls es auch um Handlungen geht: Sind diese verschieden von denen, die in anderen Religionen empfohlen werden? Warum? Ist das wichtig?

Bedeutet Christsein nötigerweise Verzeicht auf etwas Bestimmtes? Wenn ja, worauf?

Und: Was gewinnt man dafür?

„Ich muss verrückt sein, so zu leben!“

Das etwa hätte man auch Johannes dem

Täufer in den Mund legen können. Tat-sächlich stammt der Satz von Shane Clai-borne, dem Gründer einer modernen

christlichen Gemeinschaft, die sich einem alternativen Lebensstil verschrieben hat, in Engagement für benachteiligte Men-

schen, soziale Gerechtigkeit, und prakti-sche Hilfe gekoppelt mit persönlicher Be-ziehung zu den Hilfsbedürftigen stehen.

Claiborne kam in die Presse mit seinen aufsehenerregenden Aktionen und seine Bücher werden in 12 Sprachen übersetzt.

Seine Abenteuer haben ihn von den Strassen von Kalkutta, wo er mit Mutter

Theresa gearbeitet hat bis in die wohlha-benden Vororte von Chicago geführt, wo er bei einer einflussreichen Mega-Kirche

diente. Als Friedensstifter haben ihn seine Reisen an einige der kriegszerrissensten Orte dieser Welt geführt — von Ruanda

bis zur West Bank— und er ist in Frie-densdelegationen in Afghanistan und dem Irak gewesen.

Seine — manchmal als „moderne klösterli-

che Bewegung“ bezeichnete — christliche Gemeinschaft hat als Ziel, trotz aller Zwei-schneidigkeit, die der Begriff heute hat,

einen „radikalen christlichen Glauben“ im friedensstiftenden und diakonisch dienen-den Sinn auszuleben.

„Radikaler Glaube“ ist ganz sicher ein

Stichwort, das auch auf Johannes den Täufer gepasst hätte. So völlig total an-

ders als die Menschen um ihn kommt er daher:

„Er aber, Johannes, hatte ein Gewand

aus Kamelhaaren an und einen leder-nen Gürtel um seine Lenden; seine Speise aber waren Heuschrecken und

wilder Honig.“ Mk 3,4

Haben Sie sich schonmal über Teenies genervt, die mit bulkigen Kopfhörern her-umlaufen und schlicht nicht drauf reagie-

ren, wenn man sie anzusprechen ver-sucht? Oder über Leute, die in Ledermon-tur und mit einer weissen Ratte (einer

echten!) auf der Schulter unterwegs sind oder Piercings in der Zunge, durch die

Nase, an den Lippen und wer weiss sonst noch wo haben? Der Schockeffekt von Johannes auf die Menschen seiner Zeit

muss ungleich höher gewesen sein. Und er kannte keine Gnade, wenn es zur Sa-che ging: Den geistlichen Leitern schleu-

derte er die Verurteilung als „Schlangenbrut“ entgegen (Mk 3,7) und den Soldaten redete er ins Gewissen, sie

sollten keine Gewalt und kein Unrecht tun (Luk 3,14).

Mal ehrlich, es hat schon etwas Faszinie-rendes in unserer Zeit „politischer Korrekt-

heit“, wo man sich manchmal fast die Zun-ge verknotet, um ja niemandem weh zu tun: So jemand, der kein Blatt vor den

Mund nimmt, sich vor niemandem scheut

Joh 1,19-28, Predigt vom 27. September 2015

Wolfgang v. Ungern-Sternberg

„Radikaler Glaube“ - was soll das?

Reformierte Kirche Umiken

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und nötigenfalls auch den Mächtigen die Wahrheit ins Gesicht sagt.

Und es hat auch damals fasziniert: Aus

der ganzen Gegend kamen Menschen und liessen sich von ihm taufen. Das galt als Zeichen: „Ich will mein Leben von jetzt

an nach Gottes Willen führen“ (oder, mit dem alten Wort: „Busse tun“).

Was hat Johannes der Täufer mit uns zu tun? Auf den ersten Blick nicht viel. Unser

Zuhause ist geheizt (Gott sei Dank!), un-sere Kleider so weich wie damals diejeni-ge der Höflinge beim König und die Rega-

le unserer Konsumtempel platzen fast vor Delikatessen. Auf den ersten Blick scheint es, als hätten wir nichts zu tun mit diesem

„Relikt antiker Askese“.

Aber Johannes verkörpert eine Frage für uns:

Und diese Frage ist auch heute aktuell!

Woran sieht man eigentlich, dass wir

Christen sind? Oder ist das etwas, was man überhaupt nicht sehen kann, weder am Aussehen, noch an den Taten, son-

dern nur etwas, was rein innerlich im Her-zen geschieht? Die Frage ist so alt wie das Christentum: Was ist eigentlich das

Entscheidende?

Dass jemand von Herzen das Glau-

bensbekenntnis mitspricht oder dass

er dem Mann an der Tür einen Teller warme Suppe gibt?

Dass Du innig betest oder dass Du

ehrlich bist bei Deiner Steuererklä-

rung?

Dass Du mit dem Herzen dabei bist,

wenn Du in der Bibel liest oder dass Du Dich einsetzt für Flüchtlinge im Mittelmeer?

Wir spüren schon: Es braucht beides. Gute Werke bekommen erst durch die

innere Haltung die Wärme, durch die sie auch zu Herzen gehen können, und unser

innerer Glaube muss lebendig werden in der Tat, um wirklich lebendig zu bleiben.

Es ist eine beliebte Frage. In der Prüfung während des Studiums hat mich mal der Professor ungefähr gefragt: „Nun, wie ist

es—kann man ohne gute Werke Christ werden?“ Und er hat offenbar darauf ge-wartet, wie ich das jetzt sortieren würde.

Ich habe ihm in etwa geantwortet: „Man kann ohne gute Werke Christ werden—aber man kann es nicht bleiben.“

Das Neue Testament sagt beides: Der Glaube an Christus entscheidet—aber er

muss sich zeigen und bewähren, wenn er gesund und lebendig sein will. Denn, wie

Jakobus recht pikant formuliert: 19 Du glaubst, dass es nur einen Gott

gibt? Schön und gut! Aber auch die Dämonen glauben das – und zittern!20 Willst du denn nicht begreifen, du

unverständiger Mensch, dass der Glau-be ohne Taten nutzlos ist? Jak 2,19f.

Und Taten hat es im Leben von Johannes reichlich gegeben, auch Entscheidungen.

Zunächst einmal: Der Vater von Johannes dem Täufer war Priester. Zacharias diente

im Tempel, und Johannes hätte leicht in seine Fusstapfen treten können: Sicheres Einkommen und garantierte Anerkennung

im Tempel wären leicht sein gewesen. Stattdessen ging er in die Wüste, wurde sozusagen zum „Aussteiger“. Was sein

Vater wohl gedacht hat? Gott sei Dank war dieser von Gott zuvor extra von einem Engel darauf vorbereitet worden, dass

sein Sohn etwas ganz Besonderes wird (s. Luk 1,5-25), da wird es ihm vielleicht leichter gefallen sein.

Und er hatte in klares Profil, das musste ihm jeder lassen, sogar der abgebrühte

König Herodes, der ihn schliesslich um-

Was ist christlicher Lebensstil?

bringen liess, kam seiner Kritik nicht da-von.

Johannes trat mutig ein für die Wahrheit—bis zur Hingabe seines Lebens, er war ein

Fingerzeig hin auf Christus—und zugleich selbst ein Suchender, noch aus dem Ge-fängnis liess er Jesus fragen: Bist Du der

verheissene Retter oder sollen wir auf einen anderen warten?

Nicht nur Johannes war so verstörend

anders als die Geistlichkeit im Jerusale-mer Tempel, gegen dessen korrumpiertes

Treiben Jesus nachdrücklich vorging. Auch Jesus selbst frappierte die Gläubi-

gen, frustrierte viele ihrer Erwartungen: Da war kein militärisch siegender König, der mit Ruhm und Pracht sofort sein Reich

aufrichtete und die verhassten Römer aus dem Land trieb. Stattdessen trieb er scheinbar wie ein Vagabund durch‘s heili-

ge Land—vollzog dafür aber unglaubliche Mengen an Heilungswundern dabei, was wieder voll den Erwartungen an den gott-

gesandten Retter entsprach. Wenn wir Johannes anschauen, dann ist

es vielleicht, als ob sich in unserem Kopf eine Frage bildet: Und wofür stehst Du?

Bei „Johannes dem Täufer“ ist es ja schon am Namen klar: Na logisch, er tauft, oder?

Und wenn Du einen Titel hättest, was wä-re es dann? Wäre es „Isa, die Ängstliche“ oder „Maria, die Starke“, „Erwin, der

Barmherzige“ oder „Theo, der Zauderer“, „Armin, der Entdecker“ oder „Theresa, die Friedensstifterin“?

Eine alberne Frage, meinen Sie, das Le-ben eines Menschen lässt sich doch nicht auf einen Begriff subsummieren? Sicher-

lich nicht—aber eine wesentliche Stoss-richtung eben manchmal doch, wie hier.

Wissen Sie, eine der speziellsten Erfah-rungen für mich ist es, wenn das Leben

eines Menschen versucht wird, in einer Stunde dargestellt zu werden, wie etwa bei Trauergesprächen, und man sich fragt:

Was war jetzt das Besondere an diesem Menschen, was hat ihn ausgemacht? O-der wenn ich jemand wieder treffe, dem

ich jahrelang nicht begegnet bin, und ihm in wenigen Sätzen mein Leben in den letzten 15 Jahren schildere. Lustiger-

weise, das geht. Für was wünschen Sie sich, dass Sie in

Erinnerung bleiben? Was wollen Sie, dass über Sie mal gesagt wird? Ich wünsche

mir, dass man sich bei mir daran erinnert, dass ich geglaubt habe, dass Jesus je-mand ganz Besonderes ist, und dass ich

durch verschiedene Faktoren Vertrauen zur Bibel als Gottes Wort bekommen ha-be. Und dass ich, wie schwach auch im-

mer, aber doch wenigstens versucht habe, das in meinem Leben umzusetzen.

Johannes‘ Frage an uns heute ist: Wagst Du es, anders zu sein, um Deines Glau-bens willen? Oder denkst Du, dass es

überhaupt nötig ist? Wie setzt Du das um? Es ist ja immer so eine Frage, was eigent-

lich christlicher Lebensstil bedeutet. Sie wissen ja, woran man einen intelligenten Menschen erkennt? Daran, dass er diesel-

be Meinung hat wie man selbst. Und Sie wissen ja, wie man einen christlichen Le-bensstil erkennt? Daran, dass jemand

genau so ähnlich lebt, wie man selbst—ein etwa gleich grosses Haus, Auto, ähn-lich weite Ferienreisen etc. Denn das ist

der Masstab, oder? Ich bin heute nicht hier, um Ihnen die Ant-

wort zu geben, aber ich möchte Sie zum Nachdenken anregen.

Woran sieht man meinen

Glauben in meinem Leben?