Wohin geht Europa? Die Europäische Union zwischen Schuldenunion und Wirtschaftsmacht Vortrag...

66
Wohin geht Europa? Die Europäische Union zwischen Schuldenunion und Wirtschaftsmacht Vortrag anlässlich des 12. Landesfachtages Wirtschaft/Politik am 18. Februar 2013 im Bildungszentrum Tannenfelde Dr. Alfred Boss

Transcript of Wohin geht Europa? Die Europäische Union zwischen Schuldenunion und Wirtschaftsmacht Vortrag...

Page 1: Wohin geht Europa? Die Europäische Union zwischen Schuldenunion und Wirtschaftsmacht Vortrag anlässlich des 12. Landesfachtages Wirtschaft/Politik am 18.

Wohin geht Europa?Die Europäische Union

zwischen Schuldenunion und Wirtschaftsmacht

Vortrag anlässlich des 12. Landesfachtages Wirtschaft/Politikam 18. Februar 2013 im Bildungszentrum Tannenfelde

Dr. Alfred Boss

Page 2: Wohin geht Europa? Die Europäische Union zwischen Schuldenunion und Wirtschaftsmacht Vortrag anlässlich des 12. Landesfachtages Wirtschaft/Politik am 18.

GliederungA. Vorbemerkung: EU und EWUB. Zielsetzung der EU in der Lissabon-StrategieC. Die Lissabon-Strategie – eine Bilanz

1. Zahlen2. Bewertung3. Nachfolger: „Europa 2020 – Eine Strategie für

intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum“

D. Ziel der Europäischen Währungsunion (Vertrag von Maastricht, Stabilitäts- und Wachstumspakt)

1. Geldwertstabilität als Ziel und Instrument für Wachstum

2. Unabhängigkeit der Zentralbank (Vorbild: Deutsche Bundesbank)

2

Page 3: Wohin geht Europa? Die Europäische Union zwischen Schuldenunion und Wirtschaftsmacht Vortrag anlässlich des 12. Landesfachtages Wirtschaft/Politik am 18.

3

3. Finanz- und Wirtschaftspolitik in nationaler Verantwortung (bei einheitlicher Geldpolitik)

4. No-Bailout-Klausel (Nichtauslösungspflicht)5. Stabilitäts- und Wachstumspakt als (eigentlich

überflüssige) Ergänzung; Regeln für die nationalen Finanzpolitiken: Obergrenzen für Budgetdefizite und öffentliche Schulden (im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt)

E. Die gegenwärtige Situation in der Europäischen Währungsunion – eine Bilanz

1. Kennzeichen2. Der Weg dahin: Rechtsbruch in vielerlei Hinsicht3. Die Folgen4. Der Haftungspegel laut ifo Institut (Stand: 25.1.2013)

Page 4: Wohin geht Europa? Die Europäische Union zwischen Schuldenunion und Wirtschaftsmacht Vortrag anlässlich des 12. Landesfachtages Wirtschaft/Politik am 18.

4

F. Zwei Visionen von EuropaG. Das künftige Europa: Szenarien für die Währungsunion,

für die EU bzw. für ganz Europa1. Rückkehr zum Vertrag von Maastricht2. System flexibler Wechselkurse3. Politische Union („Vereinigte Staaten von Europa“)4. Vergemeinschaftung von Schulden („Schuldenunion“,

„Transferunion“) ohne oder mit Einbindung der EZB5. Inflationsgemeinschaft6. „Kleine“ Währungsunion7. Schuldenschnitt in der Währungsunion

Page 5: Wohin geht Europa? Die Europäische Union zwischen Schuldenunion und Wirtschaftsmacht Vortrag anlässlich des 12. Landesfachtages Wirtschaft/Politik am 18.

5

H. Eine Prognose: Transferunion, Schuldenunion, Inflation, schwaches Wirtschaftswachstum und Desintegration?1. Grundlage der Prognose2. Transferunion, Schuldenunion incl. Bankenunion,

Bundesstaat?3. Harmonisierung der Wirtschaftspolitik4. Hohes Inflationsrisiko5. Abgeschwächtes Wirtschaftswachstum6. Vermehrte Wanderungen7. Rückschlag für die EU als Wirtschaftsmacht?8. Gefahr des Verfalls des Euroraums und der

Europäischen Union?9. Gemeinsame „Militärpolitik“? Teilrolle als „Weltpolizei“?

I. Literatur

Page 6: Wohin geht Europa? Die Europäische Union zwischen Schuldenunion und Wirtschaftsmacht Vortrag anlässlich des 12. Landesfachtages Wirtschaft/Politik am 18.

6

A. Vorbemerkung: EU und EWU

1. Der Weg zur jetzigen EU (Blankart 2010) EGKS (Montanunion), EWG, EFTA, EG, EWR

(1.1.1994)

1987: Einheitliche Europäische Akte

Binnenmarkt mit vier Grundfreiheiten (1.1.1993)

Vertrag von Amsterdam (1999): EU als Staatenverbund

Vertrag von Nizza (2003)

Vertrag von Lissabon (2009)

27 EU-Länder

Page 7: Wohin geht Europa? Die Europäische Union zwischen Schuldenunion und Wirtschaftsmacht Vortrag anlässlich des 12. Landesfachtages Wirtschaft/Politik am 18.

7

2. Die EWU im Jahr 2013

1991: Vertrag von Maastricht (u.a. EWU)

Bedingungen für Beitritt (Kriterien)

17 EWU-Länder

Die EZB als „Regierung“ ohne demokratische Legitimation

Page 8: Wohin geht Europa? Die Europäische Union zwischen Schuldenunion und Wirtschaftsmacht Vortrag anlässlich des 12. Landesfachtages Wirtschaft/Politik am 18.

8

B. Zielsetzung der EU in der Lissabon-Strategie

Lissabon-Strategie = Bündel sich gegenseitig beeinflussender Reformen

„Geburt“ in einer Sondertagung des Europäischen Rates der Staats- und Regierungschefs der EU am 23. und 24. März 2000 in Lissabon

Schwächen der Europäischen Union als Ausgangspunkt- Niedrige Erwerbsquote- 15 Millionen Arbeitslose- Ungenügende Erwerbsbeteiligung von Frauen und

von älteren Menschen- Unterentwickelter Dienstleistungssektor

Page 9: Wohin geht Europa? Die Europäische Union zwischen Schuldenunion und Wirtschaftsmacht Vortrag anlässlich des 12. Landesfachtages Wirtschaft/Politik am 18.

9

Ziel der EU für das erste Jahrzehnt des neuen Jahrtausends, „die Union zum wettbewerbs fähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum in der Welt zu machen – einem Wirtschaftsraum, der fähig ist, ein dauerhaftes Wirtschafts wachstum mit mehr und besseren Arbeitsplätzen und einem größeren sozialen Zusammenhalt zu erzielen“ (Europäischer Rat 2000: 2)

Konkretes Ziel: Wachstumsrate von etwa 3 Prozent je Jahr (im Durchschnitt)

Schaffung eines günstigen Umfelds für Unternehmensgründungen

Beseitigung der Hemmnisse im Dienstleistungsbereich

Page 10: Wohin geht Europa? Die Europäische Union zwischen Schuldenunion und Wirtschaftsmacht Vortrag anlässlich des 12. Landesfachtages Wirtschaft/Politik am 18.

10

Liberalisierung in den Bereichen Gas, Strom und Postdienste

Effizienz und Transparenz der Finanzmärkte

Konsolidierung der öffentlichen Haushalte und Nachhaltigkeit der Staatsfinanzen

Steigerung der „Beschäftigungsquote“ von 61 Prozent (2000) auf annähernd 70 Prozent (2010)

Erhöhung der „Beschäftigungsquote“ der Frauen von 51 Prozent (2000) auf über 60 Prozent (2010)

Erhöhung der „Beschäftigungsquote“ älterer Menschen

Page 11: Wohin geht Europa? Die Europäische Union zwischen Schuldenunion und Wirtschaftsmacht Vortrag anlässlich des 12. Landesfachtages Wirtschaft/Politik am 18.

11

Verringerung der Armut

Andere Politikbereiche- Sicherheits- und Verteidigungspolitik- Westlicher Balkan- Russland

Ergänzung des Ziels um die Dimension Umwelt und nachhaltige Entwicklung im Jahr 2001

Regelmäßige Überprüfung des Fortschritts

Page 12: Wohin geht Europa? Die Europäische Union zwischen Schuldenunion und Wirtschaftsmacht Vortrag anlässlich des 12. Landesfachtages Wirtschaft/Politik am 18.

12

Einberufung einer unabhängigen Expertenkommission im März 2004 durch den Europäischen Rat mit dem Auftrag, die Umsetzung der Lissabon-Strategie zu überprüfen und eine Strategie zu umreißen, die es den Ländern ermöglicht, die Zielsetzungen von Lissabon zu verwirklichen

Neuausrichtung der Lissabon-Strategie („Fokussierung“) auf die Ziele Wachstum und Beschäftigung im Frühjahr 2005; verstärkte Koordination von Maßnahmen zur Umsetzung der Strategie: „Integrierte Leitlinien für Wachstum und Beschäftigung“; „nationale Reformprogramme“ aller Mitgliedstaaten

5 Politikbereiche: Wissensgesellschaft, Binnenmarkt, Wirtschaftsklima, Arbeitsmarkt, ökologische Nachhaltigkeit

Page 13: Wohin geht Europa? Die Europäische Union zwischen Schuldenunion und Wirtschaftsmacht Vortrag anlässlich des 12. Landesfachtages Wirtschaft/Politik am 18.

13

C. Die Lissabon-Strategie – eine Bilanz

1. Zahlen

Tabelle 1:Bruttoinlandsprodukt in Vorjahrespreisen (Volumenindex) – jahresdurchschnittliche Veränderung (Prozent)

2000–2010 2011 2012

Deutschland 0,9 3,0 0,8 Frankeich 1,1 1,7 0,1 Vereinigtes Königreich 1,8 0,9 –0,4 Euroraum 1,1 1,4 –0,5 EU 27 1,3 1,5 –0,3

Quelle: OECD, Economic Outlook, Nov. 2012; Gemeinschaftsdiagnose Herbst 2012.

Page 14: Wohin geht Europa? Die Europäische Union zwischen Schuldenunion und Wirtschaftsmacht Vortrag anlässlich des 12. Landesfachtages Wirtschaft/Politik am 18.

14

Tabelle 2:Beschäftigungsquote in der EU und in ausgewählten Ländern (Prozent)

2000 2005

Deutschland 65,6 66,0 Frankeich 62,1 63,7 Vereinigtes Königreich 71,2 71,7 Euroraum 61,4 63,7 EU 27 61,2 63,5

Quelle: Europa in Zahlen, EuroStat-Jahrbuch.

Page 15: Wohin geht Europa? Die Europäische Union zwischen Schuldenunion und Wirtschaftsmacht Vortrag anlässlich des 12. Landesfachtages Wirtschaft/Politik am 18.

15

Tabelle 3:Beschäftigungsquote der Frauen in der EU und in ausgewählten Ländern (Prozent)

2000 2005 2010

Deutschland 58,1 60,6 66,1 Frankeich 55,2 58,4 59,9 Vereinigtes Königreich 64,7 65,8 64,6 Euroraum 51,4 55,6 57,9 EU 27 53,7 56,3 56,2

Quelle: Europa in Zahlen, EuroStat-Jahrbuch.

Page 16: Wohin geht Europa? Die Europäische Union zwischen Schuldenunion und Wirtschaftsmacht Vortrag anlässlich des 12. Landesfachtages Wirtschaft/Politik am 18.

16

Tabelle 4:Beschäftigungsquote älterer Menschen in der EU und in ausgewählten Ländern (Prozent)

2000 2005 2010

Deutschland 37,6 45,4 57,7 Frankeich 29,9 38,5 39,7 Vereinigtes Königreich 50,7 56,8 57,1 Euroraum 34,2 40,4 45,8 EU 27 36,9 42,3 46,3

Quelle: Europa in Zahlen, EuroStat-Jahrbuch.

Page 17: Wohin geht Europa? Die Europäische Union zwischen Schuldenunion und Wirtschaftsmacht Vortrag anlässlich des 12. Landesfachtages Wirtschaft/Politik am 18.

17

Tabelle 5: Finanzierungssaldo des Staates und öffentliche Schulden ausgewählter EU-Länder – im Verhältnis zum nominalen Bruttoinlandsprodukt (Prozent)

Finanzierungssaldo Schulden

2000 2010 2012 2000 2010 2012

Belgien –0,1 –3,9 –2,8 113,6 99,5 103,2 Dänemark 2,2 –2,7 –4,1 60,4 54,6 61,0 Deutschland 1,1 –4,2 –0,2 60,8 86,3 87,6 Finnland 7,0 –2,8 –1,4 52,4 57,9 62,3 Frankreich –1,5 –7,1 –4,5 65,7 95,5 105,1 Griechenland –3,7 –10,8 –6,9 115,3 153,0 181,3 Irland 4,8 –30,9 –8,1 39,3 98,1 123,2 Italien –0,9 –4,3 –3,0 120,8 126,7 127,0 Luxemburg 6,0 –0,8 –2,0 13,4 25,8 29,8 Niederlande 2,0 –5,0 –3,8 63,8 71,6 82,5 Österreich –1,8 –4,5 –3,1 70,8 78,0 83,1 Portugal –3,3 –9,8 –5,2 62,4 103,9 125,6 Schweden 3,6 0,0 –0,3 64,3 49,3 48,6 Spanien –1,0 –9,7 –8,1 66,5 67,7 93,8 Euroraum –0,1 –6,2 –3,3 76,0 93,1 100,6

Quelle: OECD, Economic Outlook, Nov. 2012; Gemeinschaftsdiagnose Herbst 2012.

Page 18: Wohin geht Europa? Die Europäische Union zwischen Schuldenunion und Wirtschaftsmacht Vortrag anlässlich des 12. Landesfachtages Wirtschaft/Politik am 18.

18

2. Bewertung

„Planwirtschaftlicher“ Ansatz Unverbundene Ziele ohne konsistente Analyse der

Zusammenhänge (Beispiel: Erwerbstätigkeit – Arbeitsproduktivität)

Unklarheit bezüglich der Umsetzung Fehlende Kompetenz der EU, geringe Bereitschaft der

Mitgliedstaaten Viele Ziele verfehlt Erfolge bei der Verbreitung der Informations- und

Kommunikationstechnologie sowie der Internetnutzung in Schulen, Universitäten, Verwaltung und Wirtschaft

Page 19: Wohin geht Europa? Die Europäische Union zwischen Schuldenunion und Wirtschaftsmacht Vortrag anlässlich des 12. Landesfachtages Wirtschaft/Politik am 18.

19

3. Nachfolger: „Europa 2020 – Eine Strategie für intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum“

Page 20: Wohin geht Europa? Die Europäische Union zwischen Schuldenunion und Wirtschaftsmacht Vortrag anlässlich des 12. Landesfachtages Wirtschaft/Politik am 18.

20

D. Ziel der Europäischen Währungsunion (Vertrag von Maastricht, Stabilitäts- und Wachstumspakt)

1. Geldwertstabilität als Ziel und Instrument für Wachstum2. Unabhängigkeit der Zentralbank (Vorbild: Deutsche

Bundesbank)3. Finanz- und Wirtschaftspolitik in nationaler Verantwortung (bei einheitlicher Geldpolitik)4. No-Bailout-Klausel (Nichtauslösungspflicht)5. Stabilitäts- und Wachstumspakt als (eigentlich überflüssige) Ergänzung; Regeln für die nationalen Finanzpolitiken: Obergrenzen für Budgetdefizite und

öffentliche Schulden (im Verhältnis zum Bruttoinlands-produkt)

Page 21: Wohin geht Europa? Die Europäische Union zwischen Schuldenunion und Wirtschaftsmacht Vortrag anlässlich des 12. Landesfachtages Wirtschaft/Politik am 18.

21

E. Die gegenwärtige Situation in der Europäischen Währungsunion – eine Bilanz

1. Kennzeichen

Einheitswährung

Souveräne Staaten

Verschuldungsautonomie, Bailout-Regel

Entscheidung bedingt nicht Haftung.

Zentralbankmonopol

Page 22: Wohin geht Europa? Die Europäische Union zwischen Schuldenunion und Wirtschaftsmacht Vortrag anlässlich des 12. Landesfachtages Wirtschaft/Politik am 18.

22

Moralisches Risiko, zögerliche und unzureichende strukturelle Reformen

Finanzpolitik durch die EZB als „Regierung“ der EWU ohne demokratische Legitimation

Transfers und Vergemeinschaftung von Schulden

Werden Staaten oder deren Gläubiger gerettet?

Was bedeutete der Rückkauf griechischer Anleihen durch Griechenland, finanziert durch Hilfen?

Page 23: Wohin geht Europa? Die Europäische Union zwischen Schuldenunion und Wirtschaftsmacht Vortrag anlässlich des 12. Landesfachtages Wirtschaft/Politik am 18.

23

2. Der Weg dahin: Rechtsbruch in vielerlei Hinsicht

Europäischer Rat: Umgehung der Nichtbeistands-klausel

- Artikel 125 Abs. 1 AEUV missachtet,

- Artikel 122 Abs. 2 (Hilfe z.B. bei Naturkatastrophen) vorgeschoben

IWF: Stützungskredite trotz fehlender „Zahlungsbilanz-krise“

Page 24: Wohin geht Europa? Die Europäische Union zwischen Schuldenunion und Wirtschaftsmacht Vortrag anlässlich des 12. Landesfachtages Wirtschaft/Politik am 18.

24

EZB

- Käufe von Staatsanleihen im Rahmen des SMP (Securities Markets Programme) mit angeblich lediglich geldpolitischer Absicht (Zinsglättung)

- Reduktion der Anforderungen an die Bonität der Papiere, die bei der Refinanzierung als Sicherheiten akzeptiert werden, auf ein nicht akzeptables Maß

- Ankündigung von Käufen von Staatsanleihen mit einer Laufzeit von bis zu drei Jahren (= offene Staatsfinanzierung trotz Verbrämung)

Page 25: Wohin geht Europa? Die Europäische Union zwischen Schuldenunion und Wirtschaftsmacht Vortrag anlässlich des 12. Landesfachtages Wirtschaft/Politik am 18.

25

- Vergemeinschaftung von Schulden

- Mario Draghi: „The Euro is irreversible!“

Aber: Es ist allein Aufgabe der Regierungen der EWU-Länder, über den Bestand der Währungsunion zu entscheiden und ihn ggf. zu sichern. Nur die Regierungen sind hierfür demokratisch legitimiert, weil mit entsprechenden Maßnahmen erhebliche Umverteilungswirkungen verbunden sind.

Page 26: Wohin geht Europa? Die Europäische Union zwischen Schuldenunion und Wirtschaftsmacht Vortrag anlässlich des 12. Landesfachtages Wirtschaft/Politik am 18.

26

Zulassung von TARGET2-Krediten (über das EZB-Zahlungsverkehrssystem) durch verfehlte Geldpolitik

- Der Zahlungsverkehr zwischen den Geschäfts-banken des Eurosystems wird über das TARGET2-System abgewickelt (Trans-European Automated Real-time Gross Settlement Express Transfer System).

- „Vollzuteilungspolitik“

- Emergency Liquidity Assistance: Erleichterter Zugang zu Zentralbankkredit

Page 27: Wohin geht Europa? Die Europäische Union zwischen Schuldenunion und Wirtschaftsmacht Vortrag anlässlich des 12. Landesfachtages Wirtschaft/Politik am 18.

27

3. Die Folgen

Kredite und Garantien (Stand: 31.12.2012)

Tabelle 6:Zugesagte Kredite (Mrd. Euro)

EFSF EFSM IWF Bilaterale

Kreditea

ESM Zusammen

Irland 17,7 22,5 22,5 4,8 – 67,5 Portugal 26,0 26,0 27,5 – – 79,5 Griechenland 144,6 – 19,8 – – 164,4 Spanien – – – – 100,0 100,0 Liquiditätspuffer 25,0 – – – – 25,0

Zusammen 213,3 48,5 69,8 4,8 100,0 436,4

aGroßbritannien, Schweden, Dänemark. Quelle: BMF (2013).

Page 28: Wohin geht Europa? Die Europäische Union zwischen Schuldenunion und Wirtschaftsmacht Vortrag anlässlich des 12. Landesfachtages Wirtschaft/Politik am 18.

28

Tabelle 7:Gewährte Kredite (Mrd. Euro)

EFSF EFSM IWF Bilaterale Kreditea

ESM Zusammen

Irland 12,0 21,7 19,0 2,8 – 55,5 Portugal 18,2 22,1 21,0 – – 61,3 Griechenland 108,2 – 1,6 – – 109,8 Spanien – – – – 39,5 39,5 Liquiditätspuffer 25,0 – – – – 25,0

Zusammen 163,4 43,8 41,6 2,8 39,5 291,1

aGroßbritannien, Schweden, Dänemark. Quelle: BMF (2013).

Page 29: Wohin geht Europa? Die Europäische Union zwischen Schuldenunion und Wirtschaftsmacht Vortrag anlässlich des 12. Landesfachtages Wirtschaft/Politik am 18.

29

Tabelle 8:Gewährleistungen Deutschlandsa (Mrd. Euro)

Zugesagte Mittel Ausgezahlte Mittel

Irland 8,3 5,6 Portugal 12,2 8,5 Griechenland 67,8 50,7 Spanien 0,0 0,0 Liquiditätspuffer 11,8 11,8

Zusammen 100,1 76,7

aOhne ESM. Quelle: BMF (2013).

Beitrag der EZB durch Käufe von Staatsanleihen

TARGET2-Kredite des EZB-Systems

Page 30: Wohin geht Europa? Die Europäische Union zwischen Schuldenunion und Wirtschaftsmacht Vortrag anlässlich des 12. Landesfachtages Wirtschaft/Politik am 18.

30

4. Der Haftungspegel laut ifo Institut (Stand: 25.1.2013)

Ausgezahlte Beträge (Mrd. Euro)Spanien 39Portugal 62Irland 53Griechenland 186Anleihenbestand der EZB 209TARGET2-Kredite 853Abzugsposten –34Zusammen 1 369

Zugesagte Beiträge (Mrd. Euro): 1 515 Potentielles Ausleihvolumen (Mrd. Euro): 2 098 Volumen der Haftung Deutschlands (Mrd. Euro): 720

Page 31: Wohin geht Europa? Die Europäische Union zwischen Schuldenunion und Wirtschaftsmacht Vortrag anlässlich des 12. Landesfachtages Wirtschaft/Politik am 18.

31

F. Zwei Visionen von Europa

1. Klassisch-liberale Vision (Rainer Hank)

Adenauer, Schuman, de Gasperi Freiheit als höchster kultureller Wert Europas Privates Eigentum, freie Marktwirtschaft mit offenen

Grenzen Grundfreiheiten (Binnenmarktprogramm) Eigenverantwortlichkeit auch in der Finanzpolitik,

Steuerwettbewerb Marktintegration (Integration durch Wettbewerb) „Brüssel“ sichert Wettbewerb! Währungswettbewerb Gegenseitige Abhängigkeit als Mittel zur

Verhinderung von Feindschaft und Kriegen

Page 32: Wohin geht Europa? Die Europäische Union zwischen Schuldenunion und Wirtschaftsmacht Vortrag anlässlich des 12. Landesfachtages Wirtschaft/Politik am 18.

32

Wettbewerb und Vielfalt der Regionen (Länder) als Erfolgs-geheimnis Europas (Eric L. Jones 2012):

Umwelt, Klima, Kultur haben eine gewisse Bedeutung für die Entwicklung der Einkommen je Kopf in Europa. Entschei dend war aber die Entfaltung wirtschaftsfreundlicher Institutionen.

Europa war von 1400–1800 politisch zersplittert (Fürsten, Könige, Kirchen, Klöster). Es war aber wirtschaftlich in hohem Maße integriert, wenngleich der Tausch von Waren, Kapital, Ideen, Menschen nicht völlig frei war. Es herrschte Wettbewerb der immobilen Faktoren (Fürsten etc.) um die mobilen Faktoren. Die Steuern waren niedrig, auch mussten Dienstleistungen wie politische Stabilität und öffentliche Güter angeboten werden. In Asien war das anders.

Page 33: Wohin geht Europa? Die Europäische Union zwischen Schuldenunion und Wirtschaftsmacht Vortrag anlässlich des 12. Landesfachtages Wirtschaft/Politik am 18.

33

Exkurs:Die großen Leistungen in Europa stammen, was die Kultur betrifft, aus Zeiten politischer Kleinteiligkeit. Der Wettbewerb ließ kulturelle Höhepunkte bestehen.Goethe hat aus einem Provinznest ein kulturelles Zentrum Europas gemacht.Kant hat das kleine, abgelegene Königsberg „groß“ gemacht.Haydn hat bei Esterhazy Großes geleistet.Vom Wettbewerb hat Preußen dadurch profitiert, dass Hugenotten zuwanderten.

Politischer Wettbewerb allgemein: Abwanderung und Widerspruch (Albert O. Hirschman 1974).

Page 34: Wohin geht Europa? Die Europäische Union zwischen Schuldenunion und Wirtschaftsmacht Vortrag anlässlich des 12. Landesfachtages Wirtschaft/Politik am 18.

34

2. Sozialistische Vision (Rainer Hank)

Delors, Mitterand, Monnet, Juncker

Zentralismus

Umverteilung

Einheitliche Politik (bis hin zur Sozialpolitik)

Harmonisierung (politische Integration)

Page 35: Wohin geht Europa? Die Europäische Union zwischen Schuldenunion und Wirtschaftsmacht Vortrag anlässlich des 12. Landesfachtages Wirtschaft/Politik am 18.

35

G. Das künftige Europa: Szenarien für die Währungs-union, für die EU bzw. für ganz Europa

1. Rückkehr zum Vertrag von Maastricht

Einheitswährung

Souveräne Staaten (Autonome Wirtschaftspolitik und nationale Verantwor tung für die Stabilität des Banken- und Finanzsystems: Anreize zu „richtiger Politik“ durch Kontrolle durch die Finanzmärkte)

Page 36: Wohin geht Europa? Die Europäische Union zwischen Schuldenunion und Wirtschaftsmacht Vortrag anlässlich des 12. Landesfachtages Wirtschaft/Politik am 18.

36

Verschuldungsautonomie, Gültigkeit der No-Bailout-Regel, Insolvenzordnung für Staaten

Entscheidung bedingt Haftung

Zentralbankmonopol

Strukturelle Reformen zur Stärkung der Wettbewerbs-fähigkeit

System der Schweiz und der Vereinigten Staaten von Amerika als Vorbild

Rückkehr nur einstimmig möglich, kein Interesse der Empfänger von Transfers

Page 37: Wohin geht Europa? Die Europäische Union zwischen Schuldenunion und Wirtschaftsmacht Vortrag anlässlich des 12. Landesfachtages Wirtschaft/Politik am 18.

37

2. System flexibler Wechselkurse

Viele Währungen, evtl. Wechselkursverbund mit einer dominanten Zentralbank (EWS)

Souveräne Staaten Verschuldungsautonomie, Gültigkeit der No-Bailout-

Regel Entscheidung bedingt Haftung Zentralbankwettbewerb Autonome Wirtschaftspolitik Traditionelles Europamodell über die vergangenen

Jahrhunderte: „Das Wunder Europa“ (Eric L. Jones) Rückkehr nur einstimmig möglich, kein Interesse der

Empfänger von Transfers an einer Rückkehr

Page 38: Wohin geht Europa? Die Europäische Union zwischen Schuldenunion und Wirtschaftsmacht Vortrag anlässlich des 12. Landesfachtages Wirtschaft/Politik am 18.

38

3. Politische Union („Vereinigte Staaten von Europa“)

Einheitswährung

Staaten als Verwaltungseinheiten, europäischer Einheitsstaat

Haushaltsanweisungen von oben, keine Verschuldungsautonomie der Gliedstaaten

Entscheidung bedingt Haftung.

Zentralbankmonopol

Vertikale Befehlskette, Durchgriffsrechte „Brüssels“, Kontrolle durch wen?

Page 39: Wohin geht Europa? Die Europäische Union zwischen Schuldenunion und Wirtschaftsmacht Vortrag anlässlich des 12. Landesfachtages Wirtschaft/Politik am 18.

39

Transfers im Rahmen eines FinanzausgleichsDie Erfahrungen mit dem Finanzausgleich in Deutschland sprechen gegen eine Transferunion.Exkurs: Wie verfährt der Bundesstaat USA?Der Zentralstaat erlegt den Mitgliedstaaten zentral bestimmte Regeln zur Kontrolle der Finanzen nicht auf.Nur einmal, im Jahr 1790, nahm Washington den Staaten ihre Schulden ab, um die Kosten des Unabhängigkeits-krieges zu konsolidieren (Alexander Hamilton). Nur weil die Bundesregierung den Bundesstaaten nicht aus einer finanziellen Klemme hilft, kommt es zu finanzieller Disziplin. „Daran ist der Dollarraum weder zerbrochen, noch der Dollar zur Weichwährung verkommen.“

System Frankreichs mit seinen Departements als Vorbild?

Page 40: Wohin geht Europa? Die Europäische Union zwischen Schuldenunion und Wirtschaftsmacht Vortrag anlässlich des 12. Landesfachtages Wirtschaft/Politik am 18.

40

Schritt in Richtung „Politische Union“:

Fiskalvertrag gilt ab 1.1.2013.

12 Länder des Euroraums und 4 weitere EU-Länder haben ratifiziert, 9 weitere Länder haben unter-zeichnet.

Das strukturelle Budgetdefizit wird „gedeckelt“ (maximal 0,5 Prozent im Verhältnis zum Bruttoinlands-produkt).

Eine Schuldenbremse wird eingeführt.

Die Haushaltsüberwachung wird verbessert.

Die Wirtschaftspolitik wird stärker koordiniert.

Page 41: Wohin geht Europa? Die Europäische Union zwischen Schuldenunion und Wirtschaftsmacht Vortrag anlässlich des 12. Landesfachtages Wirtschaft/Politik am 18.

41

Bereitschaft zur Abgabe von Souveränitätsrechten?

- Haushaltsrecht des Parlaments als Herzstück der Demokratie

- Magna Charta 1215 (von Johann Ohneland unterzeichnet)

- Europäischer Finanzminister?

- Wirtschaftsregierung für Europa?

Verstärkter Druck auf die EZB in einer politischen Union (Roland Vaubel)

Page 42: Wohin geht Europa? Die Europäische Union zwischen Schuldenunion und Wirtschaftsmacht Vortrag anlässlich des 12. Landesfachtages Wirtschaft/Politik am 18.

42

4. Vergemeinschaftung von Schulden („Schuldenunion“, „Transferunion“) ohne oder mit Einbindung der EZB

Fortgesetzte „Rettungsmaßnahmen“

„Gewährträgerhaftung“ der Staatengemeinschaft für die Banken Südeuropas über den ESM (Direktive zur europäischen Bankenunion betreffend die Abwicklung insolventer Banken, von der Europäischen Kommission vorgelegt und von der EZB unterstützt, die schlecht besicherte Kredite vergeben hat): Harald Hau und Hans-Werner Sinn, FAZ, 22.1.2013, S. 13, Nr. 18

Page 43: Wohin geht Europa? Die Europäische Union zwischen Schuldenunion und Wirtschaftsmacht Vortrag anlässlich des 12. Landesfachtages Wirtschaft/Politik am 18.

43

„Schuldentilgungspakt“ (SVR)

Zinslastenausgleichsfonds (ZEW)

Eurobonds

Thomas Mayer (Handelsblatt, 21.8.2012, S. 48):

„Die Vergemeinschaftung der Haftung erfordert einen Federstrich. Der Aufbau eines demokratisch legitimierten europäischen Souveräns ist die Aufgabe mehrerer Generationen, falls sie überhaupt zu bewerkstelligen ist.“

Page 44: Wohin geht Europa? Die Europäische Union zwischen Schuldenunion und Wirtschaftsmacht Vortrag anlässlich des 12. Landesfachtages Wirtschaft/Politik am 18.

44

5. Inflationsgemeinschaft

Herbst 2008:

Die EZB stellt bei ihren Refinanzierungsgeschäften Liquidität zu einem festen Zins unbegrenzt zur Verfügung (Vollzuteilung).

Die EZB bietet Geschäfte mit einer Laufzeit bis zu einem Jahr an.

Die EZB erweitert die Liste zulässiger Sicherheiten um Instrumente mit geringerer Bonität.

All dies war wohl zu rechtfertigen, um nach dem Zusammenbruch des Inter bankenmarkts die Liquidität und die Stabilität des Bankensystems zu sichern.

Page 45: Wohin geht Europa? Die Europäische Union zwischen Schuldenunion und Wirtschaftsmacht Vortrag anlässlich des 12. Landesfachtages Wirtschaft/Politik am 18.

45

Juli 2009:Die EZB kauft Pfandbriefe und damit erstmalig Wertpapiere mit langer Laufzeit zu geldpolitischen Zwecken. Das ist sehr problematisch.

Mai 2010:Die EZB setzt die Mindestanforderungen des Eurosystems an die Bonität hinterlegter Sicherheiten für Schuldtitel außer Kraft, die von Griechenland ausgegeben wurden oder garantiert werden. Griechische Staatsanleihen sind seither ungeachtet ihres Ratings „notenbankfähige Sicherheiten für geldpolitische Operationen des Eurosystems“.Die EZB weitet Wertpapierkäufe im Rahmen des „Securities Markets Programme“ (SMP) aus.

Page 46: Wohin geht Europa? Die Europäische Union zwischen Schuldenunion und Wirtschaftsmacht Vortrag anlässlich des 12. Landesfachtages Wirtschaft/Politik am 18.

46

März 2011:Die Bonitätsanforderungen bezüglich irischer und portugiesischer Staatsanleihen werden gesenkt.

August 2011:Die EZB kauft Anleihen Italiens und Spaniens (vorher nur Griechenlands, Portugals und Irlands).

Februar 2012:Die Sicherheitsanforderungen bei Refinanzierung werden gelockert.Einzelne Notenbanken, die entsprechende Kredite als Pfand von Banken akzeptieren, tun dies auf eigenes Risiko. Die Risiken können aber auf das gesamte System „zurückschlagen“. Wie? Beliehene Staatsanleihen können nicht bedient werden, griechische Banken brechen zusammen, die Zentralbank Griechenland bricht zusammen.

Page 47: Wohin geht Europa? Die Europäische Union zwischen Schuldenunion und Wirtschaftsmacht Vortrag anlässlich des 12. Landesfachtages Wirtschaft/Politik am 18.

47

Fundamentalkritik von Thomas Mayer (FAZ, 27.2.2012, Nr. 49) an den Liquiditätsspritzen

Der Druck zur Anpassung für die Banken sinkt. Die Banken können sich dadurch sanieren, dass sie durch risikolose Fristentransformation in den Märkten für Staatsanleihen ihre Gewinne aufbessern. Sie holen sich ihre Gewinne vom Steuerzahler. Das fällt weniger auf als das direkte Einsetzen von Steuergeldern zur Sanierung der Banken.

Der Druck zur Anpassung der Staatsfinanzen sinkt. Es fällt weniger auf, wenn die Staaten Zentralbankgeld über die Banken bekommen, als wenn die EZB am Sekundärmarkt für Staatsanleihen interveniert.

Page 48: Wohin geht Europa? Die Europäische Union zwischen Schuldenunion und Wirtschaftsmacht Vortrag anlässlich des 12. Landesfachtages Wirtschaft/Politik am 18.

48

Sommer 2012:Draghi erklärt, dass der Euro irreversibel sei, und verkündet, dass die EZB im Rahmen ihres Mandats (!) jegliche Maßnahme ergreifen werde, um dies zu gewährleisten.

Anfang September 2012:Der EZB-Rat beschließt, am Sekundärmarkt unter bestimmten Bedingungen Staatsanleihen zu kaufen, und zwar grundsätzlich in unbestimmter Höhe. Aufgrund der Konditionierung ist die EZB nicht mehr unabhängig von der Finanzpolitik, mit der Folge, dass die Verantwortlichkeiten verwischt werden. Es ist unerheblich, ob Staatsanleihen am Primär- oder am Sekundärmarkt gekauft werden.

Page 49: Wohin geht Europa? Die Europäische Union zwischen Schuldenunion und Wirtschaftsmacht Vortrag anlässlich des 12. Landesfachtages Wirtschaft/Politik am 18.

49

Programm OMT (Outright Monetary Transactions):Kauf von Anleihen europäischer Krisenländer ohne Obergrenze unter bestimmten Bedingungen (Schutz durch Rettungsschirm und Beschluss eines Anpassungs programms als Konditionen) mit Ermessensspielraum der EZB. Notwendig zur Verbesserung des Transmissionsprozesses der Geldpolitik? Gefährdung der Transmission in Krisen-ländern durch Wechselkursprämie, für die es laut EZB keinen Grund gebe!Weitere Verringerung der Anforderungen an Papiere, die als Sicherheiten eingereicht werden könnenOMT als demokratisch nicht legitimierter Ersatz für politisch und verfassungsrechtlich nicht durchsetzbare Vorhaben

Page 50: Wohin geht Europa? Die Europäische Union zwischen Schuldenunion und Wirtschaftsmacht Vortrag anlässlich des 12. Landesfachtages Wirtschaft/Politik am 18.

50

Probleme:

Risiken werden sozialisiert. Es erfolgt eine Umverteilung zwischen Ländern ohne ein politisches Mandat.

Abwicklung insolventer Banken wird verzögert oder verhindert.

Das OMF-Programm markiert den Einstieg in die „Inflationslösung“. Es ist von einer „Todsünde für eine Notenbank“ die Rede.

Page 51: Wohin geht Europa? Die Europäische Union zwischen Schuldenunion und Wirtschaftsmacht Vortrag anlässlich des 12. Landesfachtages Wirtschaft/Politik am 18.

51

Über welche Kanäle bestehen Gefahren für die Preisniveau stabilität?- Bewertungsverluste

Die Geldbasis und die Bilanzsumme der EZB sind explodiert. Es drohen Verluste wegen Abschreibungen. Rekapitalisierung evtl. nötig mit der Folge höherer Steuern. Inflationspolitik ist im Extremfall der letzte Ausweg.

- Zu langsame Rückführung der Maßnahmen der quantitativen LockerungEin instabiles Finanzsystem auch dann noch, wenn die Inflation anzieht, könnte eine Restriktion durch Leitzinserhöhungen verhindern. Die Folge wären eine zu hohe Geldbasis, eine aufgeblähte Geldmenge und ein übermäßiges Kreditvolumen.

- Vertrauensverlust und Anstieg der Inflationserwartungen

Page 52: Wohin geht Europa? Die Europäische Union zwischen Schuldenunion und Wirtschaftsmacht Vortrag anlässlich des 12. Landesfachtages Wirtschaft/Politik am 18.

52

Argumente gegen Inflationsgefahr

- Aus liquiditätspolitischer Sicht gibt es keine Grenze für den Ankauf von Staatsanleihen durch die EZB. Sie kann durch Aktivtausch (aber nicht bei „Vollzuteilung“) oder durch Bilanzverlängerung (Termineinlagen der Banken) „sterilisieren“.

- Die Kapazitätsauslastung im Euroraum insgesamt ist niedrig.

- Die Wirkungen einer restriktiven Fiskalpolitik müssen durch eine expansive Geldpolitik ausgeglichen werden.

- Der Geldschöpfungsmultiplikator ist geschrumpft.

Page 53: Wohin geht Europa? Die Europäische Union zwischen Schuldenunion und Wirtschaftsmacht Vortrag anlässlich des 12. Landesfachtages Wirtschaft/Politik am 18.

53

Roland Vaubel:

EZB will nur dann Staatsanleihen kaufen, wenn der emittierende Staat Auflagen des ESM akzeptiert hat und erfüllt. Damit begibt sie sich in Abhängigkeit vom Gouverneursrat des ESM, also den Finanz-ministern der Euroländer. Sie gibt ihre Unabhängig-keit auf. Sie verstößt gegen ihr Statut und gegen die Europäischen Verträge.Die EU-Kommission müsste ein Vertragsverletzungs-verfahren gegen die EZB einleiten. Die Mitglied-staaten müssten beim Gerichtshof der EU klagen.Ist die Bundesbank nicht verpflichtet, die Bundes-regierung zu einer Klage zu veranlassen?

Page 54: Wohin geht Europa? Die Europäische Union zwischen Schuldenunion und Wirtschaftsmacht Vortrag anlässlich des 12. Landesfachtages Wirtschaft/Politik am 18.

54

Fazit: Die EZB hat Druck von den Regierungen genommen, nachhaltige Lösungen des Schuldenproblems schnell auf den Weg zu bringen.Anleihekäufe setzen die Marktdisziplin außer Kraft, ohne an deren Stelle eine wirksame politische Disziplinierung zu etablieren.Die EZB hat wichtige Prinzipien verletzt und Glaubwürdig-keit verloren.Noch sind die langfristigen Inflationserwartungen fest verankert.Die Gefahren für die Geldwertstabilität haben aber zugenommen.Es gibt Zweifel an dem Stabilitätswillen der EZB (der Mehrheit im EZB-Rat).Die EZB ist oberstes Organ einer Art „Lateinische Währungsunion zulasten der deutschen Nation“ (Roland Tichy, Wirtschaftswoche, Sept. 2012).

Page 55: Wohin geht Europa? Die Europäische Union zwischen Schuldenunion und Wirtschaftsmacht Vortrag anlässlich des 12. Landesfachtages Wirtschaft/Politik am 18.

55

6. „Kleine“ Währungsunion

Ausschluss rechtlich nicht möglich

Austritt und Abwertung Griechenlands

- Anreiz fehlt.- Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit bei

Abwertung nicht garantiert: Höhere Löhne als Reaktion?

- Öffentliche und private Schulden in Euro (Außenschulden) bleiben bestehen, lassen sich aber in Drachmen-Schulden umwandeln, wenn sie nach griechischem Recht gegeben worden sind.

Page 56: Wohin geht Europa? Die Europäische Union zwischen Schuldenunion und Wirtschaftsmacht Vortrag anlässlich des 12. Landesfachtages Wirtschaft/Politik am 18.

56

- Sturm auf die Banken, Bankenzusammenbrüche

- Kapitalflucht, Kapitalverkehrskontrollen

- Abwanderung qualifizierter Arbeitskräfte

- Wegfall der Verbindlichkeiten infolge der TARGET2-Salden

- Technik der Einführung einer neuen griechischen Währung

- Beispiele für eine Auflösung einer Währungsunion: Zerfall der Tschechoslowakei, Zerfall der GUS

- Verlust Deutschlands bei Konkurs Griechenlands (Stand: Sommer 2012): ca. 80 Mrd. Euro!

Page 57: Wohin geht Europa? Die Europäische Union zwischen Schuldenunion und Wirtschaftsmacht Vortrag anlässlich des 12. Landesfachtages Wirtschaft/Politik am 18.

57

Austritt Deutschlands (allein oder zusammen mit anderen nicht überschuldeten Ländern): - Verlust von Forderungen des Staates- Vorteil für private Nettoschuldner (gegenüber dem

Ausland)- Nachteil für private Nettogläubiger (z.B. Banken)- Folgen für die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands:

Eine reale Aufwertung steht Deutschland ohnehin bevor (Roland Vaubel)

- Wohlfahrtsgewinne durch den Binnenmarkt!- Wohlfahrtsgewinne auch die die EWU? Wegfall des

Wechselkursrisikos, Wegfall von Transaktionskosten Andere Fälle, z.B. Parallelwährung zum Euro (Thomas

Mayer)

Page 58: Wohin geht Europa? Die Europäische Union zwischen Schuldenunion und Wirtschaftsmacht Vortrag anlässlich des 12. Landesfachtages Wirtschaft/Politik am 18.

58

7. Schuldenschnitt in der Währungsunion

Kapitalismus ohne Konkurse ist wie Christentum ohne Hölle.

Ein Staatsbankrott bedeutet nicht das Ende des Euro und schon gar nicht ein Scheitern Europas.

Griechenland als „Spitzenkandidat“: IfW-Schuldenbarometer als Indikator

Konkurs Griechenlands bei weiterer Mitgliedschaft im Euroraum (Stand: Sommer 2012): Verlust Deutschlands in Höhe von ca. 90 Mrd. Euro

Insolvenzen in den vergangenen 30 Jahren: Argentinien, Pakistan, Ecuador, Uruguay, Ukraine, Russland, Moldawien

Page 59: Wohin geht Europa? Die Europäische Union zwischen Schuldenunion und Wirtschaftsmacht Vortrag anlässlich des 12. Landesfachtages Wirtschaft/Politik am 18.

59

Pariser Club für staatliche Gläubiger

Londoner Club für private Gläubiger

Große Macht der privaten Gläubiger; fehlende Bereitschaft der Politik, private Gläubiger (insbesondere Banken) „bluten“ zu lassen

Eine automatische Einbeziehung privater Gläubiger bei Hilfe aus dem ESM war von Deutsch land nicht durchsetzbar. Das schwächt die Kontrolle der öffent-lichen Finanzen durch die Märkte (Otmar Issing, FAZ, 6.1.2012, Nr. 5, S. 10).

Page 60: Wohin geht Europa? Die Europäische Union zwischen Schuldenunion und Wirtschaftsmacht Vortrag anlässlich des 12. Landesfachtages Wirtschaft/Politik am 18.

60

H. Eine Prognose: Transferunion, Schuldenunion, Inflation, schwaches Wirtschaftswachstum und Desintegration?

1. Grundlage der Prognose

Die Garantie des Bestandes der Währungsunion bedeutet Erpressbarkeit.

Die Drohung mit dem Austritt hat möglicherweise gravierende Turbulenzen an den Finanzmärkten zur Folge, die nur durch eine weitreichende Vergemeinschaftung von Schulden verhindert werden kann, und ist daher wenig glaubwürdig.

Page 61: Wohin geht Europa? Die Europäische Union zwischen Schuldenunion und Wirtschaftsmacht Vortrag anlässlich des 12. Landesfachtages Wirtschaft/Politik am 18.

61

2. Transferunion, Schuldenunion incl. Bankenunion, Bundesstaat?Das Grundgesetz erlaubt zwar nicht den Beitritt zu einem Bundesstaat Europa (Dieter Grimm, FAZ, 6.2.2013, S. 28, Nr. 31), es findet aber eine schleichende Transformation statt. Das Bundes-verfassungsgericht spricht von einem Staatenverbund (Charles Beat Blankart 2010).

3. Harmonisierung der Wirtschaftspolitik Weniger Politikwettbewerb Erhöhte Steuerbelastung? Mehr Bürokratie

Page 62: Wohin geht Europa? Die Europäische Union zwischen Schuldenunion und Wirtschaftsmacht Vortrag anlässlich des 12. Landesfachtages Wirtschaft/Politik am 18.

62

4. Hohes Inflationsrisiko

Schädliche Effekte der Inflation (konstante Rate, schwankende Rate; Allokation und Verteilung); bittere Erfahrungen in vielen Ländern

Der Weg zu „Stabilität in der Welt“ (Anfang der 80er Jahre) war sehr teuer (Anpassungsrezessionen)

Die Politik der EZB: Auftrag versus Wirklichkeit

Geldpolitik in den USA

Unterschiedliche Ziele in der Geldverfassung (Fed versus EZB)

5. Abgeschwächtes Wirtschaftswachstum

Page 63: Wohin geht Europa? Die Europäische Union zwischen Schuldenunion und Wirtschaftsmacht Vortrag anlässlich des 12. Landesfachtages Wirtschaft/Politik am 18.

63

6. Vermehrte Wanderungen

7. Rückschlag für die EU als Wirtschaftsmacht?

8. Gefahr des Verfalls des Euroraums und der Europäischen Union?

Was machen die Briten?

Was machen andere Länder?

Page 64: Wohin geht Europa? Die Europäische Union zwischen Schuldenunion und Wirtschaftsmacht Vortrag anlässlich des 12. Landesfachtages Wirtschaft/Politik am 18.

64

Otmar Issing, FAZ:

„Ein Deutschland, das in falsch verstandener Solidarität durch die Übernahme unübersehbarer Verpflichtungen am Ende in Schulden ertrinkt, wird den Zorn seiner Bürger heraufbeschwören und sie noch weiter von der europäischen Idee entfernen, als dies … schon der Fall ist“.

Mehr zwischenstaatliche Vereinbarungen? Beispiel: Finanztransaktionssteuer

9. Exkurs: Gemeinsame „Militärpolitik“? Teilrolle als „Weltpolizei“?

Page 65: Wohin geht Europa? Die Europäische Union zwischen Schuldenunion und Wirtschaftsmacht Vortrag anlässlich des 12. Landesfachtages Wirtschaft/Politik am 18.

65

I. Literatur

Bericht der Hochrangigen Sachverständigengruppe unter Vorsitz von Wim Kok (2004). Die Herausforderung annehmen. Die Lissabon-Strategie für Wachstum und Beschäftigung. November. Luxemburg.

Blankart, C.B. (2010). Öffentliche Finanzen in der Demokratie. 8 Auflage. München. Insbesondere Kapitel 17 und 28.

Blankart, C.B. (2012). Die Euro-Zauberlehrlinge. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13. August: 14.

BMF (Bundesministerium der Finanzen) (2013). Via Internet (11. Februar 2013) <http://www.bundesfinanzministerium.de/Web/DE/Themen/ Europa/Stabilisierung_des_Euroraums/Zahlen_und_Fakten/zahlen_und_fakten.html>.

Born, B., et al. (2012). Austritt Griechenlands aus der Europäischen Währungsunion: historische Erfahrungen, makroökonomische Konse-quenzen und organisatorische Umsetzung. ifo Institut, München.

Europäischer Rat (2000). Schlussfolgerungen des Vorsitzes. 23. und 24. März 2000, Lissabon. Via Internet (12. Oktober 2012) <http://www.europarl.europa.eu/ summits/lis1_de.htm>.

Page 66: Wohin geht Europa? Die Europäische Union zwischen Schuldenunion und Wirtschaftsmacht Vortrag anlässlich des 12. Landesfachtages Wirtschaft/Politik am 18.

66

Hank, R. (2012). Die Pleite-Republik. München: Blessing Verlag.Hirschman, A.O. (1974). Abwanderung und Widerspruch. Tübingen. ifo (2013). Der Haftungspegel. Via Internet (31. Januar 2013) <http://www.

cesifo-group.de/de/ifoHome/policy/Haftungspegel.html>.Issing, O. (2012). Großer Beifall von allen Seiten. Frankfurter Allgemeine

Zeitung, 4. September: 12.Jones, E.L. (2012). Das Wunder Europa: Umwelt, Wirtschaft und Geopolitik

in der Geschichte Europas und Asiens. Tübingen: Mohr Siebeck.Kooths, S., und B. van Roye (2012). Nationale Geldschöpfung im Euroraum.

Mechanismen, Defekte, Therapie. Kieler Diskussionsbeiträge 508/509. Institut für Weltwirtschaft, Kiel.

Sinn, H.-W. (2012). Die Target-Kredite der Deutschen Bundesbank. ifo Schnelldienst Sonderausgabe März. München.

Vaubel, R. (2012). Weshalb der Euro die deutsche Exportwirtschaft nicht vor der anstehenden realen Aufwertung schützt. Via Internet (19. September 2012) <http://wirtschaftlichefreiheit.de/wordpress/ ?p=10111>.