Zeitschrift für die Vereinten Nationen und ihre Sonderorganisationen … · 2007. 6. 27. ·...

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VEREINTE NATIONEN Zeitschrift für die Vereinten Nationen und ihre Sonderorganisationen UN ILO FAO UNESCO ICAO IBRD IFC IDA IMF UPU WHO ITU WMO IMO WIPO IFAD UNIDO IAEA WTO UNRWA UNITAR UNICEF UNHCR WFP UNCTAD UNDP UNFPA UNV UNU UNEP WFC UNCHS INSTRAW ECE ESCAP ECLAC ECA ESCWA CERD CCPR CEDAW CESCR CAT CAAS CRC UNMOGIP UNTSO UNFICYP UNDOF UNIFIL UNIKOM MINURSO UNOMIG UNMOT UNPREDEP UNMIBH UNMOP MONUA MIPONUH MINURCA UNOMSIL Nomos Verlagsgesellschaft Baden-Baden mit Jahresinhaltsverzeichnis 2 ’99 Herausgegeben von der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen (DGVN)

Transcript of Zeitschrift für die Vereinten Nationen und ihre Sonderorganisationen … · 2007. 6. 27. ·...

  • VEREINTENATIONEN

    Nr. 2 / April 1999 • 47. Jahrgang • Einzelheft: DM 10,– M 13081 F

    Zeitschrift für die Vereinten Nationenund ihre SonderorganisationenUN ■ ILO • FAO • UNESCO • ICAO • IBRD • IFC • IDA • IMF • UPU • WHO • ITU • WMO • IMO •WIPO • IFAD • UNIDO ■ IAEA • WTO ■ UNRWA • UNITAR • UNICEF • UNHCR • WFP • UNCTAD •UNDP • UNFPA • UNV • UNU • UNEP • WFC • UNCHS • INSTRAW ■ ECE • ESCAP • ECLAC • ECA •ESCWA ■ CERD • CCPR • CEDAW • CESCR• CAT • CAAS • CRC ■ UNMOGIP • UNTSO • UNFICYP •UNDOF • UNIFIL • UNIKOM • MINURSO • UNOMIG • UNMOT • UNPREDEP • UNMIBH • UNMOP •MONUA • MIPONUH • MINURCA • UNOMSIL

    Nomos VerlagsgesellschaftBaden-Baden

    mit Jahresinhaltsverzeichnis

    2’99

    Herausgegeben von derDeutschen Gesellschaft für dieVereinten Nationen (DGVN)

  • VEREINTE NATIONEN47. Jahrgang April 1999 Heft 2

    Nachruf auf Kurt Seinsch ..........................................................................................

    Ludger VolmerInternationale Solidarität und EigeninteresseDie UN-Politik Deutschlands an der Schwelle zum nächsten Jahrhundert ...............

    Klaus TöpferAbschied von der WegwerfgesellschaftNeues Paradigma Lebenszyklen: das UNEP im Reformprozeß................................

    Reinhart HelmkeDer Kunde ist KönigPrinzip Selbstfinanzierung: Reformbeispiel UNOPS................................................

    LiteraturhinweiseMartina Haedrich Funk: Die Deutsche Liga für die Vereinten Nationen...........Markus Krajewski Fassbender: UN Security Council Reform and the Right of Veto...........................................................................................................................Redaktion Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.): Menschenrechte......

    Dokumente der Vereinten NationenAbchasien, Afghanistan, Afrika, Angola, Ehemaliges Jugoslawien, Friedenskonso-lidierung, Guinea-Bissau, Haiti, Horn von Afrika, Humanitäres Völkerrecht, Nah-ost, Ostafrikanisches Zwischenseengebiet, Rwanda, Tadschikistan, Westsahara,Zentralafrikanische Republik, Zypern, Verfahren des Sicherheitsrats......................

    Die Mitgliedschaften in UN-Organen im Jahre 1999 (Tabelle)............................ 94

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    VEREINTE NATIONEN · Zeitschrift für die Vereinten Nationen und ihre Sonderorganisationen. – Begründet vonKurt Seinsch.ISSN: 0042-384XHerausgeber: Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen (DGVN), Bonn.Chefredakteur: Dr. Volker Weyel, Poppelsdorfer Allee 55, D-53115 Bonn, ☎ (02 28) 94 90 10;Telefax: (02 28) 21 74 92.VEREINTE NATIONEN erscheint in der Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden.Druck, Ver lag und Anzeigenannahme: Nomos Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, Waldseestr. 3-5, D-76530 Baden-Baden, ☎ (0 72 21) 21 04-0; Telefax: (0 72 21) 21 04 27.Die Zeitschrift sowie alle in ihr enthaltenen einzelnen Beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt.Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustim-mung des Verlags. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmun-gen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.Namentlich gezeichnete Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Herausgebers oder der Redakti-on wieder.Erscheinungsweise: zweimonatlich. – Bezugsbedingungen: Abonnementspreis jährlich (6 Hefte) DM 49,–(inkl. MwSt.) zuzüglich Versandkosten; Einzelheft: DM 10,– (inkl. MwSt.) zuzüglich Versandkosten. Bestellun-gen nehmen entgegen: der Buchhandel und der Verlag; Abbestellungen vierteljährlich zum Jahresende. Zahlungenjeweils im voraus an: Nomos Verlagsgesellschaft, Postbank Karlsruhe, Kto. 73 636–751, und Stadtsparkasse Ba-den-Baden, Kto. 5–002266.Für Mitglieder der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen ist der Bezugspreis im Mitgliedsbeitrag ent-halten.

    Einem Teil dieser Auflage liegt eine Beilage der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen, Bonn, bei.

    DEUTSCHE GESELLSCHAFTFÜR DIE VEREINTEN NATIONEN

    Präsidium:Dr. Hans ArnoldProf. Dr. Kurt Biedenkopf, MdL, Ministerpräsident des Freistaats SachsenBischof Heinz-Georg BinderPrälat Paul Bocklet,Leiter des Katholischen Büros BonnDr. Hans Otto Bräutigam, Justizminister des Landes BrandenburgDr. Fredo DannenbringJoseph Fischer, MdB,Bundesminister des AuswärtigenProf. Dr. Per FischerDr. Carl-August Fleischhauer, Richteram Internationalen Gerichtshof im HaagDr. Walter GehlhoffHans-Dietrich GenscherDr. Reinhard Höppner, MdL, Ministerpräsident des Landes Sachsen-AnhaltProf. Dr. Reimut Jochimsen, Präsidentder Landeszentralbank Nordrhein-WestfalenDr. Klaus Kinkel, MdBDr. Helmut Kohl, MdB,Bundeskanzler a.D.Dr. Hans-Werner LautenschlagerRobert LeichtProf. Dr. Hermann MoslerProf. Dr. Jens NaumannDetlev Graf zu RantzauAnnemarie RengerProf. Volker Rittberger, Ph. D.Dieter Schulte, Vorsitzender des DGBKurt Seinsch †Prof. Dieter Stolte, Intendant des ZDFDr. Helga TimmProf. Dr. Christian TomuschatDr. Theodor Waigel, MdBRüdiger Freiherr von WechmarDr. Richard von Weizsäcker, Bundespräsident a.D.Prof. Dr. Rüdiger Wolfrum, Vizepräsidentdes Internationalen Seegerichtshofs in HamburgAlexander Graf York von Wartenburg

    Vorstand:Prof. Dr. Klaus Dicke, Oettern(Vorsitzender)Dr. Eberhard Brecht, MdB, Quedlinburg(Stellvertretender Vorsitzender)Alexander Graf York von Wartenburg, Bonn(Stellvertretender Vorsitzender)Dr. Klaus Bockslaff, Wiesbaden(Schatzmeister)Gerhart R. Baum, KölnProf. Dr. Thomas Bruha, HamburgDörte Hahlbohm, Schwäbisch GmündArmin Laschet, AachenWaltraud Schoppe, BassumDr. Peter-Tobias Stoll, HeidelbergDr. Günther Unser, AachenReinhard Wesel, München

    Landesverbände:Dr. Christine KalbVorsitzende, Landesverband BerlinStephanie RiederVorsitzende, Landesverband Baden-WürttembergUlrike Renner-HelfmannVorsitzende, Landesverband Bayern

    Generalsekretar iat :Dr. René Klaff, GeneralsekretärDeutsche Gesellschaft für die Vereinten NationenDag-Hammarskjöld-HausPoppelsdorfer Allee 55, D-53115 Bonn☎ (02 28) 94 90 00; Telefax: (02 28) 21 74 92

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    Wer zu den wenigen gehören durfte, die Kurt Seinsch in den letzten Jahren getroffen hat, war beeindruckt von seinem un-gebrochenen festen Willen, der ungeminderten Schärfe seiner Gedanken und der fortbestehenden Vielfalt seiner geisti-gen Interessen. Dies bildete einen deutlichen Kontrast zu den körperlichen Leiden, die er zu ertragen hatte. Zu bewäl-tigen hatte er überdies den Tod seiner Frau Irma, die 1995 im einundsechzigsten gemeinsamen Ehejahr verstorben war.Der starke Wille war ein Merkmal seines Lebens, auch seiner Tätigkeit bei der Deutschen Gesellschaft für die VereintenNationen. Er prägte die DGVN in vielerlei Hinsicht, schuf in Gestalt der »Sacharbeit«, wie er sie nannte, die Grundlagenfür die kompetente Information der Öffentlichkeit in der Bundesrepublik Deutschland über die von vielen zunächst nur alsOrganisation der Sieger gesehenen Vereinten Nationen. 1956 war er als Pressereferent in den Dienst der DGVN getre-ten. Der breiteren Öffentlichkeit weniger bekannt ist sein Wirken als stellvertretender und zeitweise auch kommissari-scher Generalsekretär der DGVN: Diskretion und Loyalität gegenüber den anderen Menschen, die sich für die DGVN en-gagierten, waren seine Kennzeichen. Zugleich war er stets ein unabhängiger, strategisch denkender Kämpfer für die Sa-che der Weltorganisation: von der Ära Adenauer über die lange Zeit des Vietnamkriegs und des politischen Generatio-nenwechsels nach 1968 hinweg.Die meisten erinnern sich an ihn als Gründer der Zeitschrift VEREINTE NATIONEN. 1962 erschien das erste Heft; ziel-strebig hatte er, von dem damaligen ›Mitteilungsblatt‹ der DGVN ausgehend, die Grundlagen für das seither zweimonat-lich erscheinende Periodikum geschaffen. Bei allen Weiterentwicklungen, die dieses mittlerweile erfahren hat, baut es aufseiner Leistung auf und hat Anspruch wie Ansatz – den Dreiklang von Analyse, Bericht und Dokumentation – beibehal-ten. Ohne seine Hartnäckigkeit und Überzeugungskraft hätte die Zeitschrift schon die ersten Jahre nicht überlebt. Wich-tiger als die Gründung war somit die langfristige Absicherung des Erscheinens der Zeitschrift und ihre Ausgestaltung zuranerkannten, wissenschaftlichen wie journalistischen Kriterien standhaltenden deutschen Fachzeitschrift für die Weltor-ganisation und die von ihr behandelten Themen. Chefredakteur von VEREINTE NATIONEN war er bis Ende 1976 undführte in den ersten Monaten des Ruhestands noch seinen Nachfolger ein.Sein Leben umspannte fast das gesamte Jahrhundert. Vor dem Ersten Weltkrieg geboren, erlebte er in Kindheit und Ju-gend die Besetzung des Rheinlands durch fremde Truppen und spürte die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise. DerScheinblüte der NS-Zeit folgten die Kriegsteilnahme und Gefangenschaft. Aus dem Grauen des Krieges, das er etwa beiMontecassino miterlebte, zog er Konsequenzen in Gestalt seines Friedensengagements. Es ist kein Zufall, daß in Heft1/1962 der Zeitschrift die nüchterne Mitteilung »An unsere Leser« über die Umwandlung des bisherigen Mitteilungsblattsder DGVN eine durchaus programmatische Aussage enthielt: »VEREINTE NATIONEN ist nicht um ihrer selbst willen da,die Zeitschrift dient den Zielen der Organisation: dem Frieden.« Seine äußere Anerkennung fand dieses Engagement1987 in der Überreichung der Friedensmedaille der Vereinten Nationen anläßlich des 25-jährigen Bestehens der Zeit-schrift; 1975 schon war sein vielseitiges Wirken für die Ziele der Vereinten Nationen durch die Verleihung des Bundes-verdienstkreuzes I. Klasse gewürdigt worden. Der DGVN war Kurt Seinsch von 1977 bis 1979 als Angehöriger ihres Vor-stands und später als Mitglied ihres Präsidiums verbunden geblieben.

    Kurt Seinsch4. Mai 1910 – 3. März 1999

    Prof. Dr. Klaus Dicke Dr. Volker Weyel– Vorsitzender der DGVN – – Chefredakteur –

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    Im Herbst nächsten Jahres werden die Vereinten Nationen der be-vorstehenden Jahrtausendwende auf besondere Weise Rechnung tra-gen: Die dann anstehende 55. Ordentliche Tagung ihrer Generalver-sammlung wird als »Millennium Assembly« begangen werden.Doch schon jetzt besteht Anlaß darüber nachzudenken, wie sich die Weltorganisation den kommenden »Herausforderungen an diemenschliche Solidarität« stellen soll. So hat es ihr GeneralsekretärKofi Annan ausgedrückt und eigene Vorschläge angekündigt.Unter der deutschen Präsidentschaft in der ersten Hälfte des Jahres1999 hat sich die Europäische Union bereits aktiv an der themati-schen Ausrichtung dieser Millennium-Versammlung beteiligt. Diesbietet Gelegenheit, auch unsere nationale Politik in den VereintenNationen Revue passieren zu lassen, Erreichtes zu bewerten und Pri-oritäten für unsere künftige Politik festzulegen. In der Koalitionsver-einbarung der beiden Parteien, die im letzten Herbst die neue Bun-desregierung bildeten, ist es klar gesagt: die Vereinten Nationen sind»die wichtigste Ebene zur Lösung globaler Probleme«. Die deutscheRegierung ist entschlossen, sich für die Stärkung dieser Ebene ein-zusetzen. Unser finanzieller Beitrag spricht für sich selbst: Deutsch-land ist seit vielen Jahren drittgrößter Beitragszahler zum regulärenHaushalt der UN und allein dadurch eine wesentliche Stütze der Or-ganisation. Wir wollen aber mehr. Wir wollen auch politisch-kon-zeptionell dazu beitragen, daß die Vereinten Nationen ihrer einzigar-tigen Rolle auch im nächsten Jahrhundert gerecht werden können.

    Die neuen Herausforderungen

    Das Ende des Ost-West-Konflikts war nicht das Ende der Geschich-te oder der Beginn des ewigen Friedens. Die Welt ist danach nicht si-cherer geworden. Doch tragen die Bedrohungen von Frieden und Si-cherheit heute ein anderes Gesicht als noch vor wenigen Jahren. DieZahl zwischenstaatlicher Konflikte hat abgenommen und ›klassi-sche‹ friedenserhaltende Maßnahmen sind die Ausnahme. Statt des-sen dominieren komplexe innerstaatliche Konflikte mit Gefahren füreinzelne Menschen und Bevölkerungsgruppen, besonders für Frauenund Kinder. Die Wahrung des Weltfriedens und der internationalenSicherheit als erstes Ziel der Charta der Vereinten Nationen hat mit-hin nicht an Bedeutung verloren. Doch erfordert die neuartige Be-drohungslage auch ein neues, ebenso komplexes Reaktions-Instru-mentarium. Darauf ist das System der Vereinten Nationen in seinerderzeitigen Struktur nicht ausgerichtet. Hier muß die internationaleGemeinschaft ansetzen.Heute, nach einer Reihe schmerzlicher Lektionen, liegen die struktu-rellen Mängel der Organisation offen zutage. Auf den Traum vonden neuen Möglichkeiten der friedenssichernden Maßnahmen – des›Peace-keeping‹ – nach dem Ende der bipolaren Welt des Ost-West-Konflikts folgte die Ernüchterung. Das – der Organisation selbst nurbegrenzt anzulastende – Scheitern der Operationen in Somalia (UN-OSOM), im ehemaligen Jugoslawien (UNPROFOR) und in Rwanda(UNAMIR) waren die wichtigsten Stationen auf diesem Wege. AlsFolge davon sind die eigentlichen UN-Friedenssicherungseinsätzeselten geworden. An ihre Stelle sind Friedensoperationen getreten,die zwar von den UN autorisiert, jedoch durch Regionalorganisatio-nen, Bündnisse und Koalitionen (coalitions of the willing) umgesetztwurden. Beispiele sind die von der NATO geführten MissionenIFOR und SFOR im ehemaligen Jugoslawien. Im Kosovo hat die

    NATO militärisch eingegriffen, obwohl sich der UN-Sicherheitsratnicht in vollem Maße über einen solchen Einsatz einigen konnte.Manchem drängt sich die Frage auf, ob sich die friedensstiftendeRolle der UN überlebt hat. Steht das völkerrechtlich abgesicherteGewaltmonopol des Sicherheitsrats in den internationalen Beziehun-gen vor seiner Aushöhlung durch die Praxis? Ist es obsolet gewor-den?Der Eingriff im Kosovo war unvermeidlich, da nach dem Scheiternaller Verhandlungsbemühungen keine andere Strategie mehr zurVerfügung stand, um einen beginnenden Völkermord im Keim zu er-sticken. Auch wenn aus heutiger Sicht festgehalten werden muß, daßdie NATO-Strategie ihr kurzfristiges Ziel nicht erreicht hat, war siezum Zeitpunkt der Entscheidung jedoch aus humanitären Gründen indiesem Ausnahmefall unausweichlich geworden. Doch wenn die UNnicht handlungsfähig waren, weil einzelne Vetomächte ihr Vetorechtnicht im Sinne der UN-Charta als Verpflichtung zum effektivenHandeln begriffen haben, dürfen wir nicht bei der Selbstlegitimie-rung unseres Handelns stehenbleiben. Wo sich das Völkerrecht alsnicht hinreichend erwiesen hat, darf es nicht einfach beiseite gescho-ben werden; es bedarf vielmehr einer gezielten Weiterentwicklung.Die klassische Völkerrechtslehre hat bisher keine adäquate Antwort,erkennt jedoch zunehmend an, daß hier juristisch aufgearbeitet wer-den muß, was politisch gefordert ist. Oder wird, wie GeneralsekretärAnnan es kürzlich einmal ausdrückte, das Pendel wieder zugunstender Vereinten Nationen zurückschwingen? Niemand wird dies heuteverläßlich beantworten können. Zweckmäßig scheint es, die Sachevon einer anderen Seite zu betrachten und zu fragen: Wo liegt unserInteresse?

    Die UN als Grundlage einer wirksamen Weltordnungspolitik

    Es wird heute viel über die Chancen und Gefahren der Globalisie-rung geredet. Dabei wird Globalisierung durchaus unterschiedlichverstanden. Einige verengen sie auf die Krisen- und Wachstumspo-tentiale von Wirtschafts- und Finanzströmen. Andere ergänzen diesePerspektive um das gesamte Geflecht globaler Probleme, von denMenschenrechten über die Armutsbekämpfung bis hin zur Umwelt-problematik. Wie immer man dies jedoch sieht, in einem dürften sichalle einig sein: Globalisierung geht mit einer Verminderung der ein-zelstaatlichen Einflußmöglichkeiten einher. Einige bezeichnen diesals Prozeß der Denationalisierung. Dies scheint überzogen: Den Na-tionalstaaten wird weiterhin eine, vielleicht sogar die zentrale Rollezukommen. Aber richtig ist, daß staatliche Maßnahmen in viel stär-kerem Maße mit zwischen- und überstaatlichen Bemühungen zu-sammengeführt werden müssen. Daraus folgt die Notwendigkeit ei-ner weiteren, breiter angelegten Internationalisierung von Lösungs-ansätzen. Integrative Ansätze werden aus der Sicht vieler National-staaten dem eigenen Bedürfnis nach Sicherheit, Wohlfahrt und Sta-bilität besser gerecht als nationalstaatliche Selbsthilfe in einem Inter-essenstreit aller gegen alle.Deshalb brauchen wir ein funktionierendes System internationalerZusammenarbeit zwischen nationalen, lokalen, regionalen und glo-balen Akteuren und Organisationen. In diesem System einer inter-nationalen Strukturpolitik – nichts anderes meint der Begriff der›global governance‹ – kommt den UN als einziger politischer zwi-schenstaatlicher Organisation mit praktisch universaler Mitglied-

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    Internationale Solidarität und EigeninteresseDie UN-Politik Deutschlands an der Schwelle zum nächsten JahrhundertLUDGER VOLMER

  • schaft eine zentrale Rolle zu. Sie hat darin einen nicht ersetzbarenLegitimitätsvorsprung. Ein globales Ordnungssystem, aus dem dieUN wegbrächen, geriete früher oder später in eine Legitimationskri-se. Das können wir nicht wollen. Statt dessen muß es darum gehen,die komparativen Vorteile der Vereinten Nationen wieder stärker insBewußtsein zu heben und die Zusammenarbeit mit anderen interna-tionalen und regionalen Organisationen zu stärken. Es bleibt dastatsächliche Problem, daß die UN in ihrer jetzigen Struktur den Her-ausforderungen von heute nicht voll gerecht werden. Doch die Alter-native zu einer unzureichenden Organisation der Vereinten Nationenkann nur eine bessere Organisation der Vereinten Nationen sein. Siemuß die handlungsfähige Alternative zu der erkennbaren Tendenz zuimmer mehr Unilateralismus werden.

    Komplexe Konfliktursachen erfordern integrative Antworten

    Aber nicht nur die Art der Konflikte – innerstaatlich statt zwi-schenstaatlich – hat sich drastisch verändert. Verändert haben sichauch die Konfliktursachen. Zwar bleibt die unmittelbare Drohungmit militärischer Gewalt auch weiterhin zentraler Konfliktauslöser.Doch daneben treten im Zeitalter der Globalisierung zunehmend an-dere Bedrohungspotentiale.Umweltzerstörung und Unterentwicklung, Bevölkerungswachstumund Ressourcenknappheit, Menschenrechtsverletzungen, Terroris-mus, Drogen, organisierte Kriminalität und die Proliferation vonWaffen, besonders Kleinwaffen, sind heute vergleichbare Sicher-heitsrisiken für die Menschheit, wie es zuvor die Möglichkeit desAufflammens des Ost-West-Konflikts war. Fortschritte bei der Lö-sung dieser Probleme setzen ein erweitertes Verständnis der Bedro-hungspotentiale voraus. Moderne Friedenserhaltung kann sich nichtauf das Entsenden von Blauhelmsoldaten zur Konfliktprävention,zur Friedenssicherung oder zur Nachbetreuung mühsam ausgehan-delter Friedensschlüsse am Ende gewaltsam ausgetragener Konflik-te beschränken. Im Zentrum eines erweiterten Sicherheitsbegriffsder internationalen Gemeinschaft steht mehr und mehr der einzelneMensch, das unschuldige Opfer aus der Zivilbevölkerung, und nichtmehr nur das legitime Interesse von Staaten.Um Frieden und Sicherheit in der Welt muß daher an vielen Ortengerungen werden. Es geht heute immer gleichzeitig um die Freiheitvon Furcht und die Freiheit von Not, wie es der UN-Generalsekretärim letzten Herbst in seinem Jahresbericht für die Generalversamm-lung in Erinnerung gerufen hat. Auch das ist keine neue Erkenntnis.Heute rückt jedoch stärker als noch vor wenigen Jahren ins Bewußt-sein, daß die verschiedenen Herausforderungen auf das engste mit-einander verflochten sind. Im Zeitalter der Globalisierung ist eintrennscharfes Isolieren einzelner Problembereiche zwar vielleichttheoretisch möglich, kaum jedoch praktisch erfolgversprechend. EinBeispiel: Armut erzeugt Bevölkerungswachstum, daraus folgen Um-weltschäden, Flüchtlingselend und Bedrohungen von Frieden undSicherheit zunächst regional, dann mit immer weiterem Radius.Ähnliche Ketten lassen sich von jedem globalen Problem ablei-ten.Nachhaltigkeit in den Lösungsansätzen ist daher nur denkbar, wenndiese sachlichen Zusammenhänge stärker bewußt gemacht undBemühungen aller an diesen Lösungen arbeitenden Akteure so weitwie möglich aufeinander abgestimmt werden. Die Nachhaltigkeitvon Fortschritten in jedem Teilbereich hängt wesentlich davon ab,wie kohärent sich diese zu Zielen in anderen Bereichen verhalten.Gefordert ist ein themenübergreifendes, ganzheitliches und vernetz-tes Herangehen. Um dieses Ziel praktisch zu fördern, wurde im Aus-wärtigen Amt im Sommer 1998 der ›Arbeitsstab Globale Fragen‹ ge-schaffen. Wir müssen wegkommen von einem zu engen Denken inZuständigkeiten und überlieferten Schablonen und statt dessen dieGemeinsamkeiten und Kohärenz der Ansätze stärker herausarbeiten.

    Dies muß auch konkrete Auswirkungen auf unsere UN-Politik ha-ben.

    Die Zivilgesellschaft als Partner in der AußenpolitikNeben der zwischen- und überstaatlichen Ebene gewinnt die sozusa-gen unter- oder nicht-staatliche Ebene zunehmend an Bedeutung.Nichtstaatliche Organisationen (NGOs), im deutschen Sprachge-brauch meist Nichtregierungsorganisationen genannt, Kirchen, Stif-tungen, Verbände und Unternehmen – kurz, das gesamte Spektrumder sogenannten Zivilgesellschaft – spielt eine immer wichtigereRolle bei der Behandlung dieser Fragen. Besonders gilt dies im Rah-men der Vereinten Nationen. Viele Mitglieder der Zivilgesellschaftsind bereit und in der Lage, zu zentralen außenpolitischen Anliegeneinen substantiellen eigenen Beitrag zu leisten. Der Vertrag zur Ab-schaffung der Anti-Personen-Minen, der vor kurzem in Kraft getre-ten ist und von Deutschland als einem der ersten Staaten ratifiziertwurde, ist ein besonders schlagkräftiges Beispiel dafür. Auch die imletzten Jahr erfolgte Schaffung der Grundlagen für den künftigen In-ternationalen Strafgerichtshof wurde durch die tatkräftige Unterstüt-zung aus dem Kreis der NGOs wesentlich befördert.Im Zuge solcher Erfolge wandelt sich das Verhältnis zwischen staat-lichen und nichtstaatlichen Akteuren. Um Mißverständnissen vorzu-beugen: NGOs werden und müssen weiterhin ihre Unabhängigkeitgegenüber den jeweiligen Regierungen behaupten, um die eigenenZiele verfolgen und ihre Kritik offen und ungehindert zum Ausdruckbringen zu können. Diese Rollenverteilung hat sich bewährt; jedeRegierung ist gut beraten, sie nicht in Frage zu stellen. Aber darüberhinaus ist die Zivilgesellschaft in vielen globalen Fragen zunehmendauch Verbündeter vorwärtsdenkender Regierungen, da beide Seitenstärker als je zuvor aufeinander angewiesen sind. Daraus folgt einneues Verständnis sowohl von der eigenen Rolle wie auch von derRolle des jeweils anderen. Auch das ist ein Element von ›global governance‹ an der Schwelle zum nächsten Jahrhundert. Um diesenDialog mit der Zivilgesellschaft weiter zu vertiefen, hat das Auswär-tige Amt im April ein ›Forum Globale Fragen‹ ins Leben gerufen,das als Plattform für einen noch intensiveren politischen Gedanken-austausch dienen soll. Dies entspricht im übrigen den Vorstellungenvon Generalsekretär Annan, der die Intensivierung dieses Dialogs inallen UN-Mitgliedstaaten nachdrücklich gefordert hat.Alle diese neuen Entwicklungen und Handlungsmuster ergeben zu-sammengenommen den Rahmen und die Kriterien für eine moderne,kohärente UN-Politik. Dieses Verständnis muß sich in allen themati-schen Einzelbereichen widerspiegeln. Wir sind dazu bereit, wie aneinigen Schwerpunktbereichen im einzelnen belegt werden kann.

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    Autoren dieser Ausgabe

    ReinhartH e l m k e ,Dipl.-Volksw., geb. 1943, ist Beigeordneter Ge-neralsekretär der Vereinten Nationen und leitet seit 1995 als Exekutiv-direktor ihr Büro für Projektdienste (UNOPS). Seit 1969 in der Ent-wicklungszusammenarbeit tätig, ab 1973 für ILO, IAEA und UNDP.

    Dr. Klaus T ö p f e r , geb. 1938, ist Untergeneralsekretär der Ver-einten Nationen und leitet seit Februar 1998 als Exekutivdirektor ihrUmweltprogramm; er ist zugleich Generaldirektor des UN-BürosNairobi. 1987-1994 Umweltminister der Bundesrepublik Deutsch-land, 1994-1998 Bundesbauminister.

    Dr. Ludger V o l m e r , MdB, geb. 1952, ist seit Ende Oktober 1998Staatsminister im Auswärtigen Amt. 1979 Mitbegründer der ›Grü-nen‹ und 1993 von ›Bündnis ’90 / Die Grünen‹. 1986 Sprecher derBundestagsfraktion, 1991-1994 Sprecher des Bundesvorstandes.

  • UN-Friedenssicherung: Kapazitäten erhalten und ausbauen

    Die Friedenssicherungseinsätze der Vereinten Nationen, an denensich Deutschland seit vielen Jahren mit Personal, Gerät und Trans-portleistungen beteiligt, verdienen auch künftig unsere besondereUnterstützung. Die UN haben aus den Erfahrungen der letzten Jahre– gerade auch den negativen – viele nützliche Lehren ziehen können.Deutschland hat diesen unter dem Motto ›Lessons learned‹ abgelau-fenen Prozeß durch konkrete Unterstützung der zuständigen Arbeits-einheit im UN-Sekretariat und durch eigene Maßnahmen tatkräftigbefördert.In dieser Situation kommt es vor allem darauf an, nicht das Tafelsil-ber der Vereinten Nationen zu verschleudern. Wir dürfen das Fern-ziel nicht aus den Augen verlieren, die UN wieder in die Lage zu ver-setzen, bei Bedarf auch komplexe friedenserhaltende Maßnahmenunter eigener Regie kurzfristig und flexibel vorzubereiten und er-folgreich durchzuführen. Dazu aber muß heute der Grundbestand anKompetenz und operativer Fähigkeit im Sekretariat erhalten bleiben,möglichst sogar weiter gestärkt werden. Wir haben uns dafür in denzuständigen UN-Gremien immer wieder eingesetzt, insbesondere imSonderausschuß für Friedenssicherungseinsätze, einem Nebenorgander Generalversammlung.

    Reform des Sicherheitsrats

    Doch wie immer wir den Apparat und das Instrumentarium der UNauch verbessern – das politische Kernstück des Sicherheitssystemsder Vereinten Nationen bleibt der Sicherheitsrat. Mit der Wirksam-keit seiner Beschlüsse steht und fällt die Friedenspolitik und das Kri-senmanagement der Weltorganisation. Die Umsetzung der Mandateist erfahrungsgemäß immer nur so gut, wie die Mandate es zulassen.Unklarheiten im Auftrag rächen sich, vielfach verstärkt, vor Ort inden Konfliktherden. Hier steht der Sicherheitsrat vor zwei zentralenHerausforderungen. Zum einen spiegelt seine Zusammensetzung diepolitischen und geographischen Realitäten nicht mehr angemessenwider. Das ist ein Legitimitätsproblem. Zum anderen muß er Ant-

    worten auf die oben genannten neuartigen Bedrohungen des Frie-dens finden, die mit dem traditionellen Instrumentarium des ›Peace-keeping‹ nicht zu bewältigen sind. Das ist ein konzeptionelles Pro-blem. Beide Probleme bedrohen die Wirksamkeit von künftigenRatsentscheidungen erheblich.Zum ersten Punkt: Es ist hinlänglich bekannt, daß Deutschland be-reitsteht, durch eine ständige Mitgliedschaft im Sicherheitsrat mehrVerantwortung für den Weltfrieden zu übernehmen. In der Öffent-lichkeit ist das deutsche Werben bisweilen verkürzt als neues Macht-streben dargestellt worden. Doch bei der Reform des Sicherheitsratsgeht es nicht und kann es gar nicht vornehmlich um Deutschland unddeutsche Interessen gehen. Auch nicht primär um die Interessen Ja-pans oder anderer Staaten, deren Position vielleicht eine Stärkung er-führe. Bei der Reform geht es in erster Linie um die Vereinten Na-tionen selbst. Denn es kann nicht im Interesse ihrer Mitgliedsländerliegen, wenn das mit der Wahrung von Weltfrieden und internatio-naler Sicherheit betraute Hauptorgan der UN kontinuierlich an Wirk-samkeit verliert oder gar zum Spielball einzelner einflußreicher Staa-ten wird. Wie wir im Kosovo sehen, werden die Probleme der Frie-denserhaltung nicht weniger, wenn der Sicherheitsrat sich nicht eini-gen kann. Sie verlagern sich nur von der Ebene der im Prinzip einzigvölkerrechtlich bevollmächtigten Organisation auf die regionaleEbene einzelner Bündnisse und Koalitionen. Leichter lösbar werdensie dadurch nicht.Daher spricht trotz vieler Rückschläge alles dafür, den Reformdruckin Sachen Sicherheitsratsreform aufrechtzuerhalten. Wir braucheneine bessere Berücksichtigung der Interessen des Südens. Wir brau-chen aber auch eine ausgewogenere Gewichtung der Interessen desNordens. Theoretisch spricht viel für einen europäischen Sitz, denich grundsätzlich auch vorziehen würde. Wenn er möglich wäre,würde sich Deutschland für ihn einsetzen. Doch ist die UN-Mit-gliedschaft bislang auf Einzelstaaten beschränkt. Außerdem hat dieGemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU (GASP) bisherin einer Reihe wichtiger vom Sicherheitsrat behandelter Problemeund auch in der Frage der Reform des Sicherheitsrats selbst keinetragfähigen gemeinsamen Positionen hervorgebracht. Im übrigenwürde ein gemeinsamer europäischer Sitz im Sicherheitsrat auch dieFrage eines entsprechenden Sitzes in der Generalversammlung auf-werfen. Es ist fraglich, ob es im Interesse der EU-Staaten liegenkann, statt 15 Stimmen nur noch eine zu haben. Hinzu kommt, daßfaktisch die Diskussion über eine Reform des Rates nur solange le-bendig bleibt, als ein deutscher Anspruch im Raum steht. Deshalbwerden wir im Rahmen des Reformprozesses ruhig, unaufgeregt undmit guten Argumenten unser Angebot an die internationale Staaten-gemeinschaft aufrecht erhalten, mehr Verantwortung zu überneh-men. Doch noch ist keine Einigung über die Reform des Sicherheits-rats in Sicht. Zu unterschiedlich sind bisher die Interessen und Er-wartungen.In diesen Komplex gehört auch die Frage des Vetorechts. Auch wenngefragt werden kann, ob dieses Prinzip denn einem demokratischenVerfahren entspricht, so muß doch gesagt werden, daß eine Ände-rung unrealistisch wäre. Aber der Hinweis ist nötig, daß nach derCharta der Sicherheitsrat einer Verpflichtung zu schnellem und ef-fektivem Handeln unterliegt. Ein Recht zum Veto darf also nicht da-zu mißbraucht werden, in einem Konflikt jedwedes Handeln zu ver-hindern.Der zweite Fragenkomplex betrifft Art und Umfang moderner Frie-denssicherungseinsätze. Auch hier hat der Sicherheitsrat Nachholbe-darf. Wer seine Resolutionen aus den letzten Jahren analysiert, wirdfeststellen, daß diese zunehmend über den Rahmen eines traditionel-len Verständnisses von friedenserhaltenden Maßnahmen hinauswei-sen und den innerstaatlichen Einsatz von zivilen Komponenten derFriedenssicherung zum Inhalt haben. Von der Minenräumung überdie Flüchtlingshilfe bis hin zu Maßnahmen zum Wiederaufbau zer-

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    Beispiel Verfügungsbereitschaftsabkommen

    Ein wichtiger Bestandteil des Konzepts der UN-Friedenssicherungs-einsätze ist das unter dem Begriff ›Standby‹ bekannte System der Verfü-gungsbereitschafts-Beiträge. Dabei geht es um Kontingente und Kompo-nenten von Friedensoperationen, die ein Mitgliedstaat im eigenen Landefür mögliche UN-Einsätze grundsätzlich bereithält und über die er mit derWeltorganisation eine Vereinbarung trifft. Zentrales Ziel dieses Systemsist, die Planungsdauer eines Einsatzes zu verkürzen und die schnelle Re-aktionsfähigkeit der Vereinten Nationen zu erhöhen. Deutschland hat demSekretariat bereits in der Vergangenheit ein Angebot im Bereich zivilerKomponenten unterbreitet. Hier steht Deutschland bisher einzigartig da,und das Auswärtige Amt hat dabei Pionierarbeit geleistet. Nunmehr wirddieses Angebot auch um militärische Bestandteile erweitert, und zwar inBereichen, auf die das UN-Sekretariat zur Gewährleistung der Friedenssi-cherungskapazität der Organisation besonders angewiesen ist und bei de-nen Deutschland als hochindustrialisiertes Land besondere Expertise auf-zuweisen hat (etwa Logistik, Sanitäts- und Pionierwesen).Damit ist jedoch keine automatische Festlegung auf die Teilnahme an ei-ner konkreten Operation verbunden. Vielmehr gilt für das ›Standby‹-Sy-stem das Prinzip des ›zweiten Schlüssels‹: Die erste Unterschrift bestätigt,daß die erwähnten Leistungen grundsätzlich für Friedenssicherungs-einsätze zur Verfügung stehen. Sobald eine konkrete Planung anläuft, bit-tet das Sekretariat der Vereinten Nationen dann den betreffenden Mit-gliedstaat um Auskunft, ob er an ihr teilnehmen möchte. Diese Entschei-dung unterliegt in den meisten Mitgliedstaaten, so auch in Deutschland,innerstaatlichen Rechtsvorschriften, die die Beteiligung des Parlamentsvorsehen. Erst dann erfolgt die zweite Unterschrift. Aber es besteht die Er-wartung, daß die Teilnahme eines großen und wichtigen Mitgliedstaatsam System der Verfügungsbereitschaftsabkommen dessen grundsätzlicheBereitschaft unterstreicht, bei Bedarf sowohl mit zivilen wie mit militäri-schen Kapazitäten zu helfen.

  • störter Infrastruktur hat der Sicherheitsrat Elemente in seine Manda-te integriert, die traditionell dem Bereich der Friedenskonsolidierungin der Zeit nach dem Konflikt (peacebuilding) zugerechnet werden.Im Dezember 1998 – in der öffentlichen Wahrnehmung überdecktdurch das erneute Aufflackern der Irak-Krise – gab er erstmals einegrundsätzliche Erklärung zum Thema der Friedenskonsolidierungab. Mit dieser Stellungnahme – sie ist in diesem Heft auf S. 82f. ab-gedruckt – erkannte er grundsätzlich die Verlagerung auf das inner-staatliche ›Peace-keeping‹ an.Deutschland hat sich seit langem für ein stärkeres Tätigwerden indiesem Sinne eingesetzt. Bereits 1996 war es unter deutscher Präsi-dentschaft im Sicherheitsrat gelungen, eine Erklärung zur Frage derMinenräumung im Rahmen von Friedensmissionen zu verabschie-den; etwas später folgte eine ebensolche Erklärung zum Schutze derhumanitären Helfer vor Ort.

    Krisenprävention und zivile Konfliktbearbeitung

    Die Bundesregierung hat entschieden, den zivilen Aspekten von Kri-senprävention und Konfliktbewältigung künftig stärkeres Gewichteinzuräumen. Besonderes Augenmerk werden wir der Verbesserungder Ausbildungs- und Vorbereitungskapazitäten für Personal zur zi-vilen Krisenintervention widmen. In die Überlegungen einfließenwerden auch die Erfahrungen der Kosovo-Verifikationsmission derOSZE. Ziel ist die weitestmögliche Einbeziehung aller auf diesemGebiete tätigen Institutionen. Es soll zügig eine geeignete Personal-reserve von Friedensfachleuten geschaffen werden, die im Bedarfs-fall auch kurzfristig für die unterschiedlichen Friedensmissionen derUN wie auch der OSZE und anderen Regionalorganisationen mobi-lisiert werden können. Dies ist ein weiterer Bereich, in dem die Zu-sammenarbeit mit NGOs besonders im humanitären und kirchlichenBereich verstärkt werden muß. Es geht um eine national und inter-national koordinierte zivile Interventionsfähigkeit, die den Quer-schnittscharakter wirksamer Krisenprävention widerspiegelt.Entwicklungszusammenarbeit in Friedenszeiten ist der dauerhaftenVerbesserung struktureller Rahmenbedingungen gewidmet, wäh-rend in der heißen Phase eines Konflikts die Außenpolitik regierenmuß. Das ist relativ unumstritten. Weniger klar liegen die Dinge da-gegen in der Grauzone unmittelbar vor oder nach einem gewaltsa-men Konflikt. In der Regel ist die Situation in dieser Phase hochgra-dig politisiert. Traditionelle Entscheidungsmuster der Entwicklungs-zusammenarbeit greifen dann noch nicht oder nicht mehr. Schlimm-stenfalls laufen sie Gefahr, in die ganz andere Logik des Konfliktshineingezogen zu werden und sogar konfliktverschärfend zu wirken.Zwar lassen sich die Abschnitte eines Konflikts zwischen heißerPhase und Rückkehr zur Normalität nie messerscharf voneinandertrennen. Wir müssen uns aber bewußt bleiben, daß dann, wenn die

    Waffen schon schweigen, die eigentliche Aufgabe der zivilen Kon-fliktbewältigung erst beginnt und die außenpolitisch kohärente Prä-senz der internationalen Staatengemeinschaft noch eine ganze Weilefortbestehen muß, wenn wir Fehlentwicklungen und eine erneute Es-kalation des Konflikts vermeiden wollen.

    Zielgenaue Sanktionen

    Ein weiterer Bereich, dem sich die neue Bundesregierung verstärktwidmen will, sind die vom Sicherheitsrat verhängten Sanktionen. Siefallen in eine grundsätzlich andere Kategorie des Handelns des Ra-tes, nämlich unter die Zwangsmaßnahmen des Kapitels VII derCharta, sind aber der Ultima ratio einer militärischen Erzwingungs-maßnahme grundsätzlich vorzuziehen. Leider hat die bisherige Er-fahrung ergeben, daß das eigentliche Ziel von Sanktionen oft nichterreicht und statt dessen der unschuldigen Bevölkerung Leid zuge-fügt wurde. Die Vereinten Nationen haben dies erkannt und eine In-itiative zur Verfeinerung des Instrumentariums und Verbesserungder Zielgenauigkeit von Sanktionen unter dem Oberbegriff ›intelli-gente Sanktionen‹ (›smart sanctions‹ oder ›targeted sanctions‹) insLeben gerufen. Wir haben uns an dieser Initiative aktiv beteiligt. In einem ersten Schritt wurden Finanzsanktionen näher analysiert.Sinnvoll wäre auch eine genauere Untersuchung der Wirksamkeitvon Waffenembargos. Hier könnte Deutschland eine konstruktiveRolle spielen und mit einer internationalen Expertenveranstaltungeinen wichtigen Beitrag leisten.

    Frieden fördern durch weniger Waffen

    Angesichts der wachsenden Gefahr der Proliferation von Massen-vernichtungswaffen und Trägersystemen kommt den internationalenBemühungen um Nichtverbreitung und Abrüstung zunehmende Be-deutung für die internationale Sicherheit zu. Die zentralen Vertrags-regime – der Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen unddie beiden Übereinkommen zum Verbot der biologischen Waffen re-spektive der chemischen Waffen – müssen vollständig verwirklichtwerden und universelle Geltung erlangen. Das B-Waffen-Überein-kommen muß durch rasche Einigung auf ein Verifikationsregime ge-stärkt werden. Die noch vorhandenen Arsenale chemischer Waffengilt es zeitgerecht zu vernichten. Die Atomtests in Südasien im ver-gangenen Jahr haben uns deutlich vor Augen geführt, daß ein raschesInkrafttreten des Vertrages über das umfassende Verbot von Nu-klearversuchen dringend erforderlich ist. Der Prozeß der nuklearenAbrüstung darf nach den bemerkenswerten Fortschritten der erstenHälfte der neunziger Jahre nicht weiter stagnieren. Weitere drasti-sche Reduzierungen der Kernwaffenarsenale sind unbedingt nötig.Die möglichst rasche Ratifikation des schon 1993 abgeschlossenenamerikanisch-russischen Vertrages über die Reduzierung der strate-gischen Waffensysteme (START II) durch die russische Duma istdaher unerläßlich, um den Weg für Verhandlungen über eine weite-re deutliche Verringerung der Atomwaffenbestände im Rahmen ei-nes weiteren Abkommens (START III) freizumachen. Wir setzenuns zudem dafür ein, daß der Ersteinsatz von Atomwaffen aus denAbschreckungsszenarien gestrichen wird. Im Interesse der nuklearenNichtverbreitung und Abrüstung liegt es auch, daß die Genfer Abrü-stungskonferenz endlich Verhandlungen über ein Verbot der Pro-duktion von spaltbarem Material für Kernwaffen aufnimmt.Das Inkrafttreten des Vertrages zur Abschaffung der Anti-Personen-Minen am 1. März markiert einen der großen internationalen Erfolgeim Kampf gegen die Verbreitung besonders unmenschlicher Waffen.Deutschland gehörte – nicht zuletzt wegen des intensiven Engage-ments von NGOs – bei der Anti-Landminen-Kampagne zu den In-itiatoren der ersten Stunde und spielt auch bei der Umsetzung desVertrages eine zentrale Rolle. Daran anknüpfend kommt nun weite-

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    Krisen und Konflikte

    Insgesamt erfordern wirksame Krisenprävention und Konfliktbe-arbeitung eine politische Gesamtstrategie, die das außen- und si-cherheitspolitische Instrumentarium in einen koordiniertenHandlungsrahmen stellt und eng mit den entwicklungs-, wirt-schafts-, umwelt- und rechtspolitischen Instrumentarien ver-zahnt. Dem Ineinandergreifen von außen- und entwicklungspoli-tischen Maßnahmen kommt dabei besondere Bedeutung zu. DasAuswärtige Amt verfolgt auch hier einen integrativen Ansatz, ummögliche Synergieeffekte voll auszuschöpfen und weitestgehen-de Kohärenz der Bemühungen sicherzustellen. Manche sprechenvon dem notwendigen Kontinuum zwischen kurz- und längerfri-stigen Maßnahmen der Konfliktbearbeitung, doch dürfen auchdie Unterschiede der jeweiligen Phasen und die Notwendigkeiteiner für jeden Zeitpunkt richtig austarierten Mischung – des ›po-licy mix‹ – nicht aus dem Blick geraten.

  • ren Fortschritten im Bereich von Kleinwaffen und leichten Kriegs-waffen vorrangige Bedeutung zu. Diese unterliegen trotz ihrer desta-bilisierenden Wirkung in zahlreichen Konflikten bislang keinerwirksamen Rüstungskontrolle. In den zahlreichen inneren und zwi-schenstaatlichen Konflikten der letzten Jahrzehnte wurden weitmehr Menschen – in der großen Mehrzahl Zivilpersonen – durchKleinwaffen als durch Massenvernichtungswaffen getötet.In Genf wie in New York hat sich Deutschland in diesem Bereich eindeutliches abrüstungspolitisches Profil erarbeiten können. Im fürAbrüstungsfragen zuständigen 1. Hauptausschuß der Generalver-sammlung konnte 1998 bereits im dritten Jahr nacheinander unterdeutscher Initiative eine Resolution zur ›Friedenskonsolidierungdurch konkrete Abrüstungsmaßnahmen‹ verabschiedet werden.Zahlreiche Miteinbringer aus allen Regionen der Welt haben dieseInitiative unterstützt. Als Folge bildete sich in New York unter deut-scher Leitung eine Gruppe gleichgesinnter Staaten, die sich mit derFörderung konkreter Abrüstungsprogramme gerade in Konflikt-oder Nachkonfliktszenarien befaßt. Nach Projekten in Zentralafrikaund Guatemala hat die Gruppe zuletzt ein Entwaffnungsprogrammin Albanien maßgeblich unterstützen können.

    Menschenrechte

    50 Jahre nach ihrer Verkündung in der Allgemeinen Erklärung ist derZustand der Menschenrechte auf der Welt noch immer weithin völ-lig unzureichend. Zwar gibt es ermutigende Fortschritte: Mehr Men-schen als je zuvor leben in Demokratien, und das allgemeine Be-wußtsein für die Bedeutung der Menschenrechte ist gestiegen. Dazuhat die Menschenrechtskommission, eine Fachkommission desWirtschafts- und Sozialrats der Vereinten Nationen, wesentlich bei-getragen. Aber auch der Anteil der zahlreichen in diesem Bereichtätigen NGOs an dieser Entwicklung ist erheblich. Gemeinsam dür-fen wir in unseren Bemühungen nicht nachlassen.Die neue Bundesregierung wird sich mit Nachdruck für eine Stär-kung internationaler Strategien zur Bekämpfung von Menschen-rechtsverletzungen einsetzen. Menschenrechte sind in unserer ver-netzten Welt keine innere Angelegenheit der Staaten mehr. Die Ver-abschiedung des Statuts des künftigen Internationalen Strafgerichts-hofs war auf diesem Wege eine entscheidende Etappe. Wer Men-schenrechte verletzt, darf sich nicht mehr darauf verlassen können,nicht zur Rechenschaft gezogen zu werden. Das schulden wir denOpfern.Wirksamer Menschenrechtsschutz gehört zum Kernbestand derdeutschen Friedenspolitik. Wir erkennen immer mehr, daß Men-schenrechte ein wesensnotwendiges Element bei der Gestaltung vonFrieden und Sicherheit, bei der Konfliktprävention, bei der Förde-rung dauerhaft tragfähiger wirtschaftlicher und sozialer Entwicklung

    sind. Bosnien und Kosovo, die Situation um das OstafrikanischeZwischenseengebiet, aber auch der Nahe Osten belegen dies ein-drucksvoll.Es gibt einen ebenso einfachen wie verheerenden Teufelskreis: Wodie Menschenrechte nicht geachtet werden, drohen Unfrieden, wirt-schaftlicher und sozialer Abstieg. Umgekehrt gilt: Wo der Friedeninstabil ist und sich die Entwicklungsspirale nach unten dreht, gehtes auch mit den Menschenrechten bergab. Es ist nicht zuletzt derBlick auf diese Wechselwirkung, der uns dazu zwingt, uns weltweitfür die Beachtung der Menschenrechte einzusetzen. Sie liegen im na-tionalen Interesse eines jeden Staates, und sie liegen in unserem ge-meinsamen globalen Interesse.Aber eine Menschenrechtspolitik, die als Teil globaler Friedenspoli-tik verstanden wird, hat ihren Preis. Der Einsatz von Menschen-rechtsbeobachtern, die Schaffung eines deutschen Menschenrechts-instituts, Projekte zum Schutz der Menschenrechte und zur Hilfe fürdie Opfer sowie zur Förderung von Demokratie und Rechtsstaatlich-keit, die Verbesserung des internationalen Normensystems und derDurchsetzungsmechanismen – das alles kostet Geld. Wir müssen unsdaran gewöhnen, daß dieser Preis entrichtet werden muß – nicht alsmilde Gabe in den Klingelbeutel, sondern als eine lohnende Investi-tion in den Frieden. Hier besteht erheblicher Nachholbedarf.

    Humanitäre Hilfe und Krisenbewältigung

    Die Naturkatastrophen der letzten Zeit – das Erdbeben in Kolumbi-en, der Hurrikan in Mittelamerika, die verheerenden Überschwem-mungen in China und Bangladesch – haben uns einmal mehr vor Au-gen geführt, daß kaum ein Tag vergeht, an dem nicht dringend hu-manitäre Hilfe geleistet werden muß. Die humanitäre Notlage imKosovo, die Hungerkatastrophe im Süden Sudans, die Bürgerkriegein Sierra Leone und in der Demokratischen Republik Kongo, diewieder aufgeflammte kriegerische Auseinandersetzung zwischenÄthiopien und Eritrea – alle diese Konfliktherde lösen neues Elendaus und machen deutlich, daß schnelle und effiziente Hilfe gebotenist, die ohne Ansehen ethnischer, religiöser und politischer Zu-gehörigkeit geleistet werden muß.Die meisten Katastrophen lassen sich in ihrer Entwicklung nicht vor-aussagen. In absehbarer Zeit dürfte es jedoch kaum zu einer Verrin-gerung des weltweiten Hilfsbedarfs kommen. Besonders die durchbewaffnete Konflikte ausgelöste Not von Flüchtlingen und Vertrie-benen wird eher noch zunehmen; der Bedarf an Hilfe, die allein zurLinderung der Not im ehemaligen Jugoslawien benötigt wird, steigtdramatisch.Die Bundesregierung setzt die ihr zur Verfügung stehenden Mög-lichkeiten ein, um die Hilfskapazitäten der nationalen und der inter-nationalen Zivilgesellschaft zu stärken und zusammen mit ihr dienotwendigen Hilfsaktionen zu ermöglichen. Die Ernennung einesBeauftragten für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe im Aus-wärtigen Amt macht deutlich, daß die Bundesregierung hier einenSchwerpunkt ihrer Außenpolitik sieht. Mit dem Koordinierungsaus-schuß Humanitäre Hilfe, dem die wichtigsten deutschen Hilfsorgani-sationen sowie die in der humanitären Nothilfe engagierten Bundes-und Länderressorts angehören, hat das Auswärtige Amt hierfür auchein effizientes, auf Kooperation angelegtes Instrument geschaffen.Dies ist ein Stück schlanker Staat, das sich bewährt hat.Im Mittelpunkt aller Hilfeleistungen steht der in Not gerateneMensch. Ihm zu helfen, zumindest jedoch seine Notlage zu lindern,ist oberstes Gebot der humanitären Bemühungen der Bundesregie-rung. Zu diesen muß jedoch dringend auch das Bemühen um wirksa-me Vorbeugung hinzukommen. Notwendig sind Vorbeugungsmaß-nahmen zur Verhinderung und zur Begrenzung der Auswirkung vonNaturkatastrophen, aber auch die Reduzierung der Katastrophenan-fälligkeit von menschlichen Siedlungen und immer dichteren Wirt-

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    Beispiel Kleinwaffen

    Kleinwaffen sind leicht zu erwerben und zu handhaben, kostengünstig,haltbar, leicht zu tragen und zu verbergen und dennoch hochwirksam. DieBundesregierung strebt die Entwicklung operativer praktischer Schrittean, die zur Lösung des weltweiten Kleinwaffenproblems beitragen. Sie hatzu diesem Zweck die Initiative zu einer Gemeinsamen Aktion der EU er-griffen, die am 17. Dezember 1998 vom Rat der EU beschlossen wurde.Ihr Ziel ist es, die exzessive und unkontrollierte Ansammlung und Prolife-ration von Kleinwaffen zu bekämpfen und dazu beizutragen, die Problemeim Zusammenhang mit bereits bestehenden Akkumulationen dieser Waf-fen zu lösen. Die EU will einerseits zur Konsensbildung in den relevanteninternationalen Foren, so in UN und OSZE, beitragen, um über regionaleAnsätze schließlich ein weltweites Regime zu Kleinwaffen und leichtenWaffen zu erreichen. Zum anderen soll die EU durch konkrete Maßnah-men dazu beitragen, destabilisierende Ansammlungen von Kleinwaffenzu verhindern und deren Bestand auf eine Größenordnung zu reduzieren,die den legitimen Sicherheitsinteressen der einzelnen Staaten – der Auf-rechterhaltung ihrer äußeren und inneren Sicherheit – entspricht.

  • schaftsräumen. Notwendig ist die Entwicklung von Frühwarnsyste-men und der Aufbau effizienter Katastrophenschutzdienste. Mit Ab-lauf des Jahres 1999 wird auch die 1987 von der UN-Generalver-sammlung für die neunziger Jahre ausgerufene ›Internationale Deka-de für Katastrophenvorbeugung‹ zu Ende gehen. Sie ist von der Bun-desrepublik Deutschland in den vergangenen zehn Jahren nach-drücklich unterstützt worden.Aber auch im Zusammenhang mit den vom Menschen selbst aus-gelösten Katastrophen sind Schadensverhütung und Schadensbe-grenzung durch Vorbeugung und politisches Krisenmanagementnotwendig. Die Entwicklungen im Kosovo zeigen sogar unmittelbarvor unserer eigenen Haustür, daß die bloße Bereitschaft zur huma-nitären Hilfe nicht ausreicht, um die Konfliktopfer zu schützen unddie dringend benötigte Hilfe zu ihnen gelangen zu lassen.

    Nachhaltige Entwicklung

    Gegen Ende der ›Vierten Entwicklungsdekade der Vereinten Natio-nen‹ (1991-2000), im Zeitalter der fortschreitenden Liberalisierungund Globalisierung, sind die Voraussetzungen für weitere Fortschrit-te bei der Aufgabe ›Entwicklung‹ nicht schlecht. Kommunismus undPlanwirtschaft gehören im wesentlichen der Vergangenheit an, dieMarktwirtschaft hat sich weitestgehend durchgesetzt. Ihre neolibera-len Übertreibungen bedürfen jedoch einer Eingrenzung durch sozia-le und ökologische Standards. Mehr und mehr Länder aus allen Erd-teilen integrieren sich weiter in die Weltwirtschaft. Wenn allerdingsrechtzeitige strukturelle Anpassungen an veränderte Wettbewerbs-verhältnisse versäumt werden, kann es leicht zu Krisen und Rück-schlägen kommen. Eine einseitig export- und weltmarktorientierteModernisierung wiederum kann tiefgehende soziale Verwerfungennach sich ziehen, die die Stabilität und den Frieden gefährden.Es ist deshalb richtig, den Dialog über eine Stärkung der weltwirt-schaftlichen Wachstumskräfte und Koordinierungsnotwendigkeitenauch als Aufgabe der Entwicklungspolitik zu erneuern und fortzuset-zen. Die Vereinten Nationen sind hierfür das geeignete Forum. DasFundament wurde in den Debatten vergangener Jahre im Wirt-schafts- und Sozialrat, in der Generalversammlung und vor allem aufden Weltkonferenzen der letzten acht Jahre gelegt. Die Vorstellun-gen über die Ausgestaltung dieser Partnerschaft entsprechen demKonsens, der sich dabei herausgebildet hat. Er schließt die Einigkeitüber die grundlegende Verantwortung der Entwicklungsländer fürihr eigenes Fortkommen, insbesondere durch Schaffung der erfor-derlichen Rahmenbedingungen für eine nachhaltige und men-

    schenbezogene Entwicklung, und die Anerkennung der Tatsache,daß eine Unterstützung dieser Eigenanstrengungen durch die inter-nationale Gemeinschaft im Geiste der Solidarität erforderlich ist, ein. In den Vereinten Nationen selbst muß die von GeneralsekretärAnnan 1997 eingeleitete neuerliche Reform des gesamten Wirt-schafts- und Sozialbereichs fortgeführt werden.Das grundlegende Leitbild ist für uns die nachhaltige Entwicklung.Gerade im Zeitalter weltweiter offener Märkte gilt, daß wirtschaftli-che Entwicklung nur dann nachhaltig sein kann, wenn sie soziale undökologische Belange angemessen berücksichtigt. Aufgabe der Poli-tik ist es, zu steuern und den Rahmen für eine nachhaltige Zukunfts-sicherung zu setzen – ökonomisch, ökologisch und sozial.Als zentraler Bestandteil des Konzepts der nachhaltigen Entwick-lung wird die Umweltpolitik mehr und mehr zu einer Querschnitts-aufgabe mit unmittelbaren Bezügen zur Konfliktprävention undlangfristigen Friedenssicherung. Das präventive Anliegen hat etwaeine Schlüsselrolle auf dem Welternährungsgipfel 1996 in Rom ge-spielt. Als einer der zentralen Bestandteile im Konzept der nachhal-tigen Entwicklung haben Umweltfragen im gesamten UN-System anBoden gewonnen. Die mit dem ›Erdgipfel‹ 1992 in Rio de Janeiroverbundenen großen Hoffnungen haben sich aber nur unzureichenderfüllt. Die Umsetzung der dort verabschiedeten ›Agenda 21‹ ist inden meisten Ländern in Ansätzen stecken geblieben. Deutschlandmuß mit seinen G-8- und EU-Partnern die ihm zugefallene Mittler-funktion im Umweltbereich der Vereinten Nationen aktiv nutzen.

    *

    Die hier behandelten Themen umreißen bei weitem nicht den gesam-ten Bereich deutscher UN-Politik. Doch sie illustrieren zum einen,wie eng die Verflechtung unseres Landes mit dem Geschehen in derWeltorganisation ist – auch wenn dies längst nicht allen bewußt ist,die sonst gern und oft von der Globalisierung reden. Zum anderenbelegen die knapp skizzierten Schwerpunkte, daß Fortschritte undReformen hier besonders dringlich sind und Deutschland dabei einenmaßgeblichen Beitrag leisten kann und will. Das ist durchaus deut-sche Interessenpolitik, aber in einem ganz bestimmten, modernenSinne: nicht vornehmlich an nationalem Eigeninteresse, sondern amgemeinsamen Interesse der Staatengemeinschaft an der Lösung glo-baler Probleme ausgerichtet. Übergeordnetes Ziel bleibt es, die Ver-einten Nationen tauglich zu machen für die Herausforderungen des21. Jahrhunderts. Eine starke Weltorganisation hilft der gesamtenStaatengemeinschaft und auch uns. Sie ist deutliche Demonstrationinternationaler Solidarität.

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    Neben den ›großen‹ Konflikten behandeln die Ver-einten Nationen eine Vielzahl von strittigen The-men, die aber nicht alle in gleichem Maße im Ram-penlicht der Weltöffentlichkeit stehen. Für die Be-troffenen indes sind die Konflikte häufig nicht min-der schwerwiegend, und teilweise dauern sie seitJahren oder Jahrzehnten an. Mitunter überlappensich auch die Krisen, so im letzten Herbst, als Ge-neralsekretär Kofi Annan einen Nordafrika-Be-such unterbrechen mußte, da zwischenzeitlich eineneue Auseinandersetzung um die in Irak tätigeSonderkommission der Vereinten Nationen (UN-SCOM) seine Aufmerksamkeit erforderte. EndeNovember setzte Annan seine Visite fort, die ihnnach Algerien, Tunesien und Libyen führte. In Li-byen wurde er von De-facto-Staatsoberhaupt Mu-ammar Ghaddafi empfangen; unser Bild zeigt denGeneralsekretär im Garten des Regierungsgäste-hauses in Sirte vor dem Treffen mit Oberst Ghad-dafi. Libyen war 1992 vom Sicherheitsrat der Ver-einten Nationen zur Mitwirkung an der Aufklärungvon zwei Anschlägen auf die Zivilluftfahrt aufge-fordert worden; als Zwangsmaßnahme wurde einWaffen- und Luftverkehrsembargo verhängt.

  • Unser Jahrhundert ist von gewaltsamen Konflikten geprägt. Es warZeuge zweier tragischer Weltkriege und unzähliger regionaler undlokaler Auseinandersetzungen, aber auch des erfolgreichen Kampfesgegen den Kolonialismus. Es war ein Jahrhundert voller tragischerEntwicklungen, aber auch vielfältiger Errungenschaften. Wissen-schaft und Technologie haben die menschliche Entwicklung, dasWachstum der Wirtschaft und die Entfaltung des Wohlstands gewal-tig vorangetrieben. Das Ausmaß der Eingriffe in die Natur nahm zu,gleichzeitig aber auch die Einsicht in ihre Abläufe und Kräfte. Erst-mals versprechen die Bemühungen im Kampf gegen umweltgefähr-dende und sozial schädliche Auswirkungen des Wirtschaftswachs-tums Erfolg: durch die Ausarbeitung rechtsverbindlicher Überein-kommen mit weltweiter Geltung und durch die Förderung umwelt-freundlicher Technologien.Zugleich war dies ein Jahrhundert, in dem wir Zeugen des riesigenund immer noch wachsenden Abstands zwischen dem Wohlstandder Industriegesellschaften und der Lage der Entwicklungsländerwurden. Dieser Wohlstand in einem Teil der Welt führte geradezu zueiner Explosion bei der Produktion von Konsumgütern und Dienst-leistungen. Auf die tatsächlichen ökologischen Kosten wurde dabeikeinerlei Rücksicht genommen; vielmehr war jenes Konsumverhal-ten Auslöser eines Teufelskreises, in den eine stetig wachsende Zahlvon Menschen in den Entwicklungsländern geriet – ein Teufelskreisaus Armut, Umweltzerstörung und sozialen Spannungen. Genährtwurde dieser Zyklus durch die externen Kosten des Wirtschafts-wachstums und des Reichtums in der industrialisierten Welt. Er führ-te zur Abwälzung der ökologischen Kosten auf den Nachbarn, insbe-sondere im Hinblick auf Kohlendioxidemissionen, ozonschädigendeSubstanzen, Grundwasserverseuchung und die Reduzierung der bio-logischen Vielfalt.Es war ein Jahrhundert, das von der destruktiven Grundhaltung einerauf Verschwendung aufgebauten Wegwerfgesellschaft geprägt war,die gebrauchte Güter, feste und flüssige Abfälle, ja schließlich dieNatur einfach fortwarf; niedergeschlagen hat sich dies in den immerlänger werdenden Roten Listen der gefährdeten Tier- und Pflanzen-arten oder in der Vergeudung von Energie durch Kraftwerke, diemehr Energie verbrauchen als erzeugen.

    I

    Schon liegt die Stockholmer Konferenz der Vereinten Nationen überdie Umwelt des Menschen von 1972 fast eine Generation zurück.Vieles hat sich seither getan. In der Geschichte des internationalenEngagements für die Umwelt muß man diese Konferenz als das amstärksten prägende einzelne Ereignis ansehen. Erst hier wurde dievöllige Abhängigkeit des Menschen von einer intakten Natur undUmwelt erkannt. Die Sorge um die Grenzen des Wachstums und dieFurcht vor den Auswirkungen umweltpolitischen Mißmanagementsließ ein neuartiges Paradigma entstehen: Entwicklung im Einklangmit der Umwelt des Menschen und den von ihr gesetzten Grenzen.Das war eine Herausforderung an die herkömmlichen Modelle desWirtschaftswachstums. Im Norden wurde damit das gedankenloseund ungezügelte Verhalten in Produktion wie Konsum in Frage ge-stellt. Im Süden geriet die Vorstellung ins Wanken, die Übernahmedes Modells der westlichen Industrieländer eröffne den Königswegzu rascher und gerechter Entwicklung.Heute haben sich Ausmaß und Gestalt der Umweltprobleme gewan-delt. Jetzt stehen wir vor der Herausforderung, die immer stärker ver-

    schmutzten Meere zu säubern; wir prüfen die Langzeitwirkungendes Treibhauseffekts auf das Weltklima; wir untersuchen die mögli-chen Folgewirkungen des Einsatzes genetisch veränderter Organis-men; und wir versuchen zu erforschen, welchem Risiko der mensch-liche Körper durch die Zufuhr von Chemikalien zur Unterbrechungder endokrinen Kreisläufe ausgesetzt wird.1998 war das heißeste Jahr seit Beginn der globalen Temperaturmes-sungen; weltweit erlitt die Umwelt schwere Schädigungen. Der Um-fang der sich hieraus ergebenden wirtschaftlichen und sozialen Fol-gen ist bestürzend. Die Versicherer schätzen die weltweiten Schädenauf 90 Mrd US-Dollar. Am meisten zu leiden hatten allerdings dieÄrmsten der Armen: so unter den Großbränden in den Wäldern derindonesischen Provinz Ost-Kalimantan oder den Überschwemmun-gen in verschiedenen Teilen der Welt, die weite Landstriche förm-lich versinken ließen, ihren Bewohnern maßloses Leid zufügten undganze Volkswirtschaften an den Rand des Ruins brachten. Die Schä-den, die der Hurrikan ›Mitch‹ anrichtete, sind wahrhaft erschreckend.In Honduras wurde die Ernte, die für den Eigenbedarf und für denExport bestimmt war, nahezu vernichtet; auch die Nachbarstaaten ElSalvador, Guatemala und Nicaragua verzeichneten große Verluste.Das Bruttosozialprodukt dieser Länder dürfte jetzt erheblich sinken,und auch die Handelsbilanzen werden wegen der Rückgänge der Ex-portlandwirtschaft zunehmend defizitär sein.Der in Kürze vom Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP)der Öffentlichkeit vorzustellende Bericht ›GEO-2000‹ konstatiert,daß den großen Umweltschäden weltweit eine neue Dimension hin-zugefügt wurde. Neben dem vermehrten Auftreten von Waldbrändenund den durch das El-Niño-Phänomen verursachten Umweltkata-strophen schreibt der Bericht die Hauptursache für die Bedrohungganzer Ökosysteme – Flüsse, Seen, Küstenstreifen und Wälder – derzunehmenden Stickstoffablagerung zu; die menschliche Gesundheitwie auch die Umwelt sind einer stetig wachsenden Bedrohung durchPestizide, Schwermetalle und andere chemische Substanzen ausge-setzt. Die Bodenerosion wie die Vernichtung der biologischen Viel-falt und der Trinkwasserreserven schreiten unbarmherzig voran;auch die Verschlechterung der Umwelt in städtischen Gebieten istnach Angaben von ›GEO-2000‹ eine weltweite Erscheinung.Zweifellos gehen etliche dieser Umweltkatastrophen auf den zerstö-rerischen Einfluß der vom El-Niño-Phänomen geprägten Großwet-terlagen zurück; insbesondere ist die allgemeine Veränderung desWeltklimas zu nennen, wie sie sich etwa in der fortschreitenden Aus-breitung der Wüsten zeigt. Doch sind es die kurzsichtigen, nicht aufNachhaltigkeit ausgerichteten menschlichen Handlungen und Ver-haltensweisen, die Schwere und Häufigkeit einiger der Umweltschä-den noch vervielfachen.Die jüngsten Erschütterungen der Wirtschafts- und Finanzsystemehaben das Risiko kurzfristiger Finanzkrisen erhöht, was letztlich da-zu führt, daß die nationale Umweltpolitik wie die regionale und glo-bale Zusammenarbeit im Umweltsektor hinter den erreichten Standzurückgeworfen wird. Die Regierungen sehen sich gezwungen, ihrAugenmerk vermehrt auf Sofortmaßnahmen zur wirtschaftlichen Er-holung zu konzentrieren, um einem Anstieg der Arbeitslosenzahlenund negativen sozialen Auswirkungen begegnen zu können.

    II

    Wenn sich die Ziele und die Aufgaben ändern, so müssen auch dieeinzuschlagenden Wege neue sein. In meiner ersten Rede als Exeku-

    56 Vereinte Nationen 2/1999

    Abschied von der WegwerfgesellschaftNeues Paradigma Lebenszyklen: das UNEP im Reformprozeß KLAUS TÖPFER

  • tivdirektor des UNEP im März vergangenen Jahres nannte ich meinLeitmotiv: »Kontinuität und Wandel«. Kontinuität heißt hier, aufden Prinzipien aufzubauen, auf denen dieses Spezialorgan der Ver-einten Nationen gegründet ist, und gleichzeitig seine traditionellenStärken auszuweiten. Wandel aber bedeutet die Entwicklung einerkonsistenten Antwort auf die neuen Herausforderungen, die Teilha-be an frischen Ideen und Informationen und die Einführung einerneuen Orientierung und Geisteshaltung im UNEP. Dieser Grundsatzhat meine Amtsführung bisher bestimmt.Von Anfang an habe ich mir die Aufgabe gestellt, mich aus ersterHand auf den verschiedenen Ebenen über das Geschehen im Hin-blick auf die Belange der nachhaltigen Entwicklung und der Umweltkundig zu machen. In allen Weltregionen habe ich daher regelmäßi-ge Gespräche mit den Umweltministern und anderen hochrangigenVerantwortlichen geführt. Ich konnte mich mit Wissenschaftlern,Parlamentariern und den Vertretern von Wirtschaft und Industrieaustauschen. Auch die Vertreter der internationalen nichtstaatlichenOrganisationen fanden bei mir Gehör.Mit größter Bewunderung verfolge ich den Kampf von Millionennormaler Bürger in aller Welt für eine gesunde Umwelt. Es machtemir Mut, daß die Menschen die Bedeutung der Umwelt für die fried-liche Entwicklung unserer Gesellschaften jetzt begreifen. Sie sehennun, daß auch Frieden und Sicherheit überall neu definiert werdenmüssen. Und sie erkennen, daß das Überleben der Menschheit auflange Sicht vor allem durch jene Aktivitäten gefährdet ist, die dienatürlichen Grundlagen des Lebens und des Wirtschaftens zerstören.

    III

    Paul Portney von der in Washington ansässigen Einrichtung ›Re-sources for the Future‹ behauptet, daß die für eine erfolgreiche Re-form der Umweltpolitik unerläßlichen operativen Eingriffe eher mitdem Laserstrahl als mit der Kettensäge vorgenommen werden müß-ten. In der Tat gibt es im Umweltbereich keine Lösungen nach derHauruck-Methode. Kern des Reformprozesses ist die Notwendig-keit, Brücken zwischen Wissenschaft und Politik, zwischen Theorieund praktischer Umsetzung zu schlagen und die Kluft zwischen derÖffentlichkeit und den Regierenden zu überwinden.Auf der 5. Sondertagung des UNEP-Verwaltungsrats im Mai 1998habe ich die fünf Bereiche herausgestellt, auf die sich unser Spezial-organ im Zuge des Reformprozesses konzentrieren muß:

    1. Überwachung und Bewertung von Umweltschäden sowie diesbe-zügliche Information und Forschung (einschließlich eines Früh-warnmechanismus)Gerade das Fehlen von Möglichkeiten zur Vorhersage von Um-weltkatastrophen und der Vorbereitungen auf sie kann im 21. Jahr-hundert zu wirtschaftlichen Schäden und zu Verlusten an Men-schenleben führen. Die Überwachung und Bewertung derartigerEreignisse sind auch für die Formulierung einer Politik, mit der derweltweite Niedergang der Umwelt rückgängig gemacht werdenkann, unverzichtbar.

    2. Verbesserte Koordinierung zwischen den Umweltübereinkommenund Entwicklung umweltpolitischer RechtsinstrumenteDie auf weltweite Geltung angelegten bestehenden Rechtsinstru-mente – Zeichen der globalen Solidarität und Zusammenarbeit –wollen wir so weitgehend wie nur irgend möglich ausschöpfen; zuihnen zählen die Konventionen über die biologische Vielfalt, überKlimawandel und Wüstenbildung und die Protokolle und Überein-künfte über die Regionalmeere und die Ozeane. Nur durch konzer-tierte Anstrengungen, zu denen die Ausarbeitung und Durch-führung entsprechender Politikmaßnahmen sowie die Koordinie-rung zwischen den Übereinkünften gehört, können sie wirksamumgesetzt werden.

    3. Angebot an TrinkwasserHier muß den wachsenden Bedürfnissen einer immer größerenWeltbevölkerung, der zunehmenden Industrialisierung und derVerstädterung Rechnung getragen werden.

    4. Technologietransfer und IndustrieDie Notwendigkeit einer saubereren Produktionsweise, einer Ver-änderung des Verbraucherverhaltens und die Risiken, die chemi-schen Produkten anhaften, sind hier unsere Schwerpunkte.

    5. Unterstützung AfrikasAfrika hat die Anlagen, einer der wichtigsten Kontinente des näch-sten Jahrtausends zu werden. Es vermag Entwicklungen und politi-sche Ereignisse auf der ganzen Welt zu beeinflussen. Wenn Afrikanicht zur Ruhe kommt, wird der ganze Erdkreis in Mitleidenschaftgezogen, würden ganze Volkswirtschaften und die Stabilität be-droht. Afrika ist der Erdteil mit den weltweit größten Vorkommenan noch nicht erschlossenen Rohstoffen. Ebenfalls noch uner-schlossen und unverbraucht ist sein menschliches Potential – unddavon ist die Hälfte nicht einmal 15 Jahre alt. Afrika schlägt sichderzeit mit zwei großen Problemen herum: mit dem explosiven Be-völkerungswachstum und mit der immer rascheren Umweltver-schlechterung. Letztere hat neben nationalen auch internationaleAuswirkungen; kann ihr kein Einhalt geboten werden, wird dieAusbreitung der Wüsten die Produktivität Afrikas ernsthaft bedro-hen. Auch die Vernichtung der afrikanischen Wälder geht den Restder Welt etwas an: sie beeinträchtigt die überaus reiche Artenviel-falt des Kontinents, die einen unersetzlichen Genpool von immen-sem potentiellem Nutzen bildet.

    Seit meinem Amtsantritt ist es in jedem dieser fünf Schwerpunktbe-reiche zu erfreulichen Fortschritten gekommen.Bei dem zuerst genannten Punkt der Überwachung und Bewertungder Umweltschäden und der Entwicklung eines Frühwarnmechanis-mus gab das UNEP den Anstoß zur Realisierung der Globalen Ge-wässerstudie (Global International Waters Assessment, GIWA). Dasweltumspannende GIWA-Projekt, das mit einem Jahresbudget von13,5 Mill US-Dollar ausgestattet ist, wird die erste umfassende Eva-luierung der Umweltprobleme mit Bezug auf das Wasser sein. ImRahmen des Weltaktionsprogramms zum Schutz der Meeresumweltgegen vom Lande ausgehende Tätigkeiten, das im Herbst 1995 voneiner zwischenstaatlichen Konferenz in Washington angenommenworden war, wurde ein empirischer Überblick über die Auswirkun-gen dieser Aktivitäten erstellt.Ein Abkommen über die Einrichtung eines Zentrums für Umweltsta-tistik in der georgischen Hauptstadt Tiflis wurde von der Regierungdieses Kaukasusstaates und dem UNEP unterzeichnet; damit wirddas bereits vorhandene UNEP-Netzwerk ›Informationsdatenbankder globalen Ressourcen‹ (Global Resource Information Database,GRID) erweitert. Unter dem GRID sind auch die Sioux-Wasserfällein den Vereinigten Staaten erfaßt; die US-Regierung und das UNEPsetzten nun ihre Unterschrift unter eine überarbeitete Vereinbarung.Die Mitarbeit der US-Behörden konnte verbessert werden, indemder Landvermessungsdienst (USGS), die Luft- und Raumfahrtbehör-de (NASA), die Umweltschutzagentur (EPA) und die Forstbehördemit eingebunden werden konnten. In Südostasien wurde als Reakti-on auf die Serie von Waldbränden ein Projekt zur Frühwarnung undzur Steigerung des Problembewußtseins der Öffentlichkeit durch dasUNEP entwickelt und durch die Globale Umweltfazilität (GlobalEnvironment Facility, GEF), das wichtigste internationale Instru-ment zur Finanzierung von Umweltprojekten im Süden, unterstützt.Die Verwirklichung erfolgt in enger Zusammenarbeit mit dem Ver-band Südostasiatischer Nationen (ASEAN). Die Waldbrände hat dasUNEP – gemeinsam mit der FAO – auch zu einem Thema des Zwi-schenstaatlichen Forums über Wälder (Intergovernmental Forum onForests, IFF) und der Interinstitutionellen Arbeitsgruppe der UN zuden Wäldern (Inter-Agency Task Force on Forests, ITFF) gemacht.Im Ergebnis haben sich die Mitglieder der ITFF auf die Entwicklungeines gemeinsamen Projektentwurfs in der Größenordnung von 2,5Mill Dollar geeinigt, der von der mit der Schenkung Ted Turners andie Vereinten Nationen ins Leben gerufenen UN-Stiftung (UnitedNations Foundation, UNF) finanziert werden soll. Im Blick auf diemenschlichen Siedlungen nimmt das UNEP in Zusammenarbeit mitdem Zentrum für Wohn- und Siedlungswesen (UNCHS/Habitat) die

    Vereinte Nationen 2/1999 57

  • Entsendung von Tatsachenermittlungsmissionen nach Asien in An-griff; im Mittelpunkt sollen die Untersuchung der Ursachen derGrundwasserverschmutzung in Bangladesch wie im Westen Indiensund der Überschwemmungen in China sowie die Entwicklung vonVorschlägen zur Abhilfe stehen.Auch auf dem Gebiet der Abstimmung und Entwicklung von um-weltpolitischen Rechtsinstrumenten kann das UNEP eine Reihe sub-stantieller Erfolge vorweisen. So wurde das Übereinkommen überabgestimmte Vorabinformation bezüglich des Umgangs mit be-stimmten gefährlichen Chemikalien und Pestiziden am 10. Septem-ber vergangenen Jahres in Rotterdam angenommen. Rund 60 Staatensowie die Europäische Gemeinschaft haben die Konvention bislangbereits unterzeichnet; ich hoffe sehr, daß sie bald in Kraft tretenkann. Erfolgversprechend sind auch die Verhandlungen über einrechtlich bindendes Instrument zur Umsetzung internationaler Maß-nahmen bezüglich bestimmter beständiger organischer Schadstoffe;im Januar fand in Nairobi die diesbezügliche zweite Tagung des zwi-schenstaatlichen Verhandlungsausschusses statt. Schließlich kanndie Ausarbeitung eines Übereinkommens zum Kaspischen Meerdank rechtlicher und administrativer Beratung der beteiligten Regie-rungen durch das UNEP beträchtliche Fortschritte verzeichnen.Auch umweltpolitische Verhandlungen führen häufig zu Disput undDissens; das UNEP hat den Anstoß zu einer Untersuchung über Mit-tel und Wege zur Vermeidung beziehungsweise Beilegung derarti-ger Konflikte gegeben. Im vergangenen Jahr fanden zwei Treffen ei-ner einschlägigen Expertengruppe statt. Ebenfalls 1998 zeichnetedas UNEP zum vierten Male als Veranstalter eines InternationalenRunden Tischs über Finanzierung und Umwelt verantwortlich. Die-se ›Initiative Finanzinstitutionen‹ propagiert die Einbeziehung derUmweltaspekte in alle operativen Tätigkeiten des Finanzsektors.Im Schwerpunktbereich Trinkwasser hat die UNF die Finanzierungeines Gemeinschaftsprojekts von UNEP und UNCHS zugesagt. Hiergeht es zum einen um die Verwaltung der Wasserressourcen in zehnafrikanischen Großstädten, zum anderen um die Auswirkungen derVerstädterung auf die Süßwasserreserven von vier Flußregionen; dieerste Projektphase hat unlängst begonnen. Abschließen konnte dasUNEP eine in Zusammenarbeit mit seinem Internationalen Zentrumfür Umwelttechnologie (International Environment TechnologyCentre, IETC) erstellte Reihe von ›Quellenbüchern‹ zur Technologiein der jeweiligen Region. Diese Dokumente benennen und eva-luieren örtlich vorhandene, althergebrachte Methoden zur besserenNutzung der Trinkwasserreserven, die Alternativen zu den den Ent-wicklungsländern zumeist angebotenen Methoden der Hochtechno-logie bieten.In seinem vierten Arbeitsschwerpunkt – Technologietransfer und In-dustrie – konnte das UNEP im September 1998 das fünfte internatio-

    nale ›Hochrangige Seminar über Sauberere Produktion‹ in der Repu-blik Korea organisieren; hier wurde die ›Internationale Erklärungüber eine sauberere Produktion‹ verabschiedet und von 13 Ministernsowie 13 Industrievereinigungen unterschrieben. Die Unterzeichnerverpflichteten sich darin auf vorbeugende Strategien wie zu um-weltorientierten Produktionszielen und unterwarfen sich einer Be-richtspflicht.Hinsichtlich des fünften Schwerpunkts, der Hilfestellung für Afrika,unterstützte und koordinierte das UNEP die Einberufung der ›Pan-afrikanischen Konferenz über die nachhaltige, integrierende Verwal-tung der Küstengebiete‹ in der mosambikanischen Hauptstadt Mapu-to. Ziel dieser Tagung war es, den Schutz und die zukunftsfähige Be-treuung der afrikanischen Meeres- und Küstenlandschaft ins Zen-trum der Politik und Entscheidungsfindung in der Region zu heben.Erst kürzlich haben das UNEP und das UNCHS gemeinsam ein vonder UNF mit 2,2 Mill Dollar zu finanzierendes Projekt ›Wasser fürdie Städte Afrikas‹ in Angriff genommen. Es geht um den Wasser-bedarf der Städte und die Geringhaltung der Auswirkungen der Ver-städterung auf die Trinkwasserreserven. Mit finanzieller Unterstüt-zung Deutschlands veranstaltete das UNEP ein Treffen der afrikani-schen Umweltminister – eine Zusammenkunft, die eine einmaligeGelegenheit zur Aussprache über multilaterale Umweltvereinbarun-gen unter besonderer Berücksichtigung ihrer gegenseitigen Ver-flechtungen bot. Das Themenspektrum reichte vom Ozonproblem,der Artenvielfalt und der Ausbreitung der Wüsten bis hin zum zen-tralen Thema des Klimawandels. Insbesondere verschaffte das Tref-fen den afrikanischen Ministern Gelegenheit, eine gemeinsame Posi-tion zu den flexiblen Mechanismen des Kyoto-Protokolls, insbeson-dere zum Handel mit Emissionsrechten, zu erarbeiten. Die afrikani-schen Regierungen erwarten vom UNEP Hilfestellung bei der Um-setzung ihrer Umweltprogramme und ihrer unter verschiedenen Um-weltübereinkommen eingegangenen Verpflichtungen.

    IV

    Die neue funktionale Struktur des UNEP spiegelt die Notwendigkeitwieder, sein Arbeitsprogramm effizienter umzusetzen und die am 7.Februar 1997 von seinem Verwaltungsrat verabschiedete ›Erklärungvon Nairobi über die Rolle und das Mandat des Umweltprogrammsder Vereinten Nationen‹ mit Leben zu erfüllen.Mit der neuen übergreifenden Arbeitsplanung und Organisations-struktur des UNEP sollen bisherige Schwachstellen überwundenwerden. An erster Stelle steht die Notwendigkeit, das auf die Umweltausgerichtete politische Denken mit dem Wissen über das wirklicheLeben der Menschen jenseits aller Bezüge zu Umweltfragen anzu-reichern. Denn auf der ganzen Welt wünschen sich die Menschen

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    Das seit der Stockholmer Konferenz der VereintenNationen über die Umwelt des Menschen von 1972gewachsene Problembewußtsein hat auch zur ver-stärkten Hinwendung zu neuen und erneuerbarenEnergiequellen geführt. So unterstützt die UN-Generalversammlung in ihrer Resolution 53/7 dieDurchführung des ›Weltsolarprogramms 1996-2005‹, das von der UNESCO gefördert wird. DieNutzung der Sonnenenergie bietet sich keineswegsnur in den Tropen an, wie diese an der Fassade eines Verwaltungsgebäudes in Hannover ange-brachten größten Solarmodule Europas beweisen.Das Gebäude übrigens beherbergt einen Automo-bilclub.

  • reinere Luft und saubereres Wasser; doch sie wollen auch Arbeit undmenschenwürdige Wohnungen für sich und ihre Familien. Sie brau-chen daher wettbewerbsfähige Industrien, die Wirtschaftswachstumermöglichen. Auch brauchen sie soziale Mobilität. Auf einen Nennergebracht, wollen sie Armut und soziale Ungleichheit überwinden.Eine integrierende Politik würde sicherstellen, daß die Bedürfnisseder Menschen mit den Belangen des Umweltschutzes einhergehen.Nach der Jahrtausendwende wird es vor allem die Verstädterungsein, die die Weltgemeinschaft vor riesige Herausforderungen stellt.Dieser Herausforderung läßt sich nur durch eine nachhaltige Ent-wicklung unserer Siedlungen und Megastädte begegnen – unter be-sonderer Berücksichtigung der sozio-ökonomischen und umweltre-levanten Auswirkungen dieses dramatischen Wachstums der Agglo-merationen.Der Verwaltungsapparat sowohl des UNEP als auch des UNCHS istnunmehr gestrafft worden; die ersten sichtbaren Einsparungen durchdiese Rationalisierung lassen sich als Umweltdividende verbuchen.Möglich wurde dies vor allem durch die erfolgreichen Bemühungen,dem UNCHS seine Rolle als die spezifisch auf die Großstädte ausge-richtete Agentur des UN-Systems wiederzugeben.Übergreifendes Ziel war es, die in UNEP und UNCHS verfügbarenSynergien zur Erreichung gemeinsamer Ziele zu nutzen, dabei aberzugleich die jeweilige eigenständige Rolle und Kernaufgabe dieserbeiden Spezialorgane beizubehalten. Ein solcher Ansatz bedeutetnicht die Entwicklung einer neuen Organisationsstruktur; er erfor-dert die Ausschöpfung der Kapazitäten des Büros der Vereinten Na-tionen in Nairobi (UNON) und verspricht damit für die beiden Be-reiche Umwelt sowie Wohn- und Siedlungswesen größtmöglichenNutzen. Voraussetzungen sind neues Denken, ein zeitgemäßer Ma-nagementstil, neue Formen der Zusammenarbeit und eine moderneOrganisationsidentität – vor allem aber die strategisch kluge Heran-ziehung der begrenzten Ressourcen, die den beiden Organisationenzur Verfügung stehen.In Hinblick darauf gewinnt der Bericht des UN-Generalsekretärsvom letzten Herbst über ›Umwelt und menschliche Siedlungen‹ (UNDoc. A/53/463) an Bedeutung. Er enthält Vorschläge des Generalse-kretärs zur Arbeit des zum gleichen Thema eingesetzten Arbeits-stabs. Die Generalversammlung hat ihre Debatte über den Berichtnoch nicht abgeschlossen; ihr Präsident wünscht, daß sie die in demText enthaltenen Empfehlungen so bald wie möglich prüft.Die Leitung dieses Arbeitsstabs hatte Generalsekretär Kofi Annanmir übertragen, und ich bin für seine nachdrückliche Unterstützungsehr dankbar. Betonen möchte ich noch einmal, daß der erwähnteBericht nur ein erster Schritt in einem langen Prozeß sein kann, durchden die Vereinten Nationen befähigt werden sollen, die allgegenwär-tigen Probleme des Umweltschutzes und der nachhaltigen Entwick-lung in der heutigen Zeit und in Zukunft anzugehen.

    V

    Berichte über defizitäre Entwicklungen in der Welt von Wirtschaftund Finanzen haben gegenwärtig einen festen Platz in der Tagesak-tualität; von langfristiger Bedeutung indes sind die Defizite der Um-welt. Die Globalisierung mag heute die Schlagzeilen beherrschen,doch wird die Zukunft von den regionalen Identitäten in Verbindungmit geistigen Werten und natürlicher Vielfalt bestimmt. Diese Viel-falt ist Grundvoraussetzung für die Stabilität sowohl der menschli-chen Gesellschaft als auch der Ökosysteme. Die Wegwerfmentalität,die unsere heutigen Verhaltensmuster prägt, wird dem Denkansatzder Lebenszyklen weichen müssen.Dabei ist das Argument der zu hohen Kosten der Einbeziehung vonUmweltbelangen in unsere Wirtschaftsplanungen einfach falsch.Wenn wir heute die tatsächlichen Kosten aus Umweltschäden nichtbegleichen, werden diese Schäden in Zukunft um so höhere Kosten

    nach sich ziehen. Fatal wäre es, wenn die Entwicklung umwelt-freundlicher Technologien gebremst würde, welche so dringendbenötigt werden – zwecks Abkoppelung des Wirtschaftswachstumsvon dem bisher damit einhergehenden exponentiellen Anstieg derEmissionen und des Ressourcenverbrauchs.Wir müssen eine ökologische, integrierende, ganzheitliche Weltsichtentwickeln, die uns mit der übrigen Natur verbindet – materiell wiegeistig. Die Religionen betonen diese Einbindung. Unsere Aufgabesollte es sein, diese grundlegenden Einsichten und Lehren aller Tra-ditionsstränge der Menschheit wiederzuentdecken und sie ganz kon-kret für unsere Politik und unser Verhalten fruchtbar zu machen.Sicherzustellen ist dabei, daß Einbußen bei den Finanzen oder Be-einträchtigungen der Wirtschaft langfristig nicht etwa in den Rück-schnitt umweltpolitischer Maßnahmen münden. Wir dürfen nichtvergessen, daß der Schutz anfälliger Ökosysteme, aussterbenderTier- oder Pflanzenarten und der natürlichen Ressourcen insgesamtnicht minder wichtig ist als die Sicherstellung wirtschaftlichenWachstums. Wir müssen uns vor Augen halten, daß das mittel- undlangfristige Wirtschaftswachstum ebenso wie die Bewahrung derStabilität oder die Armutsbekämpfung auf der Beständigkeit undVielfalt unserer natürlichen Lebensumwelt aufbaut. Im Umgang mitFinanzkrisen wie beim Wiederaufbau nach Naturkatastrophen müs-sen umweltpolitische Erwägungen zwingend Eingang in die ma-kroökonomischen Rahmenpläne finden.In einer Welt, in der die Liberalisierung des Wirtschaftslebens unddie Deregulierung im Vordergrund stehen, bestätigen die Arbeits-schwerpunkte des UNEP einmal mehr die Grundaussage der Konfe-renz der Vereinten Nationen über Umwelt und Entwicklung von1992 in Rio, nämlich die Botschaft, daß der Weg zu langfristig nach-haltiger Entwicklung alle drei Dimensionen – die ökonomische, diesoziale und die umweltbezogene – einschließt. Den Umweltschutzzu ignorieren ist etwas, was wir uns noch nicht einmal kurzfristigoder vorübergehend leisten können.In einer Welt, in der die Grenzen an Bedeutung verloren haben, brau-chen wir neue – globale – Markierungen: verfahrensmäßige, rechtli-che und institutionelle Mechanismen, die es uns erlauben, die vonder wirtschaftlichen Liberalisierung und Globalisierung freigesetz-ten Kräfte zu unser aller Vorteil nutzen zu können.

    VI

    Im Hinblick auf die künftige Rolle des UNEP bin ich zuversichtlich.Ich habe die Vision eines UNEP, dessen Schwerpunkte auf der prä-zisen Evaluierung und Überwachung des Umweltgeschehens, aufseiner Frühwarnkapazität, auf seinem Beitrag zur Bewußtseinsbil-dung und auf der Information über umweltschädliche Handlungenliegen. Es ist die Vision eines UN-Organs, das eng mit der Wissen-schaft zusammenarbeitet – und so die Verknüpfung von vorhande-nen wissenschaftlichen Kenntnissen und gesellschaftlichem Han-deln vornimmt. Es ist die Vision eines UN-Organs, das nicht nurUmweltbelange artikuliert, sondern das als Katalysator bewirkt, daßden Worten auch Taten folgen. Meine Vorstellung vom UNEP ist,daß es in enger Zusammenarbeit mit den Regierungen, den anderenOrganen und Organisationen des UN-Systems, den verschiedenenBestandteilen der Zivilgesellschaft, mit Industrie, Privatwirtschaftund Gewerkschaften die natürlichen Lebensgrundlagen tatsächlichund meßbar zu verbessern vermag. Ergebnis wird die Steigerung derLebensqualität der Menschen sein.Die Verwirklichung dieser Vision erfordert Hingabe und einen Geistder Zusammenarbeit. Aber sie benötigt auch eine solide finanzielleGrundlage für das zu bewältigende Arbeitsprogramm. Vor allem je-doch braucht sie den Rückhalt der Umweltministerien auf der ganzenWelt – nicht minder jedoch den der nichtstaatlichen Organisationen,der Industrie und der Geschäftswelt.

    Vereinte Nationen 2/1999 59

  • Wesentliches Ziel aller Maßnahmen zur Reform der Vereinten Na-tionen ist es, die Weltorganisation auch in Zeiten besonders knapperMittel zur wirksamen Durchführung ihrer Aufgaben zu befähigen. In»einer Welt, in der ein Fünftel der Menschen mit nur einem Dollarpro Tag auskommen muß« stellt die Entwicklungsaufgabe »nach wievor die größte Herausforderung« dar, wie Generalsekretär KofiAnnan in seinem Jahresbericht für die 53. Ordentliche Tagung derGeneralversammlung hervorgehoben hat. Für diese Aufgabe habendie Vereinten Nationen jährlich nur »den relativ bescheidenen Ge-samtbetrag von 5,5 Milliarden Dollar ... zur Verfügung«. Aber dieseMittel wollen effizient eingesetzt sein, ihre Verwendung muß wirt-schaftlich erfolgen und die Kosten-Nutzen-Relation stimmen. Mo-derne Managementmethoden und Orientierung an Maßstäben derPrivatwirtschaft sind dabei für die zwischenstaatliche Organisationder Vereinten Nationen nicht mehr tabu.

    Unter den zahlreichen Organisationseinheiten des UN-Sekretariatshat eine erst seit dem 1. Januar 1995 bestehende Einrichtung ein be-sonderes Profil als Consulting-Unternehmen für im Auftrag der Or-ganisation zu erbringende Dienstleistungen und auch als Generalun-ternehmer für umfassende Projekte. Die Rede ist von dem Büro derVereinten Nationen für Projektdienste (United Nations Office forProject Services, UNOPS). Es ist die einzige Organisationseinheit,diel ausschließlich projektbezogene Aktivitäten unter den Mandaten

    der UN abwickelt,l sich zu hundert Prozent selbst finanziert,l nach unternehmerischen Grundsätzen geleitet wird undl sich in ihren Leistungen an den Kräften des Marktes messen las-

    sen muß.Zugleich bleibt das UNOPS der Charta der Weltorganisation und de-ren Wertvorstellungen verpflichtet. Die Schaffung dieser Unterneh-menseinheit im Dienste der Vereinten Nationen markiert eine beson-dere Etappe in der institutionellen Geschichte der UN.

    EINE LANGE VORGESCHICHTE

    Der Werdegang des UNOPS und seiner Vorgänger hat sich übermehr als zwei Jahrzehnte hinweg wenig von dem anderer UN-Ein-richtungen unterschieden; er stand allerdings stets in enger Bezie-hung zu den verschiedenen Reformschritten im Wirtschafts- und So-zialbereich der Weltorganisation. Am Beginn stand die AbteilungProjektdurchführung (Project Execution Division, PED) des Ent-wicklungsprogramms der Vereinten Nationen (UNDP), die im Jahre1973 gegründet wurde. Das UNDP beauftragte die PED mit der Ab-wicklung von solchen Projekten, die durch das UNDP finanziertwurden und mindestens eines der folgenden Kriterien erfüllten:– interdisziplinäre Orientierung respektive die Verfolgung mehre-

    rer Entwicklungsziele gleichzeitig;– Erfordernis eines sektorübergreifenden Managements;– fehlende Zuständigkeit einer anderen Einrichtung des UN-Sy-

    stems.1975 wird diese Abteilung unter Beibehaltung ihrer bisherigenFunktion und Einbindung in das UNDP in das Büro für Projektab-wicklung (Office for Projects Execution, OPE) umbenannt. AchtJahre später wird die Zuständigkeit dieser Einheit erweitert. Auf der

    Grundlage des Beschlusses 83/5 seines Verwaltungsrats wird dasUNDP autorisiert, den Regierungen der UN-Mitgliedstaaten Ma-nagementleistungen und andere unterstützende Dienstleistungen an-zubieten.1988 kommt es zu einer erneuten Umbenennung. Um den Dienstlei-stungscharakter dieser Einheit zu stärken, wird diese nunmehr alsBüro für Projektdienste (Office for Project Services, OPS) bezeich-net. Zu diesem Zeitpunkt wickelt sie bereits Projektdienstleistungenin einem Umfang von etwa 200 Mill US-Dollar jährlich ab. Indemdiese Einheit dem UNDP dazu verhilft, immer stärker selbst als Pro-jektabwickler (executing agency) in Erscheinung zu treten, tritt siezunehmend in Konkurrenz zu den Sonderorganisationen des UN-Sy-stems und zur Hauptabteilung für Technische Zusammenarbeit undEntwicklung (Department for Technical Cooperation and Develop-ment, DTCD) des UN-Sekretariats.Dies stößt bei den Mitgliedstaaten, den Sonderorganisationen undauch innerhalb des Sekretariats zunehmend auf Kritik. Abhilfe sollim Zuge der Neugliederung und Neubelebung der Vereinten Natio-nen im Wirtschafts- und Sozialbereich geschaffen werden, nämlichdurch die Zusammenlegung des OPS mit der Hauptabteilung fürwirtschaftliche und soziale Entwicklung (Department for Economicand Social Development, DESD). Diese war gerade aus einer An-strengung zur Umstrukturierung hervorgegangen, und in sie war ne-ben anderen Arbeitseinheiten des Sekretariats auch die vormaligeDTCD eingegliedert worden. Mit dem Vorschlag, das OPS aus demVerbund mit dem UNDP herauszulösen, sollte innerhalb des UNDPeine Bereinigung herbeigeführt werden, und zwar durch die Tren-nung seiner Finanzierungs- und Koordinierungsfunktion von derDurchführungsfunktion. Zugleich wurde mit dem Vorschlag auchdie Absicht verfolgt, das Großagglomerat DESD wieder in kleinereBestandteile zu zerlegen.Als Ergebnis dieser Reforminitiative sollte mit der Auflösung desDESD die Möglichkeit zur Gründung neuer Arbeitseinheiten inner-halb des Wirtschafts- und Sozialbereichs eröffnet werden, so derHauptab