zeitung 2006 nr.2...Title zeitung 2006 nr.2.qxd Author Andreas Created Date 8/19/2008 2:35:47 PM

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Impressum: betrifft widerstand Herausgeber: Verein Zeitgeschichte Museum und KZ- Gedenkstätte Ebensee F.d.I.v.: Dr. Wolfgang Quatember, Kirchengasse 5, A-4802 Ebensee Tel.: 06133/5601 Fax: 06133/5601-4 E-mail: [email protected] Homepage: www.ebensee.org Die letzten Zeitschriften sind auf unserer Internet Homepage abrufbar: http://www.ebensee.org Layout-Konzept: Gerhard Carl Moser Coverfotos: Fotonachweise siehe Angaben auf den Seiten 9,12, 14, 17, 24, 25, 36 Namentlich gekennzeichnete Beiträge müssen nicht mit der Meinung der Herausgeber übereinstimmen. Die Zeitschrift des Vereines behandelt zeitgeschichtli- che und gesellschaftspolitische Inhalte und beabsich- tigt die Förderung demokratischen Bewusstseins. Jahresabo für 2 Ausgaben, Folder und sonstige Aussendungen des Vereines: € 15,- Einzelpreis: € 3,60 Kontonummer: OBERBANK EBENSEE 181-0057/45 BLZ 15061 IBAN AT561506100181005745 BIC OBKLAT2L Der Verein gehört dem begünstigten Empfängerkreis gem. §4 Abs. 4Z5 lit e EStG 1988 an. Leserbriefe und Beiträge senden Sie bitte an oben ste- hende Redaktionsadresse. Wilk-Druck Bad Ischl

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  • Impressum:

    betrifft widerstandHerausgeber: Verein Zeitgeschichte Museum und KZ- Gedenkstätte EbenseeF.d.I.v.: Dr. Wolfgang Quatember,Kirchengasse 5, A-4802 EbenseeTel.: 06133/5601 Fax: 06133/5601-4E-mail: [email protected]: www.ebensee.org

    Die letzten Zeitschriften sind auf unserer InternetHomepage abrufbar: http://www.ebensee.org

    Layout-Konzept: Gerhard Carl Moser

    Coverfotos: Fotonachweise siehe Angaben auf den Seiten 9,12, 14, 17, 24, 25, 36

    Namentlich gekennzeichnete Beiträge müssen nichtmit der Meinung der Herausgeber übereinstimmen.

    Die Zeitschrift des Vereines behandelt zeitgeschichtli-che und gesellschaftspolitische Inhalte und beabsich-tigt die Förderung demokratischen Bewusstseins.

    Jahresabo für 2 Ausgaben, Folder und sonstigeAussendungen des Vereines: € 15,-Einzelpreis: € 3,60Kontonummer: OBERBANK EBENSEE 181-0057/45 BLZ 15061IBAN AT561506100181005745BIC OBKLAT2LDer Verein gehört dem begünstigten Empfängerkreisgem. §4 Abs. 4Z5 lit e EStG 1988 an.

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    Wilk-Druck Bad Ischl

  • 3 betrifft widerstand

    Inhaltsübersicht

    Impressum . . . . . . . . . . . . . . . . . . .Seite 2

    Editorial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .Seite 3

    Jana MüllerDas Protektorat Böhmen und Mähren,6.Teil: Die 8 Monate Heydrichs in Prag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .Seite 4

    Heimo HalbrainerDas „vergessene“ steirische KZ Außenlager im Schloss Lannach . . . . . . . . . . . . . Seite 14

    SCHWERPUNKT EBENSEE

    Wolfgang QuatemberItalienische Häftlinge im KZ Ebensee.Statistik und Interpretation . . .Seite 17

    Das DP-Camp Ebensee unter Verwaltungder UNRRA (Team 313) . . . . . . . .Seite 23

    Milan KalabBei der Technischen Nothilfe in Ebensee . . . . . . . . . . . . . . . . . . .Seite 25

    Rechtstendenziöse Alltags- und Subkultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . .Seite 28

    Michaela Vidlakova und Artur Radvansky . . . . . . . . . . . . .Seite 29

    Das Jahr 2006 im ZeitgeschichteMuseum und der KZ-Gedenk-stätte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .Seite 30

    Zipf 1943: Schwarzmaler, Kerosinbrauer und Bernhards Blüten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 31

    Die Bibliothek im ZeitgeschichteMuseum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .Seite 32

    Büchertipps . . . . . . . . . . . . . . . . .Seite 32

    Rezensionen . . . . . . . . . . . . . . . . .Seite 34

    Zeitzeugenabend mit Henry Gleisner . . . . . . . . . . . . . . .Seite 36

    Leserbriefe. . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 37

    Editorial

    In der vorliegenden Ausgabe von „betrifft widerstand“ setztJana Müller ihren Zyklus über das „Protektorat Böhmen undMähren“ unter der Herrschaft des Nationalsozialismus fort.Ungemein detailreich hat die Autorin über Heydrichs Anord-nung zur Errichtung des Ghettos Theresienstadt, die tschechi-sche Kollaboration sowie den tschechischen Widerstandrecherchiert.Der Grazer Historiker Heimo Halbrainer widmet sich in sei-nem Beitrag einem in den letzten Wochen aktuell gewordenenKapitel österreichischer Geschichte: dem Frauen-Außenkom-mando des KZ Mauthausen im Schloss Lannach, heute imEigentum Martin Bartensteins.

    Weitere Aufsätze befassen sich mit regionalgeschichtlich rele-vanten Themen, die im Wesentlichen das KZ Außenlager Eben-see betreffen. Erstmals wurde versucht, eine nationale Häft-lingsgruppe des Lagers, die Italiener, hinsichtlich Haftgrund,Mortalität, Alter und Berufsstruktur genau zu untersuchenund die Ergebnisse zu interpretieren. Weitestgehend vergessen ist die Tatsache, dass nach der Befrei-ung des KZ Ebensee noch fast zwei Jahre lang ein DP Camp derUNRRA in Ebensee bestand. Mehrere Tausend (ehemalige KZ-Häftlinge, jüdische EmigrantInnen und Volks-, Reichsdeut-sche) waren bis ins Jahr 1947 und darüberhinaus in Ebenseeuntergebracht. Anhand von mikroverfilmten Akten der DPCamps Ebensee und Bad Ischl werden in den nächsten Mona-ten weitere Forschungen zu diesem Themenschwerpunktangestellt. Das Ergebnis dieser Arbeit soll in die Präsentationim Rahmen der OÖ. Landesausstellung 2008 (Arbeitstitel fürEbensee: Migration im Salzkammergut) einfließen.Schwerpunkt von „betrifft widerstand“ waren seit BeginnErinnerungsberichte von Zeitzeugen. In dieser Ausgabe schil-dert der 84-jährige Milan Kalab sein Erleben als Arbeiter in der„Technischen Nothilfe“ (TN) in Ebensee. Ergänzt wird die Zeitschrift wie immer durch Buchrezensio-nen und –tipps. Liebe Mitglieder und Abonnenten ! Das Team des Zeitge-schichte Museums und der KZ-Gedenkstätte Ebensee ersuchtSie auch im kommenden Jahr um Ihre Unterstützung in Formvon Mitgliedsbeiträgen bzw. Zeitschriften-Abonnements.Nach wie vor hängt unsere Arbeit neben öffentlichen Förde-rungen wesentlich von Ihrer Zuwendung ab. Ich darf Sie auchauf unser Buchangebot auf der letzten Seite der Zeitschrift hin-weisen. Mit guten Wünschen für das Jahr 2007,

    Ihr MuseumsteamKatarina Barton, Andreas Schmoller, Wolfgang Quatember

  • PROTEKTORAT BÖHMEN UND MÄHREN (LIDICE)Teil 6 (Fortsetzung von „Betrifft Widerstand“ Folge 75/12/2005)

    Eine Recherche von Jana Müller

    betrifft widerstand 4

    DIE 8 MONATE HEYDRICHS INPRAG 27.9.1941 – 27.5.1942

    (ATTENTAT), GEST. 4.6.1942

    Reinhard Heydrich, zuletzt SS-Obergruppenführer und Generalder Polizei, ist einer der meistdo-kumentierten hochrangigenRepräsentanten des Dritten Rei-ches. Schilderungen und Analysenseiner Persönlichkeit, seiner diver-sen Handlungen, seiner Tätigkeitals Chef des Reichssicherheits-hauptamtes (RSHA), insbesondereseiner Rolle bei der „Endlösungder Judenfrage“ und schließlichseiner relativ kurzen Zeit im sogenannten Protektorat liegen inFachbüchern und ebenso in derBelletristik, in Filmdokumentatio-nen etc. vor. Als (formell „stellver-tretender“) Reichsprotektor vonBöhmen und Mähren hatte er eineweitere, unerwartete Rolle vonHitler zugewiesen bekommen. Der„Sonnenkönig auf dem Hrad-schin“, die Strategie von „Zucker-brot und Peitsche“ (siehe u.a.Staatssekretär Karl HermannFrank), das „Katz-und-Maus-Spiel“Heydrichs mit den Tschechen(siehe Goebbels) – solche Bilderund Vergleiche schon aus der NS-Ära sowie zahlreicher spätererAutoren drängen sich zum Teiltatsächlich auf, wenn man sich mitHeydrichs exakt 8-monatigerHerrschaft in Prag befasst. 1

    21 LAGEBERICHTE AN HITLERUND ANDERE DOKUMENTE

    Aus der gesamten Zeit des Protek-torats sind erstaunlich viele Doku-mente erhalten geblieben,besonders im Palais Czernin, demAmtssitz Heydrichs und Franksund praktisch an den meisten NS-

    Schlüsselstellendes gesamtenLandes. So ist esmöglich, Ein-blick auch in dievermeintlichpsychologischhochwirksamenStrategien Hey-drichs bei derBevölkerung imallgemeinen undbei den Arbei-tern im beson-deren zu bekom-men; ebenso inseine rassisti-schen Überle-gungen und Absichten, seineberechnenden Tricks, seine Kälteund Grausamkeit. Heydrichs eige-ne Worte, schwarz auf weiß doku-mentiert, sind der Nachwelt erhal-ten geblieben. In Teil 3 bis 5 warvon Heydrich bereits mehrfach dieRede, u. a. im Vergleich mit sei-nem Vorgänger, und auch unterBerücksichtigung seiner eigenenSchriftstücke. Der renommiertetschechische Historiker MiroslavKarny hat in seinem bereits zitier-ten Buch2 ausgewählte NS-Doku-mente – von Heydrich selbst ver-fasste Schriftstücke oder Heydrichbetreffende Protokolle – bewusstnicht etwa Texten aus dem Wider-stand gegenübergestellt, sondernNS-Akten anderen Ursprungs (u.a.von Wirtschafts- und Ernährungs-experten unter den deutschen Pro-tektoratsbeamten, von Angehöri-gen des SD, vom Befehlshaber derSipo und des SD in Prag, von dertschechischen Protektoratspolizeiund –gendarmerie etc.); dabei wer-den immer wieder gewisse Abwei-chungen, z.T. auch offene Wider-sprüche deutlich. Karny zeigt auf,

    wie sehr Heydrich nicht nur aufWirkung nach außen abzielte (völ-lige Einschüchterung oderZustimmung und Bewunderungder Bevölkerung, je nachdem),sondern gleichzeitig in seinen 21Lageberichten an Hitler (überLammers von der Reichskanzleioder über Bormann von der Partei-kanzlei) maximale Wirkung „nachinnen“ anstrebte: bei Hitler selbst.Heydrich entwickelte eine hekti-sche Berichterstattung; am 14. Okt-ober, knapp mehr als zwei Wochennach seinem offiziellen Amtsan-tritt (28.9.1941, 11 Uhr), schrieb erbereits seinen 12. Bericht an Hitlervon insgesamt 21 (letzter Lagebe-richt: 18.5.1942). Den Eindruck, dener bei seinem Führer erzielen woll-te, optimierte er mit leichten odergröberen Übertreibungen, Beschö-nigungen, optimistischen Behaup-tungen bis hin zu bewussten Falschmeldungen, z.B. bei Zahlen,bei angeblichen wirtschaftlichenund sozialen Erfolgen seiner zahl-reichen Maßnahmen u.v.a.m. UndKarny weist auf eine weitereSchwierigkeit bei der Bewertunghin: Heydrich täuschte gewisser-

    Das „Dreigestirn" in Heydrichs Protektorat:. Heydrich flankiert von "BdS" Böhme und Staatssekretär Frank

    Foto: Ministerstvo Obrany (MO) CR-AVIS

  • PROTEKTORAT BÖHMEN UND MÄHREN

    5 betrifft widerstand

    maßen auch sich selbst. SeinemSelbstlob stimmte beispielsweiseGoebbels begeistert zu, nicht aberHitler, was für Karny u.a. aus man-chen „Tischgesprächen“ hervor-geht.3 „Selbstverständlich mussder Historiker bei der Analyse derTexte unterscheiden, was in ihnenAusdruck der tatsächlichen Über-zeugung Heydrichs war und wasbloßes Instrument politischer undpropagandistischer Manipulation,was eitle Selbsttäuschung und wasganz einfach betrügerisches Refe-rieren war, das seine Stellung inder Machtelite des Dritten Reichesfestigen sollte.“4. Von einer ausge-prägten Neigung zur Selbsttäu-schung schreiben auch andereAutoren, z.B. Hellmut Haasis, dervom deutlich eingeschränktenRealitätssinn Heydrichs in Prag,bis hin zu Lügengebilden,spricht.5 Auch unter Berücksichti-gung all dieser Aspekte stellen diezusammengestellten Schriftstücke(nicht nur jene an Hitler) eineenorm wertvolle historische Quelledar (die Dokumente in der Origi-nalsprache Deutsch, Karnys Analy-se in Tschechisch). Zum Großteilhandelt es sich um erstmalig ver-öffentlichte Dokumente.

    DAS „AN- UND ABSCHWEL-LEN“ DER TODESURTEILE

    Am 27. September 1941 traf Rein-hard Heydrich in Prag ein, ließsofort den zivilen Ausnahmezu-stand ausrufen und Standgerichteinstallieren. Diese wurden aus-schließlich von Gestapo-Beamten –durchgehend Angehörige der SS –besetzt, was völlig der allgemeinenRechtstradition widersprach. EineWelle von Verhaftungen und sofor-tigen Hinrichtungen brach los.Diese „Welle“ ließ Heydrich – ganzgroßer Stratege – gezielt „anstei-gen und absinken“ bzw. „an- undabschwellen“. 4 Tage nach seinerAnkunft schreibt er an Bormannfür Hitler: „Bezüglich der neben-her laufenden Standgerichtsver-

    handlungen berichte ich, dass dieZahl der Verurteilungen in der Rei-henfolge so abgestimmt ist, dasszunächst die Zahl der Todesurteileeine ansteigende Tendenz zeigtmit einem Höhepunkt gestern – 58Todesurteile, 256 Überweisungenan die Stapo und einem Frei-spruch – , ...die bis Ende derWoche auf täglich 2-3 absinkenwird, ....(um) zu zeigen, dass derWiderstand gebrochen ist.“6 Aneiner Besprechung vom 17. Oktober1941 nahmen neben Heydrich u.a.seine zwei Erfüllungsgehilfen teil:Karl Hermann Frank, DeutscherStaatssekretär beim Reichsprotek-tor, und der Befehlshaber derSicherheitspolizei und des SD im

    Protektorat (BdS), Horst Böhme.Aus dem Protokoll: „Die politischeEntwicklung... ist unter zweiGesichtspunkten zu sehen: Einmaldie optische Wirkung nach außenund zweitens die tatsächlicheBehandlung und Durchführungnach innen. Dies ist auch derGrund für das An- und Abschwel-len der Standgerichtsurteile,womit propagandistisch zum Aus-druck gebracht wurde, dass tat-kräftig durchgegriffen wurde unddadurch die Sabotagetätigkeit usw.wirkungsvoll bekämpft werdenkonnte. Es war möglich, sich in

    letzter Zeit auf Verurteilungen tat-sächlicher Fälle zu beschränken.Dabei ergab sich zwar, dass sovielanfällt, dass das beabsichtigtelangsame, aber stetige Abschwel-len von Verurteilungen nicht imgewünschten Maße erreicht wird.Aus optischen Gründen werdendarum – zunächst für 8 Tage – dieStandgerichtsurteile überhauptgestoppt. BdS und Stapo habenentsprechende Vorschläge zumachen, auf welche Weise dietrotzdem notwendigen Erschie-ßungen und Exekutionen – nachaußen abgedeckt – durchzuführensind. Evtl. Überführung in einLager (Mauthausen), wo bei orga-nisiertem Fluchtversuch erschos-sen wird, o.ä. Bei allen Vorschlägenkommt es darauf an, dass nachaußen hin der Eindruck entsteht –was ja auch den Tatsachen ent-sprechen würde – dass im Protek-torat vollkommene Ruheherrscht...“7

    Das in der „Ostmark“ gelegeneKonzentrationslager Mauthausensollte ab dem 30.9.1941 einen be-sonderen Stellenwert für das Pro-tektorat bekommen: Mit Brief anGestapo-Chef Müller in Berlin gabHeydrich die Weisung: „Wegen derbeson-ders gelagerten Verhältnisseim Protektorat Böhmen und Mäh-ren sind alle Personen, welche vonden....eingesetzten Standgerichtenzur Überweisung an die GeheimeStaatspolizei verurteilt werden,ausschließlich an das Konzentra-tionslager Mauthausen zu verbrin-gen.“8 Es gab drei mögliche Ent-scheidungen, die die Standgerich-te zu treffen hatten: Todesurteil,Überstellung an die Gestapo (undÜberweisung ins KZ), Freispruch.Gegen das Urteil gab es keinenEinspruch, das Urteil wurde mitsofortiger Wirkung vollstreckt.9In einem Rundschreiben an alleInspektoren und Leiter der ihmunterstellten Behörden stellte Hey-drich Anfang Oktober fest, dass erseine Berufung als Auszeichnung

    Fechter, Schütze, Jagdflieger - fanatischerSportler Heydrich im Fechter-Dress der

    SS Foto: Cvancara

  • PROTEKTORAT BÖHMEN UND MÄHREN

    betrifft widerstand 6

    und Anerkennung für die Arbeitder Sipo und des SD sehe. „Ichweiß, dass mir diese Aufgabe alsSS-Mann gestellt ist, und ichwerde sie als solcher anpacken.Selbstverständlich bleibe ich Chefder Sicherheitspolizei und desSD...“10 Tatsächlich sollte das Pro-tektorat unter Heydrich einebesondere Domäne der SS werden.Auch die Rüstungsproduktion inBöhmen und Mähren war gezieltauf den speziellen Bedarf der Waf-fen-SS ausgerichtet. HeydrichsProtektorat verkörperte die abso-lute Macht von Sicherheitspolizeiund SD.11

    DIE BEKANNTEN UND DIEUNBEKANNTEN OPFER

    Die Verhafteten kamen aus allenBereichen und Bevölkerungs-schichten. In einer langen Listeder Hinrichtungen der ersten Tagelaut Tagesbericht der Prager Gesta-po finden sich auf Seite 8 ein Bäk-ker, ein Beamter, ein Redakteur,ein Modelltischler, ein ehemaligerBrigadegeneral, der Sekretär desRevierrates in Kladno, ein Bankbe-amter in Ruhe (Zusatz: Jude), einAutomonteur, ein Installateur, einTypograph, ein Schlosser, einBankbeamter (Zusatz: Jude), einRedakteur, ein Kaufmann, einBeamter, ein kaufmännischerAngestellter, ein Drogist (Zusatz:Jude); der Jüngste 24, der Älteste58 Jahre alt.12Neben vielen „Namenlosen“ wur-den gezielt prominente, höchstangesehene Tschechen ins Visiergenommen, allen voran der Mini-sterpräsident der tschechischen,vorgeblich autonomen Protekto-ratsregierung Alois Elias, Generala.D. Seine sofortige Verhaftungnach Heydrichs Ankunft am 27.September versetzte die Bevölke-rung in höchste Aufregung, eben-so die Exilregierung in London.Nur Elias und der ehemalige Pri-mator von Prag, Klapka, kamen„aus außenpolitischen Gründen“

    nicht vors Standgericht. In einerBlitzaktion erreichte Heydricheinen Volksgerichtshofprozess inPrag mit einem Sondersenat unterThierack, der mit einem Todesur-teil endete.13 Am 1.10.1941 ersuchteHeydrich Hitler, keinen Gebrauchvon seinem Gnadenrecht zumachen. Hitler beschloss, Eliasvorläufig als „Geisel für die Ruheim Land zu behalten“. In seinerersten Geheimrede vom 2.10.spricht Heydrich von einem „Mei-sterstück von Untersuchung undAburteilung, das nur durch diephantastische Gründlichkeit unddas politische Geschick und Ver-ständnis des Präsidenten Dr. Thie-rack vom Volksgerichtshof, ichmuss sagen trotz des Justizmini-steriums, möglich war.“14 ImNovember 1941 meldete sich Kon-rad Henlein, Gauleiter des Sude-tenlandes schriftlich bei MartinBormann zu Wort: Nach 40 Ver-sammlungen in seinem Gau sei erstets mit der Frage bestürmt wor-den, warum Elias nicht hingerich-tet werde. Im „alten“ Österreichhabe Kaiser Karl den tschechi-schen Hochverräter Dr. Kramarmit negativen Auswirkungenbegnadigt. „Die Tschechen selbstglauben nach wie vor an einenEndsieg der Feindstaaten undsehen genau wie 1914 – 1918 eineGroßmütigkeit als Ausdruck derSchwäche an. Die Tschechen wol-len und können unsere heutigeStärke einfach nicht begreifen undbleiben daher auch in Zukunft diestets Unbelehrbaren....“ Knapp vordem Jahreswechsel urgierte Hey-drich selbst über Bormann bei Hit-

    ler, „endgültig“ die Vollstreckungdes Volksgerichtshofurteils freizu-geben. Auch Heydrich erinnertean „die Verurteilung des früherenAufständischen Dr. Kramar durchdie Habsburger, der nach Begnadi-gung zu lebenslänglicher Haft beiGründung der Republik der erstetschechische Präsident war.“15Hitler blieb bei seiner Entschei-dung. Der angesehene und belieb-te ehemalige Legionär des ErstenWeltkrieges (siehe Teil 4) und spä-tere General Alois Elias war alsMinisterpräsident mit der Exilre-gierung in London in ständigemKontakt gestanden. Er erlebte inHaft noch das Attentat auf Hey-drich, kurz darauf wurde er hinge-richtet (19.6.1942).16

    Die ersten Hingerichteten warenzwei prominente leitende Männeraus dem militärischen Wider-stand, der ON.17 Sie werden hierstellvertretend für den bürger-lichen, nichtkommunistischenWiderstand gewürdigt. Josef Bilyund Hugo Vojta wurden am 28.September in den Kasernen vonPrag-Ryzyne18) wegen „Vorberei-tung zum Hochverrat“ erschossen.Es war Heydrichs offenes Signal anden Widerstand. Hugo Vojta, Divi-sionsgeneral a.D., war wie Eliasund viele andere ehemaliger tsche-chischer Legionär. Innerhalb dermilitärischen Widerstandsgruppekoordinierte er die wichtigeZusammenarbeit mit dem landes-weit im nichtkommunistischenWiderstand vernetzten TurnvereinSOKOL (der „Falke“, siehe Teil 4).Armeegeneral i.R. Josef Bily stehtseinerseits für jene tschechischenSoldaten, die während des ErstenWeltkrieges bis zum Schluss in derösterreichisch-ungarischen Armeegedient hatten, ebenso wie etwader Offizier Houska, der 1939 beider Prager Gestapo aus dem Fen-ster in den Tod sprang (siehe Teil4). Bily war Offizier an der russi-schen und italienischen Front,1917-1918 Kommandant der

    Die ersten Hinrichtungen unter Heydrich :die tschechischen Generäle Josef Bily (li.)und Hugo Vojta Foto: MO -AVIS

  • PROTEKTORAT BÖHMEN UND MÄHREN

    7 betrifft widerstand

    Sondergruppe „OberstleutnantBily“ an der Front bei Asiago. Wiees heißt, war er bei den ihm unter-stellten Truppen sehr beliebt. Dieehemaligen Soldaten, tschechischeund österreichische, hielten nochlange nach dem Kriegsende 1918 zuihm Kontakt. Noch im Jahre 1937bekam er aus Österreich eine offi-zielle schriftliche Einladung zueinem Veteranentreffen (zu dem ernicht anreisen konnte). Ab Juni1939 war er Leiter der ON, bis zuseiner Verhaftung 1941 lebte er einJahr lang in der Illegalität. DieHinrichtungen wurden mit oran-ge-roten Plakaten als „Bekanntma-chung/Oznameni“ veröffentlicht,jeweils ein Plakat in Deutsch undeines in Tschechisch. Neben Bilyund Vojta standen auf den Plaka-ten noch 4 weitere Namen, mit derUrteilsbegründung „unerlaubterWaffenbesitz, Sabotage.“19

    Wegen Sabotage hingerichtet wur-den auch fünf Männer der GruppeGeorg Stricker-Oldrich Stancl;weitere Mitglieder waren OttokarRuna, Emil Kobrle, BohumilKuchar; bei Strickers Namen standals Zusatz „Jude“ und als zweiterVorname „Israel“. Diese Gruppesteht hier stellvertretend für denkommunistischen Widerstandund für die im Protektorat angeb-lich recht geringe Sabotagetätig-keit, wie manche Autoren schrei-ben. Laut NS-Akt ging es um eine„im Oktober 1941 aufgerollte Ter-rororganisation“, um fabriksmäßi-ge Herstellung von Brandsätzenund Sprengkörpern. „In 6 ver-schiedenen Fällen waren dieBrandsätze bei Sabotagehandlun-gen erfolgreich zur Anwendunggebracht worden. ...Der Jude Strik-ker bezeichnet sich selbst als Kopfder Terrorgruppe...Der FabrikantStancl, der in seinem Betrieb vor-wiegend Rüstungsaufträge aus-führte, hat den Brandsatz durchVersuche entwickelt ...Runa hatsich am Ausbau des Terrorappa-rats maßgeblich beteiligt...Koberle

    ist weiterhin als Gründer bzw.Führer von Partisanengruppenhervorgetreten ....Kuchar hat dieBrandsätze gebrauchsfertiggemacht...“ Über 100 davon warenin Kuchars Wohnung gelagert.20

    „...DIE ALTE HUSSITENBURGALT-RATIBOR, ABER AM

    BESTEN THERESIENSTADT!“

    Am 10. Oktober 1941 leitete Hey-drich in Prag eine Besprechung

    zur „Lösung der Judenfrage“, ander u.a. Adolf Eichmann und sein„Mann in Prag“, Hans Günther,teilnahmen (zur jüdischen Bevöl-kerung im Protektorat siehe auchTeil 5). Zum Tagesordnungspunkt„Ghettoisierung im Protektorat“kam erstmals, neben dem Vor-schlag der „alten Hussitenburg“Alt-Ratibor (die Stadt Tabor inSüdböhmen) auch Theresienstadt(Terezin, ca. 50 km nördlich vonPrag gelegen) zur Sprache. „NachEvakuierung aus diesem vorüber-

    gehenden Sammellager (wobei dieJuden ja schon stark dezimiertwurden) in die östlichen Gebietekönnte dann das gesamte Geländezu einer vorbildlichen deutschenSiedlung ausgebaut werden....dader Boden vorzüglich für denGemüsebau geeignet ist...“ Die inden zahlreichen Kasernen der altenFestungsstadt stationierten Wehr-machtsteile sollten abgezogen, dietschechischen Einwohner derStadt ausgesiedelt werden. „Es ist

    Vorsorge zu treffen, dass im Ghet-to entstehende Seuchen nicht denUmkreis gefährden. Die Juden dür-fen auf keinen Fall beerdigt wer-den.“ Der Bau eines „Krematori-ums kleinsten Stils“ sei vorzuse-hen. (Anmerkung: Tatsächlichwurden zu Beginn die Toten aufeinem nahe gelegenen jüdischenFriedhof begraben. Das spätereKrematorium umfasste 4 Öfen.)Im Protokoll findet sich auch einekurze Anmerkung zu „Zigeunern“aus dem Protektorat: „Die zu eva-kuierenden Zigeuner könntennach Riga zu Stahlecker gebrachtwerden, dessen Lager nach demMuster von Sachsenhausen einge-richtet ist.“ Tatsächlich wurde der

    Kinderzeichnungen aus Theresienstadt:li. von Doris Weisserova, ob. von VladimirFlusser, beide in Auschwitz ermordet.Quelle: Staatl. Jüdisches Museum Prag

  • PROTEKTORAT BÖHMEN UND MÄHREN

    betrifft widerstand 8

    größte Teil der Roma und Sinti ausBöhmen und Mähren nachAuschwitz deportiert. Über 4 500als Zigeuner bezeichnete tsche-choslowakische Bürger wurden insZigeunerlager Auschwitz-Birkenauverbracht; nur etwa 600 von ihnenüberlebten. Davor war diese dis-kriminierte Bevölkerungsgruppein Sammellagern und Zwangsar-beitsanstalten im Protektorat kon-zentriert worden.21 In Lety in Süd-böhmen befand sich eines dieserLager.22Aus dem Protokoll zu HeydrichsRede bei der Wannsee-Konferenz

    vom 20.1.1942, Abschnitt betref-fend das Protektorat: „Es ist beab-sichtigt, Juden im Alter von über65 Jahren nicht zu evakuieren,sondern sie in einem Altersghetto– vorgesehen ist Theresienstadt –zu überstellen. Neben diesenAltersklassen – von den am31.10.1941 sich im Altreich und inder Ostmark befindlichen etwa280 000 Juden sind etwa 30% über65 Jahre alt – finden....die schwer-kriegsbeschädigten Juden undJuden mit Kriegsauszeichnungen(EK1) Aufnahme. Mit dieser zweckmäßigen Lösung werden miteinem Schlag die vielen Interven-tionen ausgeschaltet.“23

    Auszug aus dem Bericht einesGestapo-Beamten der DienststelleDüsseldorf vom 9.3.1942 über eineBesprechung, die am 6.3.1942 imAmt IV B4 des RSHA in Berlinstattgefunden hat: SS-O’Stuf.Eichmann sprach zunächst einlei-tend über die weitere Evakuierungvon 55 000 Juden aus dem Altreichsowie der Ostmark und dem Pro-tektorat. In diesem Zusammen-hang machte SS-O’Stuf. Eichmanndarauf aufmerksam, dass die gege-benen Richtlinien, vor allem hin-sichtlich des Alters, der Gebrech-lichkeit usw. genauestens einzu-

    haltenseien....DieVermeidung...(von)Beschwer-den ist unterallenUmständenanzustreben.Heydrichmacht fürdie Durch-führung derRichtlinienin dieserHinsicht dieStapoleiterpersönlichverantwort-lich. Damitdie einzel-

    nen Stapostellen „der Versuchung,ihnen unbequeme ältere Juden mitabzuschieben, nicht weiter ausge-setzt sind“, führte SS-O’Stuf. Eich-mann aus, sei zur Beruhigunggesagt, dass diese im Altreich ver-bleibenden Juden höchstwahr-scheinlich schon im Laufe diesesSommers bzw. Herbstes nach The-resienstadt abgeschoben würden,das als „Altersghetto“ vorgesehensei. Dies geschieht, um „nachaußen das Gesicht zu wahren.“24Eichmanns „Zentralstelle für jüdi-sche Auswanderung“ in Pragbestand bis zum Kriegsende, das„Ghetto“ Theresienstadt war ihrunterstellt.

    Miroslav Karny, der als Fachmannfür die Geschichte der tschechos-lowakischen Juden und Theresien-stadt gilt, weist zusammenfassenddarauf hin, dass Theresienstadtzunächst für „Protektoratsjuden“als Sammel- bzw. Internierungsla-ger vorgesehen war. Die erstentschechischen Juden kamen am24.11.1941 im „Ghetto“ Theresien-stadt an, der erste Transport von„Protektoratsjuden“ ging bereitsam 9.1.1942 in den Osten ab. Schonvor dem Eintreffen der erstentschechischen Gefangenen im„Ghetto“ kam der Gedanke einerneuen, zusätzlichen Funktion The-resienstadts auf. Bereits am18.11.1941 schrieb Goebbels in sei-nen Tagebuchaufzeichnungen von„unvorhergesehen Schwierigkei-ten“ bei der Abschiebung vonalten Juden aus dem Altreich undvon Heydrichs diesbezüglicherIdee eines Altersghettos. DieseFunktion wurde bei der Wannsee-konferenz Anfang 1942 endgültigfür Theresienstadt festgelegt undab Juni 1942 für die deutschen unddie österreichischen Juden offiziellund im größeren Umfang gestar-tet. In Wahrheit wurden Alte undauch Kinder aus allen inhaftiertennationalen Gruppen (auch aus Hol-land, Ungarn, Polen usw.) ebensoweiterdeportiert, von insgesamtknapp 87 000 nach dem OstenDeportierten überlebten etwasmehr als 3 000; sehr viele starbenbereits in Theresienstadt: 33 500.Die Gesamtopferzahl der Juden ausdem Protektorat (nicht nur in The-resienstadt Internierte und vondort Deportierte) liegt laut Karnybei annähernd 80 000.25Somit bestanden in der histori-schen Festungsstadt Theresien-stadt und dem dazugehörigen Vor-werk (genannt die „KleineFestung“) bis zum Kriegsendezwei unterschiedliche, zentraleInternierungsstätten mit KZ-Cha-rakter, in die auch Angehörigezahlreicher anderer Nationen ein-

    In Kellern und auf Dachböden zusammengepfercht: die Alten in The-resienstadt. Zeichnung von Leo Haas. Quelle: Europa-Verlag

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    gewiesen wurden: ab Juni 1940 dasGestapo-Gefängnis „KleineFestung Theresienstadt“ und ab24.11 1941 das „Ghetto Theresien-stadt“, das die ganze Stadt inner-halb der Festungsmauern ein-nahm.26

    EINE NEUE TSCHECHISCHEPROTEKTORATSREGIERUNG

    WIRD INSTALLIERT

    Am 19. Januar 1942 trat die nachHeydrichs Vorstellungen gebildeteneue Regierung an, die alte warseit Heydrichs Antritt praktischnicht mehr tätig. Präsident Hachadeklarierte sich bereits AnfangDezember in einer Rundfunkan-sprache gegen die Exilregierung inLondon.27 Die Anzahl der Ministe-rien wurde auf sieben gekürzt, esgab nur mehr einen (machtlosen)„Regierungsvorsitzenden“ (Krejci)anstelle des Ministerpräsidenten.Das neu geschaffene Schlüsselmi-

    nisterium für Wirtschaft undArbeit besetzte ein Deutscher: SS-Oberführer Walther Bertsch.Die größte Veränderung bedeuteteaber die Errichtung des Amtes fürVolksaufklärung. Das Amt umfass-te Presseangelegenheiten und Pro-paganda, Theater, Literatur, Filmetc. und wurde dem ebenfalls neuernannten Minister für das Schul-wesen (Erziehungsminister) Ema-nuel Moravec unterstellt. Dieserehemalige Legionär und Professorfür Kriegsgeschichte und Strategiean der Militärhochschule Prag warbis zum Münchner Abkommen einentschiedener Gegner NS-Deutschlands und AnhängerBenes’ gewesen. Nach der Beset-zung der „Resttschechei“ stellte ersich jedoch völlig auf die Seite derNationalsozialisten und wurdegeradezu zum Symbol extremerKollaboration im Protektorat. Am26.6.1942 – einen Tag vor demAttentat – bekam Moravec, der inNS-Akten abwechselnd als Erzie-hungs- und als Propagandamini-ster bezeichnet wird, von Hey-drich die Weisung, nach dem Vor-bild der Hitlerjugend tschechischeJugendformationen auf die Beinezu stellen ( was bis zum Kriegsen-de insgesamt als „Flop“ bezeichnetwerden kann.) Noch am 5. Mai1945 sollte Moravec „zur Beruhi-gung der Bevölkerung“ eine Rund-funkansprache halten, was in Pragzu diesem Zeitpunkt bereitsundenkbar war. Man wollte in dieStadt Melnik28 ausweichen, eineWagenkolonne setzte sich über die

    Kleinseite bergauf in Bewegung.Ein Wagen mußte anhalten, derganze Konvoi stand. Moravec griffzur Waffe und erschoss sich in sei-ner Limousine. Schon im Frühjahr1942 war ein Zwei-Mann-Teamtschechischer Fallschirmspringeraus England mit dem Auftrageines Attentats auf Emanuel Mora-vec abgesetzt worden, Deckname:Tin. Die Aktion misslang, beideMänner starben; Jaroslav Svarc imJuni 1942 nach längerem bewaffne-ten Kampf gemeinsam mit 6 weite-ren Exilsoldaten in einer PragerKirche, Ludvik Cupal im Januar1943 in Mähren, als er bei der Ver-haftung durch die Gestapo Selbst-mord beging.29 Anlässlich derEinsetzung der neuen Regierunghob Heydrich den zivilen Ausnah-mezustand auf, was in seinerAnsprache als „meine Gutwillig-keit“ und „meine Bereitschaft“präsentiert wurde. 30

    WIE WAR DAS MIT DER KOL-LABORATION?

    Werner Gerlach, Vertreter desAußenamtes beim Reichsprotek-tor, kommentierte im Februar 1942die Reaktionen der Bevölkerungauf die Einsetzung der neuenRegierung. „Ganz besonders ange-griffen wurde der Erziehungsmini-ster Moravec, gegen den stärksteHasseinstellung besteht. SeineErnennung ist schlimmer, alswenn ein deutscher Erziehungsmi-nister ernannt worden wäre...“31Es war besonders der Zugriff aufdie Jugend, der die Bevölkerunggegen Moravec so aufbrachte. Inder Öffentlichkeit stehende undtätige Kollaborateure wie Moravechatten natürlich die Möglichkei-ten, viel Negatives zu bewirken,erst recht eine ganze Regierung,auch wenn ihre Rechte starkbeschränkt waren. Im Gegensatzzu der Regierung unter Alois Eliaskonnte die neue, unter Heydrichinstallierte zu Recht als Kollabora-tionsregierung bezeichnet werden.

    Die Exilsoldaten Jaroslav Svarc (li.) undLudwik Cupal - mit dem Attentat auf

    Emanuel Moravec beauftragt. Fotos: li.MNO-AVIS, re. Cvancara

    Auf dem Festungswall des „Ghettos -The-resienstadt“ - Zeichnung aus dem Jahr

    1943 Quelle: Europa Verlag

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    Ein solcher „öffentlicher“ Kollabo-rateur war schon vor Moravec derChefredakteur Karel Laznovsky; ergehörte zu der Gruppe tschechi-scher Journalisten, die ausdrück-lich einen pronazistischen Kursverfolgten und die deutsche Pro-tektoratspolitik unterstützten. Erwurde bei einem Empfang am 18.September 1941 beim Ministerprä-sidenten Elias mit dort gereichtenBrötchen vergiftet. Laznovsky galtals einer der Schöpfer der Kollabo-rationsideologie im Protektorat(siehe Teil 5).

    Nicht selten wird bis heute dasBild von „wenig Widerstand undSabotage und umso mehr Kollabo-ration“ für das Protektorat Böh-men und Mähren heraufbeschwo-ren. Ja, es gab auch Kollaboration,so wie in allen anderen besetztenLändern auch, wobei die spezifi-schen Verhältnisse in jedem ein-zelnen Land des NS-Einflussbe-reichs höchst unterschiedlichwaren. Neben den öffentlichenSymbolfiguren wie Moravec undLaznovsky waren es meist unauf-fällige Einzelpersonen. So wie esvielfach den individuellen, nichtorganisierten Widerstand gab, gabes auch die „individuelle Kollabo-ration“. In allen besetzten Ländernhaben Spitzel und Denunziantenaus der Bevölkerung verheerendeSpuren hinterlassen. MaterielleGier, Böswilligkeit gegenüberNachbarn, persönliche Rache,auch Geltungssucht, bodenloseDummheit und Feigheit etc. warenim Protektorat und anderswo dieMotive. Und es gab kapitale Verrä-ter wie den Exilsoldaten und Fall-schirmspringer Karel Curda, derdie eigenen Kameraden durch sei-nen Verrat in den Tod schickte.Curda meldete sich völlig freiwil-lig bei der Gestapo, niemand warihm und den anderen auf der Spur.Davor hatte er bereits einen Brieflosgeschickt, der tagelang nichtbeachtet worden war, denn es gabzu diesem Zeitpunkt eine wahre

    Flut von abenteuerlichen Hinwei-sen. Er kassierte eine extrem hoheBelohnung, die für die Ergreifungder Täter des Attentats auf Rein-hard Heydrich vom 27. Mai 1942ausgesetzt worden war (siehe inder Fortsetzung).32 Neben solchenfreiwilligen Verrätern wie Curdagab es viele, die zu Spitzeldienstenerpresst wurden, mit Drohungenden Familien gegenüber und mitGewalt. Zahlreiche Versuche, sichvon der Gestapo wieder zu lösen,eine Mitarbeit nur vorzutäuschenetc. endeten in den für das Protek-torat bekannt gewordenen Fällenfast ausnahmslos mit dem Tod.

    Und schließlich war da noch die„Vlajka“ (Flagge). Von Beginn an

    formierten sich einige faschisti-sche Grüppchen im Protektorat,das faschistische Lager machteetwa 5% der Bevölkerung aus. DieVlajka stand bald im Vordergrund;sie verfügte über Formationennach Vorbild der SA, die so genan-ten Svatopluk-Garden (SG). Sieging von Grundsätzen des italieni-schen Faschismus und der natio-nalsozialistischen Ideologie ausund wurde zum Synonym dertschechischen Kollaboration.Schon in den 20er Jahren agierte inder Tschechoslowakei eine kleinefaschistische Gruppe, die NOF.33Es kam sogar zu einer Art Putsch-versuch seitens der NOF. NachErrichtung des Protektorats gin-gen jedoch nicht wenige ihrer Mit-

    glieder in den Widerstand.34 Nachden Vorstellungen der NS-Besatzersollte die Vlajka im politischenLeben des Protektorats als Störfak-tor wirken und gleichzeitig dieBevölkerung auf eine prodeutscheLinie ausrichten. Eine Nachrich-tenabteilung, die direkt der Gesta-po zuarbeitete, wurde geschaffenund die Leitung der Vlajka ordneteallen ihren Mitgliedern an, Infor-mationen betreffend Juden, Kom-munisten, Benes-Anhänger, illega-le Flugblätter, Flüsterpropagandau.v.a.m. an die Gestapo weiterzu-geben; der politische Einfluss derVlajka erreichte jedoch niemalsdas Ausmaß, das sich ihre Mitglie-der erhofft hatten.35

    Die weitereKarriere derVlajka verliefganz anders,als zu erwartengewesen wäre.Heydrich ver-hängte lautseinem vor-letzten Berichtan den „Füh-rer“ vom16.5.1942 sogar

    vorübergehendein Betäti-

    gungsverbot über die umtriebigeTruppe. „Die völkischen Splitter-gruppen, insbesondere die Vlajka,erhielten von mir ein dreimonati-ges Betätigungsverbot, weil sieunter Anwendung nationalsozia-listischer Parteigedanken eineStärkung des tschechischen Ele-mentes anstrebten. FeindlicheBemerkungen und Maßnahmengegen den Minister Moravec warender äußere Anlass zu dieser Maß-nahme.“36 Für die Vlajka, die ne-ben Elementen des italienischenFaschismus und des deutschenNationalsozialismus letztlich aucheinen tschechischen Nationalis-mus vertrat, war der zutiefst antit-schechisch auftretende Moravecnicht akzeptabel. Schon Monate

    Faschistische tschechische Formation "Vlajka" am Prager Moldauufer. Foto: MO-AVIS

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    davor hatte die Vlajka Heydrichschwer verärgert: In seinem Lage-bericht vom 30.12.1941 schrieb erunter Punkt 8): „In der der Führer-Rede folgenden Nacht hatten ille-gale Tschechen, so genannte natio-nalsozialistische Kräfte versucht,das Wilson-Denkmal zu stürzen.Ich habe diesen Versuch verhin-dern lassen und habe in der näch-sten Nacht durch eigene Kräfteordnungsgemäß das Wilson-Denk-mal abtragen und durch ein Schildfeststellen lassen, dass die Abtra-gung ordnungsmäßig auf Befehldes Stellv. Reichsprotektors erfolgtist.“37 Gemeint war die Führer-Rede anlässlich der Kriegserklä-rung an die USA vom 11.12.1941.Das Denkmal des amerikanischenPräsidenten Thomas WoodrowWilson stand vor dem gleichnami-gen Bahnof im Stadtzentrum, derBahnhof wurde bald nach derdeutschen Besetzung in „Haupt-bahnhof“ umbenannt, das Denk-mal jedoch blieb bis zum Dezem-ber 1941 stehen. Präsident Wilsonhatte die Gründung der Tsche-choslowakei befürwortet(28.10.1918). Die Vlajka-Mannschaftpasste Heydrich nicht ins Konzept.Nur er hatte zu entscheiden, ob,wie und wo agitiert wurde, unddas „ordnungsgemäß“. Nach Hey-drichs Tod ging es mit der Vlajkaweiter bergab. Ihre Mitgliederwurden zum Teil zur Zwangsarbeitins „Reich“ verschickt, der Vlajka-„Führer“ Josef Rysa-Rozsevac fandauch bei Staatssekretär Frankletztlich keinen Anklang. Er störtedie „Ruhe im Raum“ dort, wo sieFrank nicht gestört haben wollte,er griff weiterhin den Erziehungs-und Propagandaminister an u.dgl.Rysa-Rozsevac wurde schließlichauf Franks Anordnung im Dezem-ber 1942 in das KZ Dachau ver-bracht, wo er – immerhin als„Ehrenhäftling“ – das Kriegsendeerlebte. Im Jahre 1946 wurde erverurteilt und hingerichtet.38

    ALLTAG, SD-STIMMUNGSBE-RICHTE UND DIE „NAHER-

    WARTUNG“ DER TSCHECHEN

    Amtlich gab es keine Tschechoslo-waken mehr und auch keineTschechen. Die tschechischeBevölkerung bestand seit März1939 aus so genannten Protekto-ratsangehörigen, die im Landlebenden Deutschen waren zuDeutschen Reichsangehörigengeworden. Der Alltag im Protekto-rat war von der täglichen Demon-stration der Macht seitens der NS-Besatzer bestimmt, das zeigte sichin den kleinen Dingen des Alltagsund ebenso in den großen Auftrit-ten und NS-Aufmärschen, beiöffentlich wahrnehmbaren Verhaf-tungen undbesonders dann,wenn wieder grellorange-rote„Bekanntmachun-gen“ plakatiert wur-den. Das äußereErscheinungsbildv.a. der Städte warseit Beginn des Pro-tektorats völlig ver-ändert: zweispra-chige Beschriftun-gen und Kundma-chungen, Fahnenund Hakenkreuze,NS-Presse in den Kiosken undüberall Uniformen; daneben warenes besonders Propaganda-Plakate,die die Städte überschwemmten,wie in anderen besetzten Ländernauch; „für Europa“, „für die neueOrdnung in Europa“ „gegen Bol-schewismums und Plutokratie“und sehr häufig Plakate mit demGroßbuchstaben „V“. In Böhmenund Mähren war zunächst vomWiderstand das „V“ für das tsche-chische Wort „Vitezstvi“ (Sieg) inFlugblättern etc. verwendet wor-den. Das änderte sich, als die NS-Machthaber im Protektorat das V-Zeichen – das ja vorrangig als das„victory“-Zeichen der Britenbekannt war – für die eigenen

    Zwecke, den eigenen (End)Siegvereinnahmten.Selbstverständlich wurde auchhier die Winterhilfe u.a. mit Plaka-ten stark beworben. Boxen in Formübergroßer Postkästen standenherum, (deutsche) Bücher für dieSoldaten an der Front sollten ein-geworfen werden. In seinem Lage-bericht für Hitler vom 30.12.1941machte sich Heydrich u.a. zumThema „Wintersachen-Hilfe desReiches“ über den tschechischenPräsidenten Hacha lustig, dergefragt habe, ob er auch seinenPelz (er habe nur einen) mit abge-ben müsse. (Erst) als StaatsekretärFrank verneinte, soll Hacha zuge-stimmt und den Aufruf zurSammlung an die Tschechen

    unterschrieben haben.39 NachHeydrichs Informationen hat dietschechische Bevölkerung prozen-tual nur ein Viertel des Sammeler-gebnisses der deutschen Bevölke-rung im Protektorat erbracht, unddas unter Druck. In einem Brief anHacha unterließ Heydrich schließ-lich eine diesbezügliche Anmer-kung (der Briefentwurf ist aucherhalten geblieben), und unter-strich stattdessen „die Bereitwil-ligkeit und den Opfersinn geradeder einfachen und arbeitendenBevölkerung, die – das möchte ichhier besonders anerkennen – vondem wenigen, was sie besitzt,ihren Beitrag lieferte“(– was imÜbrigen gar nicht feststellbar war).

    Kriegsbeute sowjetischer Panzer - im Hintergrund li. einPavillon des historischen Prager Messegeländes

    Foto: MO-AVIS

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    PROTEKTORAT BÖHMEN UND MÄHREN

    Heydrich ließ keine Gelegenheitaus, seine Zielgruppe, die „einfa-chen Arbeiter“, herauszustreichenund sie seines Wohlwollens zu ver-sichern.40Am 20. April 1942 übergab Präsi-dent Hacha einen Lazarettzug alsGeburtstagsgeschenk „allerBewohner des Protektorats“ an den„Führer“. Heydrich übernahm aufdem Prager Hauptbahnhof dassperrige Präsent, das Ereigniswurde auf Fotos festgehalten. ImProtektorat begann sofort der Flü-sterwitz zu kursieren, dass Hitlergesundheitlich wirklich schon

    sehr schlecht dran sein müsse,wenn er für sich einen ganzen(Lazarett)Zug braucht.41

    Die größte, allgemein zugängliche„Kulturaktion“ der Heydrich-Ärawar die Ausstellung „Das Sowjet-Paradies“. Die Propagandaausstel-lung wurde Ende Februar 1942 aufHeydrichs Veranlassung von Wiennach Prag geholt. Elende Lebens-bedingungen in der UDSSR unddie „Bedrohung durch den Bol-schewismus“ sollten der Bevölke-rung suggeriert werden. Aucherbeutetes sowjetisches Kriegsge-

    rät wurde zur Schau gestellt. AufGrund massenhaft organisierterBesuchergruppen stieg die Besu-cherzahl innerhalb von 4 Wochenauf eine halbe Million an. Tsche-chische Besucher beurteilten dieAusstellung zum Großteil als reineNazi-Propaganda. 42 Aus einerVielzahl von Tagesberichten desSicherheitsdienstes und anderenSchriftstücken geht klar hervor,dass die Mehrzahl der Tschechengenerell den deutschen Wehr-machtsberichten nicht glaubte,die Siegesmeldungen sehr skep-tisch aufnahm und einenZusammenbruch Hitler-Deutsch-lands und einen baldigen Sieg derAlliierten nicht nur erhoffte, son-dern fest darauf vertraute, und dasnicht erst nach dem Kriegseintrittder USA im Dezember 1941. „DieTschechen glauben nach wie voran den Endsieg der Feindstaa-ten...“, schreibt z.B. auch KonradHenlein im November 1941 an Mar-tin Bormann (siehe weiter oben).Diese ausgeprägte Naherwartungder Bevölkerung wurde immerwieder von NS-Seite festgestellt.

    Aus dem Tagesbericht des SD-Leitabschnitts Prag zur Stimmungder Tschechen und anderen Ereig-nissen im Protektorat vom26.5.1942, einen Tag vor demAttentat auf Heydrich: „Die Stim-mung der Tschechen ist auchweiterhin gleichbleibend deutsch-feindlich. Den Sondermeldungenwird entweder keine besondereBeachtung oder kein Glaubengeschenkt. Man ist nach wie vorvon einem noch in diesem Jahreerfolgenden Zusammenbruch desReiches überzeugt...“43 Monatefrüher war es nicht anders: „...dassdie Einbeziehung der USA in denKrieg eine für Deutschland unheil-volle Entwicklung darstellt...diejapanischen Erfolge werden baga-tellisiert....“ „Im Vordergrund desInteresses...steht die weitere Kür-zung einzelner Lebensmittel...Man sieht darin einen weiteren

    Beweis dafür, dass Deutschlandnoch in diesem Jahr zusammen-brechen werde...“44 Auch am19.5.1942 stellt der Prager SD wie-der „eine Versteifung der deutsch-feindlichen Haltung“ fest.45 „DieTschechen waren unerschütterlichsicher, dass ihre Republik wiederauferstehen würde“, schreibt dazuHaasis.46

    Diese Naherwartung, die Zuver-sicht in ein baldiges Ende der NS-Diktatur, brachten auch zahlreichetschechoslowakische Exilsoldatenaus England mit, als sie ab Herbst1941 mit dem Fallschirm in ihrerHeimat abgesetzt wurden, darun-ter zwei, die zum Attentat aufReinhard Heydrich bestimmtwaren.

    (Fortsetzung folgt)

    Ich danke Herrn OberstleutnantDr. Eduard STEHLIK sehr herz-lich für die Beantwortung vielerDetailfragen und die allgemeineUnterstützung. Dr. Stehlik ist amHeeresgeschichtlichen InstitutPrag tätig; er ist Historiker undlehrt an der Karlsuniversität Prag.

    QUELLEN

    Miroslav Karny, Jaroslava Miloto-va, in Zusammenarbeit mit Mar-gita Karna, Protektoratni PolitikaReinharda Heinricha, Tiskova,edicni a propagacni sluzba, Prag1991

    Michal Burian, Ales Knizek, JiriRajlich, Eduard Stehlik, Hrsg.Ministerstvo Obrany CR (Verteidi-gungsministerium der Tschechi-schen Republik)-AVIS (Hg.),Attentat - Operace Anthropoid1941-1942, Prag 2002

    Vaclav Kral, Die Vergangenheitwarnt - Dokumente, Orbis, Prag1960

    "Das Reich siegt - auf allen Fronten fürEuropa!" - NS-Propaganda im Protektorat

    Foto: MO-AVIS

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    PROTEKTORAT BÖHMEN UND MÄHREN

    Miroslava Benesova, Vojtech Blo-dig, Marek Poloncarz (Petr Liebl),Die kleine Festung Theresienstadt1940-1945, Gedenkstätte Theresien-stadt/Terezin, 1996

    Hellmut Haasis, Tod in Prag. DasAttentat auf Reinhard Heydrich.Rowohlt, Reinbek bei Hamburg,2002

    Miroslav Ivanov, Der Henker vonPrag, Das Attentat auf Heydrich,edition q, Berlin 1993

    FOTOS

    - Ministerstvo Obrany (MO) CR(Verteidigungsministerium derTschechischen Republik) - AVIS, - Jaroslav Cvancara, Akce atentat,Magnet-press Prag, 1991- Staatliches Jüdisches MuseumPrag, Detske kresby z koncentrac-niho Tabora Terezin (Kinderzeich-nungen aus dem Konzentrationsla-ger Theresienstadt), Prag, ohneJahresangabe- Rat der jüdischen Gemeinden inBöhmen und Mähren (Copyright1965), Europaverlag Wien (Copy-right 1968, aus dem Englischenübersetzt), Theresienstadt

    ANMERKUNGEN

    1 Frank nimmt bereits 1940 in seiner„Denkschrift über die Behandlung desTschechen-Problems und die zukünf-tige Gestaltung des böhmisch-mähri-schen Raumes“ vom August 1940unter der Überschrift „Grundsatz Zuk-kerbrot und Peitsche“ diese für dasProtektorat besonders unter Heydrichoft ins Treffen geführte „Methode“vorweg. Dokumentensammlung vonVaclav Kral, Die Vergangenheit warnt,Orbis Prag 1960, Seite 712 Miroslav Karny et.alt., Protekoratnipolitika Reinharda Heydricha, Tisko-va, edicni a propagacni sluzba, Prag1991

    3 „Jedenfalls ist die Gefahr seitens desTschechentums....gänzlich überwun-den. Heydrich operiert erfolgreich. Erspielt mit den Tschechen Katz undMaus, und sie schlucken alles, was erihnen vorlegt....“ aus Goebbels’ Tage-buchaufzeichnungen von 15.2.1942 in:Karny, S. 227f4 Karny, S. 85 Hellmut Haasis, Tod in Prag, DasAttentat auf Reinhard Heydrich,Rowohlt, Reinbek bei Hamburg, 2002,S. 46, 606 Karny, S. 957 Karny, S. 1398 Karny, S. 919 Michal Burian, Ales Knizek, JiriRajlich, Eduard Stehlik, MinisterstvoObrany CR (Verteidigungsministeri-um der Tschechischen Republik)-AVIS(Hrsg.) Atentat – Operace Anthropoid1941-1942, Prag 2002, S. 2410 Karny, S. 12511 Gespräche der Verfasserin mit Edu-ard Stehlik12 Karny, S. 282, Abbildung 5 (Faksimi-le)13 Im August 1942 wurde Otto Thie-rack Reichsjustizminister, sein Nach-folger beim Volksgerichtshof wurdeRoland Freisler.14 Karny, S. 92, 97, 111f15 Karny, S. 185f, 19416 Ministerstvo Obrany (MNO) CR –AVIS, S. 2517 ON: Obrana Naroda/Verteidigungder Nation; in deutschen Texten wirddiese Widerstandsgruppe oft mit„Nationale Verteidigung“ übersetzt,was „Narodni Obrana“, also NObedeuten würde. Relevant jedenfallsist, dass die ON in den NS-Aktenoffenbar durchgehend als „die Mili-tärorganisation“ bezeichnet wird.18 heute Standort des Prager Flugha-fens19 Ministerstvo Obrany CR-AVIS, S. 26sowie Gespräche d. Verf. mit E. Stehlik20 Karny 153f, 290 mit Abb. 13 (Faksi-mile)21 Karny, S.129ff. Zu „Zigeuner“ auch:Miroslava Benesova, Vojtech Blodig,Marek Poloncarz (Petr Liebl), Die Klei-ne Festung Theresienstadt“ 1940 –1945, Gedenkstätte Theresienstadt/

    Pamatnik Terezin, 1996, S. 1222 Lety stand in letzter Zeit untermassiver Kritik auch aus dem Aus-land: Anstelle zumindest einerGedenktafel o.ä. am Standort des NS-Zigeunerlagers befindet sich ebendorteine Schweinemast eines Privatbetrei-bers.23 Karny, S 207.24 Karny, S. 23225 Karny, S. 32f und Karny in: Benzet.alt. (Hg.), Enzyklopädie des Natio-nalsozialismus, Stuttgart 1997, S. 656f26 Zu Theresienstadt siehe ausführ-licher Bericht d. Verf. in „betrifftwiderstand“ 53/07/2001 S 6ff27 Karny, S. 19528 Malerische Kleinstadt amZusammenfluss von Moldau und Elbe29 Ministerstvo Obrany CR-AVIS, S.51, 56, 59 sowie Gespräche der Verf.mit E. Stehlik30 Karny, S. 20531 Karny, S. 22932 Miroslav Ivanov, Der Henker vonPrag, Das Attentat auf Heydrich, edi-tion q, Berlin 1993, S. 347ff33 NOF Narodni obec fasisticka –Nationale Faschistische Gemeinde34 Einer der führenden NOF-Männer,Dr. Jan Karlik, wurde 1944 inTheresienstadt („Kleine Festung“) alsWiderstandskämpfer hingerichtet.35 Ministerstvo Obrany CR-AVIS, S. 1336 Karny, S. 24637 Karny, S. 19738 Zu NOF, Vlajka, Emanuel Moravec,Gespräche d. Verf. mit E. Stehlik39 Karny, S. 20040 Karny, S. 211f41 Ministerstvo Obrany CR-AVIS, S. 5742 Ebenda, S. 5343 Karny, S. 26244 Karny, S. 192, SD-Bericht vom16.12.1941 und S. 236, SD-Bericht vom24.3.194245 Vaclav Kral, Die Deutschen in derTschechoslowakei 1933 – 1947, Prag1964, S. 472f bei Haasis, S. 4446 Haasis, S. 44

  • DAS „VERGESSENE“ STEIRISCHE KZ AUßENLAGERIM SCHLOSS LANNACHvon Heimo Halbrainer

    betrifft widerstand 14

    „Ich kann mich noch erinnern“,meinte 1970 die damals 85jährigeMaria Schwenk, „dass im LagerRavensbrück im März 1944 15 weibli-che Häftlinge ausgewählt wurden, diedann mit der Aufseherin Emma Raabenach Schloss Mittersill und SchlossLannach kamen. […] Wir musstenuns auf der Lagerstraße in Ravens-brück aufstellen, und dann suchte derKommandant die Leute aus. […] VonSchloss Mittersill aus kam ich mitnoch acht Häftlingen, es waren allesFrauen, nach Schloss Lannach.“1Maria Schwenk stammte aus derUmgebung von Konstanz(Deutschland), wo sie Mitglied derZeugen Jehovas war. Unmittelbarnach der Machtübernahme derNationalsozialisten in Deutsch-land 1933 setzte die Verfolgung die-ser Religionsgemeinschaft ein.2 ImErlass des Preußischen Innenmini-steriums zum Verbot der Vereini-gung heißt es: „Die Internationale Bibelforscher-vereinigung und die ihr angeschlosse-nen Nebenorganisationen betreiben inWort und Schrift unter dem Deck-mantel angeblich wissenschaftlicherBibelforschung eine unverkennbareHetze gegen die staatlichen und kirch-lichen Einrichtungen. Indem sie beideals Organe des Satans bezeichnen,untergraben sie die Grundpfeiler völ-kischen Gemeinschaftslebens. […]Zur Aufrechterhaltung der öffent-lichen Ordnung und Sicherheit istdaher ihre Auflösung zum Schutzevon Volk und Staat geboten.“3Mitglieder der Zeugen Jehovaswurden in der Folge in „Schutz-haft“ genommen. Männer, die denWehrdienst verweigerten, wurdenab 1939 zum Tode verurteilt undhingerichtet. Maria Schwenk wurde wegen ihrer

    religiösen Überzeugung imDezember 1939 in Konstanz verhaf-tet und ins Frauenkonzentrations-lager Ravensbrück überstellt, vonwo sie am 24. März 1944 per Bahnzuerst nach Mittersill und von dortweiter nach Lannach kam. Zu die-sem Zeitpunkt war sie bereits 59Jahre alt. Andere Lannacher Häft-

    lingsfrauen hatten ähnliche Bio-grafien und Wege hinter sich.

    Waren die Nationalsozialistenanfangs bestrebt, die „Bibelfor-scher“, wie die Zeugen Jehovasgenannt wurden, durch Abschwö-ren von ihrem Glauben „umzuer-ziehen“, so sollte sich dies mit der

    Aufstellung der in Mittersill eingetroffenen FrauenQuelle: Archiv Museum Mauthausen

  • KZ AUßENLAGER LANNACH

    15 betrifft widerstand

    Fortdauer des Krieges ändern. DieNationalsozialisten erkannten inden Bibelforschern „treue“Arbeitssklaven, die anders alsandere KZ-Häftlinge im Zwangsar-beitssystem nicht an Flucht oderSabotage dachten. So meinte etwaHeinrich Himmler 1943 in einemBrief an den Leiter des SS-Wirt-schaftsverwaltungshauptamtesund damit Herr über die Arbeits-sklaven in den Konzentrationsla-gern, SS-Standartenführer OswaldPohl: „Ich ersuche den Einsatz der Bibelfor-scher und Bibelforscherinnen in derRichtung zu lenken, dass sie alle inArbeiten kommen – in der Landwirt-schaft z.B. –, bei denen sie mit Kriegund allen ihren Tollpunkten nichts zutun haben. Hierbei kann man sie beirichtigem Einsatz ohne Aufsicht las-sen; sie werden nie weglaufen. Mankann ihnen selbständige Aufträgegeben, sie werden die besten Verwalterund Arbeiter sein.“4

    Schloss Lannach wurde im Juli1943 vom Verein Ahnenerbe gepach-tet.5 Diese vom Reichsführer SSHeinrich Himmler, Richard WalterDarré und Hermann Wirth 1937gegründete Forschungsgemein-schaft war ursprünglich für dasStudium der germanischen Vorge-schichte und der deutschen Volks-kunde konzipiert worden, wandtesich aber bald schon der kriegsbe-dingten „Forschung“ zu undumfasste rund vierzig Abteilun-gen. So betrieben etwa SS-Ärzteim Rahmen des Ahnenerbe-InstitutsWehrwissenschaftliche Zweckfor-schung Menschenversuche in denKonzentrationslagern Dachau oderNatzweiler.6Eine Abteilung der Forschungsein-richtung Ahnenerbe war das 1943gegründete Sven Hedin Institut fürInnerasienforschung, das 1943 inMittersill angesiedelt wurde unddessen Aufgabe es war, geeignetePflanzensorten für den Anbau ineroberten und klimatisch wenig

    begünstigten Gebieten zu züchten.Das unter der wissenschaftlichenLeitung des in Jena habilitiertenBotaniker Heinz Brücher stehendeInstitut nutzte die großen land-wirtschaftlichen Flächen Lannachsfür Testzwecke, wo 1944 Ölpflan-zen und Getreide aus Tibet und derSowjetunion angebaut wurde.7

    Da es ab dem Jahr 1942 zu einemArbeitskräftemangel in der aufHochtouren laufenden Rüstungs-industrie kam und zudem durchdie militärischen RückschlägeSchwierigkeiten bei der „Rekrutie-rung“ ausländischer Arbeitskräfteentstanden, waren KZ-Häftlingebald die letzten verfügbarenArbeitskräftereserven des DrittenReiches, was dazu führte, dass eineVielzahl von KZ-Außenlagernerrichtet wurden. Zwei von denrund siebzig Außenlagern des KZRavensbrück wurden auch in derdamaligen „Ostmark“, in St. Lam-brecht (Steiermark) und Mittersill(Salzburg), das wiederum eineAußenstelle in Lannach in derSteiermark hatte, errichtet.8Dass in beiden Lagern nur Bibel-forscherinnen interniert wurden,dürfte seinen Grund vor allemdarin gehabt haben, dass – wie vonHeinrich Himmler vorgeschlagen– diese für landwirtschaftlicheArbeiten ohne große Aufsicht ver-wendet werden konnten. So istetwa überliefert, dass die SS-Auf-seherin in Lannach bald abberufenwurde, ohne dass ihre Stelle nach-besetzt worden wäre.9 Auch in St.Lambrecht war lediglich eine SS-Aufseherin anwesend, die eher for-male Aufgaben erfüllte.10 Dasführt auch dazu, dass von denHäftlingsfrauen die Außenlager St.Lambrecht und Lannach – wo esneben besserer Verpflegung auchkeine Misshandlungen gab – imVergleich zum StammlagerRavensbrück als positiv bewertetwurden. So berichtete die ausPforzheim stammende Bibelfor-

    scherin Ida Bartosch: „Die Häftlinge in Ravensbrück wur-den allgemein schlecht behandelt. Oftwurden sie mit Ochsenziemer miss-handelt. Ich persönlich habe 25 Stockhiebe bekommen und dannbekam ich einmal 25 Eimer eiskaltesWasser über den Leib gegossen. Da-raufhin wurde ich lange im Kranken-haus behandelt[…]. Für mich war eseine Erlösung, als ich von Ravens-brück nach Schloss Lannach überführtwurde. Dort mussten wir zwar schwerarbeiten, aber die Behandlung wargut.“11

    Die Arbeiten, die die neun ausDeutschland, Polen und Tsche-chien stammenden Häftlinge inLannach gemeinsam mit den sieb-zehn italienischen, englischen undrussischen Kriegsgefangenen ver-richten mussten, waren landwirt-schaftliche Tätigkeiten aber auchArbeiten im Labor.

    Als in den letzten Wochen dernationalsozialistischen Herrschaftallerorts Spuren beseitigt wurdenund die großen KZ Außenlager inder Steiermark (Peggau, Aflenzund Eisenerz)12 aufgelöst und dieHäftlinge in Märschen nach Maut-hausen evakuiert wurden, bliebendie beiden Frauenlager, die seitdem 15. September 1944 unter derVerwaltung des KZ Mauthausenstanden, weiter bestehen. Erst alsdie Rote Armee am 9. Mai 1945Lannach erreichte, war – wieMaria Schwenk berichtete – auchfür sie die nationalsozialistischeHerrschaft zu Ende. „Als die Russen auf das Schlosskamen, wurden wir freigelassen. Wirhatten eine Frau aus Regensburg, dierussisch sprach. Sie erklärte, wir seienals Zeugen Jehovas Häftlinge. Die Rus-sen ließen uns gehen. Dann sind wiralle nach Mauthausen. […] In diesemLager haben wir noch einige Wochenauf die Entlassungspapieregewartet.“13

  • KZ AUßENLAGER LANNACH

    betrifft widerstand 16

    Nachgeschichte: Während die KZ-Häftlinge in ihre Heimat zurück-kehrten, ging der Leiter des Lan-nacher Instituts, Heinz Brücher,nach Argentinien, wo er Professorfür Pflanzengenetik wurde.Anfang der 1970er Jahre ermitteltedie Zentrale Stelle der Landesju-stizverwaltungen in Ludwigsburgwegen NS-Verbrechen in denAußenlagern Mittersill und Lan-nach. Da keine der damals nochlebenden Häftlingsfrauen Zeugineines Tötungsverbrechens gewor-

    den war, wurden die Ermittlungenbereits Mitte des Jahres 1971 wiedereingestellt. 1947 wurde im Schlossdie „Lannacher HeilmittelGesmbH“ gegründet, deren Mehr-heitsanteile 1966 von Leopold undHannelore Bartenstein übernom-men wurden. Im Jahr 1980 über-nahm deren Sohn, Martin Barten-stein, die Geschäftsführung.14Dass im Schloss einst ein Außenla-ger bestanden hat, wurde „verges-sen“. 1966 war das Wissen um die-sen Teil der Geschichte des Schlos-ses in Lannach aber noch vorhan-den. Dies zeigt ein Schreiben derBezirkshauptmannschaft Deutsch-landsberg an das InternationaleRote Kreuz, wo festgehalten

    wurde, dass „vom Jahre 1944 biszum Kriegsende (Mai 1945) etwa 10weibliche Häftlinge zu Arbeitenauf den landwirtschaftlichen Lie-genschaften […] eingesetztwaren.“

    ANMERKUNGEN

    1 Zeugenaussage Maria Schwenk vordem Kriminalkommissariat Konstanzvom 30. April 1970.2 Allgemein dazu: Detlev Garbe, Zwi-schen Widerstand und Martyrium.

    Die Zeugen Jehovas im „DrittenReich“, München 1999; Hans Hesse /Jürgen Harder, „… und wenn ichlebenslang in einem KZ bleiben müs-ste …“ Die Zeuginnen Jehovas in denFrauenkonzentrationslagern Morin-gen, Lichtenburg und Ravensbrück,Essen 2001.3 Franz Zürcher, Kreuzzug gegen dasChristentum, Zürich / New York 1938,S. 75 - 77, zitiert nach Anita Farkas,Geschichte(n) ins Leben holen. DieBibelforscherinnen des Frauenkonzen-trationslagers St. Lambrecht, Graz2004, S. 24.4 Faksimile des Briefes vom 6. Jänner1943 in: Farkas, Geschichte(n) insLeben holen, S. 34f.5 Bertrand Perz, Lannach, in: Wolf-gang Benz / Barbara Distel (Hrsg.), DerOrt des Terrors [im Druck]. Der Text

    wurde mir von Bertrand Perz freundli-cherweise zur Verfügung gestellt.6 Allgemein: Michael H. Kater, Das„Ahnenerbe“ der SS 1935-1945. EinBeitrag zur Kulturpolitik des DrittenReiches, Stuttgart 1974; WolfgangBenz, Das Konzentrationslager alsExperimentierfeld oder: Die Karrieredes Dr. med. Sigmund Rascher, in:Wolfgang Benz, Herrschaft undGesellschaft im nationalsozialisti-schen Staat, Frankfurt/Main 1990, S. 83-111.7 Zu Brücher: Uwe Hossfeld / Carl-Gustav Thornström, „Rasches Zupak-ken“. Heinz Brücher und das botani-sche Sammelkommando der SS nachRussland, in: Susanne Heim (Hrsg.),Autarkie und Ostexpansion. Pflanzen-zucht und Agrarforschung im Natio-nalsozialismus, Göttingen 2002, S. 119-144.8 Dazu: Andreas Baumgartner, Dievergessenen Frauen von Mauthausen.Die weiblichen Häftlinge des Konzen-trationslagers Mauthausen und ihreGeschichte, Wien 1997, S.127ff.9 Zeugenaussage Maria Schwenk vordem Kriminalkommissariat Konstanzvom 30. April 1970.10 Farkas, Geschichte(n) ins Lebenholen, S. 101ff.11 Zeugenaussage Ida Bartosch bei derKriminalpolizei in Köln am 17. Juli 1970.12 Dazu: Anita Farkas, „Sag mir, werdie Toten sind! Personalisierung desOpfergedenkens am Beispiel der NS-Opfer von Peggau, Klagenfurt 2002;Heimo Halbrainer, „Das hätten sichdie SS-Schergen nicht träumen las-sen“ – Terror und Erinnerung in Peg-gau, in: korso 9(2006), Nr.3, S. 12.13 Zeugenaussage Maria Schwenk vordem Kriminalkommissariat Konstanzvom 30. April 1970.14 http://www.lannach.at/php_texte.php?kat=schloss (download 14.04.2006)15 Schreiben der BH Deutschlands-berg an das Komitee des internationa-len Roten Kreuzes / InternationalerSuchdienst Arolsen vom 21. März 1966.

    (Heimo Halbrainer, Mag.,geb. 1963,arbeitet als Historiker und Obmannvon CLIO- Verein für Geschichts - undBildungsarbeit in Graz.)

    Lucie Schramm, ehemalige Inhaftierte in Lannach (rechts)Quelle: Wachtturmgesellschaft Geschichtsarchiv Selters, Deutschland

  • ITALIENISCHE HÄFTLINGE IM KZ EBENSEEStatistik und Interpretation

    von Wolfgang Quatember

    17 betrifft widerstand

    Seit mehreren Jahren werden inder KZ-Gedenkstätte EbenseeHäftlingsdaten in einer „ACCESS-Datenbank“ erfasst. Eingegebenwerden Name, Vorname, Häft-lingsnummer, Häftlingskategorie,Nationalität, Geburtsort, Geburts-datum, Todesdatum, Beruf, Quelleund ein Feld „Anmerkungen“ fürdiverse Zusatzinformationen. Beizahlreichen Datenblättern sind dieAngaben unvollständig. Oft fehlenGeburtsdaten, Häftlingsnummer,Geburtsorte etc. Eine absoluteVollständigkeit wird nicht erreich-bar sein. Die Datenbank1 mit derzeit 23.918

    eingetragenen Namen basiert aufPrimär- und disparaten Sekundär-quellen (siehe Anhang). DieGesamtzahl aller im KZ Ebenseezwischen November 1943 und Mai1945 registrierten Häftlinge liegtlaut Lagerstandsbuch bei rund26.500, sodass also bislang etwa 90Prozent aller Häftlinge erfasst wer-

    den konnten. Im Zeitraum vom18.11.1943 (1. Transport) und ein-schließlich 6.5.1945 (Befreiung)sind laut Datenbank 7.622 Opfererfasst. Zwischen 7.5.1945 und13.2.1946 (letztes registriertesOpfer im Spital Bad Goisern) wur-den 1.039 Opfer registriert. Für 179Opfer liegt kein Sterbedatum vor.Insgesamt ist laut Datenbank von8.840 Opfern auszugehen.Auf der Basis der Datenerfassungist es möglich, bestimmte Häft-lingsgruppen (Nationalität, Kateg-orien, Opfer, etc.) gesondert zuuntersuchen, Statistiken anzufer-tigen und Interpretationen anzu-

    stellen.Der folgende Bericht über italieni-sche Häftlinge im KZ Ebenseestützt sich auf die Auswertungaller bislang erfassten Daten.

    Die Gesamtzahl der im KZ Ebenseeerfassten Italiener beträgt derzeit1131 Personen. Bei rund 10 Eintra-

    gungen ist die Nationalität nichteindeutig zu klären. Obwohl diesein den Quellen als Italiener regi-striert sind, weisen ihre Geburts-orte auf eine andere nationale Her-kunft hin. Inwieweit ein Schreib-fehler in der Primärquelle bzw. einanderweitiger Hintergrund vor-liegt, konnte nicht recherchiertwerden. Weiters sind einige weni-ge Personen, die in italienischokkupierten Teilen des heutigenSlowenien und Kroatien (Istrien)lebten, als Italiener kategorisiert.83 griechische Juden aus dem bis1943 italienisch besetzten TeilenGriechenlands sind in den Primär-quellen ebenfalls als Italienergeführt. Alle wurden in der Stati-stik belassen. Eine Überprüfungder Einzelfälle wäre unmöglich,darüber hinaus erschien die Tatsa-che, dass diese Häftlinge in derLagerbürokratie als „Italiener“geführt wurden, für diese Studieals vorrangig.Der Anteil der italienischen Häft-linge an der Gesamtzahl allererfassten Häftlinge (23.918)beträgt somit rund 4,7 %. In derfrühen Phase des Lagers betrugder Anteil der italienischen Häft-linge zeitweilig rund 10% der Häft-lingsgesellschaft.

    HÄFTLINGSTRANSPORTE MITITALIENERN NACH EBENSEE

    Fast alle Häftlinge, die vomHauptlager in die Außenkomman-dos von Mauthausen weiterdepor-tiert wurden, durchliefen in Maut-hausen die Aufnahmeformalitä-ten, wurden also registriert underhielten in aufsteigender FolgeHäftlingsnummern. Bis zum19.2.1942 wurden Neuzugängen die

    Die Einweihung des italienischen Denkmals im ehemaligen KZ-Lager Ebensee am 4. Mai1948. Foto: Sammlung Lepetit, Archiv: ZGM

  • ITALIENISCHE HÄFTLINGE IM KZ EBENSEE

    betrifft widerstand 18

    freigewordenen Nummern vonverstorbenen, überstellten undentlassenen Häftlingen zugeteilt.Insgesamt wurden in Mauthausen139317 Nummern ausgegeben.2

    Die niedrigste Häftlingsnummern,die nachweislich ein Italiener imNebenlager Ebensee trug, war25535 (Gino Pasotti, geboren inMassa Lombarda). Laut Matrikel-nummer wurde er im Unterschiedzu den meisten anderen Italienernbereits im März 1943 nach Maut-hausen deportiert.Die höchste Nummer, 137775, trugLuigi Coletta aus Acquarica(Lecce).Die überwiegende Anzahl von Ita-lienern kam in der ersten Hälftedes Jahres 1944 mit zwei großenTransportwellen (Jänner/Februar1944 und März/April 1944)vonMauthausen nach Ebensee.Am 28.1.1944 bzw. am 7.2.1944 wur-den Italiener unter den Nummern40203 – 42320 in Mauthausen regi-striert und 192 von ihnen nachEbensee weiterdeportiert. 389 italienische Häftlinge mit denNummern zwischen 56885 – 57638erreichten am 25.3.1945 und zumTeil auch noch am 9.4. 1944 dasLager Ebensee, die übrigen imSommer und Herbst 1944. Diejüdischen Häftlinge, die bis zudessen Evakuierung im Konzentra-tionslager Auschwitz-Birkenaugewesen waren, kamen Ende Jän-ner 1945 nach Mauthausen und inder Folge nach Ebensee.

    HÄFTLINGSKATEGORIEN DERITALIENER IN

    MAUTHAUSEN/EBENSEE:

    AZR („Arbeitszwang Reich“)3 2BV („Befristeter Vorbeugungs-häftling“)4 27Geistlicher 1Juden 101„Rotspanier“ („Interbrigadist“) 1(geboren in Almeria/Spanien)Politischer Häftling 931Kategorie unbekannt 68

    Überwiegend waren die italieni-schen Häftlinge in Ebensee als„Schutzhäftlinge“ bzw. „PolitischeHäftlinge“ kategorisiert. In der Lagerhierarchie rangiertensie in den ersten Monaten mit denrussischen und polnischen Häft-lingen an unterster Stelle (sieheKapitel „Mortalität“).

    ITALIENISCHE JUDEN IMLAGER EBENSEE

    101 jüdische Häftlinge italieni-scher Nationalität waren im LagerEbensee nachweislich inhaftiert.Ein Großteil (83 Personen) kamjedoch aus Griechenland, vorallem aus Rhodos. Ab 4.5.1912besetzten italienische Truppen u.a.die Insel Rhodos. Rund 30 Jahrespäter, am 11.9.1943 nahm die deut-sche Wehrmacht die Insel ein undca. 1700 Juden, die als italienischeBürger galten, wurden nachAuschwitz deportiert. Alle italieni-schen Juden ab der Häftlingsnum-mer 119541 erreichten im Zuge derEvakuierung von Auschwitz am25.1.1945 das KZ Mauthausen undeinige in der Folge am 29.1.1945Ebensee. Weitere kamen in dasAußenlager Melk und erst im April1945, nach der Auflösung von Melknach Ebensee.

    Davon in Ebensee gestorben 72Davon Überlebende: 29Mortalität: 71 %

    Herkunft von jüdischen Häftlin-gen aus dem heutigen italieni-schen Staatsgebiet (ohne griechi-sche Juden): Rom 10, Ferrara 2, jew. 1 aus Nea-pel, Triest, Florenz, Venedig, Ales-sandria, Turin, Asti, Rivarolo,Norma

    ALTERSSTRUKTUR DER ITA-LIENER IN EBENSEE

    Die jüngsten Italiener in Ebenseewaren neben dem griechischenJuden Vittorio Hassan, geboren

    am 16.09. 1929 (15 Jahre), SaffoMorelli aus Empoli und GugliemoMattiozzi aus Rom, beide ebenfallsJahrgang 1929. Der Älteste warLorenzo Cinotti aus Limite, gebo-ren am 10.08. 1868.110 italienische Häftlinge warenim Jahr 1945 jünger als 20 Jahre.126 waren älter als 50 Jahre alt.Das durchschnittliche Alter deritalienischen Häftlinge betrug:

    Opfer 34,4 JahreÜberlebende 33,4 Jahre

    Ob ein Häftling im Lager Ebenseeüberleben konnte, hing also, wieam Fallbeispiel italienischer Häft-linge gezeigt werden kann, offen-sichtlich nicht primär vom Alterab, sondern ist auf andere Umstän-de vor allem auf die Stellung in derLagerhierarchie zurückzuführen.

    MORTALITÄT ITALIENISCHERHÄFTLINGE IM LAGER

    EBENSEE

    603 italienische Bürger d.i. 53 %aller Italiener, kamen in Ebenseeim Zeitraum von Jänner 1944 bisJuli 19455 ums Leben.Nach der Befreiung im Mai 1945Verstorbene sind in dieser Statistikinkludiert, da mit großer Wahr-scheinlichkeit anzunehmen ist,dass sie an den Folgen der Lager-haft gestorben sind.Zahlreiche schwache, kranke undsomit arbeitsunfähige Häftlingewurden während der gesamtenBestandszeit des KZ Ebensee in das„Sanitätslager“ des Lagers Maut-hausen rücktransportiert. Berück-sichtigt man diese Rücktransporteund die andernorts verstorbenenitalienischen Häftlinge, so erhöhtsich die Zahl der italienischenOpfer um weitere 114 Personen.Demzufolge wurden mindestens160 Italiener von Ebensee nachMauthausen in das Hauptlagerrücktransportiert – 54 von ihnenstarben in Mauthausen selbst, 58in der ursprünglich für die Tötung

  • ITALIENISCHE HÄFTLINGE IM KZ EBENSEE

    19 betrifft widerstand

    behinderter Menschen (T4) errich-teten „Euthanasieanstalt“ Hart-heim (14f13), mindestens ein Italie-ner, der ursprünglich in Ebenseeinhaftiert war, starb im KZ Gusen,mindestens einer in Melk.6 Somiterhöht sich die Zahl der italieni-schen Opfer, in Bezug zur Gesamt-zahl aller im Lager Ebensee regi-strierten Italiener auf 717 (von 1131= 63,4%)

    Überlebende: 414 Opfer: 717(603 gest. in Ebensee) 1.131

    Die Mortalität der Italiener derersten Transportwelle (Jänner undFebruar 1944) ist im Vergleich mitanderen nationalen Gruppen sehrhoch, jedoch trotzdem deutlichgeringer, als die des folgendenTransportes vom 25.3. 1944 undspäterer. Von 192 Italienern derersten Transportwelle starben 80

    (=41,6%). Von 389 Häftlingen desTransportes vom 25.3.1944 starben213 (54,8 %).

    Der italienische Überlebende ItaloTibaldi, selbst im ersten Transportnach Mauthausen/Ebensee,begründet aus persönlicher Sichtdie geringere Sterblichkeit derHäftlinge des früheren Transpor-tes mit dem Argument, dass siegroßteils organisierten Partisanen-verbänden angehört hatten, diepolitisch bewusst und erfahrenwaren und mit ihrer Verhaftunggerechnet hatten. Die nächsten Transporte umfas-sten Verhaftete nach den Streikak-tionen in der Toskana im März1944. Die Menschen, so Tibaldi,7seien politisch unerfahren und aufdie Haftbedingungen absolutunvorbereitet und ihnen in gerin-gerem Maß gewachsen gewesen.

    STERBLICHKEIT DER ITALIE-NER NACH MONATEN IN

    BEZUG ZUR GESAMTEN MOR-TALITÄT

    Monat Gesamte ItalienischeOpferzahl Opfer

    02/44 17 303/44 76 1104/44 148 2705/44 209 5806/44 75 1107/44 17 308/44 30 109/44 24 210/44 57 611/44 155 912/44 269 1801/45 343 2202/45 705 5803/45 1852 8404/45 4547 19005/45 6706/45 907/45 3

    Gesamt 582

    Bei 21 Opfern ist das Sterbedatumunbekannt (ital. ges. 603).

    MORTALITÄT IM ZEITRAUMMAI 1944

    Im Mai 1944 waren durchschnitt-lich 4950 Häftlinge im Lager. 209 Opfer im Mai 44 bedeuten,dass gemessen an der Gesamtzahlder im Lager befindlichen Häftlin-ge, 4,22 % ums Leben kamen. Mehrals 27% der Opfer (58) sind Italie-ner, obwohl sich in diesem Zei-traum nur rund 10 % italienischeHäftlinge im Lager befanden.(siehe Diagramme S. 8).Im Verhältnis dazu kamen im Zei-traum Mai 1944 von rund 250 imLager befindlichen Franzosen„nur“ 4 Häftlinge ums Leben.Die ungemein hohe Mortalität imMai 1944 liegt mit hoher Wahr-scheinlichkeit in der Stellung derItaliener in der Lagerhierarchiebegründet. Roberto Castellani (Überlebender ausPrato): „Eine andere große Tragödie

    Liste mit Namen jüdischer Häftlinge aus Italien, die am 6. Mai 1945 im KZ Ebenseebefreit wurden. In der rechten Spalte werden die Geburtsorte genannt.

    Quelle: Sammlung Lepetit, Archiv ZGM

  • ITALIENISCHE HÄFTLINGE IM KZ EBENSEE

    betrifft widerstand 20

    für uns Italiener war, dass wir nichtgut angesehen waren, da wir gegenalle Krieg geführt hatten.“8

    Leider liegen hinsichtlich der ita-lienischen Opfer keine Vergleichs-zahlen zu anderen KZ-Lagern vor,um diese These zu bestätigen. DieItaliener wurden nach AussagenÜberlebender sowohl von derLager SS als auch von den Mithäft-lingen schlecht behandelt undvielfach ausgegrenzt. Bedingtdurch den Waffenstillstand Mar-schall Pietro Badoglios mit denAlliierten am 8.9.1943 waren die imFrühjahr 1944 in die KZ Lagerdeportierten Italiener in besonde-rem Maße den Repressionen derLager SS ausgesetzt. Die SS ver-wendete den Begriff „Verräter“,Bezug nehmend auf die Kapitula-tion Italiens. Die Italiener erhiel-ten sehr oft die schlechtestenArbeitskommandos. Gaetano deMartino schreibt in seinem Zeu-genbericht von der oft willkür-lichen Behandlung der Italienerdurch die Lager- SS im NebenlagerEbensee:

    „Speziell am Anfang bei unsererAnkunft wurden wir Italiener als Ver-räter besonders gequält. Sie fuhrenuns mit dem Namen Badoglios an. Espassierte oft, dass uns ein SS-Soldatrief: ‚Du, Badoglio’, man ging zu ihmhin und dieser tobte sich grundlos miteinem Hagel Tritte und Fausthiebe anuns aus; dann schickte er uns wiederarbeiten.“9

    Selbst unter den Mithäftlingenwaren viele politisch organisierteHäftlinge nicht bereit, die Italienerzu akzeptieren. Der unhaltbareVorwurf, sie seien Faschisten,stand permanent im Raum.„Leider begegneten viele Spanier mei-nen italienischen Kameraden nichtmit Sympathie und Herzlichkeit. Siebeschuldigten uns, Faschisten zu sein,und ließen sich bisweilen zu böswilli-gen Bemerkungen in bildhaftem Kata-lanisch hinreißen. Sie konnten näm-lich nicht vergessen, dass das Franco-

    Regime, auf das ihr Exil in Frankreichund die spätere Deportation nachDeutschland zurückzuführen war,sich nicht zuletzt dank der Interven-tion der faschistischen BatailloneMussolinis in Spanien hatte durchset-zen können.“10

    Italiener waren, soweit bekannt,mit wenigen Ausnahmen nicht im„Illegalen Lagerkomitee“ inte-griert.Es existieren Aussagen11, dass Mit-häftlinge italienischen Häftlingenmisstrauten und ihnen deswegenSolidaritätsbeweise abverlangthaben sollen. So dürfte etwa dertödlich verlaufene Fluchtversuchdes jungen Italieners Danilo Ver-onesi aufgrund einer solchenAnordnung des illegalen Lagerko-mitees erfolgt sein.12

    Anfang Juni 1944 traf ein großerTransport mit ungarischen Judenaus Auschwitz ein. Die Juden nah-men nunmehr die Stelle der Italie-ner an der untersten Stufe der Hie-rarchie ein, sodass sich dieLebensbedingungen der Italienerim Lager besserten.

    Die allgemein hohe Mortalität,auch der Italiener, im Frühjahr1945 hängt mit den schlechtenBedingungen im Lager zusammen(Überbelegung, Nahrungsmittel-mangel, Krankheiten).

    BERUFSSTRUKTUR UND STEL-LUNG DER ITALIENISCHENHÄFTLINGE IN DER LAGER-

    HIERARCHIE

    Auffallend ist, dass Italiener nur inganz wenigen Ausnahmen alsFunktionshäftlinge oder aber auchals Häftlingsfacharbeiter einge-setzt waren und somit an den rela-tiven „Privilegien“ dieser Häft-lingsgruppen nicht partizipierenkonnten.13Überwiegend waren die italieni-schen Häftlinge hinsichtlich ihrerberuflichen Herkunft Arbeiter, vor

    allem aus der Textilindustrie, Bau-ern und Landarbeiter oder sieübten vor ihrer Verhaftunggewerbliche Berufe aus (Fleischer,Bäcker, Köche, Maler, Kaufleute,Glaser) darunter viele noch in Aus-bildung (Lehrlinge) stehend. Fach-arbeiterberufe, wie Mechaniker,Elektriker, Maurer, Zimmerer undBaufachleute waren unterreprä-sentiert. Aus den erhaltenenTransportlisten, in welchen dieHäftlinge in Fach- und Hilfsarbei-ter getrennt aufgelistet wurden,geht hervor, dass nur 30 Italienernaufgrund ihres zivilen Berufes(Mineur, Maurer, Schmied, Bauin-genieur, Zimmermann, Architekt,Elektriker, Kranführer) die Qualifi-kation als Facharbeiter zuerkanntwurde. Aber selbst von diesen 30als Facharbeiter eingestuften Ita-lienern überlebten nur 9 die Lager-haft. Wie oben erwähnt, blieb den Ita-lienern der Aufstieg in die „Lager-prominenz“ weitgehend verwehrt.Eine der wenigen Ausnahmen warder Jurist Franco Ferrante, dernach eigenen Angaben einen Blockschreiberposten innehatte14.Eine Prämienliste für den Zei-traum 26. März bis 1. April 1945zeigt, dass im Gegensatz zu Deut-schen, Österreichern, Tschechen,Polen, Spaniern und Franzosenzumindest in dieser Phase kein Ita-liener die Funktionen eines Blok-kältesten, Lager- oder Blockschrei-bers innehatte.15

    QUELLENLAGE UND QUELLEN-KRITIK

    Die Datenbank der KZ-Gedenkstät-te Ebensee basiert auf jahrelangerForschungs- und Sammlungstätig-keit des Wiener Historikers Dr.Florian Freund und wurde seitensder Gedenkstättenmitarbeiterergänzt und erweitert. Die zurErstellung der Datenbank herange-zogenen Quellen sind Original-sowie diverse mehr oder minderfundierte Sekundärquellen.

  • ITALIENISCHE HÄFTLINGE IM KZ EBENSEE

    21 betrifft widerstand

    Wesentliches Moment der Häft-lingsdatenbank ist, dass sie perso-nenzentriert angelegt ist und mög-lichst viele Angaben zu Überleben-den und Opfern des Lagers Eben-see zu eruieren versucht. Diesdient in erster Linie der Beantwor-tung von Anfragen nach Haftdatenseitens Überlebender oder Ange-höriger von Opfern.Die Primärquellen wurden inerster Linie in den Lagerschreib-stuben und in der SS-Verwaltungder Lager Mauthausen und Eben-see produziert. Sekundärquellenreichen von namentlichen Aufstel-lungen nationaler Häftlingskomi-tees der Nachkriegszeit bis hin zu

    Korrespondenz mit Überlebendenund mündlichen Auskünften. Vorallem bei Verwendung von Sekun-därquellen besteht die Gefahr derÜbernahme ungenauer Angaben.Die Quellenhierarchie, die Beurtei-lung der Quellen und eine Ent-scheidungsfindung für die jeweilsangemessene Quelle bedürfen injedem Fall der Diskussion.Probleme bei der Verifizierung derDaten entstehen vor allem dann,wenn über Personen unterschiedli-che Informationen vorliegen(Haftnummern, Schreibweise derNamen etc.). Da sich bis zurGegenwart in zahlreichen Fällendurch die Gründung neuer Staaten

    und Grenzverschiebungendie „nationale Zugehörig-keit“ der Häftlinge verän-dert hat16, ist auch einenationale Zuordnung oft-mals problematisch undkann Gefühle von Men-schen verletzen.Eine Häftlingsdatenbankwird immer der Status des„Projekts“ anhaften.

    Primärquellen

    - Lagerstandsbuch mitTotenbuch von Ebensee(bis März 1945), geführt vonden Lagerschreibern (Int.RK Arolsen, zahlreicheKopien in diversen Archi-ven) Im Lagerstandsbuch befin-det sich eine zahlen- unddatumsbezogene Erfassungaller Transporte zwischen18.11.1943 und 5.Mai 1945nach Ebensee und vonEbensee in andere Lager,Verbrennungen (sic!), Rücktransporte von Opfernund Lebenden nach Maut-hausen (San. Lager) unddokumentiert den absolu-ten Lagerstand zum jeweili-gen Zeitpunkt.

    - Die Transportlisten vonMauthausen nach Ebensee

    und Überstellungen von Ebenseein andere Lager sind im Archiv derGedenkstätte Ebensee unvollstän-dig vorhanden. Es fehlen Aufstel-lungen über große Transporte (abJänner 1945); etwa die Transportli-sten von Wolfsberg /Gr. Rosen)und Melk nach Ebensee mit rund9.000 Häftlinge sind nicht vorhan-den.- Das Häftlingszugangsbuch desKZ Mauthausen, Opfer aus denAußenkommandos wurden ausge-strichen und mit Vermerken (Kom-mando, Todesdatum) versehen;Datenbank Archiv KLM (ArchivMuseum Mauthausen)

  • ITALIENISCHE HÄFTLINGE IM KZ EBENSEE

    betrifft widerstand 22

    - Todesmeldungen und Verän-derungsmeldungen der Lager-schreibstube Ebensee nach Maut-hausen (Originale z. T. Yad Vas-hem, Archiv Muzej Narodke Revo-lucije Zagreb, Instytut PamieciNarodowej Warschau, ArchivMuseum Mauthausen, USHMM

    - Registrierungslisten der US-Army, Military Government ofGermany (NA Washington), Zahl-reiche Listen mit Opfern- undÜberlebenden nach Nationalitätengeordnet (NA Washington)

    - Prämienliste für Lagerperso-nal, Lagerälteste, Blockälteste,Schreiber v. März/April 1945 (Archiv Museum Mauthausen)

    - Listen und Registrierungskar-ten des Polnischen Komitees inEbensee, (nur Polen), 99 % allerpolnischen Überlebenden undOpfer sind enthalten (Archiv KZGedenkstätte Ebensee)

    - Sammlung Hilda Lepetit (Mil-ano), diverse Listen und Fotos(Archiv KZ- Gedenkstätte Ebensee)

    - Französischer Exhumierungs-bericht vom 5.4.1954 aus demMassengrab, Verlegung der Opfer des 1. KZ-Friedhofs, Verle-gung von KZ-Opfern, die auf ande-ren Friedhöfen bestattet wurden(Goisern, Ischl, Schönau, …) und1952 in Ebensee wieder bestattetwurden

    - Vom Standesamt Ebensee beur-kundete Sterbefälle, Marktge-meinde Ebensee, Meldekarteien

    - Liste mit SS-Personal (nur füh-rende Funktionen), AufstellungBarta

    - Prozessakten LagerführerAnton Ganz (StA München), Pro-zessakten US vs. Geiger et.alt..sowie weitere Prozesse gegenEbenseer SS-Lagerpersonal (Dach-

    auer Mauthausenprozesse), Pro-zessakten Gogl (LG Linz und LGWien)

    - Ca. 300 Fotos, US Signal Corps(NA Washington, USHMM, YadVashem), Privatfotos,

    - Filme: US Signal Corps (SWStummfilme), ca. 7 minArthur Zegart Collection, Farbe

    ca. 10 min (World Center for Jew-ish Film, Brandeis University,Massachusetts.)

    - Ca. 20 Videointerviews undschriftliche Aussagen von Überle-bendenInterviews mit der BevölkerungEbenseesDokumentationen zur Geschichteder Gedenkstätte

    ANMERKUNGEN

    1 Micha Sengschmid, Projekt „Häft-lingserfassung“ In: betrifft wider-stand, Folge 77/06/2006, S. 20ff.2 Hans Marsálek, Die Geschichte desKonzentrationslagers Mauthausen,Wien 1980, S. 127f3 Mit dem schwarzen Winkel mar-kiert, meist undifferenziert als „Aso-ziale“ bezeichnete Häftlinge.4 Befristete Vorbeugungshaft bezeich-net Häftlinge mit Vorstrafen wegenkrimineller Delikte5 Das Lager Ebensee wurde am 6. Mai1945 befreit. Trotzdem starben in spä-teren Monaten noch zahlreiche Häft-linge in Ebensee und in umliegendenLokalitäten. Bei Häftlingen, die bisAugust 1945 verstarben, werden dieFolgen der Lagerhaft als Todesursacheangenommen.6 Nachweise der Rücktransporte nachMauthausen und Todesdaten (Maut-hausen, Hartheim, Melk, Gusen)stammen aus einer Recherche in derDatenbank der KZ Gedenkstätte Maut-hausen, die uns freundlicherweise vonDr. Christian Dürr (Archiv Gedenkstä-te Mauthausen) zur Verfügung gestelltwurde.7 Interview Tibaldi bei einem Podi-

    umsgespäch am 6.5.2006 in Ebensee(Kinosaal)8 www.testimonianzedailager.rai.it/testimoni/pdf/test_45.pdf (3. Okto-ber 2006)9 De Martino, Gaetano, Dal carcere diSan Vittore ai lager tedeschi. Sotto lasferza nazifascista. Milano, 1955, S. 113Siehe auch: Sonja Mayr, “Man nanntemich mathausino…”. Italiener inMauthausen. Erinnerungstexte italie-nischer Mauthausenüberlebender In:betrifft widerstand, Folge 66/02/2004,S. 27ff10 Franco Ferrante, La giubba a stri-sce, Lomazzo 1997, Passagen zitiert in:Judith Moser-Kroiss, Andreas Schmol-ler (Hg.), Stimmen aus dem KZ Eben-see, Schriftenreihe des Vereines Zeit-geschichte Museum und KZ-Gedenk-stätte Ebensee (Band 1), Ebensee 2005,S. 13111 Hrovje Macanovic in seiner Zeugen-aussage beim Prozess gegen denLagerkommandant Anton Ganz inMemmingen12 Aussagen und biographische Anga-ben von Roberto Castellani In: MicheleDi Sabato, Il sacrificio di Prato sull’aradel Terzo Reich, Editrice Nuova For-tezza, Prato 1987, S. 183ff13 Eine Reihe von Firmen verteilte anHäftlingsfacharbeiter zusätzlicheEssensrationen, weil sie für die Erfül-lung von Bauaufgaben dringend benö-tigt wurden. Zur Bedeutung der Quali-fikation der Häftlinge siehe: FlorianFreund, Häftlingskategorie und Sterb-lichkeit in einem Außenlager des KZMauthausen In: Karin Orth und Chri-stoph Dieckmann (Hrsg.), Die natio-nalsozialistischen Konzentrationsla-ger. Entwicklung und Struktur, BandII, Wallstein Göttingen 1998, S. 874ff14 Franco Ferrante, La giubba a stri-sce, Lomazzo 1997, Passagen zitiert in:Judith Moser-Kroiss, Andreas Schmol-ler (Hg.), Stimmen aus dem KZ Eben-see, Schriftenreihe des Vereines Zeit-geschichte Museum und KZ-Gedenk-stätte Ebensee (Band 1), Ebensee 2005,S. 166f15 Muzej Narodke Revolucije Zagreb,Liste über zu zahlende Prämien16Nationale Kategorisierung der grie-chischen Juden als Italiener

  • DAS DP-CAMP EBENSEE UNTER VERWALTUNGDER UNRRA (TEAM 313)

    23 betrifft widerstand

    Die UNRRA1 wurde am 9. Novem-ber 1943 auf einer Konferenz, ander sich 44 Nationen beteiligt hat-ten, in Washington gegründet.Ihre Aufgabe war einerseits diewirtschaftliche Unterstützung derZivilbevölkerung in den Europäi-schen Staaten nach dem 2. Welt-krieg, andererseits jedoch dieBereitstellung materieller undmedizinischer Hilfe für die unteralliierter Kontrolle in den „Displa-ced Person Camps“ befindlichenÜberlebenden der NS-Verfolgungund anderer Flüchtlinge. Die Orga-nisierung einer raschen Rückfüh-rung in ihre Heimatländer standdabei im Vordergrund. Immerhinbefanden sich Ende 1945 rund205 0002 Displaced Persons inOberösterreich, in der MehrheitVolks- und Reichsdeutsche, die als„Ex-Enemys“ von der UNRRAHilfe ausgeschlossen blieben undden österreichischen Behördenüberantwortet wurden. DieUNRRA unterstand den jeweiligenalliierten militärischen Komman-deuren. 1947 wurden die Aufgabender UNRRA von der „InternationalRefugee Organisation“ (IRO) über-nommen.

    Bedingt durch die Existenz des KZ-Nebenlagers Ebensee, nach dessenBefreiung tausende Überlebendemedizinisch und materiell zu ver-sorgen waren, wurden auch imSalzkammergut zwei DP-Campseingerichtet, das DP Camp 400unter teilweiser Verwendung derInfrastruktur des ehemaligen Kon-zentrationslager Ebensee (einzweiter Lagerabschnitt im frühe-ren Lager der „Technischen Not-hilfe“ und „Organisation Todt“ ander Alten Traunstraße), ein zweites

    in Bad Ischl im Hotel „GoldenesKreuz“.

    Das UNRRA Team 313 unter derLeitung des früheren amerikani-schen Direktors der ClevelandHigh School, Bert E. Fenenga,erreichte am 30. August 1945 Eben-see3. Das erste Team bestand aus 12Zivilisten, 9 Männern und 3 Frau-en aus den USA, Kanada, Großbri-tannien, Frankreich und Holland.Das D.P. Camp 400 in Ebenseehatte in dieser ersten Phase einFassungsvermögen von 2500 Per-sonen. Einer ersten Wochenmel-dung vom 15. September 1945 istzu entnehmen, dass im Lager 2407Personen (darunter rund 570 Frau-en und 130 Kinder) untergebrachtwaren, mehrheitlich polnischeStaatsbürger sowie 140 Reichs-deutsche. 6 polnische Ärzte ausdem Lager sorgten für die medizi-nische Betreuung der Lagerinsas-sen. 129 Menschen mussten zurärztlichen Behandlung im polni-schen Spital (St. Josefshaus) unter-gebracht werden. Die Versorgungder DPs mit Lebensmitteln oblagden österreichischen Behörden, imBesonderen den Bezirksbehörden.Als „Eigentümer des Lagers“ fun-gierte bis November 1946 dieGemeinde Ebensee, ab diesemZeitpunkt die OÖ. Landesregie-rung („Amt für Umsiedlung“), die

    Lagerkosten wurden vom Konto„Reparationskosten“ finanziert.4

    Während die vom NS-Regime ver-folgten Personen rund 2000 Kalo-rien pro Tag erhalten sollten,waren für entwaffnete deutscheTruppenangehörige und die Zivil-bevölkerung anfangs nur 600-700Kalorien vorgesehen5. DieseAnordnungen erregten den Unmutder Bevölkerung, der sich in denSitzungsprotokollen des EbenseerGemeindeausschusses widerspie-gelte. Die Ebenseer Bevölkerungempfand ihre existentielle Situa-tion als ungerechtfertigt von derUS Militärverwaltung herbeige-führt. Bürgermeister Max Ziegerargumentierte folgendermaßen:„Es ist ein untragbarer Zustand,daß wieder ein Lager mit Ungarnerrichtet werden sollte. (…) Nurein geringer Prozentsatz der Ein-wohner Ebensees waren Mitgliederder NSDAP, so daß eigentlich wiralle das unschuldige Opfer von allden Gräueltaten sein müssen“6

    Ende Oktober 1945 verringerte sichdas Fassungsvermögen des Lagersauf 1500 Personen, weil lautBericht Bert Fenengas die Dächerzahlreicher Holzbaracken schad-haft waren7. Durchschnittlichbefanden sich laut Wochenmel-dungen im Winter 1945/46 zirka1250 Menschen im Lager Ebensee.

    Bis Jänner 1946 wurde in denWochenmeldungen des DP-Lagersnicht zwischen Juden und Nichtju-den unterschieden. Bisher hattedas US Military Government dieDP-Camps in erster Linie nurnach nationalstaatlichen Kriterienbelegt, sodass etwa in Ebensee 95Prozent der Lagerinsassen Polen

    Das erste UNRRA-Team 313, Dez. 1945.Foto: www.crommelin.org

  • UNRRA

    betrifft widerstand 24

    waren, Juden und Nichtjuden,gemeinsam unter dem nichtjüdi-schen polnischen Lagerleiter JerzyWallas. Auslöser für die nunmeh-rige Trennung der DPs in Judenund Nichtjuden war der sogenannte „Harrison Report“.Bedingt durch wiederholte Klagenjüdischer Organisationen über dieSituation in den DP Camps, wurdeEarl Harrison, US Delegierter desIntergovernmental Committee onRefugees von Präsident Harry S.Truman beauftragt, einen Berichtüber die DP Camps in Deutschlandund Österreich zu verfassen. Derumfassende Bericht, den Trumanan General Eisenhower weiterleite-te, löste bei seiner Veröffentli-

    chung einen Skandal aus und ver-anlasste die US-Armeeführung zurBehebung der zum Teil berechtig-ten, in manchen Fällen aber auchübertriebenen Mängel. Der jeden-falls unmäßig übertriebene Kern-satz des Reports sei im Original-wortlaut wiedergegeben: “(…)Asmatters now stand, we appear to betreating the Jews as the Nazis treatedthem except that we do not extermi-nate them. They are in concentrationcamps in large numbers under ourmilitary guard instead of S.S. troops.One is led to wonder whether the Ger-man people,