Zum Verhältnis von Menschenbild und Menschenrechten · von Stein und Hermann Heller repräsentiert...

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Zum Verhältnis von Menschenbild und Menschenrechten Winfried Brugger Bei Diskussionen über Menschenrechte geht es meistens um konkrete, streitige Abwägungsfragen. Zum Beispiel: Verstößt die Todesstrafe oder die lebenslange Freiheitsstrafe gegen die Menschenrechte? Ist es eine Verletzung der Menschenrechte, wenn man Menschen in armen Staaten verhungern lässt? Gebieten es die Menschenrechte, tödlich verfeindete Bürger- kriegsparteien zu befrieden, notfalls mit Waffengewalt von außen? Das positive Recht gibt viele Antworten auf solche Fragen, vor allem in nationalen Grundrechtskatalogen und in regionalen oder universalen Menschenrechtspakten, aber auch in sonstigem Völkerrecht, etwa der Charta der Verein- ten Nationen. Jedoch lässt sich nicht jeder Menschenrechts- streit durch Verweis auf das positive Recht schlichten: Manchmal versagt das Recht eine Antwort, manchmal gibt es eine aus Sicht Betroffener unangemessene, nämlich un- zweckmäßige oder ungerechte Antwort, oft ist die Auslegung zwischen den Parteien umstritten, beispielsweise bei der Fra- ge, ob es zur Persönlichkeitsentfaltung einer schwangeren Frau gehören soll, ein unerwünschtes Kind abzutreiben, wann immer sie das will. Solche Auseinandersetzungen um die Existenz oder die Auslegung von Menschenrechten spiegeln in aller Regel Dispute zwischen unterschiedlichen Personen, Gruppen, Kulturen und Nationen wider. Sie alle berufen sich glei- chermaßen auf die universelle Geltung der Menschenrech- te, aber in der konkreten Auslegung urteilen sie nicht mit 216

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Zum Verhältnis von Menschenbild undMenschenrechten

Winfried Brugger

Bei Diskussionen über Menschenrechte geht es meistens umkonkrete, streitige Abwägungsfragen. Zum Beispiel: Verstößtdie Todesstrafe oder die lebenslange Freiheitsstrafe gegen dieMenschenrechte? Ist es eine Verletzung der Menschenrechte,wenn man Menschen in armen Staaten verhungern lässt?Gebieten es die Menschenrechte, tödlich verfeindete Bürger-kriegsparteien zu befrieden, notfalls mit Waffengewalt vonaußen? Das positive Recht gibt viele Antworten auf solcheFragen, vor allem in nationalen Grundrechtskatalogen undin regionalen oder universalen Menschenrechtspakten, aberauch in sonstigem Völkerrecht, etwa der Charta der Verein-ten Nationen. Jedoch lässt sich nicht jeder Menschenrechts-streit durch Verweis auf das positive Recht schlichten:Manchmal versagt das Recht eine Antwort, manchmal gibtes eine aus Sicht Betroffener unangemessene, nämlich un-zweckmäßige oder ungerechte Antwort, oft ist die Auslegungzwischen den Parteien umstritten, beispielsweise bei der Fra-ge, ob es zur Persönlichkeitsentfaltung einer schwangerenFrau gehören soll, ein unerwünschtes Kind abzutreiben,wann immer sie das will.

Solche Auseinandersetzungen um die Existenz oder dieAuslegung von Menschenrechten spiegeln in aller RegelDispute zwischen unterschiedlichen Personen, Gruppen,Kulturen und Nationen wider. Sie alle berufen sich glei-chermaßen auf die universelle Geltung der Menschenrech-te, aber in der konkreten Auslegung urteilen sie nicht mit

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gleichem Maß über das, was als Menschenrecht zählensollte, welches Gewicht einem konkreten Menschenrechtim Konfliktfall beigemessen werden sollte und wie be-stimmte Leitbegriffe wie Freiheit, Gleichheit und Würdeausgelegt werden sollen.

Wie kann man solche Spannungen auflösen? Eine ersteMöglichkeit ist es, politisch zu argumentieren und zuentscheiden – staatenintern, im Rahmen des Verfassungs-rechts, und zwischenstaatlich, im Rahmen des Völker-rechts. Eine zweite Möglichkeit besteht darin, im positivenRecht verankerte Menschenrechte kunstgerecht auszule-gen – eine Kunst, deren Beherrschung Juristen sich rüh-men. Eine dritte Möglichkeit ist es, im Rahmen einer phi-losophischen Analyse unter Rekurs auf das positive Rechtdarzulegen, wie die Spannung zwischen universellem An-spruch und partikularer, nämlich kulturgebundener Aus-legung thematisiert und ansatzweise gelöst werden kann.Hier soll der dritte Weg eingeschlagen werden. Er führtüber die Entwicklung eines im positiven Grundrechts-und Menschenrechtsbestand selbst aufweisbaren Men-schenbildes, von dem ich hoffe, dass sich in ihm alle Kultu-ren der Welt wiederentdecken können, so dass zumindestein gemeinsamer Gesprächsrahmen verfügbar ist.

1. Geschichte und Positivierung der Menschenrechte

Vom Menschenbild der Menschenrechte zu sprechen, hatVorteile und Nachteile. Der Rekurs auf das Menschenbildverspricht eine zusammenfassende, ganzheitliche Sichtder Menschenrechte. Das ist angesichts der Vielzahl des-sen, was heute als Menschenrecht positivrechtlich aner-kannt1 oder eingefordert wird2, ein Vorteil, denn so kanneine gedankliche Konzentration auf das Universelle imPartikularen und das Verbindende im Trennenden erfolgen.

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Ein weiterer Vorteil ist, dass durch die Besinnung auf das inden Menschenrechten verkörperte Menschenbild eine ArtVermenschlichung und Personalisierung der Reflexion an-gezielt wird, die der intellektuellen Analyse der Menschen-rechte eine Basis emotionaler Ansprechbarkeit zur Seitestellt, in Form einer „Gestalt“ mit menschlichen Zügen,in der sich jeder erkennen können soll.3

Der Nachteil der Reflexion auf das Menschenbild derMenschenrechte besteht vor allem in der naheliegendenGefahr ihrer ideologischen Instrumentalisierung und Ok-kupierung durch eine der betroffenen Kulturen oder Natio-nen. Eine jede Kultur ist geprägt von „Bildern“ im Hinblickauf Menschen als solche oder auch Menschen in speziellenRollen, die mehr und anderes sind als photographische Ab-bilder lebender Personen – man denke an Begriffsbildungenwie homo faber, oeconomicus, oecologicus, ludens odervita activa, contemplativa und viele weitere, vergleichbareBegriffsbildungen.4 Solche Menschenbilder haben meist ei-nen Bezug im Leben: Sie sind empirisch unterfüttert, wirerkennen die „Typen“ wieder, aber wertneutral werden sieselten vorgestellt. Sie sind werthaft konnotiert, manchmalabschreckend, oft aber auch als Vorbilder dessen, was diejeweilige Kultur hochhält, was sie als anstrebenswertesZiel von Persönlichkeitsentfaltung ansieht.5 Wird eine ein-zelne dieser kulturprägenden Leitideen im weltweiten Ge-spräch absolut gesetzt und vorbehaltlos gegen andere, kon-kurrierende Welt- und Menschenbilder verteidigt, so wirdes zu keiner Verständigung kommen. Der Kalte Krieg bei-spielsweise war nicht nur ein Wettrüsten zwischen Ostund West, sondern auch ein Menschenbildkonflikt: zwi-schen dem sozialistischen und dem westlichen Menschen-bild.6 Bei einer Nichtverständigung bleibt es dann – wennes gut geht – beim negativen Frieden der bloßen Abgren-zung; wenn die Entwicklung in solchen ideologischen Kon-kurrenzen aus dem Ruder läuft, kann es auch zu kriegeri-

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schen Missionierungen kommen. Ein positiver Friede imSinne der allmählichen Annäherung der Staaten und Völ-ker, zumindest im Sinne des zunehmenden gegenseitigenVerständnisses, kommt so jedenfalls nicht zustande.7

Wie kann man die Vorteile der Reflexion auf das Men-schenbild der Menschenrechte wahrnehmen und gleichzei-tig die Nachteile vermeiden? Der Ausweg liegt in der Be-rücksichtigung einerseits der wichtigsten Stadien derMenschenrechtsentwicklung, andererseits des gegenwärtigbestehenden Spektrums an Menschenrechtspakten und-deklarationen. Der inzwischen zweihundertjährige Kampfum die Menschenrechte war zwar zunächst ein Kind derwestlichen Aufklärung und der bürgerlichen Revolutionenin Europa und Nordamerika.8 Seither aber hat sich die Be-rufung auf menschenrechtliche Garantien so ausgeweitet,dass im Gesamtüberblick aller einschlägigen Erklärungenkeine der Weltkulturen und auch keiner der politischenMachtblöcke ein Monopol in der Interpretation der Men-schenrechtsidee mehr für sich in Anspruch nehmen kann.Wenn also eine Bestimmung des Menschenbildes über-haupt Aussicht auf universelle Anerkennung erheben will,so darf sie nicht von vornherein Ausdruck nur einer derkonkurrierenden Weltanschauungen sein; sie muss sowohldie Geschichte der Menschenrechte als auch ihren gegen-wärtigen Positivierungsstand berücksichtigen.

Die Geschichte der Entwicklung der Menschenrechts-idee lässt sich im Wesentlichen in drei Stadien einteilen:die Erstgenerations-, die Zweitgenerations- und die Dritt-generationsrechte.9 Die Erstgenerationsrechte wurden vorallem in den amerikanischen und französischen Men-schenrechtskatalogen des ausgehenden 18. Jahrhundertseingefordert. Sie konzentrieren sich auf die Gewährleis-tung negativer Abwehrrechte gegen den Staat und demo-kratischer Mitwirkungsrechte im Staat. Der deutscheRechtswissenschaftler Georg Jellinek hat diese beiden ers-

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ten Arten von Rechten treffend dem status negativus unddem status activus zugerechnet.10 Zu den Abwehrrechtenzählen etwa Justizgarantien und der Schutz von Leben,Freiheit und Eigentum. Zu den demokratischen Mitwir-kungsrechten sind insbesondere politische Wahlrechte,Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit zu rechnen.

Im 19. Jahrhundert trat dann eine Verschiebung desSchwerpunktes der Menschenrechtsforderungen ein. Aus-gelöst vor allem durch die Probleme der industriellen Revo-lution, die von Sozialisten und Kommunisten analysiertund bekämpft wurden, traten die Menschenrechte derzweiten Generation in den Mittelpunkt der politischenDiskussion. Darunter fallen wirtschaftliche und sozialeRechte zur Befriedigung der materiellen Grundbedürfnisseangesichts drohender Verelendung weiter Teile der arbei-tenden Bevölkerung. Innerhalb dieser Bewegung sind zweiGruppen zu unterscheiden: Die revolutionäre Richtungwird vor allem durch den Marxismus-Leninismus reprä-sentiert; sie will eine Ablösung des Kapitalismus durchden Kommunismus erreichen. Die reformistische Rich-tung, die in Deutschland etwa durch Autoren wie Lorenzvon Stein und Hermann Heller repräsentiert wird, setztesich für einen Kapitalismus mit menschlichem Gesicht,die soziale Marktwirtschaft ein; diese Konzeption ist in-zwischen in vielen Teilen der Welt auf dem Vormarsch.Hier steht der status positivus im Zentrum.11

Im 20. Jahrhundert ergeben sich zwei weitere Bedeu-tungsverschiebungen in der Menschenrechtsdiskussion.Zum einen kommt es vor allem im Anschluss an den 2.Weltkrieg zu einer Universalisierung des Menschenrechts-gedankens. Am sinnfälligsten tritt dies in der AllgemeinenErklärung der Menschenrechte vom 10.12.1948 zutage, dienicht mehr nur auf den europäisch-amerikanischen Raumabzielt, sondern „das von allen Völkern und Nationen zuerreichende gemeinsame Ideal“12 verkörpern will. Damit

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haben die Menschenrechte endgültig den status universaliserreicht. Zum anderen wird in den letzten zwei Jahrzehn-ten eine Ausdehnung der Menschenrechte auf weitereKreise gefordert. Während bislang nur Individuen als Men-schenrechtssubjekte angesehen worden waren, fordernnunmehr insbesondere die Staaten der Dritten Welt, auchVolksgruppen und Staaten selbst bestimmte Menschen-rechte zugunsten der durch sie repräsentierten Mitgliederzuzusprechen. Zu diesen sogenannten Drittgenerations-rechten zählen vor allem die von den ärmeren Staaten ein-geklagten Rechte auf Entwicklung, Frieden und Schutz derUmwelt sowie das Recht auf Teilhabe am „gemeinsamenErbe der Menschheit“, womit die Reichtümer des Tiefsee-grundes, aber auch das sonstige natürliche und kulturelleErbe der Welt und die Nutzung des Weltraums gemeintsind.

Wendet man den Blick von der geschichtlichen Entwick-lung zum heutigen Stand der Positivierung von Menschen-rechten, so ist man mit einer kaum mehr zu übersehendenFülle von Erklärungen und Pakten konfrontiert. Die ein-schlägigen Texte haben teils universalen, teils regionalenCharakter13. Inhaltlich beziehen sie sich auf (1) allgemeineRegelungen, (2) das Selbstbestimmungsrecht und den Ge-danken der Entwicklung, (3) das Verbot von Völkermord,Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlich-keit, (4) Diskriminierungsverbote, (5) das Verbot von Sklave-rei, Zwangsarbeit und Menschenhandel, (6) Flüchtlinge,Asyl, Staatenlosigkeit, Mehrstaatigkeit und Ausländer, (7)die Behandlung von Einzelnen, insbesondere von Inhaftier-ten und Gefangenen durch Verwaltung und Justizbehörden,(8) Soziales, (9) Arbeit, einschließlich Vereinigungsfreiheitund Freizügigkeit, (10) Heirat und Familie, Rechte des Kin-des, (11) Presse- und Informationsfreiheit, (12) Datenschutz,(13) das Recht auf Wehrdienstverweigerung und (14) dasKriegsrecht.14

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2. Von fundamentalen Interessen zum Menschenbild derMenschenrechte

Überblickt man dieses weite Feld an Rechten, dann stehtdie Schwierigkeit einer ganzheitlichen Sichtweise vonMenschenrechten klar vor Augen. Die Schwierigkeit desUnterfangens darf aber nicht von dem Versuch einer phi-losophischen Reflexion abhalten, die eine Klärung des An-liegens möglichst mit einer Beschreibung der Verankerungder Menschenrechte verbinden und gleichzeitig Hinweiseauf abzuwehrende Manipulationen und Ideologisierungenenthalten sollte. Wo und wie soll die Reflexion ansetzen?

In der Philosophie gibt es dazu viele Vorschläge. Nur ei-nige können hier erwähnt werden. Ein erster Ansatz, dasvon Ernst-Joachim Lampe entwickelte „negative Natur-recht“, geht von der anthropologischen Bedürfnis- und Inte-ressenstruktur des Menschen aus, die eine jede Rechtsord-nung jedenfalls im Großen und Ganzen respektieren muss,wenn sie sich auf Dauer halten und menschen-gemäß seinwill.15 Zu den Grundbedürfnissen aller Menschen zählen,so Lampe nach Durchsicht der einschlägigen Literatur16, un-ter anderem das Selbsterhaltungs- und das Sicherheits-bedürfnis. Beide sind Voraussetzung dafür, dass weitereGrundbedürfnisse wie etwa nach Liebe, Familie, Freiheitund Schaffen, Gesellung, Erwerb und Besitz, Wahrheit, Me-taphysik und Religion verwirklicht werden können.

Eine verwandte, von dem englischen RechtstheoretikerH.L.A. Hart entwickelte Sicht, die vom „Minimalgehaltdes Naturrechts“ ausgeht, bestimmt Grunddaten dermenschlichen und mitmenschlichen Existenz. Daruntersollen menschliche Verletzbarkeit, approximative Gleich-heit, begrenzter Altruismus, begrenzte Mittel sowie be-grenztes Verstehen und begrenzte Willensstärke fallen, aufdie das Recht qua „Natur“ der Menschen Rücksicht neh-men muss.17 Daraus ergibt sich zum Beispiel, dass Rechts-

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ordnungen Privatgewalt ausschließen und die eigene Ge-walt rechtsstaatlich mäßigen müssen; dass sozialer Schutzgleichzeitig geboten, aber auch nicht überzogen werdendarf; sowie dass die Nutznießer von Recht auch an derenKosten beteiligt werden sollten.

John Rawls analysiert in seiner Theorie der Gerechtig-keit natürliche und gesellschaftliche Grundgüter, an derenExistenz oder Zurverfügungstellung alle Individuen eingleiches Interesse haben, wie unterschiedlich ansonstendie Lebenspläne sein mögen.18 Hier wird also zusätzlichzu den bisher genannten Gesichtspunkten der anthropolo-gischen Bedürfnisstruktur sowie den Grunddaten desmenschlichen Zusammenlebens eine auf Gleichheit in Di-versität aufbauende Überlegung vorgeschlagen.

All diese Konzeptionen stellen moderne, detaillierteAusarbeitungen oder Transformationen der klassischenNatur- und Vernunftrechtlehre dar, die ja ebenfalls schonin leicht wechselnder Gestalt und Betonung auf Leben,Freiheit und Eigentum als Fundamentalinteressen hinge-wiesen hatte.19 Von all diesen Bestimmungen fundamen-taler Menschheitsinteressen lassen sich Brücken schlagenzum oben genannten Korpus moderner Menschenrechte.Des Näheren wäre dann zu prüfen, welche der genanntenTheorien das zu thematisierende Material an Menschen-rechten am umfassendsten und am überzeugendsten dar-stellen und rechtfertigen kann.

Hier soll ein etwas anderer Weg vorgeschlagen werden,der die Einschlägigkeit und Leistungskraft der genanntenTheorien zur Bestimmung fundamentaler Interessen nichtleugnet, diese jedoch noch einmal in eine Menschenbildfor-mel einstellen und dadurch „vermenschlichen“ will.20 DasVerfahren zu dieser Bestimmung des Menschenbildes derMenschenrechte ist dabei angelehnt an die Rechtsprechungdes Bundesverfassungsgerichts, das in Bezug auf das Grund-gesetz öfters vom Menschenbild des Grundgesetzes gespro-

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chen hat, um eine konkrete grundrechtliche Abwägung zwi-schen Staat und Bürger insbesondere im Menschenwürde-bereich oder zwischen Grundrechtsansprüchen von Bürgernnoch einmal überschlägig zu rechtfertigen. Die spezifischeAbwägungsaufgabe für das Bundesverfassungsgericht be-steht in der Auflösung der Spannung zwischen dem oderden sich auf ein Grundrecht berufenden Bürger(n) und demin dieses Grundrecht eingreifenden Staat; dieser darf in dasGrundrecht eingreifen, wenn er die für das jeweilige Grund-recht einschlägige Grundrechtsschranke und sonstigeMaßstäbe, insbesondere das Verhältnismäßigkeitsprinzip,beachtet. Tut er dies nicht, wird aus dem Grundrechtsein-griff eine verfassungswidrige Grundrechtsverletzung, diedas Gericht aufhebt. Wenn das Bundesverfassungsgerichtsich in solchen Fällen auch auf das Menschenbild desGrundgesetzes beruft, so will es damit nicht die kurz be-schriebene juristische Stufenprüfung von „Schutzbereich,Eingriff, Schranke, Verhältnismäßigkeit“ ersetzen21; viel-mehr will das Gericht über diese Schritte hinaus die Ge-samtabwägung veranschaulichen, personalisieren und denBetroffenen appellartig vor Augen führen: „Für Menschendieser Art besteht die Möglichkeit, unsere Abwägung nach-zuvollziehen und zu akzeptieren.“22 Dazu nimmt das Ge-richt die Gesamtheit der grundrechtlichen Schutzbereichewie auch der jeweiligen im öffentlichen Interesse vorgesehe-nen Beschränkungsvorbehalte in den Blick und formuliertdas dieser Gesamtsicht entsprechende Bild des Menschen.Repräsentativ ist etwa folgende Formulierung: „Das Men-schenbild des Grundgesetzes ist nicht das eines isoliertenIndividuums; das Grundgesetz hat vielmehr die SpannungIndividuum-Gemeinschaft im Sinne der Gemeinschafts-bezogenheit und Gemeinschaftsgebundenheit der Personentschieden, ohne dabei deren Eigenwert anzutasten“.23

Diese Methode der Reflexion lässt sich auch für die Ana-lyse des Menschenbildes der Menschenrechte fruchtbar ma-

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chen. Sie hat den Vorteil, dass sie die Gesamtheit der Men-schenrechte ins Visier nimmt. Sie kann aber auch die Span-nungen zwischen konkurrierenden Menschenrechtsansprü-chen und die Notwendigkeit, manchmal zugunsten vonüberwiegenden Gemeinwohlinteressen in Individualrechteeingreifen zu müssen, thematisieren.24 Ferner steht sie derArbeitsweise des Juristen nahe, der mit positivierten Men-schenrechten zu tun hat und auf eine philosophische Klä-rung des Grundanliegens der Menschenrechte angewiesenist. Die Aufgabe der Reflexion ist auch hier, im Blick aufalle Schutzbereiche und alle Schranken der Menschenrechteeine Formel zu entwickeln, die einerseits möglichst alleRechtspositionen abdeckt, andererseits aber doch auch sokurz und prägnant ist, dass sie als philosophische Formelund nicht bloß als aggregierende Formulierung erkennbarund benutzbar ist. Von einer solchen Formel darf man frei-lich nicht eine präzise Lösung aller Menschenrechtskon-flikte erwarten. Sie soll „nur“ auf die wichtigsten Leitlinienzur Lösung des Konflikts aufmerksam machen, was nicht„alles“, aber weit mehr als „nichts“ ist, weil so jedenfallsVereinseitigungen von Berufungen auf Menschenrechte ar-gumentativ entgegengewirkt wird.

3. Das Menschenbild der Menschenrechte

Mein Vorschlag ist, das Menschenbild der Menschenrechtezu bestimmen als eigenständige, sinnhafte und verantwort-liche Lebensführung.25 Diese Formel hat fünf Elemente, dieim Folgenden kurz erläutert werden. Anschließend erkläreich ihren Zusammenhang und ihre Funktionsweise imZwiespalt zwischen universellem Anspruch und kultur-spezifischer Interpretation der Menschenrechte.

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3.1 Eigenständigkeit: Damit ist die Möglichkeit des Men-schen bezeichnet, eine Ich-Perspektive zu entwickeln,sich Ziele zu setzen, einen individuellen Lebensplan zuentwickeln, zu verfolgen und argumentativ zu verteidigen.Dieser Lebensplan wird bis zu einem gewissen Grad Aus-druck der empirischen Natur des Menschen sein, also aufGrundbedürfnisse Rücksicht nehmen müssen26; funktio-nale Imperative wie etwa der Trieb zum Überleben unddie soziale Abhängigkeit beim Aufwachsen reichen abernicht aus, um die Eigenständigkeit des Menschen zu the-matisieren. In ihr geht es auch um die spezifische Art undWeise, in der der Mensch als Individuum Stellung beziehtzu den der menschlichen Natur inhärenten Antrieben undNeigungen27, und diese Stellungnahme kann positiv, pro-duktiv und bestärkend, wie negativ, beschränkend sein.Des Näheren lassen sich im Rahmen von Eigenständigkeitzwei Fallgruppen unterscheiden:

a) In der Zielgerichtetheit des Menschen kommt seineWahlfreiheit zum Ausdruck. Bereiche, auf die sich dieWahlfreiheit erstrecken kann, reichen von Berufswahlund Religionswahl bis zu Partnerwahl und Wahl politi-scher Parteien; all das sind Entscheidungen, die men-schenrechtlich geschützt sind. Dabei meint „Wahlfrei-heit“ nicht beliebiges Wählen, gar willkürlichesEntscheiden aus dem „Nichts“; oft wird die Wahl Aus-druck einer Loyalität oder Zuneigung zu einer Personoder Sache sein oder aus einer gefühlten Bindung erfol-gen.28 Wie immer sie aussieht, sie wird jedenfalls bei mo-ralisch schwierigen, extrem konsequenzenreichen oderidentitätsbestimmenden Wahlakten Ausdruck gerade die-ses Individuums sein.29

b) Solche Wahlen sind dem einzelnen Menschen norma-lerweise auch zuzurechnen.30 Das heißt: Der Mensch darfnicht nur die Vorteile seiner Lebensentscheidungen genie-ßen; er ist auch für das Risiko des Scheiterns zuständig.

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Selbstsorge ist mit Fürsorge und Vorsorge für die eigenePerson verbunden. Die Selbstverantwortlichkeit ist dieRückseite der Wahlfreiheit.

3.2 Sinnhaftigkeit: Dieses Element erinnert an die grund-legende anthropologische Tatsache, dass die individuellewie gruppen-, volks- oder gattungsmäßige Entwicklungdes Menschen und seiner Gemeinschaften von der jeweili-gen Kultur getragen wird. Kultur ist die zweite Natur desMenschen. Die Menschen müssen sich wegen der mehroder weniger weitreichenden Entbindung von biologischerDetermination ihre Welt selbst entwerfen und bauen. Siemüssen sich für ihr Leben selbst „programmieren“, undProgramm im Sinne der Anleitung für das Erstrebenswertewie das zu Vermeidende ist die jeweilige überkommeneKultur.31 Sie enthält mehr oder weniger weitreichende undverbindliche Deutungen und Vorgaben sowohl für das„gute Leben“ als Einzel- und Gemeinschaftswesen wie dieMaßstäbe gerechter Verteilung von Vorteilen und Lasten.32

Das meint nicht, dass Kultur den individuellen Menschenund seine Entfaltung notwendigerweise determiniert, wohlaber, dass die Kultur immer einen – engeren oder weiteren –Horizont von Entfaltungsperspektiven bereitstellt, auf densich das Individuum selbst dann noch, ja gerade dann inseinem Verhalten einstellen muss, wenn es von diesen prä-ferierten Möglichkeiten abweichen will.33

3.3 Verantwortlichkeit: Selbstverantwortlichkeit ist schonunter Punkt 1 b thematisiert worden. In einem nicht primärauf das eigene Leben bezogenen, sondern relationalen Sinnumfasst Verantwortlichkeit aber drei weitere Elemente:

a) Gegenseitigkeit: Wer immer sich auf Rechte und Frei-heiten beruft, muss anderen Personen, die in der gleichen Si-tuation stehen, die gleichen Rechte und Freiheiten zugeste-hen. Dies ist die logische Konsequenz der Berufung auf

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allgemeine Rechte: Menschenrechte sind eben nicht Staats-bürgerrechte oder auf sonstige beschränkte Gruppen be-zogene Rechtspositionen. Jenseits der Logik basierenMenschenrechte auf der Akzeptanz und Anerkennung gegen-seitiger Berechtigung und Verpflichtung, dem Reziprozitäts-prinzip.34 Keiner steht als Mensch a priori über oder unterdem anderen, alle haben grundsätzlich gleichen Anspruchauf Grund-Achtung als Menschen und nicht Sachen oder Tie-re; Hoch-Achtung dagegen kann je nach Tugend oder Leis-tung der betreffenden Personen in unterschiedlichem Maßverteilt werden; das schließen Menschenrechte nicht aus.

b) Verantwortlichkeit meint aber auch das Einstehen-müssen für Rechtsverstöße. Eine Gesellschaft, die sichrechtlich verfasst, muss darauf achten, dass Rechte nichtnur postuliert, sondern auch geachtet und im Verletzungs-falle wiederhergestellt oder ausgeglichen werden.35 DiesemZiel dienen in modernen Rechtsordnungen etwa das De-liktsrecht, das unerlaubte Rechtsverletzungen mit Scha-densersatzpflichten koppelt, und das Kondiktionenrecht,das rechtsgrundlose Vermögensverschiebungen mit Heraus-gabepflichten verbindet; hierher gehört natürlich auch dasgesamte Strafrecht. Man kann es verallgemeinernd auch sosagen: Der Schutz der Integrität von Person und Persönlich-keit in den hier auseinandergelegten fünf Elementen wirddurch das Recht vorbeugend – durch Präventionsrecht –wie nachträglich – durch Reaktionsrecht – bewerkstelligt.36

c) Verantwortlichkeit umfasst schließlich soziale Ver-antwortlichkeiten für die Fälle, in denen es den Mitglie-dern einer Rechtsgemeinschaft zugemutet werden kann,das Risiko des Scheiterns von Lebensplänen einzelner Indi-viduen nicht diesen selbst, sondern der gesamten Gemein-schaft aufzubürden. Hierher gehören Vorkehrungen, dieden „Wert der Freiheit“ gegenüber dem Recht auf Freiheitbzw. Eigenständigkeit für Individuen nicht zu weit aus-einanderfallen lassen.37 Mittel sind vor allem die Verschaf-

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fung von Besitz und Bildung, noch allgemeiner formuliert:die Bereitstellung sozialstaatlicher Leistungen mit demZiel, Armen und Schwachen und sonstigen Personen, diesich im gesellschaftlichen Behauptungskampf nicht durch-setzen können, reale Chancengleichheit einzuräumen.Auch innerhalb des Staatsverbandes gibt es vielerlei Ge-meinschaften, die sich um Wohl und Wehe ihrer Mitgliederkümmern und kümmern sollten, angefangen von der Fami-lie über die Religionsgemeinschaft bis zum Berufsverband.Jenseits des Staatsverbandes gibt es die Völker- oder Welt-gemeinschaft, deren arme und schwache Mitglieder eben-falls um Hilfe und Unterstützung ersuchen und die auchGehör finden sollten.38

3.4 Leben: Lebensführung setzt zunächst den Schutz desLebens voraus: Das Leben ist zwar nicht alles, aber ohnedas Leben ist alles andere nichts. Überleben ist zweifellosein vitales Interesse eines jeden Menschen, das nur in Aus-nahmesituationen wie etwa einer Selbstverbrennung alsAkt politischen Widerstandes geopfert wird. In der politi-schen Philosophie gibt es Theorien, die das Überlebens-interesse als alles andere übertrumpfendes Ziel staatlicherLegitimität postulieren.39 Juristisch gesprochen kommenhier das Recht auf Leben40 sowie sonstige Rechte auf Ach-tung der körperlichen Integrität sowie die klassischen Ha-beas-Corpus-Rechte und justizstaatlichen Rechte insSpiel – der formelle Rechtsstaat nach deutscher Sicht, die„rule of law“ bzw. der „due process of law“ in amerikani-scher Terminologie. In der neueren Diskussion zur Legiti-mierung von Staatlichkeit und in zahlreichen Rechtsnor-men wird zunehmend der weitere Lebensraum desMenschen als schutzbedürftig ausgewiesen; diesem öko-logischen Anliegen lässt sich dadurch Rechnung tragen,dass man unter „Leben“ auch die natürlichen Grundlagendieses Lebens fallen lässt – unbelebte wie belebte Natur.41

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3.5 Lebensführung: Lebensführung stellt das abschließendeund zusammenfassende Element des menschenrechtlichenMenschenbildes dar. Sie impliziert über (4.) die bloße Mög-lichkeit des Überlebens und den Schutz des Lebens hinauszumindest ein Mindestmaß an Freiheit für die Einnahmeeiner Ich-Perspektive und einen individuellen Lebensplan(1.).42 Identitätsimprägnierte Entscheidungen werden im-mer durch die jeweilige Kultur informiert und oft an ihrorientiert sein (2.); in einigen Fällen wird das Individuumauch von traditionellen Vorgaben abweichen. Das lässtsich nie ausschließen, schließlich ist der Mensch sowohlGeschöpf als auch Schöpfer der Kultur. Auf jeden Fallschält sich in diesem gegenseitigen Verweisungsverhältnisdas heraus, was Persönlichkeit oder authentische Selbst-verwirklichung genannt werden sollte.43 Weiterhin ist zuberücksichtigen, dass die jeweilige Kultur auch dieMaßstäbe gegenseitigen Gebens und Nehmens und indivi-dueller Zurechenbarkeit enthalten wird. Da wir hier vonmenschenrechtlich geprägten Kulturen sprechen, werdenin diesen auch (3.) die vier Dimensionen der Verantwort-lichkeit als ethischer Komponente thematisiert und aus-gedeutet sein. Jemand, der sich diesen Kriterien stellt undseine Lebensführung an ihnen ausrichtet, legitimiert damitauch seine Handlungen. In dieser verantwortlichen Selbst-bestimmung kommt die Würde des Menschen zum Aus-druck. Eine eigenverantwortliche, sinnhafte und verant-wortliche Lebensführung lässt sich aber auch als Anlageder Gattung Mensch selbst verstehen, womit Würde allenMenschen als Menschen zukommt, auch wenn sie nichtin der Lage sein sollten, ihr Verhalten immer an den ge-nannten Prinzipien auszurichten.44

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Das Menschenbild der Menschenrechte

1. Eigenständige 2. sinnhafte 3. verantwortliche 4. Lebens- 5. Führung

umfassta) Wahlfreiheit

umfasstKultur undTradition,die Wahl-freiheiten a)ermöglichenund

a) umfasst 1 b a) umfasstLebens-schutz

umfassta) 1 bis 4analytisch

b) Selbstverant-wortlichkeit

b) beschrän-ken

b) Gegenseitigkeitvon Rechten undPflichten

b) im wei-teren SinneÖkologie

b) Achtungvon 1 bis 4präskriptivtrotz

c) Haftung fürRechtsverletzun-gen

c) unter-schiedlicherGewichtungin den Kultu-ren

d) soziale Verant-wortlichkeit

In welcher Weise lässt sich diese Formel in Menschen-rechtsdiskussionen benutzen? Was sind ihre Stärken, wasihre Schwächen?

4. Funktionsweisen der Menschenbildformel

4.1 Ausgangspunkt der Antwort auf diese Fragen ist die inAbschnitt 1 angesprochene Entwicklung und Positivierungder Menschenrechte. In der Formel können die meisten derheute gewährleisteten oder eingeforderten Menschen-rechte thematisiert werden. Das sei kurz anhand der dreiMenschenrechtsgenerationen dargelegt: Die Erstgenerati-onsrechte konzentrieren sich um die Eigenständigkeit desMenschen: freie Wahl in wirtschaftlicher, kommunikati-ver und sozialer Hinsicht und Mitbestimmung im politi-

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schen Bereich. Voraussetzung hierfür ist der Lebensschutz.Wichtigste positivrechtliche Verankerung dieser Erstgene-rationsrechte ist der Internationale Pakt über bürgerlicheund politische Rechte vom 19.12.1966.45 Die Zweitgenera-tionsrechte setzen vor allem an der sozialen Verantwort-lichkeit füreinander an; diese soll auf die Bedürftigkeit desMenschen reagieren, etwa bei Armut und Krankheit. Wich-tige positivrechtliche Verankerungen dieser Rechte sindetwa der Internationale Pakt über wirtschaftliche, sozialeund kulturelle Rechte vom 19.12.1966 und die EuropäischeSozialcharta vom 18.10.1961.46 Die Drittgenerationsrechtenehmen die Gedanken der Eigenständigkeit und sozialenVerantwortung auf, binden sie aber stärker in die jeweiligeTradition des Rechte einfordernden Volkes oder Staatesein, der in den Status des Menschenrechtsträgers rückt –treuhänderisch für die durch den jeweiligen Verband me-diatisierten Staatsbürger.47 Die Menschenbildformel istalso in Bezug auf die bestehenden Menschenrechtserklä-rungen umfassend, integrativ und nicht einseitig einer Phi-losophie oder einer Kultur verpflichtet.

4.2 Die Formel lässt sich analytisch verwenden. In dieserFunktion wird untersucht, ob und bis zu welchem Gradeine Menschenrechtserklärung oder ein nationaler Grund-rechtskatalog (aber auch ein Parteiprogramm, eine Regie-rung, ein Gericht oder ein Philosoph) das eine oder das an-dere Moment betont oder zurückstellt. So wird im Rahmender Formel etwa deutlich, dass eine ökonomisch-liberaleSicht von Gesellschaft mehr oder weniger in Analogie zuden Erstgenerationsrechten die Eigenständigkeit der Indivi-duen betont, auf deren Einsatz und Wettbewerb setzt, weilvon diesem größtmöglicher gesamtgesellschaftlicher Nut-zen und auch eine grundsätzlich gerechte Verteilung der Gü-ter erwartet werden; jedenfalls haben Gesichtspunkte staat-licher sozialer Verantwortlichkeit nur subsidiäre Bedeutung.

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Eine stärker sozialstaatliche Sicht des Liberalismus wirddemgegenüber betonen, dass die nachteiligen Ausgangslagenvieler Individuen für den gesellschaftlichen Wettbewerbnicht diesen zugerechnet werden können. Weil es demnacham Kriterium der „Selbstverantwortlichkeit“ für dieschlechte soziale Lage fehle, müsse der Staat als Sozialstaatfür mehr Chancengleichheit sorgen.48 Der Sozialismus undder Kommunismus gehen über diese reformistische Sozial-staatssicht noch hinaus und sehen den Menschen als Gat-tungswesen, dessen Erfüllung vor allem von der Aufhebungder totalen Verelendung der eigentlichen Menschheitsklas-se, des Proletariats, abhänge. Hier liegt eine weitgehendeLeugnung der Selbstverantwortlichkeit des Menschen alsIndividuum vor; das Sinnhaftigkeitsmoment ist im Marxis-mus verwissenschaftlicht (Basis-Überbau-Theorem) und ver-geschichtlicht (die Geschichte als Geschichte von Klassen-kämpfen) worden: In der Hand des Proletariats, angeleitetdurch die marxistisch-leninistische Einheitspartei, liegt dieVerantwortung für den Einstieg in die eigentliche Ge-schichte des Menschen, die nach der Expropriation der Ex-propriateure beginnt.49 Der Kommunitarismus betont dasMoment der Sinnhaftigkeit: Individuelle Wahlentscheidun-gen in Isolation von der umgebenden Kultur müssen weit-gehend scheitern; oft, vielleicht sogar meist verfehlen sie,was sie anzielen: Erfüllung und Zufriedenheit. Wir müssenlernen, sagt diese Theorie, unsere Lebensformen nicht nurinstrumentell, als Mittel für außerhalb ihrer selbst liegendeZwecke anzusehen, sondern ihnen einen gewissen Eigen-wert einzuräumen, der sich mit der Zweckwahl der Indivi-duen vermitteln muss.50 Mit anderen Worten: Die Ausdiffe-renzierung der fünf Elemente der Menschenbildformelerlaubt es, komparativ Unterschiede zwischen einzelnenGesellschaftstheorien, Partei- und Regierungsprogrammenund Menschenrechtspositionen herauszuarbeiten; darinliegt ihre analytische Leistungsfähigkeit.

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4.3 Was aber soll geschehen, wenn sich unterschiedliche Po-sitionen gegenüberstehen? Dann ändert sich die Perspektivevon Deskription und Analyse zu normativer Bestimmung.Eines ist aus den bisherigen Erörterungen klar: Eine ideo-logische Verwendung des Menschenrechtsgedankens liegtvor, wenn eine Sichtweise alle anderen Positionen dominie-ren oder ausschalten will;51 das hieße nämlich, dass zumBeispiel nur die Menschenrechte der ersten oder der zweitenoder der dritten Generation anerkannt würden; oder dassnur der Pakt über bürgerliche und politische, nicht aber derüber soziale und kulturelle Rechte Achtung verdient. Einesolche Vorgehensweise wäre Ausdruck eines Kulturimpe-rialismus; so kann dem universellen Anspruch des Men-schenrechtsgedankens nicht Rechnung getragen werden.

Wie aber dann? Mein Vorschlag ist, die fünf Elementeder Menschenbildformel als gleichursprünglich52 für dasVerständnis der Menschenrechte anzusehen. In ihnen sindGrunddaten der menschlichen Existenz angesprochen, diealle zur Führung eines menschenwürdigen Lebens gehören.Das heißt aber nicht, dass sie alle gleich gewichtet werdenmüssten. Da die Kultur die zweite Natur des Menschen ist,die konkreten Kulturen aber in ihren Selbstverständnissendifferieren, muss es möglich sein, in der Gewichtung dereinzelnen Elemente voneinander abzuweichen. Das ist derberechtigte Kern des Partikularismus im Menschenrechts-denken, der sich positivrechtlich über die Schutzbereichs-bestimmungen und Einschränkungsvorbehalte einzelnerMenschenrechte sowie bei der Regionalisierung des Men-schenrechtsschutzes Wirkung verschafft. Zur Bewahrungdes Universalismus der Menschenrechtsidee ist es abernotwendig, dass keines dieser fünf Elemente gänzlich voneinem andern oder mehreren anderen dominiert oder aus-geschaltet wird. Der Wesensgehalt eines jeden Elements,in dem gleichzeitig sein Menschenwürdegehalt steckt, istvon jedem politischen Programm und jeder Regierung zu

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achten. Dieser Gedanke der Gleichursprünglichkeit undder Achtung des Wesensgehalts der fünf Elemente derMenschenbildformel ist beispielhaft ausgedrückt in Art.30 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte: „KeineBestimmung der vorliegenden Erklärung darf so ausgelegtwerden, daß sich daraus für einen Staat, eine Gruppe odereine Person irgendein Recht ergibt, eine Tätigkeit aus-zuüben oder eine Handlung vorzunehmen, welche auf dieVernichtung der in dieser Erklärung angeführten Rechteund Freiheiten abzielen.“ Noch einmal anders gesagt: AlleElemente der Menschenbildformel sind wegen ihrerGleichursprünglichkeit in praktischer Konkordanz auf-einander zu beziehen; Abwägungen zwischen den einzel-nen Elementen lassen sich zwar nicht vermeiden; sie sindaber so vorzunehmen, dass jedes der Elemente autonomerLebensgestaltung noch im Kern geachtet bleibt.53

4.4 Hat ein solches normatives Postulat Aussicht auf Ak-zeptanz im Menschenrechtsdisput? Das ist eine offene Fra-ge. Jedenfalls sind zwei Dinge klar. Zum einen: Wollte mandas Menschenbild oder den Kerngedanken der Menschen-rechte auf einer noch abstrakteren Ebene als der hier vor-geschlagenen bestimmen – etwa durch die Berufung aufdie „Freiheit“ oder „Gleichheit“ der Menschen54 –, könntevielleicht ein Mehr an Akzeptanz erreicht werden. DieseAkzeptanz würde aber durch divergierende Ausdeutungendes Leitbegriffs deutlich entwertet, so dass realistischer-weise nur von einem Oberflächenkonsens die Rede seinkann, der manchmal mehr verhüllt als enthüllt. Zum an-deren: Entschlösse man sich zu einer Menschenrechts-bestimmung auf einer konkreteren Stufe der Reflexion alsder hier vorgeschlagenen, nähme die Gefahr zu, dass diekulturellen Unterschiede in der Interpretation der Men-schenrechte voll durchschlagen: Die jeweilige (westliche,östliche, individualistische, traditionalistische usw.) Kon-

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zeption von Menschenrechten nähme dann in Anspruch,die Idee der Menschenrechte selbst zu verkörpern; damitkönnte realistischerweise von einem universellen An-spruch der Menschenrechte nicht mehr die Rede sein.

Hält man sich diese beiden Alternativen vor Augen, er-kennt man die vergleichsweise große Chance auf Akzep-tanz der hier vorgeschlagenen Menschenbildformel: In ihrkann sich jede Kultur zu einem Teil wiedererkennen.Zwar wird jedem Kultur- und Rechtskreis das im Rahmender „eigenständigen, sinnhaften und verantwortlichen Le-bensführung“ mögliche Spektrum an Menschenrechten zueng oder zu weit sein, zu viele oder zu wenige, zu vage oderzu spezifische Menschenrechte umfassen oder angreifbareSchwerpunkte setzen; doch muss sich keine der betroffe-nen Kulturen verleugnen, wenn sie in einen Menschen-rechtsdialog eintritt. Eine jede von ihnen muss vermutlichKompromisse schließen und partiell Perspektiven andererNationen und Völker übernehmen, will man sich einigen.Das ist zwar keine Garantie für Konsens, aber die bestmög-liche Ausgangslage für eine Einigung oder, falls diese nichtzustande kommt, zumindest für ein gewisses Verständnisselbst im Konfliktfall. Ein solches Verständnis ist einewichtige Voraussetzung für die Bewahrung zumindest desnegativen Friedens, der friedlichen Koexistenz auf Distanz.

4.5 Die mit der Formel verknüpfte Unbestimmtheit ist,wie die vorhergehenden Ausführungen im Grunde schondeutlich machen, nicht unbedingt eine Schwäche, sonderneher eine Stärke: Jedes der angeführten Elemente ist, norm-theoretisch gesprochen, ein Prinzip oder ein Wert, der einerRichtung und Gewichtung zugänglich ist, im Rahmen desunabdingbaren Kerngehalts, der in jeder Interpretation ge-achtet werden muss. Es handelt sich bei den einzelnen Ele-menten also nicht um Regeln, für die ein Alles-oder-Nichts-Prinzip gilt: Entweder die „Eigenständigkeit“ (oder

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„Sinnhaftigkeit“ oder …) wird voll geachtet oder voll außerKraft gesetzt.55 Ein solches Regelmodell der Menschenrech-te, das auf Bedeutungssicherheit und Durchsetzungssicher-heit abstellt, lässt sich im Rahmen des hier entwickeltenPrinzipienmodells von „eigenständiger, sinnhafter und ver-antwortlicher Lebensführung“ nur in einem staatlichen Zu-sammenhang annäherungsweise verwirklichen, der in sei-nen Strukturen und gesellschaftlichen Voraussetzungenmehr oder weniger westlichen Demokratien entspricht.Vielleicht gilt das auch noch im Zusammenhang der Euro-päischen Menschenrechtskonvention, aber schon da wirdden einzelnen Staaten in gewissen Bereichen ein Interpreta-tionsspielraum zugestanden.56 Im weltweiten Kontext je-denfalls ist eine gewisse Flexibilität in Interpretation undDurchsetzung bzw. Durchsetzungsmodus der Menschen-rechte nicht unbedingt ein bleibender Geburtsfehler, son-dern kann genauso gut eine Voraussetzung für reale Akzep-tanz in den betreffenden Kulturen sein.

4.6 Ein letzter Einwand könnte daran anknüpfen, dass diehier vorgeschlagene Formulierung zwar sowohl universelleElemente wie kulturspezifische Menschen- und Weltbilderberücksichtigt, aber letztlich doch stehen bleibt vor einer di-rekten Übernahme der in der jeweiligen Kultur wichtigstenweltanschaulichen und religiösen Werthaltungen. Geradederen Motivation, könnte man monieren, sei aber notwen-dig, um Menschenrechte nicht nur zu formulieren, sondernim praktischen Verhalten der Menschen zur Wirkung kom-men zu lassen. Der Vorwurf des Stehenbleibens vor der kul-turspezifischen „Letztbegründung“ trifft zu, darf aber nichtals Schwäche der Argumentation verstanden werden:Würde die Menschenbildformel eine der kulturspezifischenLetztbegründungen direkt inkorporieren und von ihr unun-terscheidbar werden, so läge genau die Art von Ideologisie-rung vor, die im weltweiten Menschenrechtsdiskurs den ei-

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nen voll befriedigt und alle anderen ausschließt.57 Um dieseInstrumentalisierung zu vermeiden, muss eine jede Men-schenbildformel, die wirklich auf universelle Akzeptanzsetzt, sozusagen eine „vorletzte Begründungsstufe“ anzie-len, an die die jeweiligen Kulturen und Religionen mit ihrenLetztdeutungen anschließen können.58 Genau in diesemSinn sollte „eigenständige, sinnhafte und verantwortlicheLebensführung“ verstanden werden: als die Gestalt derMenschenrechte, die mehrere Gestaltungen zulässt, imRahmen des in den Unterschieden allen Gemeinsamen.

Anhang59: Eine aktualisierte Fassung von Georg Jellineks Status-lehre60

Staat-Bürger-Verhältnis

Schutzgut/Problem:Unsicherheit durch

Lösung:Sicherung durch

Vertreter

1. Souveränität:Bürger im statussubiectionis

Leben / Macht-zersplitterung,Bürgerkrieg,Anarchie

Territorialstaat,Fürsten-, dannStaatssouveräni-tät, Nationalstaat,Säkularisierung

Jean Bodin,Thomas Hobbes

2. Liberalität:Bürger im statuslibertatis, negati-vus

Freiheit von/ Sou-veränitätsanma-ßungen, Bevor-mundung in derGesellschaft: Reli-gion, Wirtschaft,Privatsphäre

Gewaltenteilung,Abwehrrechte,Rechtsstaat, zumTeil Föderalismus,Selbst(vor)sorge

Montesquieu,John Locke,Immanuel Kant,Federalist Papers

3. Demokratie:Bürger im statusactivus

Politische Freiheitzu/ Souveränitäts-anmaßungen, po-litische Entmündi-gung

Grundrechte aufKommunikation,politische Partizi-pation, Volkssou-veränität

J.-J. Rousseau,Immanuel Kant

4. Sozialstaat:Bürger im statuspositivus

GesellschaftlicheFreiheit zu/ Souve-ränitätsindifferenz:Verarmung, sozialeAusbeutung derSchwachen

Sozialversiche-rung, sozialeRechte in Verfas-sung oder Gesetz-gebung

Lorenz von Stein,Hermann Heller,John Rawls

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5. ÖkologischerStaat:Bürger im statusoecologicus

Ökologische Le-bens- und Frei-heitsvorausset-zungen /Umweltzerstö-rung

Ressourcenschutz,Schutz der öf-fentlichen Um-weltgüter, Staats-ziel Umweltschutz

Hans Jonas,Theorie ökonom.Externalitäten,„Von Anthropo-zu Bio- und Öko-zentrik“

6. Kulturstaat:Bürger im statusculturalis

Kulturelle Entfal-tungsvorausset-zungen/ Kälte,Anonymität desGemeinschaftsle-bens

Staatsziel Kultur,objektive Grund-rechtsfunktionenzur Unterstützungreicher Lebens-welten

Georg Jellinek,Peter Häberle

7. Transnationali-tät I:Bürger im statusEuropaeus

Freiheit im natio-nalen politischenVerband / Souve-ränitätsdefizite,Nationalstaaten inEuropa zuschwach, zu stark,zu partikularis-tisch

Europarecht:Eingliederung inEuropäische Ge-meinschaft/Union,EMRK

Europaidee:W. Churchill,J. Monnet,R. Schuman,W. Hallstein u. a.

8. Transnationali-tät II:Bürger im statusuniversalis

Freiheit im Staa-tenverbund /Nationalstaaten,EU in der Welt zuschwach, zu stark,zu partikularis-tisch

Völkerrecht:Eingliederung ininternationaleOrganisationen,Menschenrechts-pakte

Universalmoral:Eine Welt/Menschheit,Immanuel Kant,John Rawls,Jürgen Habermas

Anmerkungen1 Vgl. den Überblick bei Ulrich Fastenrath / Bruno Simma (Hrsg.);Menschenrechte. Ihr internationaler Schutz, 5. Auflage 2004. ImEinzelnen differiert die rechtliche Verbindlichkeit der dort ange-führten Texte: Sie reichen von Erklärungen supranationaler Insti-tutionen bis zu bindendem Völkervertragsrecht und zu Völkerge-wohnheitsrecht. Hierzu Karl J. Partsch: Vor- und Nachteile einerRegionalisierung des internationalen Menschenrechtsschutzes,in: Europäische Grundrechte Zeitschrift 1989, S. 1ff.2 Wann immer ein eingeforderter Anspruch von Politik und Rechtnicht anerkannt wird, liegt die Tendenz nahe, zu einem „höheren

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Zum Verhältnis von Menschenbild und Menschenrechten

Recht“ hinaufzusteigen, und dazu bieten sich Grundrechte, Men-schenrechte und Menschenwürde an, die alle nationalstaatlichwie völkerrechtlich als Maßstab und Grenze von „einfachen Ge-setzen“, politisch beschlossenen Parlamentsgesetzen, dienen.Siehe z. B. Klaus Tanner: Menschenwürde im Dauertest, Zeit-schrift für evangelische Ethik 45 (2001), S. 1 zur Menschenwürdeals „Mehrzweckwaffe“.3 Diese „Vermenschlichung“ geht in der hier anzustellenden, letzt-lich doch systematischen Analyse natürlich nicht so weit wie An-sätze der Untersuchung und Verstärkung von Menschenrechten,die genuin narrativ sind und konkrete Unrechtserfahrungen undderen Verarbeitung über Wertbildungs- und Wertbindungsprozessevorstellen. Hierzu exemplarisch Hans Joas: Die Sakralität der Per-son (erscheint demnächst).4 In Ergänzung zu solchen Begriffsbildungen gibt es eine umfang-reiche Literatur, die sich mit „Menschenbildern“ allgemein, imhistorischen Kontext bzw. Kontextwechsel oder in bestimmten Le-bensbereichen beschäftigt. Siehe hierzu exemplarisch einigeneuere Titel, die starken Bezug zum Recht haben: Arno Baruzzi:Europäisches Menschenbild und das Grundgesetz für die Bundes-republik Deutschland, 1979; Jan Michael Bergmann: Das Men-schenbild der Europäischen Menschenrechtskonvention, 1995; Ul-rich Becker: Das Menschenbild des Grundgesetzes in derRechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, 1996; Peter Hä-berle: Das Menschenbild im Verfassungsstaat, 3. Auflage 2005;Karl Heinz Auer: Das Menschenbild als rechtsethische Dimensionder Jurisprudenz, 2005.5 Philip Selznick: Sociology and Natural Law, Natural Law Forum6 (1961), S. 84ff. spricht insoweit von „master ideals“, ThomasRentsch: Die Konstitution der Moralität. Transzendentale Anthro-pologie und praktische Philosophie, 1990, S. 106, 113, 176, 184,192, 243 von „Erfüllungsgestalten“.6 Das haben vorausschauend schon Karl Marx und Friedrich Engelstreffend hervorgehoben: Vorrede zu: Die deutsche Ideologie, in:MEW 3, 1969, S. 13: „Die Menschen haben sich bisher stets falscheVorstellungen über sich selbst gemacht, von dem, was sie sind odersein sollen. Nach ihren Vorstellungen von Gott, von dem Normal-menschen usw. haben sie ihre Verhältnisse eingerichtet. Die Aus-geburten ihres Kopfes sind ihnen über den Kopf gewachsen. Vor ih-ren Geschöpfen haben sie, die Schöpfer, sich gebeugt. Befreien wir

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sie von den Hirngespinsten, den Ideen, den Dogmen, den eingebil-deten Wesen, unter deren Joch sie verkümmern.“7 Zu diesen beiden Perspektiven siehe Immanuel Kant: Zum ewi-gen Frieden, Werke, Preußische Akademieausgabe Bd. VIII, S. 341,367: „[Die Natur] bedient sich zweier Mittel, um Völker von derVermischung abzuhalten und sie abzusondern, der Verschieden-heit der Sprachen und der Religionen, die zwar den Hang zumwechselseitigen Haß und Vorwand zum Krieg bei sich führt, aberdoch bei anwachsender Cultur und der allmählichen Annäherungder Menschen zu größerer Einstimmung in Prinzipien zum Einver-ständnisse in einem Frieden leitet, der nicht … durch Schwächungaller Kräfte, sondern durch ihr Gleichgewicht im lebhaftesten Eiferderselben hervorgebracht und gesichert wird.“8 Natürlich hat der politisch-rechtliche Kampf um Menschen-rechte eine weit längere ideengeschichtliche Geschichte, auf diehier aber nicht eingegangen wird.9 Vgl. hierzu etwa Gerhard Oestreich: Geschichte der Menschen-rechte und Grundfreiheiten, 2. Auflage 1978; Hasso Hofmann:Zur Herkunft der Menschenrechtserklärungen, Juristische Schu-lung 1988, S. 841ff.; insbesondere zur oben verwendeten Termino-logie Eibe Riedel: Menschenrechte der dritten Dimension, Euro-päische Grundrechte Zeitschrift 1989, S. 9ff. Riedel macht auf dieGefahr eines Missverständnisses bei der Benutzung des Generatio-nenbegriffs aufmerksam: Die dritte Generation ist nicht „besser“oder „höher“ als die beiden vorhergehenden Generationen; sie„hebt“ diese, um mit Hegel zu sprechen, „nicht auf“; vielmehrhandelt es sich primär um eine geschichtliche Sicht, ein idealtypi-sches Abfolgeraster, weswegen er für den Begriff „Dimension“statt „Generation“ votiert.10 Vgl. Georg Jellinek: Das System der subjektiven öffentlichenRechte, 1892, 2. Auflage 1905, Kap. VII–X. Georg Jellineks Status-lehre, die vergleichbar dem Drei-Generationen-Schema eine Dar-stellung der Entwicklung der Menschenrechte samt der entspre-chenden Institutionalisierungsmechanismen enthält, erreichtzwar aufgrund ihres Entstehungszeitpunktes am Ende des 19. Jahr-hunderts nicht mehr das ganze 20. Jahrhundert; sie kann aberdurchaus auf diese Entwicklungen hin aktualisiert werden. Siehedazu die von mir vorgenommene Aktualisierung seiner Statusleh-re, in Tabellenform im Anhang dargestellt.

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11 Im Sinne der in Anm. 10 erwähnten Terminologie von Georg Jel-linek.12 Präambel. Abgedruckt als Nr. 2 der oben in Anm. 1 erwähntenSammlung.13 Der Sache nach definieren und schützen natürlich auch dieGrundrechte der nationalen Verfassungen den Menschenrechts-schutz, soweit dieser allen Menschen und nicht nur Staatsbürgernzugute kommt.14 So die Einteilung der Texte bei Fastenrath / Simma (Anm. 1).15 Vgl. Ernst-Joachim Lampe: Grenzen des Rechtspositivismus.Eine anthropologische Untersuchung, 1988, S. 42ff., 50, 198.16 Ebenda S. 25f. mit einer Liste von 17 Grundbedürfnissen.17 Vgl. H.L.A. Hart: Der Begriff des Rechts, 1973, Kap. IX 2, S.266ff.: „Der Minimalinhalt des Naturrechts“.18 Vgl. John Rawls: Eine Theorie der Gerechtigkeit, deutsche Ta-schenbuchausgabe 1979, Nr. 11, S. 83, Nr. 15, S. 111ff.19 Näher hierzu Heiner Bielefeldt: Neuzeitliches Freiheitsrechtund politische Gerechtigkeit. Perspektiven der Gesellschaftsver-tragstheorien, 1990; Winfried Brugger: Freiheit und Sicherheit,2004, Kap. III.20 Neben diesem Analyserahmen habe ich in anderen Schrifteneine zweite „Formel“, besser: „Metapher“ benutzt, um das Anlie-gen von Menschenrechten, Menschenwürde und Menschenbildernzu klären. Siehe Winfried Brugger: Das anthropologische Kreuz derEntscheidung in Politik und Recht, 2005, sowie den Aufsatz: Men-schenwürde im anthropologischen Kreuz der Entscheidung, Jahr-buch des öffentlichen Rechts. Neue Fassung (erscheint dem-nächst).21 Siehe exemplarisch zu dieser Kritik Horst Dreier, in: ders.: Kom-mentar zum Grundgesetz, 2. Auflage 2004, Art. 1 I, Rn. 168: „Ge-rade weil der irrlichternde Charakter der Menschenbild-Formelkonkret faßbarer rechtsdogmatischer Konturen entbehrt, lassensich geradezu beliebige Bezugnahmen herstellen.“ Liest man dieMenschenbildformel im hier dargestellten Licht, verliert diese Kri-tik an Gewicht.22 Wer an der Unterstellung für das vom Gericht Gewollte Zweifelhat, für den gilt immer noch das abgeschwächte Argument: So, wieoben geschildert, lässt sich der Rekurs auf ein „Menschenbild desGrundgesetzes“ am besten verstehen.

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23 Amtliche Entscheidungssammlung des Bundesverfassungs-gerichts (BVerfGE) Band 4, S. 7, 15f. Ständige Rechtsprechung, vgl.BVerfGE 65, 1, 44.24 Die meisten positivierten Grund- und Menschenrechte enthal-ten Beschränkungsmöglichkeiten.25 Siehe zu früheren, kürzeren Darstellungen dieser Formel Win-fried Brugger: Grundrechte und Verfassungsgerichtsbarkeit in denVereinigten Staaten von Amerika, 1987, § 37 III (für das Menschen-bild der amerikanischen Verfassung); Elemente liberaler Grund-rechtstheorie, Juristenzeitung 1987, S. 633, 637f. (für das Men-schenbild des Grundgesetzes); Staatszwecke im Verfassungsstaat,Neue Juristische Wochenschrift 1989, S. 2425, 2433ff. (für dasMenschenbild im modernen Verfassungsstaat); Menschenrechteim modernen Staat, Archiv des öffentlichen Rechts 114 (1989), S.537, 578ff.; Stufen der Begründung von Menschenrechten, DerStaat 31 (1992), S. 19, 22ff. (für die Menschenrechtsproblematik).Die genannten Aufsätze sind in meinem Sammelband „Liberalis-mus, Pluralismus, Kommunitarismus“, 1999, nachgedruckt.26 Hierzu etwa die Arbeiten von Lampe (Anm. 15), Hart (Anm. 17)und Rawls (Anm. 18).27 Hierzu näher etwa Selznick (Anm. 5), S. 90f., sowie ders.: TheMoral Commonwealth. Social Theory and the Promise of Commu-nity, 1992, S. 91f., 124, 130 u. ö. mit der erhellenden Unterschei-dung von allgemeiner Aufgabe von „survival“ und persönlichkeits-und kulturgebundenem „flourishing“.28 Siehe Wilfried Härle: Art. Mensch, Abschnitt VII: Dogmatischund Ethisch, in: Religion und Geschichte und Gegenwart, 4. Auf-lage 2002, Band 5, Sp. 1068 zum Verständnis des Begriffs „Wählen“im Lichte von Selbst-, Fremd- und Umweltrelation und entspre-chender Bindung bzw. Verbindung.29 Zum Charakteristikum der zuletzt angesprochenen Entschei-dungen siehe mein Buch über das anthropologische Kreuz der Ent-scheidung (Anm. 20).30 Der Ausnahmefall wird in den Rechtsordnungen durch Normenüber Zurechnungs- oder Schuldunfähigkeit geregelt.31 Vgl. neben Lampe (Anm. 15) Friedrich H. Tenbruck: Die kultu-rellen Grundlagen der Gesellschaft, 2. Auflage 1990, Teil I sowieden oben Anm. 27 angesprochenen Unterschied zwischen dem na-turgegebenen Drang zu „survival“ und dem kulturimprägnierten

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„flourishing“. Siehe auch die klassische Formulierung von ArnoldGehlen: Der Mensch. Seine Natur und seine Stellung in der Welt,12. Auflage 1978, S. 9: Der Mensch als „ein lebendiges Wesen, zudessen wichtigsten Eigenschaften es gehört, zu sich selbst Stellungnehmen zu müssen, wozu eben ein ‚Bild‘, eine Deutungsformelnotwendig ist.“ „Ob sich der Mensch als Geschöpf Gottes verstehtoder als arrivierten Affen, wird einen deutlichen Unterschied …ausmachen …“.32 Das drückt sich auch in den Rechtsordungen aus, vor allem inStaatszielbestimmungen und in den Grundrechten, denen nebender individualrechtlichen Ebene (hier: Eigenständigkeit) eine ob-jektivrechtliche Dimension (hier: Sinnhaftigkeit) zugesprochenwird, in der den kulturellen Objektivationen ein Existenzrechtund Förderung zukommt, etwa als „Kulturstaat“. Siehe beispiels-weise Band 65 der Vereinigung der Dt. Staatsrechtslehrer von 2006über „Kultur und Wissenschaft“.33 Siehe Holmer Steinfath: Orientierung am Guten. PraktischesÜberlegen und die Konstitution von Personen, 2001, S. 437 mitdem Hinweis, „daß sozial vorgegebene Deutungsmuster generelleMuster sind, die immer erst individuell anzueignen und so in ein jebesonderes Leben zu integrieren sind, daß sie dabei modelliert undverändert werden. Außerdem verfügen Personen häufig über eineKreativität, die ihnen zumindest partiell auch die Schöpfung gänz-lich neuer Deutungsmuster erlaubt.“34 Klassische Formulierung bei Immanuel Kant in der Metaphysikder Sitten, Rechtslehre, § 46, Preußische Akademieausgabe BandVI, 1968, S. 314: „bürgerliche Gleichheit, keinen Oberen im Volkin Ansehung seiner zu erkennen, als nur einen solchen, den ereben so rechtlich zu verbinden das moralische Vermögen hat, alsdieser ihn verbinden kann“. Zur „Anerkennung“ als hier einschlä-giger Kategorie etwa Axel Honneth: Kampf um Anerkennung. Zurmoralischen Grammatik sozialer Konflikte, 2003.35 Dieser Gedanke wird in der Free-Rider-Problematik deutlich, aufdie schon H.L.A. Hart in dem Text nach Anm. 17 anspielt.36 Hierzu näher Brugger: Kreuz der Entscheidung (Anm. 20), Kap.XX 3.37 Eine Formulierung in Anlehnung an Rawls (Anm. 18), Nr. 32, S.232f.38 Zur genaueren Abgrenzung dieser unterschiedlichen Gemein-

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schaften bedarf es einer „Sphärentheorie“ von Verantwortung, wiesie zum Beispiel im Subsidiaritätsdenken und im liberalen Kom-munitarismus entworfen wird. Siehe exemplarisch Otfried Höffe:Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, 1999, Kap. 5, undBrugger: Liberalismus (Anm. 25), Kap. 11. Eine Menschenbildfor-mel allein kann diesen Punkt nur als relevant ausweisen, abernicht zureichend entfalten.39 Prominentestes Beispiel ist Thomas Hobbes: Leviathan, 1651,hrsg. von Iring Fetscher, 1966, Teil I, Kap. 13, S. 96: Unterwerfungunter die Staatsgewalt zur Vermeidung dessen, „was dasSchlimmste von allem ist, beständige Furcht und Gefahr eines ge-waltsamen Todes …“.40 Siehe etwa Art. 2 Abs. 2 GG und zur Bedeutung des Lebensschut-zes jüngst BVerfGE 115, 118, 152.41 Das führt dann zur Folgefrage, ob man für diesen weiten Begriffvon „Leben“ noch anthropozentrisch das menschliche Leben imMittelpunkt positioniert oder aber dieses mehr oder wenigergleichwertig in Öko- und Biozentrik aufgehen sieht.42 Das meint das Bundesverfassungsgericht, wenn es oben Anm. 23vom Schutz des „Eigenwerts“ der Person spricht.43 Vgl. Terry Pinkard: Democratic Liberalism and Social Union,1987, Kap. 1, insbes. S. 12, 27.44 Hierzu näher Härle (Anm. 28), Sp. 1071f. mit christlich inspirier-ten Formulierungen, die aber für jedes Menschenbild und jedesMenschenrechtsverständnis gelten, die an den oben genanntenLeitlinien ausgerichtet sind. Härle spricht davon, daß „Eigenstän-digkeit“ auf „Ethik“ und „Ethos“ abzielt, „auf bewußte Reflexion[einer] regelgeleiteten Lebensführung“, ohne daß diese Ausrich-tung faktisch immer praktiziert worden sein muß – Würde ist indiesem Sinne keine (bzw.: nicht nur oder nicht immer eine) Leis-tung, sondern eine ethisch-kulturelle und oft religiöse Voraus-Set-zung. Zur Anerkennung dieser Voraussetzung siehe auch Tanner(Anm. 2), S. 5.45 Abgedruckt als Nr. 8 in der oben Anm. 1 erwähnten Sammlung.46 Abgedruckt als Nr. 11 und 42 in der oben Anm. 1 erwähntenSammlung.47 Zum gegenwärtigen Umfang dieser Drittgenerationsrechte siehedie Nachweise bei Riedel (Anm. 9).48 So lassen sich in gekürzter Form die Positionen von Robert No-

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zick: Anarchie, Staat, Utopia (o. J.) und John Rawls: Eine Theorieder Gerechtigkeit (Fn. 18) kontrastieren. Hierzu auch anhand derunterschiedlichen Liberalismus- und PluralismuskonzeptionenBrugger: Liberalismus (Anm. 25), §§ 7, 9 und 10 IX.49 Zur Marxschen Theorie siehe insoweit Winfried Brugger: Men-schenrechtsethos und Verantwortungspolitik. Max Webers Beitragzur Analyse und Begründung der Menschenrechte, 1980, § 6 III;ders.: Kreuz der Entscheidung (Anm. 20), Kap. XIX.50 Zum hier einschlägigen „liberalen Kommunitarismus“ sieheSelznick: Commonwealth (Anm. 27), und Brugger: Liberalismus(Anm. 25), § 11.51 Zu diesem Verständnis von „Ideologie“ siehe Brugger: Liberalis-mus (Anm. 25), § 1 III; entsprechende Überlegungen finden sich inBrugger: Kreuz der Entscheidung (Anm. 20), Kap. IX, X, XII und S.184f.52 Zum Begriff der Gleichursprünglichkeit siehe Rentsch (Anm. 5),S. 95f.: „,Gleichursprünglich‘ sind Konstitutionsaspekte zu nen-nen, wenn sie 1. voneinander unableitbar sind, wenn sie 2. in ih-rem Verständnis irreduzibel aufeinander sind, und wenn sie 3. nurmiteinander und durch einander verständlich, und nicht aus nocheinem anderen Zug der Grundsituation ‚ableitbar‘ sind. Anders ge-sagt: Die Aspekte müssen sich als unverzichtbar füreinander auf-zeigen lassen.“ Ähnlichkeit besteht hier auch zu dem HärleschenBegriff von „relationaler Verfaßtheit des Menschen“ (Anm. 28),Sp. 1068f.53 Dieser Gedanke findet sich auch im nationalen Verfassungs-recht. Siehe Art. 19 Abs. 2 GG und zum „Menschenwürdegehalt“in den Grundrechten Dreier (Anm. 21), Rn. 163ff. Siehe fernerLampe (Anm. 15), S. 49: „In ihrem Kern, ihrem ‚Wesens‘gehalt blei-ben [die Grundrechte] absolute Menschenrechte; in ihrer normati-ven Ausgestaltung dagegen werden sie zu Kulturprodukten.“ DieMenschenbildformel allein, für sich genommen, beantwortet nichtdie Frage, was bei erheblichen Verletzungen der mit den fünf Ele-menten verbundenen Schutzgüter durch Private geschehen soll,etwa bei Mord. Soll dann die Todesstrafe oder eine wirklich lebens-lange Freiheitsstrafe ausgeschlossen sein? Die Antworten auf dieseFragen differieren, wie jeder weiß. Aber dass aus dem Menschen-bild der Menschenrechte einschlägige (wenngleich die Antwortnicht notwendig determinierende) Argumente gewonnen werdenkönnen, ist evident.

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54 Siehe etwa den Streit über die Priorität von Freiheit (John Rawls)oder Gleichheit (Ronald Dworkin), dargestellt bei Ronald Dwor-kin: Taking Rights Seriously, 1978, Kap. 6: Justice and Rights, in-bes. S. 178ff.55 Zum Unterschied von Regeln und Prinzipien siehe RobertAlexy: Theorie der Grundrechte, Taschenbuchausgabe 1986, Kap.3. Dort S. 125ff. auch zu der hier nicht problematisierten Frage dervielen unterschiedlichen Wertbegriffe. Für die Zwecke dieser Ar-gumentation kann es dabei bleiben, dass „Prinzipien und Werte …einerseits deontologischen und … andererseits axiologischen Cha-rakter“ haben (S. 133).56 Vgl. zum „margin of appreciation“ Eibe Riedel: Die Meinungs-freiheit als Menschenrecht und ihre Verbürgung durch die Europäi-sche Menschenrechtskonvention – Ansätze zu einer internationa-len Menschenrechtsordnung, in: Johannes Schwartländer /Dietmar Willoweit, Hrsg., Meinungsfreiheit – Grundgedankenund Geschichte in Europa und USA, 1986, S. 275, 288.57 Dieser Punkt war auch bei dem Streit um die Formulierung derMenschenwürdegarantie in Art. 1 Abs. 1 GG bedeutsam. SieheDreier (Anm. 21), Rn. 21 und Tanner (Anm. 2), S. 3: „Die histori-sche Genese der Idee der Menschenwürde ist, wie von Vertreternder Kirche und Theologen immer wieder betont wird, verknüpftmit christlichen Grundüberzeugungen. Die Etablierung als Fun-damentalnorm unserer politischen Ordnung ist allerdings das Er-gebnis eines bewußten Verzichts auf einseitige Begründungsstrate-gien im Parlamentarischen Rat und der daran sich anschließendenRechtsprechung.“58 Zur Unterscheidung von letzter und vorletzter Begründung sieheEibe Riedel: Theorie der Menschenrechtsstandards, 1986, S. 349ff.Man kann hier auch an die politische, nicht metaphysische Deutungvon John Rawls’ Theorie der Menschenrechte denken, die Rawls inseinen späteren Schriften bevorzugt hat: John Rawls: Die Idee des po-litischen Liberalismus. Aufsätze 1978–1989, hrsg. von WilfriedHinsch, Taschenbuchausgabe 1994, Kap. 4–6. Siehe auch die entspre-chenden Unterscheidungen zwischen Konventionalmoral und kriti-scher Moral in Brugger: Liberalismus (Anm. 25), S. 110ff.59 Siehe oben Anm. 10.60 Aus: Brugger: Freiheit (Anm. 19), S. 49.

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