Zur Frage der Vereinbarkeit von Recht und Praxis der Arbeit nach § 16 Abs. 3 SGB II i.V.m. § 31...

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    www.boeckler.de Mai 2008Copyright Hans-Bckler-Stiftung

    Max Kern

    Zur Frage der Vereinbarkeit von Recht und Praxis der Arbeit nach 16 Abs. 3 SGB II i.V.m. 31 SGB II mit dem IAO-bereinkommen (Nr. 29)ber Zwangs- oder Pflichtarbeit, 1930

    Abschlussbericht

    Auf einen Blick

    Die Heranziehung zu Arbeitsgelegenheiten in der Mehraufwandsvariante (1-Euro-Jobs) fhrt hufig zu einem Verstoss gegen das bereinkommen.

    Lsungsvorschlge :

    Als Minimallsung sollte die Anwendung der Sanktionen in 31 SGB II auf dieVerweigerung von Arbeit in der Mehraufwandsvariante ausgeschlossen wer-den.

    Es sollten alle Massnahmen ergriffen werden, um die Verstrickung desStaates in die Ausnutzung der Hilfsbedrftigen zu beenden. Dazu gehren:schon nach geltendem Recht die effektive Beachtung bzw. Durchsetzung derNachrangigkeit der 1-Euro-Jobs und ihrer in der Praxis weitgehend missachte-ten Frdervoraussetzungen; des weiteren als Auftrag an den Gesetzgeberauch die Abschaffung der vielfach missbrauchten 1-Euro-Jobs, die nach den

    Feststellungen des Bundesrechnungshofs, in Anbetracht der "Massnahmekos-ten" der Beschftigungstrger, nicht einmal kostengnstiger sind als ABM-Stellen.

    Fr eine Begrenzung der Zwangslage der Betroffenen erscheint es fernerrelevant, den Regelsatz des ALG II auf einen das Existenzminimum effektivdeckenden Betrag anzuheben, was, u.A. zur Vermeidung von Kombilohn-Effekten, mit der Einfhrung eines allgemeinen Mindestlohns einhergehensollte.

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    Zur Frage der Vereinbarkeit vonRecht und Praxisder

    Arbeit nach 16 Abs. 3 SGB II i. V. m. 31 SGB II

    mit dem IAO-bereinkommen (Nr. 29) ber Zwangs- oderPflichtarbeit, 1930

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    Das vorliegende Gutachten wurde erstellt im Auftrag der Hans-Bckler-Stiftung (Projekt-Nr. 2007-79-3).Der Verfasser, Max Kern, von 1966 bis 2002 Jurist im InternationalenArbeitsamt, war langjhriger Leiter der Sektion Zwangsarbeit derHauptabteilung Normen, dem Sekretariat der Aufsichtsorgane der IAOzur Prfung der Einhaltung der internationalen Normen durch dieMitgliedstaaten.

    Abgeschlossen im Mai 2008

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    Gliederung 3

    1. IAO-bereinkommen, Auslegungskompetenz,Rolle der Aufsichtsorgane 6

    1.1 bereinkommen sind vlkerrechtliche Vertrge 61.2 Auslegungskompetenz des IGH 6

    1.3 Aufsichtsorgane der IAO, Autoritt ihrer Spruchpraxis 71.3.1 Regelmssige Aufsicht :

    Sachverstndigenausschuss und Konferenzausschuss 71.3.2 Beschwerde- und Klageverfahren 81.3.3 Autoritt der Aufsichtsorgane 9

    2. Das bereinkommen (Nr.29) ber Zwangs- oder Pflichtarbeit, 193013

    2.1 Anforderungen von Art. 1 Abs. 1und Art. 25 des bereinkommens 14

    2.2 Definition der Zwangs- oder Pflichtarbeit im Sinne desbereinkommens (Art. 2 Abs. 1) 14

    2.2.1 Arbeit oder Dienstleistung 152.2.2 Androhung irgendeiner Strafe 162.2.3 Unfreiwilligkeit (insbesondere,

    Frage der Relevanz persnlicher Zwangslagen) 16

    2.3 Ausnahmen vom Schutz des bereinkommens(Artikel 2 Abs. 2) 20

    3. Spruchpraxis der Aufsichtsorgane der IAOzu Fragen der Arbeitslosenuntersttzung und Sozialhilfeunter dem Blickwinkel des bereinkommens Nr. 29 22

    3.1 Chile Hilfsprogramme fr Arbeitslose (PEM und POJH) 23

    3.2 Deutschland Heranziehung zu gemeinntziger Arbeit vonSozialhilfeempfngernohne Arbeitserlaubnis 27

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    3.3 Irland Rahmenbedingungen der Arbeitslosenhilfe 33

    4. Arbeit nach 16 Abs. 3 SGB II i. V. m. 31 SGB II :Nationale Normen und Praxis 39

    4.1 Ein-Euro-Jobs im System der Leistungen zur Eingliederungin Arbeit 39

    4.1.1 Varianten der Beschftigungsfrderung nach 16 Abs. 3 SGB II 394.1.2 Nachrang der Ein-Euro-Jobs : Gesetz und Praxis 404.1.3 Weitere Frdervoraussetzungen der Ein-Euro-Jobs :

    Abschluss einer Eingliederungsvereinbarung, Erforderlichkeit,ffentliches Interesse, Zustzlichkeit der Arbeit und Nicht-verdrngung regulrer Arbeit, Wettbewerbsneutralitt 41

    4.1.3.1 Eingliederungsvereinbarung 414.1.3.2 Erforderlichkeit 424.1.3.3 ffentliches Interesse 454.1.3.4 Zustzlichkeit der Arbeit und

    Nichtverdrngung regulrer Arbeit 454.1.3.5 Wettbewerbsneutralitt und

    Nichtverdrngung regulrer Arbeit 484.1.4 Revision der Arbeitshilfe vom 27.07.2007

    Einfluss auf die Praxis ? 494.1.4.1 nderungen in der Arbeitshilfe 49

    4.1.4.2 Gegenwrtige Praxis 51

    4.2 Rechtsstellung des Ein-Euro-Jobbers 564.2.1 Kein anerkanntes Arbeitsverhltnis 564.2.2 Sozialrechtliches Dreiecksverhltnis 574.2.3 Asymmetrie der Pflichten und Rechte 57

    4.3 Zumutbarkeit jeder Arbeit ( 10 SGB II) 594.3.1 Kriterium des Lohnwuchers 61

    4.4 Sanktionen ( 31 SGB II) 62

    5. Wrdigung von Recht und Praxis der Arbeit nach 16 Abs. 3 SGB II im Licht des bereinkommens(Nr. 29) ber Zwangs- oder Pflichtarbeit, 1930 65

    5.1 Arbeit oder Dienstleistung 65

    5.2 Androhung irgendeiner Strafe 66

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    5.3 Unfreiwilligkeit(insbesondere, Frage der Relevanz persnlicher Zwangslagen) 68

    5.3.1 Ausbeutung einer wirtschaftlichen Zwangslage (Lohnwucher) 715.3.1.1 Verwendete Begriffe und Bezugsgrssen 71

    5.3.1.2 Berechnungsgrundlagen 73ALG II 73Mehraufwandentschdigung 74Arbeitszeit Richtwerte und Praxis 74

    5.3.1.3 Rechenbeispiele 755.3.1.4 Wrdigung 765.3.2 Verdrngung regulrer Arbeit 77

    5.4 Keine Ausnahme vom Schutz des bereinkommens 785.5 Gesamtwrdigung 79

    6. Schlussfolgerungen und Empfehlungen 80

    6.1 Abschaffung der Sanktion 80

    6.2 Rckzug des Staats aus der Ausnutzung einer Zwangslage 81

    7. Zusammenfassung Summary 83

    7.1 Deutsche Zusammenfassung 837.2 English Summary 88

    Anhang 1 : Convention (No.29) on Forced Labour, 1930 95bereinkommen (Nr. 29) ber Zwangs- oder Pflichtarbeit, 1930 96

    Anhang 2 : Relevante Bestimmungen des SGB II und III 98

    Anhang 3: Quellenverzeichnis zur deutschen Rechtslage und Praxis 113

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    1. IAO-bereinkommen, Auslegungskompetenz,Rolle der Aufsichtsorgane

    Der Rahmen der vorliegenden Untersuchung ist bestimmt durch einigeElemente, die vorab zu klren sind : die Natur der bereinkommen derInternationalen Arbeitsorganisation als vlkerrechtlicher Vertrge, dieIAO-spezifischen Bedingungen ihrer Auslegung und die Autoritt der vonder IAO eingesetzten Aufsichtsorgane, deren Spruchpraxis die Grundlagedieses Gutachtens bildet.1

    1.1 bereinkommen sind vlkerrechtliche VertrgeDie Ausarbeitung und Annahme der bereinkommen der InternationalenArbeitsorganisation obliegt der Allgemeinen Konferenz der IAO,2 auf derArbeitnehmer- und Arbeitgebervertreter neben Regierungsvertretern Sitzund Stimme haben. Ungeachtet dieser Besonderheit sind diebereinkommen der IAO vlkerrechtliche Vertrge. Ihre Bestimmungenwerden fr die einzelnen Staaten auf Grund deren Ratifizierung des

    jeweiligen bereinkommens rechtsverbindlich.3

    1.2 Auslegungskompetenz des IGHArtikel 37 Abs. 1 der Verfassung der Internationalen Arbeitsorganisationbestimmt : Alle Fragen oder Schwierigkeiten in der Auslegung dieserVerfassung oder der spter von den Mitgliedern nach dieser Verfassungabgeschlossenen bereinkommen werden dem Internationalen

    1 Es ist zu beachten, dass nur die englische und franzsische Fassung der bereinkommen derinternationalen Arbeitsorganisation internationale Rechtsgeltung haben und die Spruchpraxisder Aufsichtsorgane nur auf englisch, franzsisch und spanisch erfolgt. Vom jhrlichenBericht des Sachverstndigenausschusses fr die Durchfhrung der bereinkommen undEmpfehlungen (Internationale Arbeitskonferenz, Bericht III (Teil 1A frher Teil 4A)) liegteine in der Regel weder vom Ausschuss noch von seinem Sekretariat geprfte - deutschebersetzung nur fr den Allgemeinen Bericht in Teil 1 vor, nicht fr die Stellungnahmen zurDurchfhrung der bereinkommen in den einzelnen Lndern. Im folgenden wird, wo es aufPrzision ankommt, der jeweilige englische Text angefhrt. Auch wird denSchlussfolgerungen des Gutachtens eine englische Zusammenfassung seiner wesentlichenErgebnisse angefgt werden.2 (auch Internationale Arbeitskonferenz genannt)3 Die Frage, inwieweit die Prinzipien der bereinkommen ber grundlegende

    Menschenrechte, insbesondere die des bereinkommens (Nr.29) ber Zwangsarbeit, 1930,auch ohne Ratifizierung fr alle Staaten verbindlich sind, braucht hier nicht abgehandelt zuwerden, da Deutschland das bereinkommen ratifiziert hat.

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    Gerichtshof zur Entscheidung vorgelegt. In der Praxis ist der IGH bzw.sein Vorgnger nur viermal angerufen worden, vor dem zweitenWeltkrieg, wobei es im wesentlichen um Fragen der Zustndigkeit derIAO ging, die jedesmal besttigt wurde. Dass Fragen der Auslegung von

    bereinkommen dem IGH bisher nicht vorgelegt wurden, unterstreichtdie Rolle und Autoritt der Aufsichtsorgane der IAO und ihrerSpruchpraxis.4

    1.3 Aufsichtsorgane der IAO,Autoritt ihrer Spruchpraxis

    Die IAO besitzt eine Reihe von Verfahren und Organen zur Sicherstellungder Einhaltung ratifizierter bereinkommen. Eine kurze Prsentation derfr eine regelmssige Aufsicht eingesetzten Organe sowie derBeschwerde- und Klageverfahren sei vorausgeschickt, bevor auf dieAutoritt der Spruchpraxis einzugehen ist.

    1.3.1 Regelmssige Aufsicht :Sachverstndigenausschuss und Konferenzausschuss

    Die regelmssige Aufsicht ber die Einhaltung ratifizierter bereinkom-men grndet sich auf die Pflicht der Staaten nach Art. 22 der Verfassungder IAO zur regelmssigen Berichterstattung an das Internationale

    Arbeitsamt sowie die mglichen Stellungnahmen der Arbeitnehmer- undArbeitgeberverbnde, die nach Art. 23 der Verfassung Abschriften derRegierungsberichte zu erhalten haben. Zur Prfung dieser Berichte undSicherstellung der Einhaltung der bereinkommen hat der Verwaltungsratdes Internationalen Arbeitsamtes im Jahre 1926 zwei stndige Organeeingesetzt : den Sachverstndigenausschuss fr die Durchfhrung derbereinkommen und Empfehlungen5, und den Konferenzausschuss frdie Durchfhrung der bereinkommen und Empfehlungen (bzw.Konferenzausschuss fr die Durchfhrung der Normen)6.

    4 Es mag erwhnt werden, dass zuzeiten bis zu vier Mitglieder desSachverstndigenausschusses fr die Durchfhrung der bereinkommen und Empfehlungender IAO, darunter der Vorsitzende, zugleich Richter am IGH waren.5 Engl. : Committee of Experts on the Application of Conventions and Recommendations .6 Seit 1989 erstattet der Konferenzausschuss seinen Bericht als Report of the Committee onthe Application of Standards ( Bericht des Konferenzausschusses fr die Durchfhrung derNormen ). In der englisch-franzsischen Ausgabe 2004 der Verfassung der Internationalen

    Arbeitsorganisation und Geschftsordnung der Internationalen Arbeitskonferenz erscheint derKonferenzausschuss jedoch weiterhin unter seinem alten Namen Committee on theApplication of Conventions and Recommendations (Art. 7 der Geschftsordnung).

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    Die Mitglieder des Sachverstndigenausschusses werden vomVerwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes aus allen Teilen derWelt, jedoch nicht als Vertreter ihres Landes, sondern in ihrerpersnlichen Eigenschaft, in Ansehung ihrer Unabhngigkeit,

    Unparteilichkeit und Sachkompetenz berufen. Wesentliche Aufgabe desAusschusses ist es, festzustellen, inwieweit die Mitgliedstaaten ihreVerpflichtungen nach der Verfassung der IAO und den von ihnenratifizierten bereinkommen erfllen. Der Ausschuss ussert sich zurEinhaltung der bereinkommen in den einzelnen Staaten in der Form vonin seinem Bericht verffentlichten Stellungnahmen7 sowie direktenAnfragen8 an die Regierungen.

    Der jhrliche Bericht des Sachverstndigenausschusses liegt derAllgemeinen Konferenz der Organisation vor und ist Grundlage einerzweiwchigen Diskussion im Konferenzausschuss fr die Durchfhrungder bereinkommen und Empfehlungen, wo Arbeitnehmer-, Arbeitgeber-und Regierungsdelegierte im Dialog mit den Vertretern betroffenerRegierungen Abhilfe fr vom Sachverstndigenausschuss festgestellteMngel suchen.

    1.3.2 Beschwerde- und KlageverfahrenAngesichts der Entwicklung der regelmssigen Aufsichtsverfahren sind

    die von der Verfassung der IAO vorgesehenen besonderen Beschwerde-und Klageverfahren nur in beschrnktem Umfang in Anspruch genommenworden.

    Beschwerdeverfahren. Nach Art. 24 der Verfassung knnenBerufsverbnde der Arbeitnehmer oder Arbeitgeber eine Beschwerde9 andas Internationale Arbeitsamt richten, dass ein Staat die Durchfhrungeines von ihm ratifizierten bereinkommens nicht in befriedigenderWeise sichergestellt habe. Erfllt die Beschwerde die rein formellen

    Zulssigkeitsvoraussetzungen, fordert der Verwaltungsrat die betroffeneRegierung zur Stellungnahme auf und setzt aus seiner Mitte einendreigliedrigen Ausschuss zur Prfung der Angelegenheit ein. Mit derAnnahme des Berichtes dieses Ausschusses entscheidet derVerwaltungsrat ber die Beschwerde ; ist sie begrndet gefunden worden,wird der Bericht mit den Schlussfolgerungen und Empfehlungen desAusschusses (sowie dem Wortlaut der Beschwerde und ggf. der Antwortder Regierung) verffentlicht. Danach wird die Umsetzung der

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    Engl. : observation(s) .8 Engl. : direct request(s) .9 Engl. : representation .

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    Empfehlungen im Rahmen des regelmssigen Aufsichtsverfahrens vomSachverstndigenausschuss fr die Durchfhrung der bereinkommenund Empfehlungen weiterverfolgt.

    Klageverfahren. Nach Art. 26 ff. der Verfassung kann eine Klage

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    , diedie mangelhafte Durchfhrung eines ratifizierten bereinkommens ineinem Staat geltend macht, von anderen Staaten, die das gleichebereinkommen ratifiziert haben, sowie von Konferenzdelegierten,einschliesslich der Arbeitnehmer- oder Arbeitgebervertreter, eingereichtwerden, und der Verwaltungsrat kann zur Prfung der Frage einenunabhngigen Untersuchungsausschuss11 einsetzen, der quasi-richterlicheFunktionen ausbt. Nach eingehender Prfung der Klage verfasst derUntersuchungsausschuss einen Bericht, worin er seine Feststellungenber smtliche fr den Streitfall bedeutsamen Tatfragen niederlegt, unddie ihm geeignet erscheinenden Massnahmen sowie eine Frist zur

    Durchfhrung dieser Massnahmen empfiehlt (Art. 28 der Verfassung).

    1.3.3 Autoritt der AufsichtsorganeAngesichts der oben in Punkt 1.2 beschriebenen Kompetenz desInernationalen Gerichtshofs zur Auslegung der bereinkommen der IAOist die Frage nach der Autoritt der von den Aufsichtsorganen der IAO inder Ausbung ihres Mandats getroffenen Feststellungen zur Vereinbarkeit

    von nationaler Gesetzgebung und Praxis mit den Bestimmungen derinternationalen bereinkommen erhoben worden.

    Fr den oben in Punkt 1.3.2 beschriebenen Untersuchungsausschuss nachArt. 26 ff. der Verfassung ist die Frage ausdrcklich mit Bezug auf denIGH geregelt in Art. 29 der Verfassung der IAO:

    1. Der Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtesteilt den Bericht des Untersuchungsausschusses dem

    Verwaltungsrat und jeder an dem Streitfall interessierten Regierungmit und veranlasst seine Verffentlichung.

    2. Jede dieser Regierungen hat dem Generaldirektor desInternationalen Arbeitsamtes binnen drei Monaten mitzuteilen, obsie die in dem Bericht des Ausschusses enthaltenen Empfehlungenannimmt oder nicht und, falls sie diese nicht annimmt, ob sie denStreitfall dem Internationalen Gerichtshof zu unterbreitenwnscht.

    10 Engl. : complaint .11 Engl. : Commission of Inquiry .

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    Wendet sich eine betroffene Regierung nicht an den IGH und befolgtdennoch nicht binnen der vorgeschriebenen Frist die in dem Bericht desUntersuchungsausschusses enthaltenen Empfehlungen, so kann der

    Verwaltungsrat der Konferenz nach Art. 33 der Verfassung dieMassnahmen empfehlen, die ihm zur Sicherung der Ausfhrung dieserEmpfehlungen zweckmssig erscheinen . D.h., soweit sich die Regierungnicht an den IGH wendet, haben die den Schlussfolgerungen desUntersuchungsausschusses angefgten Empfehlungen, ungeachtet ihrerdiplomatischen Form, die Autoritt eines vollstreckbaren Titels.

    Seinerseits hat der Sachverstndigenausschuss fr die Durchfhrung derbereinkommen und Empfehlungen in seinem allgemeinen Bericht von1990 daran erinnert,

    dass sein Arbeitsauftrag nicht von ihm verlangt, definitiveAuslegungen von bereinkommen vorzunehmen, da laut Artikel 37der Verfassung der IAO der Internationale Gerichtshof hierfr

    zustndig ist. Um jedoch seiner Aufgabe gerecht zu werden,nmlich festzustellen, ob die Anforderungen von bereinkommeneingehalten werden, muss der Ausschuss den Inhalt und die

    Bedeutung der Bestimmungen der bereinkommen prfen, dazuStellung nehmen und gegebenenfalls ihren rechtlichen

    Anwendungsbereich festlegen. Der Ausschuss ist daher der Ansicht,

    dass seine Auffassungen soweit diesen nicht vom InternationalenGerichtshof widersprochen wird als gltig und allgemeinanerkannt angesehen werden mssen. Gleiches gilt fr dieSchlussfolgerungen oder Empfehlungen vonUntersuchungsausschssen .12

    12 Internationale Arbeitskonferenz, 77. Tagung 1990, Bericht III (Teil 4A), Bericht desSachverstndigenausschusses fr die Durchfhrung der bereinkommen und Empfehlungen,Allgemeiner Bericht, Paragraph 7. Der englische Originaltext lautet :

    The Committee has already had occasion to point out that its terms ofreference do not require it to give definitive interpretations of Conventions,competence to do so being invested in the International Court of Justice by article 37of the Constitution of the ILO. Nevertheless, in order to carry out its function ofdetermining whether the requirements of Conventions are being respected, theCommittee has to consider and express its view on the content and meaning of theprovisions of Conventions and to determine their legal scope, where appropriate. Ittherefore appears to the Committee that, insofar as its views are not contradicted bythe International Court of Justice, they are to be considered as valid and generallyrecognised. The situation is identical as regards the conclusions or recommendations

    of commissions of inquiry (International Labour Conference, 77th Session 1990,Report III (Part 4A), Report of the Committee of Experts on the Application ofConventions and Recommendations, General Report, paragraph 7.)

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    Auf der Internationalen Arbeitskonferenz 1990 bestritt der damaligeSprecher der Arbeitgebergruppe im Konferenzausschuss fr dieDurchfhrung der Normen (und als solcher stellvertretender Vorsitzender

    des Konferenzausschusses) diese Position der Sachverstndigen : dieFeststellungen des Sachverstndigenausschusses seien fr denKonferenzausschuss nicht bindend, da dieser eine eigenstndigePrfungskompetenz laut Artikel 7 der Geschftsordnung der Konferenzhabe.13

    hnliche berlegungen waren Mitte der achziger Jahre vonRegierungsvertretern des sozialistischen Lagers angestellt worden undunter anderen von der Arbeitgebergruppe scharf zurckgewiesen worden.In einem 1989 erschienenen und noch 1991 neu aufgelegten Leitfaden frArbeitgeberverbnde zitierte der frhere Sprecher der Arbeitgebergruppeund stellvertretende Vorsitzende des Konferenzausschusses fr dieDurchfhrung der Normen eine Stellungnahme von R. Lagasse,Generalsekretr des Internationalen Arbeitgeberverbandes aus dem Jahre1984 wie folgt :

    Impartial and objective supervisory machinery is thusrequired.

    The Committee of Experts on the Application of Conventions

    and Recommendations has a major part to play in this machinery, apart which is not to condemn but to enable the group ofindependent lawyers of wich the Committee is composed to note

    possible discrepancies between the texts of the instruments andnational laws and practice. On the basis of the facts thusestablished, it is then up to the Conference, to member States, toworkers and employers organisations to take the action open to

    13 International Labour Conference, Seventy-Seventh Session Geneva, 1990, Record ofProceedings, pp. 31/20 to 31/21 :

    Original German : Mr. Wisskirchen (Employers adviser, Federal Republicof Germany ; Vice-chairman of the Committee on the Application of Standards)

    In practice, the Conference Committee follows the indications of theexperts very closely, for obvious reasons. However, the Committees powers ofevaluation, according to article 7 of the Standing Orders of the Conference, are notrestricted. Once the Committee of Experts has given its own interpretation, thequestion becomes one of priority as soon as the Conference Committee departs from apoint of interpretation given by the Committee of Experts. We employers have beensaying for many years now that there are certain interpretations by the experts

    regarding freedom of association which are not at all shared by us.Ausfhrlicher aaO Seiten 27/5 ff. (Paragraph 21 ff. des allgemeinen Berichts desKonferenzausschusses).

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    them under the Constitution. Despite their enormous task and thelimited means available to the Organisation, the experts havecarried out their work in a manner greatly to their credit and to thecredit of the ILO. Repeated attacks on the experts and on the

    supervisory system of the ILO in general are rejected by us asentirely unwarranted.

    The Conference Committee on the Application ofStandards enables the difficulties encountered in the application ofthe Conventions to be discussed freely and frankly in a tripartite

    form and this dialogue has often made it possible to avoid recourseto the constitutional complaints and representation procedures. .

    The [Conference] Committees report is a summary ofdebates. It is not a legal document. 14

    Der Sachverstndigenausschuss hat seine Position in seinem allgemeinenBericht von 1991 noch einmal przisiert :

    Mit der Feststellung, dass seine Auffassungen sofern diesennicht vom Internationalen Gerichtshof widersprochen wird alsgltig und allgemein anerkannt angesehen werden mssen, vertrittder Sachverstndigenausschuss nicht die Ansicht, dass diese

    Auffassungen als Urteile anzusehen sind, die im Sinne der resjudicata bindend sind, da der Ausschuss kein Gerichtshof ist. Wie erbereits mehrfach zum Ausdruck gebracht hat, hat er berdies seine

    Ansichten nie als bindende Entscheidungen angesehen, die sich aufeine definitive Auslegung der bereinkommen grnden, deren

    Anwendung durch die Mitgliedstaaten er berprft. Indessen ist derAusschuss der Ansicht, dass das ordnungsgemsse Funktionierendes normensetzenden Systems der Internationalen Arbeitsorganisa-tion voraussetzt, dass ein Staat die vom Sachverstndigenausschuss

    geusserten Ansichten zur Anwendung einer Bestimmung eines vondiesem Staat ratifizierten bereinkommens nicht bestreitet und

    zugleich davon Abstand nimmt, das vorgesehene Verfahren zurErlangung einer endgltigen Interpretation des betreffendenbereinkommens in Anspruch zu nehmen. In einer derartigenSituation wrde hinsichtlich der Verpflichtung, die fraglichen

    Bestimmungen anzuwenden, ein Zweifel bestehen bleiben, undjedem Staat wrde eine Befugnis bertragen werden, die ihm nach

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    International Labour Organisation, Employers activities - International Labour Standards,The process of adoption and supervision : A Memorandum for Employers Organisations byGeorge Polites, p. 46 (in part also quoted p. 23).

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    dem internationalen Recht nicht zusteht. Die Folge wre eineRechtsunsicherheit hinsichtlich der Bedeutung und des Geltungs-bereichs der betreffenden Bestimmungen, solange die Frage nichtdurch eine Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs geregelt

    wird ; eine derartige Situation wrde sich auf die fr dasordnungsgemsse Funktionieren des normsetzenden Systems derIAO erforderliche Rechtssicherheit nachteilig auswirken.15

    2. Das bereinkommen (Nr.29) ber Zwangs- oder Pflichtarbeit, 1930

    Das bereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation berZwangsarbeit ist von 172 Staaten ratifiziert ; Deutschland hat es am 13.Juni 1956 ratifiziert und sich damit seinen Anforderungen unterworfen.16Die einschlgigen Bestimmungen des bereinkommens werden hier wiefolgt untersucht :1. die nach Art. 1 Abs. 1 und Art. 25 zu ergreifenden Massnahmen;2. die Definition der Zwangs- oder Pflichtarbeit im Sinne des

    bereinkommens (Art. 2 Abs. 1);3. Ausnahmen von dieser Definition (Art. 2 Abs. 2).

    15 Internationale Arbeitskonferenz, 78. Tagung 1991, Bericht III (Teil 4A), Bericht desSachverstndigenausschusses fr die Durchfhrung der bereinkommen und Empfehlungen,Allgemeiner Bericht, Paragraph 11. Der englische Originaltext lautet :

    In stating that insofar as its views are not contradicted by the InternationalCourt of Justice, they are to be considered as valid and generally recognised, theCommittee of Experts does not regard those views as decisions havig the authority ofres judicata, as the Committee is not a court of law. Furthermore, as it has alreadypointed out on more than one occasion, it has never regarded its views as bindingdecisions based on a definitive interpretation of the Conventions of which it examinesthe application by member States. However, it considers that the proper functioning ofthe standard-setting system of the International Labour Organisation requires that aState should not contest the views expressed by the Committee of Expers on theapplication of a provision of a Convention that it has ratified and at the same timerefrain from making use of the established procedure for obtaining a definitiveinterpretation of the Convention in question. In such a situation, a doubt would remainas to the obligation to apply the provisions in question and every State would have apower conferred on it which is not conferred by international law. The result would belegal uncertainty as to the meaning and scope of the provisions concerned as long asthe question is not settled by a decision of the International Court of Justice ; such asituation would be prejudicial to the certainty of law required for the properfunctioning of the standard-setting system of the ILO. (International LabourConference, 78th Session 1991, Report III (Part 4A), Report of the Committee ofExperts on the Application of Conventions and Recommendations, General Report,paragraph 11.)

    16

    Das bereinkommen ist fr Deutschland ein Jahr nach seiner Ratifizierung in Kraftgetreten. Der authentische englische Text und eine offizise deutsche bersetzung derwesentlichen Artikel sind im Anhang 1 dieses Gutachtens abgedruckt.

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    2.1 Anforderungen von Art. 1 Abs. 1

    und Art. 25 des bereinkommens

    Art. 1 Abs. 1 des bereinkommens verpflichtet den Staat, den Gebrauchvon Zwangs- oder Pflichtarbeit in allen ihren Formen innerhalb derkrzest mglichen Frist abzuschaffen.1718 Diese Verpflichtung zur Ab-schaffung der Zwangs- oder Pflichtarbeit im Sinne desbereinkommens19 beinhaltet fr den Staat Unterlassungs- undHandlungspflichten : Er darf Zwangs- oder Pflichtarbeit weder selbstauferlegen noch dulden, und er muss alle Rechts- undVerwaltungsnormen aufheben, die den Einsatz von Zwangs- oderPflichtarbeit vorsehen oder ermglichen, so dass jede Ntigung zuArbeit, sei es durch Privatpersonen oder ffentl

    riche Bedienstete, gegen

    ationales Recht verstsst.

    dafr

    Strafvorschriften wirksam sind und strikt angewandt werden.20

    2.2 htarbeit im Sinne desbereinkommens (Art. 2 Abs. 1)

    Person unter Androhung irgendeiner Strafe verlangt wird und fr die sie

    nDes weiteren muss der Staat nach Art. 25 des bereinkommenssorgen, dass die unberechtigte Auferlegung von Zwangs- oderPflichtarbeit unter Strafe gestellt ist und dass die gesetzlichen

    Definition der Zwangs- oder Pflic

    Als Zwangs- oder Pflichtarbeit im Sinne des bereinkommens gilt nachArtikel 2 Abs. 1 jede Art von Arbeit oder Dienstleistung, die von einer

    17 Der englische authentische Text lautet : to suppress the use of forced or compulsorylabour in all its forms within the shortest possible period. 18 Die bergangsbestimmungen des Artikels 1 Abs. 2 und der Artikel 3 bis 24, die vor allemkoloniale Formen der Zwangsverpflichtung in Erwartung ihrer vlligen Beseitigung regelten,knnen heute nicht mehr zur Rechtfertigung von Zwangsarbeit herangezogen werden - vgl.(mit weiteren Quellenhinweisen) Paragraph 10 des allgemeinen berblicks desSachverstndigenausschusses fr die Durchfhrung der bereinkommen und Empfehlungenaus dem Jahre 2007 ber die Abschaffung der Zwangsarbeit : International Labour OfficeGeneva, 2007, Eradication of forced labour (International Labour Conference, 96th Session,2007, Report III (Part 1 B), General Survey concerning the Forced Labour Convention,1930(No.29), and the Abolition of Forced Labour Convention, 1957 (No. 105), Report of theCommittee of Experts on the Application of Conventions and Recommendations).19 Zur Definition der Zwangs- oder Pflichtarbeit im Sinne des bereinkommens und dieAusnahmen von dieser Definition vgl. die nachfolgenden Punkte 2.2 und 2.3.20

    Art. 25 : The illegal exaction of forced or compulsory labour shall be punishable as apenal offence, and it shall be an obligation on any Member ratifying this Convention to ensurethat the penalties imposed by law are really adequate and strictly enforced.

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    2.2.2 Androhung irgendeiner StrafeUm unter die Definition der Zwangs- oder Pflichtarbeit in Art. 2 Abs.1 des bereinkommens zu fallen, muss eine Arbeit oder Dienstleistung

    unter Androhung irgendeiner Strafe

    25

    verlangt sein. In stndigerSpruchpraxis haben die Aufsichtsorgane der InternationalenArbeitsorganisation darauf hingewiesen, dass nach derEntstehungsgeschichte des bereinkommens die hier infragestehende Strafe (englisch : any penalty ) keine strafrechtliche Sanktion zusein braucht, sondern auch die Form einer Einbusse von Rechten oderVorrechten annehmen kann.26 Insoweit irrt eine in Deutschland offenbarvorherrschende Meinung zum bereinkommen.27 Konkret wird jedochauch, wie im nchsten Punkt zum Kriterium der Unfreiwilligkeitausgefhrt, auf die rechtlichen und praktischen Rahmenbedingungen derArbeit oder Dienstleistung einzugehen sein und insbesondere auf dieFrage, ob bzw. wann eine primr wirtschaftliche Zwangslage dem Staatzurechenbar ist oder wird.

    2.2.3 Unfreiwilligkeit(insbesondere, Frage der Relevanz persnlicher Zwangslagen)

    In ihrer Spruchpraxis zu der Frage, ob sich eine Person freiwillig odernicht fr eine Arbeit oder Dienstleistung zur Verfgung gestellt hat, haben

    die Aufsichtsorgane der IAO eine Reihe verschiedener Aspekte berhrt :die teilweise Verschrnkung der Kriterien Strafandrohung undUnfreiwilligkeit ; Form und Gegenstand einer Zustimmung ; die Frage,inwieweit Minderjhrige (oder ihre Eltern) eine gltige Zustimmunggeben knnen ; die Mglichkeit, eine frei gegebene Zustimmung zu

    25 Im authentischen englischen Text: under the menace of any penalty .26 It was made clear during the consideration of the draft instrument by the Conference thatthe penalty here in question need not be in the form of penal sanctions, but might take theform also of a loss of rights or privileges. - Paragraph 37 des (in Fussnote 18 mit vollemTitel zitierten) allgemeinen berblick des Sachverstndigenausschusses von 2007, mitweiteren Quellenhinweisen.27 z.B. (in seiner Beurteilung von Absenkung und Wegfall des Arbeitslosengeldes II nach 31SGB II) Berlit in Stahlmann (Hg.), Handbuch Ein Euro-Jobs, 2006, S.93 (mit weiterenQuellenhinweisen) : Die Obliegenheit zur Annahme zumutbarer Ein-Euro-Jobs und dieLeistungskrzung bei Verweigerung verstsst nach herrschender Meinung auch nicht gegendas bereinkommen Nr. 29 der internationalen Arbeitsorganisation . Strafe im Sinnedieses Abkommens ist nicht alles, was als Bestrafung empfunden wird, sodern lediglichdie Kriminal- oder Verwaltungsstrafe. Auch wenn jetzt die Leistungskrzung oder derWegfall als Sanktion bezeichnet wird, handelt es sich der Sache nach um eine

    leistungsrechtliche Reaktion auf eine sozialrechtliche Obliegenheitsverletzung, nicht um eineStrafe i.S.d. ILO-bereinkommens Nr. 29. Kritisch dagegen Rixen in Eicher/Spellbrink(Hg.), SGB II, 10, Rdn. 24 b.

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    widerrufen ; und schliesslich die Frage, ob bzw. wann ussereZwangslagen oder indirekter Druck dem Staat oder dem Arbeitgeberzurechenbar sind oder nicht. Allein letztere Frage wird im folgendenvertieft werden, da sie fr den Untersuchungsgegenstand bedeutsam

    erscheint.

    Bei der Beurteilung der Freiheit einer Person, sich fr eine Arbeit oderDienstleistung zur Verfgung zu stellen oder nicht, sind die rechtlichenund praktischen Rahmenbedingungen in Betracht zu ziehen, die dieseFreiheit gewhrleisten oder einschrnken.28 So verstsst eine (mitRechtsfolgen bewehrte) gesetzliche allgemeine Arbeitspflicht gegen dasbereinkommen, selbst wenn den Brgern die freie Wahl desArbeitsplatzes berlassen bleibt.29 Andererseits kann auch diewirtschaftliche Notwendigkeit, zur Bestreitung des Lebensunterhaltes zuarbeiten, unter bestimmten Bedingungen zu einem Faktor derZwangsarbeit werden, z.B. dann, wenn einer Person mit gesetzlichen30oder ungesetzlichen31 Mitteln der Zugang zum allgemeinen Arbeitsmarkt

    28 Paragraph 38 des (in Fussnote 18 mit vollem Titel zitierten) allgemeinen berblicks desSachverstndigenausschusses von 2007.29 Paragraph 45 des allgemeinen berblicks des Sachverstndigenausschusses fr dieDurchfhrung der bereinkommen und Empfehlungen aus dem Jahre 1979 zur Abschaffung

    der Zwangsarbeit : International Labour Office Geneva, 1979, Abolition of Forced Labour(International Labour Conference, 65th Session 1979, Report III (Part 4B), General Survey ofthe Reports relating to the Forced Labour Convention, 1930 (No. 29), and the Abolition ofForced Labour Convention, 1957 (No. 105), Report of the Committee of Experts on theApplication of Conventions and Recommendations (Articles 19, 22 and 35 of theConstitution) Volume B).30 z.B. Gesetzgebung, die Asylbewerbern den normalen Zugang zum allgemeinenArbeitsmarkt verwehrt, whrend die gleichen Personen aufgerufen werden knnen,gemeinntzige Arbeit zu verrichten, die sie nicht ablehnen knnen, ohne die Sozialhilfe zuverlieren, auf die sie nun fr ihren Lebensunterhalt angewiesen sind Paragraph 39 mitFussnote 64 des (hier in Fussnote 18 mit vollem Titel zitierten) allgemeinen berblicks desSachverstndigenausschusses von 2007 : However, the employer or the State are notanswerable for all external constraints or indirect coercion existing in practice : for example,the need to work in order to earn ones living could become relevant only in conjunction withother factors for which they are answerable. Such factors might be, for example, legislationunder which persons requesting asylum are normally prohibited from taking up employment,but these very persons may be called up to perform socially useful work which they have nochoice but to carry out if they are to maintain their welfare entitlements (see RCE, 1984, p.77,observation concerning the Federal Republic of Germany). 31 z.B. Zurckhaltung der Ausweispapiere eines Wanderarbeitnehmers durch den Arbeitgeber,so Paragraph 39 des (in Fussnote 18 mit vollem Titel zitierten) allgemeinen berblick des

    Sachverstndigenausschusses von 2007, mit weiteren Quellenhinweisen, darunter auf denBericht eines nach Art. 26 der Verfassung der IAO eingesetzten Untersuchungsausschusses(ILO, Official Bulletin, Special Supplement, Vol. LXVI, 1983, Series B).

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    verwehrt wird, so dass sie zur Fristung ihres Lebens keine andere Wahlhat, als die ihr angetragene Beschftigung anzunehmen.

    Wie steht es jedoch, wenn weder eine gesetzliche allgemeine

    Arbeitspflicht, noch gesetzliche oder ungesetzliche Beschrnkungen desZugangs zum allgemeinen Arbeitsmarkt die Freiheit einer Personbeeintrchtigen, sich fr eine bestimmte Beschftigung zur Verfgung zustellen oder nicht ? Kann unter solchen Rahmenbedingungen eine primrrein wirtschaftliche Notwendigkeit, zur Fristung des Lebensunterhalts

    jede angebotene Beschftigung anzunehmen, dem Staat als Zwangangelastet werden, und wenn, dann unter welchen Umstnden ? DieseFrage ist speziell in der Spruchpraxis der Aufsichtsorgane zuArbeitslosenversicherung bzw. -hilfe und Sozialhilfe behandelt worden,und die relevanten Leitgedanken seien im folgenden zusammengestellt,bevor in Punkt 3 einzelne Przedenzflle zur Sprache kommen.

    Um zu bestimmen, inwieweit eine primr wirtschaftliche Zwangslage demStaat zurechenbar ist oder wird, haben die Aufsichtsorgane derInternationalen Arbeitsorganisation folgende Kriterien herangezogen :

    In einem Fall, wo eine objektive wirtschaftliche Zwangslageexistiert, aber nicht von der Regierung geschaffen wurde, knntedie Regierung nur dann fr die nicht von ihr geschaffene Situation

    zu einem gewissen Grad verantwortlich werden, wenn sie die Lageausbeutet, indem sie ein exzessiv niedriges Lohnniveau anbietet.

    Darber hinaus knnte sie dafr verantwortlich gehalten werden,eine wirtschaftliche Zwangslage zu organisieren oder zuverschrfen, wenn die Anzahl der Personen, die von der Regierung

    zu exzessiv niedrigen Lhnen beschftigt werden und der Umfangder von ihnen verrichteten Arbeit eine Kettenreaktion auf dieLage weiterer Personen auslsen, indem sie zum Verlust derennormaler Beschftigung fhren, so dass sie in die gleiche

    wirtschaftliche Zwangslage geraten.32

    32 So ein vom Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamts zur Prfung einer Beschwerdenach Art. 24 der Verfassung eingesetzter Ausschuss (ILO, Governing Body, Nov. 1997, doc.GB.270/15/3, Paragraph 30), auch zitiert vom Sachverstndigenausschuss fr dieDurchfhrung der bereinkommen und Empfehlungen in Paragraph 106 seines AllgemeinenBerichts von 1998 (International Labour Conference, 86th Session 1998, Report III (Part 1A),Report of the Committee of Experts on the Application of Conventions andRecommendations, General Report) sowie in seiner (in den IAO-Datenbanken auf das Jahr2000 datierten) 2001 an Irland gerichteten direkten Anfrage zur Durchfhrung des

    bereinkommens Nr. 29 :[Fortsetzung der Fussnote nchste Seite]

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    Zur Frage, inwieweit unter dem bereinkommen eine wirtschaftlicheZwangslage dem Staat zurechenbar ist oder wird, haben dieAufsichtsorgane als Kriterien fr die Feststellung einer Ausbeutung imRahmen staatlicher Minimalbeschftigungsprogramme neben einem

    exzessiv niedrigen Lohnniveau auch den fehlenden Schutz desArbeitsrechts und des Rechts der Sozialen Sicherheit herangezogen :

    Der Ausschuss bezieht sich auf seine bereits ausgefhrtenErwgungen zum Minimalbeschftigungsprogramm und dem

    Beschftigungsprogramm fr Haushaltsvorstnde die ihn zumSchluss gefhrt haben, wie schon den Sachverstndigenausschuss,dass die in diese Programme eingeschriebenen Personen nicht alsim Genuss frei gewhlter Beschftigung angesehen werden knnen.

    Der Ausschuss ist der Ansicht, dass eine von zahlreichenPersonen ausgefhrte Arbeit, die mit exzessiv niedrigen Lhnenentgolten wird und nicht den Schutz des Arbeitsrechts und des

    Rechts der Sozialen Sicherheit bietet, Anlass zu Zweifelnhinsichtlich ihres freiwilligen Charakters geben kann, insbesonderewenn es sich nicht um eine temporre Lsung bzw. die Lsung einesaussergewhnlichen Notstandes handelt, sondern um eine Lage, die

    zur Dauer tendiert.33

    In a case where an objective situation of economic constraint exists but hasnot been created by the Government, then only if the Government exploits thatsituation by offering an excessively low level of remuneration could it to some extentbecome answerable for a situation that it did not create. Moreover, it might be heldresponsible for organizing or exacerbating economic constraints if the number ofpeople hired by the Government at excessively low rates of pay and the quantity ofwork done by such employees had a knock-on effect on the situation of other people,causing them to lose their normal jobs and face identical economic constraints.

    33 Paragraphen 60 und 62 des (in Fussnote 24 bereits mit Quelle und vollem Titel zitierten)Berichts des Verwaltungsratsausschusses von 1984 zur Untersuchung einer Beschwerdegegen Chile, wie 1985 im englischen Text verffentlicht :

    The Committee refers to the considerations it has set forth on the MinimumEmployment Programme and the Employment Programme for Heads of Households which have led it to the conclusion, following the Committee of Experts, thatpersons enrolled in these programmes cannot be considered to enjoy freely chosenemployment.

    . The Committee considers that work carried out by many persons, paid with

    excessively low wages and not offering the protection of the labour and social securitylegislation, can give rise to doubts concerning its voluntary nature, particularly when itinvolves not a temporary or emergency solution but a situation that tends to last.

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    2.3 Ausnahmen vom Schutz des bereinkommens(Artikel 2 Abs. 2)

    Gemss Artikel 2 Abs. 2 des bereinkommens sind bestimmte

    Dienstpflichten, die ansonsten unter die allgemeine Definition der Zwangs- oder Pflichtarbeit im Sinne des bereinkommen fallenwrden, von dessen Geltungsbereich ausgenommen :

    a) jede Arbeit oder Dienstleistung aufgrund der Gesetze berdie Militrdienstpflicht, soweit diese Arbeit oder

    Dienstleistung rein militrischen Zwecken dient,

    b) jede Arbeit oder Dienstleistung, die zu den blichenBrgerpflichten der Brger eines Landes mit vollerSelbstregierung gehrt,

    c) jede Arbeit oder Dienstleistung, die von einer Personaufgrund einer gerichtlichen Verurteilung verlangt wird,

    jedoch unter der Bedingung, dass diese Arbeit oderDienstleistung unter der berwachung und Aufsicht derffentlichen Behrden ausgefhrt wird und dass derVerurteilte nicht an Einzelpersonen oder privateGesellschaften und Vereinigungen verdingt oder ihnen sonst

    zur Verfgung gestellt wird,

    d) jede Arbeit oder Dienstleistung in Fllen hherer Gewalt,nmlich im Falle von Krieg oder wenn Unglcksflleeingetreten sind oder drohen, wie Feuersbrunst,berschwemmung, Hungersnot, Erdbeben, verheerende

    Menschen- und Viehseuchen, ptzliches Auftreten von wildenTieren, Insekten- oder Pflanzenplagen, und berhaupt inallen Fllen, in denen das Leben oder die Wohlfahrt der

    Gesamtheit oder eines Teils der Bevlkerung bedroht ist,

    e) kleinere Gemeindearbeiten, die unmittelbar dem Wohle derGemeinschaft dienen, durch ihre Mitglieder ausgefhrtwerden und daher zu den blichen Brgerpflichten der

    Mitglieder der Gemeinschaft gerechnet werden knnen, unterder Voraussetzung, dass die Bevlkerung oder ihreunmittelbaren Vertreter berechtigt sind, sich ber die

    Notwendigkeit dieser Arbeiten zu ussern.

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    Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung ist die Ausnahme unterBuchstabe b) nher zu betrachten,34 die u.a. von der Bundesregierung imZusammenhang mit der Beschftigung von Empfngern der Sozialhilfegeltend gemacht worden ist.

    Beispiele fr bliche Brgerpflichten sind die Pflicht, als Schffe oderGeschworener bei der Rechtsprechung mitzuwirken und die Pflicht,Personen in Gefahr Hilfe zu leisten.35 Andere bliche Brgerpflichten sind spezifisch unter den oben wiedergegebenen Buchstaben a), d) und e)des Art. 2 Abs. 2 des bereinkommens aufgefhrt, die zugleich Grenzenund Bedingungen dieser Brgerpflichten festlegen : Wehrdienst,Notstandsarbeiten und Hand- und Spanndienste. Die Aufsichtsorganehaben darauf hingewiesen, dass die Ausnahme der blichenBrgerpflichten im Lichte der brigen Bestimmungen desbereinkommens zu lesen ist und nicht geltend gemacht werden kann, umden Einsatz von Formen der Zwangsarbeit zu rechtfertigen, die diesenBestimmungen zuwiderlaufen.36

    Konkret hat der Sachverstndigenausschuss fr die Durchfhrung derbereinkommen und Empfehlungen unter anderem darauf hingewiesen,dass eine mit Rechtsfolgen bewehrte gesetzliche allgemeine Arbeitspflichtnicht von der Ausnahme fr bliche Brgerpflichten in Art. 2 Abs. 2b) des bereinkommens gedeckt ist.37 Desgleichen hat er gegenber der

    Bundesregierung festgestellt, dass in einer Lage, wo ein amtlichesArbeitsverbot Asylbewerber der Mglichkeit beraubt hat, eine Arbeit ihrerWahl anzunehmen, und sie somit von der Sozialhilfe abhngig gemachthat, zugleich aber eine Streichung dieser Hilfe bei Nichtausfhrungbestimmter Arbeiten angedroht wird, diese Arbeiten in den Anwendungs-bereich des bereinkommens fallen, und dass unter solchen Umstndengeleistete Arbeit nicht zu den blichen Brgerpflichten der Brger einesLandes mit voller Selbstregierung gehrt38 und von keiner Ausnahme inArt. 2 Abs. 2 des bereinkommens gedeckt ist.39

    34 Der englische authentische Text lautet : (b) any work or service which forms part of thenormal civic obligations of the citizens of a fully self-governing country ; 35 Paragraph 34 des (in Fussnote 29 mit vollem Titel zitierten) allgemeinen berblicks desSachverstndigenausschusses von 1979.36 Paragraph 47 des (in Fussnote 18 mit vollem Titel zitierten) allgemeinen berblicks desSachverstndigenausschusses von 2007.37 Paragraph 45, Fussnote 2 des (hier in Fussnote 29 mit vollem Titel zitierten)allgemeinen berblicks des Sachverstndigenausschusses von 1979, mit Quellenhinweisen.38

    bereinkommen Nr. 29, direkte Anfrage 1986 an die Bundesrepublik Deutschland.39 bereinkommen Nr. 29, direkte Anfrage 1989 und Stellungnahme zur Durchfhrung desbereinkommens in Deutschland im Bericht 1991 des Sachverstndigenausschusses.

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    3. Spruchpraxis der Aufsichtsorgane der IAOzu Fragen der Arbeitslosenuntersttzung und Sozialhilfeunter dem Blickwinkel des bereinkommens Nr. 29

    In seiner Spruchpraxis zu Fragen der Arbeitslosenuntersttzung undSozialhilfe hat der Sachverstndigenausschuss fr die Durchfhrung derbereinkommen und Empfehlungen unter dem Blickwinkel desbereinkommens Nr. 29 zwischen zwei Situationen unterschieden:

    Im ersten Fall sind Erhalt und Dauer von Leistungen an die Voraus-setzung geknpft, dass der Empfnger whrend eines Mindestzeitraumsberufsttig war bzw. Beitrge zu einer Arbeitslosenversicherung gezahlthat. Dieser Fall, der den Voraussetzungen der Gewhrung vonArbeitslosengeld I nach SGB III entspricht, ist nicht Gegenstand desvorliegenden Gutachtens.40

    Im zweiten Fall erfolgt eine Hilfeleistung nicht gemss einem Anspruchauf Grund vorangegangener Arbeit oder Beitragszahlungen, sondern alssoziale Massnahme, die Arbeitslosen aus rein sozialen Grnden gewhrtwird . Hier wrde das Erfordernis, im Austausch fr die Leistung etwasArbeit zu verrichten, fr sich allein keine Zwangs- oder Pflichtarbeit imSinne des bereinkommens darstellen.41 Zur Frage, wann daraus Zwangs-oder Pflichtarbeit werden kann, sind die tragenden Leitgedanken der

    Spruchpraxis bereits in Punkt 2.2.3 dieses Gutachtens wiedergegeben ; imfolgenden werden sie in den Zusammenhang konkreter Beispiele gestellt.

    40 Zu diesem Fall hat der Sachverstndigenausschuss festgestellt, dass Bereitschaft zurArbeitsaufnahme allgemein eine Vorbedingung fr den Erhalt von Arbeitslosengeld ist, dass

    jedoch die Auferlegung nicht zumutbarer Beschftigung eine Form der Zwangsarbeitdarstellt, wobei fr die Begriffe der Arbeitsbereitschaft (englisch : availability for work )und der zumutbaren Beschftigung (engl. : suitable employment , franz. : emploiconvenable ) u.a. auf das bereinkommen (Nr. 102) ber die Mindestnormen der SozialenSicherheit,1952, sowie auf die Spruchpraxis des europischen Ausschusses fr soziale Rechtezur europischen Sozialcharta Bezug genommen wird. Gegen das bereinkommen Nr. 29verstsst u.a. der Eingriff in wohlerworbene Rechte durch die Einfhrung neuer Bedingungenhinsichtlich der Art von Arbeit, deren Aufnahme den Leistungsempfngern zugemutet werdenkann, wie auch die Einfhrung eines zustzlichen Erfordernisses, schon fr den Bezug desArbeitslosengelds (unter Androhung seines Verlustes) eine Arbeit zu leisten vgl.Paragraphen 129 bis 131 des (in Fussnote 18 mit vollem Titel zitierten) allgemeinenberblicks des Sachverstndigen-ausschusses von 2007, mit weiteren Quellenhinweisen.41 So der Sachverstndigenausschuss in Paragraph 129 des (in Fussnote 18 mit vollem Titelzitierten) allgemeinen berblicks von 2007 : The Committee has considered that in cases inwhich benefits do not constitute an entitlement based on previous work or contributions but

    consist of a social measure granted to unemployed persons on purely social grounds, arequirement to perform some work in exchange for the allowance would not in itselfconstitute forced or compulsory labour within the meaning of the Convention.

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    3.1 Chile Hilfsprogramme fr Arbeitslose (PEM und POJH)

    Im Mai 1983 reichte der Nationale Gewerkschafts-Koordinierungsrat(CNS) von Chile eine Beschwerde nach Art. 24 der Verfassung der IAO

    ein, in der er die Verletzung mehrerer bereinkommen, darunter diebereinkommen Nr. 29 und 122, durch die Regierung Chiles geltendmachte. Mit dem bereinkommen Nr. 29 berschneidet sich dasbereinkommen (Nr. 122) ber die Beschftigungspolitik, 1964 insoweit,als es in Art.1 Abs. 1 vom Staat verlangt, eine aktive Politik festzulegenund zu verfolgen, die dazu bestimmt ist, die volle, produktive und freigewhlte Beschftigung zu frdern.42 Die Beschwerde wegenVerletzung dieser Bestimmung sowie des bereinkommens Nr. 29richtete sich gegen zwei staatliche Hilfsprogramme fr Arbeitslose, dasMindestbeschftigungsprogramm (PEM) und das Beschftigungs-programm fr Haushaltsvorstnde (POJH). Schwerpunkte derBeschwerde, die Antworten der Regierung und die Schlussfolgerungendes zur Prfung der Beschwerde eingesetzten Verwaltungsratsausschusseswerden im folgenden nach dem Bericht des Ausschusses43 zitiert.

    Laut der Beschwerde44 war das Mindestbeschftigungsprogramm (PEM)durch Verordnung mit Gesetzeskraft Nr. 603 vom 10. August 1974eingesetzt worden fr Arbeitslosengeldempfnger, die [zustzlich] einDrittel des Mindestlohns fr bis zu 15 Wochenstunden Arbeit erhalten

    sollten, die ihnen von den Gemeinden oder anderen Behrden zugewiesenwurde. Dieses Programm sollte temporrer Natur sein, war aber schonneun Jahre im Einsatz und hatte sich zu einem breiten Programm zurDurchfhrung aller mglichen produktiven Arbeit entwickelt, mit achtStunden Arbeit am Tag fr ein Entgelt von 2.000 pesos im Monat,45 ohneZulagen in Natur (die es am Anfang gab) und ohne Soziale Sicherheitoder Unfallversicherung. Hinsichtlich Arbeitszeit und -rythmus war dieArbeit im PEM der normalen Arbeit eines Lohnempfngers vergleichbar.Zentralregierung und Gemeinden hatten dem PEM wichtige Aufgaben

    zugewiesen, von denen die Allgemeinheit Nutzen zog, und auf diese

    42 Das bereinkommen Nr. 122 ist auch von Deutschland ratifiziert worden, am 17.06.1971.43 International Labour Office, Official Bulletin, Special Supplement, Vol. LXVIII 1985Series B : Report of the Committee set up to examine the representation presented by theNational Trade Union Co-ordinating Council (CNS) of Chile under article 24 of theConstitution alleging non-observance of International Labour Conventions Nos. 1, 2, 29, 30and 122 by Chile.44

    AaO Paragraph 35.45 Fr diesen Monatslohn konnte man im Juli 1982 1,9 kg Brot am Tag kaufen, im Juli 19831,2 kg so aaO vierte Fussnote zu Paragraph 35.

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    Weise war es mglich geworden, viele Gemeindeangestellten durch PEM-Krfte zu ersetzen, was erhebliche Ersparnisse fr den Staat bedeutete.Im Oktober 1982 war ein weiteres, dem PEM hnliches Programm inAktion getreten, das Beschftigungsprogramm fr Haushaltsvorstnde

    (POJH), mit dem einzigen wirklichen Unterschied, dass seine Arbeits-krfte einen besseren Monatslohn erhielten (4.000 pesos fr Arbeiter,8.000 fr Vorarbeiter, 15.000 fr Techniker und 30.000 fr hhereBerufsstnde), obwohl sie auch von den Gemeinden verwaltet wurden undacht Stunden produktive Arbeit am Tag ohne Soziale Sicherheit leisteten.Laut der Beschwerde beigefgten Pressemitteilungen umfasste dasTtigkeitsgebiet des POJH Bau und Unterhalt von Strassen,Kanalisierung, Dmmen, Wasserversorgung, Strassenbeleuchtung undSportanlagen ; die Reparatur von Schulen und Krankenhusern ; dieSchaffung von Parks und Grnanlagen, den Bau von Werksttten und denUnterhalt eines Gefngnisses.46

    Nach den von den beschwerdefhrenden Gewerkschaftsverbndeangefhrten Zahlen kamen Mai-Juli 1983 zu offiziell 17,8 % Arbeitslosen14,2 % Beschftigte von PEM und POJH hinzu, nach den Zahlen derRegierung Oktober-Dezember 1983 zu offiziell 14,6 % Arbeitslosen 13,6% Beschftigte von PEM und POJH.47

    Die Regierung hob ihrerseits hervor, dass es sich bei PEM und POJH um

    temporre Arbeitslosenhilfeprogramme handelte, die bis zu einererhofften Verbesserung der Beschftigungslage aufrechterhalten wurden,dass die Teilnahme absolut freiwillig war, und dass die Teilnehmerzustzlich zu der Entlhnung nach dem jeweiligen Programm ggf.Arbeitslosengeld erhielten, sowie Nahrungsmittel von Hilfswerken undz.T. Ausbildung ; dazu bis 1978 Unfallschutz, und bis Januar 1978Leistungen bei Krankheit einschliesslich der Familienmitglieder,schliesslich und berhaupt die allgemeinen Leistungen des sozialen Netzes des Staates, die auch bei Austritt aus PEM oder POJH erhalten

    blieben.48

    Des weiteren erklrte die Regierung, die Teilnehmer an PEM und POJHknnten sich nicht gewerkschaftlich organisieren, da es sich umArbeitslosenhilfeprogramme handelte und Gewerkschaftsrechte nursochen Arbeitnehmern zustnden, die sich in einem Arbeitsverhltnis zueinem Arbeitgeber befnden.49

    46 AaO, Paragraph 35 und letzte (sechste) Fussnote dazu.47

    AaO, Fussnote zu Paragraph 49.48 AaO Paragraph 40 und Paragraph 41, Punkt 7 mit Fussnote.49 AaO, Paragraph 41, Punkt 8.

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    Die Regierung zhlte zu den Ttigkeiten des PEM die folgenden :Beseitigung von Slums, Unterhalt und Reinigung von Strassen, Brcken,Passagen, Altersheimen, Volkskchen, Kliniken und Freiflchen ;Umwelthygiene und Abfallbeseitigung in bevlkerten Bezirken ;

    Unterhalt von Grnanalagen und Verschnerung von ffentlichen Pltzenund Promenaden. ber 90 % der Teilnehmer kehrten Strassen, leistetenHilfsarbeit in Krankenhusern, usw.. Zu den Arbeitssparten des POJHgehrten die Befestigung von Wegen, Brgersteigen und Bordkanten ;Unterhalt und Verbesserung von Strassen, Passagen, Kanalisationen,Trinkwasserversorgung, Dmmen und Kanlen ; und der Unterhalt vonffentlichen Pltzen, Gemeindezentren, Sport- und Erholungsanlagen undGrnanlagen. Die Beschwerdefhrerin habe unter den Arbeiten des PEMsolche sehr viel grsserer Bedeutung aufgefhrt, die in Wirklichkeit vonPrivatunternehmen mit Mitteln des PEM ausgefhrt wurden, und beiarbeitsintensiven Projekten, die die ffentliche Hand per Ausschreibungdem Privatsektor zur Ausfhrung berantworte, werde die Entlhnung derArbeiter im Zuschlag festgesetzt, im Einklang mit der allgemeinenArbeitsgesetzgebung.50

    Der Ausschuss stellte fest, dass nach den von der Regierung unterbreitetenInformationen die Teilnehmer von PEM und POJH verschiedeneAufgaben erfllten, die zu den normalen Aufgaben ffentlicher Kranken-huser, ffentlicher Bauarbeiten, stdtischer Entsorgungsdienste usw.

    gehren, einschliesslich beispielsweise Unterhalt und Reinigung vonAltersheimen, Volkskchen, Kliniken, Freianlagen ; Umwelthygiene undAbfallbeseitigung ; Bau, Verbesserung und Reinigung von Strassen,Kanalisationen und Grben, Trinkwasserversorgung und Strassen-beleuchtung, Schulen, Krankenhusern, Parks und Grnanlagen.51

    Der Ausschuss berief sich auf die Stellungnahmen des Sachverstndigen-ausschusses fr die Durchfhrung der bereinkommen undEmpfehlungen in seinen Berichten 1981 und 1983 zur Durchfhrung des

    bereinkommens Nr. 122 in Chile ; 1981 war der Sachverstndigen-ausschuss zum Schluss gekommen, dass die Teilnehmer am PEM vollzeitfr weniger als den halben Mindestlohn und ohne Soziale Sicherheit oderbezahlten Urlaub arbeiteten und nicht als im Genuss einer frei gewhltenBeschftigung im Einklang mit dem bereinkommen betrachtet werdenkonnten.52 Zum gleichen Schluss kamen auch die Arbeitgeber- undArbeitnehmervertreter im Konferenzausschuss fr die Durchfhrung der

    50

    AaO Paragraph 41, Punkte 4 bis 6.51 AaO Paragraph 53.52 AaO Paragraph 47.

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    In seinen Empfehlungen zum bereinkommen Nr. 29 schrieb derAusschuss des Verwaltungsrats, dass geeignete Schritte unternommenwerden sollten, um die Beschftigungsbedingungen, insbesondere dieLhne, in den amtlichen Beschftigungsprogrammen zu verbessern und

    die Teilnehmer an diesen Programmen unter den Schutz der fr Arbeitund Soziale Sicherheit geltenden Gesetze zu stellen, so dass Situationenvermieden werden, wo der Druck, eine Beschftigung anzunehmen, zuZweifeln an der Einhaltung des bereinkommens Nr. 29 Anlass gebenknnte.57

    3.2 Deutschland Heranziehung zu gemeinntziger Arbeitvon Sozialhilfeempfngern ohne Arbeitserlaubnis

    In seinem Bericht von 1984 nahm der Sachverstndigenausschuss fr dieDurchfhrung der bereinkommen und Empfehlungen zur Einhaltung desbereinkommens Nr. 29 in der Bundesrepublik Deutschland Stellung.In Punkt 2 seiner Stellungnahme bemerkte er, dass nach 1 Abs. 2 Nr. 3der Arbeitserlaubnisverordnung in der Fassung vom 24. September 1981Asylbewerber normalerweise fr mindestens zwei Jahre seit Antrag-stellung vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen waren. Er stellte fest, dassnach 18, 19 und 25 des Bundessozialhilfegesetzes in der durch daszweite Haushaltsstrukturgesetz vom 22. Dezember 1981 gendertenFassung eben die gleichen Personen aufgerufen werden konnten, eine

    gemeinntzige Arbeit zu verrichten, die auszufhren sie keine andereWahl hatten, wenn sie ihren Anspruch auf Sozialhilfe nicht verlierenwollten. Der Ausschuss bezog sich auf die Entscheidung des OVGHamburg vom 24. Mai 1982, derzufolge diese Praxis die in frherenGerichtsentscheidungen fr rechtswidrig erklrt worden war nunmehrvom Parlament auf dem Wege von nderungen des Bundessozialhilfe-gesetzes durch das zweite Haushaltsstrukturgesetz frmlich gutgeheissenwurde.Der Ausschuss gab der Hoffnung Ausdruck, die Regierung werde die

    Massnahmen angeben, die in diesem Zusammenhang ergriffen oder inAussicht genommenen wurden, um Recht und Praxis in bereinstimmungmit dem bereinkommen zu bringen.58

    57 AaO, Paragraph 64 (iv) : Suitable steps should be taken, in particular, to improve theconditions of employment, especially wages, in the official employment programmes, and tobring the participants in these programmes under the protection of the labour and socialsecurity laws, in order to avoid situations of pressure to accept a job which might give rise todoubts as to compliance with Convention No. 29. 58

    International Labour Conference, 70th Session 1984, Report III (Part 4A), Report of theCommittee of Experts on the Application of Conventions and Recommendations, ConventionNo. 29, Observation concerning the Federal Republic of Germany, point 2.

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    Die Regierung antwortete 1985, sie sehe in der Heranziehung vonAsylbewerbern keinen Verstoss gegen das Verbot der Zwangsarbeit nachdem bereinkommen Nr. 29. Das wurde wie folgt begrndet :

    Nach 18 Abs. 1 BSHG msse jeder Hilfesuchende vor der Inanspruch-nahme von Sozialhilfe seine eigene Arbeitskraft in zumutbarem Umfangzur Beschaffung des Lebensunterhalts fr sich und seine unterhalts-berechtigten Angehrigen einsetzen. 19 dieses Gesetzes vepflichte dieSozialmter, auch fr Hilfeempfnger, die nicht erwerbsttig sein knnen,nach Mglichkeit Arbeitsgelegenheiten zu schaffen. Das knne in derWeise geschehen, dass gemeinntzige und zustzliche Arbeiten angebotenund entweder das bliche Arbeitsentgelt gezahlt oder Hilfe zumLebensunterhalt zuzglich einer angemessenen Entschdigung frMehraufwendungen gewhrt werde. Lehne der Hilfeempfnger eine frihn zumutbare Arbeit ab, so knne nach 25 Abs. 1 BSHG die Hilfe zumLebensunterhalt gekrzt oder versagt werden.Das gelte fr Hilfeempfnger, die wie Asylbewerber aus rechtlichenGrnden an einer Arbeitsaufnahme gehindert sind, ebenso wie fr anderePersonen, denen etwa infolge der allgemeinen Lage auf dem Arbeitsmarkteine Erwerbsttigkeit nicht mglich ist. Darin drcke sich einerseits dieaus dem Nachrang der Sozialhilfe ergebende Verpflichtung zum Einsatzder Arbeitskraft aus. Zugleich liege der Zweck der genannten

    Bestimmungen darin, die Arbeitsfhigkeit und -bereitschaft auch imHinblick auf eine knftige Erwerbsttigkeit zu frdern. Das msse ausdem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung aller Sozialhilfeempfnger auchfr Asylbewerber gelten.59

    Die Regierung fgte hinzu, bei der Ausfhrung der genanntenBestimmungen mssten die insoweit zustndigen Lnder und Gemeindenauf die strengen Anforderungen Bedacht nehmen, die die hchstrichter-liche Rechtsprechung an die Heranziehung zur gemeinntzigen und

    zustzlichen Arbeit stellt. Danach drfe der Trger der Sozialhilfe denHilfeempfnger nicht lediglich einer Einrichtung zuweisen und dieAuswahl der konkreit zu leistenden Arbeit der Leitung dieser Einrichtungberlassen. Ferner mssten der zeitliche Umfang der Arbeit sowie dasArbeitsentgelt oder die pauschalisierte angemessene Entschdigung frMehraufwendungen angegeben werden. Eine ganzttige Arbeit drfe nachSinn und Zweck der gemeinntzigen Arbeit nicht verlangt werden.

    59 Bericht der Regierung der Bundesrepublik Deutschland nach Art. 22 der Verfassung der

    IAO fr die Zeit vom 1. Juli 1983 bis 30. Juni 1985 ber die Massnahmen zur Durchfhrungder bereinkommen Nr. 29 und Nr. 105, auch zitiert in der direkten Anfrage 1986 des Sach-verstndigenausschusses an die Regierung zur Durchfhrung des bereinkommens Nr. 29.

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    Ausserdem msse in jedem Einzelfall geprft werden, ob demHilfeempfnger die Arbeit insbesondere nach seinen krperlichen undgeistigen Fhigkeiten zugemutet werden knne und auch sonst keinwichtiger Grund entgegenstehe.60

    Die Regierung usserte die Ansicht, die im Falle einer Verweigerungmgliche Krzung oder Versagung der Hilfe zum Lebensunterhalt seikeine unzulssige Sanktion im Sinne von Artikel 2 Abs. 1 desbereinkommens. Denn dieser Rechtsverlust knpfe an die Verletzungvon Pflichten an, die blicherweise jeden Brger treffen und daher nachArt. 2 Abs. 2 nicht als Zwangs- oder Pflichtarbeit im Sinne desbereinkommens gelten.61

    Im brigen wies die Regierung darauf hin, dass durch die SiebteVerordnung zur nderung der Arbeitserlaubnisverordnung vom 9. Juli1984 die einjhrige Wartezeit nach 1 Abs. 2 Nr. 3 der Arbeitserlaubnis-verordnung fr Asylbewerber entfallen war, bei denen von vornhereinfeststand, dass sie auch im Falle der Ablehnung des Antrags aufAnerkennung als Asylberechtigte nicht ausgewiesen oder abgeschobenwrden.62

    Der Sachverstndigenausschuss nahm 1986 diese Erklrungen zurKenntnis. Die subsidire Natur der Sozialhilfe, derzufolge Hilfe nur

    Personen gewhrt wird, die keine Arbeit finden knnen, verlange keinenKommentar hinsichtlich des bereinkommens. Der Ausschuss nahm mitInteresse zur Kenntnis, dass fr bestimmte Asylbewerber das befristeteVerbot der Arbeitsaufnahme nunmehr aufgehoben worden war. DerAusschuss bemerkte jedoch, dass nach der Arbeitserlaubnisverordnung frdie Mehrheit der Asylbewerber eine Wartefrist von mindestens zweiJahren weiterhin zwingend blieb. Dies Verbot der Arbeitsaufnahmeversetzte die Betroffenen in eine Lage, in der sie ihren Lebensunterhaltnicht verdienen konnten und somit normalerweise Anspruch auf

    Sozialhilfe hatten.63

    Der Ausschuss erinnerte mit Verweis auf Paragraph 21 seines allgemeinenberblicks von 1979 zur Abschaffung der Zwangsarbeit64 daran, dass eineStrafe im Sinne von Art. 2 Abs. 1 des bereinkommens die Form einer

    60 AaO.61 AaO.62

    AaO.63 bereinkommen Nr. 29, direkte Anfrage 1986 an die Bundesrepublik Deutschland.64 (hier in Fussnote 29 mit vollem Titel zitiert)

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    Einbusse von Rechten oder Vorrechten annehmen kann.65 In einerSituation, in der ein amtliches Arbeitsverbot Asylbewerber derMglichkeit beraubt hat, eine Arbeit ihrer Wahl aufzunehmen und siesomit von ihrem Sozialhilfeanspruch abhngig gemacht hat, zugleich aber

    eine Streichung dieser Hilfe bei Nichtausfhrung bestimmter Arbeitenangedroht wird, fallen diese Arbeiten in den Anwendungsbereich desbereinkommens. Arbeit, die unter diesen Bedingungen verrichtet wird,gehrt nicht zu den blichen Brgerpflichten eines Landes mit vollerSelbstregierung.66 Der Ausschuss forderte die Regierung auf, die Lage zuberprfen, insbesondere hinsichtlich der Mglichkeit, den betroffenenPersonen breitere Gelegenheit zu gewhren, ihren Lebensunterhalt mitArbeit ihrer Wahl zu verdienen.67

    Die Regierung antwortete 1987, die Leistungen der Sozialhilfe wrdengrundstzlich allen Hilfebedrftigen gewhrt ohne Rcksicht auf dieUmstnde, die die Hilfebedrftigkeit verursacht haben, und ebenso knnebei Verweigerung zumutbarer Arbeit die Hilfe zum Lebensunterhaltgekrzt oder versagt werden, unabhngig von den Umstnden, die dieHilfebedrftigkeit verursacht haben. Die Regierung wiederholte ihreAnsicht, dass der Verlust von Sozialhilfeansprchen keine Strafe i.S.d.Art. 2 Abs. 1 des bereinkommens sei, da dieser Rechtsverlust an dieVerletzung von blichen Brgerpflichten i.S.d. Art. 2 Abs. 2 (b) desbereinkommens anknpfe. Schliesslich hob die Regierung hervor, dass

    sie nach vlkerrechtlichen Grundstzen nicht verpflichtet sei,Asylbewerbern den Zugang zum Arbeitsmarkt zu gewhren, und dass dieMglichkeit, Asylbewerber nicht zu gemeinntzigen Arbeitenheranzuziehen, ausscheiden msse, da dann deutsche Sozialhilfe-empfnger gegenber Asylbewerbern benachteiligt wren.68

    Der Sachverstndigenausschuss nahm diese Erklrungen im gleichen Jahrzur Kenntnis. Zu der von der Regierung geusserten Ansicht, da alleHilfsbedrftigen Anspruch auf Sozialhilfe htten, knne die Hilfe allen

    Empfngern versagt werden, die zumutbare Arbeit verweigern,unabhngig von den Umstnden, die die Hilfsbedrftigkeit verursachthaben, hob der Ausschuss hervor, dass im vorliegenden Fall dieBedrftigkeit nicht aus Umstnden herrhrte, ber die die Regierung

    65 Vgl. oben Punkt 2.2.2.66 Vgl. oben Punkt 2.3.67 bereinkommen Nr. 29, direkte Anfrage 1986 an die Bundesrepublik Deutschland.68 Bericht der Regierung der Bundesrepublik Deutschland nach Art. 22 der Verfassung der

    IAO fr die Zeit vom 1. Juli 1985 bis 30. Juni 1986 ber die Massnahmen zur Durchfhrungdes bereinkommens Nr. 29, auch zitiert in der direkten Anfrage 1987 des Sachverstndigen-ausschusses an die Regierung zur Durchfhrung des bereinkommens Nr. 29.

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    keine Macht hatte, sondern aus eben der Tatsache, dass die Regierungdiesen Personenkreis rechtlich arbeitsunfhig gemacht hatte. NachKenntnisnahme der Erklrung der Regierung, dass sie nicht verpflichtetsei, Asylbewerbern Zugang zum Arbeitsmarkt zu gewhren, gab der

    Ausschuss seinem Unverstndnis Ausdruck, wieso dann staatsangehrigeSozialhilfeempfnger benachteiligt sein knnten, da sie freien Zugangzum Arbeitsmarkt haben, und staatsangehrige Sozialhilfeempfnger, diearbeitsunfhig sind, nicht unter Androhung des Verlustes ihrerSozialhilfeansprche zu irgendwelchen Ttigkeiten verpflichtet werden.69

    Der Ausschuss erinnerte erneut mit Verweis auf Paragraph 21 seinesallgemeinen berblicks von 1979 zur Abschaffung der Zwangsarbeit70daran, dass eine Strafe im Sinne von Art. 2 Abs. 1 des bereinkommensdie Form einer Einbusse von Rechten oder Vorrechten annehmen kann.71In einer Situation, in der ein amtliches Arbeitsverbot Asylbewerber derMglichkeit beraubt hat, eine Arbeit ihrer Wahl aufzunehmen und siesomit von ihrem Sozialhilfeanspruch abhngig gemacht hat, zugleich abereine Streichung dieser Hilfe bei Nichtausfhrung bestimmter Arbeitenangedroht wird, fallen diese Arbeiten in den Anwendungsbereich desbereinkommens. Arbeit, die unter diesen Bedingungen verrichtet wird,gehrt nicht zu den blichen Brgerpflichten eines Landes mit vollerSelbstregierung.72 Der Ausschuss forderte die Regierung wiederum auf,die Lage zu berprfen, insbesondere hinsichtlich der Mglichkeit, den

    betroffenen Personen breitere Gelegenheit zu gewhren, ihrenLebensunterhalt mit Arbeit ihrer Wahl zu verdienen.73

    Der Dialog zwischen dem Sachverstndigenausschuss und der Regierungzog sich noch ber mehrere Jahre hin. An neuen Gesichtspunkten brachtedie Regierung asylpolitische Erwgungen einschliesslich solcherwirtschaftlicher und finanzieller Natur vor,74 die vom Ausschuss alsirrelevant fr die Einhaltung des bereinkommens ber Zwangsarbeitbefunden wurden.75

    69 bereinkommen Nr. 29, direkte Anfrage 1987 an Die Bundesrepublik Deutschland.70 (hier in Fussnote 29 mit vollem Titel zitiert)71 Vgl. oben Punkt 2.2.2.72 Vgl. oben Punkt 2.3.73 bereinkommen Nr. 29, direkte Anfrage 1987 an die Bundesrepublik Deutschland.74 Bericht der Regierung der Bundesrepublik Deutschland nach Art. 22 der Verfassung derIAO fr die Zeit vom 1. Juli 1986 bis 30. Juni 1987 ber die Massnahmen zur Durchfhrungdes bereinkommens Nr. 29, auch zitiert in der direkten Anfrage 1989 des Sachverstndigen-

    ausschusses an die Regierung zur Durchfhrung des bereinkommens Nr. 29.75 Direkte Anfrage 1989 des Sachverstndigenausschusses an die Regierung zurDurchfhrung des bereinkommens Nr. 29.

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    1990 bermittelte die Regierung eine Stellungnahme des DeutschenGewerkschaftsbundes.76 Der DGB wies unter anderem darauf hin, dassdie geltenden Arbeitsbedingungen der 19 Abs. 2 zweite Alternativeund 20 BSHG auf dem freien Arbeitsmarkt keine Entsprechung fanden,

    und dass ein Arbeiten-Mssen unterhalb des auf dem allgemeinenArbeitsmarkt geltenden Mindestniveaus einen Verstoss gegen Art. 12 Gdarstellte. Deshalb sei es rechtlich bedenklich, wenn das Druckmittel 25 BSHG (Krzung oder Entzug der Sozialhilfe beiArbeitsverweigerung) auch bei dieser ffentlich-rechtlichen LsunHilfe zur Arbeit angewendet werde. Einen weiteren kritikwrdigedieser Massnahme sah der DGB in der Schaffung eines sogenanntendritten Arbeitsmarktes, der in den Prozess der Regulation desArbeitsmar

    Gdes

    g dern Effekt

    ktes eingreift.

    Insbesondere im Hinblick auf Asylbewerber beobachtete der DGB einebesondere Widersinnigkeit bei der Anwendung der 19 Abs. 2 zweiteAlternative und 20 BSHG. Da Asylbewerber typischerweise in hohemMasse arbeitswillig waren und ihnen arbeitsrechtlich der Zugang zumdeutschen Arbeitsmarkt untersagt war, bestand die Gefahr, dass die gemeinntzige und zustzliche Arbeit ihren Hilfecharakter verlor undzum blossen Sanktionsmittel wurde. Dies galt insbesondere fr dieKrzung bzw. Versagung von Hilfe nach 25 Abs. 1 BSHG.

    1992 nahm der Sachverstndigenausschuss mit Interesse zur Kenntnis,dass durch das Gesetz zur nderung arbeitsfrderungsrechtlicher undanderer sozialrechtlicher Vorschriften vom 21. Juni 1991 die Wartezeit frAsylbewerber ab 1. Juli 1991 aufgehoben wurde.77 Des weiteren nahm eru.a. die Erklrung der Regierung in ihrem Bericht zur Kenntnis, dass,soweit der Asylbewerber keinen aufenthaltsrechtlichen Beschrnkungenunterlag, damit im gesamten Bundesgebiet die Mglichkeit zurArbeitsaufnahme bestand.78

    76 Deutscher Gewerkschaftsbund, Bundesvorstand, Stellungnahme zum Bericht der Regieurngder Bundesrepublik Deutschland nach Art. 22 der Verfassung der InternationalenArbeitsorganisation ber die Massnahmen zur Durchfhrung des bereinkommens Nr. 29ber Zwangs-und Pflichtarbeit fr die Zeit vom 01.07.1987 bis 30.06.1989, teilweise zitiertvom Sachverstndigenausschuss in seiner eigenen Stellungnahme zur Durchfhrung desbereinkommens Nr. 29 in der Bundesrepublik Deutschland in seinem Bericht 1991.77 Direkte Anfrage 1992 des Sachverstndigenausschusses an die Regierung zurDurchfhrung des bereinkommens Nr. 29.78 Bericht der Regierung der Bundesrepublik Deutschland nach Art. 22 der Verfassung derInternationalen Arbeisorganisation ber die Massnahmen zur Durchfhrung des

    bereinkommens Nr. 29 ber Zwangs- und Pflichtarbeit fr die Zeit vom 01.07.1989 -30,06.1991, teilweise zitiert in der direkten Anfrage 1992 des Sachverstndigenaussusses andie Regierung zur Durchfhrung des bereinkommens Nr. 29.

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    Dem entsprechend fhrt das irische Gesetz gleiche Disqualifizierungs-grnde fr den Bezug von unemployment benefitwie auch unemploymentassistance auf : Eine Person kann fr einen Zeitraum von hchstens 9Wochen davon ausgeschlossen werden, wenn sie

    (a) has lost his or her employment through his or her misconductor has voluntarily left his or her employment without justcause,

    (b) has refused an offer of suitable employment,(c) has without good cause refused or failed to avail himself or

    herself of any reasonable opportunity of receiving trainingprovided or approved by an Foras Aiseanna Soathair89 assuitable in the persons case, or

    (d) has failed or neglected to avail himself or herself of anyreasonable opportunity of obtaining suitable employment,

    .90

    Im Jahre1999 richteten zwei irische Gewerkschaftsverbnde, die SchemeWorkers Alliance (SWA) und dieAmalgamated Transport and General

    Workers Union (ATGWU) gleichgerichtete Stellungnahmen zurDurchfhrung der bereinkommen Nrn. 29, 105 und 122 in Irland an dasInternationale Arbeitsamt zur Vorlage an den Sachverstndigenausschussfr die Durchfhrung der bereinkommen und Empfehlungen. In diesenStellungnahmen kritisierten die Verbnde die im Rahmen des (jhrlichen)Irish Employment Action Plan (EAP) - auf der Basis der oben zitierten

    89 FAS Department of Enterprise, Trade and Employment Irelands training andemployment authority.90 Section 68 (6) / section 147 (4) of the Social Welfare Consolidation Act 2005 (section 47(4) / section 125 (5) of the Social Welfare (Consolidation) Act, 1993). Die Ausschlussgrndeknnen wie folgt wiedergegeben werden : Eine Person kann fr einen Zeitraum von hchstens9 Wochen vom Bezug von Leistungen bei Arbeitslosigkeit / Arbeitslosenuntersttzungausgeschlossen werden, wenn sie

    (a) ihre Beschftigung durch eigenes Fehlverhalten verloren oder freiwillig ohnetriftigen Grund verlassen hat,

    (b) ein Angebot zumutbarer [vgl. oben Fussnote 88] Beschftigung abgelehnt hat,(c) ohne guten Grund abgelehnt oder versumt hat, eine sinnvolle Gelegenheit

    wahrzunehmen, eine Ausbildung zu erlangen, die von angeboten oder

    gutgeheissen wurde, wie im konkreten Fall passend, oder(d) versumt hat, eine sinnvolle Gelegenheit wahrzunehmen, eine zumutbare [vgl.oben Fussnote 88] Beschftigung zu erlangen .

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    Bestimmungen des Social Welfare Consolidation Act an den Bezug vonArbeitslosengeld (unemployment benefitbzw. unemployment assistance)geknpften Verpflichtungen : die Verpflichtung von Arbeitslosen, nach 12Monaten Bezug von unemployment benefitentweder eine angebotene

    Arbeit anzunehmen oder an einem Berufsbildungsprogramm teilzu-nehmen ;91 sowie das beschrnkte Angebot an Arbeitspltzen, die schlechtentlohnt seien und nicht unbedingt der Ausbildung und den Interessen derArbeitslosen entsprchen, welche jedoch unter Drohung des Entzugs desArbeitslosengelds (unemployment benefitoder unemployment assistance)gentigt seien, sie anzunehmen.92

    In diesem Zusammenhang fhrte die Scheme Workers Alliance (SWA)unter anderem an, dass bei Vorstellungsgesprchen im Rahmen desCommunity Employment Programme die spezifischen Bedrfnisse,Fhigkeiten und Berufserfahrungen von Kandidaten nicht bercksichtigtwurden, whrend man sie ntigte, dort eine Arbeit anzunehmen, unter derDrohung, das Arbeitslosengeld zu verlieren.93

    Mit dem Community Employment Programme finanziert der Staatgemeinntzige Projekte, an denen berwiegend Langzeitarbeitslosehalbzeit beschftigt werden.94

    91 Zitiert nach der (in den IAO-Datenbanken auf 2000 datierten) 2001 an Irland gerichteten

    direkten Anfrage des Sachverstndigenausschusses zum bereinkommen Nr. 122.92 Zitiert nach der (in den IAO-Datenbanken auf 2000 datierten) 2001 an Irland gerichtetendirekten Anfrage des Sachverstndigenausschusses zum bereinkommen Nr. 29.93 Scheme Workers Alliance Dublin, Alleged Breach, by Irish Government, of ILOConventions 29, 105 and 122, Second Submission to International Labour Office, May 7th1999, p.7.94 Department of Enterprise & Employment, White Paper, Human Resource Development(Pn.3881), May 1997, p. 98 :

    Subsidized Work4.81 The State delivers subsidies in two principal ways. Firstly, temporary

    employment for unemployed people is provided through the CommunityEmployment scheme. Secondly, direct wage subsidies are offered, in certaininstances, to private sector employers.

    Community Employment4.82 Under the Community Employment Programme administered by FAS, grants

    are made to voluntary and community groups for providing jobs on projectswhich are of value to the community. Those recruited must be over 21 yearsand must have been in receipt of Unemployment benefit or Lone ParentsAllowance for more than a year. Alternatively, they may have been claimingUnemployment Assistance. The Community Employment Programme is theone programme which is explicitly targeted at the long-term unemployed.

    Unlike programmes more explicitly devoted to training where the long-termunemployed occupy 20 % of places at best, they occupy 65 % of places onCommunity Employment. [Forts. nchste Seite]

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    In ihrer Antwort bestritt die Regierung eine Verletzung der berein-kommen. Mit Bezug auf die (oben angefhrten) Bestimmungen des SocialWelfare Consolidation Actund auf Richtlinien an entscheidungsbefugte

    Beamte

    95

    teilte sie u.a. mit, dass (im Unterschied zur Ablehnung eineszumutbaren Angebots auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt) eine Personnicht deswegen vom Bezug von Arbeitslosengeld ausgeschlossen werdendarf, weil sie ein Angebot zur Platzierung in Community Employment(CE) nicht annimmt ; sie kann jedoch interviewt werden, um festzustellen,ob die Ablehnung des CE-Angebots auf eine allgemeinere Ablehnunghindeutet, fr zumutbare Arbeit zur Verfgung zu stehen.96

    Der Sachverstndigenausschuss kam zum Schluss, dass dasbereinkommen Nr. 29 im vorliegenden Fall nicht berhrt wurde : dieNotwendigkeit, gering bezahlte, nicht angemessene Beschftigunganzunehmen, sei Folge einer allgemeinen wirtschaftlichen Zwangslage,die dem Staat nur unter bestimmten Umstnden zuzurechnen sei.97Dazu bezog sich der Ausschuss auf die (hier bereits98 zitierten) Kriterien,die von einem zur Prfung einer Beschwerde eingesetzen Verwaltungs-ratsausschuss 1997 formuliert wurden :

    In einem Fall, wo eine objektive wirtschaftliche Zwangslageexistiert, aber nicht von der Regierung geschaffen wurde, knnte

    die Regierung nur dann fr die nicht von ihr geschaffene Situationzu einem gewissen Grad verantwortlich werden, wenn sie die Lageausbeutet, indem sie ein exzessiv niedriges Lohnniveau anbietet.

    Darber hinaus knnte sie dafr verantwortlich gehalten werden,eine wirtschaftliche Zwangslage zu organisieren oder zuverschrfen, wenn die Anzahl der Personen, die von der Regierung

    zu exzessiv niedrigen Lhnen beschftigt werden und der Umfangder von ihnen verrichteten Arbeit eine Kettenreaktion auf die

    4.83 The term of employment under the Community Employment Programme isgenerally one year and participants work half-time, either 2.5 days a week oron a week on/week off rota.

    95 Guidelines to deciding officers on the implementation of the Employment Action Plan.96 8 November 1999 - Response of the Department of Social, Community and Family Affairs(DSCFA) to the Scheme Workers Alliance submission to the ILO : A person may not bedisqualified for failing to avail of an offer of a Community Employment (CE) placement, butmay be interviewed with a view to ascertaining whether the refusal of the CE offer is

    indicative of a more general failure to satisfy the availability and GSW conditions. 97 Vgl. oben Punkt 2.2.3.98 Unter Punkt 2.2.3.

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    Seit dem 1. Juli 2007 liegt der gesetzliche Mindestlohn in Irland fr alleerwachsenen Arbeitnehmer, die bereits 2 Jahre in einer beliebigenBeschftigung hinter sich haben, bei 8,65 pro Stunde.102103 Diestaatliche Zuweisung zum Community Employmentbetrgt im Jahr 2008

    pro Teilnehmer je nach Familienstand zwischen 222,20 und 353,50zuzglich Kindergeld fr eine Wochenarbeitszeit von 19,5 Stunden.104

    Zum Kriterium der Kettenreaktion bzw. eines Verdrngungs-wettbewerbs ist noch anzumerken, dass die Regierung im Jahre 2001 einevon ihr fr sehr wichtig angesehene Korrektur am CommunityEmploymentvorgenommen hat : In Ansehung der Erfahrung, dassCommunity Employmentin einigen Sektoren ein Substitut fr das Angebotnormaler Arbeitspltze geworden war, wurde ein System derNormalisierung (Mainstreaming ) vereinbart und als erstes beiCommunity EmploymentProjekten in Schulen eingefhrt. Seit September2001 erlaubt es ein neues Finanzierungssystem Schulen, Personen mitnormalen Arbeitsvertrgen zu beschftigen, um die Arten von Arbeit (z.B.Hausmeisterei, Sekretariat, Assistenz) auszufhren, die vorher unterCommunity Employmentunternommen wurden.105

    102 Quelle : http://www.citizensinformation.ie/categories/employment > Employment rightsand conditions > Pay and employment > Minimum rates of pay in Ireland.103 Im Hinblick auf die deutschen Mindestlohn- und Standortdebatten, in denen internationale

    Konkurrenzfhigkeit oft in einen falschen Gegensatz zur sozialen Marktwirtschaft gesetztwird, ist das irische Beispiel doppelt aufschlussreich : Mit einer ernstgemeinten aktivenArbeitsmarktpolitik hat Irland zwischen dem 4. Quartal 1997 und 2001 die Arbeitslosenquotevon 10,4 % auf 4 % gesenkt und die Quote der Langzeitarbeitslosen von 5,5% auf 1,2 %.(Quelle : Irelands Employment Action Plan April 2002, Punkt 2.3.1, zu finden unterhttp://www.entemp.ie/lfd/Eap2002.pdf.) Die Arbeitslosenquote liegt seither unter 5 %. Daskam letztlich nicht nur den betroffenen Arbeitslosen zugute, sondern auch dem Staat, derArbeitslosengeld spart und mehr Steuern (zu abgesenkten Stzen) einnimmt. Auch dieAbsicherung der Lhne scheint das Wirtschaftswachstum eher beflgelt zu haben : Gemessenam Pro-Kopf-Einkommen ist Irland, das beim Eintritt in die EU in der Nhe von Portugalrangierte, inzwischen an die Spitze der Industriestaaten in der EU vorgerckt.104 Quelle : http://www.citizensinformation.ie/categories/employment > Unemployment andredundancy > Employment support schemes > Community Employment scheme.105 Irelands Employment Action Plan April 2002, Punkt 3.2.2, zu finden unterhttp://www.entemp.ie/lfd/Eap2002.pdf. Ebenso im Bericht Irlands zur Durchfhrung desbereinkommens Nr. 122 fr den am 31. Mai 2002 endenden Zeitraum, Punkt 3.2.3.2 :

    A very important policy change was implemented for Community Employment in2001. This recognized that Community Employment had become, in some sectors, asubstitute for the provision of normal employment. To rectify this, a system of mainstreaming was agreed and introduced, in the first instance, for CommunityEmployment projects in schools. From September 2001, schools became eligible for a

    new system of funding which would allow them to employ people, under normalemployment contracts, to carry out the kind of jobs (e.g. caretakers, secretaries,assistants) previously undertaken under Community Employment.

    http://www.citizensinformation.ie/categories/employmenthttp://www.entemp.ie/lfd/Eap2002.pdfhttp://www.citizensinformation.ie/categories/employmenthttp://www.entemp.ie/lfd/Eap2002.pdfhttp://www.entemp.ie/lfd/Eap2002.pdfhttp://www.citizensinformation.ie/categories/employmenthttp://www.entemp.ie/lfd/Eap2002.pdfhttp://www.citizensinformation.ie/categories/employment
  • 8/6/2019 Zur Frage der Vereinbarkeit von Recht und Praxis der Arbeit nach 16 Abs. 3 SGB II i.V.m. 31 SGB II mit dem IAO-

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