Zur raumakustischen Situation des Orchester-Dirigenten

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Der Klangeindruck, den ein Dirigent hat, wenn er im Konzertsaal vor einem Orchester steht, wird in erheblichem Maße durch das raumakustische Umfeld geprägt. Daher sind unter den vielfältigen Teilaspekten seiner klanglichen Gestaltung einige besonders an- fällig für eine günstige oder ungünstige akustische Situation an seinem Pult. Es sind dies insbesondere die Beurteilung der Ho- mogenität des Streicherklanges innerhalb der einzelnen Gruppen, die dynamische Balance zwischen den unterschiedlichen Instru- mentengruppen, vor allem zwischen Bläsern und Streichern so- wie eine Abschätzung der „Räumlichkeit“ des Klanges, wie sie sich im Zuhörerbereich einstellt. Der Einfluss früher Wand- und Deckenreflexionen aus dem Nahbereich des Orchesters auf diese Teilaspekte wird im einzelnen dargestellt, wobei sich letzt- lich auch ergibt, dass sich die Anforderungen an eine optimale akustische Situation für den Dirigenten einerseits und die Spieler andererseits keineswegs in allen Punkten decken. The situation of orchestra conductors in terms of room acoustics. Among the responsibility of a conductor standing in front of an orchestra, three points place special demands on the roo-acoustic conditions at his location: the control of a homogeneous sound of the individual string groups, the dynamic balance between different instrument sections, and the spaciousness of the full sound as to be expected in the audience area. Whereas the listeners’ loudness impression mainly is determined by the diffuse field in the hall, the conductors loudness impression depends mainly on the direct sound and may be additionally influenced by early reflections coming from areas close to the orchestra. Because of the different distances between the individual string players and the conductor, his assessment of the homogenity of the string section’s sound can effectively be supported by lateral reflections of surfaces close to the players whereas reflections from more distant walls or from above have only a rather small importance. On the other hand re- flections from above inprove the control of the dynamic balance between the strings and the different wind groups. Spatial impres- sion generally is perceived only in the front hemisphere; that leads to problems for the conductor when assessing the spatial impres- sion in the audience area. As he hears in the horizontal plane predominantly the direct sound of the orchestra, he perceives a spatial sensation only from the space above his location or from higher room sections behind the orchestra. 1 Einleitung Traditionell hat sich die Konzertsaalakustik im vergange- nen Jahrhundert zunächst nur mit der Schallübertragung vom Orchester zum Zuhörer und mit dessen subjektiv- ästhetischer Bewertung des Klangeindrucks befasst. Dabei stand anfangs vor allem die Nachhallzeit im Vordergrund, im Laufe der Zeit kamen jedoch weitere Kriterien hinzu, die die Deutlichkeit und Durchsichtigkeit des Klangbildes sowie die räumliche Klangwirkung erfassten. Besondere Bedeutung erlangte dabei die sog. „Räumlichkeit“, die das Aufblühen des Klanges, also eine scheinbare geometri- sche Erweiterung mit wachsender Lautstärke beschreibt. Sie hat entscheidenden Anteil an der subjektiv empfunde- nen musikalischen Dynamik. Seit etwa 30 Jahren wird auch das Schallfeld auf dem Podium in die raumakustischen Untersuchungen einbezo- gen; Kernpunkt ist dabei das gegenseitige Hören der Musi- ker untereinander, genauer gesagt die Balance zwischen der Hörbarkeit des eigenen Instrumentes und den ande- ren Stimmen des Orchesters. Denn wenn ein Musiker sein eigenes Instrument laut, die anderen Stimmen dagegen zu leise hört, leidet darunter die rhythmische Präzision des Spiels, während die Intonation auf der Basis des harmoni- schen Hintergrundes noch immer korrekt möglich ist. Wenn ein Musiker dagegen sein eigenes Instrument zu schwach hört, weil für ihn die anderen Stimmen zu laut sind, leidet darunter seine Intonationsgenauigkeit und auch die Feinheit der Artikulation, während sich die rhythmi- sche Präzision noch aufrecht erhalten lässt; denn sie wird im wesentlichen durch die Feinmotorik der Spieltechnik erzielt und bedarf nicht so sehr des Klangeindrucks vom eigenen Instrument. Die Bewertung des Schallfeldes auf dem Podium geschieht daher kaum nach klangästhetischen Gesichtspunkten, sondern vielmehr nach spieltechnischen Erfordernissen. Eine Besonderheit bildet die akustische Situation des Dirigenten vor dem Orchester, verbindet sie doch in star- kem Maße klangästhetische und aufführungstechnische Gesichtspunkte; denn der Dirigent trägt die Gesamtver- antwortung für die bei den – im Saal verteilten – Zuhörern eintreffende Klanggestalt des aufgeführten Werkes. Im ein- zelnen gehören dazu die Festlegung der Besetzungsstärke der Streicher und der Sitzordnung, die Bestimmung der Tempi und die Überwachung der rhythmischen Präzision, klangqualitative Gesichtspunkte wie Klangfärbung und Charakter des Toneinsatzes oder der einheitliche Klang innerhalb der einzelnen Streichergruppen, Zur raumakustischen Situation des Orchester-Dirigenten Herrn o. Prof. Dr.-Ing. habil. Dr. h. c. mult. Dr. E. h. mult. Karl Gertis zur Emeritierung gewidmet Jürgen Meyer DOI: 10.1002/bapi.200710046 366 Fachthemen © Ernst & Sohn Verlag für Architektur und technische Wissenschaften GmbH & Co. KG, Berlin · Bauphysik 29 (2007), Heft 5

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Der Klangeindruck, den ein Dirigent hat, wenn er im Konzertsaalvor einem Orchester steht, wird in erheblichem Maße durch dasraumakustische Umfeld geprägt. Daher sind unter den vielfältigenTeilaspekten seiner klanglichen Gestaltung einige besonders an-fällig für eine günstige oder ungünstige akustische Situation anseinem Pult. Es sind dies insbesondere die Beurteilung der Ho-mogenität des Streicherklanges innerhalb der einzelnen Gruppen,die dynamische Balance zwischen den unterschiedlichen Instru-mentengruppen, vor allem zwischen Bläsern und Streichern so-wie eine Abschätzung der „Räumlichkeit“ des Klanges, wie siesich im Zuhörerbereich einstellt. Der Einfluss früher Wand- undDeckenreflexionen aus dem Nahbereich des Orchesters aufdiese Teilaspekte wird im einzelnen dargestellt, wobei sich letzt-lich auch ergibt, dass sich die Anforderungen an eine optimaleakustische Situation für den Dirigenten einerseits und die Spielerandererseits keineswegs in allen Punkten decken.

The situation of orchestra conductors in terms of room acoustics.Among the responsibility of a conductor standing in front of anorchestra, three points place special demands on the roo-acousticconditions at his location: the control of a homogeneous sound ofthe individual string groups, the dynamic balance between differentinstrument sections, and the spaciousness of the full sound as to beexpected in the audience area. Whereas the listeners’ loudnessimpression mainly is determined by the diffuse field in the hall, theconductors loudness impression depends mainly on the directsound and may be additionally influenced by early reflectionscoming from areas close to the orchestra. Because of the differentdistances between the individual string players and the conductor,his assessment of the homogenity of the string section’s sound caneffectively be supported by lateral reflections of surfaces close tothe players whereas reflections from more distant walls or fromabove have only a rather small importance. On the other hand re-flections from above inprove the control of the dynamic balancebetween the strings and the different wind groups. Spatial impres-sion generally is perceived only in the front hemisphere; that leadsto problems for the conductor when assessing the spatial impres-sion in the audience area. As he hears in the horizontal planepredominantly the direct sound of the orchestra, he perceives aspatial sensation only from the space above his location or fromhigher room sections behind the orchestra.

1 Einleitung

Traditionell hat sich die Konzertsaalakustik im vergange-nen Jahrhundert zunächst nur mit der Schallübertragung

vom Orchester zum Zuhörer und mit dessen subjektiv-ästhetischer Bewertung des Klangeindrucks befasst. Dabeistand anfangs vor allem die Nachhallzeit im Vordergrund,im Laufe der Zeit kamen jedoch weitere Kriterien hinzu,die die Deutlichkeit und Durchsichtigkeit des Klangbildessowie die räumliche Klangwirkung erfassten. BesondereBedeutung erlangte dabei die sog. „Räumlichkeit“, die dasAufblühen des Klanges, also eine scheinbare geometri-sche Erweiterung mit wachsender Lautstärke beschreibt.Sie hat entscheidenden Anteil an der subjektiv empfunde-nen musikalischen Dynamik.

Seit etwa 30 Jahren wird auch das Schallfeld auf demPodium in die raumakustischen Untersuchungen einbezo-gen; Kernpunkt ist dabei das gegenseitige Hören der Musi-ker untereinander, genauer gesagt die Balance zwischender Hörbarkeit des eigenen Instrumentes und den ande-ren Stimmen des Orchesters. Denn wenn ein Musiker seineigenes Instrument laut, die anderen Stimmen dagegen zuleise hört, leidet darunter die rhythmische Präzision desSpiels, während die Intonation auf der Basis des harmoni-schen Hintergrundes noch immer korrekt möglich ist.Wenn ein Musiker dagegen sein eigenes Instrument zuschwach hört, weil für ihn die anderen Stimmen zu lautsind, leidet darunter seine Intonationsgenauigkeit und auchdie Feinheit der Artikulation, während sich die rhythmi-sche Präzision noch aufrecht erhalten lässt; denn sie wirdim wesentlichen durch die Feinmotorik der Spieltechnikerzielt und bedarf nicht so sehr des Klangeindrucks vomeigenen Instrument. Die Bewertung des Schallfeldes aufdem Podium geschieht daher kaum nach klangästhetischenGesichtspunkten, sondern vielmehr nach spieltechnischenErfordernissen.

Eine Besonderheit bildet die akustische Situation desDirigenten vor dem Orchester, verbindet sie doch in star-kem Maße klangästhetische und aufführungstechnischeGesichtspunkte; denn der Dirigent trägt die Gesamtver-antwortung für die bei den – im Saal verteilten – Zuhörerneintreffende Klanggestalt des aufgeführten Werkes. Im ein-zelnen gehören dazu– die Festlegung der Besetzungsstärke der Streicher und

der Sitzordnung,– die Bestimmung der Tempi und die Überwachung der

rhythmischen Präzision,– klangqualitative Gesichtspunkte wie Klangfärbung und

Charakter des Toneinsatzes oder der einheitliche Klanginnerhalb der einzelnen Streichergruppen,

Zur raumakustischen Situation des Orchester-DirigentenHerrn o. Prof. Dr.-Ing. habil. Dr. h. c. mult. Dr. E. h. mult. Karl Gertis zur Emeritierung gewidmet

Jürgen Meyer DOI: 10.1002/bapi.200710046

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Fachthemen

© Ernst & Sohn Verlag für Architektur und technische Wissenschaften GmbH & Co. KG, Berlin · Bauphysik 29 (2007), Heft 5

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– die dynamische Gestaltung im Ganzen,– die dynamische Balance zwischen den einzelnen Instru-

mentengruppen,– die Überwachung der Intonation.

Der letztgenannte Punkt betrifft allerdings nur die Proben-arbeit, während des Konzertes hat der Dirigent praktischkeinen Einfluss mehr auf die Intonation. Von den anderenPunkten sollen drei im folgenden näher auf ihre raumakus-tische Relevanz hin betrachtet werden.

2 Gruppenklang der Streicher

Einen wesentlichen Anteil an der Klangqualität eines Orche-sters bildet die Homogenität des Streicherklangs. Eine ein-heitliche Feinstruktur der Spieltechnik, insbesondere derAr-tikulation zu entwickeln und zu überwachen, stellt einewichtige Aufgabe für den Orchesterleiter dar. Naturgemäß

Das rechte Diagramm gibt als Anhaltspunkt für die zuerwartende Lautstärke die aufsummierten Pegel für eineunterschiedliche Anzahl von Spielern wieder. Der Kurven-verlauf zeigt, dass am Platz des Dirigenten der Gesamt-pegel fast nur durch die ersten drei Pulte erzeugt wird, dieHinzunahme des vierten und fünften Pultes erhöht denPegel jeweils nur um weniger als 0,4 dB, ist also nichtmehr hörbar. Für den Zuhörer bringt dagegen die Mitwir-kung selbst des fünften Pultes noch eine Pegelzunahmevon 1 dB. Diese auf den Direktschall beschränkte Situa-tion, die etwa bei Konzerten im Freien oder in stark ge-dämpften Studios oder Proberäumen zu finden ist, mussfür den Dirigenten natürlich sehr unbefriedigend sein, sieweist zugleich aber auch auf die Notwendigkeit hin, dieakustische Position des Dirigenten durch gezielte Schall-reflexionen zu verbessern.

In Bild 2 ist deshalb der Einfluss einer direkt hinterder Geigengruppe befindlichen reflektierenden Wand so-wie einer reflektierenden Decke in 8 m Höhe über dem Po-dium dargestellt; dabei ist jeweils eine geometrische Refle-xion von einer ebenen Fläche ohne nennenswerte Absorp-tion angenommen. Aufgrund des geringen Abstandes vomletzten Geigenpult zur Wand schließt sich deren Reflexi-onsfolge zeitlich eng an den Direktschall an, wobei die Re-flexion vom letzten Pult zuerst beim Dirigenten eintrifftund daher am stärksten ist, die Reflexion vom ersten Pultist um 4 dB schwächer (gestrichelte Linien). Würde sichübrigens die Wand dagegen etwa 4 m hinter den Spielernund damit 12 m vom Dirigenten entfernt befinden, würdendie Wandreflexionen erst mit einer Verzögerung von 45 bis60 ms beim Dirigenten eintreffen. Die Deckenreflexionenbilden eine zeitlich dichte, aber um mehr als 30 ms ver-zögerte Gruppe (geschlossene Linien), die aufgrund dieserLaufzeit kaum noch zur Unterstützung der rhythmischenPräzision dienen kann. Die Pegel sind für alle Geigenpultepraktisch gleich. Geht man davon aus, dass die Zuhörer im

Bild 1. Direktschall der einzelnen Pulte einer Geigengruppezum Dirigenten und in den ZuhörerbereichFig. 1. Direct sound from the individual desks of a violingroup to conductor and audience

Bild 2. Auswirkung je einer Wand- und Deckenreflexion aufdas Schallfeld beim DirigentenFig. 2. Effect of a wall and a ceiling reflection upon the so-und field at the conductor’s location

besteht eine Grundbedingung dafür in einem akustischenAmbiente, das es dem Dirigenten ermöglicht, alle Spieler ei-ner Streichergruppe in angemessenerWeise zu hören. Alleinschon der unterschiedliche Abstand der einzelnen Spielerzum Dirigenten macht dies aber problematisch, wie eine Be-trachtung des beim Dirigenten eintreffenden Direktschallsvon den einzelnen Pulten zeigt: In Bild 1 sind die unter-schiedlichen Verzögerungszeiten und Pegel des von den ein-zelnen Pulten kommenden Schalls für die Position des Diri-genten und für eine mittlere Zuhörerposition im Saal – alsoaußerhalb des dreifachen Hallabstandes – dargestellt. AlsBezugswert gilt dabei der Schall vom vordersten Pult.

Wie das linke Diagramm verdeutlicht, trifft der Di-rektschall beim Dirigenten über eine Zeitspanne von etwa15 ms gespreizt ein, während er die Zuhörer mit nur mini-malen Laufzeitunterschieden erreicht. Entsprechend demAbstand zum Dirigenten kommt bereits der Schall vomzweiten Pult um etwa 4 dB, der Schall vom fünften Pultum mehr als 10 dB schwächer als der Schall vom erstenPult an. Im Klangeindruck der Zuhörer sind dagegen allePulte praktisch gleich stark zu hören, natürlich unter der –wenn vielleicht auch optimistischen – Voraussetzung, dassalle Spieler gleich stark spielen.

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statistischen Schallfeld im Raum sitzen, würden die Pegel-verhältnisse an ihren Plätzen durch diese auf das Orche-ster gerichteten Reflexionen nicht verändert.

Für den Lautstärkeeindruck des Dirigenten spielendie Reflexionen aus der Umgebung des Orchesters jedochdurchaus eine Rolle. Daher sind in Bild 3 – ergänzend zuBild 2 – außer der Deckenreflexion weitere drei Wand-reflexionen aus dem Nahbereich des Orchesters einbezo-gen. Das Diagramm zeigt den Pegel des von den einzelnenGeigenpulten beim Dirigenten eintreffenden Direktschalls,einer Kombination des Direktschalls mit ein bis drei Wand-reflexionen sowie einer Kombination des Direktschalls mitder Deckenreflexion; Bezugswert ist auch hier der Pegeldes ersten Pultes am Ohr des Dirigenten. Wie man sieht,ist die Pegelerhöhung durch die Deckenreflexion relativgering, auch eine Reflexion von einer um etwa 4 m vonden hintersten Spielern entfernten Wand würde keine spür-bare Verbesserung bringen. Demgegenüber wirkt sich dieReflexion einer nahe hinter den Spielern befindlichen Wandschon stärker aus; selbst der vom fünften Pult resultierendePegel kommt dabei deutlich weniger als 10 dB unterhalbdes Pegels vom ersten Pult zu liegen. Berücksichtigt man,dass die Mithörschwelle für gleiche Frequenzen, die voninkohärenten Schallquellen stammen, in der Größenord-nung von –10 dB (bezogen auf den stärkeren der beidenSchalle) liegt, dann wird deutlich, dass bereits durch dieseeine Wandreflexion die hinteren Pulte für den Dirigentennicht mehr völlig verdeckt werden und so zu seinem Ein-druck vom Gruppenklang beitragen.

Kommen jedoch zwei oder drei Reflexionen aus demWandbereich beim Dirigenten an, verringert sich der Pegel-unterschied der hinteren Pulte zum ersten Pult auf nurnoch 7 bzw. 6 dB, was den Dirigenten akustisch in die Lageversetzt, den Gruppeneindruck klanglich noch besser be-urteilen zu können. Solche zusätzlichen Reflexionen kön-nen beispielsweise durch entsprechend geneigte Flächenoder durch – zwei etwa im rechten Winkel aufeinandertreffende – Winkelspiegel im Umfeld des Orchesters er-zeugt werden.

3 Balance zwischen den Instrumentengruppen

Hinsichtlich der Beurteilung der vom Zuhörer empfun-denen dynamischen Balance zwischen unterschiedlichenInstrumentengruppen ist die akustische Situation nochkomplizierter. Für den Zuhörer wird die empfundene Laut-stärke fast ausschließlich durch die abgestrahlte Schall-leistung der einzelnen Instrumente bestimmt, Direktschall

und Primärreflexionen aus der Nähe des Orchesters (undauch aus der Nachbarschaft des Zuhörers) spielen nur eineuntergeordnete Rolle. Im Gegensatz dazu wird der Laut-stärkeeindruck des Dirigenten vor allem durch den Di-rektschall geprägt, da er sich für die meisten Instrumenteinnerhalb des einfachen, zumindest aber innerhalb desdoppelten Hallabstandes befindet. Dies bedeutet natürlichein sehr viel deutlicheres Klangbild, so dass auch eine sub-jektive Auswirkung der Artikulation auf den Lautstärke-eindruck nicht auszuschließen ist. Vor allem aber spielt fürdie Stärke des Direktschalls neben dem unterschiedlichenAbstand der Instrumentengruppen zum Dirigenten, dersich in der Größenordnung von etwa 2 m bis 10 m bewe-gen kann, die Richtungsabhängigkeit der Schallabstrahlungder unterschiedlichen Instrumente eine Rolle.

Diese Situation ist in Bild 4 dargestellt. Über dem„Querschnitt“ durch das Orchester sind der Abstand dereinzelnen Instrumente und der daraus resultierende Pegel-abfall – wiederum bezogen auf das vorderste Geigenpult –aufgelistet. Darunter finden sich Schallleistungspegel fürdie einzelnen Instrumente für den Fall, dass sie jeweils einihrem Instrument angemessenes forte spielen, sowie alsMaß für die Richtcharakteristik das Richtwirkungsmaß fürden auf den Dirigenten gerichteten Schall im Frequenz-

Bild 3. Einfluss von Wand- und Decken-reflexionen auf den von den einzelnenPulten erzeugten Schallpegel am Platz desDirigentenFig. 3. Increase of the relative sound pres-sure level at the conductor’s location caused by wall and ceiling reflections

Bild 4. Direktschall-Pegel einiger Orchester-Instrumente imforte am Ohr des Dirigenten abgeleitet aus dem Abstand,dem Schallleistungspegel und dem RichtwirkungsmaßFig. 4. Sound pressure level Lp of the direct sound at theconductor’s ears derived from distance and the related levelattenuation DL, sound power level Lw and directivity index

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4 Empfindung der Räumlichkeit

Neben der mehr analytischen Hörweise zur klanglichenNuancierung und Differenzierung der einzelnen Stimmendes Orchesters muss der Dirigent an seinem Platz auch ei-nen Eindruck vom Gesamtklang des vollen Orchesters ha-ben. Dazu gehört auch eine Vorstellung von der im Zu-hörerbereich zu erwartenden Räumlichkeit des Klangesund von der zeitlichen Struktur großer Klangeinsätze. DerDirigent benötigt daher ein ausgewogenes Verhältnis zwi-schen dem direkten Klang des Orchesters und dem Raum-klang.

Wie bereits angedeutet, besteht die „Räumlichkeit“des Orchesterklanges darin, dass sich für die Zuhörer dervor ihnen liegende Raum mit Schall anzufüllen scheint.Nur in sehr halligen Räumen, wie z. B. Kirchen, kann derEindruck der „Räumlichkeit“ über die vordere Hemisphärehinausgehen und sich auch als schwacher Eindruck einesRaumklanges von hinten einstellen, insbesondere wennder überwiegende Teil des Raumes hinter dem Zuhörerliegt [2]. Da der Dirigent üblicherweise mit dem Rückenzum Hauptteil des Raumes steht, wird für ihn in den meis-ten Sälen die räumliche Klangentfaltung nur in sehr gerin-gem Maße spürbar. Wenn allerdings der Saal auch vor ihmund über ihm einen hinreichenden Freiraum bietet, kannder Dirigent – trotz des relativ starken Direktschalls vomOrchester – einen gewissen Eindruck von der räumlichenKlangentwicklung empfinden. Es verwundert daher nicht,wenn die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zeit-weilig in Mode gekommene Raumkonzeption von Konzert-sälen, in denen das Publikum arenenartig um das Orches-ter herumgezogen ist, gerade bei Dirigenten durchaus An-klang fand.

Unter diesem Gesichtspunkt lässt sich vielleicht er-klären, warum als Ergebnis einer in den Jahren 1950 bis1955 bei international anerkannten Dirigenten durch-geführten Umfrage [3] unter den auch sonst wegen ihrerakustischen Eigenschaften besonders geschätzten Sälenetliche waren, deren Höhe über dem Orchester weit überdas Maß hinausging, das für das gegenseitige Hören derMusiker untereinander als optimal anerkannt ist. Diegroße Raumhöhe vermittelt dem Dirigenten nach obendie subjektiv empfundene Räumlichkeit des Klanges, diesich vor ihm wegen des starken Direktschalls nicht ausbil-den kann. Ein besonderer Vorteil ist darin zu sehen, dassdem Dirigenten dadurch auch ein Eindruck von der Stei-gerung des klanglichen Volumens als Teil der Orchester-dynamik vermittelt wird, was ihn davor bewahren kann,sowohl die Dynamik als auch die Schärfe der Klan-geinsätze zu forcieren, wo es nicht im Sinne seiner Inter-pretation ist.

5 Schlussbemerkungen

Für das raumakustische Ambiente des Dirigenten kannman deshalb zusammenfassen, dass– horizontale oder nur wenig geneigte Reflexionen von den

Seitenwänden des Podiums die Beurteilung des einheit-lichen Klangs der Streichergruppen unterstützen, sofernder Abstand zwischen Umwandung und den hinterenSpielern nicht zu groß ist,

bereich der stärksten Schallabstrahlung der betreffendenInstrumente [1]. Die unterste Zeile enthält schließlich den –von den einzelnen Instrumenten erzeugten – Schalldruck-pegel am Ohr des Dirigenten. Beispielsweise stehen einemforte-Pegel von 73 dB für eine einzelne Violine Werte um68 dB für die einzelnen Holzbläser und 78 dB für eineTrompete gegenüber, eine Gruppe von acht Violinen würdeebenfalls 78 dB erreichen. Folglich erscheint für den Diri-genten – jeweils im forte – ein Holzbläser im Mittel um5 dB leiser als eine Geige oder um 10 dB leiser als die Gei-gengruppe, eine Trompete erscheint ihm um 5 dB lauterals eine Geige bzw. ebenso laut wie eine Achtergruppe derGeigen.

Für die Zuhörer ergeben sich jedoch andere Laut-stärke-Relationen, da ihr Lautstärkeeindruck, wie erwähnt,durch die Schallleistungs-Verhältnisse (s. 3. Zeile von oben)bestimmt wird; dazu sei daran erinnert, dass eine Gruppevon acht Geigen die achtfache Schallleistung einer einzel-nen Geige und damit einen um 9 dB höheren Schall-leistungspegel erzeugt. Somit erscheint für den Zuhörerein Holzbläser um 4 dB lauter als eine einzelne Geige undum 5 dB leiser als die Geigengruppe, oder eine Trompeteist gegenüber einer einzelnen Geige um 12 dB und gegen-über der Gruppe noch immer um 3 dB lauter. Das bedeu-tet, dass der Dirigent bei der skizzierten Orchesteraufstel-lung – im Vergleich zur Lautstärkebalance beim Zuhörer –die Holzbläser im Mittel um etwa 5 dB und die Trompeteum etwa 3 dB zu leise einschätzt. Das mag ein Grund fürdie bekannte Erfahrung sein, dass manche Dirigenten dazuneigen, die Streicher gegenüber den Bläsern zu sehr zurück-zunehmen.

Im Prinzip gelten diese Relationen für alle Dynamikstu-fen, allerdings macht sich auch der unterschiedlich starkeEinfluss der Dynamik auf das Klangspektrum, insbesondereauf die hohen Frequenzanteile bemerkbar, die sich vor allembei den Blasinstrumenten stärkerverändern als die stärkstenKomponenten im Klangspektrum. Da die hohen Frequen-zanteile im allgemeinen eine ausgeprägtere Richtcharakteri-stik aufweisen als sie bei unteren und mittleren Frequenzenzu finden ist, werden die Instrumente im piano als wenigerscharf gerichtet empfunden, was innerhalb des Orchestersund damit auch beim Dirigenten den Eindruck des gespiel-ten Dynamikunterschiedes noch vergrößert. Die Streichin-strumente verändern ihr Klangspektrum bei unterschiedli-cher Dynamik weniger stark und erscheinen daher auch impiano relativ obertonreich. Daher erscheinen sie dem Diri-genten wiederum stärker als die Bläser, unter Umständen so-gar in noch stärkerem Maße als im forte.

Schallreflexionen von einer Podiumsrückwand mil-dern die genannten Pegelverhältnisse aufgrund der Richt-charakteristiken der Blasinstrumente – mit Ausnahme derHörner – nur wenig. Reflexionsflächen über dem Orchesterkönnen je nach Ausrichtung vor allem Schall von den hö-heren Streichergruppen zum Dirigenten lenken, da dieseInstrumente gerade die höheren Frequenzen auch starknach oben abstrahlen. Einen zumindest teilweisen Aus-gleich zwischen dem Klang der Streicher und Bläser lässtsich durch reflektierende Flächen über den Bläsern bewir-ken, wenn diese so ausgerichtet sind, dass sie den Schallauf den vordersten Podiumsbereich und damit zum Diri-genten lenken, was zugleich auch der dynamischen Ba-lance im vorderen Zuhörerbereich zugute kommen würde.

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scheiden, dass sie entweder mehr den Intentionen der Diri-genten oder denen der ausführenden Musiker entgegen-kommen.

Abschließend sei noch angemerkt, dass die eingangserwähnte Entscheidung des Dirigenten hinsichtlich derSitzordnung des Orchesters in keinem Saal auf der Basisdes Klangeindrucks am Pult getroffen werden kann. Denndie Streicher sitzen bei jederAufstellungsvariante stets allemit Blickrichtung auf den Dirigenten. Infolgedessen kanner an seinem Pult die Auswirkung der Richtungsabhängig-keit der Schallabstrahlung auf den Klang im Zuhörer-bereich nicht für die unterschiedlichen Sitzordnungen ver-gleichen, ganz abgesehen von der Unmöglichkeit, die räum-liche Balance des Orchesterklangs am Zuhörerplatz vomPult aus zu beurteilen.

Literatur

[1] Meyer, J.: Akustik und musikalische Aufführungspraxis.Bergkirchen, 5. Aufl. 2004.

[2] Kuhl, W.: Räumlichkeit als Komponente des Raumeindrucks.Acustica 40 (1978) S. 167 ff.

[3] Winckel, F.: Die besten Konzertsäle der Welt. Baukunst undWerkform 8 (1955) S. 751 ff.

Autor dieses Beitrages:Prof. Dr.-Ing. Jürgen Meyer, Bergiusstraße 2a, 38116 Braunschweig

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– von oben kommende Reflexionen aus einer Höhe um8 m zwar für die Spieler günstig sind, für den Dirigentenhinsichtlich der Beurteilung des Gruppenklanges derStreicher keine spürbare Verbesserung (gegenüber demDirektschall allein) bewirken,

– Reflexionen von senkrecht oder schräg oben aus einerHöhe von 12 m und mehr dem Dirigenten einen Ein-druckvon der „Räumlichkeit“ des Orchesterklanges ver-mitteln können,

– zum Dirigenten und den vorderen Zuhörerreihen ge-neigte Reflexionsflächen oberhalb der Bläser die Beur-teilung der dynamischen Balance zwischen Bläsern undStreichern erleichtern,

– Reflexionen aus dem unteren Bereich der Podiumsrück-wand die Beurteilung der Balance zwischen Bläsern undStreichern kaum erleichtern,

– höher liegende Publikumsbereiche hinter dem Orchesterdem Räumlichkeitseindruck am Platz des Dirigenten ent-gegenkommen.

Die auf die Position des Dirigenten bezogenen Anforde-rungen an die raumakustischen Verhältnisse decken sichkeineswegs in allen Punkten mit den Anforderungen fürdas gegenseitige Hören der Spieler untereinander. Es kanndeshalb keine „Optimalforderungen“ für die Schallverhält-nisse auf Konzertsaal-Podien geben; vielmehr werden sichauch akustisch gute Konzertsäle stets dahingehend unter-

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