schulnotizen 19
Geschütteltes Vorarlberg
Zur Rettung unseres Sprachschatzes Kurt Greussing
We r of f e n e n A u g e s u n d re in e n H e rz e ns d u rc h u n s e re L a n d e g e h t , s ie h t u n d
s p ü rt , d a s s n u r m e h r we n ig es v on u n s ere m Tra d i t ion s b e s t a n d d e m Zug r i f f d e r M od e rn e z u t rot z e n v e rm ag : A u t or i t ä t , w ie d ie u n s e res L a n d es ra ts f ü r
S c h u le u n d S p ort , w i rd ru c h los a n g e f oc h t e n , B i s c h of E lm a rs s eg e n s re ic h es Wirk e n w ird m it f re c h e n P rot e s t ru f e n b e d a c h t , u n d m a n c h e ror t s d roh t g a r
d e r Tra k t or d a s P f e rd z u ve rd rä n g e n .
Umso dringender ist es, Kultur-
formen zu bewahren, die ohne schüt-
zendes Bemühen wohl das Zeitliche
segnen würden. Zu diesen gehört der
Schüttelreim. Seit dem 13. Jahrhun-
dert bereichert er unseren Sprach-
schatz. Auch wenn er seit damals von
einer der erhabensten Gedichtformen
nur allzu oft zum Mittler von Zoten
("Er griff in ihrer Hülle Falten / und
konnte kaum die Fülle halten") abge-
sunken ist, so verdient er doch als
Traditionsgut den Strudeln unserer
schnelllebigen Zeit entrissen zu wer-
den.
Nicht um die komplexe Theorie
des Schüttelreims soll es hier gehen.
Dazu ist in einschlägigen Fachbü-
chern mehr gesagt worden, als dem
poetischen Antrieb des Schöpfers
oder Rezitators solcher Reime gut tut.
Wesentlich ist, dass bei betonten Sil-
ben am Schluss der Zeile Anfangskon-
sonanten vertauscht ("Du bist /
Buddhist") und/oder Vokale geschüt-
telt werden, wie dies vorbildlich in
meiner Hommage an Michael Köhl-
meier geschieht: "Der Dichter auf der
Lesereise, / der sprach zu Freundin
Rese leise: / Sei bitteschön ganz leise,
Rese, / wenn ich auf dieser Reise le-
se."
Die Motivation zur Herstellung
von Schüttelreimen speist sich ganz
und gar aus der Zwecklosigkeit des
Ästhetischen, also aus jenem Drängen
nach in sich ruhender Schönheit, das
unser verehrter Friedrich von Schiller
in seinen ästhetischen Schriften der
Um- und Nachwelt weitgehend ver-
gebens nahezubringen versuchte. Im
Schüttelreim jedoch hat dieses Schil-
lersche Ansinnen überlebt - etwa in
dem an sich zwecklosen, doch in sich
schönen Klassiker: "Jetzt geh ich in
den Birkenwald, / denn meine Pillen
wirken bald."
Warum jedoch sollte sich die
Zwecklosigkeit des Schönen nicht mit
einem Gebrauchswert verbinden las-
sen - gerade heutzutage, wo wir doch
alle ziemlich knapp bei Kassa sind?
Am ehesten kommt diese Verbin-
dung von Edlem und Nützlichem be-
kanntermaßen in der Bildung zum
Tragen. Deshalb haben sich die
"schulnotizen" dankenswerterweise
entschlossen, eine Kollektion von
Schüttelreimen zur Vorarlberger
Geographie, die ich ursprünglich nur
um ihrer selbst Willen, also als reine
Dichtung, kreiert habe, nach und nach
den Lehrkräften unseres Landes zu-
gänglich zu machen.
Mögen diese Schüttler nicht nur
dem Geographie-Unterricht im Sinne
der bewährten Heimatkunde, son-
dern auch dem vielerorts beklagten
Sprachvermögen unserer heranwach-
senden Jugend wertvolle Impulse ver-
leihen!
Schulnotizen 4-2008
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