Akutes Abdomen und Bauchschmerz A. Richterich Kinder- und Jugendpsychosomatik.

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Akutes Abdomenund Bauchschmerz

A. Richterich

Kinder- und Jugendpsychosomatik

Übersicht

• Definition, Häufigkeit

• Ursachen, Differentialdiagnose

• Akutes Abdomen bei Kindern und Jugendlichen

• Bauchschmerz bei Kindern und Jugendlichen

• Psychosomatische Differentialdiagnosen

Definition

• Akut entstandene oder

• akute Handlung erfordernde

• lebensbedrohliche Erkrankung

• deren Schmerzempfinden im Bereich des Abdomen lokalisiert wird

Häufigkeit

• 0,13 % der Bevölkerung pro Jahr (1 Mio!)

• ¼ der Patienten mit AA muss operiert werden

• Besondere Gefährdung:– Hämodialyse (Hypergastrinämie)– Immundefekte /Immunsuppression

Differentialdiagnose

• Entzündliche intra-abdominelle Erkrankungen mit sofortiger operativer Konsequenz

• Akute abdominelle Blutungsquellen

• Intraabdominelle Erkrankungen ohne sofortige operative Konsequenz

• Perforierende und stumpfe Bauchtraumen

• Extraabdominelle Erkrankungen

Entzündliche intra-abdominelle Erkrankungen mit sofortiger

operativer Konsequenz

• Appendizitis

• Mechanischer Illeus (CA, Briden, Hernien)

• Strangulation

• Perforation

• Infarkte (a, v, okkl, n-okkl)

• Abszesse

Akute abdominelle Blutungsquellen

• Ulzerationen, Varizen, Tumore, Divertikel, Strangulationen, Verletzungen

• I chronisch okkult

• II gering (Hb ~ 10, p und RR OK)

• III mittelschwer (Hb<10, RR und p pathol.)

• IV schwer (Schockindex > 1,2, Hb <8)

Intraabdominelle Erkrankungen ohne sofortige op. Konsequenz

• Gastroenteritis

• Hepatitis

• Ulkus

• Pankreatitis

• Gynäkologische Urs. (Dysmenorrhoe etc.)

• Renale Urs. (Steine, Abzesse, Infarkte)

Perforierende und stumpfe Bauchtraumen

• Milz

• Leber

• Pankreas

• Duodenum

• Dünndarm

• Dickdarm

• Zwerchfell

Extraabdominelle Erkrankungen

1) kardial

• Herzinfarkt

• Aneurysma dissecans thoracalis

• Pericarditis

• Akute Leberstauung

Extraabdominelle Erkrankungen

2) pleuropulmonal

• Pneumonie

• Pleuritis

• Lungenembolie

Extraabdominelle Erkrankungen

3) urogenital

• Hodentorsion

• Akuter Harnverhalt

Extraabdominelle Erkrankungen

4) neurologisch/psychiatrisch

• Bandscheibenvorfall

• Querschnitt

• Psychosen

• Somatisierungsstörungen

Extraabdominelle Erkrankungen

5) sonstiges

• Frakturen

• Koma (Diabetes, Urämie)

• Leukämische Krisen

• Intoxikationen

Akutes Abdomen beim Kind

„Akutes Abdomen“

PrädilektionsalterAkuter, stärkster Schmerz

TastbefundAuskultationsbefund

Trauma

Pathologische DarmgasverteilungSchießscheibenphänomenCystischer Tumor

InvaginationVolvulusOvarialcystePankreasläsionToxisches Megacolon

Organische Erkrankungen

Prädilektionsalter

Familiäre BelastungIntermittierender oder Dauerschmerz

Tags- und nachtsüberPerzentilenknick

ResistenzenDruckschmerzExtraabdominelle LäsionenRektal-digitaler Untersuchungsbefund

PathologischeLaborbefunde

Typischer Befund:Sonographie

Abdomen-ÜbersichtEndoskopieLaparotomie

Bauchschmerz beim Kind

Bauchschmerz

Tagsüber auch Nachts

Entzündung - Entzündung +

Funktionelle St. Organ. Erkrankung Obstipation H-p Gastritis Basale Pneumonie Irr. Colon Cholelithiasis Toddler´s Diarrhoe Enteritis Sigmavolvulus Pankreatitis M.Crohn Diabetes mell. Colitis ulc. Invagination Volvulus Harnwegsinfekt Trauma

Hernie Ovarialzyste

Untersuchungsgang : Bauchschmerz im Kindesalter I

• Anamnese :– Alter, Dauer, Zeitpunkt– Einfluß auf Perzentilenkurve– Familiäre Belastung,

• Klinischer Befund : – Druckschmerz– Resistenz– Peristaltik

Untersuchungsgang : Bauchschmerz im Kindesalter II

• Laborbefunde : LeukozytoseThrombozytose

α2-GlobulinCRP, BKS

Blutzucker, Urin-Status Amylase, Lipase, γGT

?

Untersuchungsgang : Bauchschmerz im Kindesalter III

• Bildgebende Diagnostik :SonographieRöntgen Abdomen-Übersicht

CTMRI

Video-Kapsel

Prädilektionsalter für funktionelle Störungen

• Drei-Monatskoliken :

• Toddler´s Diarrhea : Kleinkind-Schulkind

• Irritables Colon : Schulkind

• Obstipation : Säugling-Schulkind

• Sigmavolvulus : Schulkind

Funktionelle Erkrankungen

Prädilektionsalter

Familiäre BelastungIntermittierender oder Dauerschmerz

TagssüberKein Perzentilenknick

ResistenzenDruckschmerzKeine extraabdominellen LäsionenRektal-digitaler Untersuchungsbefund

NormaleLaborbefunde

Typischer Befund:Sonographie

Abdomen-Übersicht

Organische Erkrankungen

Anamnese,Entzündungszeichen

AuskultationsbefundPalpationsbefund

Hohe γGTHohe Amylase, Lipase

Hoher BlutzuckerBakteriologie

Serologie

SonographieEndoskopie

Röntgen

Pneumonie

PankreatitisTraumaCholelithiasis

Diabetes

H-p GastritisLambliasisYersinienCampylobacter

Chronisch-Entzündliche Darmerkrankungen

Anamnese,Familienanamnese

WachstumsstillstandPerianaläsionen

Resistenz re UnterbauchResistenz li Unterbauch

ArthritisHautläsionen

Segmentale ColitisObere Intestinal-Läsionen

Kontinuierliche Colitis

Fokale Entzündung,Granulome

Diffuse ColitisKryptabszesse

Verdickte DarmwandJejuno-Ileitis

M. CrohnNicht-klass, ColitisColitis ulcerosa

Altersverteilung bei CED

0

2

4

6

8

10

12

Alter ( J )

Kinder

M.C.C.u.N.kl.C.

Chronisch-Entzündliche Darmerkrankungen

Anamnese,Familienanamnese

WachstumsstillstandPerianaläsionen

Resistenz re UnterbauchResistenz li Unterbauch

ArthritisHautläsionen

Segmentale ColitisObere Intestinal-Läsionen

Kontinuierliche Colitis

Fokale Entzündung,Granulome

Diffuse ColitisKryptabszesse

Verdickte DarmwandJejuno-Ileitis

M. CrohnNicht-klass, ColitisColitis ulcerosa

Besonderheit : Immunsupprimierte Kinder

SteroidtherapieChemotherapie

Immunsuppression

Keine typischen SchmerzenKeine der Läsion entsprechende Laborbefunde

Psychosomatik und Bauchschmerz

… alte Fragen …

„ … es ist ein großer Irrtum unserer Zeit, dass die Ärzte den Geist vom Körper trennen wollen …“

Platon, 427 v. Chr. - 347 v. Chr.

Rationalismus

René Descartes* 1596 in La Haye (F),† 1650 in Stockholm (S)

„cogito ergo sum“

Dualismus: „res cogitans“ vs. „res extensa“

Psychosomatik

Somatiker und PsychikerJohann Christoph August Heinroth* 1773 in Leipzig (Deutschland), † 1843 in Leipzig (Deutschland).

„Psychosomatik“

Gegenbewegung (!) zu den liberaleren biologischen Forschern Virchow und Griesinger

Sigmund Freud

• Beginnt als Neurologe und Neuropathologet• Psychoanalytisches Modell• „Konversion“

Sigmund Freud * 1856 in Freiberg (Österreich-Ungarn), † 1939 in London (England)

Franz Alexander• Theorie der spezifischen Konflikte• Die „Heiligen Sieben“ Asthma bronchiale, Ulcus

ventriculi/duodeni, Colitis Ulcerosa, Essentieller Hypertonus, Rheumatoide Arthritis, atopisches Ekzem (Neurodermitis), Hyperthyreose (!!!)

Franz Alexander* 1891 in Budapest (Österreich-Ungarn)† 1964 in Palm Springs (Kalifornien/USA)

Max Schur

• Freuds „Leibarzt“

• Theorie der Desomatisierung

Max Schur * 1897 in Stanislau (Österreich-Ungarn)† 1969 in New York (USA)

Schur, M. (1955). Comments on the Metapsychology of Somatization. Psychoanal. Study Child, 10:119-164

Mitscherlich

• Zweiphasenmodell

• Politische Wirkung (Heidelberg!)

* 1908 in München (D)† 1982 in Frankfurt/M. (D)

Weizsäcker, Üexküll und Hahn • Ludolf Krehl (1861 – 1937)

„Einheit der Persönlichkeit“ • Victor v. Weizsäcker (1886 – 1957)

„Allgemeine Klinische Medizin“ • Thure von Uexküll (1908 – 2004)

– Thure von Uexküll, Rolf H. Adler, Jörg M. Herrmann et al. (Hrsg): Psychosomatische Medizin, Urban u. Fischer, München 2003 [6. Aufl.]

• Peter Hahn – Zur Geschichte der Psychosomatik. Die Entwicklung der

Psychosomatischen Medizin, in: Geschichte der Psychologie, Bd. 2, S. 248-268, in: Kindlers "Psychologie des 20. Jahrhunderts", Beltz, Weinheim 1982

Abteilungsgeschichte

• 1953 erste psychosomatische Kinderstation in Deutschland unter der Ägide von Prof. Dr. med. K. H. Schäfer am UKE

• "Heilpädagogische Abteilung“• 1965: 19 Betten• Prof. Dr. Hedwig Wallis („rooming in“)• 1973 wurde die Abteilung in eine

Psychosomatische Ambulanz (mit 15 Belegbetten in der Kernklinik) umgewandelt.

Abteilungsgeschichte 2

• Nach Emeritierung von Frau Prof. Dr. H. Wallis 1986 wurde die Abteilung zunächst kommissarisch geleitet.

• 1989 – 2003 Frau Prof. Dr. Margarete Berger

• 1991 Status einer Kinder- und Jugendpsychiatrischen Institutsambulanz

• 2003 als Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychosomatik in das neugeschaffene Zentrum für Frauen-, Kinder- und Jugendmedizin integriert.

• Direktor der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychosomatik ist seit März 2004 Prof. Dr. Michael Schulte-Markwort.

Definition Psychosomatik

Psychosomatik oder Psychosomatische Medizin

• Wechselbeziehungen zwischen seelischen, körperlichen und sozialen Vorgängen bei menschlichen Krankheiten

Definition Psychosomatik

Psychosomatik oder Psychosomatische Medizin

• Wechselbeziehungen zwischen seelischen, körperlichen und sozialen Vorgängen bei menschlichen Krankheiten

• Die theoretischen Modelle zur Erklärung dieser Wechselwirkungen veränderten sich im Verlauf mehrerer Jahrtausende zeit- und wissensbedingt

Definition Psychosomatik

Psychosomatik oder Psychosomatische Medizin• Wechselbeziehungen zwischen seelischen, körperlichen und

sozialen Vorgängen bei menschlichen Krankheiten• Die theoretischen Modelle zur Erklärung dieser Wechselwirkungen

veränderten sich im Verlauf mehrerer Jahrtausende zeit- und wissensbedingt

• Verallgemeinernd kann man davon sprechen, in der Medizin "nicht dem Körperlichen weniger, sondern dem Seelischen mehr Aufmerksamkeit zu schenken"

(nach E. Weiss und O. S. English, 1949)

Übersicht

• Psychiatrische Erkrankungen und Bauchschmerz

• Entwicklungspsychologie:Emotionen und Somatisierung

• Allgemeine Hypothesen (und Prinzipien?)

Psyche und Bauchschmerz

• Depression• Angststörungen• Ess-Störungen• Selbstverletzungen und Suizidversuche (!)• Somatisierungsstörungen (differenziert – undifferenziert)

• Somatoforme autonome Funktionsstörungen• Hypochondrische Störung• Anhaltende somatoforme Schmerzstörung

– Zuordnung noch unklar: „FAP“ frequent abdominal painoder „IBS“ idiopathisches Bauchschmerzsyndrom

Bauschmerz und psychiatrische Erkrankung: Angst, DepressionAnzahl ungeklärter medizinischer Befunde

und Zusammenhang zu Angst und Depression

500 Patienten einer internistischen Poliklinik (Krönke 1997)

Bauschmerz und psychiatrische Erkrankung: Anorexie, Bulimie,

SVV

• Fallbeispiel Anorexia nervosa: „Es drückt“

• Fallbeispiel Bulimia nervosa: Gastritis

• Fallbeispiel Suizidversuch: 50 Tabletten ASS

• Fallbeispiel Selbstverletzendes Verhalten: Nadeln

Bauschmerz und psychiatrische Erkrankung:

Somatisierungsstörung• Wechselnde körperliche Symptome ohne hinreichende

organische Erklärung • Sehr häufig lange und komplizierte Verläufe• Beginn oft früh, häufig langjährige Verläufe (>2 J.)• Langanhaltende Störung des Verhaltens und der

sozialen Bezüge (Familie)• KEINE Simulation, KEINE kontrollierte Steuerung• Gefahr der iatrogenen Schädigung

Bauschmerz und psychiatrische Erkrankung: Funktionelle

Störungen• „Somatoforme autonome Funtionsstörung“• Autonome Erregung + subjektive Beschwerde

– Kardiovaskulär– Respiratorisch – Urogenital– Gastrointestinal

• Aerophagie• Singultus• Psychogene Dyspepsie• Psychogene Flatulenz• Psychogenes Colon irritabile• Psychogene Diarrhoe

Hypochondrie

• Beharrliche Beschäftigung mit der Möglichkeit, an einer oder mehreren schweren körperlichen Erkrankungen zu leiden, die chronisch voranschreiten

• Weigerung den Rat mehrerer Ärzte zu akzeptieren, dass keine körperliche Erkrankung vorliegt

• Zugehörig: Dysmorphophobie• Abgrenzung: Wahn

Anhaltende somatoforme Schmerzstörung

• Andauernder, schwerer und quälender Schmerz

• Durch physiologische Prozesse nicht ausreichend erklärbar

• In Verbindung mit emotionalen Schwierigkeiten oder psychosozialen Belastungen auftretend

• Häufig beträchtlich gesteigerte persönliche und medizinische Hilfen

FAP - IBS• Sehr verbreitet (5-10%); in fast 50% bis ins Erwachsenenalter. • Die Erkenntnisse zur Pathophysiologie im Kindesalter sind trotz

zunehmenden Forschungsinteresses noch rudimentär, die Resultate vielfach noch inkonsistent.

• Aktuelle Erklärungs- und Therapiemodelle verstehen das IBS als komplexe und multifaktoriell verursachte Störung (biopsychosoziales Paradigma).

• Das Auftreten der Symptomatik scheint v. a. mit psychopathologischen und psychosozialen Belastungen (Ängste, Depressionen, Alltagsstress, Lebensereignisse) sowie familiären und Umweltfaktoren (psychopathologische Probleme der Eltern, soziales Modell- bzw. Verstärkerverhalten) in Zusammenhang zu stehen.

• Die auffällig ausgeprägte Komorbidität des Bauchschmerzsyndroms mit anderen Schmerzbeschwerden deutet auf eine zugrunde liegende (psychopathologische) Somatisierungstendenz bei den betroffenen Kindern hin.

FAP - IBS• Die ungünstige Langzeitprognose unterstreicht die

Notwendigkeit frühzeitiger und zielgerichteter Intervention. • Voraussetzung für eine effektive psychologische Therapie

ist eine z. T. relativ aufwendige organmedizinische Ausschlussdiagnose.

• Eine verhaltensmedizinische Behandlung sollte angestrebt werden

• Grundlage ist eine gründlichen Familienanamnese und Symptomanalyse

• Interventionen zum Symptommanagement und Veränderung von krankheitsrelevanten Umweltbedingungen

• In den letzten Jahren werden verstärkt komplexere und multidimensionale Schmerzbehandlungsprogramme für Kinder entwickelt, die weiter evaluiert werden müssen

Zuerst …

• Abwendbar gefährliche Verläufe kennen (Arzt)

• Behandelbare Krankheiten früh erkennen und ausreichend behandeln (Spezialist)

Aber auch …

• Abwendbar gefährliche Verläufe kennen (Arzt)• Behandelbare Krankheiten früh erkennen und

ausreichend behandeln (Spezialist)

• … schon früh die Bedeutung sozialer und psychischer Faktoren für den Krankheitsverlauf sehen und bedenken …

• … und im Zweifelsfall psychische Behandlungen erkennen und behandeln (Psychosomatik/Psychiatrie)

Was tun?

• Nicht jeder Bauchschmerz ist eine Krankheit • Gefahr der Extreme kennen:

– nicht alles ist Psyche – und nicht alles Soma (Dialektische Betrachtung)

• Integrative Vorstellungen fördern• Aufmerksam sein – für Körper und Seele• Kindern helfen, Gefühle ohne den Umweg über

den Körper äußern zu können• Kranken helfen, gut leben zu können