Post on 18-Aug-2019
Ralf Kassirra (TUM) | Basisqualifikation Berufsorientierung | Sommersemester 2016
Basisqualifikation
Berufsorientierung
Ralf Kassirra und Carmen Aringer
Lehrstuhl für Ergonomie der TU München
Boltzmannstr. 15
85748 Garching
Tel. 089/289-15393
Fax. 089/289-15389
E-Mail: ralf.kassirra@tum.de / aringer@lfe.mw.tum.de
URL: http://www.lfe.mw.tum.de/
2
Inhaltsverzeichnis
1. Berufsorientierung – Profilbildender Schwerpunkt der Mittelschule ............ 5
2. Das Unterrichtsfach AWT ................................................................................ 10
3. Berufswahl und Berufsberatung..................................................................... 12
3.1 Einflussgrößen der Berufswahl ...............................................................................12
3.2 Berufswahltheorien .................................................................................................15
3.2.1 Berufswahl als Entscheidungsprozess ..................................................................15
3.2.2 Berufswahl als Zuordnungsprozess ("Matching-Prozess") ....................................16
3.2.3 Berufswahl als Lernprozess ..................................................................................17
3.2.4 Berufswahl als Zuweisungsprozess (Allokation) ...................................................17
3.2.5 Berufswahl als Entwicklungsprozess ....................................................................18
3.2.7 Berufswahlreife .....................................................................................................18
3.3 Berufsberatung durch die Bundesagentur für Arbeit (BfA) .....................................21
3.3.1 Organisation .........................................................................................................21
3.3.2 Aufgaben der Bundesagentur für Arbeit ................................................................21
3.3.3 Rahmenbedingungen der Berufsberatung ............................................................22
3.3.4 Methoden der Berufsberatung ..............................................................................22
3.3.5 Beratungsziele der Einzelberatung .......................................................................23
3.3.6 Berufsinformationszentrum ( BIZ ) Struktur und Aufbau ........................................23
3.3.7 Zusammenarbeit von Schule und Berufsberatung ................................................24
3.3.8 Spezielle berufsvorbereitende Maßnahmen..........................................................25
3.3.9 Organisation und Vergabe von Projekten zur vertieften Berufsorientierung über
REZ ...............................................................................................................................26
3.4 Arbeitsmarkt ...........................................................................................................27
3.4.1 Der Arbeitsmarkt als System von Angebot und Nachfrage ...................................27
3.4.2 Untergliederungen des Arbeitsmarktes .................................................................29
3.4.3 Aktuelle Situation .................................................................................................30
3.4.4 Jugendliche im Arbeitsmarkt .................................................................................31
4. Das duale System der Berufsbildung ............................................................. 33
4.1 Bildungssystem der BRD und Strukturmerkmale der beruflichen Bildung ...............33
4.1.1 Hochschulen – Überblick .................................................................................33
4.1.2 Gesamtübersicht des Bildungssystems ...........................................................34
4.1.3 Die Geschichte des Beruflichen Bildungswesen ..............................................35
4.1.4 Strukturmerkmale des dualen Systems ...........................................................36
4.2 Rechtliche Perspektive ...........................................................................................38
3
4.2.1 Rechtliche Grundlagen ....................................................................................38
4.2.2 Berufsausbildungsverhältnis ............................................................................40
4.2.3 Rechtlich-administrative Struktur des dualen Systems ....................................43
4.2.4 Zusammenwirken von Arbeitgebern und Arbeitnehmern im dualen System ....48
4.3 Berufspädagogische Struktur .................................................................................49
4.3.1 Betriebliche Lernorte .......................................................................................50
4.3.2 Lernorte der Berufsschule ...............................................................................52
4.4 Betriebliche Voraussetzungen ................................................................................53
4.4.1 Sachliche Voraussetzungen ............................................................................53
4.4.2 Personelle Voraussetzungen ...........................................................................53
4.5 Prüfungswesen und Aufsicht- und Kontrolle ...........................................................55
4.5.1 Zwischenprüfung .............................................................................................56
4.5.2 Abschlussprüfung ............................................................................................56
4.5.3 Meisterprüfung ................................................................................................58
4.5.4 Fortbildungsprüfung ........................................................................................59
4.5.5 Aufsicht durch die zuständigen Stellen ............................................................59
4.5.6 Aufsicht durch die staatlichen Gewerbeaufsichtsämter ....................................60
4.5.7 Aufsicht über die Berufsschule ........................................................................61
5. Die berufsbildenden Schulen in Bayern ........................................................ 62
5.1 Berufliche Schulen, die vorrangig berufliche Qualifikationen vermitteln ..................62
5.1.1 Berufsschulen .................................................................................................62
5.1.2 Berufsfachschulen (BFS).................................................................................65
5.1.3 Fachschulen (FS) ............................................................................................67
5.1.4 Fachakademien (Fak) .....................................................................................69
5.2 Berufliche Schulen, die vorrangig Berechtigungen vermitteln .................................71
5.2.1 Berufsaufbauschule (BAS) ..............................................................................72
5.2.2 Fachoberschule (FOS) ....................................................................................72
5.2.3 Berufsoberschule (BOS) .................................................................................73
6. Fachdidaktische Grundlagen der Unterrichtsplanung ................................. 75
6.1 Prinzipien ...............................................................................................................75
6.2 Unterrichtsplanung .................................................................................................77
7. Fachspezifische Methoden zur beruflichen Orientierung ............................ 81
7.1 Das Rollenspiel ......................................................................................................81
7.2 Die Zukunftswerkstatt .............................................................................................85
7.3 Die Leittextarbeit ....................................................................................................89
7.4 Das Experteninterview............................................................................................91
4
7.5 Die Arbeitsplatzerkundung .....................................................................................94
7.6 Das Betriebspraktikum ......................................................................................... 100
7.7 Der Berufswahlordner/Der Berufswahlpass .......................................................... 118
7.8 Das Projekt (z.B. Schülerfirma) ............................................................................ 124
8. Diagnoseinstrumente zur beruflichen Orientierung ....................................132
5
1. Berufsorientierung – Profilbildender Schwerpunkt der
Mittelschule
Mit der stufenweisen Wandlung der bayerischen Hauptschule hin zur Mittelschule
über die im Jahre 2007 gestartete „Hauptschulinitiative“ wurden drei Säulen der
Haupt- bzw. Mittelschule herausgestellt, auf denen diese basiert. Diese stellen die
Bereiche der Wissensvermittlung („Stark im Wissen“), den Bereich der
Persönlichkeitsförderung („Stark als Person“) und schließlich den Bereich der
„vertieften Berufsorientierung“ („Stark im Beruf“) heraus.
„Ziel der Bemühungen ist es, noch mehr SchülerInnen durch individuelle, situativ
angepasste Förderung zur Ausbildungsreife zu führen und ihnen einen attraktiven
Schulabschluss zu ermöglichen. Leistungsstarke Schüler werden so weit gefordert,
dass ihnen über den Mittleren Bildungsabschluss der Weg in höher qualifizierte
Berufe oder ein weiterqualifizier-endes Schulangebot offen steht.
Leistungsschwächere Kinder und Jugendliche werden dort individuell unterstützt, wo
ihre Bedürfnisse liegen. Möglichst alle SchülerInnen sollen so weit gefördert werden,
dass sie die Basisanforderungen für den erfolgreichen Übergang in Ausbildung und
Beruf erreichen.
Die Rubrik Berufsorientierung zeigt Wege, wie die berufsorientierenden Zweige
"Technik", "Wirtschaft" und "Soziales" eingeführt, ein Praxistag organisiert und die
verstärkte Zusam-menarbeit mit der Berufsschule, der Agentur für Arbeit und der
regionalen Wirtschaft aufgebaut werden können.“1
Durch die Anbindung der Förderschulen an die aktuell gültigen Lehrpläne der Haupt-
bzw. Mittelschule, ergibt sich auch deren Ausrichtung hin zu einer „vertieften
Berufsorientierung“. Für Mittel- wie auch Förderschulen wurde die Berufsorientierung
somit zu einem profilbildenden Schwerpunkt.
Zunächst soll der der Begriff der Berufsorientierung anhand einiger Zitate scharf
umrissen werden:
Berufsorientierung im aktuell gültigen Lehrplan:
„Ein wichtiges Anliegen ist es, die Schüler so anzuleiten, dass sie einen Erstberuf
aus-wählen, der zu ihnen passt und den sie ausfüllen können. Sie sollen den Wert
einer qualifizierten Berufsausbildung erkennen und einsehen, wie sehr es in allen
Berufen neben fachlichem Können auch auf soziale und personale Kompetenzen
ankommt. Der Berufswahl-prozess vollzieht sich im größeren Rahmen der eigenen
Lebensplanung. Die Schüler sollen dabei auch lernen, wie sie ihre persönlichen und
kulturellen Lebenssituationen realistisch in diesen Prozess einbeziehen können. Im
berufsorientierenden Unterricht sollen sie auf
1 Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung (ISB): www.isb-mittelschule.de (zuletzt überprüft am 23.10.2013 um 13:52)
6
Perspektiven für ihre zukünftige berufliche Entwicklung und die Notwendigkeit der
Weiterbildung und der beruflichen Mobilität aufmerksam gemacht werden.“ (aus dem
Fachprofil AWT des aktuell gültigen Lehrplanes für Bayerische Mittelschulen)
„Unter Berufsorientierung wird […] ein längerfristiger Prozess verstanden, der alle
didaktischen Maßnahmen und individuellen Entwicklungsschritte zur Ausbildung
unterschiedlicher Dispositionen umfasst, die eine rationale Wahl für eine berufliche
Option, ihre zielstrebige Realisierung oder eine flexible, den
Arbeitsmarktbedingungen angepasste Modifizierung ermöglichen. Employability
bezeichnet ein Konzept, das auf die Ausbildung sowohl fachlicher als auch
nichtfachlicher Kompetenzen, insbesondere auch im interkulturellen Bereich,
ausgerichtet ist, um beschäftigungsfähig zu werden und zu bleiben.“ (Köck 2010: S.
13)2
„Berufsorientierung – Bedeutungsgehalte: […] der Begriff der Berufsorientierung
weist in verschiedene Richtungen und wird daher relativ vieldeutig verwendet.
Subsumiert wird darunter eine subjektive Haltung einzelner Akteure im Kontext von
Schule und Bildung, die Adaption curricularer Elemente an Anforderungen und
Erfordernisse beruflicher Handlungsfelder oder generell die Ausrichtung bestimmter
Fächer oder sogar Schularten. Angesichts der Erosion der Kontanten klassischer
Erwerbsbiographien wird Berufsorientierung auch als notwendige lebenslange
Disposition hervorgehoben, die berufliche Mobilität sicherstellen soll. Des Weiteren
wird Berufsorientierung im Sinne von Berufswahlorientierung bzw.
Berufswahlvorbereitung verstanden (Schudy 2002).“ (in ders./Köck 2010: S. 33)
Das bayerische Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung (ISB) definiert
den Begriff der Berufsorientierung in einer Veröffentlichung zur praktischen
Umsetzung an den Haupt- bzw. Mittelschulen im Jahre 2009 folgendermaßen:
Berufsorientierung „ist die Summe aller Maßnahmen, die dazu beitragen, dass die
Schüler ihre eigenen beruflichen Interessen und Fähigkeiten im Spiegel der
Anforderungen der Wirtschafts- und Arbeitswelt aufbauen, um zu einer
angemessenen Erstauswahl eines Ausbildungsplatzes bzw. Startberufes oder eines
Studienplatzes zu gelangen. […] Berufsorientierung ist ein individueller und
mehrjähriger Prozess, der zur Persönlichkeitsentwicklung der Jugendlichen beitragen
soll. In diesem Prozess sollen die Jugendlichen die Möglichkeit haben, selbst Regie
zu führen, sich in verschiedenen Berufsfeldern zu erproben und eine eigene
Berufswahlentscheidung zu treffen. […] Zentrale Aufgabe der Berufsorientierung ist
die Befähigung zur Gestaltung der eignen Bildungs- und Berufsbiographie
(autobiographische Kompetenz). Berufsorientierung ist ein interaktiver Prozess der
Annäherung und Abstimmung von Interessen, Wünschen, Wissen und Können des
Individuums auf der einen und Bedarf und Anforderungen der Arbeits- und
2 Aus: Köck, Michael; Stein, Margit (2010): Übergänge von der Schule in Ausbildung, Studium und
Beruf. Voraussetzungen und Hilfestellungen. Klinkhardt. Bad Heilbrunn.
7
Berufswelt auf der anderen Seite. Dieser Prozess findet sowohl in formellen,
organisierten Lernumgebungen als auch informell im alltäglichen Leben statt. […]
Berufsorientierung ist kein punktuelles Vorhaben, sondern ein Prozess, in dem die
Lernenden ihre individuellen Fähigkeiten und Fertigkeiten entfalten, sich über
unterschiedliche Berufsfelder orientieren und so ihr berufliches Selbstkonzept
entwickeln können.“3
Berufsorientierung an der bayerischen Mittelschule
Aus dem aktuell gültigen Lehrplan ergibt sich folgende Darstellung der
Berufsorientierung an bayerischen Mittelschulen4:
3 Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung Bayern (ISB): Berufsorientierung an Haupt-
/Mittelschulen 8. Jahrgangsstufe. Materialien/Anregungen für einen berufsorientierenden Unterricht AWT, Technik, Wirtschaft, Soziales. München 2009 4 Quelle: Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung Bayern (ISB): www.isb-
mittelschule.de/index.php?Seite=6396&PHPSESSID=65c7711f3ae659526c304413f621b513 (zuletzt geprüft am 11.11.2013 um 13:32 Uhr)
8
So kann Berufsorientierung praktisch aussehen: In Anlehnung an
Veröffentlichungen des Staatsinstitutes für Schulqualität und Bildungsforschung
lassen sich einzelne schulische Aktivitäten, die der Begleitung des Prozesses der
beruflichen Orientierung und der Berufswahl dienen, den einzelnen Jahrgangsstufen
zuordnen5:
Jahrgangsstufe 7:
Schulischer Praxistag: Technik/Wirtschaft/Soziales
Berufsberatung, Agentur für Arbeit/ Infoveranstaltung/BIZ
Verpflichtender Eltern- und Schülerinfoabend ( = aktive Einbindung der Eltern
in den Berufswahlprozess)
Intensive Vor- und Nachbereitung – Arbeitsplatzerkundung
Berufsinformationsveranstaltung (Koop. externe Partner)
Kooperation mit der Berufsschule
Einbindung der Berufspaten (z.B. für sozial benachteiligte Schülerinnen und
Schüler – „Fit for life“ Sozialkompetenztraining)
Projekt (Schüler arbeiten und wirtschaften für einen Markt)
Berufsorientierungspraktikum (vertiefte BO)
Berufswahlordner, Portfolio
Jahrgangsstufe 8:
Schulischer Praxistag
Verpflichtender Eltern- und Schülerinfoabend
AiS – Ausbilder in Schulen (vertiefte BO)
Projekt
Berufsberatung – Einzelgespräch / Besuch im BIZ
Betriebserkundungen in unterschiedlichen Bereichen
Berufsinformationstag
Kooperation mit der Berufsschule
Intensive Vor- und Nachbereitung – Betriebspraktika
Professionelles Bewerbungstraining – evtl. Bewerbungstag
Berufswahlordner, Portfolio
Jahrgangsstufe 9:
Schulischer Praxistag (Schwerpunkt auf kompetenz- und projektorientiertem
Unterricht in Hinblick auf Projektprüfung)
Kooperation mit der Berufsschule
Bewerbungsbegleitung (durch Klassenlehrer, Berufsberater, ggf.
Sozialpädagogen bzw. Berufspaten)
Berufswahlordner, Portfolio
5 http://www.isb-mittelschule.de/index.php?Seite=4094&PHPSESSID=65c7711f3ae659526c304413f621b513 (zuletzt überprüft am 11.11.2013; 14:39 Uhr)
9
Bereichsübergreifende Literaturempfehlungen zur Berufsorientierung:
Köck, Michael; Stein, Margit (Hrsg.) (2010): Übergänge von der Schule in
Ausbildung, Studium und Beruf. Voraussetzungen und Hilfestellungen.
Klinkhardt. Bad Heilbrunn.
Schudy, Jörg (Hrsg.) (2002): Berufsorientierung in der Schule. Grundlagen und
Praxisbeispiele. Klinkhardt. Bad Heilbrunn.
10
2. Das Unterrichtsfach AWT/WiB
An der Mittelschule finden die Gedanken und Ideen einer vertieften
Berufsorientierung in erster Linie im Leitfach AWT (Arbeit-Wirtschaft-Technik) ihre
Verortung, das im Rahmen eines fächerübergreifenden Unterrichts idealerweise
Aktivitäten und Unterrichtsvorhaben, die zur Berufsorientierung beitragen, koordiniert.
In diesem Kapitel soll Ihnen dieses Fach, dessen eigene Fachdidaktik uns eine
Reihe geeigneter Methoden, deren Umsetzung der beruflichen Orientierung dienen,
liefert, näher vorgestellt werden.
Die drei Buchstaben AWT der Fachbezeichnung stehen für Arbeit, Wirtschaft und
Technik und repräsentieren drei neben Beruf und Haushalt existierende
Inhaltsbereiche dieses Faches. Mit dem ab 2017 sukzessive neu eingeführten
Lehrplanplus lautet die neue Bezeichnung dieses Faches „Wirtschaft und Beruf“
(WiB). Insgesamt können die Fachinhalte die folgenden sich teilweise
überschneidenden Bereiche gegliedert werden (gemäß KMK 1969):
Beruf
Wirtschaft
Technik
Haushalt
Arbeit dient bei dieser Darstellung immer als übergeordnete Leitkategorie.
KMK 19696: „Beruf umfasst als Gegenstandsbereich Bedingungen und Formen von
Arbeit, die vorwiegend Erwerbszwecken dient und auf die meist in
Ausbildungsgängen vorbereitet wird sowie die Entwicklung einer Berufswahlfähigkeit.
Technik umfasst als Gegenstands-bereich technische Mittel und Verfahren zur
Herstellung und Verwendung von Waren und zur Erbringung von Dienstleistungen.
Wirtschaft umfasst als Gegenstandsbereich wirtschaftliche Bedingungen und
Verfahren zur Produktion, zum Austausch von Waren und zur Bereitstellung von
Dienstleistungen, insbesondere Verteilung und Verbrauch unter Berücksichtigung
sozialer Verpflichtungen. Haushalt umfasst als Gegenstandsbereich den
Lebensbereich des privaten Haushalts und die in dieser sozio-ökonomischen Einheit
enthaltenen Bedingungen, Bedürfnisse und Verfahren.
Diese Gegenstandsbereiche bedingen und durchdringen sich wechselseitig; sie sind
grundsätzlich offen und können in bestehende Unterrichtsfächer hinein wirken. Sie
bedürfen der ständigen Reflexion, um neueren Wirklichkeitsanforderungen Raum zu
geben. So werden z. B. die für Unterricht und Erziehung allgemein anerkannten
Herausforderungen im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien
sowie der Ökologie auch in diesen Gegenstandsbereichen berücksichtigt. Arbeit hat
bei der inhaltlichen Bestimmung des Lernfeldes, bei der Formulierung von
6 Konferenz der Kultusminister, KMK-Empfehlung zum Lernfeld Arbeitslehre, Bonn, 8. Oktober 1987
11
Anforderungen sowie bei der für den Unterricht notwendigen didaktischen
Verknüpfung der Gegenstandsbereiche besondere Bedeutung.”
Im aktuell gültigen Lehrplan finden sich diese Gegenstandsbereiche in der
inhaltlichen Untergliederung der zu vermittelnden Kompetenzen und des
Grundwissens wieder. Hier werden die Bereiche Arbeit und Beruf, Arbeit und
Haushalt/Arbeit und Wirtschaft, Arbeit und Technik und Arbeit und Recht.7
Weitere wesentliche Aussagen zur Rolle, den Schwerpunkten und den
übergeordneten Zielsetzungen des Unterrichtsfachs AWT liefern folgende Auszüge
aus dem Fachprofil des aktuell gültigen Lehrplans für bayrische Mittelschulen, aus
dem auch die Teilüberschriften übernommen wurden8:
„Leitfach“
Das Unterrichtsfach Arbeit-Wirtschaft-Technik und die Fächer Werken/Textiles
Gestalten, Gewerblich-technischer Bereich, Hauswirtschaftlich-sozialer Bereich,
Kommunikations-technischer Bereich9 und Buchführung bilden in der Stundentafel
für die Hauptschule das Lernfeld Arbeit-Wirtschaft-Technik. Das Fach Arbeit-
Wirtschaft-Technik hat darin die Funktion eines Leitfaches. Es wirkt mit theoretischen
und praktischen Inhalten und Lernzielen in die Fächer der berufsbezogenen Praxis
und im fächerübergreifenden Sinn auch in die übrigen Fächer hinein. […]
Ziel und inhaltliche Schwerpunkte
Das Fach Arbeit-Wirtschaft-Technik beginnt in Jahrgangsstufe 5 und knüpft an
Themenbe-reiche der Grundschule an. Zentrale Themen des Faches in den
Jahrgangsstufen 5 und 6 sind den Bereichen Arbeit, Konsum, Haushalt und Technik
zuzuordnen. Dabei werden die Schüler besonders in Arbeitstechniken wie
Beobachten, Befragen, Beschreiben, Auswerten und Erkunden geschult. Der Blick
auf den eigenen Lebensbereich wird geschärft und inhaltlich kontinuierlich
weitergeführt.
Die Schüler der Hauptschule treten in der Regel früher als andere in das Berufsleben
ein. Vorrangiges Bildungsziel des Faches Arbeit-Wirtschaft-Technik ist es, sie auf
jene von Arbeit geprägten Bereiche vorzubereiten, in denen sie in Zukunft als
Erwerbstätige, als Produzenten von Gütern und Dienstleistungen, als Verbraucher
und Wirtschaftsbürger leben werden. Die Schüler sollen ein grundlegendes
Verständnis in den Bereichen Wirtschaft, Technik, Beruf, Haushalt und Recht
erwerben und die Arbeit als Grundphänomen menschlichen Daseins begreifen. Dazu
setzen sie sich mit wichtigen Tatsachen und Zusammenhängen der Arbeits- und
Wirtschaftswelt auseinander. Sie beschäftigen sich mit Entwicklungen in diesen
7 Lehrplan für die bayerische Mittelschule. In der aktuellen seit 07.07.2004 gültigen Fassung: S.432 8 Lehrplan für die bayerische Mittelschule. In der aktuellen seit 07.07.2004 gültigen Fassung: S.62 ff.
(Arbeit-Wirtschaft-Technik – Fachprofil) 9 Die drei zuletzt genannten Fächer wurden mittlerweile neu benannt! Man spricht nun von den drei
„berufsorientierenden Fächern Technik, Soziales und Wirtschaft“!
12
Bereichen und deren Auswirkungen auf das persönliche Leben und die Gesellschaft.
Sie bemühen sich, dabei auch auf ökologische, soziale und politische
Gesichtspunkte zu achten und lernen entsprechend zu handeln. […]
Praktisches, handlungsorientiertes Lernen
Der Unterricht bietet den Schülern Möglichkeiten, sich in der Schule und an
Lernorten außerhalb der Schule mit der Arbeits- und Wirtschaftswelt möglichst
wirklichkeitsnah auseinander zu setzen. Sie können sich dabei ihre individuellen
Interessen und Fähigkeiten bewusst machen, diese prüfen und weiterentwickeln und
mit den Aufgaben und Anforderungen unterschiedlicher beruflicher Tätigkeiten
vergleichen“ (Lehrplan für die bayrische Mittelschule S.62 ff.)
3. Berufswahl und Berufsberatung
Definition:
Berufswahl ist der Interaktionsprozess von Individuum und Umwelt, der
dazu führt, dass Menschen unterschiedliche Tätigkeiten ausüben.
(Bußhoff, Ludger: Berufswahl. In: BfA: Handbuch zur Berufswahlvorbereitung
1984. Mannheim: Transmedia, 1984, S.176.)
Die Berufswahl gehört zu den wichtigsten Aufgaben der Schule. Sie trifft den
SchülerInnen in einer schwierigen Lebenssituation und ist in der Regel stark
angstbesetzt und von Unsicherheiten begleitet.
Während man früher die Berufswahl als einmaligen Akt betrachtet hat, als eine Wahl
fürs Leben, sieht man heute eher darin einen lebenslangen Prozess von immer
wiederkehrenden Berufsentscheidungen (Berufslebenslauf).
3.1 Einflussgrößen der Berufswahl
Die vielfältigen Einflüsse, die bei der Berufswahl eine Rolle spielen können, lassen
sich vorab in zwei Hauptgruppen einteilen:
exogene Einflüsse (Milieu, Elternhaus, Markt und Wirtschaft, Ökonomie ...)
und
endogene Einflüsse (Charakter, Neigungen, Entwicklungsstand,
Leistungsfähigkeit ...)
Seifert (1977) untersucht vor allem die exogenen Einflüsse der Berufswahl und trennt
diese wiederum in zwei Bereiche:
13
die ökonomischen Determinanten und
die soziokulturellen und sozialpsychologischen Determinanten
(siehe Tab. III/1 sowie detailliert im Anhang A III/1)
Die Auswirkungen der Einflussfaktoren auf die Berufswahl beschreibt Seifert in acht
Punkten (Seifert, Karl Heinz: Theorien der Berufswahl. In: Handbuch der
Berufspsychologie. Göttingen: Verlag für Psychologie, 1977, S.235-236):
(1) sie bestimmen die Gesamtheit der verfügbaren beruflichen Alternativen,
(2) sie bestimmen die Zugänglichkeit verschiedener Berufsschichten und
Berufsgruppen und damit auch die gegenwärtigen und zukünftigen Erwerbs-
und Erfolgschancen,
(3) sie prägen die individuelle Berufsauffassung und die tätigkeits- und
berufsbezogenen Wert- und Leitvorstellungen,
(4) sie fördern und prägen die Berufsmotivation besonders hinsichtlich der
Bildungsbereitschaft, der Leistungsmotiviertheit und der beruflichen
Aspirationen, etwa im Hinblick auf die Aufstiegsmotiviertheit,
(5) sie begünstigen die Ausbildung oder Ausrichtung auf bestimmte berufliche
Präferenzen,
(6) sie konditionieren den Erwerb bestimmter beruflicher Rollenmuster,
(7) sie bilden das berufliche Informationsniveau aus,
(8) sie fördern die Entwicklung bestimmter beruflicher Aspiration (des
"prospektiven Vorstellungsniveaus" nach Ries) sowie des allgemeinen
beruflichen Erwartungshorizontes.
14
Tab. III/1: Zusammenfassung ökonomischer und sozialer Determinanten der Berufswahl (nach Seifert:
Handbuch der Berufspsychologie, 1977)
Ökonomische Determinanten der Berufswahl 1. Allgemeine Wirtschaftslage 2. Lokale Wirtschaftslage 3. Struktur der Berufe
3.1 Entwicklungsstand der Berufe, Grad der beruflichen Spezialisierung 3.2 Wandel der Berufe und der Berufsstruktur (z.B. Zugangsberufe, Abgangsberufe) 3.3 Berufsanforderungen (Berufseignungsanforderungen, Ausbildungsanforderungen) 3.4 Berufliche Ausbildungsmöglichkeiten (vorhandene Lehrberufe, Studienmöglichkeiten) 3.5 Berufliche Weiterbildungs- und Fortbildungsmöglichkeiten
4. Arbeitsmarktlage und Arbeitsmarktpolitik 4.1 Verhältnis von Angebot und Nachfrage 4.2 Arbeitsmarktpolitik 4.3 Berufliche Mobilität
5. Einkommensverhältnisse, Verdienstmöglichkeiten 5.1 Allgemeines Lohn- und Gehaltsniveau 5.2 Verdienstmöglichkeiten 5.3 Sozio-ökonomische Vorteile und Nachteile verschiedener Berufe
Soziokulturelle und sozialpsychologische Determinanten der Berufswahl 1. Kulturelle und epochale Einflüsse
1.1 Berufszuweisung 1.2 Soziale „Vererbung" des Berufs 1.3 Berufsideologie 1.4 Image und Prestigewert der Berufe
2. Sozio-ökonomische Schichtzugehörigkeit 2.1 Ökonomische Existenzbedingung der Erzieherfamilie (Einkommensverhältnisse) 2.2 Schichtspezifische Lebensweise 2.3 Schichtenspezifische Einstellungen und Werthaltungen
3. Familie, Elternhaus 3.1 Erziehungseinstellung und Erziehungspraktiken 3.2 Familientradition 3.3 Berufliche Erfahrungen der Eltern und Verwandten 3.4 Berufliches Rollenverhalten der Eltern, älterer Geschwister oder sonstiger Verwandter 3.5 Einstellungen und Werthaltungen der Familie 3.6 Position in der Geschwisterreihe und Geschlechtszugehörigkeit des Wählenden
4. Schule 4.1 Auslesefunktion der Schule 4.2 Kulturelles Wertesystem der Schule 4.3 Individuelle Erfahrungen mit einzelnen Unterrichtsfächern; 4.4 Erwerb bestimmter Arbeitshaltungen 4.5 Einfluss des Lehrers
5. Gruppe der Gleichaltrigen (Peer-Groups) 5.1 Einstellungen und Werthaltungen 5.2 Vorbildfunktion
6. Berufs- und Erziehungsberatung 6.1 Berufsaufklärung 6.2 Berufslenkende Maßnahmen 6.3 Berufsberatung
7. Wirtschaftliche Interessenverbände 7.1 Gezielte berufliche Informationen 7.2 Werbung
15
Ergänzung zu Seifert 1977:
Was heute mit Sicherheit als weitere soziokulturelle Determinante der Berufswahl
Berücksichtigung finden könnte, ist der Bereich der Erfahrungen innerhalb der neuen
Medien. Gerade die jüngere Generation ist in zunehmendem Maße durch
individuelle Erfahrungen und Informationen geprägt, die im Erfahrungsfeld der neuen
Medien (z.B. Internet: Diskussionsforen, soziale Netzwerke, Erfahrungsberichte…)
gemacht bzw. übermittelt werden können.
Sicherlich hängt der Einfluss auf den Einzelnen von seinen Nutzungsgewohnheiten
und Möglichkeiten ab. Der individuelle Einfluss vieler der soziokulturellen
Determinanten, so wie sie 1977 ursprünglich von Seifert formuliert wurden, können
durch die bei den meisten Jugendlichen beinahe tägliche Nutzung der neuen
Medien, abgeschwächt oder auch verstärkt werden. Die meisten dieser
Determinanten nutzen zur Steigerung des eigenen Einflusses auf den
Berufswählenden gezielt oder zufällig auch selbst die Möglichkeiten der neuen
Medien.
3.2 Berufswahltheorien
Eine Zusammenstellung der Einflussfaktoren erlaubt zwar, global Ursache-
Wirkungsbeziehungen zu erkennen. Man kann aber keine Aussagen über Umfang
und Intensität, noch über den Zeitpunkt der Wirksamkeit dieser Faktoren treffen.
Diese Zusammenhänge sind nur in umfassenderen Berufswahltheorien zu klären.
Im Folgenden seien in Anlehnung an Bußhoff (1984, S.176-185) fünf grundsätzliche
Erklärungsansätze der Berufswahl vorgestellt.
3.2.1 Berufswahl als Entscheidungsprozess
Ansatz:
Berufswahl ist ein normaler Entscheidungsprozess, der sich von anderen
Entscheidungen nicht unterscheidet. Nach der Entscheidungstheorie trennt man
folgende Phasen:
1. Problemwahrnehmung 2. Informationssuche und –verarbeitung 3. Entscheidung 4. Realisierung
Wiederholungen und Rückschritte sind im Verlauf eines Entscheidungsprozesses
möglich. Entscheidungstheoretische Modelle stellen die Struktur eines
Entscheidungsvorganges in den Mittelpunkt. Man unterscheidet dabei das klassische
16
entscheidungstheoretische Modell (geht von einer absolut rationalen Wahl aus) von
eher verhaltenswissenschaftlich orientierten Modellen (enthalten auch weniger
rationale Elemente).
Probleme:
Das Entscheidungsverhalten des Menschen ist nie so rational, wie es einfache
Entscheidungstheorien voraussetzen. Meist sind auch nicht alle Alternativen mit den
jeweiligen Folgen bekannt. Oft fehlt dem Wählenden ein Kategoriensystem, nach
dem er seine Alternativen bewerten kann.
Möglichkeiten der Berufswahlhilfe:
Jede(r) SchülerIn sollte mehrere Berufe bzw. Ausbildungswege kennen. Dies
erfordert eine gezielte Orientierung. Praktika, Betriebserkundungen
Die Komplexität ist auf ein für die Schüler handhabbares Maß zu reduzieren.
Didaktische Reduktion
Wichtig ist die Orientierung im allgemeinen und beruflichen Bildungssystem.
Der Berufswähler muss die Informationen strukturieren können.
Das aktive, suchende Informationsverhalten ist zu fördern.
3.2.2 Berufswahl als Zuordnungsprozess ("Matching-Prozess")
Ansatz:
Jede Person hat ein spezifisches Muster von Persönlichkeitsmerkmalen (Interessen,
Fertigkeiten, Fähigkeiten, Motivationslage…), jeder Beruf ein typisches Muster von
Anforderungen. Der Berufswähler versucht einen möglichst "passenden" Beruf zu
finden (was auch die Alltagserfahrung besagt). Diese Theorie hatte stärksten Einfluss
auf die Berufsberatung (vgl. spielerisch aufgebaute Online-Programme der
Arbeitsagentur zum Finden von dem persönlichen Profil entsprechenden Berufen;
z.B. unter www.planet-beruf.de oder http://portal.berufe-universum.de/ ).
Probleme:
Veränderungen der Berufe und des Berufswählers (mit teilweise gegenseitiger
Abhängigkeit). Die Berufswahl wird als viel zu kurzphasiger Vorgang betrachtet.
Möglichkeiten der Berufswahlhilfe im Unterricht:
Bei der Eignungsfeststellung ist größter Wert auf den motivationalen Aspekt zu
legen.
Selbst- und Fremdeinschätzungen der Fähigkeiten sind zu fördern und zu
ermöglichen (Noten, Tests...).
Entsprechende Zuordnungen zu Berufsmöglichkeiten sind aufzuzeigen.
Praktische und systematische Vorgehensweisen und Strategien sind hierzu den
Schülerinnen und Schülern zu vermitteln.
17
3.2.3 Berufswahl als Lernprozess
Ansatz:
Die Berufswahl basiert hauptsächlich auf den (Lern)erfahrungen und den daraus
gewonnen Erkennt-nissen des Wählenden. Selbstkonzept, Umweltkonzept und
Problemlösungsmethoden des Berufswählers sind dabei als Ergebnisse
generalisierter Lernerfahrungen zu betrachten. Sie bestimmen bei der Berufswahl die
Entscheidungstechnik, d.h. die Handlungsrichtung und die Art der Realisierung.
Die Theorie besitzt durch ihre Praxisrelevanz große Bedeutung.
Probleme:
Vergangene Lernbedingungen können unter normalen Lebensumständen nur
lückenhaft erfasst werden. Zukünftige hängen zusätzlich von vielen Unwägbarkeiten
ab.
Möglichkeiten der Berufswahlhilfe:
Gezielt Lernerfahrungen ermöglichen, die der Ausbildung eines beruflichen
Selbst- und Umweltkonzepts und der Einübung berufsrelevanter
Problemlösungsmethoden dienen.
z.B. Abklären von Werten, Setzen von Zielen, Prognose künftiger Ereignisse,
Entwickeln von Alternativen, Beschaffen von Informationen, Beurteilen,
Neuinterpretation vergangener Ereignisse, Aussondern und Gewichten von
Alternativen, Planen und Generalisieren.
Ausarbeitung von aufeinander aufbauenden Lernschritten
"Entdeckenlassendes Lernen" bspw. im Rahmen einer Berufswahl-Fallstudie
"Modellernen" z.B. beim Einüben eines Vorstellungsgesprächs etc.
3.2.4 Berufswahl als Zuweisungsprozess (Allokation)
Ansatz:
Die Auswahl eines Berufes unterliegt vielfältigen, sozialen und ökonomischen
Beschränkungen. Selbst die Auswahlkriterien unterliegen diesen Einflüssen, d.h. die
Berufswahl ist ein gesellschaftlich gesteuerter Prozess. Man unterscheidet dabei die
direkte Zuweisung durch die gesellschaftliche Kontrolle des Zugangs zu Berufen und
die indirekte Zuweisung durch den Sozialisationsprozess
Die Allokation vollzieht sich nach diesem Ansatz in der Wahl der Schullaufbahn, in
der Wahl der Ausbildungsrichtung, wie auch in der Berufstätigkeit selbst.
Probleme:
Der Ansatz vernachlässigt weitgehend die eigenen Möglichkeiten des Berufswählers.
Möglichkeiten der Berufswahlhilfe:
18
Man muss sehen, dass Berufswahl nicht als "Agentenhilfe" der Gesellschaft
missverstanden wird.
Man muss die gesellschaftlichen Lenkungsmechanismen bzw. die
Handlungsspielräume des Berufswählers oder der Berufswählerin bewusst
machen ohne eine Aussteigermentalität zu fördern.
Aus alternativen Handlungsmöglichkeiten können Strategien zur Bewältigung
entwickelt werden.
3.2.5 Berufswahl als Entwicklungsprozess
Ansatz:
Berufswahl ist ein Teil des Gesamtentwicklungsprozesses des Menschen. Sie wird
dabei nach Lebensphasen gegliedert. Entsprechend werden die Entwicklung von
Persönlichkeitsmerkmalen, des Berufswahlverhaltens und phasenspezifische
Umwelteinflüsse den einzelnen Lebensphasen zugeordnet. So bildet sich ein stabiles
berufliches Selbstkonzept aus.
Berufsorientierung ist ein lebenslanger zusammenhängender Prozess mit Er-
klärungs- und Vorhersagewert für gegenwärtiges und zukünftiges Verhalten. Die
Entscheidungen zur beruflichen Entwicklung stehen in einem sinnvollen
Zusammenhang; der Entscheidungsspielraum engt sich ein.
Probleme:
Das entwicklungstheoretische Modell stellt zwar den am weitesten entwickelten
Ansatz einer Berufswahltheorie dar. Jedoch sind die Ergebnisse bisher nur sehr
vorläufig. Vor allem fehlen Längsschnittuntersuchungen. Sie konzentrieren sich
hauptsächlich auf die vorberufliche Entwicklung.
Möglichkeiten der Berufswahlhilfe:
Es besteht die Notwendigkeit kontinuierlicher Berufswahlvorbereitung, vor
allem in der Schule.
Die Entwicklung der Berufswahl darf nicht isoliert von der übrigen
Entwicklung betrachtet werden.
Der Schüler soll sein berufliches Selbstkonzept erkunden und eine subjektive
und objektive Erweiterung seiner beruflichen Möglichkeiten erreichen.
Eine subjektive Bedeutsamkeit ist notwendig, um die Einsichtsfähigkeit zu
fördern.
Präferenzen der Schüler hinsichtlich Informationswahl, Informationsträger,
Informationsformen etc. müssen berücksichtigt werden.
3.2.7 Berufswahlreife
Definition:
19
Berufswahlreife ist die Fähigkeit und Bereitschaft zur Inangriffnahme und zur
effektiven Bewältigung der mit der Berufswahl zusammenhängenden pha-
sentypischen Entwicklungsaufgaben.
Anwendungen:
"Das Konzept der Berufswahlreife
o ermöglicht die empirische Bestimmung des Ausgangsniveaus, der Kom-
ponenten bzw. Dimensionen und der Entwicklungsrichtung der vorberuflichen
(berufswahlbezogenen) Entwicklung,
o ermöglicht die Formulierung und Konkretisierung der Ziele der institutionellen
Berufwahlvorbereitung in operationalisierter Form, ferner die Überprüfung der
pädagogisch-psychologischen Angemessenheit der Zielsetzungen im Hinblick
auf die psychologischen Voraussetzungen und die Entwicklungsmöglichkeiten
des Berufswählers,
o stellt die inhaltlichen und methodischen Grundlagen für die Anpassung der
Maßnahmen zur Berufswahlvorbereitung an die kognitiven und motivationalen
Lernbedürfnisse und die Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten des
Berufswählers oder der Berufswählerin zur Verfügung,
o ermöglicht mit Hilfe spezieller Untersuchungsverfahren die empirische
Überprüfung (Evaluation) der Effizienz der Maßnahmen der
Berufswahlvorbereitung sowie die Beschreibung und Erklärung der
(unterschiedlichen) Wirkungsweisen dieser Maßnahmen.." .
Hauptentwicklungsbereiche der Berufswahlreife:
a) Berufswahleinstellungen:
Berufwahlengagement,
Planungsaktivität,
berufliche Explorationsbereitschaft,
berufliche Entschiedenheit / Sicherheit,
berufliche Wertorientierung bei der Berufswahlentscheidung,
Selbständigkeit und Unabhängigkeit bei der Berufswahlentscheidung,
subjektive Bedeutsamkeit von Arbeit und Beruf.
b) Kognitive Faktoren:
Laufbahnwissen,
Allgemeine berufliche Informiertheit,
Entscheidungskompetenz,
Informiertheit über den bevorzugten Beruf,
Realitätsorientierung und Konsistenz der beruflichen Präferenz...
Möglichkeiten der Berufswahlhilfe zur Förderung der Berufswahlreife:
20
Eine Mindestberufswahlreife ist die Voraussetzung für berufsvorbereitende
Maßnahmen (z.B. Mindestberufswahlmotivation). Die Berufswahlreife wird durch
gezielte Berufswahlvorbereitung gefördert:
Schriftliche und audiovisuelle Informationsmittel,
Vorträge und Unterrichtsgespräche,
Maßnahmen der Realitätserkundung (sehr breites Wirkungsspektrum),
Beratungsgespräch und
Entscheidungstraining.
Weitere Informationen:
Bundesanstalt für Arbeit (Hrsg.): Handbuch zur Berufswahlvorbereitung. Medialog,
Mannheim, 1992.
Behrens, G.; Hoppe, M.: Berufswahl als Problem. Studienbrief 2 des Fernstudiums
„Berufswahlvorbereitung“. Deutsches Institut für Fernstudien an der Universität
Tübingen. Beltz Verlag, 1984.
Beinke, L.: Berufswahl - Der Weg zur Berufstätigkeit. K.H.Bock Verlag, Bad Honnef,
1999
21
3.3 Berufsberatung durch die Bundesagentur für Arbeit (BfA)
3.3.1 Organisation
Das Sozialgesetzbuch III bildet die gesetzliche Grundlage der Bundesagentur für
Arbeit (BfA), einer Körperschaft des öffentlichen Rechts. Die gemeinnützige und
interessenunabhängige Wahrnehmung ihrer Aufgaben wird durch
Selbstverwaltungsorgane unterstützt, in denen Arbeitgeber-, Arbeitnehmer und
Behördenvertreter zu gleichen Teilen sitzen.
Der Präsident leitet die Hauptstelle der Bundesanstalt in Nürnberg nach Maßgabe
des paritätisch besetzten Vorstandes. Der Hauptstelle, den Landesarbeitsämtern und
den einzelnen Arbeitsämtern sind Verwaltungsausschüsse als Organe der
Selbstverwaltung zugeordnet. Als Teil der mittelbaren Staatsverwaltung kann gegen
Verwaltungsakte der Anstalt nach Art. 19 Abs. 4 GG geklagt werden. Die BfA wird
aus Beiträgen von Arbeitgebern, Arbeitnehmern und Bundeszuschüssen finanziert.
Abb. III/2: Aufbau der BfA (Stand:14.08.2012)
3.3.2 Aufgaben der Bundesagentur für Arbeit
Der Bundesagentur für Arbeit obliegen nach dem Sozialgesetzbuch (SGB III)
folgende Aufgaben:
Berufsberatung,
Arbeitsvermittlung,
Förderung der beruflichen Bildung, soweit sie ihr nach dem AFG übertragen
ist,
Gewährung von berufsfördernden Leistungen zur Rehabilitation,
22
Gewährung von Leistungen zur Erhaltung und Schaffung von
Arbeitsplätzen,
Gewährung von Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe und von
Konkursausfallgeld
Arbeitsmarkt- und Berufsforschung.
Zudem kann die Bundesregierung der Bundesanstalt durch Rechtsverordnung
weitere Aufgaben übertragen, die im Zusammenhang mit diesen Aufgaben stehen.
Allgemein liefert die BfA Informationen über Berufe und unterstützt den Einzelnen bei
der Berufswahl, der Berufsentscheidung, der Stellensuche und bei Arbeitslosigkeit.
3.3.3 Rahmenbedingungen der Berufsberatung
Die Ausbildung der BerufsberaterInnen erfolgt an der Fachhochschule in
Mannheim. Für die Beratung von Abiturienten ist ein Hochschulstudium erforderlich.
Die Berater werden laufend fortgebildet, regelmäßige Dienstbesprechungen sollen
einen umfassenden und aktuellen Überblick der regionalen Arbeitsmarktsituation
gewährleisten. So können auch Probleme, Anregungen, Kritiken schnell aufge-
nommen und bearbeitet werden.
Die Berufsberatung und -vermittlung erfolgt auf freiwilliger Basis, d.h. keiner wird
gezwungen sich beraten zu lassen.
Für alle Beratungen gilt das Konzept: Hilfe zur Selbsthilfe. (Prinzip der
Subsidiarität)
Neben den Beratungsgesprächen stehen den SchülerInnen und Ratsuchenden noch
folgende Einrichtungen zur Verfügung:
Bereitschaftsdienst: für schnell zu entscheidende Fälle, vor allem bei Abbruch
der Lehre, Studium, Schule;
telefonische Beratung: kurze Informationen;
Berufsberater an allen Schulen und Hochschulen;
beratungsvorbereitende Maßnahmen wie die Medienkombination „Mach‟s
richtig“ und verschiedene Berufswahltests.
Die Berufsinformationszentren stehen allen Besuchern frei zur Verfügung.
3.3.4 Methoden der Berufsberatung
Gespräche mit einem Berufsberater beinhalten Informationsberatung,
Entscheidungsberatung und/oder Realisierungsberatung.
Von der Relation TeilnehmerInnen zu BeraterInnen unterscheidet man:
Einzelgespräche: ca. 1 h Dauer (u.a. im Rahmen des AWT-Unterrichts als
Kooperationspartner)
Gruppengespräche:
Gruppenberatungen werden meist bei Gruppen bis zu 7 Personen durchgeführt, mit
dem Ziel allgemeine Probleme bei der Berufswahl zu erörtern und dadurch den
Erfahrungs- und Informationsaustausch der Teilnehmer anzukurbeln. Dazu benötigen
die Teilnehmer allerdings grundlegende Informationen über die Berufswahl.
23
Teamberatungen:
Vor allem bei schwierigen Beratungen (Behinderte) kann der Berater zusätzlich
Experten, wie Psychologen, Ärzte und Vertreter des Berufsbildungswerks mit
heranziehen.
Die meisten Beratungen finden grundsätzlich im Arbeitsamt statt, da die Berater hier
die umfangreichen Dokumentationen zur Verfügung haben. Voranmeldung ist
erforderlich (Vorbereitung!).
Im Weiteren werden neben Vorträgen (z.B. an Schulen) auch Medien (Prospekte,
Broschüren, Hefte, Bücher, Filme…) verteilt, ausgelegt, auf Antrag verschickt, über
den Buchhandel vertrieben und z.B. durch den Landesfilmdienst verliehen sowie
Pressemitteilungen und andere Veröffentlichungen herausgegeben.
3.3.5 Beratungsziele der Einzelberatung
Leitziel der Berufsberatung ist, dem Ratsuchenden bei der Entscheidung der
Berufswahl so zu helfen, dass er die auftretenden Aufgaben und Probleme erkennen
und selbst analysieren kann. Der Ratsuchende soll zur Handlungsfähigkeit und
Selbstbestimmung angeleitet werden, d.h. zur Berufswahlkompetenz herangeführt
werden.
Nach diesem Prinzip ergeben sich folgende Stufen bei der Beratung:
Stufe 1: Der/Die Jugendliche kann die Berufswahl als eine Aufgabe wahrnehmen
und ist motiviert, sich damit zu befassen.
Stufe 2: Der/Die Jugendliche kann den Problemgehalt der Berufswahlaufgaben
analysieren, d.h. er/sie ist sich über sein/ihr Selbstkonzept und seine/ihr
Berufsvorstellungen klar, er/sie entwickelt Problemlösungsmethoden.
Stufe 3: Der/Die Ratsuchende kann in realistischer Einschätzung seiner/ihrer
Berufswahlsituation Selbstbestimmungschancen entdecken.
Stufe 4: Der/Die Jugendliche kann Handlungsmöglichkeiten und –alternativen
ausarbeiten und sich entscheiden.
Stufe 5: Der/Die Jugendliche kann die Entscheidungen persönlich und
eigenverantwortlich treffen und verantworten.
Stufe 6: Der/Die Jugendliche kann seine Berufswahlentscheidung verwirklichen.
Der Berufsberater prüft anhand eines Leitfadens, ob die Beratungsziele Stufe um
Stufe auch tatsächlich erreicht werden.
3.3.6 Berufsinformationszentrum ( BIZ ) Struktur und Aufbau
Berufsinformationszentrum bestehen inzwischen in jeder größeren Arbeitsagentur
(Abb. III/3). Hier können sich alle Interessenten selbst über viele Berufe eingehend
informieren. Dazu stehen Informationsmappen, Filme, Hörprogramme sowie einzelne
Computerarbeitsplätze mit Druckern dort jederzeit bereit. Auch Eltern und Lehrer
nutzen diese Einrichtung. In den Berufsinformationszentren finden regelmäßig
Veranstaltungen, z.B. Informationsnachmittage für bestimmte Berufsgruppen und
Ausstellungen, statt. Oftmals werden auch Kurse zu besonderen Themen, wie
24
Bewerbungsschreiben oder Vorstellungsgespräche angeboten. Ein ständig
anwesende(r) Berufsberater(in) steht bereit, um auftretende Fragen zu beantworten
oder um weitere Schritte einzuleiten.
Entsprechend dem Trend der Zeit wurden auch im Bereich der Berufsberatung
verstärkt neue Medien eingesetzt. Inzwischen hat sich das gesamte Umfeld der
Berufsorientierung auf das Medium „Computer“ eingestellt. Informationen lassen sich
so übersichtlich darstellen, leicht pflegen und über Internet leicht verbreiten.
Im Zusammenhang mit der Berufsberatung an der Schule findet auch eine
Einführung ins Berufsinformationszentrum statt, so dass sich die Schüler dort
danach alleine informieren können.
AUSSTELLUNGSBEREICH mit Informationsständen und wechselnden Ausstellungen
VORTRÄGE Praxisbezug durch Referenten, Diskussionen
SCHULE SchülerInnen werden dort durch den Berufsberater vorbereitet und werden an Ort und Stelle dann
eingewiesen
INFORMATIONSBEREICH (BIZ)
MEDIOTHEK DOKUMENTATION
Eigeninformation durch - Informationsmappen - Medien, wie Filme, Dias, Lernprogramme, usw. - Fachbibliothek - Computer
Sammlung und Aufbereitung der Informationen Ergänzung zum Informationsangebot aus der Mediothek
Abb.III/3: Gliederung eines Berufsinformationszentrums
3.3.7 Zusammenarbeit von Schule und Berufsberatung
Die Zusammenarbeit von Schule und Berufsberatung ist in jedem Land einzeln
geregelt. Die gemeinsame Grundlage bildet die Rahmenvereinbarung der
Kultusministerkonferenz vom 5.2.1971, gemäß § 32, der die BfA verpflichtet mit
den Schulen zusammenzuarbeiten. Als gemeinsame Aufgabe ist die Berufswahlreife
der Schüler zu fördern und auf selbständige, eigenverantwortliche und sachkundige
Entscheidungen vorzubereiten.
Die Schule soll grundlegende Erkenntnisse über die Arbeits- und Wirtschaftswelt, vor
allem unter dem Aspekt der ' Arbeit ' ermöglichen, sie beschäftigt sich mit den vier
Gegenstandsbereichen Technik, Wirtschaft, Haushalt und Beruf. Des weiteren
werden im Zuge der zeitgemäßen Allgemeinbildung der technische, ökonomische,
soziale und ökologische Wandel als fester Bestandteil miteingebracht. Diese Inhalte
sollen im Unterrichtsfach Arbeitslehre (später: AWT) aufgearbeitet werden. In diesem
Rahmen sind auch Betriebserkundungen und Betriebspraktika einzuordnen. Je
gründlicher der Prozess der Berufwahlorientierung in der Schule vorbereitet wird,
desto leichter ist die anschließende Zusammenarbeit mit der Berufsberatung.
25
Die Berufsberatung bietet:
personale Maßnahmen zur Berufsorientierung, Berufsberater und
Selbstinformationseinrichtungen wie Berufsinformationszentrum und
Dokumentationsstelle.
Sie hilft den Lehrern bei der Vorbereitung zur Berufswahlorientierung und stellt alle
ihre Möglichkeiten zur Verfügung. Der Weg zum Berufsberater erfolgt in der Regel
über Schulbesprechungen. Sie dienen der Motivation und der ersten
Kontaktaufnahme. In einer Abendveranstaltung (Elternabend) können die Eltern ein-
bezogen werden. Nach vorbereitenden Schulbesprechungen folgt der nächste Schritt
die Selbstinformation im BIZ. Anschließend werden in der Regel Einzelbera-
tungen mit dem nun bekannten Berufsberater vereinbart. Ein Beratungsgespräch
muss ca. 3-4 Wochen im Voraus angemeldet werden. Oft sind weitere Gespräche
nötig. Die SchülerInnen werden für die Beratungsgespräche vom Unterricht befreit.
Die Berufsberaterin bzw. der Berufsberater ist in der Praxis ein ständiger
Kooperationspartner der Klassenlehrer/-in bzw. der/des AWT-Lehrerin/-Lehrers.
Besonders bei der Vermittlung von Ausbildungsplätzen von eher schwierig zu
vermittelnden Schülerinnen und Schülern ist eine enge und unkomplizierte von
Pragmatismus geprägte Kooperation unersetzlich. Jede Klassenlehrkraft an
Mittelschulen sollte sich daher um einen ständigen und positiven Kontakt zum
zuständigen Berufsberater bemühen!
3.3.8 Spezielle berufsvorbereitende Maßnahmen
Spezielle berufsvorbereitende Maßnahmen sollen noch nicht berufsreife
Jugendliche vor der Berufsentscheidung und vor Eintritt in das Berufsleben helfen,
sich körperlich und geistig weiter zu entwickeln. Sie werden vom Arbeitsamt finanziell
gefördert und in der Regel durch gemeinnützige Träger (z.B. Jugendaufbauwerk,
christliches Jugenddorfwerk, Internationaler Bund für Sozialarbeit etc.) - in
geringerem Umfang auch in Betrieben - durchgeführt.
Maßnahmen zur Berufsvorbereitung und sozialen Eingliederung junger
AusländerInnen wurden eigens bis 1987 durchgeführt. Seitdem wurden die
AusländerInnen in die üblichen berufsvorbereitenden Maßnahmen integriert.
Bis 2004 wurden dann die Maßnahmen getrennt in
Grundausbildungslehrgänge (G) für TeilnehmerInnen ohne Ausbildungsstelle
(Dauer max. 1 Jahr),
Förderungslehrgänge (F) für Behinderte (Dauer ½ bis max. 3 Jahre),
tip-Lehrgänge (= Testen, Informieren, Probieren) für Problemfälle (Dauer: bis
3 Monate),
Lehrgänge zur Verbesserung der beruflichen Bildungs- und
Eingliederungschancen (BBE) für junge Erwachsene mit schwerwiegenden
Bildungsdefiziten (Dauer: bis 12 Monate).
26
Nach einem neuen Konzept von 2004 werden zwar immer noch Förderungen
durchgeführt, aber ohne Trennung in die einzelnen Maßnahmen. Die Förderkonzepte
werden stärker auf die TeilnehmerInnen ausgerichtet. Maximale Förderdauer 10
Monate, für Behinderte 11 Monate. Allerdings zieht sich die Agentur ein wenig
zurück, indem sie aussagt, dass die Berufsvorbereitung eigentlich Aufgabe der
Berufsschulen ist.
3.3.9 Organisation und Vergabe von Projekten zur vertieften Berufsorientierung
über REZ
Mittelschulen in Bayern haben im Rahmen der Reformen zur vertieften
Berufsorientierung als Allein-stellungsmerkmal der Mittelschulen seit dem Schuljahr
2010/2011 die Möglichkeit eingeräumt bekommen, Einzelprojekte zur
Berufsvorbereitung bei den von der Agentur für Arbeit eingerichteten „Regionalen
Einkaufszentren“ (REZ) zu beantragen/“bestellen“.
Hierzu liegen den einzelnen Mittelschulen grobe Beschreibungen der Konzepte von
ca. acht Projekt-modellen, sog. Module, vor (z.B. Projektwoche zum
Bewerbungstraining, Berufsvorbereitungscamps, …), die von der einzelnen Schule
ausgewählt und durch die Schulleitung über das Schulamt beim REZ beantragt
werden können. Das jeweilige zur Verfügung stehende Budget hängt u.a. von der
Anzahl der SchülerInnen der einzelnen Schule ab. Das Gesamtbudget für diese neue
Form des berufsvorbereitenden Projektunterrichts wird den REZ über das StMUK
zugewiesen. Seit dem Schuljahr 2011/2012 haben die Schulen nun auch die
Möglichkeit, gewünschte Projekte relativ frei zu beschreiben. Für die von den
einzelnen Schulen beantragten Projekte werden dann über ein öffentliches
(europaweites) Ausschreibungsverfahren Projektveranstalter gesucht, d.h.
spezialisierte Unternehmen, welche die weitere Planung (in Kooperation mit den
Schulen), Organisation und die Umsetzung der Projekte an den Schulen mit
fachkundigem Personal übernehmen sollen. Dabei sollen, wenn es beispielsweise
um das Sammeln berufspraktischer Erfahrungen in Betrieben geht, nach Möglichkeit
regionale Partner eingebunden werden. Diese Konzeption befindet sich momentan
noch in einer Erprobungsphase. Beinahe jährlich erfolgen wesentliche Änderungen,
die zur Optimierung dieser Konzeption beitragen sollen.
Weitere Informationen:
Bundesanstalt für Arbeit (Hrsg.): Handbuch zur Berufswahlvorbereitung. Medialog,
Mannheim, 1992.
Arbeitsamt: http://www.arbeitsamt.de/hst/index.html
Forum Berufsbildung: http://www.berufsbildung.de/
BIBB: http://www.bibb.de/start.htm
27
3.4 Arbeitsmarkt
3.4.1 Der Arbeitsmarkt als System von Angebot und Nachfrage
In einer mittelalterlichen Stadt bot der Markt einen Überblick über alle Waren und
Produkte der Region. Dieses Bild vom Markt als ein Zusammentreffen von Angebot
und Nachfrage bestimmt bis heute die Vorstellungen der
WirtschaftswissenschaftlerInnen. Aus dieser Tradition heraus sind auch die
Vorstellungen von einem Arbeitsmarkt abgeleitet.
Definition:
Der Arbeitsmarkt ist ein gedachter Ort, an dem das Gut "menschliche Arbeitskraft"
angeboten und zur Herstellung marktfähiger Produkte nachgefragt wird. Der Anbieter
seiner Arbeitskraft steht dem Arbeitsplatzbesitzer (Nachfrager) gegenüber. Durch
Vereinbarungen über die Arbeitsbedingungen und des Lohnes kommt es zu einem
Austausch zwischen beiden Seiten.
Heute erweist sich der Arbeitsmarkt als unvollkommener Markt. Die Möglichkeiten
der Selbstregulierung sind begrenzt. Daraus resultieren fortlaufend soziale und
ökonomische Probleme, die bei lang andauernder Störung des Gleichgewichtes zu
schweren Krisen der Gesellschaft führen. Alle modernen Industriestaaten haben
daher Institutionen geschaffen, durch die der Ausgleich am Arbeitsmarkt gefördert
wird (Arbeitsberatung und -vermittlung) und soziale Härten aufgefangen werden
(Arbeitslosenversicherung). In der Bundesrepublik Deutschland sind die Fragen des
Arbeitsmarktausgleiches der Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg übertragen.
Der Arbeitsmarkt ist ein sehr komplexes System. Eingriffe in dieses System (z.B.
durch Arbeitszeitverkürzungen, Lohnerhöhungen Rationalisierungen etc.) ziehen oft
weitreichende Folgen nach sich, die vorher kaum voraussehbar waren. Die
Arbeitsmarktforschung der BfA versucht die gegenseitigen Abhängigkeiten in diesem
System zu untersuchen und Möglichkeiten und Folgen von äußeren Beeinflussungen
abzuschätzen. Abb. III/4 zeigt beispielsweise eine (bereits ältere) Prognose der
Arbeitsmarktbilanz bis zum Jahre 2000 bei Variation einiger Parameter. Abb. III/4b
zeigt eine neuere Prognose, die verdeutlicht, dass sich u.a. bedingt durch den
Wandel der demographischen Struktur eine Annäherung von
Erwerbspersonenpotential und Arbeitskräftebedarf ergibt.
28
Abb. III/4: Arbeitsmarktbilanz 1965 - 2000 (Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung: Kurzbericht
vom 17.12.1981 "Zur Arbeitsmarktentwicklung bis 2000")
Abb. III/4b: Arbeitsmarktbilanz 1991 - 2025 (Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung: Kurzbericht Nr. 26 von 2007 "Zur Arbeitsmarktent-
wicklung bis 2025")
Letztlich sollte das Ziel sein, die Bilanz, d.h. Angebot und Nachfrage auszugleichen
(inzwischen hat sich jedoch die Lage durch die Wiedervereinigung grundlegend
geändert). Die Bilanz zeigt, wie sich die beiden Größen je nach unterschiedlichen
Rahmenbedingungen (z.B. Wirtschaftswachstum und Arbeitskräftepotential
voraussichtlich entwickeln könnten, wenn andere Rahmenbedingungen (z.B.
29
Arbeitszeit) unverändert bleiben. Die tatsächliche Entwicklung seit dieser Zeit (in
Bezug auf Arbeitszeit, Wirtschaftswachstum und auch auf die politische Entwicklung)
zeigt aber auch, wie vorsichtig man mit solchen Prognosen umgehen muss.
Mögliche Einflussfaktoren für Arbeitskräfte auf dem Arbeitsmarkt sind:
Nachfrageseite Angebotsseite
Wirtschaftswachstum
Berufswandel
regionale Strukturveränderungen
Rationalisierung
Lohn- und Lohnnebenkosten
Arbeitszeit (Wochen-, Jahres-,
Lebensarbeitszeit)
etc.....
Geburtenrate
Ausländerwanderungen
Ausbildungsverhalten
Mobilitätsverhalten (horizontal, vertikal,
regional)
Lohnstruktur
Erwerbsverhalten
etc .....
Das Hauptproblem ist hier, dass ein Ausgleich nicht durch Variation eines
Parameters geschaffen werden kann. So hat die Verkürzung der Arbeitszeit nicht zu
der gewünschten Zunahme von Arbeitskräftebedarf geführt, weil ein Teil der
Arbeitskräfte nur Teilzeitarbeit verrichtet, andererseits die Arbeitgeber auch durch
verstärkte Rationalisierung oder Aufgabenverlagerungen reagieren. Man kann davon
ausgehen, dass durch derartige Maßnahmen weniger als die Hälfte des erwarteten
Stellenzuwachses erreicht werden kann (die Realität der letzten
Arbeitszeitverkürzungen hat diese Befürchtung sogar noch bei weitem übertroffen).
3.4.2 Untergliederungen des Arbeitsmarktes
Abb. III/4 und Abb. III/4b beschreiben den Gesamtarbeitsmarkt der Bundesrepublik
Deutschland. Die Steuer- und Regelmechanismen gelten aber auch für beliebige
Ausschnitte.
Derartige Ausschnitte bzw. Untergliederungen können sein:
a) Es wird unterschieden zwischen dem Arbeitsmarkt im umfassenden Sinn und
dem Arbeitsmarkt im engeren Sinn. Der Arbeitsmarkt im umfassenden Sinn
umfasst alle Politikbereiche, die die beiden Marktseiten beeinflussen. Vor allem
gehört dazu auch das Bildungssystem. Im engeren Sinn werden nur die
Arbeitssuchenden sowie die verfügbaren freien Arbeitsplätze bezeichnet.
b) Regionale Arbeitsmärkte entscheiden darüber, welche
Beschäftigungsmöglichkeiten in einer Region zu finden sind.
c) Viele Pressemitteilungen beziehen sich auf Arbeitsmarktausschnitte nach
Wirtschaftszweigen (z.B. der "Arbeitsmarkt Bau"). Hier geht es darum, den
Ausgleich für Fachkräfte dieses Wirtschaftszweiges zu finden. Gerade die
branchengebundenen Teilarbeitsmärkte zeigen, welche vielfältigen
Wechselbeziehungen bestehen.
30
d) Weiter wird der nach Ausbildungsebenen (Qualifikationsniveau)
untergliederte Arbeitsmarkt unterschieden. So wird seit langem diskutiert, ob ein
Facharbeitermangel droht und wie dem abzuhelfen ist (vergleiche auch den
"Ingenieur-Arbeitsmarkt" mit seinen wechselnden Phasen).
e) Dem externen, allgemeinen Arbeitsmarkt wird neuerdings auch ein interner,
betriebsgebundener Arbeitsmarkt gegenübergestellt. Innerhalb von Betrieben und
Behörden gibt es eine Vielzahl von Bewegungen zwischen Arbeitsplätzen.
Aufstiegspositionen werden intern vergeben. Ältere Arbeitslose haben es in einem
derartigen System schwer, sich wieder einzugliedern.
f) Schließlich gibt es noch die vielen kleinen Teilbereiche der beruflichen
Teilarbeitsmärkte.
3.4.3 Aktuelle Situation
Die absolute Zahl der Beschäftigten bleibt relativ konstant, ebenso das Verhältnis
von männlichen und weiblichen Erwerbstätigen. Bis Anfang der siebziger Jahre war
praktisch ein Zustand der Vollbeschäftigung. Seit Mitte der siebziger Jahre und
besonders seit Anfang der 80er Jahre muss die Arbeitslosigkeit als ernstes, arbeits-
marktpolitisches und gesellschaftliches Problem gesehen werden.
Seit der Wiedervereinigung ist der Arbeitsmarkt in Ost und West gespalten. Während
in der Anfangsphase ein starkes Ansteigen der Arbeitslosenzahlen in Ostdeutschland
zu verzeichnen war, „boomte“ die Wirtschaft im Westen durch den Nachholbedarf
des Ostens. Dieser Boom war aber nur kurzfristig. In den Folgejahren stiegen auch
die Arbeitslosenzahlen im Westen wieder - nicht zuletzt durch die allgemeine
europäische Wirtschaftslage.
2005 lag die Quote der Arbeitslosen in den alten Bundesländern bei 11%, in den
neuen Ländern bei 20% (gesamt: 13%). Dabei zeigen sich auch starke strukturelle
und regionale Unterschiede. Während vor allem im Süden der alten Länder noch
eine gute Beschäftigungssituation vorherrscht, sind manche der alten Bundesländer
(Bremen, Saarland) besonders betroffen. Die regionalen Probleme sind eng
verknüpft mit strukturellen Veränderungen: So gibt es vor allem Probleme im
Schiffsbau, in der Eisen- und Stahlindustrie, neuerdings aber auch im traditionellen
Maschinenbau.
Vor allem ältere Langzeitarbeitslose, Arbeitslose mit gesundheitlichen
Einschränkungen und/oder ausreichender beruflicher Qualifikation haben kaum eine
Chance, ins Berufsleben einzutreten. Dagegen besteht in manchen Bereichen immer
noch ein erheblicher Fachkräftemangel.
Der konjunkturelle Aufschwung im Jahr 2006 schlug dann doch auf die
Beschäftigung durch, so dass im Jahr 2009 eine Quote von ca. 7% in den alten
Ländern, ca. 14% in den neuen Ländern (insgesamt 8%) zu verzeichnen war. Die
folgende Finanzkrise hatte dank der Kurzarbeit nicht stark auf den bundes-deutschen
31
Arbeitsmarkt durchgeschlagen. Ein folgender Aufschwung, gerade im Bereich des
Maschinenbaus und weiter Teile der Automobilindustrie (getragen durch den
zunehmend stärker werden fernöstlichen Markt) konnte wieder zu einer Besserung
beitragen. Derzeit (Juni 2012) liegt die bundesdeutsche Arbeitslosenquote bei 5,4%
(Quelle: Eurostat).
Bei einer Arbeitslosenquote von weniger als 3% spricht man von „Vollbeschäftigung“,
da man dann davon ausgeht, dass die vorhandene Arbeitslosigkeit vorwiegend
friktioneller und saisonaler Art ist.
3.4.4 Jugendliche im Arbeitsmarkt
Bei jungen Menschen tritt Arbeitslosigkeit vor allem im Umfeld der
Übergangsschwellen auf:
1. SchulabgängerInnen, die keinen Ausbildungsplatz finden,
2. AbsolventInnen einer Berufsausbildung, die keinen adäquaten Arbeitsplatz
finden und
3. Jugendliche, die bereits erwerbstätig waren (Ungelernte und Qualifizierte),
die aber arbeitslos wurden.
Die Jugendarbeitslosigkeit war Mitte der 70er Jahre sehr hoch. Im Jahre 1987/88
überstiegen allerdings bereits wieder die Zahlen der angebotenen Ausbildungsstellen
die Nachfrage um 6% (Berufsbildungsbericht 1989). Die Zahlen von 2008: Angebot:
511.000 Stellen; Nachfrage: über 620.000 Bewerber! Letztlich konnte dann doch ein
zumindest rechnerischer Ausgleich geschaffen werden bei einer Relation von 1,3
unbesetzte Stellen pro unversorgte Bewerber.
Heute ist auch der Arbeitsmarkt für Jugendliche immer noch regional sehr
unterschiedlich. Allerdings ist der rechnerische Ausgleich zwischen Angebot und
Nachfrage der Lehrstellen 2008 nicht in allen Regionen festzustellen (Angebots-
Nachfrage Relation von >1). In vielen Regionen – vor allem im Osten - war ein
solcher Ausgleich nicht möglich. Dabei darf aber nicht übersehen werden, dass ein
rechnerischer Ausgleich zwischen Angebot und Nachfrage nicht ausreicht, alle
Bewerber einzubinden (regionale und strukturelle Disparitäten). Im internationalen
Abb.III/5: Ausbildungsstellenmarkt
32
Vergleich ist allerdings die Jugendarbeitslosigkeit bei uns mit ca. 15% (2005) noch
gering (z.B. Frankreich: 22%, Polen: 37%, aber Niederlande: 8%).
Das jetzige Problem am Lehrstellenmarkt ist aber auch dadurch bedingt, dass gerade
wieder einige geburtenstärkere Jahrgänge in das Berufsleben kommen. So
wiederholen sich die Schwierigkeiten der 60er Jahre: ein viel zu geringes Lehrstellen-
angebot mit einer harten Bewerberauswahl. Es ist zu hoffen, dass sich das Ganze
bereits aus demografischen Gründen in einigen Jahren lösen wird.
In unserer Region herrscht gerade (August 2012) in vielen Bereichen des Handwerks
(Bau, Elektro, Holz) ein deutlich spürbarer Mangel an Auszubildenden. Derzeit sind
hier gerade für interessierte MittelschülerInnen die Chancen hoch, rasch eine
passende Ausbildungsstelle zu finden.
33
4. Das duale System der Berufsbildung
4.1 Bildungssystem der BRD und Strukturmerkmale der beruflichen Bildung
4.1.1.1 Hochschulen – Überblick
Hochschularten Zulassung Anmerkung
Wissenschaftliche
Hochschulen
allgemeine oder
fachgebundene
Hochschulreife (12 Jahre)
Einheit und Freiheit von
Forschung und Lehre
Kunsthochschulen Begabungsnachweis,
Eignungsprüfung
für bildende Künste,
Gestaltung, Musik,
Film, Fernsehen
Fachhochschulen Fachhochschulreife (12
Jahre)
starke Anwendungs-
und Praxisbezogenheit
Gesamthochschulen umfassen Ausbildungsrichtungen von
wissenschaftlichen Hochschulen, Fachhochschulen
und teilweise auch Kunsthochschulen (hauptsächlich
in NRW)
Tab. IV/8: Übersicht über die Hochschularten in der Bundesrepublik Deutschland
Der rasche Anstieg der Studierenden in den letzten Jahren führte zu einem starken
Ausbau des Hochschulwesens – der Trend hält bis heute an:
2002:
16% der 30-40-Jährigen haben einen Hochschul- oder Fachhochschulabschluss,
8% der über 60-Jährigen sind Akademiker.
Datenreport 2004
34
4.1.2 Gesamtübersicht des Bildungssystems
Eine Gesamtübersicht über das Bildungssystem gibt Abb. IV/9.
In den einzelnen Bundesländern bestehen allerdings Abweichungen. Die
Zurechnung des Lebensalters zu den Bildungseinrichtungen gilt für den jeweils
frühestmöglichen typischen Eintritt und bei ununterbrochenem Gang durch das
Bildungssystem. Die Größe der Rechtecke ist dabei nicht proportional zu den
Besucherzahlen.
Abb. IV/9: Das Bildungssystem der Bundesrepublik Deutschland (aus: Datenreport 1997) – bis heute nur unwesentlich verändert
36
4.1.4 Strukturmerkmale des dualen Systems
Die Ausbildung zum Facharbeiter bzw. zur Facharbeiterin (beinhaltet auch
Ausbildung in Handwerksberufen, zum Kaufmann usw.) wird überwiegend im
Rahmen des dualen Systems durchgeführt. Duales System bedeutet eine Aus-
bildungsorganisation, bei der zwei unterschiedliche Bildungsträger, nämlich private
Betriebe und öffentliche Berufsschulen, kooperativ die Ausbildung übernehmen
(Tab.V/1)
Tab.: V/1: Dualismus in der Ausbildung
Bereich Schule (öffentlich) Betrieb (privat)
Lernort Unterrichtssaal
Schulwerkstatt
Arbeitsplatz
Lehrwerkstatt
innerbetrieblicher
Unterricht
didaktische
Grundlagen
Lehrpläne
Stundentafeln
Ausbildungsberufsbild
Ausbildungsrahmenplan
Prüfungsanforderungen
rechtliche Stellung Berufsschüler nach
Schulpflichtgesetz
Auszubildender mit
Ausbildungsvertrag
Rechtsgrundlage Schulgesetze (Länder) Berufsbildungsgesetz
(Bund)
Das duale System ist der wichtigste Teilbereich des beruflichen Bildungswesens in
der Bundesrepublik Deutschland. Fast 70 % aller Jugendlichen erhält gegenwärtig
eine Berufsausbildung im dualen System. Der Anteil ist höher als in den 60er, 70er
und frühen 80er Jahren. Allerdings ist seit Beginn der 90er Jahre eine leicht
abnehmende Tendenz festzustellen. Übrigens haben fast 30% der
StudienanfängerInnen eine Lehre absolviert!
Das duale System ist flexibel, d.h. es kann sich rasch durch Streichung überholter,
durch Modernisierung vorhandener und Entwicklung neuer Ausbildungsordnungen
und Ausbildungsberufe auf die Bedürfnisse der Wirtschaft einstellen. Die Gesamtzahl
der Auszubildenden ist bis zum Jahr 1987 stark gestiegen, seitdem ist wieder ein
leichter Abfall zu registrieren. 2005 wurden 1.553.400 Auszubildende registriert,
davon 936.400 männliche und 617.000 weibliche Azubis. Die Entwicklung der Anteile
der Auszubildenden nach Wirtschaftsbereichen zeigt Tabelle V/2.
37
Tab. V/2: Auszubildende insgesamt nach Ausbildungsbereichen (in %)
Jahr Industrie, Handel
und Dienst-
leistungsgewerbe
Handwerk Landwirt-
schaft
öffentlicher
Dienst
Sonstige
(incl. Freie
Berufe)
1975 47,7 38,0 2,5 3,5 8,4
1980 45,9 41,0 2,7 3,2 7,2
1985 50,1 34,0 3,2 3,9 8,8
1990 51,2 33,0 2,0 4,3 9,5
1995 44,9 37,6 1,9 3,5 12,2
2000 50,5 35,0 2,3 2,7 9,5
2005 55,5 30,6 2,7 2,8 8,4
Die zahlenmäßige Besetzung der einzelnen Ausbildungsberufe unterscheidet sich zum Teil stark gemäß den wirtschaftsstrukturellen Gegebenheiten (Tab.V/3).
Tab. V/3(1): Die 2011 jeweils am häufigsten gewählten Ausbildungsberufe von jungen Frauen (BIBB)
38
Tab. V/3(2): Die 2011 jeweils am häufigsten gewählten Ausbildungsberufe von jungen Männern (BIBB
Grundsätzlich sollen alle Berufe für Mädchen und Jungen offen sein. In der Praxis
gibt es jedoch typische Mädchen- und Jungenberufe.
Weitere Informationen:
Bundesministerium für Bildung und Forschung (Hrsg.): Berufsbildungsbericht 2004.
Bonn
Bundesministerium für Bildung und Forschung (Hrsg.): Berufsbildungsbericht 2012.
Bonn
Internet: www.destatis.de
4.2 Rechtliche Perspektive
4.2.1 Rechtliche Grundlagen
Berufsausbildung im Betrieb
Das Berufsbildungsgesetz (BBiG) von 1969 – vollständig neu gefasst am
23.3.2005 - regelt die Berufsausbildung in den Betrieben. Es ist ein Bundesgesetz,
d.h. die Lehrlingsausbildung in den Betrieben ist bundeseinheitlich gesetzlich
geregelt. Andere bundesrechtliche Regelungen, die die Berufsausbildung
beeinflussen, sind:
das Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG),
die Handwerksordnung (HandwO)
das Jugendarbeitsschutzgesetz (JArbSchG),
39
das Industrie- und Handelskammer-Gesetz (IHKG)
die Ausbilder-Eignungsverordnung gewerbliche Wirtschaft
das Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAFöG)
Das Berufsbildungsgesetz und die Handwerksordnung
Das Berufsbildungsgesetz ist die wichtigste Rechtsgrundlage für die
Lehrlingsausbildung in den Betrieben. Für die Berufsausbildung im Handwerk gilt das
Gesetz zur Ordnung des Handwerks (Handwerksordnung), die aber die gleichen
Regelungen enthält wie das Berufsbildungsgesetz.
Das BBiG gilt für die Berufsausbildung in den Betrieben, die berufliche Fortbildung
und die berufliche Umschulung. Es gilt nicht für Berufsausbildung in berufsbildenden
Schulen und nicht für die Hochschulen, die beide der Gesetzgebung der Länder
unterliegen (siehe Kapitel VI) sowie ebenfalls nicht in öffentlich-rechtlichen
Dienstverhältnissen und auf Kauffahrteischiffen. Das BBiG legitimiert Betriebe,
Berufsausbildung in eigener Regie und Verantwortung unter Beachtung der
rechtlichen Rahmenbedingungen durchzuführen. Rahmenbedingungen bzw. Vor-
aussetzungen wären z.B. persönliche und fachliche Eignung der Ausbildenden, bzw.
der von ihnen bestellten AusbilderInnen, die Eignung der Ausbildungsstätte und die
Beachtung der Ausbildungsordnungen. Knapp 30% aller den Kammern
angeschlossener Betriebe machen gegenwärtig von ihrem Recht auf
Berufsausbildung Gebrauch.
Das Jugendarbeitsschutzgesetz
enthält besondere Schutzbestimmungen für jugendliche Auszubildende, aber auch
für sonstige jugendliche ArbeitnehmerInnen (z.B. Arbeitszeitregelungen,
Pausenregelungen, usw.). Es enthält die Verpflichtung des Arbeitgebers bzw. der
Arbeitgeberin, dem Jugendlichen bzw. der Jugendlichen die zur Erfüllung der
gesetzlichen Berufsschulpflicht notwendige Zeit ohne Entgeltausfall zu gewähren.
Das Betriebsverfassungsgesetz
regelt unter anderem die betriebliche Berufsbildung und das Mitwirkungsrecht des
Betriebsrates bei der Förderung und Durchführung betrieblicher
Bildungsmaßnahmen. Es nennt die Aufgaben der Jugendvertretung (z.B.
Maßnahmen beantragen, die jugendlichen ArbeitnehmerInnen dienen, insbesondere
in Fragen der Berufsbildung).
Berufsausbildung in der Berufsschule
Das Schulwesen, also auch die Berufsschule, fällt unter die Kompetenz der
Bundesländer (Kulturhoheit). Jedes Bundesland hat eigene Schul- und
Schulpflichtgesetze. Dadurch ergeben sich länderbedingte Unterschiede an den
Berufsschulen hinsichtlich Stundenzahl, Fächerbezeichnungen, Zeugnisordnungen,
aber auch hinsichtlich der Lehrpläne. Eine gewisse Vereinheitlichung des
Schulwesens ergibt sich durch Beschlüsse der ständigen Konferenz der
Kultusminister. Die Beschlüsse sind für die Länder nicht unbedingt verbindlich.
40
In Bayern gelten neben der Bayerischen Verfassung (Art. 131),
das Bayerische Gesetz über das Erziehungs- und Unterrichtswesen (Bay EUG),
das Gesetz über das berufliche Schulwesen (GbSch),
das Schulpflichtgesetz (SchPG)
und die einzelnen Schulordnungen z.B. die Berufsschulordnung (BSO).
Aus der Bayerischen Verfassung:
Art. 131
(1) Die Schulen sollen nicht nur Wissen und Können vermitteln, sondern auch Herz
und Charakter bilden.
(2) Oberste Bildungsziele sind Ehrfurcht vor Gott, Achtung vor religiöser
Überzeugung und vor der Würde des Menschen, Selbstbeherrschung,
Verantwortungsgefühl und Verantwortungsfreudigkeit, Hilfsbereitschaft,
Aufgeschlossenheit für alles Wahre, Gute und Schöne und
Verantwortungsbewußtsein für Natur und Umwelt.
(3) Die Schüler sind im Geiste der Demokratie, in der Liebe zur bayerischen Heimat
und zum deutschen Volk und im Sinne der Völkerversöhnung zu erziehen.
(4) Die Mädchen und Buben sind außerdem in der Säuglingspflege, Kindererziehung
und Hauswirtschaft besonders zu unterweisen.
4.2.2 Berufsausbildungsverhältnis
Ausbildungsvertrag
Vor Beginn des Berufsausbildungsverhältnisses muss zwischen dem/der
Ausbildenden (demjenigen, der den Auszubildenden einstellt) und dem/der
Auszubildenden ein Berufsausbildungsvertrag geschlossen werden (§ 10 BBiG). Der
Vertrag ist zwar auch mündlich gültig, es muss aber unverzüglich eine Niederschrift
angefertigt werden. Diese ist von beiden Parteien, bei Minderjährigen auch von
dem/der gesetzlichen VertreterIn zu unterschreiben.
Der Ausbildungsvertrag muss mindestens Angaben enthalten über (§ 11 BBiG):
Art, sachliche und zeitliche Gliederung der Berufsausbildung und insbesondere
die Berufstätigkeit, für die ausgebildet werden soll,
41
Beginn und Dauer der Berufsausbildung,
Ausbildungsmaßnahmen außerhalb der Ausbildungsstelle,
Dauer der regelmäßigen täglichen Ausbildungszeit,
Zahlung und Höhe der Vergütung, Dauer des Urlaubs und
Voraussetzungen, unter denen der Berufsausbildungsvertrag gekündigt werden
kann
sowie ein allgemeiner Hinweis auf einschlägige Tarifverträge u.ä.
Ungültig sind insbesondere Vereinbarungen, die den Auszubildenden nach seiner
Ausbildung beschränken, Entschädigungszahlungen, Vertragsstrafen etc. (§ 12
BBiG). Nach Abschluss des Vertrages ist von Ausbildenden unverzüglich der Eintrag
in das Verzeichnis der Ausbildungsverhältnisse bei der zuständigen Stelle zu
beantragen (§ 36 BBiG).
Rechte und Pflichten beider Parteien
Ausbildende müssen dafür sorgen, dass den Auszubildenden die berufliche Handlungsfähigkeit vermittelt wird. Dazu gehören die beruflichen Fertigkeiten und Kenntnisse, die zum Erreichen des Ausbildungszieles notwendig sind. Ausbildende müssen nicht selbst ausbilden, sie können auch Ausbilder beauftragen. Auszubildende müssen an ihrer Ausbildung aktiv mitwirken und sich bemühen, die berufliche Handlungsfähigkeit zu erwerben.
Ausbildende haben den Auszubildenden kostenfrei die Werkzeuge, Werkstoffe, Berichtshefte und Arbeitsmaterialien zur Verfügung zu stellen. Auszubildende sind verpflichtet, die Werkzeuge, Maschinen und sonstige Einrichtungen pfleglich zu behandeln.
Ausbildende müssen Auszubildende zur Teilnahme an der Berufsschule und an überbetrieblichen Ausbildungsmaßnahmen freistellen (unter Fortzahlung der Vergütung). Auszubildende müssen an diesen Maßnahmen teilnehmen.
Den Auszubildenden dürfen nur Verrichtungen übertragen werden, die dem Ausbildungszweck dienen und ihren körperlichen Kräften angemessen sind. Zumutbar und angemessen sind aber die Verrichtungen, die mit der Sauberkeit am eigenen Arbeitsplatz und der Pflege der Arbeitsmittel zusammenhängen.
Wenn in der Ausbildungsordnung das Führen von Berichtsheften vorgeschrieben ist, müssen Auszubildende dies tun, Ausbildende müssen die Berichtshefte durchsehen.
Auszubildende müssen den Weisungen des Ausbilders und weisungsberechtigter Personen im Rahmen der Berufsausbildung folgen. Auszubildende dürfen aber nicht körperlich gezüchtigt werden.
Auszubildende haben die Pflicht zur Beachtung der Ordnung in der Ausbildungsstätte und zur Verschwiegenheit über Geschäftsgeheimnisse.
Es besteht die Pflicht zu einer ärztlichen Voruntersuchungen vor Beginn der Ausbildung sowie einer Nachuntersuchung nach einem Jahr.
Verstöße gegen die jeweilgen Pflichten geben der anderen Partei unter Umständen
die Möglichkeit, den Ausbildungsvertrag fristlos (aus wichtigem Grund) zu kündigen
und auch eventuell Schadensersatz zu verlangen. Einige Verstöße von Ausbildenden
42
gelten als Ordnungswidrigkeiten, die mit Geldbußen bis zu 1.000 €, manche sogar
bis 5.000 € geahndet werden können (§ 102 BBiG).
Ausbildungsdauer, Arbeitszeit und Urlaub
Die Ausbildungsdauer wird durch die jeweilige Ausbildungsordnung vorgeschrieben.
Die Ausbildungszeit kann unter Umständen verlängert oder verkürzt werden.
Kürzungsgründe können sein: eine durch Verordnung anrechenbare Zeit (z.B.
Berufsgrundbildungsjahr), wenn das Bestehen in kürzerer Zeit zu erwarten ist (z.B.
für Abiturienten) oder wenn wegen guter Leistungen eine vorzeitige Zulassung zur
Abschlussprüfung erfolgt. Verlängerungen sind möglich (nur auf Antrag des
Auszubildenden) bei längeren Unterbrechungen und bei Nichtbestehen der
Abschlussprüfung. Maximale Verlängerung: 1 Jahr. Das Berufsausbildungsverhältnis
endet auf jeden Fall mit dem Bestehen der Abschlussprüfung.
Das Ausbildungsverhältnis beginnt mit einer Probezeit von mindestens 1 Monat und
höchsten 4 Monaten. Während der Probezeit kann das Ausbildungsverhältnis
jederzeit von beiden Seiten ohne Angaben von Gründen gekündigt werden.
Die regelmäßige Arbeitszeit richtet sich für Jugendliche nach dem
Jugendarbeitsschutzgesetz: 8 Stunden täglich (in Ausnahmefällen 8½ Stunden), 40
Stunden wöchentlich, generelle 5-Tages-Woche. Die Arbeitszeit muss durch
Ruhepausen unterbrochen sein: (> 4,5 bis 6 Stunden: 30 min. Pause; > 6 Stunden:
60 min Pause). Zwischen 20.00 und 6.00 Uhr dürfen Jugendliche nicht beschäftigt
werden (Ausnahmen Schichtbetriebe bis 23.00 Uhr und Hotels/Gaststätten bis 22.00
Uhr; Bäckereien ab 5.00 bzw. 4.00 Uhr). Der Mindesturlaub beträgt für Jugendliche
unter 18 Jahren 25 Werktage, für Jugendliche unter 16 Jahren 30 Werktage. Für
erwachsene Auszubildende gelten - wie für alle anderen Arbeitnehmer - mindestens
die Arbeitszeitordnung (AZO – 48-Stunden-Woche) und das Bundsurlaubsgesetz
(BurlG – 24 Werktage). Meist gibt es aber günstigere tarifliche Regelungen.
Ausbildungsvergütungen
Der/Die Auszubildende erhält vom Ausbildenden während der Ausbildung eine
angemessene Vergütung. Sie richtet sich nach dem Alter des/der Auszubildenden
und der Dauer der Ausbildung. Sie muss mindestens jährlich ansteigen. Im
Krankheitsfall wird die Vergütung 6 Wochen weitergezahlt.
Die Ausbildungsvergütungen sind je nach Beruf und auch regional unterschiedlich.
Sie werden in der Regel in Tarifverhandlungen zwischen den Sozialpartnern
vereinbart. Die durchschnittliche Ausbildungsvergütung betrug 2004 in den alten
Ländern 617.- €, in den neuen Ländern 526.- €. Im Vergleich der Wirtschaftsbereiche
war der Öffentliche Dienst Spitzenreiter, das Handwerk zahlte die geringsten
Vergütungen. Bei den verschiedenen Berufen wurde mit Abstand die höchste
Vergütung bei den Binnenschiffern gezahlt (1.008,- €). Gut bezahlt waren auch die
Berufe des Bauhauptgewerbes. Niedrige Vergütungen sind in den alten Ländern vor
allem in den Berufen Friseur (414,- €), Florist (453,- €) oder Bäcker (457 €) zu finden.
Die absolut niedrigsten Vergütungen wurden im Bereich der Friseure in
43
Ostdeutschland ermittelt: 202.- € pro Monat im Durchschnitt im ersten
Ausbildungsjahr. Einzelne Betriebe in bestimmten Regionen zahlen da sicher noch
weniger!
Kündigung, Vertragsauflösung und Weiterbeschäftigung
Nach der Probezeit ist eine Kündigung nur (fristlos) aus wichtigem Grund möglich.
Ansonsten kann der Vertrag von Auszubildenden mit 4 Wochen Frist gekündigt
werden – allerdings nur wegen Aufgabe der Ausbildung oder wegen Berufswechsels.
Im Einvernehmen ist eine Vertragsauflösung jederzeit möglich. 2002 war die Quote
der vorzeitigen Vertragauflösungen knapp 24 % - am höchsten im Handwerk 26,8 %
- bei Friseuren sogar bei 42 %!), am geringsten im öffentlichen Dienst (6,7 %). Über
die Hälfte aller Vertragsauflösungen wird im ersten Lehrjahr vorgenommen.
Während der letzten 6 Monate des Ausbildungsverhältnisses können die
Vertragspartner eine Weiterbeschäftigung nach der Ausbildung vereinbaren. Wird
eine Vereinbarung vorher getroffen, ist sie nichtig.
Unterrichtspraktische Bedeutung:
Der Ausbildungsvertrag und die grundlegenden Inhalte des BBiG
(Berufsbildungsgesetzes) sind Inhalte des berufsvorbereitenden Unterrichts im Fach
AWT gerade ab dem Zeitraum der Bewerbungen, d.h. für die Regelklassen im
zweiten Halbjahr der achten Jahrgangsstufe bzw. für die Klassen des Mittlere-Reife-
Zuges im zweiten Halbjahr der neunten und auch nochmals vertieft im ersten
Halbjahr der zehnten Klasse.
Nicht selten kommen Eltern oder SchülerInnen auf die Lehrkraft zu, um sich über
rechtliche Rahmenbedingungen zu erkundigen. Ebenso kommt es im schulischen
Alltag auch immer wieder vor, dass man als Lehrkraft von SchülerInnen gebeten
wird, einen zur Unterschrift vorliegenden Ausbildungsvertrag zu prüfen.
Weitere Information:
Bundesministerium für Bildung und Forschung: Ausbildung und Beruf. Ausgabe,
2005
Götz, Hilmar: Berufsbildungsrecht. Beck Verlag, München, 1992
Kassirra, R.: Skriptum Berufsbildungsrecht, 2013
4.2.3 Rechtlich-administrative Struktur des dualen Systems
Das duale System ist in organisatorischer, administrativer und funktionaler Hinsicht
ein kompliziertes System. Bild V/4 zeigt eine Zusammenschau der mit der
Lehrlingsausbildung befassten Institutionen, sowie einen Überblick über deren
Zusammenwirken.
44
Zuständige Stellen
Die zuständigen Stellen regeln und kontrollieren die betriebliche Ausbildung; sie sind
für die berufliche Fortbildung und Umschulung zuständig (BBiG):
Berufsausbildung in Zuständige Stelle
Gewerbebetrieben Industrie- und Handelskammer
Handwerksbetrieben Handwerkskammer
der Landwirtschaft und der
ländlichen Hauswirtschaft
Landwirtschaftskammern –
in Bayern: Bezirksregierungen
der städtischen Hauswirtschaft wird vom Bundesarbeitsminister
bestimmt - in Bayern:
Bezirksregierungen
im öffentlichen Dienst verschiedene Länder- und Bundesbehörden
Eine Liste aller Ausbildungsberufe mit den zuständigen Stellen ist im Verzeichnis
„Die anerkannten Ausbildungsberufe" bzw. in der Broschüre „Ausbildung und Beruf“
(Hrsg.: Der Bundesminister für Bildung und Forschung) zu finden.
Abb. V/4.: Rechtlich-administrative Struktur des dualen Systems
45
Die Zuständigen Stellen sind Körperschaften des Öffentlichen Rechts und
unterstehen der Rechtsaufsicht der obersten Landesbehörde (jeweiliges
Fachministerium). Es gibt allerdings keine Fachaufsicht über die Zuständigen Stellen.
Betriebe sind (im Gegensatz zu den Arbeitgeberverbänden) zwangsweise Mitglied
einer Kammer.
Ein Problem besteht oft darin, zu bestimmen, was ein Handwerksbetrieb und was ein
Gewerbebetrieb ist, also welche Kammer für den Betrieb zuständig ist (z.B.
Großmühlen, Brotfabriken etc.). Eindeutig ist dies nicht festzulegen. Formal ist ein
Betrieb dann Handwerksbetrieb, wenn er Mitglied der Handwerkskammer ist. Es gibt
aber Unterscheidungsmerkmale:
Handwerk:
Produktion auf Kundenwunsch, Einzelfertigung, Reparatur, beschäftigt qualifizierte
Fachkräfte, kleine Anzahl von Beschäftigten (im Schnitt 8), hoher
Personalkostenanteil, direkter Kontakt zum Kunden etc.
Der Handwerker ist Techniker und Kaufmann zugleich.
Industrie:
Produktion auf Vorrat, Massenfertigung, beschäftigt vor allem angelernte Hilfskräfte,
Anzahl der Beschäftigten hoch, kein direkter Kontakt zum Kunden etc.
In der Industrie sind die Bereiche „Technik“ und „Verwaltung“ getrennt.
Die Aufgaben der zuständigen Stellen sind im Berufsbildungsgesetz geregelt. Dort ist
festgelegt, dass Ausbildungsberater bestellt werden.
Die Ausbildungsberater der zuständigen Stellen
überwachen die Durchführung der Berufsausbildung und
fördern sie durch Beratung der Ausbildenden und der
Auszubildenden (§ 76 BBiG),
überprüfen die Eignung der Ausbildungsstätten und Ausbilder,
genehmigen Ausbildungszeitverkürzungen und -verlängerungen
Die Verwaltung der zuständigen Stelle
führt das Verzeichnis der Berufsausbildungsverhältnisse (nach §
34 BBiG),
richtet Prüfungsausschüsse ein und
bildet eine Gütestelle zur Beilegung von Streitigkeiten zwischen
Auszubildenden und Ausbildern.
46
Berufsbildungsausschüsse der zuständigen Stellen
Zusammensetzung:
Die Errichtung der Berufsbildungsausschüsse als Organ der zuständigen Stellen ist
im BBiG § 77, Abs.1 festgelegt:
6 Beauftragte der Arbeitgeber,
6 Beauftragte der Arbeitnehmer und
6 Beauftragte der Lehrer an berufsbildenden Schulen (beratende Funktion)
Der/die Vorsitzende und dessen/deren StellvertreterIn werden gewählt.
Aufgaben ( § 79 BBiG):
Der Berufsbildungsausschuss ordnet und regelt als beschlussfassendes Organ der
zuständigen Stelle die Berufsausbildung in seinem Bereich für alle Angelegenheiten,
die nicht per Gesetz oder Verordnung festgelegt sind.
„Der Bildungsausschuss hat die aufgrund des BBiG von der zuständigen Stelle zu
erlassende Rechtsvorschriften ( z.B. Prüfungsordnungen, Fortbildungsprüfungen z.B.
Hydraulikfachkraft anerkennen, allg. Verwaltungsvorschriften z.B. zur
Lehrzeitverkürzung ...) für die Durchführung der Berufsbildung zu beschließen." (§
79(4) BBiG)
Zudem ist er in allen wichtigen Angelegenheiten der beruflichen Bildung zu
unterrichten und zu hören, z.B.
für die Planung, Gestaltung und den Ausbau der beruflichen Bildung, Zahl
und Art der Berufsausbildungsverhältnisse,
die Berufsausbildung tangierende Vorgänge auf dem Arbeitsmarkt,
neue Ausbildungsordnungen bzw. -änderungen,
Ergebnisse der Abschlussprüfungen,
neue Formen und Methoden der Ausbildung,
Veränderungen im öffentlichen Bildungswesen mit möglichen Auswirkungen
auf die Berufsausbildung.
Landesausschüsse für Berufsbildung
Der Landesausschuss für Berufsbildung (§ 82 f. BBiG) als Instrument der
Koordinierung auf Landesebene hat nur Beratungs- und Empfehlungskompetenz.
Zusammensetzung:
Beauftragte der Arbeitnehmer,
Beauftragte der Arbeitgeber,
Beauftragte der obersten Landesbehörden (jeweils in gleicher Anzahl),
sowie
Vertreter der Landesarbeitsämter (mit beratender Funktion).
47
Die Geschäftsführung liegt in der Regel bei den zuständigen Landesministerien
(Arbeits- oder Wirtschaftsministerium). In Bayern unterliegt die Geschäftsführung des
Landesausschusses für Berufsbildung dem Arbeitsministerium.
Aufgaben:
Beratung der Landesregierungen in Fragen der Berufsausbildung,
Vorantreiben der Zusammenarbeit zwischen der schulischen und
betrieblichen Ausbildung.
Zuständige Länderbehörden
Zuständigkeiten:
Die rechtliche Zuständigkeit für die Lehrlingsausbildung liegt grundsätzlich beim
Bund. Aber auch die Länder (bzw. deren Ministerien) erfüllen bestimmte Aufgaben.
Welches Ministerium zuständig ist, wechselt von Land zu Land, bzw. von
Wirtschaftsbereich zu Wirtschaftsbereich.
Aufgaben und Kompetenzen in Angelegenheiten der Lehrlingsausbildung:
Anrechnung von schulischen und sonstigen Ausbildungszeiten,
Zulassung zur Prüfung nach dem Besuch berufsbildender Schulen,
Rechtsaufsicht über die zuständigen Stellen (in Bayern durch die Bezirksregierungen),
Regelung der finanziellen Förderung der Lehrlingsausbildung durch das Land (z.B. Investitionszuschüsse für überbetriebliche Lehrwerkstätten),
Zuständige Bundesministerien
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung hat eine allgemeine und
koordinierende Kompetenz in Fragen der Berufsbildung.
Es ist federführend für das Berufsbildungsgesetz,
zuständig für berufsbildungspolitische Grundsatzfragen,
zuständig für das Bundesinstitut für Berufsbildung,
zuständig für den Erlass von Verordnungen über die berufliche Weiterbildung und die pädagogische Qualifizierung der Ausbilder.
Die jeweiligen Fachministerien sind im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für
Bildung und Forschung zuständig für die Anerkennung der Ausbildungsberufe, sowie
den Erlass der Ausbildungsordnungen.
Bundesinstitut für Berufsbildung BIBB
Das Bundesinstitut für Berufsbildung ist eine bundesunmittelbare rechtsfähige
Behörde (§§ 89 ff. BBiG).
Zusammensetzung:
Das Bundesinstitut für Berufsbildung untersteht der Aufsicht des Bundesministeriums
für Bildung und Forschung.
Seine Organe - der Hauptausschuss (Beschlussorgan) und der/die GeneralsekretärIn
(Vertretung des Instituts nach außen) - werden unterstützt durch weitere ständige
48
oder zeitweilige Ausschüsse (Länderausschuss, Fachausschüsse, Ausschuss für
Fragen Behinderter).
"Der Hauptausschuss beschließt über die Angelegenheiten des Bundesinstituts für
Berufsbildung, soweit sie nicht dem Generalsekretär übertragen sind."
Aufgaben:
Mitwirkung an der Vorbereitung von Ausbildungsordnungen und des Berufsbildungsberichts,
Mitwirkung bei der Durchführung der Bundesbildungsstatistik, Unterstützung der Planung, Errichtung und Weiterentwicklung überbetrieblicher Ausbil-dungsstätten,
Beratung der Bundesregierung in Fragen der beruflichen Bildung,
Durchführung von Berufsbildungsforschungsprogrammen und Betreuung von Modellversuchen,
Führung und Veröffentlichung des Verzeichnisses der anerkannten Ausbildungsberufe,
Überprüfung und Anerkennung von Fernlehrgängen, sowie Beratung von Veranstaltern berufsbildender Fernlehrgänge.
4.2.4 Zusammenwirken von Arbeitgebern und Arbeitnehmern im dualen
System
In allen Institutionen und Ausschüssen, die mit der Lehrlingsausbildung befasst sind,
sind Arbeitgeber- und ArbeitnehmervertreterInnen paritätisch vertreten (z.B.:
Landesausschüsse für Berufsbildung, Berufsbildungsausschüsse der zuständigen
Stellen).
Zusammenwirken im Betrieb
ist im Betriebsverfassungsgesetz geregelt. Der Betriebsrat hat bei der Durchführung
von Maßnahmen der betrieblichen Berufsbildung mitzubestimmen. Die
Jugendvertretung kann beim Betriebsrat Berufsbildungsmaßnahmen für jugendliche
ArbeitnehmerInnen beantragen. Sie überwacht außerdem die Einhaltung der
gesetzlichen Regelungen für jugendliche ArbeitnehmerInnen.
Zusammenwirken bei den zuständigen Stellen
Die ArbeitgebervertreterInnen haben aufgrund der Organisation der zuständigen
Stellen eine potentiell stärkere Stellung: die Vollversammlung, die für die Verteilung
der Mittel zuständig ist, ist in der Regel nur mit ArbeitgebervertreterInnenn besetzt.
Zusammenwirken in den Prüfungsausschüssen
In den Prüfungsausschüssen sind LehrerInnen von berufsbildenden Schulen,
ArbeitgebervertreterInnen und ArbeitnehmervertreterInnen jeweils in gleicher Zahl
stimmberechtigt (mindestens also 3 Mitglieder).
Zusammenwirken im Bundesinstitut für Berufsbildung
Der Hauptausschuss des Bundesinstituts für Berufsbildung besteht aus
49
11 Beauftragten der Arbeitgeber,
11 Beauftragten der Arbeitnehmer,
11 Beauftragten der Länder sowie
5 Beauftragten des Bundes.
Sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer haben hier große Einflussmöglichkeiten.
Zusammenwirken in der Bundesagentur für Arbeit
Alle Organe der Bundesanstalt (Verwaltungsrat, Vorstand sowie die
Verwaltungsausschüsse der Agenturen) sind je zu einem Drittel mit
Vertretern der Arbeitnehmer,
Vertretern der Arbeitgeber und
Vertretern der öffentlichen Körperschaften
besetzt. Die Kooperation der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber ist gesetzlich
geregelt.
4.3 Berufspädagogische Struktur
Betrieb und Berufsschule sind im dualen System kooperative Träger von Lernorten
(ein Lernort ist ein Ort, an dem sich Lernprozesse vollziehen).
betriebliche Lernorte: Arbeitsplatz (Produktionsstätte)
Lehrwerkstatt
innerbetrieblicher Unterricht
Lernorte der Berufsschule: Klassenunterricht
Berufsschulwerkstatt
Demonstrationswerkstatt
Das duale System ist hinsichtlich der zum Einsatz kommenden Lernorte und
Lernortkombinationen äußerst variantenreich.
Der Lernorteinsatz ist abhängig von:
der Betriebsgröße (je kleiner ein Betrieb, desto mehr wird am Lernort
Arbeitsplatz ausgebildet),
der Art des Ausbildungsberufes (können alle Lerninhalte des Berufes am Arbeitsplatz abgedeckt werden?),
dem Ausbildungsziel (für bestimmte Ausbildungsziele sind bestimmte
Lernorte besser geeignet als andere).
Auch in der Frage der Lernorte unterscheiden sich Handwerk und Industrie
wesentlich:
Handwerk:
50
Arbeitsplatz mit realitätsnahem Arbeitsablauf - ergänzt durch Lehrwerkstatt der
überbetrieblichen Ausbildung, weil
eine Lehrwerkstatt bei durchschnittlich 8 Beschäftigten zu teuer ist,
der ausbildende Meister überwiegend mit anderen Arbeiten beschäftigt ist,
am Arbeitsplatz die zukünftigen Tätigkeiten ausgeführt werden (kein Arbeiten für
die Schrottkiste).
Industrie:
Lehrwerkstätten mit pädagogisch geplanten Lernschritten, meist auch noch
innerbetrieblicher Unterricht, weil
starke Arbeitsteilung vorherrscht, d.h. am Arbeitsplatz nicht alle Berufsinhalte
erlernt werden können,
viele Auszubildende kursartig zusammengefasst werden können,
hauptberufliche Ausbilder tätig sind.
Für jeden Beruf gibt es mehr oder weniger günstige Lernort-Kombinationen. Typische
Auswirkungen bestimmter Lernorte sind:
Der Arbeitsplatz fördert betriebsbezogene Eignung
Die Lehrwerkstatt und der innerbetriebliche Unterricht fördert die Eignung
für die Prüfung.
4.3.1 Betriebliche Lernorte
Arbeitsplatz als Lernort
Die qualitative Eignung des Lernortes Arbeitsplatz für die Berufsausbildung ist
abhängig von dessen spezieller Ausprägung. Die hypothetische Typologie des
Lernortes Arbeitsplatz ergibt sich nach dem Grad der Pädagogisierung:
a) Arbeitsplätze mit berufspädagogischer Funktionalität sind Arbeitsplätze,
bei deren Gestaltung auf ihre Funktion als Lernort keinerlei Rücksicht
genommen wurde. (Stark arbeitsteilige, technisierte und vom Zeitdruck
bestimmte Arbeitsbedingungen.)
b) Arbeitsplätze mit berufspädagogischer Intentionalität sind nach
berufspädagogischen Gesichtspunkten ausgewählte Arbeitsplätze, hinsichtlich
Arbeitsanfall (qualitativ und quantitativ), technischer Ausstattung und
Personalausstattung.
c) Berufspädagogisch gestaltete Arbeitsplätze: gesteuerter Arbeitsanfall,
Arbeit ohne Zeitvorgabe, Ausbildungspersonal mit fachlicher und
pädagogischer Eignung und Ausbildung, besondere Sicherheitsvorkehrungen,
Hilfsvorrichtungen.
51
Es findet eine indirekte Steuerung der Auswahl von Arbeitsplätzen als Lernort durch
das BBiG statt, denn Auszubildende dürfen nur dann eingestellt werden, wenn die
Ausbildungsstätte nach Art und Eignung für die Berufsausbildung geeignet ist (§ 27
BBIG).
Tendenziell wird in industriellen Ausbildungsberufen (z.B. Industriemechaniker) der
zeitliche Anteil des Lernortes Arbeitsplatz aufgrund der Technisierung und
Rationalisierung zurückgedrängt. Untersuchungsergebnisse sprechen gegen eine
ausschließliche Ausbildung in der Lehrwerkstatt, denn diese kann
Arbeitsplatzanforderungen nur selten wirklichkeitsgetreu simulieren (Zeitdruck, reale
Verhältnisse, Montage). Betriebliche Handlungskompetenz könne nicht
ausschließlich in der Lehrwerkstatt erworben werden. Entsprechend sind
Bestrebungen zu finden, die Qualität des Lernorts „Arbeitsplatz“ auch in
Großbetrieben wieder zu entdecken. So werden zur Zeit einige Modellvorhaben zum
„Dezentralen Lernen“ gefördert, um den Einsatz von didaktisch aufbereiteten
Aufgaben zur Ausbildung am Arbeitsplatz zu erkunden.
Innerbetriebliche Lehrwerkstatt als Lernort
Arbeitsplätze in der Produktion der Großindustrie zu finden, die als Lernorte geeignet
sind, d.h. die eine systematische und vollständige Ausbildung ermöglichen, wird
aufgrund von starker Arbeitsteilung, vorangeschrittener Technisierung
(Mechanisierung, Automatisierung, Prozesssteuerung), sowie der Konzentration der
Fertigung auf wenige ähnliche Produkte, immer schwieriger. Das Einrichten von
Lehrwerkstätten wird erforderlich. Die meisten größeren Industriebetriebe unterhalten
Lehrwerkstätten in eigener Regie und zu eigenen Lasten; die meisten kleineren
Handwerksbetriebe hingegen nicht. Sie müssen sich überregionalen Lehrwerkstätten
anschließen.
Der Einsatz der Lehrwerkstatt erfolgt meist in den ersten beiden Halbjahren der
Grundausbildung. In didaktischer Hinsicht hat die Lehrwerkstatt Ähnlichkeit mit dem
Lernort Schule: Lernen und Lehren erfolgen nach Plan, es werden systematische
Kontrollen und Bewertungen der Lernergebnisse durchgeführt. Es besteht die Gefahr
der Distanzierung von der Praxis und der Verschulung ("Künstliche Arbeit für die
Schrottkiste"). Auch in der Industrie ist inzwischen eine verstärkte Einbindung der
Auszubildenden in geeignete Produktionsabteilungen erkennbar.
Innerbetrieblicher Unterricht als Lernort
Innerbetrieblicher Unterricht ist vom Betrieb planmäßig gestaltetes, aber aus der
praktischen Ausbildung ausgegliedertes Lehren, das meist komplexes Wissen und
Können vermittelt. Er spielt eine wichtige Rolle bei industriellen Ausbildungsberufen
in Großbetrieben.
Innerbetrieblicher Unterricht vermittelt spezielles theoretisches Fachwissen. Er ist
wichtig für Prüfungsvorbereitungen, sowie als Ergänzung und Vertiefung des
Berufsschullehrstoffes. Allerdings werden in der Regel keine allgemeinbildenden und
überbetrieblichen Inhalte vermittelt.
52
Überbetriebliche Lehrwerkstatt als Lernort
Die überbetriebliche Lehrwerkstatt ist vor allem für die Berufsbildung im Handwerk
wichtig, denn kleine Handwerksbetriebe können keine Lehrwerkstätten unterhalten.
Aufgabenkatalog für den Lernort „Überbetriebliche Lehrwerkstätte":
Das Qualitätsniveau der Berufsausbildung soll durch Planmäßigkeit und
Vollständigkeit der Ausbildung gesichert werden,
Ausgleich unterschiedlicher Ausbildungsstandards einzelner Betriebe,
Minderung von regionalen Disparitäten in der Versorgung mit
Ausbildungsplätzen durch Stabilisierung des Ausbildungsplatzangebotes
(Betriebe die sonst nicht ausbilden könnten, dürfen dann),
Ergänzung der betrieblichen Ausbildung, systematische
Grundausbildung für alle Jugendlichen als mobilitätsfördernde Maß-
nahme (Wechsel zwischen Betrieben erleichtern),
Intensivierung der beruflichen Fachbildung unter Berücksichtigung des
technischen Fortschrittes,
weniger begabten Jugendlichen soll durch Fördermaßnahmen zum
Erwerb der Berufsreife die berufliche Eingliederung ermöglicht werden.
Der verstärkte Ausbau von überbetrieblichen Lehrwerkstätten wird unterschiedlich
beurteilt:
Gewerkschaften und Berufsschullehrerverbände fordern eine Integration der
Werkstätten in die Berufsschulen, da sonst die Gefahr eines trialen Systems besteht.
Unternehmervertreter sehen die Werkstätten ausschließlich als Ergänzung zur
betrieblichen Ausbildung an. Manche lehnen sie direkt ab.
In vielen Handwerksberufen ist ein Besuch der überbetrieblichen Lehrwerkstätten
verpflichtend.
4.3.2 Lernorte der Berufsschule
Berufsschulunterricht
Seine Aufgaben ergeben sich aus den Aufgaben der Berufsschule (Vgl. Beschluss
der Kultusministerkonferenz vom 8.12.75):
Der Berufsschulunterricht vermittelt allgemeine (ökonomische, politische, religiöse)
und fachliche Lerninhalte unter besonderer Berücksichtigung der Anforderungen
der Berufsausbildung.
Berufsschulwerkstatt
Man unterscheidet 4 Varianten der Funktionen des Lernortes Berufsschulwerkstatt:
1. Variante: Die Berufsschulwerkstatt dient der Vermittlung beruflicher
Fertigkeiten und macht so der betrieblichen Ausbildung Konkurrenz. (Außer
den Lehrküchen im hauswirtschaftlichen Bereich ist sie eine seltene Variante).
Außerdem wird sie im Berufsgrundschuljahr der vollzeitschulischen Form zur
Vermittlung von Fertigkeiten eingesetzt.
53
2. Variante: Die Berufsschulwerkstatt als Ergänzung der betrieblichen
Ausbildung. Es werden Fertigkeiten vermittelt, die in den Betrieben aus
verschiedenen Gründen nicht vermittelt werden können.
3. Variante: Die Berufsschulwerkstatt als Demonstrationswerkstatt, um
Anschauungen zum theoretischen Unterricht zu geben.
4. Variante: Die Berufsschulwerkstatt als berufsschultypisches Laboratorium. Sie
dient der
Findung von Erkenntnissen durch das Experiment.
4.4 Betriebliche Voraussetzungen
4.4.1 Sachliche Voraussetzungen
Diese sind im BBiG für Industrie - und Handelsbetriebe und in der HwO
(Handwerksordnung; Gesetz zur Ordnung des Handwerks) für Handwerksbetriebe
geregelt.
Auszubildende dürfen eingestellt werden, wenn
die Ausbildungsstätte nach Art (Schlosserei, Bäckerei,...) und Einrichtung
(Werkzeuge, Hilfsmittel, ...) für die Berufsausbildung geeignet ist (das ist
dann der Fall, wenn alle vorgeschriebenen Lerninhalte vermittelt werden
können oder wenn Mängel durch Ausbildungsmaßnahmen außerhalb der
Ausbildungsstätte, z.B. überbetrieblicher Ausbildungswerkstätten, behoben
werden können),
die Zahl der Auszubildenden in einem angemessenen Verhältnis zur Zahl
der Aus-bildungsplätze oder zur Zahl der beschäftigten Fachkräfte steht
(was angemessen ist, wird im Zweifelsfall durch die zuständige Stelle
geregelt).
4.4.2 Personelle Voraussetzungen
Der/Die Ausbildende (der/diejenige, die/der den/die Auszubildenden einstellt) muss
persönlich geeignet sein (darf z.B. keine Vorstrafen besitzen, die einer Eignung für
den Umgang mit Jugendlichen im Wege stehen).
Die Delegationsbefugnis gestattet, dass der/die Ausbildende nicht selbst ausbilden
muss, sondern eine(n) AusbilderIn damit beauftragen kann.
Der Ausbilder (derjenige, der tatsächlich ausbildet) muss persönlich und fachlich
geeignet sein. Fachliche Eignung umfasst die beiden Bereiche der beruflichen
Fertigkeiten und Kenntnisse sowie der arbeitspädagogischen Kenntnisse. In Industrie
und Handwerk existieren dazu unterschiedliche Regelungen:
In Industrie- und Handelsbetrieben:
Zum Nachweis der erforderlichen beruflichen Fertigkeiten und Kenntnisse
reicht in der Regel die Facharbeiter- bzw. Gehilfenprüfung in dem
54
entsprechenden Beruf aus. Der Nachweis kann aber auch anders geführt
werden: z.B. durch ein Studium in Verbindung mit einer entsprechenden
Berufspraxis oder auch durch Anerkennung von sonstigen Prüfungen.
Die erforderliche berufs- und arbeitspädagogischen Eignung mussten
AusbilderInnen bisher in einer eigenen Prüfung (Ausbilder-Eignungs-Prüfung
- abgenommen durch die IHK) nachweisen. Sie umfasst die Qualifikation zum
selbständigen Planen, Durchführen und Kontrollieren in folgenden
Handlungsfeldern:
Allgemeine Grundlagen
Planung der Ausbildung
Mitwirkung bei der Einstellung von Auszubildenden
Ausbildung am Arbeitsplatz
Förderung des Lernprozesses
Ausbildung in der Gruppe
Abschluss der Ausbildung
Die Details waren in der Ausbilder-Eignungsverordnung (AEVO) von 1999
festgelegt.
2003 wurde jedoch der Nachweis der berufs- und arbeitspädagogischen
Kenntnisse für 5 Jahre ausgesetzt. Damit sollte Betrieben – vor allem waren
Klein- und Kleinstbetriebe angesprochen - der Zugang zum Ausbildungsmarkt
erleichtert werden. Es bestand damals die folgende Situation: die berufs- und
arbeitspädagogischen Kenntnisse mussten zwar vorhanden sein, aber nicht
mehr nachgewiesen werden.
Aufgrund vieler auftretender Probleme hat man sich dann aber entschlossen,
ab August 2009 wieder eine – sehr abgespeckte Version der AEVO
einzuführen, deren Nachweis wieder verbindlich vorgeschrieben ist.
In Handwerksbetrieben:
Im Handwerk werden seit der letzten Änderung der Handwerksordnung am
1.1.2004 drei verschiedene Bereiche unterschieden (siehe auch Anhang A V/1):
41 A-Handwerke (zulassungspflichtige Handwerke – z.B. Gerüstbauer,
Maler und Lackierer, Fleischer, Friseur etc.)
53 B-Handwerke (zulassungsfreie Handwerke – z.B. Uhrmacher,
Rolladen- und Jalousienbauer, Schuhmacher, Fotografen etc.) und
57 handwerksähnliche Gewerbe (z.B. Theater- und Ausstattungsmaler,
Fahrzeugverwerter, Holzschindelmacher, Änderungsschneider etc.).
55
Die fachliche Eignung besitzt in A-Handwerken, wer die Meisterprüfung in dem
oder einem verwandten Handwerk abgelegt hat oder wer ähnlich qualifiziert ist
(Hochschule oder qualifizierter Geselle) Die Ausbilder-Eignungsprüfung ist Teil
der Meisterprüfung.
In B-Handwerken und in handwerksähnlichen Gewerben gilt dagegen die
gleiche Regelung wie in Industrie und Handel: Abschlussprüfung in dem
Ausbildungsberuf und Ausbildereignungsprüfung. Wer in diesen Bereichen
freiwillig den Meistertitel erworben hat, darf natürlich auch ausbilden.
In freien Berufen:
Für die "freien" Berufe (Vgl. BBiG § 71, Abs. 5-7) gelten besondere Regelungen.
Ausbilden darf im Ausbildungsberuf:
Anwalts- und
Notargehilfe
Zugelassene Anwälte, bestellte
Notare
Gehilfe in wirtschafts-
oder steuerberatenden
Berufen
Anerkannte Steuerberater oder
Steuerbevollmächtigte
Arzt- und
Apothekenhelfer
Approbierte Ärzte, Apotheker
Der Nachweis berufs- und arbeitspädagogischer Kenntnisse (die
Ausbildereignungsprüfung) wurden auch bereits bisher für die freien Berufe und
werden auch weiterhin nicht verlangt.
Im öffentlichen Dienst:
Das BBiG gilt nicht für eine Berufsausbildung in einem öffentlich-rechtlichen
Dienstverhältnis, die zuständige Stelle ist dort jeweils die oberste Dienstbehörde.
(z.B. städtischer Verwaltungssekretär)
2003 waren knapp 584.000 persönlich und fachlich geeignete Personen in der
Bundesrepublik als Ausbilder registriert. Auf durchschnittlich 2 bis 3 Auszubildende
kam so ein Ausbilder bzw. eine Ausbilderin.
4.5 Prüfungswesen und Aufsicht- und Kontrolle
Folgende Prüfungen sind von Bedeutung in der Berufsaus- und -weiterbildung: die
Zwischenprüfung,
die Abschlussprüfung, die Meisterprüfung und die Fortbildungsprüfung.
56
4.5.1 Zwischenprüfung
§ 48 BBiG bzw. § 39 HWO schreibt mindestens eine Zwischenprüfung während der
Berufsausbildung zur Ermittlung des Ausbildungsstandes vor, wenn sie nicht durch
eine andere Prüfungsform überflüssig ist. Die Durchführung obliegt den zuständigen
Stellen. Geprüft werden in der Regel Kenntnisse und Fertigkeiten. Bei 3 - 3½ Jahren
Ausbildungszeit findet die Zwischenprüfung vor Ende des 2. Ausbildungsjahres statt.
Bei 2 - 2½ Jahren Ausbildungszeit findet die Zwischenprüfung nach dem 1.
Ausbildungsjahr statt. Der Nachweis über die Teilnahme an der Zwischenprüfung
(nicht das Bestehen!) ist Zulassungsvoraussetzung für die Abschlussprüfung.
4.5.2 Abschlussprüfung
Rechtsgrundlage für die Abhaltung, Gestaltung und Durchführung von
Abschlussprüfungen sind die §§ 37 bis 50 BBiG. Folgende Bezeichnungen für die
Abschlussprüfung der Lehrlinge sind üblich:
"Kaufmannsgehilfenprüfung" in Verwaltungs- und
Handelsberufen
"Facharbeiterprüfung" in gewerblich-technischen Berufen
der Industrie
"Gesellenprüfung" in Handwerksberufen
"Landwirtschaftsgehilfenprüfung" in der Landwirtschaft
Die Kompetenz für die Gestaltung und Durchführung der Abschlussprüfung liegt bei
den zuständigen Stellen (z.T. an die Innungen delegiert), d.h.
die Vorbereitung der Prüfung in formeller und materieller Hinsicht
(Ausschreibung, Terminbestimmung, Raumbeschaffung, Erstellung der
Prüfungsaufgaben),
Abnahme der Prüfung (Ermittlung und Bewertung der Prüfungsleistungen),
Nachbereitung der Prüfung (Mitteilung der Ergebnisse, Erstellung und
Aushändigung der Zeugnisse).
Die Prüfung ist für den Lehrling nicht verpflichtend und gebührenfrei. Die
Prüfungsordnung regelt die Zulassung, die Gliederung der Prüfung, die
Bewertungsmaßstäbe, die Erteilung der Prüfungszeugnisse, die Folgen bei
Verstößen und die Wiederholungsprüfung (§ 47 BBiG). Die Prüfungsordnung wird
vom Berufsbildungsausschuss der zuständigen Stelle unter Beachtung der
Richtlinien des Hauptausschusses des Bundesinstitutes für Berufsbildung erlassen.
Die Genehmigung erfolgt durch die zuständige Landesbehörde.
Die Durchführung bildet die jeweilige zuständige Stelle Prüfungsausschüsse für
jeden Ausbildungsberuf (§§ 39-42 BBiG). Die Prüfungsausschüsse sind
folgendermaßen zusammengesetzt: Gleiche Zahl an Arbeitgeber- und
57
Arbeitnehmerbeauftragten, sowie mindestens ein Lehrer einer berufsbildenden
Schule. Die Arbeitnehmermitglieder werden auf Vorschlag der Gewerkschaften oder
selbständiger Arbeitnehmervereinigungen eingesetzt, der Lehrer im Einvernehmen
mit der Schulaufsichtsbehörde. Die mindestens drei Mitglieder werden von der
zuständigen Stelle für drei Jahre berufen. Der Prüfungsausschuss wählt aus seiner
Mitte einen Vorsitzenden und dessen Stellvertreter, die Mitarbeit ist ehrenamtlich.
Der Auszubildende hat einen Rechtsanspruch auf Zulassung zur Prüfung bei
Erfüllung in der im § 43 BBiG geregelten Voraussetzungen.
Diese Voraussetzungen sind:
a) Erfüllung der Ausbildungszeit oder Beendigung des Lehrverhältnisses nicht
später als zwei Monate nach dem Prüfungstermin.
b) Teilnahme an vorgeschriebenen Zwischenprüfungen
c) Führen von Berichtsheften.
d) Eintrag des Berufsausbildungsverhältnisses im Verzeichnis der
Berufsausbildungsverhältnisse (von zuständiger Stelle z.B. IHK, HWK zu führen).
Keine Zulassungsvoraussetzung ist die (erfolgreiche) Teilnahme am
Berufsschulunterricht. Wenn die zuständige Stelle die Voraussetzungen für nicht
erfüllt ansieht, muss der Prüfungsausschuss letztendlich entscheiden.
Sonderfall: Vorzeitige Zulassung des Auszubildenden zur Prüfung nach Anhören des
Ausbildenden sowie der Berufsschule, wenn seine Leistungen dies rechtfertigen (§
45 BBiG).
Die Prüfungsanforderungen sind Teil der für jeden Ausbildungsberuf existierenden
Ausbildungsordnung (vgl. Kap. II/2.3). Laut Prüfungsordnung ist festzustellen, "ob der
Prüfling die erforderlichen Fertigkeiten beherrscht, die notwendigen praktischen und
theoretischen Kenntnisse besitzt und mit dem ihm im Berufsschulunterricht
vermittelten Lehrstoff vertraut ist."
Die Prüfung besteht aus zwei Teilen:
Fertigkeitsprüfung: Arbeitsproben oder Erstellen eines Prüfungsstückes
Kenntnisprüfung: Wird schriftlich und/oder mündlich durchgeführt.
Die Beteiligung der Berufsschule beschränkt sich auf die Mitgliedschaft von
Berufsschullehrern im Prüfungsausschuss (evtl. wird eine eigene
Schulabschlussprüfung durchgeführt) und meist die Zurverfügungstellung der
Räumlichkeiten. Es ist eine bisher nicht realisierte Forderung der
BerufsschullehrerInnen, das Abschlusszeugnis der Berufsschule als Nachweis der
Kenntnisse im Sinne der Abschlussprüfung anzuerkennen.
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2004 bestanden 85,7 % aller Auszubildenden auf Anhieb die Abschlussprüfung,
weitere knapp 10% die Wiederholungsprüfungen. Ungefähr 5 von 100
Auszubildenden beenden die Ausbildung ohne Abschlusszeugnis.
Inzwischen werden für verschiedene Berufe auch neue Prüfungsstrukturen erprobt,
die die Trennung zwischen der Fertigungsprüfung und der Kenntnisprüfung
aufheben. So wurde 1994 z.B. eine integrierte Prüfung für den Beruf des
Technischen Zeichners eingeführt. Aber auch neue Inhalte werden erprobt wie
beispielsweise Kenntnisse im Umweltschutz.
Aktuell ist ein komplett neues Konzept in der Erprobungsphase – die gestreckte
Abschlussprüfung. Sie wird vor allem in den Bereichen Metalltechnik,
Elektrotechnik, Fahrzeugtechnik und Laborberufe/Chemie erprobt. Die
Zwischenprüfung wird dabei aufgewertet und als Teil 1 der Abschlussprüfung
durchgeführt. Die Ergebnisse fließen dann auch – je nach Beruf – mit bis zu 40% in
das Endergebnis ein. Im Metallbereich besteht der 1.Teil beispielsweise aus einer
komplexen Arbeitsaufgabe mit einem Fragenteil, Teil 2 am Ende der Ausbildung
besteht aus einem Arbeitsauftrag und einem schriftlichen Prüfungsteil.
4.5.3 Meisterprüfung
Zu unterscheiden sind die Meisterprüfungen in der Industrie und im Handwerk.
In der Industrie werden Meisterprüfungen nach den gesetzlichen Bestimmungen des
BBiG als Fortbildungsprüfungen meist von den zuständigen Stellen organisiert. Es
wird nur theoretisch geprüft und keine Berechtigung zur Lehrlingsausbildung
erworben. Industriemeister werden meist als Führungskräfte in der Produktion
eingesetzt.
Im Handwerk sind wiederum die 3 Bereiche A-Handwerke, B-Handwerke und
handwerksähnliche Gewerbe zu unterschieden (siehe Anhang A V/1). A-Handwerke
benötigen den Meistertitel oder einen entsprechenden Abschluss (Hochschule,
qualifizierter Geselle), um sich selbständig zu machen. In zulassungsfreien
Handwerken sowie in handwerksähnlichen Gewerben ist dagegen der Meistertitel nur
ein freiwilliges „Gütesiegel“.
Zulassungsvoraussetzung für die Meisterprüfung im Handwerk ist
entweder eine bestandene Abschlussprüfung im Prüfungshandwerk oder
einem verwandten Handwerk oder
eine entsprechende Abschlussprüfung oder eine Meisterprüfung in einem
B-Handwerk oder
ohne einschlägigen Abschluss eine mehrjährige Berufspraxis (max. 3
Jahre) in den Beruf.
Der Meistertitel ist in allen 3 Bereichen geschützt, er darf nur nach entsprechender
Prüfung der Handwerkskammer geführt werden.
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Die Vorbereitung auf die Prüfung ist in Vollzeit- oder Abend-Meisterschulen,
Meisterkursen der Kammern oder autodidaktisch möglich. Die Prüfung in Handwerk,
Land- und Hauswirtschaft ist
4-teilig. Sie setzt sich aus einem praktischen, fachtheoretischen, wirtschaftlich-
rechtlichen und einem berufs- und arbeitsbezogenen Teil zusammen. Der Meistertitel
berechtigt zur Lehrlingsausbildung. Die Meisterprüfung des Handwerks ist in der
HWO geregelt.
4.5.4 Fortbildungsprüfung
Als Grundlage für bundeseinheitliche Fortbildungen kann die Bundesregierung
Fortbildungsordnungen erlassen.
Die zuständige Stelle kann nach § 56 BBiG zum Nachweis von Kenntnissen und
Fertigkeiten, die durch berufliche Fortbildung erworben wurden, Prüfungen
durchführen (wie z.B. die Industriemeisterprüfung). Wenn solche Prüfungen
abgehalten werden, müssen Sie ordentlich durchgeführt werden
(Prüfungsausschüsse, klare Regelungen etc.). Wenn eine Fortbildungsordnung
existiert, muss sich die zuständige Stelle auch daran halten.
4.5.5 Aufsicht durch die zuständigen Stellen
Die zuständige Stelle überwacht "die Durchführung der Berufsausbildung und fördert
sie durch Beratung der Ausbildenden und der Auszubildenden" (§ 76 BBiG). Zu
diesem Zwecke werden Ausbildungsberater bestellt.
Qualifikationsmerkmale der Ausbildungsberater:
Abgeschlossene betriebliche Berufsausbildung mit der Befähigung zum
Ausbilden
oder ein abgeschlossener Studiengang, der für die Tätigkeit als Ausbildungsberater
geeignet ist
oder eine gleichwertige Qualifikation.
Aufgaben der Ausbildungsberater:
a) Beratung der Ausbildungsbetriebe über
pädagogische Fragen der Ausbildung und Ausstattung von
Arbeitsplätzen.
b) Beratung der Lehrlinge über
Rechte und Pflichten aus dem Ausbildungsverhältnis und Fragen aus
dem Ausbildungsvertrag,
Möglichkeiten der Verkürzung/Verlängerung der Ausbildungszeit und
vorzeitige Zulassung zur Abschlussprüfung.
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c) Überwachung der ordnungsgemäßen Durchführung der Ausbildung:
Einhaltung des betrieblichen Ausbildungsplanes,
Einhaltung des Verbots der Beschäftigung mit ausbildungsfremden
Arbeiten,
Freistellung zum Besuch der Berufsschule und überbetrieblicher
Ausbildungsmaßnahmen,
Verpflichtung, Ausbildungsmittel kostenlos zur Verfügung zu stellen,
Einhaltung der einschlägigen gesetzlichen Vorschriften und deren
Anwendung,
Verpflichtung zur Bestellung und zum Einsatz der Ausbilder.
d) Kontaktpflege mit den Ausbildungsbetrieben, den beruflichen Schulen, der
Gewerbeaufsicht und sonstigen Stellen.
Die Anzahl der AusbildungsberaterInnen einer zuständigen Stelle ist abhängig von
der Größe des Kammerbezirks, der Zahl der zu betreuenden Lehrlinge oder
finanziellen Möglichkeiten.
Anlässe für Beratungsgespräche bzw. Kontrollbesuche des Ausbildungsberaters
bzw. der Ausbildungsberaterin können sein:
wiederholt schlechte Prüfungsergebnisse der Lehrlinge einer bestimmten
Ausbildungsstätte,
besorgniserregende Zwischenprüfungsergebnisse,
Beschwerden des Lehrlings, der Eltern, des Betriebes oder der
Berufsschule,
neue Ausbildungsordnungen.
Maßnahmen der zuständigen Stelle bei Mängeln:
Ablehnung oder Löschung der Eintragung des Berufsausbildungsvertrages,
Auflagen zusätzlicher Ausbildungsmaßnahmen außerhalb der
Ausbildungsstätte,
Setzen von Fristen zur Behebung von Mängeln.
Bei den Handwerkskammern gibt es neben den AusbildungsberaterInnen
ehrenamtlich arbeitende sogenannte Lehrlingswarte mit ähnlichem Aufgabengebiet.
Zur Schlichtung bei Streitigkeiten zwischen Ausbildungsbetrieb und Lehrling gibt es
im Bereich des Handwerks besondere Schlichtungsausschüsse.
4.5.6 Aufsicht durch die staatlichen Gewerbeaufsichtsämter
Die staatlichen Gewerbeaufsichtsämter sind dem Arbeits- und Sozialministerium
unterstellt, überwachen die Einhaltung des Jugendarbeitsschutzgesetzes,
insbesondere die gesundheitliche Betreuung der Lehrlinge und Jungarbeiter (§ 32-46
JASchG). Die Erstuntersuchung darf frühestens 9 Monate vor Arbeitsbeginn, die
Nachuntersuchung soll ein Jahr nach Aufnahme der Beschäftigung durchgeführt
werden. In Nahrungsmittelbetrieben wird zusätzlich die Einhaltung des
Bundesseuchengesetzes überprüft. Sachbearbeiter des Gewerbeaufsichtsamtes
61
führen in regelmäßigen Abständen Betriebsbesichtigungen bzw. Betriebsrevisionen
durch.
4.5.7 Aufsicht über die Berufsschule
Berufsschulen unterstehen der staatlichen Schulaufsicht, sowie gemäß der
Kulturhoheit der Aufsicht der Kultusminister der Länder. In Bayern obliegt die
Schulaufsicht der staatlichen Berufsschulen den Bezirksregierungen.
62
5. Die berufsbildenden Schulen in Bayern In Bayern gibt es fünf verschiedene berufliche Schulen mit zahlreichen Varianten.
5.1 Berufliche Schulen, die vorrangig berufliche Qualifikationen vermitteln
5.1.1 Berufsschulen
Die Berufsschule "ist eine Schule mit Teilzeit- und Vollzeitunterricht im Rahmen der
beruflichen Ausbildung, die von Berufsschulpflichtigen und Berufsschulberechtigten
besucht wird" (Art. 10, BayEUG).
Formen
Berufsschulen gliedern sich fachlich in Berufsfelder (z.B.: Metalltechnik,
Landwirtschaft...), die wiederum in Fachklassen unterteilt werden (z.B. Kfz-
Mechaniker, Gas- und Wasserinstallateure, Bauschlosser ...).
Der Unterricht wird als Teilzeitunterricht an einem Wochentag neben der
betrieblichen Ausbildung, als Blockunterricht zusammenhängend in mehreren
Wochen dauernden Unterrichtsblöcken oder im Berufsgrundbildungsjahr in
schulischer Form als Vollzeitunterricht erteilt.
Für Behinderte und Kranke sind eigene Berufsschulen für Behinderte eingerichtet
(insgesamt 49 in Bayern mit ca. 15.000 SchülerInnen). In ihnen wird in fast allen
Berufsfeldern unter besonderer Berücksichtigung der Behinderung ausgebildet.
Bildungsziele
Die Berufsschule "hat die Aufgabe, die SchülerInnen in Abstimmung mit der
betrieblichen Berufsausbildung oder unter Berücksichtigung ihrer beruflichen
Tätigkeit beruflich zu bilden und zu erziehen und die Allgemeinbildung zu fördern."
(Art. 10, BayEUG)
Aufnahmebedingungen
"In die Berufsschule werden aufgenommen Berufsschulpflichtige und Personen,
die nicht mehr berufsschulpflichtig sind, sich aber in Berufsausbildung befinden
(Berufsschulberechtigte). In das Berufsgrundschuljahr werden auch nicht mehr
berufsschulpflichtige Personen aufgenommen. In das Berufsvorbereitungsjahr
werden nur Berufsschulpflichtige aufgenommen" (§2 BSO).
Die Berufsschulpflicht beginnt am 1. August des Jahres, an dem die
Volksschulpflicht endet. Sie endet in der Regel nach 3 Jahren oder mit Ablauf des
Jahres, in dem der SchülerInnen 21 Jahre alt wird.
Wichtige Ausnahmen:
2 Jahre für Berufe mit 2-jähriger Ausbildungsdauer (bei gleichem Stoff),
bis 3½ Jahre für längere Ausbildungszeiten,
bei Wechsel des Ausbildungsverhältnisses beginnt die BS-Pflicht von neuem
(Anrechnungsmöglichkeiten),
63
Ende nach Bestehen der Prüfung eines anerkannten Ausbildungsberufes,
Ende nach einigen einjährigen Berufsfachschulen (z.B. Hauswirtschaft),
Ende mit Bestehen der 10. Jahrgangsstufe von Gymnasien, Realschulen oder
Wirtschaftsschulen,
Ende nach erfolgreichem Absolvieren des BVJ für Jungarbeiter,
Ende nach besonderer Genehmigung (in Härtefällen),
Ende bei freiwilligem Eintritt in die Bundeswehr, Bundesgrenzschutz etc.
Qualifikationen
Die Berufsschule "verleiht nach bestandener Abschlussprüfung den
Berufsschulabschluss." (Art. 10, BayEUG).
Inzwischen ist es möglich, über einen Berufsabschluss bzw. über die Berufsschule
auch den mittleren Bildungsabschluss zu erreichen. Dazu gibt es zwei
Möglichkeiten:
1. Über den "Qualifizierten beruflichen Bildungsabschluss" (Quabi)
Für den Quabi benötigt man folgende Voraussetzungen:
a) den qualifizierenden Hauptschulabschluss (Quali)
b) den Abschluss der Berufsausbildung mit mindestens 2,5 und
c) den Nachweis mindestens befriedigender Englischkenntnisse aus einem
mindestens 5-jährigen Unterricht (nachzuweisen über den Quali oder die
Berufsschule).
Das Zeugnis über den Quabi stellt die Hauptschule aus.
Anmerkung: die früheren Möglichkeiten, den Quabi zu erwerben durch
qualifizierender Hauptschulabschluss (Quali) und qualifizierter
Berufsabschluss (2,5 im Berufsabschlusszeugnis und erfolgreicher
Berufsschulabschluss) oder
2,5 im Berufsschulzeugnis und 2,5 im Berufsabschluss
gelten nur noch für eine Übergangszeit und für die Bewerber, die unter
diesen Bedingungen begonnen haben.
2. als mittlerer Schulabschluss der Berufsschule
Voraussetzungen sind hier:
Abschlusszeugnis der Berufsschule mit 2,5 oder besser,
Abgeschlossene Berufsausbildung,
Nachweis von Englischkenntnissen (Note 3), die dem Leistungsstand
eines 5-jährigen Unterricht entsprechen.
Die Regelungen gelten auch entsprechend für eine mindestens 2-jährige
Berufsfachschule.
64
Entwicklung
2010/11 waren in Bayern 180 Berufsschulen mit 11.972 Klassen eingerichtet. Die
Schülerzahl betrug insgesamt 270.350 (1980: 385.000!). 6.956 Lehrer waren
eingesetzt.
Tab. VI/I: Schüler an Berufsschulen nach Stellung im Beruf und nach Berufsfeld 2010/11
(aus: Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus: Schule und Bildung in Bayern 2011. Statistische Übersichten. München 2012.)
Die Berufsschulen sind regional stark gestreut. Eine Konzentration in
Ballungsgebiete ist allerdings festzustellen.
2008/09 absolvierten ca. 30.000 BerufsschülerInnen ein Berufsgrundbildungsjahr -
davon über 26.000 in kooperativer Form. Lediglich im Bereich „Holztechnik“
überwiegt noch die schulische Form.
65
5.1.2 Berufsfachschulen (BFS)
"Die Berufsfachschule ist eine Schule mit Vollzeitunterricht, die, ohne eine
Berufsausbildung vorauszusetzen, der Vorbereitung auf eine Berufstätigkeit oder der
Berufsausbildung dient und die Allgemeinbildung fördert. Der Ausbildungsgang
umfasst mindestens ein Schuljahr" (Art. 12 BayEUG).
Formen
Bestimmte zwei- bis dreijährige Berufsfachschulen bereiten auf den Abschluss in
einem anerkannten Ausbildungsberuf vor, der auch im dualen System erlernt
werden kann. Die Berufsabschlussprüfungen werden entweder schulintern oder von
der zuständigen Stelle (IHK, HK) abgenommen.
Eine andere Gruppe der zwei- bis dreijährigen Berufsfachschulen bereiten auf Berufe
vor, die nur in schulischer Form erlernt werden können. Diese Berufsfachschulen
enden mit einer staatlichen Prüfung (z.B. staatlich geprüfter...).
Einige Berufsfachschulen vermitteln gesetzlich nicht näher festgelegte berufliche
Qualifikationen und schließen mit einer schuleigenen Prüfung ab.
Ein Teil der Ausbildungsgänge an Berufsfachschulen bereitet auf eine anschließende
Berufstätigkeit vor. Wird nach dem Besuch der Berufsfachschule noch ein
Berufsausbildungsverhältnis mit einem Ausbildungsbetrieb eingegangen, so wird in
der Regel die Zeit des Besuches der Berufsfachschule mit einem Jahr auf die
erforderliche Ausbildungszeit der dualen Ausbildung angerechnet. Tabelle VI/2
enthält die Berufsfachschulen in Bayern geordnet nach Abschluss und
Aufnahmevoraussetzungen.
Tab. VI/2: Ausbildungsrichtungen der Berufsfachschulen in Bayern (in Klammern die jeweilige Ausbildungsdauer in Jahren)
Aufnahme-voraussetzung
Abschluss
BFS, die von Haupt-/ Mittelschülern besucht werden können
BFS, die zusätzliche Qualifikationen voraussetzen (z.B. mittlerer Schulab-schluss, Mindestalter)
Ausbildungsbe-ruf, der auch im dualen System erlangt werden kann
Maschinenbau (3), Elektrotechnik (3), Korbflechterei (3), Schreiner (3), Holz-bildhauer (3), Glas u.Schmuck (3), Keramik (3), Bürokaufleute (3), Daten-verarbeitungskaufleute (3), Landwirt-schaft (2), Hauswirtschaft (2/3), Kinder-pflege (2), Bekleidung (1/2/3), Glas (3), Hotel- u. Gaststättengewerbe (2/3), Körperbehinderte für Bürokräfte (3)
Blinde für Bürotechnik (2/1), Arzthelfer (2), Geigenbauer und Zupfinstrumen-tenmacher (3½/3), Fotografie (2), Wirtschaft (1/2)
66
Berufsabschluss, der nur über eine schulische Ausbildung erreicht werden kann (staatl. Abschluss)
Musik (2), Pflegevorschulen (2) für elektro- und datentechn. Assistenz-berufe (2), Zytologische Assist. (2), Chemie (2), bekleidungstechn. Assist. (2), textiltechn.Assist. (2), Porzellan (2/1), Innenarchitektur (3), kaufmänn. Assist. (2), techn. Assist. in der Medizin (2), Sport (3), Kurzschrift und Maschi-nenschreiben (2/1), Kinderpflege (2), Beschäftigungs- u. Arbeitstherapeuten (3), Diätassistent (2), Hebammen (3), Krankenpflege (3), Kinderkrankenpflege (3), Krankengymnastik (2), Logopädie (3), pharmaz.-techn. Assist. (2), Fremd-sprachenberufe (2), Blinde für Musik (2)
schuleigener Abschluss
Kosmetik (1), Schauspiel (3), Modegra-phik (3), Graphik und Werbung (3/4), Hotel- und Gaststättengewerbe (1)
Datenverarbeitung (2)
Wirtschaftsschulen stellen eine Sonderform der Berufsfachschulen dar. Ihr
Besuch kann auf die Ausbildungszeit in kaufmännischen Berufen angerechnet
werden.
Die Wirtschaftsschule ist eine Berufsfachschule und umfasst die Jahrgangsstufen 7
mit 10, in dreistufiger Form die Jahrgangsstufen 8 mit 10. In der 4-stufigen Form
können ab der Jahrgangsstufe 8 folgende Ausbildungsrichtungen eingerichtet
werden:
1. Ausbildungsrichtung I, mit Schwerpunkt in den Bereichen Rechnungswesen
und Betriebsorganisation,
2. Ausbildungsrichtung II, mit Schwerpunkt in den Bereichen
Wirtschaftsmathematik und Naturwissenschaften.
Die 3-stufige Form biete nur die Ausbildungsrichtung I an.
Seit 2000 wird auch noch zusätzlich eine 2-stufige Form angeboten. In ihr können
die SchülerInnen in 2 Jahren (Jahrgangsstufen 10 und 11) den
Wirtschaftsschulabschluss erreichen. Diese Form ist besonders interessant für
Hauptschulabsolventen mit Quali, die einen kaufmännischen Beruf anstreben oder
in die Verwaltung möchten.
Bildungsziele
Die Berufsfachschule dient der Vorbereitung auf eine Berufstätigkeit oder der
Berufsausbildung und fördert die Allgemeinbildung (Art. 12, BayEUG).
Die Wirtschaftsschule vermittelt eine zwischen den Angeboten der Hauptschule und
Gymnasium liegende allgemeine Bildung und eine berufliche Grundbildung im
Berufsfeld Wirtschaft und Verwaltung und bereitet auf eine entsprechende berufliche
Tätigkeit vor.
67
Aufnahmebedingungen
Die Berufsfachschule setzt keine Berufsausbildung voraus. Zum Teil wird ein
qualifizierender Hauptschulabschluss, ein mittlerer Bildungsabschluss, ein
Mindestalter oder das Bestehen einer Aufnahmeprüfung erwartet.
Qualifikationen
Die Berufsfachschulzeugnisse bestätigen einen Berufsabschluss oder auf eine
Berufsausbildung anrechenbare Ausbildungszeiten. Das Abschlusszeugnis einer
Wirtschaftsschule (Wirtschaftsschulabschluss) beinhaltet den mittleren
Schulabschluss. (Art. 19, BayEUG). Ebenfalls den mittleren Schulabschluss kann
man erwerben mit dem Abschlusszeugnis einer mindestens 2-jährigen BFS, die zu
einer abgeschlossenen Berufsausbildung führt, bei überdurchschnittlichen
Leistungen und dem befriedigenden Nachweis von Englischkenntnissen.
Entwicklung
2008/09 gab es in Bayern 436 BFS des Gesundheitswesens mit etwa 25 500
SchülerInnen, 74 Wirtschaftsschulen mit ca. 25 200 SchülerInnen und 322 sonstige
BFS mit rund 25 000 SchülerInnen.
70 - 80% der Schüler sind Mädchen (vor allem durch die BFS des
Gesundheitswesens).
5.1.3 Fachschulen (FS)
Die Fachschule dient der vertieften beruflichen Fortbildung oder Umschulung und
fördert die Allgemeinbildung; sie wird im Anschluss an eine Berufsausbildung und in
der Regel an eine ausreichende praktische Berufstätigkeit besucht. Der
Ausbildungsgang umfasst bei Vollzeitunterricht mindestens ein halbes Schuljahr, bei
Teilzeitunterricht einen entsprechend längeren Zeitraum.
Formen
Technik, Gewerbe und Gestaltung
Meisterschulen, die SchülerInnen mit abgeschlossener Berufsausbildung und
einschlägiger mehrjähriger Berufspraxis auf die Meisterprüfung im Handwerk
oder auf die Industriemeisterprüfung vorbereiten.
Mögliche Fachrichtungen: Bauhandwerker, Buchbinder,
Elektroinstallateure, Friseure, Gas und Wasserinstallateure, Gold- und
Silberschmiede, Holzbildhauer, Industriemeister (metallverarb. Berufe),
Keramik, Konditoren, Landmaschinenmechaniker, Mode, Maschinen-
bauer, Photographie, Radio- und Fernsehtechniker, Schreiner, Steinmetze
und Steinbildhauer, Straßenbau, Zahntechniker, Zentralheizungs- und
Lüftungsbauer.
Technikerschulen, die Bewerber mit Hauptschulabschluss und
abgeschlossener Berufsausbildung sowie mindestens zweijähriger
einschlägiger Berufspraxis bei Tagesschulen - mindestens einjähriger
Berufspraxis bei Abendschulen - zum "staatlich geprüften Techniker"
ausbilden. An Technikerschulen kann teilweise nach dem 2. oder 3.
Semester die Meisterprüfung abgelegt werden.
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Mögliche Fachrichtungen: Bautechnik, Bekleidungstechnik, Brautechnik, Farb-
und Lacktechnik, Galvanotechnik, Maschinenbautechnik, Papiertechnik,
Sanitärtechnik, Steintechnik, Textiltechnik, Umweltschutztechnik.
Sonstige Fachschulen
z.B. für Blumenkunst (staatl.gepr.Florist), Mode und Schnittechnik (interner
Abschluss), Porzellan (staatl.gepr.Porzellanmaler, Porzellanmodelleur).
Wirtschaft
Betriebswirtschaft (Fachwirt für Grundstücks- und Wohnungswirtschaft (IHK))
Datenverarbeitung (staatl.gepr.Wirtschaftsinformatiker)
Sekretärinnen und Fremdsprachensekretärinnen (gepr. Sekretärin)
technische Kaufleute (staatl.gepr.techn.Getränke-, Holz- oder
Textilkaufmann)
Landwirtschaft
Landwirtschaftsschulen mit den Abteilungen Land- und Hauswirtschaft
(staatl.gepr.Wirtschafter für Landbau, landwirtschaftliche Hauswirtschafterin,
Wirtschafterin
Garten- und Weinbau (staatl.gepr.Wirtschafter für Produktionsgartenbau,
Garten- und Landschaftsbau, Wirtschafter für Weinbau und Kellerwirtschaft)
Milchwirtschaft und Molkereiwesen (staatl.gepr.Wirtschafter für Milchwirtschaft
u. Molkereiw.)
höhere Landbauschulen (staatl.gepr.Landwirt)
Technikerschulen für Landwirtschaft (Techniker für Landbau, Hauswirtschaft
und Ernährung, Gartenbau, Weinbau und Kellerwirtschaft, Milchwirtschaft
und Molkereiwesen)
Technikerschulen für Waldwirtschaft (staatl.gepr.Forsttechniker)
Gastronomie
FS für das Hotel und Gaststättenwesen (staatl.gepr.Betriebsökonom)
Hauswirtschaft, Sozialpflege
Hauswirtschaft (staatl.gepr.Wirtschafterin(städt. Hauswirtschaft))
Dorfhelferinnen (staatl.gepr.Dorfhelferin)
Familienpflege (staatl.anerkannte Familienpflegerin)
Altenpflege (staatl.anerk.Altenpflegerin)
Heilerziehungshilfe und -pflege (staatl.anerk.Heilerziehungspflegerin, -pflege-
helferin)
Aufnahmebedingungen
In der Regel ist zum Besuch einer Fachschule ein Berufsabschluss und
mehrjährige Berufserfahrung erforderlich.
Qualifikationen
Die Technikerschulen dauern 2 Jahre, bei Teilzeitunterricht 4 Jahre, und schließen
mit der staatlichen Technikerprüfung ab. Die Meisterschulen dauern ½ bis 2 Jahre.
Sie führen zur Meisterprüfung in einem Handwerk oder zur Industriemeisterprüfung.
Durch Teilnahme an besonderem Wahlunterricht kann in vielen Fachschulen die
69
Fachschulreife erworben werden. Besondere Lehrgänge bereiten die SchülerInnen
auf eine Ergänzungsprüfung vor, die die Fachhochschulreife verleiht.
Entwicklung
Eine Übersicht der Fachrichtungen und die Schülerzahlen liefert Tabelle VI/3.
Tab. VI/3: Schülerzahlen an Fachschulen (Schuljahr 2008/09)
Art der Fachschule (öffentliche und private zusammen) Schüler Technikerschulen 7 501 Meisterschulen 1 156 Kaufmännische Fachschule 132 Landwirtschaftsschulen 1 912 Sonstige Fachschulen 3 311 Zusammen (190 Schulen mit 667 Klassen, 1075 Lehrern) 14 012
5.1.4 Fachakademien (Fak)
Definition
Die Fachakademien (eine bayerische Besonderheit) sind berufliche Schulen, die im Anschluss an eine berufliche Ausbildung auf den Eintritt in eine gehobene Berufslaufbahn vorbereiten. Die Ausbildung verknüpft in besonderer Weise theoretisches Wissen mit praktischem Können.
Formen
Der Ausbildungsgang umfasst bei Vollzeitunterricht mindestens vier Halbjahre.
Fachakademien für Hauswirtschaft vermitteln die Befähigung, leitende Aufgaben in hauswirtschaftlichen Betrieben
zu übernehmen und Auszubildende und Praktikanten anzuleiten (staatlich geprüfte/r hauswirtschaftliche/r Betriebsleiter/in).
Fachakademien für Sozialpädagogik vermitteln die Befähigung, in Kindergärten, Horten und Heimen sowie anderen
sozialpädagogischen Bereichen als Erzieher tätig zu sein (staatlich anerkannte/r Erzieher/in).
Fachakademien für Musik dienen der Ausbildung von Berufsmusikern auf allen Gebieten der Musik und
der Ausbildung von Musiklehrern, auch für rhythmisch-musikalische Erziehung, soweit keine Ausbildung an Hochschulen für Musik vorgeschrieben oder vorausgesetzt wird. Die Ausbildung dauert in der Regel drei bis vier Jahre (staatlich geprüfte/r Musiker/in, staatlich geprüfte/r Kirchenmusiker/in, staatlich geprüfte/r Musiklehrer/in ).
Fachakademien für Fremdsprachenberufe dienen der Vorbereitung auf den Beruf des Übersetzers bzw. Übersetzers und
Dolmetschers (staatlich geprüfte/r Übersetzer/in, staatlich geprüfter/r Übersetzer/in und Dolmetscher/in).
Fachakademien für Wirtschaft sollen die Befähigung vermitteln, Aufgaben in der Wirtschaft und Verwaltung in
Tätigkeitsbereichen mit gehobenen Anforderungen zu übernehmen (staatlich geprüfte/r Betriebswirt/in).
70
Außerdem bestehen Fachakademien für Augenoptik (staatl.gepr.Augenoptiker/in ), Bauwesen (staatl. gepr.Bauleiter/in), Medizintechnik (staatl.gepr.Medizintechniker/in), Gemeindepastoral (staatl. gepr. Gemeindeassistent/in), Heilpädagogik (staatl.aner-k.Heilpädagoge/in), Landwirtschaft (staatl.gepr. Agrartechniker/in für Landbau, staatl.gepr.landwirtschaftliche/r Betriebsleiter/in), Holzgestaltung (staatl.gepr.Form- und Raumgestalter/in (Holz)), Restauratorenausbildung (staatl.gepr. Restaurator/in für Möbel- und Holzobjekte) und Darstellende Kunst (Bühnenreife).
Aufnahmebedingungen
In der Regel werden eine abgeschlossene Berufsausbildung und ein mittlerer
Schulabschluss vorausgesetzt. "Der mittlere Schulabschluss kann unter
Umständen mit einer Rechtsverordnung durch eine der Ausbildungsrichtung
entsprechende Meister- oder staatliche Technikerprüfung ersetzt werden. Das
zuständige Staatsministerium kann durch Rechtsverordnungen bestimmen, dass an
Fachakademien künstlerischer Ausbildungsrichtung neben dem mittleren
Schulabschluss oder an dessen Stelle der Nachweis einer entsprechenden
Begabung im jeweiligen Fachgebiet treten, der durch Bestehen einer
Eignungsprüfung zu erbringen ist. Eine Eignungsprüfung ist auch in den
Ausbildungsrichtungen Publizistik und Sport zulässig." (Art. 17, BayEUG)
Qualifikationen
Neben einem beruflichen Abschluss können die SchülerInnen auch
Zugangsberechtigungen für weiterführende Bildungsstätten erreichen." Durch eine
staatliche Ergänzungsprüfung zur Abschlussprüfung kann die Berechtigung zum
Studium an einer Fachhochschule einschlägiger Fachrichtung erworben werden. Bei
sehr guten Noten (Durchschnitt besser 1,5) in der Abschluss- und
Ergänzungsprüfung wird die fachgebundene Hochschulreife verliehen." (Schulreport
1981/Heft 1)
Entwicklung
Die zur Zeit 87 Fachakademien in Bayern wurden 2010/11 von 7 810 Studierenden
besucht. Folgende Tabelle VI/4 gibt einen detaillierten Überblick.
Tab. VI/4 : Ausbildungsrichtungen und Schülerzahlen an Fachakademien (2010/11)
71
5.2 Berufliche Schulen, die vorrangig Berechtigungen vermitteln
Mit den berechtigungsvermittelnden Schulen wird in Bayern die Möglichkeit
geschaffen, auch mit beruflichem Abschluss Qualifikationen für einen
Hochschulgang zu erwerben. Entsprechend der Trennung in Fachhochschulen und
wissenschaftliche Hochschulen gab es ursprünglich zwei verschiedene Schultypen,
die die Berechtigungen vermitteln: die Fachoberschule sowie die Berufsoberschule.
Die Lücke, die vor allem im allgemeinbildenden Bereich vorhanden ist, sollte durch
eine Zwischenstufe – die Berufsaufbauschule – geschlossen werden. Dieser
Schultyp diente auch dazu, formal die mittlere Reife zu erwerben.
Nachdem allerdings der mittlere Schulabschluss auf immer mehr verschiedenen
Wegen zu erwerben ist (durch den ‚Quabi„, direkt durch den Berufsabschluss, über
Meister- und Technikerschulen etc.) reduzierte sich die Aufgabe der BAS allerdings
stärker auf das Füllen der allgemeinbildenden Lücken.
Schulversuch „Dreistufige Berufsoberschulen“
Von 1990 bis 1997 lief ein Schulversuch, in dem die verschiedenen Schultypen in
einer geschlossenen beruflichen Oberstufe zusammenzufassen, die sogenannte
„dreistufige BOS“. Hier wurde ein dreijähriger, in sich geschlossener Bildungsgang
erprobt, der Hauptschulabsolventen mit Quabi zur Hochschulreife führt - nach 2
Jahren zur Fachhochschulreife, nach 3 Jahren zur fachgebundenen Hochschulreife,
mit Ergänzungsprüfung zur allgemeinen Hochschulreife. Wenn die notwendige
schulische und berufliche Vorbildung vorlagen, konnten die Schüler auch unmittelbar
in die Stufe II oder die Stufe III übernommen werden. Der Versuch ist inzwischen
abgeschlossen und führte 1997 zu einer Neuordnung von Fachoberschule und
Berufsoberschule.
Danach bleibt es bei der formalen Trennung von FOS und BOS, allerdings ist nicht
mehr der erwünschte Abschluss, sondern die Zugangsberechtigung Kriterium für die
Schulwahl.
Die FOS ist nunmehr für SchülerInnen mit mittlerer Reife ohne Berufsabschluss
oder Berufserfahrung gedacht. Die vormals einstufige FOS entfällt somit – der
fachpraktische Unterricht an der FOS nimmt an Bedeutung zu.
Die BOS ist für SchülerInnen mit mittlerer Reife und Berufsabschluss oder
Berufserfahrung. Sie müssen nun nicht mehr von vornherein zwischen erwünschter
Fachhochschulreife oder fachgebundener Hochschulreife wählen, sondern können
beide Qualifikationen an der BOS erwerben. Hauptschüler, die noch keine mittlere
Reife besitzen, können diese in einer Vorstufe der BOS erwerben. Denjenigen, die
die mittlere Reife über die Berufsausbildung erworben haben, wird diese Vorstufe
dringend empfohlen, um sie in den Grundlagenfächern fit zu machen.
72
5.2.1 Berufsaufbauschule (BAS)
Die BAS war als Brücke zwischen der beruflichen Erstausbildung und
weiterführenden schulischen Bildungsgängen eingeführt worden. Sie diente dazu,
den mittleren Schulabschluss für weiterführende schulische Ausbildungen zu
erwerben und Defizite in den allgemeinbildenden Fächern auszugleichen.
Inzwischen wurde die BAS durch die Vorstufe der BOS ersetzt.
5.2.2 Fachoberschule (FOS)
Formen
Die Fachoberschule wird seit der Umstrukturierung 1997 nur noch in zweijähriger
Vollzeitform (Jahrgangsstufen 11 und 12) für Bewerber ohne Berufsausbildung
oder ohne berufliche Vorkenntnisse geführt. Der Unterricht vermittelt allgemeine,
fachtheoretische und fachpraktische Ausbildung. Fachoberschulen werden in fünf
Ausbildungsrichtungen geführt:
Technik
Agrarwissenschaft
Wirtschaft, Verwaltung und Rechtspflege
Sozialwesen
Gestaltung
Die fachpraktische Ausbildung umfasst etwa die Hälfte der Unterrichtszeit in der
Jahrgangsstufe 11 und wird in der Regel in Einrichtungen der Wirtschaft, der
Verwaltung sowie des Sozial- und Gesundheitswesens durchgeführt. Sie ist dem
Wesen nach eine in die Betriebe verlagerte schulische Maßnahme. In den Bereichen
Technik und Gestaltung findet die Fachpraxis zum Teil auch in Schulwerkstätten
statt.
Bildungsziele
Ziel der Fachoberschule ist es, SchülerInnen mit einem mittleren Schulabschluss in
zwei Schuljahren zur Fachhochschulreife zu führen. Sie wurde 1970 errichtet, um
eine neue Eingangsstufe für die in Fachhochschulen umgewandelten
Ingenieurschulen und Höheren Fachschulen zu schaffen.
Aufnahmebedingungen
Aufnahmebedingung ist der mittlere Schulabschluss. In der Fachrichtung
Gestaltung werden zusätzlich Aufnahmeprüfungen gefordert.
Qualifikation
Die Fachoberschule verleiht nach bestandener Abschlussprüfung die
Fachhochschulreife.
Mit Beginn des Schuljahres 2004/05 wurde – zunächst auf 5 Jahre befristet – der
Schulversuch
FOS 13 eingerichtet. Bewerber können dort in einem weiteren Jahr die
fachgebundene Hochschulreife und mit einer weiteren Fremdsprache sogar die
allgemeine Hochschulreife erwerben. Dieser Schulversuch wurde verlängert.
73
Entwicklung
Die 87 Fachoberschulen in Bayern werden 2008/09 von ca. 38 000 Schülern
besucht:
Tab. VI/5: Anzahl der Schüler und Schulen an Fachoberschulen in Bayern (2008/09)
Ausbildungsrichtung Zahl der Zahl der Zahl der
Schulen/Klassen Lehrer Schüler
Technik 8 362
Agrarwirtschaft 386
Wirtschaft, Verwaltung, Rechtspflege 15 231
Sozialwesen 12 134
Gestaltung 1 936
Zusammen 87/ 1 492 2 132 38 049
5.2.3 Berufsoberschule (BOS)
Formen
Die Berufsoberschule ist eine Vollzeitschule und umfasst mindestens 2 Schuljahre.
Nach einem Schuljahr kann die Fachhochschulreife, nach 2 Jahren die
fachgebundene Hochschulreife erworben werden.
Für Hauptschüler, die die mittlere Reife über den beruflichen Bildungsweg erworben
haben, wird empfohlen, eine einjährige Vorstufe zu besuchen. Dort sollen sie in den
Grundlagenfächern wettbewerbsfähig mit Realschul- und
Wirtschaftsschulabsolventen bzw. mit Gymnasiasten gemacht werden. Diese
Vorstufe existiert bereits seit 1994 und hat sich bewährt. Nach der Abschaffung der
BAS dient die Vorstufe auch dazu, den mittleren Schulabschluss zu erlangen.
Es können folgende Ausbildungsrichtungen eingerichtet werden:
1. Technik,
2. Agrarwirtschaft,
3. Wirtschaft,
4. Sozialwesen.
Bildungsziele
"Die Berufsoberschule vermittelt eine allgemeine und fachtheoretische Bildung." (Art.
16, BayEUG)
In der Fachtheorie wird an die erworbene Berufsausbildung angeknüpft.
Aufnahmebedingungen
"Sie baut auf einer der jeweiligen Ausbildungsrichtung entsprechenden
abgeschlossenen Berufsausbildung und einem mittleren Schulabschluss auf."
(Art. 16, BayEUG). Dabei gibt es keine Notenbeschränkungen mehr wie bisher. Einer
abgeschlossenen Berufsausbildung ist auch eine mindestens 5-jährige
Berufstätigkeit gleichgesellt.
Qualifikationen
Sie verleiht nach bestandener Abschlussprüfung im ersten Jahr die
Fachhochschulreife, im 2. Jahr die fachgebundene Hochschulreife. Die
fachgebundene Hochschulreife berechtigt zu einem einschlägigen Hochschul-
74
studium. Durch eine Ergänzungsprüfung in einer zweiten Fremdsprache kann die
allgemeine Hochschulreife erworben werden. Dann kann ein beliebiges Studienfach
gewählt werden.
Entwicklung
1980 wurden in den 21 Berufsoberschulen 2 900 SchülerInnen (1989 in 23 Schulen:
4569) unterrichtet, 1500 in der Fachrichtung Technik, 900 im Wirtschaftsbereich, 450
SchülerInnen beschäftigten sich mit Hauswirtschaft und Sozialpflege und 50 waren in
der Fachrichtung Landwirtschaft.
Die Anzahl der BOS sowie die Standortverteilung hat sich allerdings durch die
Neuordnung (Erwerb der Fachhochschulreife durch Berufstätige in der BOS) stark
geändert. Den heutigen Stand gibt Tab. VI/6 wieder.
Tab. VI/6: Anzahl der Schulen und Schüler an Berufsoberschulen in Bayern (2008/09)
Ausbildungsrichtung Zahl der Zahl der Zahl der Schulen/Klassen Lehrer Schüler
Technik 4 571
Agrarwirtschaft 100
Wirtschaft 5 501
Sozialwesen 1 893
Zusammen 58 /497 874 12 065
75
6. Fachdidaktische Grundlagen der Unterrichtsplanung
6.1 Prinzipien
Methodik: Wie sollen diese Inhalte vermittelt werden?
Handlungsorientierter Unterricht10
Handlungsorientierter Unterricht wird als eine wichtige methodische Lösung für
aktuelle Probleme besonders im Arbeitslehreunterricht betrachtet.
„Handlungsorientierter Unterricht ist ein ganzheitlicher und schüleraktiver Unterricht,
in dem die zwischen dem Lehrer/der Lehrerin und den SchülerInnen vereinbarten
Handlungsprodukte die Gestaltung des Unterrichtsprozesses leiten, so dass Kopf-
und Handarbeit der SchülerInnen in ein ausgewogenes Verhältnis zueinander
gebracht werden können.“11
Begründung
Aufgrund der Erfahrungen der LehrerInnen aus der eigenen Schulzeit (Prägung
durch Vorbilder), der Machtstruktur im Unterricht (LehrerIn in der Führungsrolle),
tradierter neuhumanistisch begründeter Werte in den Lehrplänen und in der
Schulorganisation erscheint „kopflastiger“, d.h. durch Worte und Begriffe
gekennzeichneter Unterricht als Regelfall. Die einseitige mentale Belastung der
SchülerInnen führt zu Ermüdungserscheinungen (Konzentrationsabfall), zu
Langeweile, dann zu Unterforderung und schließlich Kompensationshandlungen, die
oft als Unterrichtsstörungen aufgefasst werden. Schläfrige SchülerInnen und
Unterrichtsstörungen bedingen wiederum erhöhte Lehreraktivität, so dass der
Unterricht von Lehrerhektik und Schülerträgheit gekennzeichnet ist.
Abhilfe kann eine Arbeitsform leisten, die die einseitige mentale Belastung der
SchülerInnen mildert. Entsprechend der Leistungsfähigkeit des Menschen soll der
Unterricht SchülerInnen emotional, mental und physisch zeitlich wechselnd
belasten.
Eine eng geführte Klasse lässt dem einzelnen wenig Handlungs- und
Entscheidungsfreiraum, so dass die SchülerInnen folgerichtig auch die
Verantwortung für den Unterricht und den Lernerfolg subjektiv eher als Leistung des
Lehrers empfinden. Schüler sollten eine Chance erhalten, selbst Verantwortung für
ihr Lernen zu übernehmen.
Im modernen Leben und besonders in der Berufs- und Wirtschaftswelt etabliert sich
Anspruchs- und Konsumdenken, Bedürfnisse können zunehmend durch Technik und
Wohlstand bequem passiv befriedigt werden (z.B. Video, Computer), so dass
Eigeninitiative und Selbstverantwortlichkeit oberflächlich betrachtet nicht mehr
10 nach Werner Jank, Meyer, Hilbert: Didaktische Modelle. Cornelson Scriptor, Berlin 1994, S. 337 ff 11
Jank, Hilbert, 1994, S. 354
76
lohnend erscheinen. Eine weitere Ursache der Passivität mancher Jugendlicher liegt
in der komplexen, oft unüberschaubaren Umwelt, die Erfolg versprechendes Handeln
erschwert. Da werden z.B. unverstandene Computer gestreichelt oder getreten, um
gewünschte Ausgaben zu erhalten, leider meist ohne Erfolg. Demzufolge müssen in
der Schule Handlungsräume mit angemessenen Aufgaben geschaffen werden,
wo SchülerInnen ihre Fähigkeiten erproben und vervollkommnen können.
Handelndes und problemlösendes Lernen sind besonders effektiv, die Lerninhalte
werden leichter behalten. „Denken geht aus dem Tun hervor und wirkt als
Handlungsregulation auf dieses zurück.“12
Aebli beschreibt in „Denken: Das Ordnen des Tuns“13 die Verknüpfung von Denken
und Handeln, wie aus dem konkreten Handeln abstrakte Begriffe abgeleitet werden,
sich kognitive (Denk-)Strukturen bilden und daraus wieder Handlungsschemata
entstehen. Piagets operative Didaktik deklariert Erkenntnis als individuelle operative
Konstruktion, d. h. Handeln liefert die Anschauungen, aus der sich der Mensch ein
strukturiertes Bild der Welt „konstruiert“. Lernen beruht danach auf kognitiven
Strukturen und wird durch kognitive Konzepte des Individuums repräsentiert. Der
Lernprozess wird als permanente Anpassungsleistung interpretiert, bei der
erworbene Konzepte an veränderte Gegebenheiten angepasst werden, damit ein
dynamisches Gleichgewicht entsteht.
Merkmale
Ganzheitlicher Aspekt
Der Schüler soll als Ganzes, mit seinen Gefühlen, seinen Händen und mit seinem
Kopf dabei sein. Die Lerninhalte umfassen als Ganzes die Problemstellung, nicht
spezifische, fachsystematisierte Inhalte.
Schüleraktivität
Die Schüler sollen möglichst viel selbst tun und damit auch Handeln lernen. Die
Selbsttätigkeit nimmt mit dem Lernerfolg zu, die Lehreraktivität nimmt entsprechend
ab.
Handlungsprodukte
„Handlungsprodukte sind die veröffentlichungsfähigen materiellen und geistigen
Ergebnisse der Unterrichtsarbeit“14, z.B. ein Rollenspiel, Spickzettel, Leserbrief,
Experiment, Schülerbuch, Elternabend oder Klassenausflug.
Subjektive Schülerinteressen
Die Handlungen sollen möglichst von subjektiven Interessen der Schüler ausgehen.
Schüler lernen zunächst ihre inhaltlichen, personalen und sozialen Interessen zu
erkennen, zu artikulieren und öffentlich zu behaupten.
12 vgl. Gudjons, H.: Handlungsorientiert lehren und lernen. Bad Heibrunn 1997 13 vgl. Aebli, H.: Denken: Das Ordnen des Tuns, Band I: Kognitive Aspekte der Handlungstheorie.
Stuttgart 1980. Band II: Denkprozesse, Stuttgart 1981 14
Jank, Hilbert, 1994, S. 356
77
Schüler gestalten den Unterricht
Die Schüler sind von Anfang an an der Planung, Durchführung und Auswertung des
Unterrichts beteiligt. Der Lehrer wechselt allmählich von seiner dominierenden,
führenden Rolle mit wachsenden Lernfortschritten in eine beratende Rolle.
Öffnung der Schule
Innerhalb der Schule werden individuelle Lernwege, fächerübergreifende Bezüge
und Zusammenarbeit mit anderen Lehrkräften gepflegt. Kontakte nach außen
(Betriebe, Institutionen, Arbeitsämter usw.) erweitern den Handlungsraum.
Verbindung von Hand- und Kopfarbeit
Auf einen Blick
sind im Folgenden die allgemein gültigen und fachübergreifend anerkannten
Unterrichtsprinzipien aufgelistet, die sich zum Teil mit dem vorher dargestellten
Ansatz des handlungsorientierten Unterrichts decken, diesen aber auch erweitern:
• Motivierung
• Zielgruppenorientierung
• Handlungsorientierung/Aktivierung
• Veranschaulichung
• Differenzierung
• Erfolgssicherung/Wiederholung
• Ganzheitlichkeit
• Strukturierung
• Zielorientierung bzw. Kompetenzorientierung
• Exemplarisches Lernen & Problemorientierung
6.2 Unterrichtsplanung
Gestaltung von Unterrichtseinheiten
Wenn die Frage „Was soll unterrichtet werden?“ beantwortet ist, folgen
Überlegungen der Lernorganisation. In diesem Abschnitt werden z.B. die Schritte
oder Phasen einer Unterrichtseinheit entworfen, Methoden oder Unterrichtsverfahren
gewählt und Lernzielkontrollen vorgesehen. Allgemein sollen mit der methodischen
Planung die gewählten Feinlernziele möglichst sicher erreicht werden. Abhängig vom
Inhalt, den Methoden und dem Können des Lehrers bzw. der Lehrerin und der
SchülerIn wird der Unterricht mehr oder weniger detailliert festgelegt. Bei den
vielfältigen hier anfallenden Entscheidungen helfen wissenschaftliche Erkenntnisse
aus…
der Lernpsychologie über Wahrnehmung, Gedächtnis, Behalten und Lernen,
der Entwicklungspsychologie über Grundlagen und Phasen der typischen
Entwicklung und die typische Entwicklung einzelner Personenmerkmale,
78
der pädagogischen Soziologie über Sozialkontakte, Sozialbeziehungen und
Sozialgebilde
und Informationen über Kenntnisse und Fähigkeiten der SchülerIn und des
Lehrenden, der Lernumgebung und verfügbare Lehr- und Lernmittel. In Arbeitslehre
sind darüber hinaus Kooperationsmöglichkeiten innerhalb und außerhalb der Schule
zu berücksichtigen.
Artikulation
Die Unterrichtsgliederung hat wesentlichen Einfluss auf den Lernerfolg. Deshalb
haben schon sehr früh Pädagogen Artikulationsschemata entwickelt, z.B.:
Rein: Vorbereitung - Darbietung - Verknüpfung - Zusammenfassung -
Anwendung,
Huxley: Observation - Generalproposition - Deduktion - Verifikation ,
Huber: Erschließung - Besinnung - Bewältigung ,
Roth, Corell, Klafki, Tausch u. v. m..15
Eine problemorientierte Unterrichtseinheit kann wie folgt logisch aufbauend
gegliedert werden:
Hinführung (Motivation, Anknüpfung an Bekanntem, Überblick)
Zielangabe (Ausgangsproblem, Themenstellung)
1. Teilziel (Problemlösungsschritt 1)
Teilzielkontrolle
2. Teilziel (Problemlösungsschritt 2)
Teilzielkontrolle
...
Verknüpfung der Teillösungen zur Gesamtlösung (Zusammenfassung,
Vertiefung)
Gesamterfolgskontrolle
Anwendung und Transfer der Ergebnisse
Schluss (Ausblick, Resümee)
Methoden
Der charakteristische Unterschied zwischen den genannten Hauptformen besteht
nicht in ihrem jeweiligen Maße möglicher Schüleraktivität (denn diese lässt sich in
allen Formen anregen), sondern vielmehr in dem verschiedenen Maß an
Selbständigkeit, welches dem Schüler bzw. der Schülerin gewährt wird.
15
vgl. Göttler, J.: System der Pädagogik. Kösel Verlag, München 12. Aufl. 1964 Huber, F.: Allgemeine Unterrichtslehre. Verlag Julius Klinkhardt, Bad Heilbrunn, 8. erw. Aufl.1963 Bach, H.: Die Unterrichtsvorbereitung. A.W. Zichfeldt, Hannover, 3. Aufl. 1962 Roth, H.: Pädagogische Psychologie des Lehrens und Lernens. 9. Aufl. , Schroedel, Hannover 19
79
Die Auswahlkriterien sind:
die gewählte Unterrichtsart,
die Erfordernisse der Lernziele,
die Berücksichtigung der einzelnen Phasen des Unterrichtes (Hinführung,
Lernzielkontrolle..),
die Verfügbarkeit von Unterrichtsmitteln (ausreichend Arbeitsmaterial,
Werkplätze) und
die Individuallage der Klasse (Leistungsfähigkeit, Gruppenarbeit geübt..).
Die Unterrichtsform muss auf die gewählte Unterrichtsart abgestimmt sein. So
werden z.B. bei einem differenzierenden oder individualisierenden Vorgehen im
Allgemeinen die Formen des Führens oder Anleitens angebracht sein16. Im Lehrplan
sind vielerorts bereits Hinweise auf geeignete oder vorgeschriebene Verfahren zu
finden.
Darbietender Unterricht
Der Lehrer steht im Vordergrund, die Schüler empfangen, beobachten, hören zu, z.B.
Vortrag, Vorführung, Demonstration, Film- oder Tonaufnahmen... Die Darbietung
muss Lernprozesse organisieren.
Vortragen
Ein höchstens fünf Minuten langer Vortrag soll zunächst motivieren, also eine
Lernlücke eröffnen, und ein Ausgangsproblem aufwerfen. Durch knappe, klare Sätze
werden die SchülerInnen über die Sachlage informiert und anschließend die
Informationen im Sinne der Lerninhalte interpretiert, erklärt oder nachvollzogen
(Operieren). Schließlich folgen am Ende Kontrollfragen oder Beispiele, mit denen
der Hörer sein Verständnis prüfen kann. Der Vortrag soll mit vorbildlicher, prägnanter
und modulierter Sprache, unterstützt durch die Gliederung, Gestik und Mimik,
Charisma und etwas Esoterik, die Aufmerksamkeit fesseln und Lernaktivitäten
anstoßen.
Nicht immer und jedem gelingt dies, was ein alter Schülervers bezeugt: „Wenn alle
schlafen, einer spricht, so nennt man dieses Unterricht.“
Vorzeigen
Beim Vorzeigen (Folien, Lehrbuch) wird der optische Informationskanal genutzt.
Wahrnehmung und Vorstellung liegen nahe beieinander. Die Aufmerksamkeit wird
durch Zeigen, durch Vorgaben (z.B. von außen nach innen betrachten) oder durch
Aufgaben (z.B. worin unterscheiden sich die beiden Bilder?) gelenkt.
16
s. Bach 1963
80
Vorführen
Beim Vorführen werden Abläufe optisch veranschaulicht. Die Schüler können die
Informationsflut nur durch Beobachtungsaufträge bewältigen. Eine Filmvorführung
ohne Beobachtungsauftrag ist meist für den Unterricht wertlos.
Vormachen
Die uralte erfolgreiche Lernfolge Vormachen-Nachmachen-Üben sollte zu folgender
Organisationskette erweitert werden: Aufgabenstellung - Gliederung in Einzelschritte
- Vormachen - Nachmachen - Prüfen und Werten des Ergebnisses. Der Lehrer muss
beim Vormachen die Handlungen sicher beherrschen.
Entwickelnder Unterricht
Der Lehrer steuert laufend die geplante Schüleraktivität, z.B. Unterrichtsgespräch,
impulsgesteuerter Unterricht, Diskussion, Wettbewerb, Spiel, Hausaufgaben.
Frage
Die Lehrfrage zeigt zunächst eine Lernlücke auf, die den Schwierigkeitsgrad
kennzeichnet. Sie enthält Informationen als Grundlage der Antwort und eine
Richtung, in der die Antwort erwartet wird. Am geeignetsten erscheinen
schlussfolgernde Fragen, wie „Was folgt daraus?“ u. ä. .
Impuls
Lernimpulse liefern lediglich Lernanstöße. Sie enthalten im Vergleich mit der Frage
nur Informationen und Richtung. Die geringere Organisationsdichte führt zu
selbständigerem Denken und Handeln der Schüler aber auch zu größeren
Streuungen.
Gespräch / Diskussion
Zunächst wird eine Gesprächsspannung durch eine Informationsfrage
(Informationsgespräch) oder eine überspitzte Behauptung (Streitgespräch)erzeugt.
Anschließend berichten oder argumentieren die Schüler während des
Gesprächsverlaufs. Schließlich fasst der Lehrer, bzw. der Diskussionsleiter das
Ergebnis zusammen (Gesprächsertrag).
81
7. Fachspezifische Methoden zur beruflichen Orientierung
7.1 Das Rollenspiel
Definition:
„Das Rollenspiel ist ein Verfahren, das in simulierter Form Situationen aus dem
Alltäglichen oder Fiktiven darstellt, die entweder aus dem Erfahrungsbereich der
Beteiligten stammen oder für sie erfahrungsvorbereitend sind, somit die
Interaktionsfähigkeit der Beteiligten anspricht bzw. fördern soll“17.
Gerade die vorberuflichen und beruflichen Themen des Arbeitslehreunterrichts bieten
dem Rollenspiel ein geeignetes Einsatzfeld (z.B. Verhalten während des
Betriebspraktikums; Rollenverteilung von Mann und Frau im Betrieb; welchen Beruf
soll ich ergreifen (Berufswahl)?).
So unterscheidet man hier nach dem spontanen und dem angeleiteten Rollenspiel.
„Im spontanen Rollenspiel werden Konfliktsituationen der Beteiligten aufgegriffen,
die im unmittelbaren Zusammenhang mit ihrem Umfeld stehen, wie z.B.
Familiensituation, Freundeskreis, Schulprobleme usw.. Da diese Situation den
Beteiligten bekannt und vertraut ist, kommt es beim spontanen Rollenspiel außer
einer kurzen Einstimmung zu keiner größeren Vorbereitung. Vorgegeben ist nur die
Situation, während der Ablauf und die einzelnen Rollen flexibel gehandhabt werden
können.
Beim angeleiteten Rollenspiel steht das Erarbeiten und Lösen von Situationen im
Vordergrund, die nicht aus dem Alltagserleben der Beteiligten stammen, sondern im
Vorgriff auf zukünftige Situationen thematisiert werden. Diese, dem Spieler bisher
nicht geläufigen Rollen, können je nach Unterrichtsfach und Lernziel:
aus anderen gesellschaftlichen Bereichen genommen werden,
der Geschichte entstammen,
aus dem eigenen Bereich sein, aber mit fiktiven Verhaltensweisen,
die Zukunft betreffen.
Bei dieser Darstellung ist zu beachten, dass die einzelnen Abgrenzungen und
Übergänge nicht immer eindeutig, sondern fließend sein können“18.
Im Wesentlichen geht es hier nicht um die Vermittlung von Faktenwissen, sondern
die Schüler sollen:
17 Behrens, G.: Rollenspiel; In: Arbeiten und Lernen, Heft 10-10a, Juli/August 1980, Friedrich Verlag, Seelze, S. 73-74. 18
Kolb, G. (Hrsg.): Methoden der Arbeits-, Wirtschafts- und Gesellschaftslehre, Farber-Hense: Das Rollenspiel, S. 27-30, O. Maier Verlag, Ravensburg, 1978.
82
Einfühlungsvermögen in die Bedürfnisse anderer gewinnen,
die Fähigkeit erhalten, unterschiedliche Sprechstrategien situationsgerecht
einzusetzen,
die Fähigkeit erlangen, übernommene Normen bei veränderten Situationen
infrage stellen zu können,
Bereitschaft zeigen, divergierende Erwartungen und Bedürfnisse zu tolerieren und
Handlungsfähigkeiten und soziale Komponenten stärken und erweitern (z.B. ihr
Verhalten in Konfliktsituationen).
„Hieraus lassen sich folgende Lernziele ableiten:
Der Schüler bzw. die Schülerin
erkennt seinen/ihren eigenen Informationsstand,
erkennt den Informationsstand seiner Kommunikationspartner,
erkennt seinen/ihren eigenen Standpunkt,
setzt sich kritisch mit seiner/ihrer später zu erwartenden Rolle auseinander,
gewinnt Abstand zu seinem/ihrem eigenen Rollenverhalten,
entwickelt Problemlösungsverhalten und
erfährt die Veränderbarkeit von angeblich festgelegten Fakten.
Aus diesen Zielen kann man ableiten, dass es einerseits darum geht, den Schüler mit
seiner eigenen Verhaltensweise zu konfrontieren, andererseits ihm mögliche Verhal-
tensweisen seiner Kommunikationspartner zu präsentieren, mit denen er sich
auseinandersetzen muss. Konflikte, die aus diesem Interaktionsprozess entstehen,
machen es möglich, z.B. durch Aufzeigen von Handlungsvarianten, dem Schüler ein
Instrument an die Hand zu geben, das es ihm ermöglicht, mit diesen Situationen
umzugehen bzw. sie zu verändern...“19.
Anwendungen
Rollenspiele sind im Lehrplan verpflichtend vorgeschrieben für LZ 8.3.3, LZ 9.1.2 und
M 10.1.2: „Vorstellungsgespräch“.
Der Einsatz des Rollenspiels im Arbeitslehreunterricht
Vorbereitung
Die Problemstellung bzw. die Ausgangssituation wird erarbeitet und die Ziele des
Rollenspiels festgelegt. Je nach Lernprozess und Lerngruppe können engere oder
19
Behrens, G.: Rollenspiel; In: Arbeiten und Lernen, Heft 10-10a, Juli/August 1980, Friedrich Verlag, Seelze, S. 73-74.
83
weiterreichende Situationen und Rollen vorgegeben werden. In Arbeitsgruppen, die
identisch mit den Spielgruppen sein können, werden die Situationsdefinition, die
Rollencharakteristika und eventuell Argumentationen vorbereitet. Die
Rollenverteilung kann im Plenum oder in den Kleingruppen selbständig geschehen.
Die ganze Lerngruppe, die Zuschauer oder spezifische Beobachter erarbeiten
Beobachtungskriterien bzw. Leitfragen, die sich auf die Problemstellung beziehen.
Durchführung
Ausgehend von den erarbeiteten Kriterien oder den Vorgaben wird das Rollenspiel
dargestellt. Nach dieser ersten Spielszene kann es zu einer weiteren Darstellung mit
anderen Mitspielern, aufgrund einer Diskussion aber auch zur Veränderung des
Ablaufs kommen.
Auswertung
Für eine Auswertung stehen zwei Möglichkeiten zur Verfügung:
1 Nach jeder kurzen Spielszene kann eine Auswertung stattfinden, Vorschläge
der Zuschauer und Spieler können sofort in der nächsten Spielszene
aufgenommen werden, wobei primär die emotional-soziale Komponente der
Rolle in den Vordergrund rückt.
Diskussions- und Auswertungsgrundlage können sein:
Aus der Sicht der Spieler:
Wie habe ich mich erlebt?
Ist mir die Rolle leicht gefallen?
Wie habe ich meinen Interaktionspartner erlebt?
Aus der Sicht der Beobachter:
Wie habe ich die einzelnen Spieler erlebt?
Wie hat die Situation auf mich gewirkt?
Wie wurde aufeinander eingegangen?
Was hätte ich anders gemacht?
Diese Form wird angebracht sein, wenn die Anleitung nur als Einstieg gedacht
ist, der weitere Verlauf des Rollenspiels aber offen bleiben soll.
2 Die Auswertung kann nach einer abgeschlossenen Spieleinheit nach den
vorher erarbeiteten oder vorgegebenen Beobachtungskriterien stattfinden.
Spezifische Rollencharaktere, Abhängigkeiten und Determinanten der
Interaktion können herausgearbeitet werden.
Beim Einsatz des Rollenspiels in der Klasse sollten vom Lehrer folgende Kriterien
beachtet werden:
Es darf nicht inhaltlich überladen sein;
die einzelnen Spielszenen dürfen nicht zu lange dauern;
beim erstmaligen Einsatz sollten kleinere Spieleinheiten eingebracht werden und
es sollten nicht zu viele SchülerInnen in einer Szene mitspielen“20.
20 Hoppe, M.: Planspiel; In: Arbeiten und Lernen, Heft 10-10a, Juli/August 1980, Friedrich Verlag, Seelze, S. 57.
84
Literatur zum Rollenspiel
Kolb, G. Hrsg.) Klaus Farber, Friedrich W.Hense: Methoden der Arbeits-,
Wirtschafts- u. Gesellschaftslehre, O.Maier-Verlag,Ravensburg, 1.Auflage,1978.
Coburn-Staege, U.:Lernen durch Rollenspiel, Theorie u. Praxis für die Schule,
Fischer-Verlag, Frankfurt/M.,1977
85
7.2 Die Zukunftswerkstatt21
Die Zukunftsforscher und Friedenskämpfer Robert G. Jungk und sein Mitarbeiter
Norbert Müllert entwickelten in den 60iger Jahren die Methode (hier
Unterrichtsverfahren) der Zukunftswerkstatt. Die Ansätze der amerikanischen und
europäischen Studentenbewegungen wurden von Bürgerinitiativen aufgegriffen, um
konstruktive Lösungen für soziale und ökologische Probleme zu liefern. Die
Zukunftswerkstatt wurde 1997 im bayerischen Hauptschullehrplan erstmalig erwähnt.
Merkmale
Nach Apel (1996) handelt es sich bei Zukunftswerkstätten um Zusammenkünfte von
Bürgerinnen und Bürgern bzw. Betroffenen, die mit Hilfe kreativer, moderierter
Workshoptechniken gemeinsam versuchen, Strategien zur Lösung eines Problems
im Sinne einer besseren Zukunft zu erarbeiten. Dies geschieht gedanklich, verbal
und handwerklich.
Zukunftswerkstätten bestehen aus mindestens 3 Phasen:
Die Kritikphase, in der bestehende Missstände aufgedeckt werden,
der Utopie- bzw. Fantasiephase, in der ideale zukünftige Zustände kreativ
entwickelt werden und
der Realisierungsphase, in der Umsetzungsstrategien der Utopien entwickelt
werden22.
Anwendungen
Die Zukunftswerkstatt ist im Lehrplan verpflichtend vorgeschrieben für LZ M 8.3.1
Berufswegplanung und M 8.3.3 Reflexion des eigenen schulischen
Leistungsvermögen.
Ziele
„In Zukunftswerkstätten sollen Menschen alternative Zukunftsvisionen und Strategien
zur Realisierung entwickeln. Auf diese Weise soll Zukunft als offen und gestaltbar
erlebt werden und nicht als schicksalhafte Fortschreibung gegenwärtig gefährdender
Entwicklungen …“23
Im Hauptschullehrplan ist eine Zukunftswerkstatt im Rahmen der Berufs- und
Lebensplanung in M-Klassen (M8) vorgesehen. In Haupt- und Förderschulen bieten
sich darüber hinaus viel komplexe Themenbereiche an, die mit Zukunftswerkstätten
thematisiert werden können, z. B.:
21 vgl. Kathrin Pfeufer: Das Unterrichtsverfahren der Zukunftswerkstatt. Zulassungsarbeit an der TU- München, Lehrstuhl für Ergonomie, 2001 22
vgl. Weber, Birgit: Zukunftswerkstatt. In: Schweizer, G., Selzer, H.M. Hrsg.: Methodenkompetenz lehren und lernen. Röll, Dettelbach 2001, S. 245 23
Weber, Birgit: Zukunftswerkstatt. In: Schweizer, G., Selzer, H.M. Hrsg.: Methodenkompetenz lehren und lernen. Röll, Dettelbach 2001, S. 245-250
86
Arbeits- und Berufswelt, z. B. „Arbeiten im Jahr 2040“ (Automatisierung,
Globalisierung)
Soziale Gesellschaft, z. B. Leben im Alter und bei Krankheit (Dienstleistungen,
Finanzierung)
Umwelt, z. B. Energieversorgung, Elektrosmog, Abfallentsorgung
Durchführung24
Das Strukturmodell einer Zukunftswerkstatt kann nach Weinbrenner/Häcker25 in fünf
Abschnitte gegliedert werden:
Vorbereitungsphase
In der Vorbereitungsphase wird das Thema festgelegt. Es soll alle Beteiligten
betreffen, als lösungsbedürftig und auch als grundsätzlich lösbar angesehen werden.
Als Raumausstattung werden ein Sitzkreis, Tafeln, Stellwände, Platz zum Aufhängen
von Plakaten und evtl. Rückzugsmöglichkeiten zur Entspannung bereitgestellt. Ideal
wären z. B. die Räumlichkeiten in einem Schullandheim. Als Arbeitsmaterial benötigt
man Schreibzeug, große Papierbögen für Plakate, Klebeband zum Aufhängen, einen
PC mit Drucker und evtl. eine Kopiermöglichkeit. Die ideale Gruppengröße beträgt 20
Personen. Sind es mehr TeilnehmerInnen, sollten mehrere Moderatoren und
Gruppenräume organisiert werden. Kleingruppen bis zu drei Personen sollten sich in
Nischen oder andere Räume zurückziehen können. Die Zeitplanung muss
sicherstellen, dass die drei Hauptphasen (Kritik-, Fantasie- und
Verwirklichungsphase) in jedem Fall durchlaufen werden. Gruppen mit unbekannten
Teilnehmern sollten sich zunächst einstimmen, d. h. sich kennen lernen können und
die Geschichte, die Zielsetzung und den Ablauf bzw. die Spielregeln der einzelnen
Phasen des Verfahrens vorgestellt bekommen.
Kritikphase
Hier sollen möglichst präzise und radikal bestehende Missstände und ungelöste
Probleme in drei Schritten aufgedeckt werden.
1. Kritiksammlung
Durch provozierende Leitfragen der Lehrkraft bzw. der Moderatoren sollen
die SchülerInnen Kritikpunkte und Problem z. B. auf Handzetteln oder
einem gemeinsamen Plakat in kurzen Stichworten sammeln.
Verschiedenste Ängste und Sorgen werden, angeregt durch die
Äußerungen anderer SchülerInnen, aufgedeckt und bewusst gemacht.
2. Systematisierung und Bewertung
Die einzelnen Kritikpunkte werden zu Problembereichen
zusammengefasst. Die Bereiche können anschließend von der Klasse
24
vgl. Dörfler, Gmelch 2005, S. 15 25
Peter Weinbrenner, Häcker, W.: Theorie und Praxis von Zukunftswerkstätten. In: Olaf-Axel Burow, Neumann-Schönwetter, M.N. (Hrsg.): Zukunftswerkstatt in Schule und Unterricht. Bergmann+Helbig, Hamburg, 1997, S. 26ff
87
nach Dringlichkeit und Wichtigkeit bewertet werden, indem z. B. jeder 5
Punkte nach seinen Interessen vergeben kann.
3. Thematische Schwerpunkte bilden
Die als vorrangig bewerteten Problembereiche werden präzisiert und
deutlich sichtbar, z. B. auf einem großen Plakat als Ergebnis der
Kritikphase zusammengestellt.
Fantasiephase
In der Fantasiephase sollen möglichst kreative Lösungen für die aufgedeckten
Probleme der Kritikphase gefunden werden, um so eine positive Stimmung bei den
SchülerInnen zu erreichen. Die Spielregeln erlauben ausdrücklich auch utopische
Lösungen, so als ob beliebig viel Geld und Macht verfügbar wäre. Kritik ist nicht
erlaubt!
Es kann in vier Einzelschritten vorgegangen werden:
1. Kritikpunkte positiv umformulieren
Zu jedem Kritikpunkt wird eine positive Alternative formuliert. Diese
Alternativen liefern Anregungen für umfassendere, kreative Vorstellungen.
2. Brainstorming
Die SchülerInnen sollen möglichst phantasievolle Vorschläge einer idealen
Zukunft entwickeln, ohne an die Machbarkeit oder Zwänge durch
Vorschriften zu denken. Alles ist machbar, alles ist möglich (s. Kapitel
Brainstorming!).
3. Systematisierung und Bewertung
Die Ideen werden nun geordnet und, evtl. wieder durch Punktevergabe,
bewertet.
4. Ausarbeitung und Konkretisierung eines utopischen Entwurfs
Dieser Schritt erfolgt in Kleingruppen, die die ausgewählten Ideen eines
idealen Zustandes präzisieren und ausarbeiten. Jede Gruppe stellt ihr
Ergebnis möglichst eindrucksvoll (z. B. durch Rollenspiel, Kurzgeschichte,
Gedicht, Comic, Gruppenbild…) vor.
Verwirklichungsphase
Hier sollen die utopischen Zukunftsentwürfe mit der Realität konfrontiert und
Realisierungsmöglichkeiten gefunden werden. Der ideale Zustand ist das (ferne) Ziel,
das möglichst weitgehend erreicht werden soll. Mit Fantasie und Einfallsreichtum
sollen möglichst vielfältige, neuartige und Erfolg versprechende Wege gefunden
werden. Auch diese Phase ist in einzelne Schritte, die z. T. in Gruppenarbeit gelöst
werden, gegliedert:
1. Kritische Prüfung der utopischen Entwürfe
In einer Recherche werden bereits bestehende Lösungsmöglichkeiten
zusammengestellt und Umsetzungsprobleme benannt. Fragen, wie „Was
lässt sich heute schon realisieren?“ oder „Was wird bei der Umsetzung
Probleme bereiten?“ oder „Wie beurteilen Experten die Erfolgschancen?“,
helfen bei der systematischen Analyse.
88
2. Entwicklung von Durchsetzungsstrategien
Auch hier können Fragen, z. B. „Woran muss unbedingt festgehalten
werden?“, Wie müsste vorgegangen werden, um zumindest Teile zu
retten?“26, helfen Strategien zu finden.
3. Planung eines gemeinsamen Projektes oder einer Aktion
Mit konkreten Handlungsplänen schließt die Zukunftswerkstatt. Die
gefundenen Lösungen sollen als Ergebnis (s. handlungsorientierter
Unterricht!) gemeinsam in Angriff genommen werden.
Nachbereitungsphase
Eine Zukunftswerkstatt ist der Beginn gezielter Aktionen, die in der folgenden Zeit
durchgeführt werden. Es empfiehlt sich, in gewissen Zeitabständen die Fortschritte
immer wieder zu überprüfen und die in der Zukunftswerkstatt gefundenen
Überlegungen, Strategien und Ziele mit dem Erreichten zu vergleichen.
Literatur zur Zukunftswerkstatt:
Kathrin Pfeufer: Das Unterrichtsverfahren der Zukunftswerkstatt. Zulassungsarbeit
an der TU- München, Lehrstuhl für Ergonomie, 2001
Roland Dörfler, Andreas Gmelch: Praxis 7 Arbeit – Wirtschaft – Technik,
Lehrerband mit Kopiervorlagen. Westermann. Braunschweig 2005. S. 14-15
Robert Jungk, Müllert, N. R.: Zukunftswerkstätten. Mit Phantasie gegen Routine
und Resignation. München. 1989
Olaf-Axel Burow, Neumann-Schönwetter, M.N. (Hrsg.): Zukunftswerkstatt in
Schule und Unterricht. Bergmann+Helbig, Hamburg, 1997
Weber, Birgit: Zukunftswerkstatt. In: Schweizer, G., Selzer, H.M. Hrsg.:
Methodenkompetenz lehren und lernen. Röll, Dettelbach 2001
26
weitergehende Fragen bei Robert Jungk, Müllert, N. R.: Zukunftswerkstätten. Mit Phantasie gegen Routine und Resignation. München. 1989, S. 129
89
7.3 Die Leittextarbeit27
Definition
„Leittexte sind schriftliche Anleitungen, mit deren Hilfe die Lernenden, durch Fragen
geführt, weitgehend mehr oder weniger komplexe Aufgaben oder Projekte
bearbeiten.“ (Ulrich Müller)
Zielsetzung
Die Leittexte leiten durch Fragen die Erkundung in der Realität oder die Erarbeitung
mit verschiedenen Medien an und führen so zu einem Lernerfolg durch `vollständiges
Handel` (ein Handeln das alle Teilschritte von der Planung über die Durchführung bis
zur Kontrolle umfasst).
Zentrale Ziele sind: Förderung von Selbstständigkeit, Befähigung zur Teamarbeit
Entwicklung von Problemlösungskompetenzen.
Anwendung
Die Leittextmethode kann eingesetzt werden um komplexe Sachverhalte zu
vermitteln (z.B. Kenntnisse über Organisationsstrukturen) und um
Schlüsselqualifikationen wie Selbstständigkeit, Planungs- und
Problemlösungskompetenzen und Kooperationsfähigkeit erwerben zu lassen.
(Alsheimer/ Müller/ Papenkort 1996, Lesekarte „Leittext“)
Die Leittextmethode ist im Lehrplan verpflichtend vorgeschrieben für LZ M 7.1.1
Erkundung eines betrieblichen Arbeitsplatzes durch die Leittextmethode, LZ M 7.2.2,
Markterkundung anhand der Leittextmethode und im Falle einer Gruppenerkundung
für LZ M 9.2.1, als Vorbereitung der Gruppenerkundung.
Verfahrensweise
Die Leittexte sind entsprechend Hackers Theorie der „vollständigen Handlung“28 in
sechs Phasen gegliedert:
1. Informieren: Klären der Aufgabenstellung und beschaffen der benötigten
Informationen
2. Planen: Mit Hilfe der Leitfragen den Arbeitsablauf festlegen, d. h. einen
Arbeitsplan erstellen.
3. Entscheiden: Absprache und Freigabe des Arbeitsplanes mit der Lehrkraft.
4. Ausführen: Selbständiges Lösen der Aufgabe mit „Unterstützung“ der
Lehrkraft.
5. Kontrollieren: Möglichst selbständige Kontrolle der Ergebnisse durch die
Lernenden. Die Lehrkraft kann hier ebenfalls unterstützend mithelfen.
6. Bewerten: Lehrkraft und Lernende bewerten gemeinsam die Ergebnisse.
Stärken und Schwächen werden analysiert und das weitere Vorgehen
(Weiterführung, Schließen von Lücken u. ä.) beschlossen.
27 vgl. Ulrich Müller: Leittextmethode. In: Methodenkompetenz lehren und lernen. Hrsg.: Gerd Schweizer, H.M. Selzer. Röll, Dettelbach, 2001. S. 155-159 28
W. Hacker: Arbeitspsychologie. VEB Verlag der deutschen Wissenschaften. Berlin 1986
90
Elemente des Leittextes
Leittexte enthalten meist folgende Systemelemente29:
Leitfragen dienen zur Orientierung, Steuerung und Überprüfung der Planung
und Durchführung der Aufgabe.
Leitsätze enthalten zusammengefasste Informationen, die die Bearbeitung
erleichtern.
Vorbereitete Arbeitsblätter, die den zu erstellenden Arbeitsplan (Ablaufschritte)
vorstrukturieren.
Kontrollbögen dienen mit ihren Fragen der selbständigen Erfolgskontrolle.
Vorteile:
eigenständiges methodisches Handeln der Schüler
Entwicklung von selbstorganisiertem Lernen
Erwerb von Schlüsselqualifikationen (Selbstständigkeit. Planungs- und
Problemlösungskompetenzen)
Nachteile:
großer Aufwand für Einarbeitung in die Methode und Entwicklung von
Leittexten
Literatur zur Leittextarbeit:
Ulrich Müller: Leittext-Methode, in: Gerd Schweizer, Helmut M. Selzer (Hgg.):
Methodenkompetenz lehren und lernen, Dettelbach 2001, S. 155-161.
Finger, A./ Schweppenhäußer, A. (1996): Leittexte und minimale Leittexte, in:
Greif/Kurtz 1996, S. 99-108.
Möller, D. (1999): Die Leittextmethode-eine Methode zur Organisation
selbstständiger Lernprozesse? Paderborn.
29
vgl. Möller, D.: Die Leittextmethode – eine Methode zur Organisation selbständiger Lernprozesse? Paderborn 1999
91
7.4 Das Experteninterview
Definition
Das Experteninterview ist eine zielgerichtete Befragungssituation, wobei sich der
Befragte bzw. die Befragte durch einschlägiges Wissen auszeichnet. Es dient der
Informationsbeschaffung.
“ Die Befragung von Experten gehört zu der Gruppe der Erkundungsmethoden. Mit
Hilfe solcher Methoden werden Schüler in die Lage versetzt, Informationen, die sie
für das Verständnis eines Vorganges oder Sachverhaltes benötigen, möglichst
selbstständig dort aufzuspüren, wo sie ihre lebensbedeutsame Funktion innehaben.
Dazu gehört unverzichtbar die Aufgabe, zwischen sinnvollen und überflüssigen
Informationen graduelle Unterschiede auszumachen und möglichst rationell und
effektiv jene Wissensinhalte zu erfassen, die von erkenntnisbildender Bedeutung
sind. Da dieser Prozess stets in konkreten Lebenszusammenhängen abläuft, ist er
an praktische Handlungen gebunden.“ (G. Klenk30)
Ziel
Der Erfahrungsschatz des Experten soll die Fragenden zu neuen Informationen,
Einsichten und besserem Verständnis verhelfen, so dass diese dann zu einem
eigenen, wohlbegründeten Urteil fähig sind. Gleichzeitig sollen die gewonnenen
Informationen die Basis für neue, möglichst selbständige Schüleraktivitäten bilden.
Anwendungsbereich
Experteninterviews eignen sich für Themen aus dem politisch-sozialen und
ökonomischen Bereich wie Rationalisierung, Mitbestimmung, Tarifvertrag,
Tarifautonomie, Arbeitslosigkeit, Berufsorientierung u.ä.. Im Lehrplan sind Hinweise
auf Expertenbefragungen gegeben, z.B. LZ 7.3.2 Projekt, LZ 9.5 Aufgaben und
Bedeutung der Geldinstitute, M 9.2.3 Arbeitnehmervertretung und M 10.3 regionale
Wirtschafts- und Infrastruktur.
Durchführung
Auswahl der Experten
Den „Experten“ sollte man nicht als allwissend und überhöht darstellen, damit seine
Aussagen nicht von vornherein als „wahr“ oder grundsätzlich richtig interpretiert
werden. Auf diese Weise sind auch subjektive Aussagen des Experten möglich, die
Raum für Diskussionen und eigene Urteile lassen. Bei den ersten Interviews könnten
beispielsweise Elternteile oder ehemalige Schülerinnen und Schüler als „Experten“
eingeladen werden, um die Distanz zwischen Fragern und Befragten möglichst klein
zu halten.
30
Gerald Klenk: „Experten befragen“ in Schweizer/Selzer: Methodenkompetenz lehren und lernen Band 3 – S. 89;
92
Interviewformen
Bei der Expertenbefragung lassen sich drei Formen der Interviewtechnik
unterscheiden: das strukturierte, das teilstrukturierte und das nichtstrukturierte
Interview.
„Das strukturierte Interview
Die Fragen, die an den Experten gestellt werden sollen, werden vorab in ihrer
Reihenfolge und Formulierung detailliert festgelegt, ebenso die Schüler, die die
Fragen stellen sollen. Der Vorteil dieser Strukturierung ist, dass das Interview
planmäßig ablaufen kann. Ein Nachteil besteht in der starren Festlegung, die eine
Vertiefung oder Ausweitung der Diskussion kaum ermöglichen.
Das teilstrukturierte Interview
Die wichtigsten Inhalte, die vorgesehenen Frageformulierungen und die Reihenfolge
werden als Interviewleitfaden festgelegt. Der Vorteil hierbei liegt in der flexiblen
Anwendungs- und Umsetzungsmöglichkeit. Die endgültigen Formulierungen und die
Themenabfolge können, der jeweiligen Situation entsprechend, flexibel gestaltet und
eingebracht werden. Hierbei ist auch der Gefahr weitgehend begegnet, dass sich das
Gespräch in Nebengleisen verliert.
Das unstrukturierte Interview
Bei der unstrukturierten Befragungsmethode wird nur noch das Ziel festgelegt. Die
Reihenfolge der anzusprechenden Problemkreise und die Einzelfragen dazu bleiben
variabel und offen. Dadurch kann an bestimmten Punkten spontan eine vertiefende
Diskussion zustande kommen. Zusätzliche Informationen, die in der Planung noch
nicht berücksichtigt wurden, können eingebracht werden. Ein solches Gespräch kann
jedoch auch von der ursprünglichen Zielsetzung abweichen, es sei denn, der Experte
gibt dem Gespräch trotz fehlender Strukturierung die aus seiner Sicht erwünschte
Richtung" [Frackmann, 198031].
In den Förder- und Mittelschulen sollte aufgrund der Sach- und Methodenkompetenz
der Schülerinnen und Schüler und der didaktischen Funktion innerhalb des
Unterrichts vor allem das strukturierte und seltener das teilstrukturierte Interview
gewählt werden. Allerdings hängt die Eignung der jeweiligen Interviewform klar von
der Individuallage der Klasse ab!
Unterrichtsablaufplanung
1. Phase Vorbereitung des Experteninterviews
Sachinformationen sammeln und vermitteln,
Grunddefinitionen ausarbeiten,
Sach- und Strukturprobleme herausstellen,
Überprüfung der Phase 1 (Lernzielkontrolle).
2. Phase Inhaltliche Bestimmung der Fragen
31
Frackmann, M.: Experteninterview, In: Arbeiten und Lernen, Heft 10-10a, Juli/ August 1980
93
Erstellen eines Fragenkataloges,
Interne Beantwortung der Fragen durch die Fragenden.
3. Phase Überprüfung der Interviewsituation
Rollenspiel,
(Eventuell Korrektur des Fragenkataloges),
Einladung der Experten bzw. der Expertin / des Experten (mit zumindest
teilweiser Angabe der vorausgeplanten Fragen zwecks Vorbereitung und
Bereitstellung von Anschauungsmaterial).
4. Phase Interview
Der Lehrer übernimmt die Diskussionsleitung und erläutert die Grundsätze
seiner Gesprächsführung.
Ein Schüler stellt anschließend nochmals die Ausgangslage dar.
5. Phase Auswertung des Experteninterviews
Die gesammelten Erkenntnisse werden schriftlich zusammengefasst, neue
Informationen und Einsichten herausgestellt und vertieft.
Literatur zum Experteninterview
Scheuch, E.K.: Das Interview in der Sozialforschung. In: König, R.(Hrsg.),
Handbuch der empirischen Sozialforschung. Bd.1, Stuttgart 1973, S.66-190.
Tempel, K.-H.: Experimentelle Erfahrungen im politischen Unterricht. In: Endlich,
H.(Hrsg.): Politischer Unterricht in der Haupt- und Realschule. Beiträge aus
Theorie und Praxis. Diesterweg, Frankfurt a.M. 1972.
Klippert, Heinz: Der Berufsberater in der Schule. In: Arbeiten und Lernen, Heft 56,
April 1988, Friedrich-Verlag, Seelze, S. 9 - 15.
94
7.5 Die Arbeitsplatzerkundung
Definition und Abgrenzung
Nach Klafki bedeutet Erkunden „...unter bestimmten Fragestellungen in methodisch
durchdachter Form in einem bestimmten Wirklichkeitsbereich Informationen einholen,
um anschließend mit Hilfe der so gewonnenen Informationen jene Ausgangsfragen
beantworten und die Teilantworten zu einem (kleineren oder größeren)
Erkenntniszusammenhang weiterentwickeln zu können.“ [Klafki, 197932] Klebel
konkretisiert für die Schule: „Unter Erkundung verstehen wir didaktisch die bildende
Begegnung der Schüler mit der Berufs- und Arbeitswelt. Bildende Begegnung ist im
Sinne H. Roth’s eine ‘originale Begegnung’“. [Klebel, 1972, S. 14]33
Verfahren zum Kennenlernen betrieblicher Realität
„Die Betriebsbesichtigung hat die Vermittlung eines Gesamteindruckes zum Ziel. In
die Besichtigung ist der Betrieb als Ganzes oder zumindest mit den Abteilungen
einbezogen, auf deren Vorstellung der Betrieb selbst Wert legt. Dem einzelnen
Besucher bleibt es aufgrund seiner eigenen Wahrnehmungsstruktur überlassen,
welchen Gegenständen oder Vorgängen er im Einzelnen seine Aufmerksamkeit
zuwenden will.
Der Betriebsdurchgang kann als erste Stufe einer Didaktisierung des Realkontaktes
durch den Betrieb bezeichnet werden. Wie bei der Betriebsbesichtigung wird auch
hier der Gesamtbetrieb als konturierte Gestalt vorgestellt. In den Einzelbereichen
erfolgt jedoch eine gezielte Auswahl von Gegenständen oder Vorgängen, die zumeist
die spezifische Leistung oder den spezifischen Leistungserstellungsprozess - im
Unterschied etwa zu anderen Betrieben - darstellen.
Die Betriebserkundung als Aspekterkundung zielt ab auf die Kenntnisnahme eines
bestimmten ausgewählten Gegenstandes, Vorganges oder Teilprozesses an einer
konkret angegebenen Stelle im Betrieb.
Die Betriebserkundung als Gesamterkundung erlaubt die Verbindung der in
Aspekterkundungen näher analysierten und fixierten Einzelelemente zum
Betriebsganzen. Hier erfolgt ein Durchgang durch den Betrieb.
Die Betriebsbegehung beabsichtigt die vergleichende Kenntnisnahme bestimmter
Betriebselemente unter übergeordnetem Gesichtspunkt. Bei der Begehung erfolgt
eine kritische Bestandsaufnahme vergleichbarer Gegenstände, Vorgänge oder
Teilprozesse.
32 Klafki, W.: Unterrichtsbeispiele der Hinführung zur Wirtschafts- und Arbeitswelt. August Bagel Verlag, Düsseldorf 1970 33
Klebel, H., Horner, A.: Die Betriebserkundung im Unterricht der Hauptschule. Auer Verlag, 1972
95
Das Betriebspraktikum ist gerichtet auf die Auseinandersetzung des Praktikanten
mit einer praktischen Aufgabenstellung innerhalb eines durch Berufs- und
Arbeitsteilung bestimmten, unter technisch-ökonomischen und sozial-
gesellschaftlichen Bedingungen erfolgenden Leistungserstellungsprozesses. Der
Praktikant wird über einen längeren Zeitraum selbst tätig.
Das Betriebspraktikum als Orientierungspraktikum ist gerichtet auf die
Auseinandersetzung des Praktikanten mit mehreren praktischen Aufgabenstellungen
an einem Arbeitsplatz oder an mehreren Arbeitsplätzen und/oder in mehreren
Betrieben oder Wirtschaftsbereichen.
Das Betriebspraktikum als Erprobungspraktikum ist gerichtet auf die
Auseinandersetzung des Praktikanten mit praktischen Aufgabenstellungen, die dem
Arbeitsfeld eines bestimmten Berufes entnommen sind, den der Praktikant für sich
selbst als möglichen oder gewünschten Eingangsberuf benannt hat.
Das Betriebspraktikum als Kontrastpraktikum ist gerichtet auf die
Auseinandersetzung des Praktikanten mit Aufgabenstellungen aus Berufsfeldern und
betrieblichen Arbeitstätigkeiten, die mit dem gewünschten oder ausgeübten Beruf
oder der gewünschten oder ausgeübten Arbeitstätigkeit kontrastieren“34.
Zielsetzung
Hofer definiert die Ziele allgemein wie folgt:
„Die Erkundung in der Arbeitslehre zielt auf systematisches Einholen von
Informationen über klar abgegrenzte Sachverhalte oder Bereiche in Betrieben sowie
anderen Einrichtungen der Wirtschaft und auf die gründliche Analyse dieser
Informationen in einem organisierten Lernprozess ab."35
Klebel nennt die gedankliche Durchdringung der erlebten Realität das zentrale Ziel
der Betriebserkundung. Daneben spezifiziert er folgende Ziele:
Einsichten, Kenntnisse und Fertigkeiten im technischen,
wirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Bereich ermöglichen;
neue Impulse zur Mitarbeit im schulischen Unterricht geben;
Hilfen für die Wahl eines Einstiegsberufs aufzeigen, d.h. auf die
Berufswahl vorbereiten.36
Die Betriebserkundung verschafft dem Schüler einen praxisnahen Einblick in die
komplexen Strukturen der Arbeits- und Wirtschaftswelt. Erst auf diese praktische,
außerschulische Weise wird Schülern die Arbeits- und Berufswelt durchschaubarer,
nachvollziehbarer und letztlich einsehbarer, auch wenn es sich bei
Betriebserkundungen nur um ausschnitthafte, dafür aber realitätsnahe
Wahrnehmungen (Eindrücke) handelt.
34 Platte, H.K.: Lernen vor Ort, Grundlagenband, Bonn-Bad Godesberg, 1986, S. 11 35
Hoffer, J.: Erkundung/Betriebserkundung. In: Kolb, G., (Hrsg.): Methode der Arbeits-, Wirtschafts-
und Gesellschaftslehre. Praktische Beispiele für Unterrichtsverfahren. Klinkhardt Verlag, Bad
Heilbrunn, 1987, S. 64 36
Klebel, 1972, a. a. O.
96
Aus dem Lehrplan 2004:
Fachprofil:
Praktisches, handlungsorientiertes Lernen
Der Unterricht bietet den Schülern Möglichkeiten, sich in der Schule und an
Lernorten außerhalb der Schule mit der Arbeits- und Wirtschaftswelt möglichst
wirklichkeitsnah auseinander zu setzen. Sie können sich dabei ihre individuellen
Interessen und Fähigkeiten bewusst machen, diese prüfen und weiterentwickeln und
mit den Aufgaben und Anforderungen unterschiedlicher beruflicher Tätigkeiten
vergleichen.
Betriebserkundungen
Dazu tragen Erkundungen in verschiedenen Wirtschaftsbereichen und
unterschiedlichen Betrieben im heimatlichen Wirtschaftsraum bei. Die Erkundungen
orientieren sich nicht nur an der klassischen Einteilung in volkswirtschaftliche
Bereiche, sondern auch an der Verbrauchererziehung (Jahrgangsstufe 7) und den
betrieblichen Organisationsbereichen Beschaffung, Produktion, Absatz, Personal und
Finanzierung (Jahrgangsstufen 8, 9). Insgesamt sollen mindestens drei
Betriebserkundungen durchgeführt werden. Die Schüler sollen ihre
Handlungskompetenzen, wie z. B. die Frage-, die Beobachtungs- oder die
Organisationsfähigkeit bis zur Jahrgangsstufe 9 so weit entwickelt haben, dass sie
einen Betrieb in einer Kleingruppe selbstständig erkunden und Erkundungsaufgaben
eigenverantwortlich im Betriebspraktikum durchführen können.
Anwendungen
Folgende Erkundungen sind im Lehrplan verankert. 5. Klasse: Arbeitsplatzerkundung (Schule) LZ 5.1.1 Arbeitsplatzerk. in der Schule 6. Klasse: Arbeitsplatzerkundung (Haushalt) LZ 6.1.1 Arbeitsplatzerk. im privaten Haushalt
Erkundung (Arbeits- und Herstellungsprozesse) LZ 6.3 Erk. von betrieblichen Arbeitsorten
7. Klasse: Zugangserkundung (Betrieb) LZ 7.1.1 Erk. eines betrieblichen Arbeitsplatzes Markterkundung LZ 7.2.2 Markterkundung,
8. Klasse: 2 Betriebserkundungen (Grundfunktionen) LZ 8.1.1 Betriebserkundung 9. Klasse Gruppenerkundung (Personalpolitik) LZ 9.2.1 Gruppenerkundung im Betrieb 10. Klasse Erkundungen in der Schülerfirma LZ 10.2 Schülerfirma
Didaktische Aufbereitung
Betriebserkundungen erfordern vom Lehrer eine umfangreiche unterrichtliche
Vorbereitung, eine geplante Durchführung und Nachbereitung (dagegen ist eine
Betriebsbesichtigung eine eher zufällige Einzelmaßnahme). Die curriculare
Anordnung lässt dem Lehrer Freiraum, um regionale und schülergerechte
Schwerpunkte zu treffen.
Didaktische Grundsätze
Folgende Grundsätze sollen beachtet werden:
97
Intensive Vor- und Nachbereitung
Aufgrund detaillierter theoretischer Vorinformationen durch den Lehrer sollten die
Schüler Erkundungsstrategien entwickeln, um gezielte Realerfahrungen zu erreichen.
Die Erfolgssicherung und Auswertung nach der Erkundung liefert Strukturen und
Wertungen des Erlebten.
Selbsttätigkeit
Die SchülerInnen sollen z.B. an der Feinzielformulierung beteiligt sein und mit dem
Erkundungskatalog selbständig und situationsgerecht umgehen können.
Instrumentale Fähigkeiten, wie Fotografieren, Interviewen und Protokollieren müssen
vorher geübt werden.
Aspekterkundung
Der Lehrplan erfordert eine aspektorientierte Erkundung, um die SchülerInnen nicht
zu überfordern und um die Effektivität zu erhöhen.
Kooperation
Schulintern
Zusammenarbeit in der Schule durch fächerübergreifende Vorbereitung, besonders
mit den arbeitspraktischen Fächern.
Grundsatz des Exemplarischen
Am Beispiel eines konkreten Betriebes werden gesamtwirtschaftliche
Zusammenhänge erhellt. Die Schülerinnen sollen das wirtschaftliche Prinzip
erkennen. „Durch die Veranschaulichung am konkreten Beispiel ist vom
entwicklungspsychologischen Ansatz her berücksichtigt, dass der Hauptschüler seine
Aufgaben vorwiegend nach situations- und zweckgebundenen Denkkategorien
angehen lernt, bevor mit Hilfe abstrakter Denkleistungen übergreifende
Zusammenhänge erfasst werden können.“ [Klebel, 1972, S. 19]
Einordnung in den Kontext des Arbeitslehreunterrichts
In der 8. Jahrgangsstufe können z.B. mit Erkundungen Fragen und Probleme der
Projektarbeit geklärt werden.
Didaktische Transformation
„Der Sachverhalt soll im Sinne der didaktischen Transformation einen gezielten
Ausschnitt der Realität wiedergeben, ohne diesen zu verfälschen.“ [Klebel, 1972, S.
22ff].
98
Didaktisches Strukturmodell der Betriebserkundung
Das Strukturmodell liefert eine Anleitung zur Gestaltung einer Betriebserkundung.
[Klebel, 1972, S. 30ff] Folgende Phasen werden unterschieden:
Phase der Lernzielplanung
Die Richtziele aus dem Lehrplan entnehmen und Grobziele entsprechend den zu
erkundenden Wirtschaftsbereichen formulieren. Die Feinziele sollen mit detailliertem
Wissen über die spezifizierten Betriebe erstellt werden.
Phase der Orientierung
Durch frühzeitige Kontaktaufnahme mit dem Betrieb können die Feinziele auf die
betrieblichen Gegebenheiten abgestimmt werden. Repräsentative Einzelbereiche
werden abgesprochen und Vorinformationen gesammelt. Fragen zum zeitlichen
Ablauf und Verhaltensregeln können geklärt werden.
Vorbereitungsphase
Der Lehrer achtet auf die sachrichtige Vereinfachung der Informationsfülle, z. B. dass
wesentliche Inhalte eines Berufsbildes oder des Produktionsprozesses dargestellt
werden. Unterstützend können Medien oder Pläne des Betriebes
(Produktionsstätten, Materialflussplan, Schema der Organisationsstruktur,
Unterlagen der Arbeitsämter usw.) eingesetzt werden. Die Feinziele sind vom
Einfachen zum Komplexen in sachlogischer Reihenfolge anzuordnen. Der Lehrer
muss das Hintergrundwissen seiner SchülerInnen kennen. Die Vorbereitung der
SchülerInnen richtet sich auf die Instruierung der MitarbeiterInnen, die mit den Zielen
der Erkundung vertraut gemacht werden und bereit sein sollen, den SchülerInnen
Informationen weiterzugeben.
Die SchülerInnen werden in dieser Phase über den Betrieb unterrichtet, sie lernen
die wichtigsten Räumlichkeiten, Verfahren, Arbeitsabläufe usw. vorab kennen. Die
Verlaufsplanung und der Erkundungsbogen, der kurze sachliche Fragen enthält, die
sich auf die Interessen der SchülerInnen beziehen und unter verschiedenen
Aspekten aufgegliedert sind, werden erstellt und Interviews, Fotografieren und
Protokollieren geübt.
Erkundungsphase
Man unterscheidet verschiedene Formen der Erkundung:
Grundform I:
Betrieb wird von der ganzen Klasse besucht. Gefahr der Betriebsbesichtigung!
Grundform II:
Die Klasse erkundet gemeinsam, trennt sich aber in Gruppen, die verschiedene
Erkundungsaufträge erhalten. Die Aufträge sind nach Aspekten gegliedert.
Grundform III:
Zu Beginn und am Ende wird gemeinsam erkundet. Dazwischen wird die Klasse
geteilt und erkundet aspektorientiert.
Grundform VI:
99
Ausschließliche Gruppenerkundung, z. B. Ergänzungserkundung. Die Gruppe
arbeitet selbständig.
Verarbeitungsphase
Die Ergebnisse werden z. B. an der Tafel zusammengefasst, grafisch
veranschaulicht und im Heft festgehalten. Es bietet sich an, eine Arbeitsmappe
erstellen zu lassen. Eventuell aufgetretene Verständnisschwierigkeiten müssen
geklärt werden. Möglicherweise kann ein Fachmann aus dem Betrieb eingeladen
werden.
Ergebnissicherung
Die gewonnenen Ergebnisse sollen hinsichtlich weiterer Erkundungen ausgewertet
werden (Manöverkritik). In Arbeitsmappen kann das Ergebnis auch für Dritte
(Schulausstellung) anschaulich aufbereitet werden. Die Erkundungsbögen mit den
beantworteten Fragen sollten unbedingt enthalten sein. Gut geeignet sind auch
Presseberichte in einer Schülerzeitung oder in der Lokalpresse.
Literatur zur Betriebserkundung
Gmelch, Andreas, R. Dörfler: Praxis 5 Arbeit-Wirtschaft-Technik, Hauptschule
Bayern, Lehrerband mit Kopiervorlagen. Westermann, Braunschweig 2004
Hofer, J.: Erkundung/Betriebserkundung. In: Kolb, G. (Hrsg.):Methoden der
Arbeits-, Wirtschafts- u. Gesellschaftslehre. Praktische Beispiele für Unter-
richtsverfahren. Klinkhardt Verlag, Bad Heilbrunn 1978, S.64 ff..
Horner, A./Klebel, H.: Die Betriebserkundung im Unterricht der Hauptschule . Eine
didaktische Grundlegung. Auer-Verlag, Donauwörth 1972.
Wilkening, F.: Unterrichtsverfahren im Lernbereich Arbeit und Technik. Otto Maier
Verlag, Ravensburg 1980, S.180 ff..
100
7.6 Das Betriebspraktikum
Definition
Beim Betriebspraktikum verlassen die Lernenden den Lernort Unterrichtssaal, um
sich vor Ort nach eigener Anschauung und im unmittelbaren Kontakt mit Menschen
und Gegenstand über Sachverhalte zu informieren, die in der Regel außerhalb ihres
Lebens- und Erfahrungsbereiches liegen.
Das Schülerpraktikum ist ein Unterrichtsverfahren, welches den Übergang von der
Schule in das Berufsleben erleichtern und optimieren soll. (vgl. Beck/ Ipfling/Kupser) 37
Es sollen erste Einsichten in grundlegende ökonomische, sozial- und berufskundliche
Phänomene der Arbeits- und Wirtschaftswelt vermittelt werden. (vgl. Kaiser 38)
„Der junge Mensch, der sich Bildende, verlässt zeitweilig den Schonraum der Schule
und stellt sich der Ernsterfahrung, dem Engagement, der Verantwortung, der
Bewährung; er kehrt dann wieder in den umhegten Raum der Schule zurück, deren
Aufgabe in dieser Hinsicht… in der strengen Reflexion auf die Erfahrung, in der
Beantwortung der im Engagement erwachten Fragen und in der Transposition der
hier zu gewinnenden Einsichten auf andere und weitere Zusammenhänge und
Verpflichtungen besteht“ (W.Klafki39).
Bedeutung
"Das Schülerbetriebspraktikum bietet die Möglichkeit, die Berufs- und Arbeitswelt
unmittelbar kennenzulernen und die Schüler mit ihrer sozialen Wirklichkeit vertraut zu
machen.
Diese Erfahrungen - im Sinne einer kritischen Auseinandersetzung mit der
Wirtschafts- und Arbeitswelt - sind auch hilfreich für die Berufswahl. Sie können dazu
beitragen, dass Schülerinnen und Schüler ihre Eignung für bestimmte Tätigkeiten
zutreffender einschätzen, so dass sie ihre bisherigen Berufsvorstellungen besser
beurteilen und gegebenenfalls Alternativen entwickeln. Praktika geben darüber
hinaus oft positive Impulse für das schulische Weiterlernen, z.B. für das Erreichen
eines Abschlusses." [KM NRW]40
Vergleicht man in der Fachliteratur die Zielsetzungen für das Betriebspraktikum, so
herrscht Übereinstimmung bei den Autoren darüber, dass es als ein
Unterrichtsverfahren unter mehreren in den gesamten Arbeitslehreunterricht integriert
37
Beck H./Ipfling/Kupser (Hrsg.), Das Betriebspraktikum für Schüler und Lehrer, Verlag Julius
Klinkhardt, Bad Heilbrunn 1984 31
Franz-Joseph Kaiser: Arbeitslehre: Materialien zu einer didaktischen Theorie der vorberuflichen
Erziehung; Klinkhardt, Bad Heilbrunn 1971 32
W. Klafki aus seinem Aufsatz „Engagement und Reflexion im Bildungsprozeß“; 344; 363f. 33
Schülerbetriebspraktikum in der Sekundarstufe 1, RdErl. des Kultusministers vom 26.5.1987 (GABl.
NW. S. 320) des Landes Nordrhein-Westfalen. 34
Beck H./Ipfling/Kupser (Hrsg.), Das Betriebspraktikum für Schüler und Lehrer, Verlag Julius
Klinkhardt, Bad Heilbrunn 1984
101
sein muss, um dem hohen Stellenwert, der ihm als Mittel zur realen Begegnung mit
der Arbeitswelt zugeschrieben wird, gerecht zu werden [Beck, 1984, S.23; 15,
S.37]41.
Einordnung im Lehrplan
Im Fachprofil heißt es: „Neben den Betriebserkundungen sollen vor allem die
Betriebspraktika die Schüler bei ihrer Berufswahl unterstützen. An verschiedenen
Arbeitsplätzen können sie die Anforderungen einzelner Berufe praxisnah kennen
lernen, ihre eigenen Fähigkeiten und Neigungen einschätzen und praktisch erproben
und schließlich Konsequenzen für die eigene Berufswahl ableiten. Zum ersten Mal
können sie den betrieblichen Alltag erleben und erfahren, was es heißt, beruflich tätig
zu sein. Das Betriebspraktikum in der 8. Regelklasse soll insgesamt zwei Wochen
dauern und kann in zwei zeitlich getrennten Phasen stattfinden. Das
Betriebspraktikum im M-Zug soll in der M8 eine Woche und in der M9 auch eine
Woche dauern. Das Betriebspraktikum ist eine schulische Pflichtveranstaltung. Es
umfasst Aspekte der Orientierung, der Analyse und der Erprobung. Weitere
Betriebspraktika können in Jahrgangsstufe 8 und 9 durchgeführt werden, wenn es
die regionalen schulischen Rahmenbedingungen und die Wirtschaftsstruktur
erlauben.“ [Fachprofil Arbeitslehre]
Praktika sind im Lehrplan verpflichtend vorgeschrieben für LZ 8.3.2
Betriebspraktikum in einem Ausbildungsbetrieb sowie LZ M 9.1.2 einwöchiges
Betriebspraktikum und werden für LZ 9.1.2 bei Bedarf empfohlen.
Aus dem Lehrplan 2004:
Arbeit und Beruf
8.3 Die persönliche Berufsorientierung
Lernziele
Die Schüler befassen sich systematisch mit der eigenen Berufswahl, die sie
selbstständig dokumentieren und reflektieren. Indem sie sich zuerst ihre
persönlichen Voraussetzungen bewusst machen und diese entsprechenden
Berufen und Arbeitsbereichen zuordnen, ermitteln sie jene Berufsrichtung, die
ihren eigenen Zukunftsvorstellungen nahe kommt. Dazu nützen sie
regelmäßig berufswahlunterstützende Beratungsangebote und informieren
sich auf dem Ausbildungsstellenmarkt, auf Messen und berufskundlichen
Ausstellungen. In zwei einwöchigen Praktika in Ausbildungsbetrieben
sollen sie zur Entscheidungsreife gelangen. Sie sollen eine erste
Entscheidung treffen und sich schließlich um einen Ausbildungsplatz
bewerben.
Arbeit, Beruf und Recht
102
9.1 Arbeit und Beruf
Lernziele
Die Schüler reflektieren ihren bisherigen Berufswahlprozess und beenden ihn
mit der Bewerbung um einen Ausbildungsplatz. Bei Bedarf führen sie ein bis
zu zwei Wochen dauerndes freiwilliges Betriebspraktikum zur weiteren
beruflichen Orientierung durch. Darüber hinaus verschaffen sie sich einen
Überblick über die verschiedenen Einstiegsmöglichkeiten in den Beruf und
setzen sich mit rechtlichen Rahmenbedingungen eines Ausbildungsvertrags
auseinander. Sie stellen die wichtige Bedeutung von Arbeit und Beruf im
Leben des Menschen fest und erkennen die Herausforderungen einer sich
wandelnden Arbeitswelt für den Einzelnen.
Psychologische Grundlegung
Der kognitive Konflikt
"Kognitive Schemata" müssen durch die Auseinandersetzung mit der Umwelt ständig
eingesetzt, angepasst oder verändert werden. Die Veränderung von kognitiven
Schemata nennt man "Lernen" [Gmelch, 198742, S.200ff].
Bei der Veränderung eines Schemas werden meist auch benachbarte Schemata
betroffen, d.h. die Stimmigkeit der kognitiven Struktur wird gestört.
Nach Piaget ist das leitende Prinzip für das Handeln einer Person, die Stimmigkeit
der kognitiven Struktur aufrechtzuerhalten, bzw. wieder herzustellen. Unstimmigkeit
wird erlebt, wenn z.B. eine Umweltinformation der Erwartung widerspricht. Es
entsteht ein kognitiver Konflikt. Jedes Individuum wendet sich der Lösung eines
kognitiven Konfliktes mit unterschiedlicher Ausdauer und Intensität zu, je nach der
Bedeutsamkeit, die es dem betroffenen Schema beimisst.
Zudem sagt die Reaktanz Theorie aus, dass ein Mensch stets bemüht ist, seine
persönliche Entscheidungsfreiheit wieder herzustellen, wenn er sie bedroht sieht.
Das bedeutet, dass von außen kommende Überredungstaktiken (z.B. durch den
Lehrer) nicht soviel bewirken können, wie das Gefühl, selbst entscheiden zu können.
Für den Unterricht folgt daraus, dass den Schülern ermöglicht werden muss, sich
selbst zu entscheiden - möglichst gemäß dem Ziel des Lehrers.
Das "Tun einer Sache"
Lernen im Sinne einer Differenzierung und Ausweitung der kognitiven Struktur ist nur
dann effektiv, wenn innerhalb eines Individuums eine bestimmte Stufenfolge
durchlaufen wird:
1. "Tun einer Sache"
Darunter versteht Aebli nicht nur das manuelle Tätigsein, sondern ebenso die
Erfahrungsmöglichkeiten, die durch die Wahrnehmungsorgane gegeben sind
[Aebli, 197643, S.103ff).
35
Andreas Gmelch, Erfahrungs- und handlungsorientiertes Lernen, Verlag Peter Lang GmbH,
Frankfurt 1987 36
Hans Aebli, Grundformen des Lehrens, Stuttgart 1976
103
2. Erfahrung durch eine bildliche Darstellung oder die Verwendung des
entsprechenden sprachlichen Zeichens veranschaulichen [Gmelch, 1984,
S.213].
3. Sprachliche Darstellungen der Stufe 2 wieder konkretisieren.
Die Konkretisierung der psychologischen Stufenfolge des Lernprozesses ist eine
Vereinfachung, doch kann sie Denkanstöße zur Aufbereitung der Lernziele des
Betriebspraktikums geben [Heegen, 1984, S.12 ff]44.
Grundsätzliche Folgerungen für das Betriebspraktikum
Grundsatz der Freiwilligkeit
Eine entscheidende Bedingungsvariable für den Ablauf effektiver Lernprozesse ist
das Maß an persönlicher Freiheit, das ein Individuum bei der Durchführung einer
Handlung empfindet (Heegen, 1984, S.14ff).
Freiwilligkeit ist eine entscheidende Komponente für den Aktivierungsgrad der
Jugendlichen. Für den Schüler ist dabei wichtig, dass man ihm Vertrauen zur
eigenen Problemlösungsfähigkeit entgegenbringt: SchülerInnen können
beispielsweise selbständig Praktikumsplätze besorgen, Arbeitszeiten oder
Kleidungsvorschriften erkunden.
Grundsatz der Aktivierung durch originale Begegnung
Selbsttätigkeit besitzt den höchsten Aktivierungsgrad und kann damit einen
optimalen Lernerfolg hervorrufen.
Der Fachmann im Betrieb, der die Handlungsabläufe beherrscht, meint manchmal,
dass eine sprachliche Erklärung das praktische Tun ersetzen kann. In diesem Fall
fehlt jedoch, lernpsychologisch gesehen, die erste und wichtigste Stufe: das
Handeln. Deshalb sollte man als PraktikumslehrerIn versuchen, den BetreuerInnen
im Betrieb die Bedeutung des Selbsttätigwerdens der SchülerInnen als Bestandteil
des Lernprozesses zu verdeutlichen: Dem Tun muss ein möglichst breiter Raum
zugewiesen werden. Verbale Detail- und Zusammenhangserläuterungen sollten auf
das Notwendigste beschränkt bleiben.
Grundsatz der Passung
Die Verschiedenheit regionaler wirtschaftlicher Strukturen und der einzelnen
Schulklassen lassen eine optimale Passung nicht zu. Um jedoch ein möglichst hohes
Maß an Angemessenheit zu erreichen, sollten die LehrerInnen drei wesentliche
Aspekte der optimalen Passung berücksichtigen:
Bei der geistigen Passung sollte der Lehrer das Abstraktionsniveau und die
Begabungsschwerpunkte der einzelnen Schüler in allen Phasen des
Betriebspraktikums im Auge behalten.
37
Heegen, Franz, Rogler, Rolf: Betriebspraktikum konkret. Auer Verlag Donauwörth 1984
104
Bei der Berücksichtigung der körperlichen Passung denkt der Lehrer auch an
Schüler, die in der Schule motorisch unterfordert sind und deshalb oft durch
abweichendes Verhalten auffallen.
Ein dritter Gesichtspunkt ist die emotionale und soziale Passung: In jeder Klasse
gibt es ängstliche, aber auch vorlaute Schüler. Hat der Lehrer Einblick in betriebliche
Sozialstrukturen, so kann er auch hier einen wichtigen Beitrag zum erfolgreichen
Ablauf des Praktikums leisten, indem er die Persönlichkeitsstruktur der Schüler bei
der Verteilung der Praktikumsplätze berücksichtigt.
Ziele
Richtlinien für das Betriebspraktikum
Erfahrungen vor Ort sollen die Hinführung zur Arbeits- und Wirtschaftswelt
unterstützen und Hilfe bei der Berufswahl leisten.
Bereits im Unterricht gewonnene Kenntnisse und Einsichten sollen überprüft,
vertieft und ergänzt werden.
Eigenes Tätigwerden, Erleben und gezieltes Beobachten, sowie das Sammeln von
Informationen sollen dem Schüler Erfahrungen über das berufliche Leben
vermitteln (z.B. praktisches Erfahren beruflicher Grundtätigkeiten an einem
konkreten Arbeitsplatz, Erfahren des Betriebes als Sozialgebilde).
Der Schüler soll am Arbeitsplatz exemplarisch die Anforderungen einzelner Berufe
eines Berufsfeldes kennenlernen (z.B. Erleben körperlicher, geistiger und
charakterlicher Anforderungen im Rahmen eines Berufes).
Der Schüler soll seine Vorstellungen von einem Beruf und seine Eignung
hinsichtlich der eigenen Berufswahl an der Wirklichkeit überprüfen.
Aspektorientierung bei der Zielsetzung des Betriebspraktikums
Die Komplexität der modernen Arbeits- und Berufswelt und der Betriebsstrukturen
macht eine Akzentuierung des Betriebspraktikums notwendig. In der Fachliteratur
haben deshalb die Autoren, wie z.B. Kupser (1984), Ipfling et al. (1984), Kolb (1983)
und Gattermann (1974) die oben genannten Lernziele nach Aspekten geordnet. Sie
unterscheiden den sozialen, den funktionalen (technisch-ökonomischen) und den
berufskundlichen Aspekt.
Lernziele unter berufsorientierendem Aspekt
Die Schüler sollen selbständig praktische Erfahrungen an einem konkreten
Arbeits- /Ausbildungsplatz sammeln.
Der Schüler soll berufstypische Tätigkeiten erproben. Im Service soll er
Bestellungen aufnehmen, den Tisch richtig decken, Speisen und Getränke
servieren etc.
Die Schüler sollen berufstypische Anforderungen erfahren. Der Schüler soll
körperliche, geistige und charakterliche Anforderungen dieses Berufes erleben:
körperliche Robustheit, anstrengende Arbeitshaltung, Arbeit im Freien, Sorgfalt
bei der Arbeit.
105
Die Schüler sollen ihre berufliche Selbsteinschätzungsfähigkeit durch
Vergleichen der eigenen Leistung mit den beruflichen Tätigkeitsmerkmalen und
Anforderungen von Berufen verbessern. Der Schüler soll seine beruflichen
Wünsche und Vorstellungen überprüfen: "Besitze ich genügend handwerkliches
Geschick, um diesen Beruf erlernen zu können?"
Die Schüler sollen (soweit möglich) die berufliche und betriebliche
Ernstsituation erleben.
Die Schüler sollen sich über Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten
einzelner Berufe informieren (Köppl, 198645, S.40ff; 18, S.25ff; 17, S.27f).
(Befragung des Betriebsrats, der Mitarbeiter etc.)
Lernziele unter dem sozialen Aspekt
Das Erfahren des Betriebes als Sozialgefüge steht im Zentrum der Lernziele unter
sozialem Aspekt.
Die Schüler sollen hier zum Beispiel erkennen, dass in der heutigen Zeit Teamarbeit
notwendig ist und dass es verschiedene Formen der Zusammenarbeit gibt.
Weitere Lerninhalte nehmen beispielsweise auf Jugendarbeitsschutz, Arbeitsschutz,
Arbeitsbelastungen, Betriebsklima, die Mitbestimmung oder auch die Bewertung von
Arbeitstugenden Bezug.
Lernziele unter funktionalem Aspekt
Unter diesem Aspekt werden Lerninhalte zusammengefasst, die sich mit der
Organisation eines Betriebes und seiner Stellung innerhalb der
Gesamtwirtschaft auseinandersetzen.
Mögliche Lerninhalte sind die Beschreibung und Einordnung eines Betriebs in den
betreffenden Wirtschaftszweig, seine Organisationsstruktur, verschiedene
Produktionsverfahren und Fertigungsverfahren, Arbeitsplätze im Betrieb,
Maschineneinsatz, sowie Sicherheitsbestimmungen.
Die Schüler sollen zum Beispiel einen ersten Einblick in einen Handwerksbetrieb
erhalten, verschiedene Fertigungsverfahren beobachten und wichtige Werkzeuge
und Maschinen des Betriebs nennen bzw. beschreiben können.
Organisationsformen
Man unterscheidet Stunden-, Tages- und Blockpraktikum (Gattermann, 197446,
S.29). Eine Wiederholung des Zeitraums, der die Einteilung bestimmt, ist durchaus
üblich. So versteht man z.B. unter einem Tagespraktikum auch ein Praktikum, bei
dem die Schüler ein ganzes Schuljahr lang einen Tag in der Woche im Betrieb tätig
sind.
38
Köppl, Gerhard: Arbeitslehre, Roding 1986 39
Gattermann, Heinz (Hrsg.): Betriebspraktikum. Hannover 1974
106
Weitere Unterscheidungsmerkmale ergeben sich aus der inneren Gestaltung des
Praktikums [Kolb, 198347, S.117f]. Die Aufteilung der Schüler auf die
Praktikumsplätze ist ein solches Kriterium. Es gibt folgende Möglichkeiten:
Die ganze Klasse leistet ihr Praktikum im gleichen Betrieb ab;
Schülergruppen praktizieren in verschiedenen Betrieben;
je ein Schüler bekommt einen Praktikumsplatz in einem Betrieb;
Schülergruppen und einzelne Schüler werden auf verschiedene Betriebe
verteilt.
Auch der Einsatzort im Betrieb ist ein Differenzierungsmerkmal:
Der Praktikant bleibt während des gesamten Praktikums an einem
Arbeitsplatz im gleichen Betrieb;
der Praktikant lernt mehrere Arbeitsplätze im gleichen Betrieb kennen
(innerbetrieblicher Wechsel);
der Praktikant wechselt den Betrieb und damit auch den Arbeitsplatz
(zwischenbetrieblicher Wechsel);
der Praktikant wechselt den Arbeitsplatz und gleichzeitig auch das
Berufsfeld.
In den Richtlinien für das Betriebspraktikum an Bayerischen Hauptschulen wird die
Dauer des Unterrichtsverfahrens auf eine, längstens auf zwei Wochen festgesetzt.
Sinnvollerweise wird es als Blockpraktikum durchgeführt. Die Aufteilung der Schüler
auf die Betriebe ist freigestellt, so dass diese Frage je nach den örtlichen
Gegebenheiten entschieden werden kann [KM-Bekanntmachung 1987].
Didaktisches Strukturmodell des Schülerbetriebspraktikums
Die meisten Veröffentlichungen zum Betriebspraktikum geben drei Artikulationsstufen
an: Vorbereitungs-, Durchführungs- und Auswertungsphase [Kupser, 198448,
S.307ff; Kolb, 1983, S.121ff; 20, S.152ff; Heegen, 1984, S.21ff; Köppl, 1986, S.48ff].
Der Studienkreis Schule - Wirtschaft Bayern unterteilt die Vorbereitungsphase noch
in Lernziel-, Orientierungsphase und unmittelbare Vorbereitungsphase
[Studienkreis Schule - Wirtschaft, 1984, S.15] 49. Aus dem didaktischen
Strukturmodell können betriebs- und bereichsspezifische Modelle entwickelt werden,
die auf eine bestimmte Klassensituation abgestimmt sind [Studienkreis Schule -
Wirtschaft, 1984, S.12ff].
Lernziel- und Orientierungsphase
Bevor mit der Planung des Betriebspraktikums begonnen werden kann, müssen die
Schwerpunkte und Lernziele festgelegt werden.
40
Kolb, Gerhard: Arbeit, Wirtschaft, Technik. Ehrenwirth Verlag, München 1983 41
Kupser, Paul: Arbeitslehre zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Verlag Julius Klinkhardt, Bad
Heilbrunn 1984
49 Studienkreis Schule - Wirtschaft: Das Betriebspraktikum für Hauptschüler. München 1984
107
Auswahl der Praktikumsbetriebe und erste Kontaktaufnahme
Betriebspraktika können, je nach regionalen Bedingungen, grundsätzlich in Betrieben
aller Wirtschaftszweige durchgeführt werden.
Hilfestellung leisten:
Industrie- und Handelskammer;
Handwerkskammer;
Landwirtschaftsämter;
Wirtschafts- und Arbeitgeberverbände der betreffenden Branchen,
Arbeitsamt und
Mitarbeit der Eltern.
Bereits vor der ersten Kontaktaufnahme mit möglichen Praktikumsbetrieben sollte ein
ungefährer Bedarfsplan für die Praktikantenplätze aufgestellt werden.
Das erste Gespräch kann telefonisch oder brieflich erfolgen. Ein telefonisches
Nachfragen ist aber auf jeden Fall sinnvoll. Karteikarten für die kontaktierten Betriebe
verschaffen einen Überblick und können auch von mehreren Kollegen benutzt und
ergänzt werden.
Abklärung der Praktikumsziele und -inhalte mit den Betrieben
Der Betrieb soll nach der ersten Kontaktaufnahme in einem Vorgespräch mit einem
verantwortlichen Betriebsvertreter über die Ziele des Praktikums und die
Vorstellungen der Schule informiert werden. Folgende Bereiche sollten
angesprochen werden:
Der Lehrer informiert über Ziele und Inhalte des Praktikums und erläutert seine
Wünsche hinsichtlich Anzahl der Praktikumsplätze, Zeitraum des Praktikums,
Kennenlernen des Wunschberufs der Schüler;
der Betriebsvertreter erläutert seine Vorstellungen vom Praktikum, stellt die
Möglichkeiten und Grenzen seines Betriebs dar;
der Lehrer gibt Hinweise auf die geplante Vorbereitung und Aufarbeitung im
Unterricht;
beide besprechen mögliche Tätigkeitsbereiche der Praktikanten;
der Lehrer erhält Informationen über den Betrieb (schriftlich und mündlich);
die Richtlinien für das Betriebspraktikum werden besprochen, da sie den
verbindlichen Rahmen für das Schülerbetriebspraktikum darstellen;
Fragen zum Versicherungsschutz der Schüler müssen geklärt werden. Die
Schülerunfallversicherung gilt für das Betriebspraktikum, eine
Haftpflichtversicherung muss jedoch vor Praktikumsbeginn abgeschlossen werden
[KM-Bekanntmachung 1987];
den Schülern wird kein Entgelt bezahlt und die Regelungen des
Jugendarbeitsschutzgesetzes müssen beachtet werden;
Betriebsvertreter weist auf betriebsspezifische Unfallverhütungsvorschriften hin.
Erarbeitung eines Praktikumsplans
Ist der Betrieb bereit, Praktikanten aufzunehmen, so gibt er eine schriftliche
Einverständniserklärung ab. Dann erarbeitet er auf der Grundlage der
108
Vorgespräche mit dem Lehrer den Ablauf des Praktikums und die Einsatzbereiche
des Praktikanten. Außerdem soll ein betrieblicher Ansprechpartner benannt
werden, der in Kontakt mit der Schule bleibt und während des Praktikums für die
Betreuung der Schüler zuständig ist [Studienkreis Schule - Wirtschaft, 1984, S.20].
Vorbereitungsphase
Der Vorbereitungsphase werden diejenigen organisatorischen und unterrichtlichen
Maßnahmen zugeordnet, die für die Durchführung des Betriebspraktikums notwendig
sind.
Organisatorische Maßnahmen
Kontakte zu den Eltern
Ein Einbeziehen der Eltern in das Vorhaben ist zu empfehlen: Sie können einerseits
durch ihre Einflussnahme auf die Schüler und andererseits durch ihre praktische
Mitarbeit, z.B. bei der Beschaffung von fehlenden Praktikumsplätzen, zum Gelingen
des Unterrichtsvorhabens beitragen.
An einem Elternabend sollten zunächst die Ziele und Inhalte des geplanten
Vorhabens durch den Lehrer erläutert werden.
Zudem sollten die Eltern auch über die unterrichtliche Vorbereitung des Lehrers in-
formiert werden. Der geplante Zeitraum und Zeitpunkt des Praktikums wird bekannt
gegeben.
Außerdem sollten Fragen zum Versicherungsschutz der Schüler sowie einer
eventuell nötigen amtsärztlichen Untersuchung geklärt werden.
Ein weiterer Punkt ist die Bitte um Mitarbeit der Eltern bei der Beschaffung von
Praktikumsplätzen, falls noch nicht alle Schüler einen Praktikumsplatz gefunden
haben [Köppl, 1986, S.50f; 3, S.52].
Auswahl der Praktikumsplätze
Bei der Auswahl der Praktikumsbetriebe ist zunächst die grundsätzliche Frage zu
klären, ob die Schüler in ihrem "Wunschberuf" praktizieren sollen. Im Großen und
Ganzen wird diese Frage bejaht [Kolb, 1983, S.120f; , S.21; 21, S.18; ISB, 198450,
S.23]. Berücksichtigt man den Berufswunsch der Schüler nicht, so besteht die Gefahr
des Motivationsverfalls [Platte, 198151, S.158]. Deshalb ist es üblich, zuerst im
Berufswahlunterricht die Berufswünsche der Schüler zu eruieren, die
entsprechenden Berufsbilder zu besprechen und den jeweiligen Berufsfeldern
zuzuordnen.
Es spielen aber auch andere Aspekte bei der Auswahl von Praktikumsplätzen eine
Rolle:
43
Staatsinstitut für Schulpädagogik und Bildungsforschung: Handreichungen zum Betriebspraktikum
für Hauptschüler, München 1984 44
Platte, Hans Kaspar: Betriebspraktika in schulischen Bildungsgängen. Koblenz 1981
109
Mädchen sollten angeregt werden, auch in Frauen untypischen Berufen das
Praktikum zu absolvieren;
Ziel des Praktikums ist es auch, Einblicke in Berufe verschiedener Berufsfelder zu
bekommen. Gleichen sich die Berufswünsche innerhalb einer Klasse zu sehr, so
sollte dieser Gesichtspunkt berücksichtigt werden;
Betriebe, die keinen Einblick in den Fertigungsprozess oder den Arbeitsablauf
ermöglichen, sind ungeeignet [ISB, 1984, S.18ff];
die Schüler dürfen keinen besonderen Gefahren ausgesetzt werden;
die Lage der Betriebe sollte berücksichtigt werden: Die Fahrtkosten zum Betrieb
werden in der Regel nicht erstattet. Zudem ist die Betreuung der Schüler durch
den Lehrer leichter durchzuführen, wenn keine weiten Strecken zurückgelegt
werden müssen [Platte, 1981, S.156].
Nach der Auswahl der Praktikumsbetriebe sollte den zuständigen Betreuern der
Praktikumstermin und die Anzahl der Praktikanten bekannt gegeben werden.
Im Anschluss daran wird für jeden Praktikumsplatz ein endgültiger Einsatzplan
erarbeitet. Dieser wird, zusammen mit der Zuweisung der Praktikanten, an die
Betriebe verschickt [Heegen, 1984, S.50].
Amtsärztliche Untersuchung
Kommt der Schüler während des Praktikums mit Lebensmitteln in Berührung, so
muss nach §18 des Bundesseuchengesetzes eine amtsärztliche Untersuchung
durchgeführt werden.
Didaktisch-methodische Vorbereitung
Praktikumsrelevantes Vorwissen der Schüler
Im Unterricht sollte zunächst auf das individuelle Vorwissen der Schüler Bezug
genommen werden. Auch der Rückgriff auf Lernziele vorausgegangener
Betriebserkundungen bietet sich an, z.B. Tätigkeitsmerkmale, Anforderungen und
Zukunftsaussichten eines Ausbildungsberufes, Zukunft des Dienstleistungsbereichs,
Fertigungsverfahren im Bereich der Industrie. Auch Berufserfahrungen der Eltern
können zum Sammeln des Vorwissens dienen.
Motivierung der Schüler für das Praktikum
Zuerst sollten den Schülern die Ziele des Betriebspraktikums verdeutlicht werden.
Die unmittelbar bevorstehende Berufswahl ist ein großer Motivationsfaktor, ebenso
wie die Möglichkeit vor Ort verschiedene berufliche Tätigkeiten kennen zu lernen und
sogar selbst tätig zu werden.
Erarbeitung eines Fragen- und Beobachtungskatalogs
Die Erarbeitung eines Fragen- und Beobachtungskatalogs nimmt einen wichtigen
Platz in der schulischen Vorbereitung des Betriebspraktikums ein. Deshalb sollten die
110
Schüler bei der Gestaltung des Fragebogens aktiv beteiligt werden. Ein
selbständiges Erstellen des Fragen- und Beobachtungskatalogs wird sie jedoch
überfordern [Köppl, 1986, S.86f].
Andere Autoren fordern selbständig gestaltete Fragekataloge, da die Schüler damit
kompetenter und engagierter umgehen würden [Reul, 198952, S.21ff). Vorgefertigte
Fragebögen, wie sie im Handel erhältlich sind würden die Schüler dazu verleiten, die
Antworten gegenseitig abzuschreiben.
Die Schüler sollten sich bewusst werden, welche Fragen im Betriebspraktikum für sie
wichtig sind. Eine Ausformulierung und Strukturierung eines ganzen Fragenkatalogs
wäre jedoch zu viel verlangt. Es empfiehlt sich den Schülern ein vorgefertigtes
Exemplar in die Hand zu geben, das gemeinsam den Bedürfnissen der Klasse
entsprechend modifiziert wird. (Bild Fragebogen)
Typische Inhalte des Fragen- und Beobachtungskatalogs sind:
typische Tätigkeiten, Arbeitszeiten, Arbeitsbelastung, Tagesablauf an einem
Arbeitsplatz, Formen der Zusammenarbeit, Maschineneinsatz, Einblick in wichtige
Funktionen und Strukturen von Handwerks-, Industrie-, Handels- und
Dienstleistungsbetrieben sowie von Betrieben der Urproduktion.
Erarbeiten von Grundregeln des Verhaltens im Betrieb
Die Schüler sollen die Bereitschaft und Fähigkeit entwickeln, sich auf die neuartigen
sozialen Situationen im Betriebspraktikum einzustellen und geeignete
Lösungsmöglichkeiten für ein angemessenes Verhalten finden.
So kann zum Beispiel im Rollenspiel geübt werden, wie sich der Schüler anderen
Mitarbeitern vorstellt. Auch die Belehrung über generelle
Unfallverhütungsmaßnahmen oder über wichtige Bestimmungen des
Jugendarbeitsschutzgesetzes fallen in diesen Bereich.
Durchführungsphase
Aufgaben der Schüler
Die Schüler sollen die Bereitschaft und Fähigkeit haben, das Praktikum für sich
erfolgreich zu gestalten: Sie sollen durch Beobachten, Befragen und (Mit)arbeiten
Erfahrungen in der realen Arbeits- und Berufswelt sammeln. Anhand dieser
Erfahrungen sollen sie Rückschlüsse auf Arbeitstugenden wie Pünktlichkeit, Sorgfalt
und Sauberkeit, auf körperliche, charakterliche und geistige Anforderungen sowie auf
mögliche Gefahren am Arbeitsplatz ziehen [Köppl, 1986, S.106ff].
Die Schüler haben die Aufgabe, mit Hilfe der vorbereiteten Erkundungsbögen gezielt
Informationen einzuholen, einen Arbeitsvorgang zu beschreiben und verschiedenes
Anschauungsmaterial im Betrieb zu sammeln. Ein weiterer wichtiger Punkt ist das
Erleben von menschlicher Atmosphäre im Betrieb.
45
Reuel,G., Schneidewind, K.: Die Praktikumskartei. In: Arbeiten + Lernen, Heft 2, Velber 1989, S.35ff
111
Außerdem sollen sie bereit sein, sich von dem betrieblichen Betreuer anleiten zu
lassen. Die Teilnahme am Betriebspraktikum ist verpflichtend: Ein Fernbleiben muss
sowohl im Betrieb als auch in der Schule gemeldet werden.
Aufgaben der Betreuer
Die Betreuer im Betrieb haben die Aufgabe, den Praktikanten anzuleiten und für die
Einhaltung des Praktikumsplans zu sorgen.
Einführung am ersten Praktikumstag mit Informationen über den Betrieb und über
bestehende Vorschriften (z.B. Unfallverhütung, das Tragen von Schutzkleidung oder
die Regelung der Arbeitszeit und der Pausen). .
Probleme:
mangelndes Interesse
fehlender Ernst der Schüler
Aufsicht über die Praktikanten ist eine große Belastung
Diese Problematik könnte durch eine engere Zusammenarbeit zwischen Betrieb und
Schule, zumindest teilweise, aus dem Weg geräumt werden. Keine Lösung ist es, die
Schüler in die Lehrwerkstatt aufzuräumen. Am letzten Praktikumstag findet ein
Abschlussgespräch im Betrieb statt: Ausgehend von den Erfahrungen der
Praktikanten sollen betriebliche Zusammenhänge erläutert werden.
Aufgaben des Betreuungslehrers
Der Lehrer ist während des ganzen Praktikums von seinen sonstigen
unterrichtlichen Verpflichtungen freigestellt (KM, 1987). Er muss Schülern, Eltern
und Betreuern ganztags zur Verfügung stehen und sich durch regelmäßige Besuche
in den Betrieben davon überzeugen, dass das Praktikum planmäßig verläuft
[Kreuchauf, 197953, S.24].
Trotz einer gezielten, intensiven Vorarbeit stehen manche Schüler der neuartigen
Situation im Betrieb unsicher und hilflos gegenüber. Aber auch selbstsichere Schüler
sind meist froh, wenn der Lehrer sie regelmäßig besucht: Im Gespräch mit dem
Lehrer können die Schüler Erfahrungen mitteilen, die sie alleine vielleicht nicht
bewältigen könnten.
Außerdem kann der Lehrer auf Beobachtungsaufträge aufmerksam machen, die
sonst vielleicht vergessen werden. Grunderfahrungen werden so festgehalten und
der Zusammenhang zwischen Erkundungsbogen und Tätigkeit wird einsichtig.
Der Lehrer sollte seine Schüler also so oft wie möglich im Betrieb besuchen, auch
um sich mit dem Betreuer auszutauschen.
Neben den Besuchen im Betrieb wünschen sich manche Schüler die Gelegenheit zu
einer Aussprache außerhalb des Arbeitsplatzes: Gerade am Anfang stürmt so viel
Neues auf die Schüler ein, dass der Lehrer an den ersten beiden Abenden in der
Schule zu einer Aussprache zur Verfügung stehen sollte. Außerdem ist es
wünschenswert, wenn er abends während des gesamten Praktikums zu festen
46
Kreuchauf, Klaus et. al.: Schüler im Betriebspraktikum, Weingarten 1979
112
Zeiten erreichbar ist. Diese Stunden sollten Eltern, Schülern und betrieblichen
Betreuern bekannt sein.
Auswertungsphase
Die gewonnenen Eindrücke und Erfahrungen müssen reflektiert, vertieft und ergänzt
werden.
Kreuchauf et al. gliedern die Auswertungsphase in drei Bereiche: berichten,
systematisieren und dokumentieren [Kreuchauf, 1979, S.23f].
Spontane Berichte
Im ersten Unterrichtsgespräch äußern sich die Schüler spontan zu den Erfahrungen
und Erlebnissen im Praktikum. Dies kann z.B. in Form eines Sitzkreises, bei dem
jeder Schüler ein Schlüsselerlebnis allen Mitschülern mitteilt oder auch in Form von
Gruppengesprächen erfolgen.
Die emotionale Beteiligung der Schüler spielt hierbei eine große Rolle: Im
Vergleich mit den Erfahrungen der Mitschüler erkennen sie, dass sich die
Erfahrungen im Praktikum gleichen, z.B. dass es Situationen gab, in denen sie
sich unsicher fühlten. Auf der anderen Seite erkennen sie Unterschiede im Ablauf
des Praktikums, die sich aus den verschiedenen Wirtschaftsbereichen oder den
unterschiedlichen Einsatzorten ergeben. Das Interesse der Schüler mehr zu
erfahren, auch über andere Betriebe als den eigenen Praktikumsbetrieb, steigt. Die
Motivation ist hoch und damit ist auch die Voraussetzung für die Vertiefung und
Ergänzung der Erfahrungen geschaffen.
Vorstellung und Vergleich verschiedener Praktikumsbetriebe
Auf der Grundlage der Erkundungsaufträge sollen die Schüler ihre
Praktikumsbetriebe vorstellen. Von Interesse sind hier z.B. der Wirtschaftsbereich,
Gründung des Betriebs, Firmenprodukte, Beschäftigtenzahl, Maschineneinsatz oder
die Darstellung einzelner Abteilungen und die vorhandenen Ausbildungs- und
Anlernberufe. Hilfen können hierbei Dias/Bilder sein, die der Lehrer oder der Schüler
im Betrieb aufgenommen haben. Auch Tonbandmaterial kann verwendet werden,
sowie das Bild- und Textmaterial, das von den Betrieben zur Verfügung gestellt
worden ist.
Beschreiben von im Praktikum kennengelernten Berufsbildern
Auch hier bildet der Erkundungsbogen die Grundlage für die Absicherung und den
Transfer der gewonnenen Einsichten.
Die Vorstellungen von einem Berufsbild sollen überprüft und eventuell korrigiert
und ausgeweitet werden. Allerdings wird hier noch kein direkter Bezug auf die
Berufswünsche der Schüler genommen: Die Schüler sollen einige berufstypische
Tätigkeiten nennen und beschreiben. Außerdem sollen sie Aussagen über die
körperlichen, geistigen und charakterlichen Anforderungen dieses Berufs treffen
113
können. Ein weiterer Punkt ist die Verbalisierung von unterschiedlichen
Arbeitsbedingungen an verschiedenen Arbeitsplätzen. Wichtig sind auch
Kenntnisse über den Ausbildungsweg und die Weiterbildungsmöglichkeiten dieses
Berufs.
Kritische Überprüfung des eigenen Berufswunsches
Die im Betrieb gesammelten Erfahrungen sollen mit den beruflichen Anforderungen,
wie sie in Informationsblättern dargestellt waren, verglichen werden.
Zudem soll die lokale Ausbildungssituation einbezogen werden, mit dem Ziel, die
Berufswahlentscheidung zu verbessern. Falls einzelne Schüler ihren Berufswunsch
geändert haben, sollte hinterfragt werden, ob betriebsspezifische oder
berufsspezifische Gründe dafür ausschlaggebend waren.
Verbesserung der Tagesberichte
Zur Auswertung der Praktikumserfahrungen gehört auch die Verbesserung,
Ergänzung und Reinschrift der im Praktikum verlangten Tagesberichte.
Zu diesem Punkt werden kritische Stimmen laut: Gerade Hauptschüler lehnen im all-
gemeinen schriftliche Arbeiten ab und haben große Schwierigkeiten damit. Nach
einem langen Arbeitstag im Praktikum sind die Schüler nicht motiviert, Berichte zu
schreiben. Sie empfinden dies als lästige Pflicht der Rechenschaftsabgabe. Deshalb
sollten schriftliche Arbeitsaufträge im Praktikum beschränkt sein und den Schülern
möglichst Gelegenheit geben, sich zu den für sie interessanten Themen zu äußern.
Ein Vorschlag wäre hier, einen Katalog mit Aufsatzthemen zu erstellen, aus dem die
Schüler zwei wählen können (24, S.35ff).
Anfertigen einer Praktikumsmappe
Der Erkundungsbogen sollte noch einmal überarbeitet und verbessert werden. In der
Durchführungs- und Auswertungsphase gesammeltes Text- und Bildmaterial muss
ausgewählt und eingeordnet werden.
Nach Vervollständigung der Praktikumsmappe sollte jeder Schüler eine von ihm
selbst erstellte Dokumentation seines Praktikums in Händen halten [Köppl, 1986].
Einsicht in die Notwendigkeit einer gut funktionierenden Betriebsgemeinschaft
Durch Rollenspiele, Erfahrungsaustausch oder Fallstudie sollen die Schüler zur
Einsicht gelangen, dass eine harmonisierte Betriebsgemeinschaft sowohl für den
einzelnen Mitarbeiter als auch für das Funktionieren des Unternehmens notwendig
ist.
Einordnen der Erfahrungen in den betrieblichen und wirtschaftlichen
Gesamtzusammenhang
Die im Praktikum gewonnenen Einblicke in die Organisationsstruktur von Betrieben in
den unterschiedlichen Wirtschaftsbereichen bilden die Grundlage für die vertiefte
Behandlung der Themen "Funktion eines Betriebes" oder "ökonomisches Handeln,
114
ökonomisches Prinzip" im Unterricht [Studienkreis Schule - Wirtschaft, 1984, S.23;
Heegen, 1984, S.92].
Einbeziehen der Praktikumsbetriebe in den Auswertungsprozess
Im Hinblick auf eine weitere Zusammenarbeit mit den Betrieben sollten auch die
Betriebe in den Auswertungsprozess mit einbezogen werden. Der erste Punkt ist hier
ein Dankschreiben an die Unternehmen, das im Unterricht von den Schülern verfasst
wurde.
Im Allgemeinen wünschen die Betriebe auch eine Rückmeldung über den
Praktikumsverlauf und die Eindrücke, die die Schüler gewonnen haben. Hierzu
können z.B. Berichte über das Praktikum erstellt werden oder die Praktikumsmappen
an die Betriebe verschickt werden. Es bietet sich auch eine Einladung der
Betriebsvertreter zu einem Abschlussgespräch oder zu einer Ausstellung an.
Dies sind Vorschläge, die nicht zwingend eingehalten werden müssen. Allerdings
sollte man bedenken, dass jedes Jahr neue Praktikumsplätze gesucht werden
müssen und Wünsche und Vorstellungen der Lehrer umso leichter erfüllt werden, je
enger der Kontakt zu den Betrieben ist.
Weitere Maßnahmen
Es gibt noch eine Fülle von weiterführenden Maßnahmen. Im Folgenden sollen
einige Anregungen gegeben werden:
Die Schüler bereiten eine Praktikumsausstellung vor. Hier werden Werkstücke,
Berichtsmappen, Collagen, Schaubilder und Graphiken ausgestellt.
Die Schüler berichten Mitschülern der 7. Jahrgangsstufe über ihre
Praktikumserfahrungen.
Die Schüler beantworten einen Fragebogen zu ihren eigenen Erfahrungen im
Praktikum. Beispiel: "Bist du mit deinen Kollegen gut ausgekommen? Welche
Situationen waren für dich fremd?"
Die Klasse besucht ein Berufsinformationszentrum.
Der Berufsberater kommt in die Klasse (15, S.122f).
Zusammenfassung
Das Betriebspraktikum ist ein äußerst aufwendiges Unterrichtsverfahren, das
langfristig geplant werden muss. Die einzelnen Schritte des didaktischen
Strukturmodells sind eine gute Hilfe, um ein Betriebspraktikum zu planen,
durchzuführen und auszuwerten. Die Vorgehensweise des Praktikumslehrers hängt
immer von der Methoden- und Sachkompetenz der jeweiligen Klasse ab. Das
bedeutet, der Lehrer muss das bereits vorhandene Wissen und Können der Schüler
berücksichtigen: Inwieweit sind die Schüler mit Interviewtechniken vertraut? Was
wissen sie vom vorausgegangenen Stoff? usw.
Ein wichtiger Aspekt ist auch die Zusammenarbeit der Lehrer untereinander: Die
organisatorischen Maßnahmen können durch Kooperation erleichtert und effizienter
werden, wenn zum Beispiel ein reger Erfahrungsaustausch zwischen Lehrern mit
Praktikumserfahrungen stattfindet.
115
Auch auf der fächerübergreifenden Ebene kann Zusammenarbeit wertvoll sein:
Lerninhalte aus dem Betriebspraktikum können auch in anderen Fächern behandelt
werden. So kann beispielsweise im Deutschunterricht das Gesprächsverhalten der
Schüler im Betrieb trainiert werden (Wie stelle ich mich vor?). Die Praktikumsberichte
können hier verbessert oder die Interviewtechnik eingeübt werden. Im
Mathematikunterricht finden Rechenbeispiele aus der Praxis Platz. Im
Kunsterziehungs- bzw. Werkunterricht kann die Handhabung von Werkzeugen
demonstriert werden. Dies sind nur einige Beispiele für Kooperationen. Es gibt
sicherlich noch weitere Möglichkeiten zur Kooperation im Zusammenhang mit dem
Betriebspraktikum.
Betrachtet man die drei Phasen Vorbereitung, Durchführung und Auswertung dieses
Unterrichtsverfahrens, so kommt der Vorbereitung und der Auswertung des
Betriebspraktikums besondere Bedeutung zu:
In der Vorbereitungsphase müssen die Voraussetzungen für ein zielgerichtetes
Beobachten und Befragen geschaffen und die Schüler motiviert werden. Besonders
wichtig scheint mir auch, dass die Schüler soweit wie möglich in die vorbereitenden
Maßnahmen mit einbezogen werden: Sie können Fahrtwege erkunden und bei der
Beschaffung von Praktikumsplätzen mitwirken. Die Betonung liegt hier auf dem
"Selbsttätigwerden" der Schüler.
Auch in der Auswertungsphase sollten die Schüler möglichst selbständig arbeiten.
Die Nachbereitung ist besonders wichtig und notwendig, damit das Betriebspraktikum
nicht nur als Abwechslung zum Schulalltag gesehen wird, sondern damit die Schüler
über die gewonnenen Erfahrungen reflektieren und diese auch kritisch betrachten.
Bei der Durchführungsphase ist vor allem die Betreuung durch den Lehrer wichtig:
Für den Schüler ist er eine vertraute Person, Anlaufstelle in einer sonst fremden
Umgebung. Ich glaube, man darf die Neuartigkeit der Situation, in der sich der
Schüler während dem Betriebspraktikum befindet, nicht unterschätzen: Zum ersten
Mal verlassen die Schüler den Schonraum "Schule", d.h. sie müssen sich in einer
völlig fremden Umgebung, wenn auch auf Zeit, zurechtfinden. Der Lehrer muss
deshalb der Vermittler zwischen Schüler und Betrieb sein.
Ob das Betriebspraktikum den hochgesteckten Zielen gerecht werden kann und sich
der Aufwand lohnt, wird unterschiedlich beurteilt (siehe Tabelle 1).
Tabelle 1: Pro- und Contra Betriebspraktikum
Contra-Argumente
Pro-Argumente:
Berufsfindung ist nicht möglich;
Berufsorientierung ist umstritten;
Gründe:
Ausschnitthaftigkeit der
Erfahrungen;
zeitliche Begrenztheit;
Berufsfindungsgedanke ist der größte
Motivationsanreiz für die Schüler;
Berufsorientierung ist in Bayern der
dominierende Aspekt;
berufskundliche Informationen können
gesammelt werden;
116
reale Arbeitserfahrungen nicht
möglich (mangelnde Kenntnisse
und Fertigkeiten der Schüler);
der tradierte Berufsbegriff ist
überholt; Erfahrung des Betriebs
als Sozialgefüge nicht möglich, da
Schüler kein Mitglied der
betrieblichen Hierarchie;
keine Steigerung der Rationalität
bei der Berufswahlentscheidung;
Arbeitstugenden und ihre
Notwendigkeit können erfahren
werden;
potentielle Berater werden bei der
Berufswahl stärker in Anspruch
genommen;
Schüler sammeln Erfahrungen über
das Miteinander im betrieblichen
Arbeitsprozess;
Motivationssteigerung, Anregung zum
Weiterlernen;
Minderung des Praxisschocks ;
Verhaltensänderungen im sozialen
Bereich: z.B. Verständnis für die
Anspannung im Beruf, gesteigerte
Bereitschaft zur Mithilfe im Haushalt.
Vergleich Betriebspraktikum - Betriebserkundung
Betriebserkundung Betriebspraktikum
Übereinstimmung
a) Verfahren der Realbegegnung
b) Anschauungs- und Erfahrungsgrundlage (Klammerfunktion zwischen
Berufsorientierung und elementarer Wirtschaftslehre im Arbeitslehreunterricht)
c) obligatorisches Unterrichtsverfahren (7., 8. oder 9. Jgst. der Hauptschule)
d) Aspektorientierung
ökonomisch
berufskundlich
technologisch.
berufsorientierend
funktional (ökon., techn.)
sozialer Aspekt
Unterschiede
allgemeine, breite Orientierung des
Schülers in den verschiedenen
Wirtschafts- und Berufsbereichen
(Urproduktion, Handwerk, Industrie,
Dienstleistung, produzierende Berufe,
Dienstleistungsberufe, Berufe im
sozial/pflegerischen Bereich).
gezieltes Erfahren der Wirtschafts- und
Berufswelt in Form praktischen
Tätigwerdens und Beobachtens bis zu
max. 2 Wochen an Ausbildungs- bzw.
Arbeitsplätzen in einem Betrieb.
117
Literatur zum Betriebspraktikum:
Beck, Hartmut/ Ipfling, Heinz-Jürgen/ Kusper, Paul (Hrsg.): Das Betriebspraktikum
für Schüler und Lehrer. Konzepte - Erfahrungen - Arbeitshilfen. Bad Heilbrunn
1984
Feldhoff, Jürgen/ Otto, Karl A./ Simoleit, Jürgen/ Sobott, Claus: Projekt
BetriebspraktikumDüsseldorf 1985
Geiger, Friedrich/ Kunder, Hans: Betriebspraktikum für Hauptschüler. Donauwörth
21985
Platte, H. K.: Lernen vor Ort. Anleitungen, Informationen und Fakten zum
Schülerbetriebspraktikum. Bad Godesberg 1986
Schudy, Jörg: Das Betriebspraktikum. Notwendige Optimierung eines Elements
schulischer Berufsorientierung. In: Schudy, Jörg (Hrsg.): Berufsorientierung in der
Schule. Grundlagen und Praxisbeispiele. Klimkhardt. Bad Heilbrunn 2002. S. 192
ff.
KWMBL I Nr. 16/19 - Betriebspraktikum für Hauptschüler in Bayern.
118
7.7 Der Berufswahlordner/Der Berufswahlpass54
Keine klassische Methode, aber eine konkrete Möglichkeit der individuellen
Unterstützung des Berufswahlprozesses, welche in den letzten Jahren forciert durch
verschiedene Projektinitiativen vermehrt praktische Umsetzung an bayrischen
Mittelschulen findet, ist die Einführung und Betreuung eines Berufswahlordners. Der
Berufswahlordner soll der Begleitung, Organisation, Dokumentation und Reflexion
des eigenen Berufswahlprozesses dienen. Synonym wird der Berufswahlordner oft
auch als Berufswahlpass oder Schülerportfolio bezeichnet. In der praktischen
Schullandschaft gibt es eine Vielzahl unterschiedlich ausgeprägter Typen mit ganz
eigenen und an die organisatorischen Rahmenbedingungen der Schule selbst aber
auch an die Anforderungen des lokalen Wirtschaftsraumes angepassten
Schwerpunktsetzungen. Zum Berufswahlordner existieren unterschiedlichste
standardisierte Vorlagen (bspw. von der Bundesagentur für Arbeit in Kooperation mit
zwölf anderen Bundesländern entwickelt) und Veröffentlichungen, die eben dieses
bunte Spektrum an Möglichkeiten und Formen aufzeigen und entweder von der
einzelnen Schule direkt genutzt werden oder aber zur Orientierung bei der
Gestaltung eines eigenen Entwurfes dienen können. Der idealtypische
Berufswahlordner ist an einer Mittelschule für die Schülerinnen und Schüler aller
Klassen standardisiert und wird ab der siebten Jahrgangsstufe eingeführt und bis
zum Abschluss an der jeweiligen Schule im Rahmen des Unterrichts gepflegt.
Mittlerweile (seit dem Schuljahr 2010/2011) ist die Einführung eines
Berufswahlpasses bzw. -ordners von der siebten Jahrgangsstufe an verpflichtend
durch das zuständige Staatsministerium festgeschrieben.
Im Folgenden wird ein konkretes Beispiel beschrieben, welches sämtliche Merkmale
anschaulich aufzeigt, die die meisten Berufswahlordner, Schülerportfolios oder auch
Berufswahlpässe als Gemeinsamkeiten verbindet.
Ein konkretes Beispiel beschrieben von Alfred Lumpe:
„Wie sieht der Berufswahlpass aus?
Der Berufswahlpass ist ein DIN-A4-Ordner (Ringbuch) mit vier Registerblättern und
jeweils dazu gehörigen Einlegeblättern. Er wird den Schülerinnen und Schülern im
Jahrgang 7 übergeben und als Lose-Blatt-Sammlung von diesen geführt.und
ergänzt. Der Berufswahlpass geht in das Eigentum der Schülerinnen und Schüler
über. Die Lehrkräfte beraten und unterstützen die Schülerinnen und Schüler bei der
Verwendung des Berufswahlpasses. Insbesondere verdeutlichen sie die Zielsetzung
und den Nutzen der Arbeit mit dem Pass. Entscheidend ist dabei jedoch, dass den
54
aus: Lumpe, Alfred: Der Berufswahlpass. Ein Instrument zum selbstorganisierten und
eigenverantwortlichen lernen, In: Schudy 2002; S.253 ff.
119
Schülerinnen und Schülern nicht die Verantwortung genommen wird. Sie
entscheiden, wie sie mit dem Berufswahlpass arbeiten.
Der Berufswahlpass ist in drei Abschnitte gegliedert. Er enthält Informationen über
Programm der Schule zur Berufsorientierung (Teil I „Informationen“), Hinweise zur
Organisation des Berufswahlprozesses (Teil II „Mein Weg zur Berufswahl“) und
Selbstdeklarationen und Bescheinigungen über Bildungsergebnisse (Kompetenzen)
oder auch Bildungsprozesse (Teil III „Dokumentation“). Die Bescheinigungen,
ausgestellt von Bildungseinrichtungen, Unternehmen oder Vereinen können in den
Pass eingeheftet werden. Die Schülerinnen und Schüler entscheiden, welche
Bescheinigungen sie einheften und ob sie den Berufswahlpass vollständig oder Teile
davon für eine Bewerbung verwenden.
Die mitgelieferten Einlegeblätter zu den einzelnen Teilen geben Hinweise zur Arbeit
mit dem Berufswahlpass und sind als Vorschläge und Anregungen gedacht. Sie
können ausgetauscht, ergänzt oder individuell angepasst werden.
Wie funktioniert der Berufswahlpass?
Der erste Teil Informationen richtet sich an die jeweilige Schule, die den Pass
einsetzt. Die Schule erhält damit die Gelegenheit, ihr schulinternes Curriculum zur
Berufsorientierung darzustellen. Sie soll ihr Programm den Schülerinnen und
Schülern, dem Kollegium, den Eltern und den Partnern der Schule präsentieren.
Die Schule soll in diesem Teil alle Angebote zusammenstellen, die sie für ihre
Schülerinnen und Schüler bereit hält, einschließlich der Angebote externer
Kooperationspartner. Mit der Präsentation wird das Berufsorientierungskonzept
transparent und die Schülerinnen und Schüler erhalten erforderliche Information, um
selbstbestimmt ihren Weg in die Berufswelt gestalten zu können.
In der Übersicht sollen die Angebote zur Berufsorientierung von Jahrgang 7 bis
Jahrgang 9 bzw. 10 dargestellt und erläutert werden. Sie soll Hinweise auf
Beratungsangebote zur Erstellung besonderer Lernleistungen oder zusätzliche
Kursangebote enthalten und die Adressen der Ansprechpartner zur
Berufsorientierung innerhalb und außerhalb der Schule enthalten.
Beabsichtigte Effekte:
Schule präsentiert ihr schulisches Curriculum,
Transparenz über das schulische Angebot zur Berufsorientierung für Lehrende
und Lernende, Unterstützung für fächerübergreifende Absprache und
Zusammenarbeit,
Entscheidungsgrundlage für die langfristige Planung der
Kooperationspartnerschaften,
Motivation für die Schule, ihr Berufsorientierungscurriculum kontinuierlich
weiterzuentwickeln und Unterstützung für den Erfahrungsaustausch mit anderen
Schulen,
Information der Öffentlichkeit (insbesondere für Eltern, Unternehmen, andere
Schulen, Kooperationspartner)
120
Der zweite Teil Mein Weg zur Berufswahl soll als Kernbereich des Berufswahlpasses
die Schülerinnen und Schüler zur individuellen Lernplanung motivieren und sie dabei
unterstützen, das eigene Lernen erfolgreich zu organisieren. Die Vorlagen zur
Klärung des Selbstbildes oder zur Bestimmung der eigenen Stärken z.B. weisen auf
wichtige Teilschritte hin und sind Beispiele für die Umsetzung dieser Schritte. Mit
Hilfe von Übersichten, Planungsrastern, Checklisten und Hinweisen zur Organisation
des Orientierungsprozesses werden selbstgesteuertes Lernen und
eigenverantwortliche Klärung der Interessen, Stärken und Ziele gefördert.
Beabsichtigte Effekte:
Stärkung der Eigenverantwortung und der Eigeninitiative,
Unterstützung bei der Bestimmung der eigenen Interessen und Fähigkeiten,
der Entwicklung der beruflichen Ziele, der Reflexion des Selbstbildes und der
Auseinandersetzung mit den jeweiligen Eigen- und Fremdwahrnehmungen,
Wahrnehmung der Veränderung bzw. des Entwicklungsprozesses vom
Traumberuf über den Wunschberuf bis zum Startberuf,
Unterstützung bei der strukturierten Planung und Reflexion des
Orientierungsprozesses, des selbstgesteuerten Lernens und der
eigenverantwortlichen Auswertung der jeweiligen Zielerreichungen.
Im dritten Teil Dokumentation können die Lernergebnisse dokumentiert werden. Den
Schülerinnen und Schülern wird empfohlen, ein Verzeichnis der persönlichen
Arbeiten zu erstellen. Damit werden sie aufgefordert, ihre schulischen und
außerschulischen Arbeiten als einen Beitrag zu ihrer beruflichen Orientierung
wahrzunehmen. Sie sollen die Ergebnisse ihrer Unterrichtsarbeit auswerten und
diejenigen dokumentieren, mit denen aus ihrer Sicht im Hinblick auf eine
Berufsausbildung besodners bedeutsame Kompetenzen ausgewiesen werden
können. Das können Berichte über bestimmte Projektwochen oder aus dem
Fachunterricht sein oder auch Erfahrungsberichte aus Urlaubsreisen. Die
Schülerinnen und Schüler beschreiben darin Arbeiten, die sie als besonders wichtig
für die Entwicklung ihrer Orientierungskompetenz herausstellen wollen und
benennen die Kompetenzen, die sie dabei erworben haben. Einen besonderen
Bereich nehmen dabei die Sprachkenntnisse ein. Für die Erfassung der
Fremdsprachenkenntnisse liegt ein entsprechendes Übersichtsblatt bei. Mit der
Erstellung dieses Verzeichnisses sollen die Schülerinnen und Schüler sensibilisiert
werden, die im Unterricht wie auch im Rahmen des informellen Lernens erworbenen
Fähigkeiten und Kompetenzen wahrzunehmen und in die Berufswegplanung
einzubeziehen.
Darüber hinaus werden die Schülerinnen und Schüler aufgefordert, erworbene
Kenntnisse und Fähigkeiten durch Dritte bescheinigen zu lassen. Entsprechende
Mustervorlagen sind enthalten. Die Bescheinigungen und Zertifikate sollen in das
Verzeichnis der Bescheinigungen und Zertifikate aufgenommen und geordnet
werden. Für eine spätere Bewerbung stehen dann alle Unterlagen gesammelt zur
Verfügung. Neben den Bescheinigungen über die Teilnahme an Programmen zur
121
Berufsorientierung und Berufswahl im engeren Sinne (Bescheinigungen über das
Praktikum und die dabei erworbenen Kompetenzen) sollen hier auch
Bescheinigungen oder Zertifikate aufgenommen werden, die besondere
Kompetenzen und verstärktes Engagement dokumentieren (z.B. Klassen- oder
Schulsprecherin bzw. –sprecher, Teilnahme am Erste-Hilfe-Kurs oder an
Volkshochschulkursen, Ausbildung als Streitschlichterin bzw. –schlichter, Mitarbeit in
der Schülerzeitung oder in gemeinnützigen Projekten, Trainerlizenzen u. dgl.).
Darüber hinaus enthält die Dokumentation auch eine Vorlage zur Selbstbewertung.
Mit dieser Aufforderung sollen Schülerinnen und Schüler ihre Leistungen selbst
einschätzen und bewerten. Die Selbstbewertung soll einerseits dazu beitragen, die
Entwicklung der Kompetenzen wahrzunehmen. Andererseits soll die Bewertung der
Erkenntnisfortschritte die Qualität der Lernprozesse verbessern.
Beabsichtigte Effekte:
Dokumentation des individuellen Bildungsganges und des Prozesscharakters
der Berufsorientierung,
Wahrnehmung der Bedeutung der individuellen Lernleistungen, der schulisch
und außerschulisch erworbenen Kompetenzen für den Übergang ins
Berufsleben,
Unterstützung beim zielgerichteten Umgang mit Bescheinigungen, Zertifikaten
und Dokumentationen,
Anerkennung des informellen Lernens und Förderung des Kompetenzerwerbs
durch informelles Lernen,
Sammlung und Dokumentation der für den Übergang in den Beruf relevanten
Unterlagen.
Was bringt der Berufswahlpass?
Der Berufswahlpass richtet sich vor allem an die Schülerinnen und Schüler. Der
Aufbau und die Verwendung des Berufswahlpasses bringt jedoch auch Vorteile für
die Schule, die Berufsberatung, potentielle Ausbildungsbetriebe, weiterführende
Bildungseinrichtungen und zukünftige Arbeitgeber. Weil mit dem Berufswahlpass
eine Dokumentation des individuellen Orientierungsweges, der Entwicklung der
individuellen Stärken und Potenziale vorgelegt und der Prozess
Entscheidungsfindung für eine Berufsausbildung nachvollzogen werden kann,
erleichtert der Berufswahlpass die Beratungsaktivitäten an vielen Stellen.
Für die Schülerinnen und Schüler bringt der Berufswahlpass Vorteile, weil sie mit
dem Pass unterstützt werden, ihre Orientierungsschritte zielgerichtet zu planen und
zu steuern. Er unterstützt die individuelle Lernplanung und die Übernahme der
Eigenverantwortung. Die Schülerinnen und Schüler wissen durch den
Berufswahlpass in übersichtlicher Form, welche Wege und Alternativen ihnen die
Schule bietet, wo sie Unterstützung und Hilfen erhalten und welche Prozesse sie
initiieren müssen, um erfolgreich den richtigen Anschluss zu finden. Wenn sie sich
die Teilnahme an Bildungsveranstaltungen oder anderen Veranstaltungen, die für
122
ihren Berufsweg wichtig sind, bescheinigen lassen, verfügen sie mit der Zeit über
einen vollständigen Überblick über die Bildungsleistungen in diesem Bereich. Sie
können sich auch Leistungen in Kursen oder Praktika bestätigen lassen, die im
Zeugnis nicht enthalten sind. Und sie können alle zusätzlich erbrachten Leistungen
aufnehmen (Neigungskurse, soziales Engagement), die sie aufgrund besonderer
Lebensumstände erworben haben. Wer z.B. zweisprachig aufwächst oder über
Erfahrungen in verschiedenen Kulturen verfügt, kann die damit
zusammenhängenden, aber oftmals nicht wahrgenommenen Stärken und
Fähigkeiten positiv ausweisen.
Im Berufswahlpass wird die eigene Lerngeschichte transparent. Die Wahrnehmung
der Veränderungen unterstützt das Weiterlernen. Denn wer sieht, wie er sich
verändert hat, stellt sich auch eher die Frage, ob die Richtung der Entwicklung
stimmt oder neuer Lernbedarf besteht.
Für die Schule bringt der Berufswahlpass Vorteile, weil sie umfassend ihr Programm
zur Berufsorientierung ab Jahrgang 7 darstellen, Kontaktpersonen und
Ansprechpartner innerhalb und außerhalb der Schule vorstellen und Unternehmen
und Institutionen auflisten kann, mit denen sie im Rahmen der Berufsorientierung
zusammen-arbeitet. Sie schafft damit Voraussetzungen für Vernetzung nach innen
und außen und erleichtert es den Kollegium, den Eltern und den externen Partnern,
die Aufgaben der Berufsorientierung gemeinsam umzusetzen. Mit dem
Berufswahlpass wird die Bedeutung der Berufsorientierung in der Wahrnehmung der
Schülerinnen und Schüler sowie der Lehrerinnen und Lehrer, der Schule insgesamt
und der Eltern gestärkt. Darüber hinaus ist der Berufswahlpass auch ein
Werbeinstrument für die Schule, mit dem sie auf ihre Besonderheiten aufmerksam
machen kann.
Für die Berufsberatung bringt der Berufswahlpass ebenfalls Vorteile. Die für die
Planung des Übergangs in die Berufswelt relevanten Informationen liegen
gesammelt vor und können für die Beratungsgespräche herangezogen werden. Die
Ergebnisse der jeweiligen Beratung, entwickelte Potenzialprofile und Verabredungen
über die nächsten Schritte können im Berufswahlpass festgehalten werden. Diese
Informationen in der Hand der Schülerinnen und Schüler strukturieren nicht nur den
eigenverantwortlich zu organisierenden Prozess. Sie sind auch wichtige
Zusatzinformation für die Beratungsleistungen der Lehrerinnen und Lehrer. Der
Berufswahlpass kann somit auch zur Abstimmung der Berufsberatung durch das
Arbeitsamt und durch die Schule beitragen und die Beratungsqualität erhöhen.
Der Berufswahlpass bringt für den Ausbildungsbetrieb und für künftige Arbeitgeber
Vorteile. Der Berufswahlpass macht den Prozess der Berufsorientierung transparent,
informiert die Abnehmer über den Weg der Kompetenzentwicklung und die
Kompetenzbreite sowie über den Stand der Berufswahlentscheidung. Die
Bescheinigungen der Betriebe über die Praktika oder Ferienjobs bieten neben den
Zeugnissen der Schule zusätzliche Entscheidungsgrundlagen. Schulabsolventinnen
123
und –absolventen und Ausbildungsbetriebe können informationsreicher den Einstieg
ins Berufsleben beurteilen und gegebenenfalls Fehlentscheidungen rechtzeitig
vorbeugen.
Auch für weiterführende Bildungseinrichtungen bringt der Berufswahlpass Vorteile.
Sie erhalten einen besseren Überblick über die individuellen Bildungsinteressen und
die Vorleistungen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer und können ihre
Bildungsangebote darauf hin abstimmen. Wenn die Schülerinnen und Schüler mit
dem Berufswahlpass in ihrer Bereitschaft unterstützt werden können, sich auch nach
Beendigung von Schule und Ausbildung zielgerichtet weiterzubilden, wird die
Nachfrage nach Bildungsangeboten auch insgesamt steigen.“55
Literatur zum Berufswahlpass bzw. dem Berufswahlordner:
Lumpe, Alfred: Der Berufswahlpass. Ein Instrument zum selbstorganisierten und
eigenverantwortlichen lernen, In: Schudy 2002; S.255 bis 260.
http://www.berufswahlpass.de
http://www.planet-beruf.de/Dein-Berufswahlordne.13783.0.html
55
aus: Lumpe, Alfred: Der Berufswahlpass. Ein Instrument zum selbstorganisierten und
eigenverantwortlichen lernen, In: Schudy 2002; S.255 bis 260
124
7.8 Das Projekt (z.B. Schülerfirma)
Kaiser und Kaminski definieren die Projektmethode als eine Unterrichtsform, „die
getragen von einer Sichtweise des Unterrichts, bei der von einem zunehmend
gleichberechtigten Rollenverständnis von Lehrenden und Lernenden ausgegangen
wird und die Projektgruppe im Sinne einer gemeinsamen Zielsetzung ihre Lern- und
Arbeitsschritte gemeinsam plant, durchführt und reflektiert.“56 Die klassische Form
des handlungsorientierten Unterrichts ist durch eine Reihe von Merkmalen
gekennzeichnet. Wenn nur einige dieser Merkmale auf den Unterricht zutreffen,
spricht man vom projektorientierten Unterricht.
Merkmale
Die folgenden Merkmale wurden von Gudjons57 zusammengetragen und liefern eine
ausführliche Beschreibung von Projekten. Manche Autoren fassen einzelne
Positionen zusammen, stimmen aber inhaltlich mit Gudjons größtenteils überein.
Situationsbezug
Die Lerninhalte werden nicht fachsystematisch sondern aufgabenbezogen
ausgewählt. Maßgeblich ist ihrer Bedeutung für die Lösung der Aufgabe, so wie sie
die SchülerInnen in der Wirklichkeit erleben.
Orientierung an den Interessen der Beteiligten
Die Aufgabenstellung soll aus dem aktuellen oder zukünftigen Leben der
SchülerInnen entnommen sein und von den SchülerInnen als bedeutsam anerkannt
werden. Die SchülerInnen sollen das Thema mit auswählen und während der
Bearbeitung gegebenenfalls flexibel verändern können, um eine hohe Motivation zu
erreichen.
Gesellschaftliche Praxisrelevanz
Das Ergebnis dient nicht ausschließlich den Interessen der SchülerInnen, sondern
auch der Gesellschaft als Ganzes. Gesellschaftliche Ziele und Wertvorstellungen
dienen als Korrektiv zu willkürlichen Schülerentscheidungen und fördern den
Ernstcharakter. Die Aussicht auf öffentliche Anerkennung steigert die Motivation.
Zielgerichtete Projektplanung
Die Aufgabe liefert das Ziel, die Erfolgskriterien und den Beurteilungsmaßstab. Die
SchülerInnen planen Arbeitsschritte und prüfen alle auftretenden Entscheidungen
anhand dieser Vorgaben.
56
F.-J. Kaiser, H. Kaminski: Die Projektmethode. In: Methodik des Ökonomieunterrichts. Klinkhardt,
Heilbrunn, 1994, S. 267 57
Herbert Gudjons: Handlungsorientiert lehren und lernen. 4. Aufl., Klinkhardt, Bad Heibrunn, 1994
125
Selbstorganisation und Selbstverantwortung
Die SchülerInnen sollen möglichst viele Entscheidungen selbst treffen. Besonders bei
organisatorischen Entscheidungen innerhalb eines Projekts mit klaren
Erfolgskriterien können die Folgen einzelner Entscheidungen schnell von den
Schülern selbst erkannt und gegebenenfalls korrigiert werden. Die Verantwortung für
den Erfolg oder Misserfolg übernehmen die SchülerInnen nur bei selbsttätigen
Entscheidungen.
Einbeziehen vieler Sinne
Natürliche Handlungen beziehen viele Sinne ein und verursachen nachhaltige
Eindrücke, die das Behalten fördern. Wenn, wie bei Projektarbeit, sich geistige und
manuelle Arbeit notwendigerweise ergänzen, wird der ganze Mensch gefordert und
einseitige Belastung und Ermüdung reduziert.
Soziales Lernen
Die gemeinsame Zielsetzung führt in den Gruppen zur Kommunikation zwischen den
Schülern und dem Lehrer. Effektive Verhaltensweisen, wie demokratische
Verkehrsformen, unterstützen erkennbar den Informationsaustausch, die
Entscheidungsfindung und die Produktivität. Sie lernen kooperativ Konflikte zu lösen.
Produktorientiertheit
„Am Ende des Projektunterrichts stehen nicht wie im herkömmlichen Unterricht ein
mit theoretischem Wissen überfrachteter Schüler, sondern es stehen Ergebnisse, die
Gebrauchs- und Mitteilungswert haben.“58 Vordergründig dienen die Produkte als
Grundlage für die Beurteilung der Leistung durch die Schüler selbst, den Lehrer und
die Öffentlichkeit. Für den Lehrer ist aber oft der Weg zum Produkt letztendlich
ausschlaggebend. Als Produkte eignen sich
Aktions- und Kooperationsprodukte ( z.B. Hilfe für Katastrophengebiete)
Vorführungs- und Veranstaltungsprodukte (z.B. Theatervorführung)
Dokumentationsprodukte (z.B. Broschüre)
Ausstellungsprodukte (z.B. Wanderausstellung)
Gestaltungsprodukte (z.B. Schulhof, Klassenzimmer)
Interdisziplinarität
Durch den Systembezug sind die Lerninhalte des Projekts meist verschieden
Schulfächern zugeordnet. Aus den einzelnen Fächern werden die benötigten
Informationen mit einbezogen, idealerweise arbeiten die „Fach“-Lehrer mit. Auf diese
Weise kann das Projekt Impulse für viele Fächer liefern und vertiefende
Überlegungen anregen.
58
Ludwig Duncker, Götz, Bernd: Projektunterricht als Beitrag zur inneren Schulreform. 2. Aufl.,
Langenau Ulm ,1984, S. 139
126
Die Rolle des Lehrers
„Der Lehrer lenkt und leitet das Planen. Er greift ein, wenn Schüler Hilfe
brauchen.“[Frey, 1990, S. 182]59 Je nach Übungs- und Kenntnisstand der
SchülerInnen beteiligt sich der Lehrer ordnend und helfend an den Arbeiten. Durch
seine umfassenderen Kenntnisse und Fähigkeiten (Vorbereitung!) behält er den
Überblick und kann Fehlentwicklungen gegebenenfalls verhindern.
Ziele
Neben inhaltlichen Zielen stehen bei Projektarbeit vor allem Schlüsselqualifikationen
im Vordergrund. Durch handlungsorientiertes, problemlösendes Verhalten
verbessern die SchülerInnen effektiv ihre Handlungs- und Entscheidungskompetenz.
Im Hinblick auf die zukünftige berufliche Tätigkeit sind drei Ziele hervorzuheben:
1. „Im Rahmen der Projektarbeit sollen die Schüler insbesondere Fähigkeiten und
Fertigkeiten erwerben, die von ihnen als zukünftiger Facharbeiter verlangt
werden.
2. Durch die Projektarbeit sollen extrafunktionale Qualifikationen wie
Problemlösungsfähigkeit, Teamfähigkeit, Denklebendigkeit,
Kommunikationsfähigkeit, Planungsfähigkeit, Kreativität, Kritikfähigkeit und
Verantwortungsbewusstsein gefördert werden, die für die Bewältigung der
beruflichen Aufgaben an Bedeutung zunehmen. Dies wird erreicht durch die
Grundforderung der Projektarbeit, dass die Projektgruppen ihre Arbeit so weit wie
möglich selbständig und eigenverantwortlich planen und ausführen.
3. Überall dort wo schulisches Lernen in Routinearbeit zu erstarren droht, soll die
Projektarbeit diese durch besondere Aufgabenstellungen und Vorhaben
durchbrechen und Arbeit initiieren, die von den Jugendlichen besondere
Denkanstrengungen, Kreativität, Phantasie und Eigeninitiative verlangen.“60
Im Hauptschullehrplan sind folgende Projekte verbindlich vorgeschrieben:
7. Jgst. Schüler arbeiten und wirtschaften für einen Markt (LZ 7.3)
8. Jgst. Schüler stellen mit technischen Verfahren Produkte für einen Markt
her (LZ 8.2)
9. Jgst. Wohnen – Wunsch und Wirklichkeit oder Schüler testen
Dienstleistungen oder Waren (LZ 9.3/ 9.4)
(freiwillig ist die Durchführung eines Projekts in der 5. Klasse für LZ 5.2.2
Werbung für Markenprodukte entwerfen)
59
Karl Frey: Die Projektmethode. 3. Aufl., Weinheim Basel, 1980 60
F.-J. Kaiser, H. Kaminski: Die Projektmethode. In: Methodik des Ökonomieunterrichts. Klinkhardt,
Heilbrunn, 1994, S. 271 f
127
Durchführung
Die vier klassischen Projektschritte Zielsetzung - Planung - Ausführung - Beurteilung
erweitern Kaiser u.a. auf einen 5-stufigen Ablaufplan (s. Bild 1). Eingebaute
„Fixpunkte“ sollen Teilabschnitte während des Projekts markieren, bei denen die
bisherigen Ergebnisse vorgestellt, überprüft und evtl. korrigiert werden und sich die
Gruppen neu abstimmen lassen. „Meta-Interaktionen“ (Zwischengespräche)
innerhalb einzelner Gruppen helfen auftretende soziale oder inhaltliche Probleme
(Streit, Mutlosigkeit) zu überwinden.
128
Bild 1: Verlaufsstruktur der Projektmethode61
61
Kaiser, Brettschneider, Flottmann: , 1993, S. 136
3. Projektplan
Hier sind die konkreten Pläne zu schmieden. Was soll
tatsächlich von wem in welcher Form und Zeit angepackt
werden?
1. Projektinitiative
Betätigungsvorschlag - inhaltlich noch nicht mehr als höchstens
skizziert. Kann von einem Außenstehenden, einem Mitglied der
Lerngruppe, dem Lehrer kommen.
2. Auseinandersetzung mit der Initiative
Verwerfen oder Aufgreifen der Initiative innerhalb
eines zuvor vereinbarten Zeitrahmens. Skizzierung
möglicher Inhalte und Tätigkeiten.
5. Abschluss des Projektes
Je nach Gegenstand des Projekts:
• Abschluss durch eine Aufführung, Ausstellung o. ä.
• es kann auslaufen
• es kann bereichernd in den Alltag münden (z.B. Wenn das Projekt eine Änderung des Sozialverhaltens zum Gegenstand hatte)
• es kann durch eine Rückkopplung mit der Initiative beendet werden, etwa durch den Vergleich der erworbenen mit den zuvor vorhandenen Fähigkeiten
4. Projektdurchführung
Die zuvor geplanten
Schritte sind nun
‚aufzuarbeiten‘. Dabei
können, bzw. müssen
im Laufe der
Durchführung je nach
Bedarf die
nebenstehenden
Zwischenschritte
eingebaut werden.
4.1 Fixpunkt
Er dient dazu, Teilergebnisse
vorzustellen und
abzustimmen, den Zeitverlauf
zu überprüfen, ggf.
Revisionen vorzunehmen
usw. 4.2 Zwischengespräch
Hier sollen Fragen der
Zusammenarbeit der Gruppe,
auftretende und
unvorhersehbare Probleme
des Umgangs miteinander
geklärt werden.
2. Auseinandersetzung mit der Initiative
Verwerfen oder Aufgreifen der Initiative innerhalb einer zuvor
vereinbarten Zeitspanne. Skizzierung möglicher Inhalte und
Tätigkeiten. (Ideensammlung)
Nach Kaiser/ Brettschneider/ Flottmann 1993, S. 136
129
Beurteilung projektorientierten Arbeitens
Neben den abfragbaren kognitiven Lerninhalten kann auch die Handlungs- und
Entscheidungskompetenz einzelner SchülerInnen beurteilt werden. Probleme
bereitet hier
die individuelle Bewertung, da die Schüler meist in Gruppen arbeiten und
aufgrund der Aufgabenstellung das gemeinsame Produkt im Vordergrund steht,
das die individuelle Leistung oft nicht mehr erkennen lässt;
die Wirkung der Beurteilung auf die Motivation einzelner SchülerInnen, da der
Freiraum wieder eingegrenzt wird;
der möglicher Leistungsdruck, der kontraproduktiv zu sozialem Lernen stehen
kann und
fehlende Standardisierung und Grundlegung der Beurteilung von Handlungs- und
Entscheidungs-kompetenzen im Unterricht und in den Zeugnissen.
Um die Methoden-, Sach- und Sozialkompetenz zu beurteilen, müssen die
Bewertungsmerkmale dem Schüleralter, der Schülerpersönlichkeit und den
schulischen Anforderungen des einzelnen Projektes entsprechen. Bild 2 zeigt ein
Beispiel eines Beurteilungsbogens, bei dem den einzelnen Projektphasen
Bewertungskriterien zugeordnet sind. Die Bewertung muss mit den SchülerInnen
abgesprochen werden und sollte nur bei größeren Projekten, die länger als zwei
Wochen dauern, angewandt werden.
Lehrkraft, Eltern und SchülerInnen erhalten mit Hilfe dieser Bögen eine Rückmeldung
über die Stärken und Schwächen des Schülers bzw. der Schülerin während des
gesamten Projektverlaufs.
Literatur zum Projekt:
Franz-Josef Kaiser, Hans Kaminski, Methoden des Ökonomieunterrichts, Bad
Heilbrunn 1994
Herbert Gudjons: Handlungsorientiert lehren und lernen. 4. Auflage. Bad
Heilbrunn 1994
Karl Frey: Die Projektmethode. 3. Auflage. Weinheim, Basel 1990
Dagmar Hänsel, Müller. H.: Das Projektbuch Sekundarstufe. Weinheim 1988
Roland Dörfler, Andreas Gmelch: Praxis 7 Arbeit – Wirtschaft – Technik,
Lehrerband mit Kopiervorlagen. Westermann. Braunschweig 2005.
130
Beurteilungsbogen für den Projektunterricht
Name, Vorname: Projekt
Beurteilungszeitraum: bis Klasse
Beurteilungsmerkmal Merkmalsausprägung (zutreffende
Punktzahl einrahmen)
Informieren alle Informationen werden selbständig besorgt
wesentliche Informationen werden alleine
erarbeitet
Schwierigkeiten bei der
Informationsbeschaffung
selbständige Informationsbeschaffung fehlt
3
2
1
0
Hinweise:
Planen, Entscheiden plant systematisch und zielorientiert
plant meist zielorientiert
verliert häufig den Überblick
Planung fehlt
3
2
1
0
Hinweise:
Ausführen hält sich an die geplanten Arbeitsschritte und
arbeitet zügig (auch schriftlich)
hält sich im allgemeinen an die geplanten
Arbeitsschritte
benötigt noch zusätzliche Anweisungen
benötigt durchwegs Hilfestellungen
3
2
1
0
Hinweise:
Qualität, Kontrolle Arbeitsergebnis entspricht voll den
Anforderungen; Arbeit wird selbständig überprüft
Arbeitsergebnis entspricht den Anforderungen
Anlass zu Beanstandungen
Ergebnis entspricht nicht den Anforderungen
3
2
1
0
Hinweise:
Arbeitsstil, Teamarbeit bleibt bei der Sache, arbeitet mit anderen gut
zusammen, argumentiert überzeugend
bleibt meist bei der Sache, arbeitet mit anderen
zusammen
bleibt noch nicht beständig bei der Sache
zu leicht ablenkbar, keine Teamarbeit
3
2
1
0
Hinweise:
Präsentation verbal und optisch (Medien) gut verständlich
und kritisch präsentiert
Wesentliches gut verständlich vorgestellt
131
die Arbeit wird nur in Teilbereichen vorgestellt
Präsentation fehlt
Hinweise:
Datum Gesamtpunktzahl Not
e
Bild 2: Beispiel eines Beurteilungsbogens für den Projektunterricht62
62
Innovative Formen des Lehrens und Lernens. - Handreichung - . Hrsg: Studienkreis Schule-
Wirtschaft Bayern. Schriftenreihe des bbw Band 23. München 1993, S. 37
132
8. Diagnoseinstrumente zur beruflichen Orientierung63
Während bei manchen psychologisch-diagnostischen Instrumenten die Auswahl
passender Personen für einen bestimmten Ausbildungs- oder auch Arbeitsplatz aus
einer Menge von Bewerberinnen und Bewerbern im Vordergrund steht, haben
andere die Unterstützung der eigenen beruflichen Orientierung zum Ziel. Bei
Instrumenten mit der Aufgabe der beruflichen Orientierung soll „aus der Analyse von
Kompetenzen, Potentialen und Interessen ein individuelles persönliches Profil erstellt
werden, das eine Zuordnung zu möglichen Berufen oder Berufsfeldern erlaubt“
(Thomas & Zoelch 2010: S.161). Hier lassen sich grundsätzlich zwei Verfahren
unterscheiden:
- Instrumente zur Beschreibung der berufsbezogenen Interessen
- Instrumente zur Bilanzierung bzw. Darstellung von Kompetenzen
Beide geben dem Individuum Rückmeldung und sollen der Orientierung des
Einzelnen dienen indem sie den Berufswahlprozess stützen. Bereitgehalten und zur
Verfügung gestellt oder direkt genutzt werden derlei Instrumente von
unterschiedlichen Anbietern (bspw. von Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbänden,
Krankenkassen, Kammern und den Arbeitsagenturen). Oftmals finden Verfahren zur
Ermittlung und Bilanzierung berufsbezogener Kompetenzen und Interessen im
Rahmen größerer Projekte zur Berufsorientierung Anwendung und werden oft auch
synonym als „Potenzialanalyse“ benannt.
Im Folgenden sind Auszüge aus einem Aufsatz von Joachim Thomas und Christof
Zoelch zu lesen, welche die beiden Verfahren zur beruflichen Orientierung
grundsätzlich darstellen:
„Verfahren zur Beschreibung berufsbezogener Interessen
Welche Rolle spielen Interessenstests? Für Auswahlentscheidungen sind
Interessenstests offensichtlich nicht geeignet. Umso wichtiger ist die Erfassung
beruflicher Interessen bei der beruflichen Orientierung. Das Grundprinzip dieser
Verfahren besteht darin, berufstypische Tätigkeiten bewerten zu lassen, um aus den
so gewonnenen Tätigkeitspräferenzen Rückschlüsse auf geeignete Berufe zu
ziehen. Dabei sollen die Verfahren Selbsterkenntnis über die Interessen schaffen,
Berufsalternativen aufzeigen indem Interessen mit spezifischen Berufsbildern
verknüpft werden (Jungo 2008).
63
alles in Anlehnung an: Thomas, Joachim; Zoelch, Christopf (2010): Psychologische Diagnostik im
Übergang von der Hauptschule zum Beruf; S.161 bis 162. In: Köck u.a. (Hrsg.): Übergänge von der
Schule in Ausbildung, Studium und Beruf. Voraussetzungen und Hilfestellungen. Klinkhardt. Bad
Heilbrunn 2010. S. 151 ff.
133
Stellvertretend für diese Ansätze soll im Folgenden der Fragebogen „Allgemeiner
Interessen-Struktur-Test (AIST-R, Bergmann / Eder 2005) beschrieben werden. Der
Test beruht auf dem Person-Umwelt-Modell von Holland, das sechs Interessentypen
voneinander unterscheidet. Die Probanden beantworten insgesamt 60 Fragen nach
spezifischen Tätigkeitspräferenzen. Das Testergebnis ist ein Profil auf den sechs
Dimensionen praktisch-technische Interessen (R: realistic), intellektuell-forschende
Interessen (I: investigative), künstlerisch-sprachliche Interessen (A: artistic), soziale
Interessen (S: social), unternehmerische Interessen (E: enterprising) und
konventionelle Interessen (C: conventional) [basierend]. Eine Liste mit insgesamt 950
Berufen, die nach den jeweils drei stärksten Dimensionen geordnet ist, erlaubt den
Vergleich des individuellen Interessensprofils mit den zum Profil passenden Berufen.
Ähnlich aufgebaut wie der AIST ist das Computerprogramm EXPLORIX (Jörin et al.
2003), das eine selbstgesteuerte Berufsorientierung erlaubt.
Für das AC typische verhaltensbezogene Aufgaben, aber auch psychometrische
Testverfahren kommen in dem Assessment-Center-Verfahren Profil-AC, das von
dem Berufsbildungswerk CJD Offenburg entwickelt wurde, zur Anwendung (www.cjd-
offenburg.de). Das Verfahren, das zunächst für Personengruppen mit Förderbedarf
konstruiert wurde, ist auch in Schulen anwendbar und macht Aussagen zu den
folgenden Kompetenzbereichen:
Potential (Intelligenz, Arbeitstempo)
Persönliches Wertesystem
Methodenkompetenz (z.B. Zielorientierung, Planungsfähigkeit)
Kulturtechnische Kompetenz (Sprache, Schrift, Zahlen und PC)
Fach- und Sachkompetenz (u.a. Sorgfalt in berufsspezifischen
Arbeitsaufgaben)
Sozialkompetenz (Kommunikations- und Teamfährigkeit)
Selbstkompetenz (Selbsteinschätzung, Flexibilität).
Das Gesamtergebnis führt zu einer Aussage über die Handlungskompetenz. Die
Darstellung der Stärken und Schwächen [der Teilnehmerin bzw.] des Teilnehmers in
einem Profil bildet die Grundlage für eine Beratung zur beruflichen Orientierung.
Das Profil AC ist ein aufwendiges Verfahren. Für die Durchführung ist ein Zeitrahmen
von zwei Tagen anzusetzen. Da auch psychodiagnostische Verfahren wie z.B.
Intelligenztests zum Einsatz kommen, sind die Anforderungen an die Durchführenden
entsprechend groß. Für den schulischen Bereich ist es sinnvoll, dass hier
entsprechend qualifizierte Fachleute (Schulpsychologen, Beratungslehrer) mitwirken.
Das Ergebnis ist aber eine sehr differenzierte Standortbestimmung der [Schülerinnen
und] Schüler.
Kompetenzbilanzierung durch Kompetenzinventare
Weniger aufwendig und eine gute Hilfe zum Zugang zu den eigenen Kompetenzen
stellen sog. „Kompetenzinventare“ dar, bei denen die Jugendlichen unter Führung
134
Stärken und Neigungen identifizieren und für eine berufliche Orientierung nutzen. Im
Gegensatz zu den vorher beschriebenen Verfahren, geht es bei den Methoden der
Kompetenzbilanzierung nicht um die möglichst objektive Bewertung von
Kompetenzen durch Dritte, sondern um eine methodengeleitete Selbsterkenntnis der
in der Vergangenheit erworbenen eigenen Kompetenzen. Die Personen, die die
Jugendlichen in der Verwendung des Verfahrens anleiten, sind dementsprechend
auch nicht in einer Prüfer- sondern in einer Beraterrolle. Ein gutes Beispiel für diesen
Ansatz stellt der „Profilpass für junge Menschen“ dar. (Deutsches Institut für
Erwachsenenbildung (DIE); Institut für Entwicklungsplanung und Strukturforschung
(ies) 2007). Der Profilpass wurde im Rahmen des Projektes „Weiterbildungspass mit
Zertifizierung“ zunächst in einer Version für Erwachsene (Profilpass) im Auftrag der
Bundesländer Rheinland-Pfalz und Saarland entwickelt und schließlich für
Jugendliche und junge Erwachsene vor einer beruflichen Erstausbildung adaptiert.
Die Version „Profilpass für junge Menschen“ ist für Jugendliche und junge
Erwachsene ab dem Alter von 14 Jahren geeignet. Die Nutzung des Verfahrens
geschieht unter Anleitung entsprechend geschulter Berater. Ein Angebot
entsprechende Weiterbildungsveranstaltungen (z.B. für Pädagogen, Lehrer) ist
verfügbar (www.profilpass.de). Die Grundsätze des Verfahrens werden von den
Herausgebern wie folgt beschrieben:
1. Der Profilpass ist ein Instrument der Selbstexploration von Fähigkeiten und
Kompetenzen und stärkt die Dialogfähigkeit.
2. Er unterstützt die individuelle Reflexion, Bilanzierung und Gestaltung der
Bildungs-, Lern- und Tätigkeitsbiographie.
3. Die Sichtbarmachung und Bilanzierung von Kompetenzen werden durch
professionelle Beratung begleitet.
Der Profilpass für junge Menschen gliedert sich in vier Teile. Zunächst betrachten
die Teilnehmer ihre Biografie. Dies gilt für Familie, Freizeit und Schule ebenso wie
für Erfahrungen mit Praktika, Ausbildung und Jobs. Ausgehend von den
Aktivitäten dient der zweite Abschnitt der Identifikation eigener Stärken. Dieser
Prozess ist besonders für Jugendliche von Bedeutung, die in der Vergangenheit
viele Misserfolge erlebt haben. Im dritten Teil geht es – aufbauend auf dem
Stärkenprofil – um die Entwicklung eigener Ziele. Der letzte Teil dient der
Sammlung von Kompetenznachweisen (Zeugnisse, Urkunden…)“ (Thomas &
Zoelch 201064: S.161 bis 162).
64
Thomas, Joachim; Zoelch, Christopf (2010): Psychologische Diagnostik im Übergang von der
Hauptschule zum Beruf; S.161 bis 162. In: Köck u.a. (Hrsg.): Übergänge von der Schule in
Ausbildung, Studium und Beruf. Voraussetzungen und Hilfestellungen. Klinkhardt. Bad Heilbrunn
2010. S. 151 ff.