Post on 08-Apr-2016
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Editorial 3
Meerblicke 6
Aktuelles vom Meer 12
Nordsee in Zahlen 13
ERLEBEN und ERHOLEN
Thalasso 14
Thalassa und ihre ungestümen Kinder 16Was Thalasso ist und was eine Meeresgöttin damit zu tun hat
Eine Lektion für faule Blutgefäße 18Klimatherapie – Vom Frieren und sich Überwinden
Schlick – Heilerde aus dem Meer 20Riecht nicht gut, wirkt aber heilsam
Algen – Hochprozentiges aus dem Meer 22Verwöhnprogramm mit einem Hauch Luxus
Fisch essen mit gutem Gewissen 24
Rezept 25Heringstopf mit jungen Kartoffeln
Thalasso gegen Burnout 28Hilft Menschen bei Über- und Unterforderung
Kurswechsel 30Nordseekur gibt neuen Wind in den Segeln
Auf die gesunde Tour 32
Thalasso, binnen un buten 33
Eine Reise zu sich selbst 34Zu Fuß oder mit dem Pinsel in der Hand
Große Pötte – große Sehnsucht 36Mit Fahrrad oder Womo am Nord-Ostsee-Kanal
STADTBUMMEL
Jever und sein Fräulein Maria 38Die Stadt mit dem hübschen Schloss und der großen Brauerei
Wat kost dat 40Eine Woche Markttreiben in Amsterdam
4-2015
16
22
40
INHALT
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DÄNEMARK
Insel Fur 44Verträumt und fossil im Limfjord
Gourmet in Gummistiefeln 56Selbst gefangen, selbst gekocht, selbst gegessen
Rezepte 60Krabbensüppchen mit Lauch, Arme-Leute-Tsatsiki und Meersalatchips
KULTUR
Lebensstücke 62Eine Galerie im Klippenhof und andere Lebensprojekte
Meer-Menschen 66Schau mir in die Augen: Sieht man Menschen die Nordsee an?
NATUR
Die Supernanni ohne Heimat 70Zwei Millionen Kinder und keine Heimat mehr: Die europäische Auster soll wieder in die Nordsee zurückkehren.
Der Vermesser der Austern 72Ein dänischer Ingenieur will Austern kultivieren
ERINNERN
Bloemie und die Brutale Koba 76Ein Markttag vor achtzig Jahren
RUBRIKEN
Aktuelles 12Nordsee in Zahlen 13Aufgelesen 74Veranstaltungen 79Serviceseiten Nordseeländer 80Impressum/Vorschau 86
74
4-2015
62
56
INHALT
76
44
Thalasso ist die schönste Art, gesund zu werden und zu bleiben.
Die Nordsee mit ihrem Reizklima ist ideal für eine Thalasso therapie.
Das Zusammenspiel aus Meeresklima, dem Nordseewasser, Schlick,
Algen und der Sonnenstrahlung kräftigt den Körper und bessert
nachweislich Krankheiten wie Asthma, Hautleiden und Rheuma, als
auch Erschöpfungszustände und depressive Verstimmungen. Die
Wirkung ist direkt spürbar. Kaum jemand kann sich dem Bedürfnis
entziehen, am Meer ganz tief einzuatmen. „Herrlich, diese frische
Luft“, sagen die Menschen, sobald sie an der Küste ankommen,
und immer wieder auf der Fähre, im Cafe, beim Strandspaziergang.
Warum erholen sich Menschen am Meer so gut? Und nicht nur das.
Wie kann das Meer Krankheiten heilen?
Algen sind die Essenz des Meeres. In ihnen potenzieren sich die Inhaltsstoffe des Meeres.
Algen – Hochprozentiges aus dem MeerT
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22 4-2015
Algen – Hochprozentiges aus dem MeerM aria Gläser vom Thalasso-Zentrum
Badhotel Sternhagen in Cuxhaven ist
begeistert von Algen. Sie entschlacken, entgif-
ten, remineralisieren, befeuchten, entspannen,
straffen. Erwartungsvoll strecke ich mich auf
ihrer Behandlungsliege aus. „Gleich bizzelt es
ein bisschen“, sagt Maria Gläser, als sie mich
mit einer Meersalz-Algen-Mischung abreibt.
Alle überflüssigen Hautschüppchen rubbelt
das Meersalz als natürliches Peeling ab und macht so die
Haut bereit für die folgende Algen-Mousse-Packung.
D ie Algen landen nicht direkt von der Nordsee auf
meiner Haut. Die weiche, warme Mousse, die Maria
Gläser auf meinem Körper verstreicht, besteht aus drei ver-
schiedenen, fein pulverisierten Algen und Nordseewasser.
Ein fischiger Hauch umweht meine Nase. Bevor ich mich
traue, die Nase zu rümpfen, schwärmt die mich behan-
delnde Algenfreundin: „Ich mag den Geruch sehr gerne.
Nein, das riecht nicht nach Fisch. Einfach nach Algen!“
Vom Hals bis zu den Füßen bin ich nun grünbraun und
fühle mich wie eine Meeresnixe. Am Schluss wickelt mich
Maria Gläser in Folie und eine Decke ein, um die Wärme
zu halten und den Algen zu ermöglichen, ihre Wirkstoffe
an meine Haut und Gelenke abzugeben.
W issenschaftler haben in Algen mindestens 80
wirksame Elemente nachgewiesen. Anders als
die unbelebten Bestandteile des Meeres konzentrieren
die Algen als Lebewesen die Wirkstoffe in sich. Einige
Arten enthalten die zehntausendfache Menge bestimmter
Stoffe als das sie umgebende Meer. „Hardcore-Thalasso“
nennt Maria Gläser deshalb eine Algen-
behandlung. Algen enthalten ähnliche
Mineralien und Spurenelemente wie das
umgebende Meer, zum Teil in hohen Kon-
zentrationen. Zusätzlich bestehen sie aus
komplexen Stoffen: Aminosäuren, Vitaminen
und fettartigen Ceramiden, die denen der
menschlichen Haut ähnlich sind und vor
Austrocknung schützen.
D ieser Cocktail dringt nun in den nächsten 45 Minu-
ten in meinen Körper ein. Die Wirkstoffe fangen
Giftstoffe ab und schwemmen sie aus dem Körper. Ionen
laden den Organismus auf und vitalisieren ihn. Während
die vielen Elemente und Moleküle eifrig ihre Arbeit tun,
schließe ich die Augen und schlummere ein wenig, bis
mich Maria Gläser wieder aus meiner Folienverpackung
wickelt. Nebenan wartet bereits ein Meerwasser-Algenbad
auf mich. Ich gleite in das warme Wasser, über mir leuch-
ten zahlreiche LED-Sterne und ich freue mich auf weitere
Minuten sorgenfreier Entspannung. Maria Gläser stellt die
230 Düsen der Wanne individuell auf mich ein und fragt
mich, ob ich bereit sei. Na klar! Erst, als mich das hochspru-
delnde Wasser fast aus der Wanne drückt, verstehe ich den
Sinn ihrer Frage. An zwei Griffen halte ich mich fest und
stemme mich den Strahlen entgegen. Nach zwanzig Minu-
ten bin ich ein wenig erschöpft, die Haut ist gut durchblu-
tet und ich verstehe, dass Thalasso nicht nur ein bisschen
Verwöhn programm ist.
Allgemeine Informationen:Verband Deutscher Thalasso Zentren e.V. Tel.: 0381 777405www.thalasso-verband.de www.thalasso-guide.de
Thalasso an der niedersächsischen Nordseeküste:Nordsee GmbHTel.: 04421 9560991www.thalasso-nordsee.info www.die-nordsee.de/thalassowww.meergesund.de
Thalasso an der schleswig-holsteinischen Nordseeküste:Nordsee-Tourismus-Service GmbH Tel: 04841 89750www.nordseetourismus.de/kuren-thalasso
INFO Thalasso an der Nordsee
23
Meine Hände sind kalt und ich
ziehe meine Wollmütze tief ins
Gesicht. Dennoch stehe ich lange an
der Reling der Fähre und blicke auf das
glänzende Meer, das sich scheinbar
endlos vor mir erstreckt. Weit entfernt
begleitet ein Segelschiff meine Reise.
Kraftvoll gleitet es durch die Wellen.
Wie schön es sich anfühlen muss,
mit so viel Rückenwind unterwegs zu
sein. Das Horn der Fähre reißt mich
aus meinen Träumen. Am Hafen von
Borkum angekommen schleppe ich
meinen schweren Koffer gegen den
stetig blasenden Wind zu der bunten,
historischen Kleinbahn, die mich in den
Ort bringt. Erschöpft lasse ich mich auf
den hölzernen Sitz fallen. Vier Wochen
Kur liegen vor mir. Vier Wochen, die
ich mit mir allein sein werde. Meinen
Koffer habe ich deshalb vollgepackt mit
Büchern. Eine unnötige Last wie sich
schnell herausstellt.
Meine Unterkunft liegt direkt am Bor-
kumer Strand. Jeden Morgen beginne
ich den Tag mit einem ausgedehnten
Spaziergang am Wasser. Die salzige
Luft und die kühlen Wellen, die meine
nackten Füße umspielen, machen
mich munter und wacher als jeder
Morgenkaffee. Mit jedem Zentimeter,
den ich in den feuchten Sand sinke,
entspanne ich mehr. Der Hauptstrand
der Insel ist im Osten so breit, dass ich
das Wasser nicht sehen kann. In dieser
rauen Wüstenlandschaft lege ich mich
in den Sand und schaue den vorbeizie-
henden Wolken zu. Ganz entfernt höre
ich leise das Rauschen der Wellen. Ich
genieße das Gefühl, unendlich viel Zeit
und Raum zu haben.
Kurswechsel!Zur Gesundung braucht es nicht viel: das Rauschen
der Wellen, das Brausen des Windes und die Stille.
Eine Kur auf Borkum. Text: Paula Conrad
30 4-2015
An anderen Tagen treibt der
Wind den Sand so energisch
vor sich her, dass er kräftig gegen
meine Waden prasselt. In kurzer Zeit
entstehen am Strand kniehohe Verwe-
hungen, die mich staunen lassen wie
schon lange nicht mehr. Es hat etwas
Gewaltiges, die Sandmassen auf
mich zuwirbeln zu sehen. Unheimlich
schnell rauschen sie an mir vorbei.
Mit dem Rücken zum Wind habe ich
das Gefühl, dass mich der goldene
Strom des fliegenden Sandes mit in
die Ferne ziehen will. Alles um mich
herum ist in Bewegung, nur ich bin
ganz ruhig.
Müde und zufrieden sinke ich in den
großen Sessel am Fenster meines Zim-
mers. Ich fühle mich, als würde ich in
einem Gemälde sitzen. Die Abendsonne
taucht die See und den Himmel in ein
warmes Licht, Wolken türmen sich zu
imposanten Formationen. Noch nie
habe ich so viele Farben und Lichter
zugleich am Himmel gesehen. Ich kann
einfach nicht wegschauen. Eine schö-
nere Form von Meditation kann ich mir
nicht vorstellen. Mein Buch liegt dabei
unbeachtet auf meinem Schoß.
Die vier Wochen Kuraufenthalt auf
Borkum hat die Nordseebrise im Nu
davon geblasen. In meinen Segeln
spüre ich neuen Wind und die Kraft,
einen Kurswechsel vorzunehmen.
Wehmütig verabschiede ich mich
von meinem Inselleben. Mein Koffer
fühlt sich gar nicht mehr so schwer
an. Mit einer großen Portion Ruhe
und Gelassenheit im Gepäck kehre
ich nach Hause zurück.
31
November 1540: Fräulein Maria
greift zu ihrer Teetasse. Den
Rücken gerade durchgedrückt mustert
die Regentin der Herrschaft Jever die
beiden Frauen ihr gegenüber, Anna
von Ostfriesland und Onna von Riet-
berg. Beide sind durch den Tod ihrer
männlichen Angehörigen im Kampf
um Jever zu Herrinnen ihrer Territorien
geworden. Jahrelang haben Annas
Mann, Graf Enno von Ostfriesland,
und Onnas Bruder, Junker Balthasar
von Esens, mal der eine und mal der
andere, versucht, Maria die Herrschaft
von Jever zu entreißen. Es ist ihnen
nicht gelungen. Tapfer hat sich Marias
Geliebter Boing von Oldersum gegen
die Angreifer gestellt, um für Fräu-
lein Maria das Jeverland unter ihrer
Regierung unabhängig zu halten. Auch
er ist auf dem Schlachtfeld geblieben.
Nun sitzen die drei Machthaberinnen
in ihren schwarzen, hochgeschlos-
senen Kleidern und den weißen, steifen
Häubchen auf dem Kopf beisammen
und sind sich einig: Sie heben die
Tasse Tee an ihre schmalen Lippen und
besiegeln das Ende der alten Fehden
um Territorialansprüche. Vorbei das
Gemetzel, das so viele Männer um ihr
junges Leben gebracht hat.
Ob sich Maria, Anna und Onna tatsäch-
lich getroffen haben, ist zwar Fiktion,
doch Tatsache ist, dass die drei Frauen
Frieden schlossen. Der war jedoch
fragil. Die Bürger Jevers sorgten sich
sehr, dass die Ostfriesen wieder versu-
chen würden sie anzugreifen. Als Maria
starb, sollen die Jeveraner ihren Tod
aus Angst vor den Herrschaftsansprü-
chen der Ostfriesen vertuscht haben.
Angeblich haben Bedienstete jeden Tag
das Frühstück vor ihre Tür gestellt und
ein Diener soll es aufgegessen haben,
damit niemand Verdacht schöpft.
Auch wurde verbreitet, Fräulein Maria
sei, des Regierens müde, in einen der
unterirdischen Gänge des Schlosses
gegangen. Dort soll sie heute noch
leben und eines Tages wiederkehren.
Der Sagenbrunnen am „Alten Markt“
zeigt unter anderem die Sage von dem
Verschwinden des Fräuleins Maria.
Sie selbst steht als bronzenes Denk-
mal seit mehr als hundert Jahren an
Noch heute läuten die Jeveraner die Glocken
für ihr Fräulein Maria. Irgendwann soll es
wieder zu ihnen zurückkehren, in die Stadt
mit dem hübschen Schloss, den grünen
Gräften und der großen Brauerei.
Text: Martina Poggel
Jever und das Fräulein
Maria
38 4-2015
Touristinformation JeverAm Markt 18, 26441 JeverTel.: 04461 71010www.stadt-jever.deThemen-FührungenKrimi, Kräuter, Nachtwächter, Stadt, Kneipen
Schlossmuseum Jeverwww.schlossmuseum.de
Friesisches Brauhaus & Brauereimuseum Besichtigungen: Jever-Shop Schlachtstr. 2, 26441 Jever Tel.: 04461 13711, www.jever.de
Blaudruckerei Jeverwww.blaudruckerei.de
I N F O JeverUnser Entdecker-Angebot:
Leistungen
•2xÜbernachtung
mitFrühstück
inHotel/Pension
(DU/WC)
•Braupfanne-Essen
miteinemkühlen,
blondenJever-
Pilsener(0,3)
•ErwerbderBeerkenner-Breefesmit
VerkostungundAbendessen
•Rundgangmitdem
Nachtwächter
•FührungdurchdasfriesischeBrauhaus/
Brauereimuseum
•GutscheinfüreinenBesuchdes
Schlossmuseums
•Jever-TaschemitInfo-Mappe
Mindestteilnehmerzahl:2Personen
Buchbar:ganzjährig
Preis pro Person: nur 154 Euro im DZ Einzelzimmer-Zuschlag: 25 Euro
Buchung und Informationen:
StadtJever/Tourist-Information
AlterMarkt18
26441Jever
Tel.:04461-71010
www.stadt-jever.de
der Schlossstraße und schaut auf das
Schloss. In der Hand hält Fräulein
Maria die Urkunde, mit der sie Jever
erst zur Stadt gemacht hat, indem sie
ihr 1536 die Stadtrechte verlieh. Vieles
hat die Stadt ihrem Fräulein zu ver-
danken und ihre Spuren sind überall
zu entdecken. Der Renaissancestil des
auffälligen, rosa und weiß getünchten
Schlosses von Jever geht auf Maria
zurück, die markante, barocke Zwiebel-
haube hat der Schlossturm allerdings
erst im 18. Jahrhundert erhalten. Mehr
über Fräulein Maria und die Geschichte
des Jeverlandes offenbart die kultur-
historische Sammlung im Schloss-
museum.
Das Schloss und ein weit jüngeres
Gebäude sind die Wahrzeichen
der Stadt: die verspiegelten Türme des
„Friesischen Brauhauses zu Jever“.
Das Brauereimuseum erzählt die
Geschichte der Brauerei von ihrer
Gründung im Jahre 1848 an. Eine
Führung durch die moderne Produk-
tion der Brauerei zeigt, wie heute das
berühmte Bier aus Jever gebraut wird
und warum es herber schmeckt als
andere. Das Geheimnis ist ein Hauch
mehr Hopfen, der unter anderem das
Bier haltbarer macht. Riesige Gärkessel
sind zu sehen, in denen das Jungbier
zwei bis drei Wochen gärt. Durch die
Abfüllhalle fährt klimpernd eine end-
lose Reihe grüner Flaschen, pro Stunde
60 000. Zum Abschluss gibt es natürlich
eine Kostprobe.
Zwischen der Brauerei und der Altstadt
liegt ein Teil des ehemaligen Wallgra-
bens. Auch ihn ließ das Fräulein von
Jever anlegen – zur Befestigung der
Stadt gegen die angriffslustigen
Nachbarn. Heute ist er noch fast
vollständig als fünf Graften in einem
grünen Ring um die Altstadt erhalten.
In den verwinkelten Gassen der
Altstadt verstecken sich kleine
Geschäfte, Kneipen und interessante
Museen wie die einzige Blaudruckerei
Ostfrieslands. In der Mitte steht die
Stadtkirche mit dem sehenswerten
Denkmal Edo Wiemkens, dem Vater
von Fräulein Maria, die es bei einer
berühmten Antwerpener Kunstschule
in Auftrag gegeben hatte. Die Jevera-
ner verehren ihr Fräulein Maria auch
heute noch sehr. Abend für Abend seit
mehr als 500 Jahren läuten sie die
Glocke der Stadtkirche nun schon,
damit Fräulein Maria bei ihrer Rück-
kehr den Weg zu ihren Jeveranern
nicht verfehlt.
JEVER – rund ums BierJEVER – rund ums Bier
Mitten im Limfjord liegt die kleine Insel Fur. Nur ein schmaler Sund
trennt sie vom Festland, der Halbinsel Salling mit ihren vielen Bauern-
höfen, und auf den ersten Blick sieht Fur nicht viel anders aus. Doch der
Lebenstakt ihrer Bewohner schlägt hier gemächlicher und ihre wahre
Natur zeigt die Insel erst auf ihrer anderen Seite: aufregende Klippen
aus einer Zeit, als Dänemark noch im Urmeer schlummerte.
Text: Martina Poggel · Fotos: Dieter W. Pelzer
Verträumt und fossil
Insel Fur
Gourmetessen mit GummistiefelnDas Menü steht fest: Ein Krebssüppchen mit Lauch als Entrée.
Der Hauptgang: Fangfrischer Granat an Tsatsiki von der Salzmiere,
dazu Chips vom knackigen Meersalat. Heute ist Premiere des
„Gourmetessen mit Gummistiefeln“, doch bis wir es genießen können,
haben wir noch eine Menge zu tun, denn die meisten Zutaten zu
unserem Menü schwimmen noch ahnungslos im Wasser des nordsee-
nahen Limfjords bei Thyborøn.
57
Meer-MenschenSchreibt sich die Nordsee in die Gesichter der Menschen hinein, die unmittelbar an der
Nordsee leben? Fotograf Ingo Gebhard, selbst ein Kind der Nordsee, ist den Menschen an
der Küste und auf den Inseln mit seiner Kamera nahe gekommen und hat sie portraitiert.
Eine Suche nach den gemeinsamen Spuren des Meeres. Text: Martina Poggel
66 4-2015
An der Nordseeküste wohnen die
Friesen: die niederländischen
Westfriesen, die Ostfriesen und an der
Grenze zu Dänemark die Nordfriesen.
Jede für sich eine Volksgruppe mit
eigener Sprache und besonderen
Traditionen. Allen gemeinsam sind
die Vorurteile, die ihnen entgegenge-
bracht wurden und werden. Groß-
gewachsen und blond galten sie den
Nazis als Vorzeigearier. Sie seien
eigensinnig, freiheitsliebend, stur,
wortkarg. So denken heute viele über
die Friesen. Sie alle verbindend ist vor
allem der unmittelbare Einfluss der
Nordsee. Tagtäglich atmen sie deren
Luft. Salz und Sand schmirgeln ihre
Haut. Der stete Wind zerrt an ihren
Haaren. Jenseits von oberflächlichen
Vorurteilen und Rassenzuschrei-
bungen sind es diese Spuren eines
Lebens in dem rauen Küstenstrich,
die wir in den Portraits der Meer-Men-
schen von Ingo Gebhard suchen. Gibt
es Ähnlichkeiten? Und wenn: Welches
sind die gemeinsamen Merkmale?
Ist es ihre vom Leben an der See
geprägte Ausstrahlung? Ist es die von
dem rauen Nordseeklima gegerbte
Haut? „Man sieht einem Gesicht
das Meer an“, sagt der auf der Insel
Wangerooge aufgewachsene Foto-
graf. Jede Pore, jede Bartstoppel, jede
Hautverfärbung, jede Falte hat Ingo
Gebhard ausgeleuchtet. Man sucht die
Nordsee in den Gesichtern, meint das
Typische zu entdecken.
Letztlich suchen wir erfolglos nach
dem allen gemeinsamen Eindruck,
den die Nordsee den Portraitierten
eingeprägt hat. Es entstehen besten-
falls neue Vorurteile, von denen wir
uns beim Betrachten gerade lösen
wollen. Die Wahrnehmung der Por-
traits ist so unterschiedlich wie die
Betrachter. Die einen sehen in den
Nordseebewohnern „knorrige Typen“,
andere beschreiben den Ausdruck
in den Gesichtern der Fotografierten
als gelassen. Die meisten der Meer-
Menschen schauen direkt in Gebhards
Kamera: Hafenmeister Hermann Gold-
schwer, Künstlerin Monika Ploghöft,
Strandwärter Jens Dorow, Weltum-
segler Wilfried Ermann, Umweltinge-
nieur Olaf Hanken, Gebhards eigene
Großmutter Herta Marie Gebhard.
Sehen wir ihnen also in die Augen.
Eindringliche Blicke richten sich
Portrait für Portrait auf den Betrachter.
Und plötzlich dreht sich die Perspek-
tive. Die betrachtete Person scheint
zur beobachtenden zu werden und
umgekehrt. Die Meer-Menschen
schauen uns ins Herz und spiegeln,
was in ihm steckt.
Meer-Menschen ist ein wunder-
bares Buch. Ingo Gebhard hat
intensive Portraits von Küsten- und
Inselbewohnern geschaffen, die dem
Leben unmittelbar an und mit der
Nordsee so individuell begegnen wie
sie einzigartig sind.
Info:Ingo GebhardtMeer-MenschenHatje Cantz 2014, 39,80 EURISBN 978-3-7757-3905-4
67
Die Supernanni ohne HeimatWenn Austern Nachwuchs bekommen, wird es eng unter der Schale eines
Austernweibchens. Bis zu zwei Millionen Larven drängen sich dann im
„Kindergarten“ einer Auster. Meeresbiologe Christopher Jöst hat sich bei
der „europäischen Auster“ umgesehen.
A ustern kümmern sich wie alle Muscheln nicht um ihre Eier und schon gar
nicht um ihren Nachwuchs. Die Eier geben sie ins Wasser ab, das ist
alles an mütterlicher Fürsorge. Die europäische Spezies macht
da eine Ausnahme. Ist es im umgebenden Wasser zwischen
15 und 18 Grad Celsius laichen sie und geben ihre Eier in eine Kam-
mer unter ihrer schützenden Schale. Die zur Befruchtung nötigen
Spermien strudeln beim Ventilieren von selbst hinein und
wenige Tage darauf schlüpfen schon winzig kleine Larven.
Weitere zehn Tage „passt“ das Austernweibchen auf
ihre große Nachkommenschar auf, dann öffnet sie die
Schale und entlässt sie als schwimmende, bewimperte
Veligerlarven in die Eigenständigkeit. Zu diesem
Zeitpunkt sind sie ihren Eltern nicht im Entfern-
testen ähnlich.
Die meisten überstehen das freie Leben nicht. Wer es
geschafft hat, sucht sich nach etwa zwei bis vier Wochen
ein geeignetes Substrat, um sich sesshaft zu machen. Doch
was ist geeignet? Fester Boden, Muschelbänke oder vorhandene
Austernschalen sind optimal, um einer kleinen Austerlarve einen
möglichen Ort fürs Leben zu bieten. Möglicherweise hilft ihnen ihr ein-
faches Auge dabei, ihre Beute auszumachen und einen Platz für ihren kleinen
Fuß zu finden. Zu dem Zeitpunkt sind sie gerade einmal einen drittel Millimeter groß.
So winzig, dass sie mit dem bloßen Auge kaum sichtbar sind, und doch finden nun in ihr
enorme Umbauprozesse statt. Fuß, Auge, Wimpern, alles bildet sich zurück. Zwei fast
kreisrunde Schalenhälften entstehen, eine etwas konvexer als die andere. Von nun an hei-
ßen sie Austernbabys, wachsen und gedeihen. Und wenn sie nicht gestorben sind, leben
sie dort noch über dreißig Jahre.
70 4-2015
Die Supernanni ohne Heimat
Doch das ist das Problem der europäischen Auster: Ihre Larven sind enorm
empfindlich gegenüber zu hohen Temperaturen und schlechter Wasserqua-
lität. Daraus resultiert ihre hohe Sterblichkeit. Die „europäische Auster“
gilt in der Nordsee nahezu als ausgestorben. Dafür ist in erster Linie
der Mensch verantwortlich. Schon zu Beginn des letzten Jahrhun-
derts war die „europäische Auster“ in der gesamten Nordsee
komplett überfischt. Mit einer Krankheitswelle, ausgelöst durch
die beiden Erreger Bonamia und Marteilia, war die Auster in der
Nordsee so gut wie ausgerottet. Die einst sehr ergiebigen, wil-
den Populationen der Wattenmeere und der mittleren Nord-
see, der Doggerbank, konnten sich bis heute nicht erholen.
Das Bundesamt für Naturschutz ist sehr darum bemüht,
die heimische Auster wiederanzusiedeln. Zu den Haupt-
problemen gehört, dass auch weiterhin deren wich-
tigste Besiedlungsgebiete am Meeresgrund durch die
Schleppnetzfischerei zerstört werden. Zum anderen hat
die „pazifische Auster“ mögliche Lebensräume bereits besetzt
und der Bestand an noch lebenden „europäischen Austern“ ist
zu gering, um sich ohne umfangreiche Neuzugänge erholen zu
können. In einem aktuellen Bericht des Bundesamtes für Natur-
schutz sind als Orte für die Wiederansiedlung Offshore-Windanlagen
in den Fokus gerückt, da dort keine Schleppnetzfischerei möglich ist.
Für Neuzugänge sieht das Bundesamt eine Chance in der letzten großen,
erregerfreien Population im Limfjord. Damit die „europäische Auster“ in
der Nordsee wieder heimisch sein kann, müssen 10 Millionen Austern ausge-
sät werden. Damit könnte es klappen, dass sich in mehr als 25 Jahren der Bestand
stabilisieren wird.
71
Am Strande
Vorüber die Flut.
Noch braust es fern.
Wild Wasser und oben
Stern an Stern.
Wer sah es wohl,
o selig Land,
wie dich die Welle
überwand.
Noch braust es fern.
Der Nachtwind bringt
Erinnerung und eine Welle
verlief im Sand.
Rainer Maria Rilke (1875 - 1926)
Hommage an das Meer leitet Autor Richard Reschika sein maritimes Lesebuch „Meer, du berührst meine Seele“ ein. Das Buch entspringt der Leiden-schaft des Autors für das Meer, die er mit vielen Menschen teilt. Doch der Mensch und das Meer haben mehr miteinander zu tun als simple Passion. Der Theo-loge und Philosoph sucht die Verbindung zwischen der Seele des Menschen und dem Meer in den Mythen der Antike, bei Psychologen, Mystikern und Dichtern. Er lässt Philosophen von Thales bis Jaspers zu Wort kommen, entführt in die Welt der Maler und Musiker. Ent-standen ist ein reicher, von ihm kommentierter Zitatenschatz, ein Nachdenken über das Meer und die Liebe zum Meer. Jeder Gedanke ist geeignet, einen Nachmittag lang im Strandkorb oder bei einem Spaziergang am Flutsaum darüber nachzu-sinnen.
Richard Reschika„Meer, du berührst meine Seele“Gütersloher, 14,99 EUR ISBN 978-3-579-06667-7
Ganz oben im Norden, in einem Landstrich, trist und leer und einsam, ist man gerne unter sich. Beim Biikebren-nen irgendwo rechts ab in der Ödnis gerät die Welt aus den Fugen. Ein Mensch verbrennt in den Flammen. An ein Kreuz genagelt sieht es ganz nach einem Ritualmord aus. Autor Hannes Nygaard schickt seine Husumer Ermittler auf eine Verbrecherjagd, bei der sie auf staubtrockenen Widerstand und eine Sturheit treffen, die selbst für den Hohen Nor-den erstaunlich ist. Christoph Johannes und sein gutmei-nender, rüpeliger Oberkom-
AUFGELESEN
R E i S E F ü H R E R
Reiseführer können Fakten und Zahlen liefern. Um ein Urlaubsziel wirklich zu ver-stehen, braucht es aber mehr: Offenheit, Neugier und Begeis-terung zum Beispiel. All das bringt Autor Hans Klüche in diesem umfassenden Taschen-buch zur dänischen Nordsee-küste mit. Dass er die Region selbst liebgewonnen hat, merkt man an seinen sehr persön-lichen Beschreibungen, die manchmal mit einem Augen-zwinkern daher kommen. Der Leser erfährt, was Dänemarks Nordseeküste mit Hawaii zu tun hat und wo man Austern für lau schlürfen kann. Dazu gibt es Einblicke in die Wikingerzeit und die kulinarischen Eigen-arten Dänemarks. Für Fami-lien mit Kindern werden Aus-flugsziele vorgestellt, die den Naturraum Nordsee spielerisch näherbringen. Zehn ausgear-beitete Entdeckungstouren und stimmungsvolle Fotos runden die Reiselektüre ab.
Hans Klüche„Dänemark Nordseeküste“Dumont, 16,99 EURISBN 978-3-7701-7314-3
B u C H
Das Meer bedeutet mir alles! ruft Jules Vernes eigenwilliger Kapitän Nemo aus. Mit dieser
missar Große Jäger verfolgen viele Stränge in einem Ver-wirrspiel von Rechtsradikalen, Neidern und den Machen-schaften ortsansässiger Klein-unternehmer. Sie treffen auf skurile Gestalten und sind meh-rere Male fassungslos, so dass der etwas dickliche nordische Schimansky, Große Jäger, häufiger aus den Fugen gerät. Dabei vergisst er nie, seine Kollegen in seiner liebevoll-unverschämten Art aufzuziehen. Doch zunächst müssen sie erst herausfinden, wer das Opfer ist.
Hannes Nygaard „Biikebrennen“ Hinterm Deich Krimi Emons 2015, 9,90 EUR ISBN 978-3-95451-486-1
H ö R B u C H
„Diiiiiiingdong“ Das neurotische Fahrradklingeln darf in einem Hörbuch über Amsterdam natürlich nicht fehlen. Dazu: ein lebendiges Durcheinan-der an Stimmen, ein perlendes Glockenspiel und sanfte Jazz-musik. Dieses Hörbuch nimmt seine Zuhörer mit auf eine stim-mungsvolle Klangreise in die Grachtenstadt. Neugierig für die kleinen Details spazieren die Autoren vom Hauptbahnhof hin zu den wichtigsten Sehenswür-digkeiten der Metropole. Auf-gelockert wird die Stadtführung durch ausgiebige Interviews mit alteingesessenen Amsterda-mern, die von ihrem Leben und „ihrer“ Stadt erzählen. Da ist der Tabakhändler von nebenan, ein Hutmacher, und auch der legen-däre Schlagersänger Jonny Jordaan gibt seine Gesangs-künste zum Besten. Zugegeben, die echten Geheimtipps sind in diesem Hörbuch eher rar gesät, und mit der niederländischen Aussprache hapert es hier und da auch. Trotzdem macht die
CD Lust auf mehr und bietet eine gute Einführung in die Geschichte, Kultur und Archi-tektur der Stadt.
Reinhard Kober „Spaziergang durch Amsterdam“geophon, 12,90 EURISBN 978-3-936247-40-4
M u S i K
Torfrock rockt! Und das nach 37 Jahren Bandgeschichte mehr denn je. In den 70er Jahren begründete die Band mit einer plattdeutschen Version von Jimi Hendrix‘ „Hey Joe“ ihren ty-pisch rockig-humorigen Musik-stil. Damals wie heute erzählen die vier Musiker derbe Ge -schichten aus dem imaginären Wikingerdorf Torfmoorholm. Mit „Meisterstücke“ ist ihr erstes Studio-Doppelalbum er -schienen, ein Juwel für den echten Torfrock-Fan: geliebte Klassiker, musikalische Gastbei-träge, aber auch Songs, die erstmals auf CD gepresst wur-den, zeugen von der Spiel-freude und Vielseitigkeit der Jungs aus dem hohen Norden. Da treffen energiegeladene Gitarrenklänge auf virtuoses Flötenspiel und die unverwech-selbare Stimme Klaus Büchners. Rockige Töne machen hier und da Platz für groovigen Blues, Folk und zackige Tangoryth-men. Ein beinhartes Vergnügen. Wer die Seenotretter unterstüt-zen möchte, kauft die Single-CD „Search und Rescue“. Der ge-samte Erlös geht an die DGzRS.
www.torfrock.de
Torfrock „Meisterstücke“Preis: 15,- EUR„Search und Rescue“Preis: ab 7,99 EUR
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